Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 27.06.2023 – W 4 K 20.1097
Titel:

Erfolglose Nachbarklage eines Denkmaleigentümers in Altstadt

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 28 Abs. 6, Art. 59 S. 1 Nr. 3, Art. 63 Abs. 1 S. 1
BayDSchG Art. 6
VwGO § 173
GG Art. 14 Abs. 1
ZPO § 265, § 266
Leitsätze:
1. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist regelmäßig als zumutbar hinzunehmen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. In historischen Altstädten, in denen eine (teilweise) geschlossene Bauweise der Regelfall ist, werden den Grundstückseigentümern grundsätzlich mehr Abstriche hinsichtlich der Licht- und Luftverhältnisse abverlangt. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayDSchG vermittelt grundsätzlich drittschützende Wirkung, wenn das genehmigte Vorhaben die Denkmalwürdigkeit des Anwesens des Nachbarn erheblich beeinträchtigt. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Bestimmtheit der Baugenehmigung bejaht, keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots, keine Verletzung des Abstandsflächenrechts, keine Verletzung durch erteilte Abweichungen von Art. 28 Abs. 6 BayBO, keine Verletzung drittschützender Rechte des Denkmalschutzes, Denkmal, Altstadt, Veräußerung der Streitsache, Abstandsfläche, Gebot der Rücksichtnahme, Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse, Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit, Abweichung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.03.2025 – 9 ZB 23.1956
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55773

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung.
2
1. Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.Nr. 1 der Gemarkung P. … Westlich angrenzend befindet sich das Grundstück der Beigeladenen zu 1) mit der Fl.Nr. 3, das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Dieses Wohnhaus grenzt in seinem östlichen Bereich unmittelbar an die als Einzeldenkmal (D-6-75-158-..) eingetragene sogenannte … … an, die auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. 1 steht. Die beiden vorgenannten Grundstücke befinden sich im unbeplanten Innenbereich und gehören zur Altstadt von P. …, einem denkmalschutzrechtlichen Ensemble.
3
Im Zuge eines am 2. August 2018 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs, dem eine baurechtliche Nachbarklage (W 4 K 17. …) zwischen der Beigeladenen zu 3) und dem Beklagten zugrunde lag, bei der die Beigeladenen zu 1) ebenfalls beigeladen war, stellte die Beigeladene zu 1) unter dem 19. September 2018 einen Bauantrag zwecks Fassaden- und Dachänderung und beantragte mit Blick auf dabei zwei zur Genehmigung gestellte Fenster im Dach- und Obergeschoss jeweils eine Abweichung von der Vorschrift des Art. 28 Abs. 6 BayBO.
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Mit Bescheid vom 29. Juli 2019 wurde der Beigeladenen zu 1) die Baugenehmigung für die beantragte Fassaden- und Dachänderung erstmals genehmigt. Nachdem im Zuge des hiergegen gerichteten Klageverfahrens (W 4 K 19. …) das Gericht Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Baugenehmigung vom 29. Juli 2019 zum Ausdruck gebracht hatte, hob das Landratsamt K. mit weiterem Bescheid vom 15. Juli 2020 den Bescheid vom 29. Juli 2019 auf (Ziffer 1). Zugleich wurde das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) nach den Maßgaben der beiliegenden und geprüften Bauvorlagen (Baupläne mit Eingangsstempel Landratsamt K. vom 18. Juni 2020) unter den im Anhang abgedruckten Bedingungen, Auflagen, Nebenbestimmungen und Hinweisen abermals genehmigt (Ziffer 2). Gemäß Ziffer 3 seien die im Anhang abgedruckten weiteren Erlaubnisse, Genehmigungen, Ausnahmen, Abweichungen und Befreiungen Bestandteil des Bescheides.
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Auf Seite 5 des Bescheides des Landratsamts K. vom 15. Juli 2020 wird unter T0104 ausgeführt, dass von den baurechtlichen Vorschriften des Art. 28 Abs. 6 BayBO gemäß Art. 63 BayBO nach pflichtgemäßen Ermessen eine Abweichung gewährt werde. Das nachbarliche Interesse sei aufgrund der erteilten Abweichungen im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt. Insbesondere würden durch die erteilte Abweichung die schützenswerten nachbarlichen Belange zur Gefahrenabwehr von Bränden bzw. Brandüberschlägen usw. nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Aus Sicht des baurechtlichen Brandschutzes bestünden hinsichtlich der genehmigten Abweichungen keine Bedenken. Der Brandschutz werde zum Anwesen des Klägers hin durch den Rückbau der Öffnungen und Ausführung als Brandschutzfenster der Feuerwiderstandsklasse F-90, feuerbeständig, gewährleistet und gegenüber dem bisherigen Zustand deutlich verbessert. Schließlich werde durch die Abweichungen die Nutzung der Nachbargrundstücke auch nicht unzumutbar erschwert. Demzufolge seien die nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die erteilten Abweichungen entsprächen somit pflichtgemäßen Ermessen, da sie den Belangen sowohl der Bauherrin als auch der Nachbarn sowie den öffentlichen Belangen hinreichend Rechnung trügen.
6
Weiter wird im Bescheid vom 15. Juli 2020 unter T0505 festgestellt, dass es sich bei dem Bauvorhaben um ein Gebäude in der Nähe eines Baudenkmales handelt. Unter T0610 wird ausgeführt, dass im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens festgestellt wurde, dass die Baumaßnahme mit den Belangen des Denkmalschutzes verträglich sei und die Aufnahme gesonderter Auflagen, Hinweise und Bedingungen nicht veranlasst sei.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 15. Juli 2020 Bezug genommen.
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2. Mit Schriftsatz vom 17. August 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag per Telefax, ließ die Rechtsvorgängerin des Klägers Klage gegen die Baugenehmigung des Landratsamts K. vom 15. Juli 2020 erheben und beantragen,
den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts K. vom 15. Juli 2020 hinsichtlich der Ziffern 2 und 3 aufzuheben.
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Begründet wurde die Klage im Wesentlichen damit, dass Ziffer 3 des Bescheides vom 15. Juli 2020 rechtswidrig sei, da der in Bezug genommene Anhang dem Bescheid seinerzeit nicht beigefügt gewesen und damit nicht Gegenstand des Bescheides geworden sei. Darüber hinaus sei Ziffer 3 jedenfalls nicht hinreichend bestimmt, da damit alle zurückliegenden baulichen Änderungen auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) nachträglich (nochmals) genehmigt werden sollten. Darüber hinaus sei der Baugenehmigungsbescheid auch formell rechtswidrig, da keine vorherige Anhörung der Rechtsvorgängerin des Klägers stattgefunden habe.
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Auch Ziffer 2 des Baugenehmigungsbescheids des Landratsamtes K. vom 15. Juli 2020 sei rechtswidrig, da aus den Bauvorlagen nicht erkennbar sei, welcher Baubestand bereits genehmigt sei und welcher nicht. Darin liege nicht nur ein Verstoß gegen die Bauvorlagenverordnung, sondern es sei schon nicht erkennbar, was mit der vorliegenden Baugenehmigung überhaupt genehmigt werden sollte. Durch eine Genehmigung der hier beantragten Dacherhöhung würde jedenfalls faktisch das Gesamtgebäude der Beigeladenen zu 1) nachträglich genehmigt.
11
Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen der erteilten Abweichungen nicht vor, da dadurch bei einer Nutzungsänderung die Außenwand der … … ebenfalls als Brandschutzwand ausgestaltet werden müsste, was mit der Denkmaleigenschaft dieses Gebäudes nicht vereinbar sei. Jedenfalls hätte die hier angegriffene Baugenehmigung deutlich höhere Brandschutzauflagen für den Kläger im Falle der geplanten Nutzungsänderung zur Folge.
12
Unabhängig davon hätte die hier aufgestockte Wand der Beigeladenen zu 1), die unmittelbar an der … … angrenze, gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO als Brandwand ausgestaltet werden müssen. Des Weiteren hätte die Beigeladene zu 1) Abstandsflächen einhalten müssen, was hier ebenfalls nicht geschehen sei.
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Auch aus denkmalschutzrechtlicher Sicht erweise sich die hier angefochtene Baugenehmigung als rechtswidrig. Bei der … … handle es sich um ein überregional bedeutendes Denkmal. Durch das erhöhte Pultdach auf dem Gebäude der Beigeladenen zu 1) werde ein Doppelfenster der … größtenteils verbaut. Für eine ausreichende Belichtung und sinnvolle Nutzung des betroffenen Raumes der … sei aus denkmalschutzrechtlicher Sicht ein teilweiser Rückbau des Pultdaches angezeigt. Auch aus diesem Grund könne die angegriffene Baugenehmigung keinen Bestand haben.
14
3. Mit Schriftsatz des Landratsamts K. vom 18. November 2020 beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
15
Begründet wurde der Antrag im Wesentlichen damit, dass der Bescheid und die zugrundeliegenden Bauzeichnungen der Bauvorlagenverordnung entsprächen und so der Antragsgegenstand und die genehmigten Baumaßnahmen klar zu erkennen seien. Etwas Anderes als die beantragten Dach- und Fassadenänderungen sollte durch den streitgegenständlichen Bescheid nicht genehmigt werden und sei auch nicht Gegenstand des zugrundeliegenden Bauantrags. Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides bezöge sich auf die Seiten 5 bis 8 der Baugenehmigung. Im Übrigen wurde auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides vom 15. Juli 2020 Bezug genommen.
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Die Beigeladenen zu 1) bis 3) haben keinen eigenen Sachantrag gestellt.
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4. Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 31. Mai 2022 wurde dem Gericht ein Klägerwechsel angezeigt, da mittlerweile der … … … … … … … Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.Nr. 1 der Gemarkung P. … geworden war.
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5. Am 28. Juni 2022 hat das Gericht einen Erörterungstermin durchgeführt. Diesbezüglich wird auf das entsprechende Protokoll Bezug benommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in den Verfahren W 4 K 17. … und W 4 K 19. … sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen. Des Weiteren wird auf das Protokoll über die öffentliche mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Klage ist zulässig.
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1.1. Der Kläger, der das Grundstück mit der Fl.Nr. 1 der Gemarkung P. … im Laufe des Gerichtsverfahrens erworben hat, ist als neuer Eigentümer des Nachbargrundstücks auch ohne Zustimmung der übrigen Verfahrensbeteiligten berechtigt, den Prozess fortzuführen.
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Die prozessualen Folgen, die sich aus der „Veräußerung der Streitsache“ ergeben, sind in den §§ 265, 266 ZPO geregelt, die gemäß § 173 VwGO auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden sind. Zwar gilt nach § 265 Abs. 2 ZPO zum Schutz des Beklagten der Grundsatz, dass die Veräußerung der streitbefangenen Sache auf den Prozess keinen Einfluss hat und dass der Rechtsnachfolger nicht berechtigt ist, ohne Zustimmung des Gegners den Prozess als Hauptpartei anstelle des Rechtsvorgängers zu übernehmen. Für den Fall allerdings, dass zwischen dem Besitzer eines Grundstücks und einem Dritten ein Rechtsstreit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts, das für ein Grundstück in Anspruch genommen wird, oder einer Verpflichtung, die auf einem Grundstück ruhen soll, anhängig ist, trifft § 266 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Sonderregelung des Inhalts, dass der Rechtsnachfolger berechtigt ist, den Rechtsstreit als Hauptpartei zu übernehmen, ohne dass er hierzu der Zustimmung des Prozessgegners und des Veräußerers bedarf. Die Anwendung des § 266 Abs. 1 Satz 1 ZPO setzt voraus, dass die Sachlegitimation des Klägers auf der Beziehung zum streitbefangenen Grundstück beruht. Das ist bei einer baurechtlichen Nachbarklage der Fall, bei der die möglichen nachbarrechtlichen (Abwehr-)Positionen grundstücksbezogen sind und nicht von der Person des jeweiligen Grundstückseigentümers oder sonstigen dinglich Berechtigten abhängen (vgl. OVG LSA, U.v. 25.4.2012 – 2 L 192/09 – juris Rn. 37; VGH BW, B.v. 23.1.1998 – 5 S 2053/97 – NVwZ-RR 1998, 975, m.w.N.; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 90 Rn. 11 m.w.N.).
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1.2. Der Zulässigkeit der Klage steht schließlich auch nicht der gerichtliche Vergleich vom 2. August 2018 im Verfahren W 4 K 17. … entgegen, da weder der Kläger noch dessen Rechtsvorgängerin Vertragsparteien des Vergleichs waren. Die Rechtsvorgängerin des Klägers war zudem weder zum Verfahren W 4 K 17. … beigeladen noch hatte sie dem vorgenannten Vergleich zugestimmt.
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2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger ist durch die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung vom 15. Juli 2020 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht, auch nicht teilweise dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind.
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Weiter ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3; VG Würzburg, U.v. 8.11.2016 – W 4 K 16.418 – juris Rn. 17).
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Schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgeblicher Zeitpunkt bei baurechtlichen Nachbarklagen grundsätzlich der der Genehmigungserteilung ist (vgl. hierzu etwa BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – NVwZ 1998, 1179; BVerwG, U.v. 20.8.2008 – 4 C 11.07 – BVerwGE 131, 352; BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2326 – juris Rn. 4).
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3. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt eine Rechtsverletzung des Klägers durch die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung vom 15. Juli 2020 nicht vor. Die Baugenehmigung verstößt nicht gegen nachbarschützende Vorschriften, die im vorliegenden Genehmigungsverfahren zu prüfen waren.
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Da das beantragte Bauvorhaben keinen Sonderbau i.S.v. Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt, wurde es zu Recht im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO genehmigt. Nach Art. 59 BayBO in der hier maßgeblichen Fassung ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren der Prüfungsrahmen beschränkt. Die Bauaufsichtsbehörde prüft danach lediglich (1.) die Übereinstimmung mit a) den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlage nach den §§ 29 bis 38 BauGB, b) den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO, c) den Regelungen örtlicher Bauvorschriften i.S.d. Art. 81 Abs. 1 BayBO, (2.) beantragte Abweichungen i.S.d. Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 sowie (3.) andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird.
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3.1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist hinreichend bestimmt.
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3.1.1. Was Gegenstand der Baugenehmigung ist, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Unterlagen (BayVGH, B.v. 29. 1. 2016 – 15 ZB 13.1759 – BeckRS 2016, 42600; OVG NW, B.v. 10. 9. 2004 – 1 ME 231/04, BRS 67 Nr. 168; aus der Literatur siehe hierzu etwa Laser in Schwarzer/König, BayBO, 5. Auflage 2022, Art. 68 Rn. 56).
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Eine Rechtsverletzung des Nachbarn durch eine fehlende hinreichende Bestimmtheit der Baugenehmigung kommt nur in Betracht, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2020 – 1 CS 20.1595 – juris Rn. 3; B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris Rn. 13). Eine Genehmigung ist dann hinreichend bestimmt, wenn sich einem Nachbarn gegebenenfalls unter Heranziehung der Gründe des Bescheids und sonstiger dem Nachbarn bekannter oder für ihn ohne Weiteres erkennbarer Umstände Zweck, Sinn und Inhalt der Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erschließen, dass er feststellen kann, ob und in welchem Umfang er betroffen ist und er sein Verhalten entsprechend ausrichten kann. Insbesondere muss der Nachbar aus der Baugenehmigung in Verbindung mit den ihr zugrundeliegenden Unterlagen die Reichweite des genehmigten Vorhabens und deren Nutzung erkennen können (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2019 – 1 ZB 17.2407 – juris Rn. 5).
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3.1.2. Der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid vom 15. Juli 2020 beschreibt das Bauvorhaben im Betreff mit Fassaden- und Dachänderung. In Ziffer 2 des Bescheides wird das Bauvorhaben nach Maßgabe der beiliegenden und geprüften Bauvorlagen (Baupläne mit Eingangsstempel des Landratsamts K. vom 18.6.2020) unter den im Anhang abgedruckten Bedingungen, Auflagen, Nebenbestimmungen und Hinweisen genehmigt. Zudem bestimmt Ziffer 3 des Bescheides, dass die im Anhang abgedruckten weiteren Erlaubnisse, Genehmigungen, Ausnahmen, Abweichungen und Befreiungen Bestandteil des Bescheides sind.
34
Inhalt und Umfang der Baugenehmigung sind unter Berücksichtigung der Angaben der Beigeladenen zu 1) im Bauantrag vom 19. September 2018 (vgl. BA zur Bauantragsmappe, S. 5 ff.) sowie den dazugehörigen Planunterlagen (mit Eingangstempel des Landratsamts vom 18.6.2020 und Genehmigungsvermerk vom 15.7.2020) hinreichend bestimmt, insbesondere kann der Kläger (bzw. konnte die Rechtsvorgängerin) damit erkennen, ob und in welchem Umfang er (sie) betroffen ist. Sowohl im Bauantrag als auch in der Baugnehmigung wird das Vorhaben als Fassaden- und Dachänderung umschrieben (vgl. S. 5 der Antragsmappe). Darüber hinaus wurden zwei Abweichungen von der Vorschrift des Art. 28 Abs. 6 BayBO hinsichtlich zweier Fenster beantragt, eines für ein Fenster im Dachgeschoss, das das bisherige sechseckige Fenster ersetzen soll, und eines für das rechteckige Fenster im Obergeschoss (vgl. Blatt 9 der Antragsmappe). Aus den Planunterlagen gehen zudem klar die beiden vorgenannten, geplanten Fenster, die dort rot eingezeichnet sind (vgl. Anlage 1 zur Bauvorlagenverordnung), hervor (vgl. Planunterlagen, Ansicht Norden Planung sowie die Grundrisse zum Obergeschoss (OG Planung) und zum Dachgeschoss (Dachgeschoss Planung). Ebenso das etwas westlich davon geplante Dachliegefenster. Auch die rot eingezeichnete Erhöhung des Pultdachs von einer Traufhöhe von 6,51 m auf 6,95 m ist eindeutig erkennbar (Planunterlagen Schnitt CC) und damit hinreichend bestimmt.
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Nicht nachvollzogen werden kann in diesem Zusammenhang der klägerische Einwand, der Baugenehmigungsbescheid wäre nicht hinreichend bestimmt, da dessen Anhang der Rechtsvorgängerin des Klägers nicht mitbekannt gemacht worden wäre. Denn den kompletten Bescheid hat der Bevollmächtigte der Rechtsvorgängerin des Klägers im Verfahren W 4 K 19. … übermittelt bekommen (vgl. hierzu Schriftsatz des Landratsamts vom 15. Juli 2020, dem der streitgegenständliche Bescheid vollumfänglich beigefügt war).
36
Unverständlich bleibt zudem der klägerische Vortrag, der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung lasse sich der bisher genehmigte Baubestand nicht entnehmen, so dass mit der Baugenehmigung das gesamte Gebäude der Beigeladenen zu 1), das im 90°-Winkel zum Grundstück und Gebäude des Klägers steht, nachträglich genehmigt werden solle. Zum einen lässt sich der Bauvorlagenverordnung keine Vorschrift entnehmen, wonach in den Planunterlagen der bisher genehmigte Bestand dargestellt werden müsste. Zum anderen entspräche dies offensichtlich nicht dem Inhalt der Baugenehmigung samt den dazugehörigen Planunterlagen, wonach es nur um eine Dach- und Fassadenänderung geht.
37
Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die Behauptung der Klägerseite, der gesamte Gebäudeteil der Beigeladenen zu 1), an dem die Dacherhöhung und die Veränderung der drei Fenster vorgenommen werden soll, sei bislang ungenehmigt, schlicht nicht nachvollziehbar ist. Denn auch dieser Gebäudeteil wurde bereits mit Bescheid des Landratsamts K. vom 7. März 1978 als Teil eines Wohnhauses genehmigt, wie ein Blick in die damaligen Planunterlagen unschwer erkennen lässt (vgl. Blatt 35 der elektronischen Behördenakte bzw. Blatt 174R ff. und Blatt 177 der GA). Dementsprechend wurde im Erdgeschoss dieses Gebäudeteils auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) ein Lager sowie der Heizraum und ein Gewölbekeller genehmigt. Im damals als Dachgeschoss bezeichneten Geschoss (jetzt Obergeschoss) wurde bereits das große rechteckige Fenster zur Belichtung des Wirtschaftsraumes, das nunmehr verkleinert werden soll, sowie ein Essensraum genehmigt und im Giebelgeschoss wurde bereits damals ein Bad genehmigt (vgl. hierzu Blatt 35 BA der elektronischen Behördenakte bzw. Blatt 174R ff. und Blatt 177 der GA). Zweifelsfrei wurde damit auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) bereits im Jahr 1978 eine Wohnnutzung genehmigt, wobei der südliche Gebäudekomplex, der an die … heranreicht und auf den sich die hier streitgegenständliche Baugenehmigung bezieht, weitestgehend mit dem heutigen Bestand übereinstimmt (vgl. hierzu nochmals Blatt 35 der elektronischen Behördenakte, Schnitt A-A bzw. Blatt 174R ff. und Blatt 177 der GA).
38
Auch der wiederholte Vortrag der Klägerseite, das Dach dieses Gebäudeteils sei bislang nur insoweit genehmigt, als es das südlichste Fenster der … unmittelbar unterhalb der Traufe nicht verdeckt, vermag in dieser Pauschalität nicht zu überzeugen. Denn insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Schnitt B-B in den Planunterlagen der Baugenehmigung vom 1978 nicht den Gebäudeabschnitt darstellt, der direkt an der … angrenzt. Darüber hinaus spricht aufgrund der Zeichnungen in den Planunterlagen, die der Baugenehmigung aus dem Jahr 1978 zugrunde liegen, vieles dafür, dass dort nicht die Oberkante der Dachhaut zeichnerisch dargestellt wird, sondern die Oberkante der Dachsparren (vgl. Blatt 35 der elektronischen Gerichtsakte, Schnitt B-B). Daraus folgt, dass schon damals eine gewisse Verdeckung des betroffenen Fensters der … mit der Baugenehmigung vom 7. März 1978 einherging und die diesbezüglichen Ausführungen der Klägerseite fehlgehen. Mit Blick auf den konkreten Umfang und Inhalt der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung (Fassaden- und Dachänderung) bedarf dies jedoch keiner abschließenden Klärung.
39
Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 15. Juli 2020 ist nach dem Vorstehenden hinreichend bestimmt.
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3.2. Auch ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht ist zu verneinen.
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Dies schon deswegen, weil gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO vorliegend gar keine Abstandsflächen erforderlich sind. Denn Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO besagt, dass eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Genau dies ist in der Altstadt von P. …, zu der auch die beiden Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen zu 1) zählen, aber der Fall, wie dem Gericht aus vergleichbaren Fällen in P. … (insbesondere auch aus dem Augenscheintermin am 18.7.2018 im Verfahren W 4 K 17. …) bekannt ist. Der Lageplan in den Bauvorlagen sowie die Planübersicht im BayernAtlas plus bestätigen diese Einschätzung.
42
Eine Verletzung des nachbarschützenden Abstandsflächenrechts liegt daher nicht vor.
43
3.3. Eine Verletzung des subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebots gem. § 34 Abs. 1 BauG („einfügen“) ist ebenfalls nicht zu erkennen.
44
3.3.1. Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686 – juris Rn. 17; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04, NVwZ 2005, 328 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11, BVerwGE 145, 145 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
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Bei der Interessengewichtung spielt es zudem eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m.w.N.).
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Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 6).
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In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung etwa dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl 2009, 751 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
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3.3.2. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) in seinen Auswirkungen auf das Nachbargrundstück des Klägers nicht als rücksichtslos.
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Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl 2009, 751 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben.
50
Darüber hinaus gibt das Gebot der Rücksichtnahme den Nachbarn auch nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Zudem gilt es vorliegend zu berücksichtigen, dass in historischen Altstädten – wie hier – eine (teilweise) geschlossene Bauweise der Regelfall ist und den Grundstückseigentümern in solchen Altstadtgebieten daher grundsätzlich auch mehr Abstriche hinsichtlich der Licht- und Luftverhältnisse abverlangt (vgl. hierzu etwa OVG Hamburg, B.v. 16.8.2011 – 2 Bs 132/11 – BeckRS 2011, 55152).
51
Damit stellt sich das geplante Vorhaben auf dem Nachbargrundstück des Klägers auch unter den Gesichtspunkten der Belichtung, Belüftung, Besonnung und des sozialen Wohnfriedens nicht als unzumutbar dar. Das Gebäude mit seinem hier genehmigten (erhöhten) Pultdach ist nicht höher als die alte Lateinschule auf dem Grundstück des Klägers, sondern niedriger (vgl. Lichtbilder auf Blatt 129 ff. der Gerichtsakte). Allein der Umstand, dass mit der hier streitgegenständlichen Genehmigung das Pultdach, das an die … angrenzt, erhöht werden darf, mit der Folge, dass ein Fenster der … teilweise verschattet wird (vgl. Lichtbilder Blatt 129 ff. der Gerichtsakte), ist für sich genommen in bauplanungsrechtlicher Hinsicht (vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit einzelner öffentlicher Belange im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 2/2023, § 34 Rn. 70; vgl. dagegen zu Fragen des Denkmalschutzes unten unter 3.5.) nicht unzumutbar, sondern in historischen Altstädten der Regelfall. Auch mit Blick auf Belüftung und sozialen Wohnfrieden lässt sich eine Unzumutbarkeit nicht erkennen, wenn man den Standort der beiden benachbarten Grundstücke inmitten einer historischen Altstadt mitberücksichtigt.
52
Eine Verletzung des subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebots liegt daher nicht vor.
53
3.4. Auch die vorliegend erteilten Abweichungen gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Vorgaben des Art. 28 Abs. 6 BayBO sind nicht rechtswidrig.
54
3.4.1. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde eine Abweichung von Anforderungen der Bayerischen Bauordnung und aufgrund der Bayerischen Bauordnung erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belangen mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar ist. Bei der Abweichung von drittschützenden Normen hat der Nachbar einen Anspruch nicht nur darauf, dass seine eigenen Belange sachgerecht ermittelt und abgewogen werden, sondern dass die für und gegen die Abweichung sprechenden öffentlichen und privaten Belangen ebenfalls korrekt ermittelt und gewürdigt werden (vgl. BayVGH, NJWZ-RR 2008, 84). Um eine solche drittschützende Norm handelt es sich bei der Regelung des Art. 28 Abs. 6 BayBO (vgl. hierzu Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 2/2023, Art. 66 Rn. 279), von der für die beiden Fenster in der Nähe zur Westwand der Lateinschule (vgl. Planunterlagen zum streitgegenständlichen Bescheid, Ansicht Nord Planung) jeweils eine Abweichung seitens des Landratsamts erteilt wurde.
55
Zudem gilt es insoweit noch zu beachten, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO und dem dahinterstehenden Regelungszweck die Bauaufsichtsbehörde nur beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO zu prüfen hat. Nur diese gehören somit zum Prüfprogramm und nur insoweit trifft die Baugenehmigung überhaupt eine Aussage bzw. Regelung (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 31.1.2013 – 9 CS 12.1505 – BeckRS 2013, 47321; aus der Literatur vgl. nur Wolf in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 2/2023, Art. 59 Rn. 73 m.w.N.).
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3.4.2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sind die beiden erteilten Abweichungen von den Vorgaben des Art. 28 Abs. 6 BayBO (vgl. Blatt 9 der BA/Bauplanmappe) rechtlich nicht zu beanstanden.
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Das Landratsamt hat die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO mit Blick auf den Regelungszweck des Art. 28 Abs. 6 BayBO, Sicherung des Brandschutzes (vgl. hierzu etwa Paliga/Otto/Schulz in Spannowsky/Manssen, BeckOK BayBO, Art. 28 Rn. 13 ff.), zu Recht als erfüllt angesehen. Diesbezüglich wird zunächst auf die Ausführungen unter T0104 (vgl. Seite 5 des streitgegenständlichen Bescheids) Bezug genommen.
58
Ergänzend ist hierzu darauf hinzuweisen, dass die beiden insoweit betroffenen Fenster als F 90 Brandschutzfenster genehmigt wurden, also der zum hier maßgeblichen Zeitpunkt höchsten Feuerbeständigkeit (vgl. hierzu Kühnel/Gollwitzer in Busse/Kraus, BayBO, Stand 2/2023, Art. 28 Rn. 144). Hinsichtlich des Fensters im Obergeschoss, das bisherige Fenster dort genießt Bestandsschutz (vgl. hierzu die Baugenehmigung vom 7.3.1978, Blatt 35 der elektronischen Akte), wird damit die Situation in Sachen Brandschutz deutlich verbessert, zumal das entsprechende Fenster nach der streitgegenständlichen Baugenehmigung verkleinert und weiter von der Lateinschule weggerückt wird. Auch das Fenster im Dachgeschoss ist als F 90 Brandschutzfenster genehmigt und ist immerhin noch 1,7 m von der Westwand der … entfernt. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich das Vorhaben in einer dichtbebauten Altstadt befindet und die Schaffung und Bewahrung von Wohnraum ebenfalls ein wichtiger öffentlicher Belang ist, hat das Landratsamt die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz zu Recht als erfüllt angesehen.
59
Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass es dem Kläger insoweit im Grunde auch gar nicht um die Gefahr eines Brandüberschlags geht, sondern aufgrund der erteilten streitgegenständlichen Baugenehmigung samt Abweichungen seinerseits für die Lateinschule im Zuge der von ihm insoweit geplanten Nutzungsänderung höhere Brandschutzanforderungen fürchtet (vgl. hierzu nur das Protokoll über den Erörterungstermin am 28.6.2022, Bl. 127 f. der GA). Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch unklar, ob es überhaupt zu einer Nutzungsänderung kommen wird (die entsprechenden Absichten reichen ausweislich der Behördenakten zumindest schon Jahre zurück), wie eine etwaige Nutzungsänderung dort schließlich aussehen wird und welche Anforderungen in Sachen Brandschutz dann im konkreten Fall gelten werden (vgl. hierzu etwa auch die Wertung des Art. 46 Abs. 5 BayBO). Der Beigeladenen zu 1) die hier beantragten Abweichungen zu verwehren, nur damit der Kläger selbst zukünftig geringere brandschutzrechtliche Anforderungen bei einer noch völlig ungewissen Nutzungsänderung erfüllen muss, wäre allerdings unbillig. Denn dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Lateinschule selbst unmittelbar auf der Grundstücksgrenze oder jedenfalls in unmittelbarer Nähe hiervon errichtet wurde (vgl. Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO) und dass das Wohngebäude der Beigeladenen zu 1) im Wesentlichen seit 1978 genehmigt ist (vgl. hierzu nochmals die Ausführungen oben unter 3.1.2., S. 12 f.). Das Landratsamt hat insoweit auch den über den reinen Brandschutz hinausgehenden nachbarlichen Belangen ausreichend Rechnung getragen.
60
Auch die im Rahmen der Abweichungsentscheidungen vorgenommenen Ermessenserwägungen des Landratsamts fallen zwar kurz aus, sind aber zutreffend und unter Berücksichtigung der insoweit eingeschränkten gerichtlichen Überprüfungsbefugnis (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) rechtlich nicht zu beanstanden.
61
Eine Rechtsverletzung des Klägers durch die erteilten Abweichungen ist damit nicht gegeben.
62
3.5. Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen drittschützende denkmalschutzrechtliche Vorgaben vor (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 BayDSchG).
63
3.5.1. Die Feststellungswirkung der Baugenehmigung umfasst auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i. V. m. Art. 6 Abs. 3 BayDSchG. Der Kläger kann sich deshalb grundsätzlich auch auf die Verletzung von denkmalschutzrechtlichen Normen berufen, soweit sie drittschützend sind. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG vermittelt grundsätzlich drittschützende Wirkung, weil auch der Eigentümer eines geschützten Kulturdenkmals durch die Errichtung eines benachbarten Vorhabens in der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verletzt sein kann (vgl. etwa BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 4 C 3/08 – NVwZ 2009, 1231 [1232]; BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 4). Dies ist aber nur dann der Fall, wenn das genehmigte Vorhaben die Denkmalwürdigkeit des Anwesens des Nachbarn erheblich beeinträchtigt (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 24.1.2013 – 2 BV 11.1631 – juris; B.v. 19.4.2017 – 9 CS 17.195 – juris; VG München, B.v. 4.1.2020 – M 29 SN 20.4685 – juris).
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3.5.2. Eine erhebliche Beeinträchtigung der denkmalgeschützten … durch die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung liegt zur Überzeugung des Gerichts allerdings nicht vor. Auch insoweit ist der streitgegenständliche Bescheid rechtlich nicht zu beanstanden, der diesbezüglich feststellt, dass die genehmigten Baumaßnahmen mit den Belangen des Denkmalschutzes verträglich sind (vgl. unter T0600, S. 6 des streitgegenständlichen Bescheids sowie Blatt 3 der BA/Heftung Bl. 1-39 zum Verfahren W 4 K 19.1155).
65
Dass durch die beiden genehmigten Fenster oder das genehmigte Dachliegefenster eine solche erhebliche Beeinträchtigung zulasten der denkmalgeschützten … vorliegen würde, ist weder ersichtlich noch wird dies vom Klägers selbst vorgetragen. Aber auch durch die Anhebung des Pultdachs und der damit einhergehenden Verdeckung einer Fensterhälfte eines Doppelfensters der … (vgl. hierzu Lichtbild oben auf Blatt 130 der GA) liegt nach Einschätzung des Gerichts keine erhebliche Beeinträchtigung der Denkmaleigenschaft der … vor.
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Eine andere rechtliche Bewertung lässt sich auch nicht den Aussagen des Landesamts … … hierzu entnehmen. Denn die Stellungnahmen des Landesamts in dieser Angelegenheit sind zumindest widersprüchlich. So führte der Vertreter des Landesamts einerseits aus, dass die aktuelle Situation mit der teilweisen Verdeckung eines Fensters des Denkmals „nicht befriedigend“ sei (E-Mail des Oberkonservators v. 11.3.2016, Blatt 197 der GA), die Ansicht des Denkmals durch die Dacherhöhung aber nicht weitergehend beeinträchtigt werde, da der Bereich vom öffentlichen Raum ohnehin faktisch nicht einsehbar sei (E-Mail des Oberkonservators v. 24.6.2022, Blatt 198 der GA). Für das verdeckte Fenster der Lateinschule sei zudem eine denkmalverträgliche Kompensation in Form einer Festverglasung oder eines Brandschutzfensters möglich (E-Mail des Oberkonservators v. 24.6.2022, Blatt 198 der GA). Andererseits hatte sich das Bay. Landesamt … … in einer allerdings sehr kurzen Stellungnahme auch einmal dahingehend geäußert, dass für eine sinnvolle Nutzung und Belichtung des betroffenen Raumes der Lateinschule ein teilweiser Rückbau des Pultdachs geboten sei (vgl. Stellungnahme vom 30.5.2017, Blatt 196 R der GA).
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Nach Auffassung des Gerichts gilt es insoweit zunächst zu berücksichtigen, dass nur ein Teil eines Doppelfensters der … durch die Erhöhung des Pultdachs auf dem Gebäude der Beigeladenen zu 1) verdeckt wird (vgl. unteres Bild auf Blatt 129 der GA sowie oberes Bild auf Blatt 130 der GA). Weiterhin gilt es zu bedenken, dass gerade in historischen Altstädten, wie vorliegend in P …, eine dichte, grenzständige Bebauung üblich ist und gerade auch ein Wesensmerkmal historischer Altstädte darstellt. Dass der betroffene Raum (Raum 1.03, vgl. hierzu oberes Bild auf Blatt 130 der GA sowie die Planskizze auf Blatt 134 der GA) in der … nicht mehr oder nicht mehr sinnvoll genutzt werden könnte, ist aufgrund des Umstandes, dass nur die Hälfte des südlichen Doppelfensters verdeckt wird und noch ein weiteres Doppelfenster (vgl. erneut oberes Bild auf Blatt 130 der GA) dort vorhanden ist, nicht anzunehmen.
68
Zudem gilt es zu beachten, dass der … vor allem eine historische und volkskundliche Bedeutung zukommt (vgl. E-Mail der Oberkonservators H … vom 11.3.2016, Blatt 197 der GA). Diese denkmalschutzrechtlichen Schutzgründe werden durch die Pultdacherhöhung und die damit einhergehende teilweise Verdeckung eines Fensters der … nicht erheblich tangiert. Zwar kommt der … darüber hinaus auch eine gewisse kunsthistorische Bedeutung zu (vgl. E-Mail der Oberkonservators H … vom 11.3.2016, Blatt 197 der GA), dies betrifft aber insbesondere die Fachwerkbauweise und die Fassadengestaltung (vgl. Stellungnahme der Restauratorin und Kunsthistorikern W …, Blatt 133 der GA). Allerdings stützt sich diese Bedeutung vor allem auf die Ostfassade der …, zumal die nördliche und die – hier durch die Pultdacherhöhung betroffene – westliche Außenwand nicht in Fachwerkbauweise errichtet sind (siehe hierzu unter Ziffern 2. und 3. der Stellungnahme der Restauratorin und Kunsthistorikern W …, S. Blatt 133 der GA). Auch der Schutzgrund der kunsthistorischen Bedeutung wird daher mit Blick auf die durch die streitgegenständliche Baugenehmigung primär betroffene Westwand der … allenfalls marginal beeinträchtigt.
69
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesamtumstände kann das Gericht daher eine erhebliche Beeinträchtigung des Einzeldenkmals … durch die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht erkennen. Eine erhebliche Beeinträchtigung des denkmalgeschützten Ensembles „Altstadt P …“ ist schließlich weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Eine Verletzung drittschützender Normen des Denkmalschutzrechts liegt damit ebenfalls nicht vor.
71
3.6. Eine Verletzung sonstiger nachbarschützender Vorschriften ist schließlich ebenfalls nicht erkennbar. Nur ergänzend wird dabei darauf hingewiesen, dass entgegen des klägerischen Vorbringens eine Anhörung der Rechtsvorgängerin des Klägers vor Erlass der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung nach der insoweit eindeutigen Regelung in Art. 66 Abs. 2 Satz 2 BayBO, die lex specialis gegenüber Art. 28 BayVwVfG ist, nicht erforderlich war (vgl. hierzu etwa auch Edenharter in Spannowsky/Manssen, BeckOK BayBO, Stadn 1.12.2022, Art. 66 Rn. 31). Schon deswegen scheidet auch diesbezüglich eine Rechtsverletzung des Klägers aus.
72
Die Klage war demnach abzuweisen.
73
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.