Inhalt

FG München, Urteil v. 06.12.2023 – 9 K 956/23
Titel:

Formzwang auch für Steuerberater in eigener Sache

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
FGO § 45, § 47 Abs. 1 S. 1
AO § 163 Abs. 1ac
Leitsätze:
1. Für Steuerberater steht seit dem 1.1.2023 mit dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt) ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung, den sie zur Kommunikation mit den Finanzgerichten nutzen müssen. Diese Nutzungspflicht gilt unabhängig davon, ob ein Steuerberater für Mandanten oder in eigener Sache Anträge und Erklärungen bei Gericht einreicht, also auch dann, wenn die Klageschrift im Briefkopf und im Betreff den Steuerberater und seine Ehefrau mit ihrer Privatanschrift nennt und nur vom Steuerberater ohne Angabe seines Steuerberaterberufs unterschrieben ist.
2. Ebenso wie § 52d Satz 1 FGO für Rechtsanwälte ist auch § 52 Satz 2 FGO für Steuerberater statusbezogen auszulegen. Diese statusbezogene Auslegung des § 52d FGO verletzt nicht den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Schlagworte:
Formzwang des § 52d FGO auch für Steuerberater in eigener Sache, finanzgerichtliches Verfahren
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VIII R 2/25
Fundstellen:
EFG 2025, 1016
BeckRS 2023, 56058
LSK 2023, 56058

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Kläger wurden als Eheleute in den Streitjahren 2006 bis 2009 sowie 2012 bis 2016 und 2019 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Steuerberater.
2
Mit Schreiben vom 15. Januar 2023 beantragte der Kläger die abweichende Festsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer 2006 bis 2009 aus Billigkeitsgründen, hilfsweise deren Erlass. Mit Schreiben vom 2. Januar 2023 und 18. Januar 2023 beantragte er weiter die abweichende Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer 2012 bis 2016 und 2019 aus Billigkeitsgründen sowie deren Erlass. Mit an die Kläger gerichteten Bescheiden vom 16. Februar 2023 lehnte der Beklagte (das Finanzamt -FA-) die Anträge auf abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen ab. Die hiergegen gerichteten Einsprüche der Kläger wies das FA mit Einspruchsentscheidungen vom 13. April 2023 als unbegründet zurück.
3
Mit Bescheiden vom 15. November 2022 änderte das FA die Zinsfestsetzungen zur Einkommensteuer für 2012 bis 2016 und 2019. Mit E-Mail vom 22. Dezember 2022 legte der Kläger hiergegen Einsprüche ein. Mit E-Mail vom 23. Dezember 2022 beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die an die Privatadresse adressierten Bescheide seien erst am 24. November 2022 eingegangen; die Wohnung befinde sich in einem Mehrfamilienhaus mit einer Briefkastenanlage. Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2023 verwarf das FA die Einsprüche der Kläger wegen der Versäumung der Einspruchsfristen als unzulässig.
4
Am 15. Mai 2023 reichten die Kläger gegen „den jeweiligen Verwaltungsakt zur Festsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer für 2006 bis 2009“ und die Einspruchsentscheidung vom 13. April 2023 wegen Ablehnung des Antrags auf abweichende Festsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer 2006 bis 2009 nach § 163 der Abgabenordnung (AO) vom 16. Februar 2023 durch Einwurf in den Nachtbriefkasten des Finanzgerichts (FG) München sowie gegen „den jeweiligen Verwaltungsakt zur Festsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer für 2012 bis 2016 und 2019“ und die Einspruchsentscheidung vom 13. April 2023 wegen Ablehnung des Antrags auf abweichende Festsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer 2012 bis 2016 und 2019 nach § 163 AO vom 16. Februar 2023 per Telefax Klage ein. Am 19. Juni 2023 ging beim FG München per Telefax die Klage der Kläger gegen die Bescheide vom 15. November 2022 und die Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2023 ein. Die Klageschriften vom 15. Mai 2023 und 19. Juni 2023 nennen jeweils im Briefkopf und im Betreff die Kläger mit ihrer Privatanschrift und sind nur vom Kläger ohne Angabe seines Steuerberaterberufs unterschrieben.
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Das FA machte in den Klageerwiderungen vom 3. August 2023 und 12. Oktober 2023 geltend, die Klage sei nicht in der gemäß § 52d der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Form erhoben worden, da der Kläger Rechtsanwalt und Steuerberater sei. Der Kläger erwiderte darauf mit Schreiben vom 10. August 2023, er trete als Kläger selbstständig und damit als Privatperson auf und sei kein Rechtsanwalt. Er sei Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und in eigener Sache nicht formell als Steuerberater, sondern als Privatperson aufgetreten. Er habe die Klage unter seiner Privatanschrift erhoben, keinen Kanzlei-Briefkopf verwendet und sei nicht als Vertreter seiner eigenen Person aufgetreten. Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) und der Justizgewährungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verböten es, einem Rechtsanwalt oder Steuerberater den Zugang zum Gericht in eigenen, privaten Angelegenheiten wegen der Verletzung von Berufspflichten im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs zu verwehren (vgl. Beschluss des Verwaltungsgerichts -VGBerlin vom 5. Mai 2022 12 L 25/22, NJW-Spezial 2022, 414). Die Klägerin führte mit Schreiben vom 10. August 2023 aus, § 52d FGO sei nicht einschlägig. Sie trete als Klägerin selbstständig und als Privatperson auf und sei weder Steuerberaterin noch Rechtsanwältin. Sie lasse sich auch nicht vertreten.
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Der Berichterstatter wies die Klägerin und den Kläger jeweils mit Schreiben vom 6. Oktober 2023 und 11. Oktober 2023 darauf hin, dass die Klageschriften vom 15. Mai 2023 und 19. Juni 2023 nicht in der nach § 52d Sätze 1 und 2 FGO vorgeschriebenen elektronischen Form eingereicht worden seien, der Formverstoß zur Unwirksamkeit führe und damit insbesondere eine Fristwahrung ausschließe. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger auch für die Klägerin Klage erhoben habe, da die Klageschriften nur von ihm, nicht aber von der Klägerin unterschrieben worden seien.
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Hierauf nahmen die Klägerin und der Kläger jeweils mit Schriftsätzen vom 25. Oktober 2023 und 6. November 2023 dahingehend Stellung, dass der Kläger sich selbst und die Klägerin vertreten habe. Dabei sei er jeweils als Privatperson und nicht als Steuerberater aufgetreten. § 52d Satz 1 FGO knüpfe nicht an den Status des Prozessbevollmächtigten an. Auch ein Berufsträger könne ohne Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs formgerecht Klage per Fax erheben, wenn er bei Gericht nicht als professioneller Einreicher in Erscheinung trete, sondern von seinem Selbstvertretungsrecht Gebrauch mache (vgl. Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19. September 2022 8 K 670/22 E,U, EFG 2022, 1853; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 52d FGO Rz 15). Eine andere Ansicht ergebe sich nicht bereits aus dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. August 2022 VIII S 3/22, BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83. Dieser BFH-Beschluss stelle ausdrücklich darauf ab, dass als Berufsträger („als Rechtsanwalt“) aufgetreten werde. Auch der BFH-Beschluss vom 27. April 2022 XI B 8/22, HFR 2022, 949, stelle darauf ab, dass gegenüber dem Gericht als Rechtsanwalt gehandelt werde. Dem Gesetzeswortlaut sei nicht eindeutig zu entnehmen, ob an den Status oder die Rolle anzuknüpfen sei. Die Norm solle sicherstellen, dass der Datenverkehr zwischen Gerichten und professionellen Einreichern schneller, effizienter und digitaler werde. Dafür sei aber gerade das Auftreten als professioneller Einreicher erforderlich. Andernfalls stehe dies der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG entgegen, da keine Nutzungspflicht elektronisch sicherer Übermittlungswege für Private bestehe. Dies müsse auch für Berufsträger gelten, die privat in eigener Sache oder privat in Vertretung für Angehörige auftreten. Ebenso verbiete der Justizgewährungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, einem Berufsträger den Zugang zu den Gerichten von der Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs abhängig zu machen. Hinsichtlich des § 130d Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei keine Übertragbarkeit ersichtlich. Eine gleiche Auslegung von Parallelvorschriften in verschiedenen Gerichtsbarkeiten sei nicht zwingend. Ebenso sei nicht auf die Normen der ZPO, wie in anderen Vorschriften der FGO (z.B. §§ 134, 155 FGO), verwiesen worden.
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Die Kläger beantragen,
den Bescheid über die Ablehnung der abweichenden Festsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer 2006 bis 2009 aus Billigkeitsgründen vom 16. Februar 2023 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13. April 2023 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Festsetzungen der Zinsen zur Einkommensteuer 2006 bis 2009 gemäß § 163 Abs. 1 AO aufzuheben,
hilfsweise die Einspruchsentscheidung vom 13. April 2023 aufzuheben, den Bescheid über die Ablehnung der abweichenden Festsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer 2012 bis 2016 und 2019 aus Billigkeitsgründen vom 16. Februar 2023 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13. April 2023 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Festsetzungen der Zinsen zur Einkommensteuer 2012 bis 2012 und 2019 gemäß § 163 Abs. 1 AO aufzuheben,
hilfsweise die Einspruchsentscheidung vom 13. April 2023 aufzuheben,
die Zinsfestsetzungen zur Einkommensteuer 2012 bis 2016 und 2019 jeweils vom 15. November 2022 und die Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2023 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Der Senat hat die Verfahren 9 K 956/23, 9 K 972/73 und 9 K 1179/23 mit Beschluss vom 9. November 2023 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
11
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2023 wird verwiesen.
II.
12
Die Klagen sind unzulässig; denn sie wurden nicht innerhalb der Klagefristen formgerecht erhoben.
13
1. Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, in den Fällen des § 45 FGO und in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf nicht gegeben ist, mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Dies gilt für die Verpflichtungsklage sinngemäß, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist (§ 47 Abs. 1 Satz 2 FGO).
14
2. Hiernach haben die Klagefristen am 17. April 2023 und 22. Mai 2023 begonnen, da die Einspruchsentscheidungen vom 13. April 2023 und 17. Mai 2023 – sie wurden jeweils am selben Tag zur Post gegeben – nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 108 Abs. 3 AO am 17. April 2023 und 22. Mai 2023 als bekannt gegeben gelten; der 16. April 2023 und der 20. Mai 2023 als dritte Tage nach der Aufgabe zur Post waren ein Sonntag und ein Samstag (zur Anwendbarkeit des § 108 Abs. 3 AO vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898). Die Klagefristen haben damit nach § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit Ablauf des 17. Mai 2023 und 22. Juni 2023 geendet.
15
3. Die am 15. Mai 2023 und 19. Juni 2023 schriftlich bzw. per Telefax bei Gericht eingegangenen Klageschriften sind nicht in der gebotenen Form eingereicht worden. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit und schließt damit insbesondere eine Fristwahrung aus (BFH-Beschluss vom 28. April 2023 XI B 101/22, BFHE 279, 523, BStBl II 2023, 763, Rz 11, m.w.N.).
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a) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind nach § 52d Satz 1 FGO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO in der im Streitfall und bis zum 31. Dezember 2025 geltenden Fassung für die nach der FGO vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.
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Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Steuerberater – wie den Kläger – steht seit dem 1. Januar 2023 ein sicherer Übermittlungsweg i.S. des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung; denn seit dem 1. Januar 2023 (§ 157e des Steuerberatergesetzes -StBerG-) richtet die Bundessteuerberaterkammer über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach empfangsbereit ein (§ 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG). Steuerberater sind mit der Einrichtung des Postfachs, spätestens aber ab diesem Zeitpunkt, nach § 52d Satz 2 FGO nutzungspflichtig (BFH-Beschluss vom 28. April 2023 XI B 101/22, BFHE 279, 523, BStBl II 2023, 763, Rz 13).
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b) § 52d Satz 1 FGO knüpft allein an den Status als Rechtsanwalt an (BFH-Beschluss vom 23. August 2022 VIII S 3/22, BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83, Rz 3). Es ist daher unerheblich, ob die jeweilige Person in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwalt auftritt oder nicht (zutreffend Beschluss des FG Düsseldorf vom 9. Januar 2023 4 V 1553/22 A -Erb-, EFG 2023, 272, Rz 4, m.w.N.; a.A. Urteil des FG Düsseldorf vom 19. September 2022 8 K 670/22 E,U, EFG 2022, 1853, Rz 25, dort nicht entscheidungserheblich; Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2022 4 Ca 1688/22, juris, zur Parallelvorschrift des § 46g Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes -ArbGGbei Prozessvertretung durch einen Verbandsvertreter).
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aa) § 52d Satz 1 FGO stellt statusbezogen allein darauf ab, dass Schriftsätze, Anträge und Erklärungen „durch einen Rechtsanwalt“ eingereicht werden. Seinem Wortlaut lässt sich eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf den Fall der Vertretung eines Beteiligten durch einen Rechtsanwalt nicht entnehmen. Die amtliche Überschrift „Nutzungspflicht für Rechtsanwälte, Behörden und vertretungsberechtigte Personen“ und der Wortlaut des § 52d Satz 1 FGO, nach dem „durch einen Rechtsanwalt“ einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln sind, sprechen vielmehr für eine generelle Nutzungspflicht für Rechtsanwälte unabhängig von ihrer Rolle im Verfahren (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs -BGHvom 31. Mai 2023 XII ZB 428/22, MDR 2023, 1133; Rz 11; vom 31. Januar 2023 XIII ZB 90/22, FamRZ 2023, 719, Rz 17; jeweils zur Parallelvorschrift des § 14b Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; vom 24. November 2022 IX ZB 11/22, NJW 2023, 525, Rz 14, zur Parallelvorschrift des § 130d Satz 1 ZPO; ähnlich Beschluss des Bundesarbeitsgerichts -BAGvom 23. Mai 2023 10 AZB 18/22, NJW 2023, 2213, Rz 20 a.E., zur Parallelvorschrift des § 46g Satz 1 ArbGG – es komme auf die bloße Rechtsstellung an).
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bb) Auch nach seinem Zweck ist § 52d Satz 1 FGO statusbezogen auszulegen. Die Einfügung des § 52d FGO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I 2013, S. 3786) sollte die Nutzungspflicht für Rechtsanwälte aus § 130d ZPO übernehmen und sie um die vertretungsberechtigten Personen erweitern, die sich eines speziellen Übermittlungsweges auf der Grundlage des § 52a Abs. 4 Nr. 2 FGO bedienen können (BTDrucks 17/12634, S. 38). Der Zweck des § 130d ZPO und damit auch derjenige des § 52d Satz 1 FGO besteht nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 17/12634, S. 27) darin, durch eine Verpflichtung für alle Rechtsanwälte und Behörden zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten den elektronischen Rechtsverkehr einzuführen. Die Rechtfertigung eines Nutzungszwangs ergibt sich für den Gesetzgeber daraus, dass selbst bei freiwilliger Mitwirkung einer Mehrheit von Rechtsanwälten an diesem Ziel die Nichtnutzung durch eine Minderheit immer noch zu erheblichem Aufwand insbesondere bei den Gerichten führen würde. Es sei nicht hinzunehmen, erhebliche Investitionen der Justiz auszulösen, wenn die für einen wirtschaftlichen Betrieb erforderliche Nutzung nicht sichergestellt sei (BGH-Beschlüsse in MDR 2023, 1133; Rz 13; in FamRZ 2023, 719, Rz 20; in NJW 2023, 525, Rz 19). Nach diesem Gesetzeszweck sind Anwälte, die ohnehin ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach für die elektronische Kommunikation vorzuhalten haben (§ 31a der Bundesrechtsanwaltsordnung -BRAO-), auch dann in die Nutzungspflicht einzubeziehen, wenn sie in eigener Sache tätig sind (so auch Schumann, DStZ 2023, 312, 314).
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cc) Aus der Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO (BTDrucks. 17/12634, S. 27) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Sie ist für die Beurteilung der Frage nach einer rollen- oder statusbezogenen Nutzungspflicht des Rechtsanwalts unergiebig. Einerseits spricht die Begründung zwar davon, dass die Bestimmung „für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO“ gelte, andererseits in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Vorschrift aber auch davon, dass für alle Rechtsanwälte eine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Übermittlungswegs bestehe (BTDrucks. 17/12634, S. 27 f.). Es ist nicht auszuschließen, dass die Ausführungen an dieser Stelle im Regierungsentwurf von sprachlichen Ungenauigkeiten beeinflusst sind, denen eine besondere Bedeutung nicht beigemessen werden kann (BGH-Beschlüsse in MDR 2023, 1133; Rz 12; in FamRZ 2023, 719, Rz 19; in NJW 2023, 525, Rz 16).
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dd) Der statusbezogenen Auslegung des § 52d Satz 2 FGO steht nicht entgegen, dass ein Rechtsanwalt dadurch anders als ein Nichtberufsträger behandelt wird, der weiterhin alle Anträge und Erklärungen gegenüber dem Gericht schriftlich vornehmen kann. Die sachliche Rechtfertigung für diese unterschiedliche Behandlung liegt darin, dass ein Rechtsanwalt ohnehin über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach verfügen muss und auch bei seiner beruflichen Tätigkeit einem Zwang zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten unterliegt (vgl. BGH-Beschlüsse in MDR 2023, 1133; Rz 14; in NJW 2023, 525, Rz 21).
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ee) Die statusbezogene Auslegung des § 52d Satz 1 FGO verletzt weiter nicht den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG darf der Rechtsweg nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1993 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118, Rz 21, m.w.N.). Im Hinblick auf die für Rechtsanwälte ohnehin bestehende Vorhaltungs- und Nutzungspflicht der elektronischen Kommunikationsmittel ist nicht zu erkennen, dass es den Zugang zur Finanzgerichtsbarkeit in unzumutbarer Weise erschwert, wenn der Rechtsanwalt diese Kommunikationsmittel auch dann zu nutzen hat, wenn er nicht als Rechtsanwalt auftritt (vgl. BGH-Beschlüsse in MDR 2023, 1133; Rz 16; in FamRZ 2023, 719, Rz 21; jeweils zum Justizgewährungsanspruch; zweifelnd Beschluss des VG Berlin in NJW-Spezial 2022, 414).
24
ff) Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich nicht aus dem von den Klägern für ihre Auffassung angeführten BFH-Beschluss in HFR 2022, 949. Dort hat der BFH entschieden, dass eine beim BFH innerhalb der Beschwerdefrist als Telefaxschreiben eingegangene Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die durch einen Rechtsanwalt und Steuerberater eingelegt wurde, der gegenüber dem Gericht als „Rechtsanwalt“ handelt, nicht den Anforderungen des § 52d Satz 1 FGO entspricht. Der Beschluss verhält sich indes nicht zu der Frage, ob § 52d Satz 1 FGO statusbezogen auszulegen ist oder nicht.
25
c) Nachdem § 52d Satz 1 FGO statusbezogen auszulegen ist, muss dies auch für § 52d Satz 2 FGO jedenfalls dann gelten, wenn ein Steuerberater als nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO vertretungsberechtigte Person Anträge und Erklärungen bei Gericht einreicht.
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aa) Dies ist bereits aus dem Wortlaut des § 52d Satz 2 FGO abzuleiten, der auf die bloße Vertretungsberechtigung der Person („die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen“) abstellt und hinsichtlich der Nutzungspflicht für diese Person – unter der weiteren Voraussetzung, dass ihr ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht – auf § 52d Satz 1 verweist („Gleiches gilt …“). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 52d Satz 2 FGO in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2025 geltenden Fassung von „vertretungsberechtigten Personen“ und erst ab dem 1. Januar 2026 auch von „Bevollmächtigten“ spricht. Mit den „Bevollmächtigten“ werden erst ab 1. Januar 2026 die nach § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO vertretungsbefugten Personen erfasst (vgl. BTDrucks. 19/28399, S. 48). Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Zweck der Vorschrift, nach dem – wie unter b) bb) ausgeführt – die in § 52d Satz 1 FGO aus § 130d ZPO übernommene – statusbezogene – Nutzungspflicht für Rechtsanwälte um die vertretungsberechtigten Personen erweitert werden sollte, die sich eines speziellen Übermittlungsweges auf der Grundlage des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO bedienen können.
27
bb) Nur eine solche Auslegung steht im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG; denn es gibt keine sachliche Rechtfertigung dafür, einen Steuerberater im Hinblick auf die Nutzungspflicht nach § 52d FGO anders als einen Rechtsanwalt zu behandeln. Ein Steuerberater ist genauso wie ein Rechtsanwalt „professioneller Einreicher“ (vgl. BTDrucks 17/12634, S. 28). Beide sind Berufsträger, die nach § 3 Satz 1 Nr. 1 StBerG zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen und demgemäß im finanzgerichtlichen Verfahren nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO vertretungsbefugt sind. Ebenso wie ein Rechtsanwalt nach § 31a BRAO ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach vorzuhalten hat, hat ein Steuerberater nach § 86d StBerG ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach vorzuhalten.
28
d) Nach diesen Maßstäben war der Kläger nach § 52d Satz 2 FGO als zugelassener Steuerberater sowohl in eigener Sache als auch als Vertreter der Klägerin zur elektronischen Übermittlung der Klageschriften vom 15. Mai 2023 und 19. Juni 2023 verpflichtet. Entgegen der Auffassung der Kläger ist ohne Bedeutung, dass die Klageschriften im Briefkopf und im Betreff die Kläger mit ihrer Privatanschrift nennen und nur vom Kläger ohne Angabe seines Steuerberaterberufs unterschrieben sind. Da § 52d Satz 2 FGO allein an den Status als Steuerberater anknüpft, kommt es – wie bereits unter c) ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger als Steuerberater aufgetreten ist oder nicht.
29
4. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kläger weder Anträge auf Wiedereinsetzung in die versäumten Klagefristen gestellt noch die Übermittlung der Klageschriften in der gebotenen Form als versäumte Rechtshandlungen nachgeholt haben.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 FGO.