Titel:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteter Wohnform, Hilfe für junge Volljährige
Normenketten:
VwGO § 123
SGB VIII § 13 Abs. 3
SGB VIII § 41
SGB VIII § 34
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteter Wohnform, Hilfe für junge Volljährige
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55638
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm Jugendhilfe gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII über den 31. Dezember 2022 hinaus zu gewähren.
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Der am … … 1999 geborene Antragsteller hat die togolesische Staatsangehörigkeit. Er reiste am 9. Mai 2017 als unbegleiteter Minderjähriger in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde durch die Antragsgegnerin zunächst in Obhut genommen.
3
Dem Antragsteller wurde von der Antragsgegnerin seit dem 16. Mai 2017 Jugendhilfe gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII gewährt. Er wohnte in unterschiedlichen Jugendhilfeeinrichtungen in … Seit dem November 2019 wurde er in den Flexiblen Betreuten Wohnformen D. in … betreut.
4
Im Hilfeplan (Überprüfung) der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2021 wurde ausgeführt, dass der Antragsteller in allen Bereichen des täglichen Lebens einen hohen Unterstützungsbedarf habe. Er benötige unbedingt weiterhin pädagogische Unterstützung und Begleitung in der Vorbereitung seiner Prüfungen und auf dem Weg zur Selbständigkeit. Daher sei die Entscheidung getroffen worden, dass die Hilfe gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII aus fachlicher Sicht notwendig und geeignet sei und weiter gewährt werde. Die Jugendhilfe sei bis zum 30. April 2022 zu verlängern.
5
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2021 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für die Zeit vom 7. November 2021 bis längstens 30. April 2022 Hilfe in Form von sozialpädagogisch begleitetem Wohnen. Dies wurde damit begründet, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB VIII erfüllt seien.
6
Mit Schreiben vom 25. Januar 2022 teilte die Diakonie der Antragsgegnerin mit, dass sich der Antragsteller nach erfolgreichem Abschluss seiner Ausbildung zum Verkäufer entschlossen habe, eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann zu beginnen. Es werde um Erlass eines entsprechenden Jugendhilfebescheids gebeten. Es wurde ein Ausbildungszeugnis von N. vom 14. Januar 2022 vorgelegt, laut dem der Antragsteller an diesem Tag seine Ausbildung zum Verkäufer im Einzelhandel erfolgreich beendet habe. Zudem wurde ein Berufsausbildungsvertrag vorgelegt, laut dem der Antragsteller vom 19. Januar 2022 bis zum 18. Januar 2023 zum Einzelhandelskaufmann im Lebensmittelbereich bei E. ausgebildet werde.
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In einer pädagogischen Stellungnahme der Diakonie vom 25. März 2022 über den Berichtszeitraum vom 6. Oktober 2021 bis zum 24. März 2022 wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller noch Entwicklungsdefizite aufweise sowie einen erhöhten Betreuungs- und Unterstützungsaufwand in näher bezeichneten Bereichen habe. Sein Psychiater habe bei ihm eine Depression sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Er stehe weiterhin unter medikamentöser Behandlung und Begleitung eines Psychiaters. Nach einer Phase mit regelmäßigem Alkoholkonsum sowie Rat- und Lustlosigkeit im Alltag sei der Antragsteller inzwischen weitgehend psychisch stabil. Er reagiere aber weiterhin auffällig emotional, wenn er seiner Ansicht nach schlechte Nachrichten erhalte, und habe eine geringe Frustrationstoleranz. Der Antragsteller schaffe es meist ohne Erinnerung, seine Termine pflichtbewusst und regelmäßig wahrzunehmen. Mit seinen finanziellen Mitteln komme er bedingt zurecht. Vor dem Ende der Ausbildung im Frühjahr 2023 solle mit ihm intensiv nach Wohnmöglichkeiten gesucht werden. Aufgrund der aufenthaltsrechtlichen Situation sei es ihm jedoch nicht gestattet eigenen Wohnraum zu beziehen. Der Antragsteller fühle sich im dritten Ausbildungsjahr zum Einzelhandelskaufmann wohl im neuen Betrieb. Allerdings würden ihm die Ausbildungsinhalte zu schaffen machen. Im Ergebnis werde eine Weiterführung der Jugendhilfe gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII im Rahmen der Unterbringung in den Flexiblen Betreuten Wohnformen D. mit sechs Fachleistungsstunden pro Woche bis mindestens Ende Juni 2023 empfohlen.
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Im Hilfeplan (Überprüfung) der Antragsgegnerin vom 31. März 2022 wurde insbesondere festgehalten, dass der Antragsteller pädagogische Begleitung auf dem Weg der Ausbildung, Arbeits- und Wohnungsfindung sowie in der ersten Phase des Berufslebens benötige. Die Weiterführung der Hilfe gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII sei noch unbedingt notwendig. Denn der Antragsteller benötige feste Bezugspersonen und ein ruhiges Umfeld, um weitere Ziele zu erreichen und um seine Ausbildung gut absolvieren zu können. Auch im Asylverfahren benötige er unbedingt Unterstützung. Daher sei die Entscheidung getroffen worden, dass die Hilfe gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII aus fachlicher Sicht weiterhin notwendig und geeignet sei und bis zum Ausbildungsende am 28. Februar 2023 weiter befürwortet werde.
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Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. April 2022 wurde dem Antragsteller für die Zeit vom 1. Mai 2022 (frühestens jedoch ab Eintrittstag) bis längstens 28. Februar 2023 Hilfe in Form von sozialpädagogisch begleitetem Wohnen bewilligt. Dies wurde damit begründet, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB VIII erfüllt seien.
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Mit Schreiben vom 6. Juli 2022 legte die Diakonie der Antragsgegnerin einen Aufhebungsvertrag zwischen dem Antragsteller und E. vom 30. Juni 2022 über die einvernehmliche Beendigung des Ausbildungsverhältnisses vor und teilte mit, dass der Antragsteller seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann zum 30. Juni 2022 beendet habe. Er habe direkt im Anschluss begonnen, als Verkäufer bei S. zu arbeiten. Seine Situation sei nach wie vor schwierig. Er versuche durch die Arbeit einen Aufenthaltstitel zu erhalten und werde bei der Beschaffung eines togolesischen Nationalpasses unterstützt. Zudem sei sein Antrag auf private Wohnsitznahme versagt worden. Auch hier brauche er Unterstützung, um eine Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft nach einem möglichen Jugendhilfeende zu verhindern. Der Antragsteller sei, vor allem wegen seiner unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation, in den letzten Monaten emotional extrem instabil gewesen und habe ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und pädagogischer Begleitung benötigt. Es werde daher um ein Gespräch über die Perspektiven des Antragstellers innerhalb und außerhalb der Jugendhilfe gebeten.
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In einer pädagogischen Stellungnahme des Sozialreferats der Antragsgegnerin vom 27. Juli 2022 wurde insbesondere ausgeführt, dass es wichtig sei, dass der Antragsteller bis zum Ende seiner Probezeit in der Jugendhilfe bleiben könne, da er emotional belastet sei und Unterstützung benötige, um den Übergang ins eigenständige Leben zu schaffen. Ein guter Übergang sei notwendig, um die bisher erreichten Ziele nicht zu gefährden. Es sei wichtig, dass er stabil sei und weiterarbeiten könne. Die Gewährung der Hilfemaßnahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII während der Probezeit sei somit sinnvoll und geeignet. Eine Beendigung der Jugendhilfe zum aktuellen Zeitpunkt würde Bedürfnisverletzungen verursachen, die zu einer massiven Steigerung des Stresserlebens und zu einer psychischen Destabilisierung des Antragstellers führen könnten. Er könne seine Emotionen nicht altersgerecht regulieren, verfalle bei zu vielen Aufgaben, schlechten Nachrichten oder irrationaler Wahrnehmung von Situationen in langes Grübeln, zeige depressive Tendenzen, Kraftlosigkeit, Verzweiflung und ziehe sich zurück. Während der letzten herausfordernden Phase seiner Passbeschaffung habe er begonnen viel Alkohol zu trinken. Er habe den Alkoholkonsum dann aber nach vielen Stunden Beratung durch die Betreuer eingestellt. Die Betreuung durch die pädagogischen Fachkräfte biete ihm in der gegenwärtigen Umbruchphase vor allem psychische Stabilität und Orientierung und ermögliche somit einen guten Übergang von der Ausbildung ins Berufsleben. In Anbetracht der potentiellen Gefährdung aufgrund der fehlenden Wohnperspektive werde die Weitergewährung der Jugendhilfe bis zum 31. Dezember 2022 pädagogisch befürwortet. Denn die sofortige Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft wäre für den Antragsteller eine enorme emotionale Stresssituation und gefährde die bislang erreichten Ziele. Ein Umzug in eine Gemeinschaftsunterkunft nach der Probezeit sei für ihn weniger belastend.
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In einem Aktenvermerk des Sozialreferats der Antragsgegnerin vom 3. August 2022 wurde insbesondere festgehalten, dass im Einzelfall des Antragstellers die Maßnahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII spätestens zum 31. Dezember 2022 aufzuheben sei, da er psychisch instabil sei und das Bestehen der Probezeit sowie damit die berufliche Integration durch die Maßnahme besser gesichert werden könne. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein vorzeitiger Umzug in eine Gemeinschaftsunterkunft während der Probezeit die berufliche Integration des Antragstellers gefährden werde. Im Entwurf der neuen Dienstanweisung zu § 13 Abs. 3 SGB VIII werde bereits von einer maximalen Verlängerung der Jugendhilfemaßnahme von sechs Monaten ausgegangen. Diese Frist werde in diesem Einzelfall zugrunde gelegt. Der Maßnahmenträger solle damit beauftragt werden, mit dem Antragsteller zu erarbeiten, welche Bewältigungsstrategien er entwickle, um seinen Arbeitsplatz auch nach einem Umzug in eine Gemeinschaftsunterkunft zu behalten.
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Mit Bescheid vom 9. August 2022 hob die Antragsgegnerin den Bescheid vom 22. April 2022 ab dem 1. Januar 2023 auf. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die berufliche Integration unter anderem an das Bestehen der Probezeit geknüpft sei. Eine vorzeitige Beendigung würde zu einer Gefährdung der beruflichen Integration führen.
14
In einer pädagogischen Stellungnahme der Diakonie vom 13. Dezember 2022 betreffend den Berichtszeitraum vom 24. März 2022 bis 13. Dezember 2022 wurde eine Weiterführung der Jugendhilfe gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII im Rahmen einer Unterbringung in den Flexiblen Betreuten Wohnformen D. mit sechs Fachleistungsstunden pro Woche bis längstens Ende März 2023 empfohlen. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass die aktuelle aufenthalts- und wohnrechtliche Situation in den letzten Wochen zu einer emotionalen Krise des Antragstellers geführt habe. Es sei ein unvorhersehbarer emotional-persönlicher und organisatorischer Betreuungsbedarf entstanden. Der Antragsteller befinde sich noch – mit schlechter Aussicht auf Erfolg – im Asylverfahren. Er habe aktuell eine Gestattung mit Arbeitserlaubnis. Um einen erfolgreichen Übergang in die Selbständigkeit zu gewährleisten, habe er am 8. Mai 2021 einen Antrag auf private Wohnsitznahme bei der Regierung von Oberbayern und ebenso einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel gemäß § 19d AufenthG bei der zuständigen Ausländerbehörde gestellt. Daraufhin hätten sich näher dargestellte Verzögerungen und Probleme bei der Antragsbearbeitung ergeben. Letztlich habe die zuständige Verteilstelle entschieden, dass der Antragsteller in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen müsse, damit sein Antrag auf private Wohnsitznahme bearbeitet werden könne. Durch die Ausländerbehörde sei Anfang Dezember 2022 die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung auf Aufenthaltstitel angedeutet worden. Das Verfahren werde jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Trotz der guten Perspektive auf ein Bleibe- und Wohnrecht sei daher davon auszugehen, dass der Antragsteller erst im ersten Quartal des Jahres 2023 mit einem abgeschlossenen Prozess rechnen könne. Er habe aktuell eine Wohnmöglichkeit und könne die Jugendhilfe direkt nach deren Erteilung verlassen und somit die bislang vereinbarten Ziele erreichen. Sollte die Jugendhilfe jedoch nicht bis zum geregelten Übergang fortgeführt werden, müsse der Antragsteller in eine Gemeinschaftsunterkunft ziehen.
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Eine Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft gelte es aufgrund der instabilen psychisch-emotionalen Situation des Antragstellers jedoch dringend zu verhindern. Denn er befinde sich aufgrund seiner Fluchterfahrungen in psychiatrischer und therapeutischer Behandlung und habe zeitweise auch entsprechende Medikamente genommen. Die Vorstellung, in eine Gemeinschaftsunterkunft ziehen zu müssen, löse große Ängste und Druck aus. Diese psychisch-emotionale Situation berge die erhebliche Gefahr, dass der Antragsteller seinen Arbeitsplatz verliere. Ohne die Hilfe einer pädagogischen Fachkraft bestehe zudem die Gefahr, dass sich seine Perspektive erheblich verschlechtere. Es bestehe weiterhin der Bedarf, den Antragsteller sowohl organisatorisch, als auch emotional zu begleiten und zu unterstützen.
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Mit Datum vom 13. Dezember 2022 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung einer Leistung der Jugendhilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII. Dem Antrag war ein undatiertes handschriftliches Schreiben des Antragstellers beigefügt, in dem er insbesondere ausführte, dass er wegen seines Prozesses bei der Ausländerbehörde noch Zeit brauche. Es sei schwierig eine Privatwohnsitznahme zu bekommen, weil er noch nie in einer Gemeinschaftsunterkunft gewesen sei. Sie hätten einen „Antrag auf § 19d“ gemacht und es dauere noch ein bisschen, bis sie die Antwort bekommen würden. Daher wolle er noch bis Februar oder März „beim Jugendamt“ wohnen. Wenn „19“ da sei, könne er eine Wohnung suchen.
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Die Diakonie übersandte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 und vom 19. Dezember 2022 den o.g. Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der Jugendhilfe vom 13. Dezember 2022 mit dem o.g. handschriftlichen Schreiben des Antragstellers sowie die o.g. pädagogische Stellungnahme der Diakonie vom 13. Dezember 2022. Ergänzend wurde ausgeführt, dass der Arbeitsplatz aufgrund der aktuellen Asyl- und Wohnsituation gefährdet sei. Um die berufliche und persönliche Integration des Antragstellers zu gewährleisten und die Jugendhilfe erfolgreich abzuschließen, werde um Verlängerung der Hilfe bis längstens 31. März 2023 gebeten.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21. Dezember 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der Jugendhilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII über den 31. Dezember 2022 hinaus ab. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die Antragsgegnerin unter Abwägung aller in Betracht kommender Gesichtspunkte neben dem rechtlichen Anspruch auf Jugendhilfe das Ermessen für eine evtl. Weitergewährung ausgeübt habe und festgestellt habe, dass keine ausreichenden Gründe und damit kein Anspruch für eine Weitergewährung der Jugendhilfe über den 31. Dezember 2022 gegeben seien. Der Antragsteller habe eine Ausbildung zum Verkäufer abgeschlossen und gehe seit dem 1. Juli 2022 einer Festanstellung nach. Nach Ermessen sei von der Antragsgegnerin in diesem Einzelfall die Hilfe für die Dauer der Probezeit von sechs Monaten bis zum 31. Dezember 2022 weiter genehmigt worden. Der Antragsteller habe die Probezeit bisher bestanden und werde voraussichtlich ab dem 1. Januar 2023 in einem Anstellungsverhältnis stehen. Er sei mittlerweile auch im Stande Termine bei verschiedenen Institutionen selbständig wahrzunehmen und eine ärztliche Behandlung beim Psychiater wahrzunehmen. Bezüglich der ausländerrechtlichen Situation sowie dem damit verbundenen Wohnraum werde der Antragsteller juristisch durch eine Anwältin vertreten. Er habe somit die Ziele einer Maßnahme nach § 13 SGB VIII erreicht und mangels Hilfebedarf keinen Anspruch auf eine entsprechende Maßnahme über den 31. Dezember 2022 hinaus. Die Entscheidung über die Ablehnung der vom Antragsteller beantragten Jugendhilfe sei nach Beratung in einem interdisziplinären Fachteam im Rahmen eines Hilfeplanverfahrens getroffen worden. Die Voraussetzungen des § 13 SGB VIII und der §§ 39, 40 SGB VIII seien nicht erfüllt.
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In einer „Bestätigung zur Vorlage bei der Regierung von Oberbayern“ vom selben Tag stellte die Antragsgegnerin fest, dass bezüglich des Antragstellers die Jugendhilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII am 31. Dezember 2022 eingestellt werde. Die Voraussetzungen für diese Hilfe seien nicht mehr gegeben. Es werde um Prüfung des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II, SGB XII bzw. dem AsylbLG gebeten.
20
Mit E-Mail vom selben Tag übersandte die Antragsgegnerin der Antragstellerseite den streitgegenständlichen Bescheid vom 21. Dezember 2022 sowie „das Schreiben zum Hilfeende“. Zudem wurde ausgeführt, dass für den Antragsteller am selben Tag eine Zuweisung für eine dezentrale Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft in … beantragt worden sei, damit er weiterhin seiner Arbeitstätigkeit und seiner selbständigen Lebensführung nachgehen könne.
21
Der Antragsteller erhob am 27. Dezember 2022 zur Niederschrift bei der Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts München Klage und beantragte, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Dezember 2022 aufzuheben, sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm Leistungen der Jugendhilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII über den 31. Dezember 2022 hinaus zu verlängern.
22
Gleichzeitig beantragte er,
23
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, ihm Jugendhilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII über den 31. Dezember 2022 hinaus zu verlängern.
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Zur Begründung nahm er insbesondere auf den streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Dezember 2022 sowie die pädagogische Stellungnahme der Diakonie vom 13. Dezember 2022 Bezug.
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Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor und beantragte mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2022,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass kein Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 VwGO vorliege. Der Antragsteller sei bereits 23 Jahre alt und habe keinen Rechtsanspruch auf die Leistung nach § 13 Abs. 3 SGB VIII. Die Antragsgegnerin habe über die Hilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII ermessensfehlerfrei entschieden.
28
Mit Zuweisungsbescheid vom 28. Dezember 2022 wies die Regierung von Oberbayern dem Antragsteller einen künftigen Wohnsitz ab dem 2. Januar 2023 in einer Gemeinschaftsunterkunft in … zu.
29
Mit E-Mail vom 29. Dezember 2022 teilte die Diakonie der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller aus Kulanzgründen bis zum 2. Januar 2023 in der Jugendhilfeeinrichtung bleiben könne.
30
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten im vorliegendem Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren (M 18 K 22.6450) sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
31
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in der Sache keinen Erfolg.
32
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei – wie hier – auf gewisse Dauer angelegten Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 12 CE 11.2215 – juris Rn. 6).
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Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest in zeitlicher Hinsicht – vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4). Insbesondere bei zeitlich gebundenen Begehren bleibt nur die Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. zu allem: Happ in Eyermann, VwGO, Kommentar, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 66a bis 66c m.w.N.).
34
Der Antragsteller konnte keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen.
35
Denn er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (s.o.) keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf die Weitergewährung von stationären Jugendhilfeleistungen über den 31. Dezember 2022 hinaus.
36
Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist i.S.v. § 88 VwGO sachdienlich dahingehend auszulegen, dass er beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Jugendhilfe in Gestalt der Unterbringung in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung über den 31. Dezember 2022 hinaus zu gewähren. Denn dem undatierten handschriftlichen Schreiben des Antragstellers, das seinem Antrag vom 13. Dezember 2022 beigefügt war, und dem sonstigen Inhalt der vorgelegten Behördenakten lässt sich entnehmen, dass es dem Antragsteller vor allem darauf ankommt, dass er bis zur Ermöglichung einer privaten Wohnsitznahme weiterhin in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung verbleiben darf, um nicht in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen zu müssen. Hieraus ergibt sich, dass er hinsichtlich des Zeitraums nach dem 31. Dezember 2022 eine Gewährung lediglich ambulanter Jugendhilfeleistungen durch die Antragsgegnerin als nicht zielführend erachtet.
37
Zudem ist, obwohl der Antragsteller sowohl in seinem Antrag auf Gewährung einer Jugendhilfeleistung vom 13. Dezember 2022 im behördlichen Verfahren, als auch in seinen Anträgen bei Gericht, jeweils nur Jugendhilfeleistungen gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII ausdrücklich erwähnt hat (s.o.), bei wohlwollender Auslegung davon auszugehen, dass sich sein Rechtsschutzbegehren nicht auf eine Jugendhilfemaßnahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII beschränkt, sondern auch eine stationäre Jugendhilfemaßnahme gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII umfasst. Insoweit ist auch unschädlich, dass sich die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid vom 21. Dezember 2022 ebenfalls lediglich mit der Rechtsgrundlage des § 13 Abs. 3 SGB VIII befasst hat (s.o.). Denn die Hilfeart ist nach tatsächlicher Zuordnung zu entscheiden, nicht nach den Ausführungen im Bescheid (vgl. BayLSG, U.v. 22.4.21 – L 18 SO 18/19 – juris Rn. 46). Zudem hat der Antragsteller angesichts der obigen Ausführungen einen Anspruch nach § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII zwar nicht explizit geltend gemacht, allerdings deutet nach Aktenlage nichts darauf hin, dass er sich bewusst gegen die Beantragung einer Jugendhilfeleistung gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII entschieden hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller als im Jugendhilferecht unbewanderten Laien schlichtweg nicht bewusst war, dass unter bestimmten Voraussetzungen statt einer Jugendhilfemaßnahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII eine solche gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII in Betracht gekommen wäre. Es wäre Aufgabe der Antragsgegnerin gewesen, auch einen möglichen Anspruch gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII zu prüfen, insbesondere da zwischen den Leistungen nach § 41 SGB VIII und § 13 SGB VIII keine völlige Trennschärfe gegeben ist. Denn nach § 16 Abs. 3 SGB I besteht die Pflicht, ein „Herantragen“ des Hilfebedarfs so auszulegen, dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Das Jugendamt hat folglich alle aufgrund des Sachverhalts dem Begehren des Antragstellers entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen seiner Zuständigkeit zu erwägen und ggf. auf eine Klärung des Verfahrensgegenstandes durch den Antragsteller hinzuwirken. Insoweit gilt zugunsten des Antragsstellers der sozialrechtliche „Meistbegünstigungsgrundsatz“ (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 26; VG München, B.v. 20.8.2018 – M 18 E 18.2529 – juris Rn. 39; Kepert/Dexheimer in: LPK-SGB VIII, 8. Auflage 2022, SGB VIII, § 13 Rn. 17). Dementsprechend sind auch im vorliegenden Eilverfahren beide Anspruchsgrundlagen zu prüfen.
38
Insoweit hat das Gericht erhebliche Bedenken, ob die Unterbringung des Antragstellers in der Einrichtung „… … … D.“ seit dem November 2019 als Jugendhilfeleistung gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII einzustufen war. Vielmehr deutet nach Aktenlage Einiges darauf hin, dass dem Antragsteller von der Antragsgegnerin zumindest faktisch eine Jugendhilfeleistung gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII gewährt wurde. Dafür spricht insbesondere der in den pädagogischen Stellungnahmen der Diakonie aus den Jahren 2021 und 2022 sowie in den Gesprächsvermerken, Aktenvermerken und sonstigen Unterlagen der Antragsgegnerin zum Hilfeplanverfahren in diesen Jahren festgestellte Umfang des Hilfebedarfs des Antragstellers in verschiedenen Bereichen (s.o.) sowie die dortige Beschreibung der gegenüber dem Antragsteller in der Einrichtung „… … … D.“ tatsächlich erbrachten Unterstützungsleistungen. Die Erbringung von Jugendhilfeleistungen gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII war in dieser Einrichtung laut deren Internetauftritt auch möglich. Denn laut der dortigen Darstellung ist diese Einrichtung zwar hauptsächlich auf Hilfen nach § 13 Abs. 3 SGB VIII spezialisiert, jedoch könnten auch Maßnahmen nach § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII angeboten werden. Die Fachkräfte in der sozialpädagogisch betreuten Wohnform würden mit drei bis acht Wochenstunden pro Platz eingesetzt werden. Der Umstand, dass hinsichtlich des Antragstellers in dieser Einrichtung in den Jahren 2021 und 2022 Betreuungsleistungen von zunächst acht und später sechs Fachleistungsstunden pro Woche erbracht wurden, die sich somit am oberen Rand des diesbezüglichen Leistungsspektrums der Einrichtung hinsichtlich der sozialpädagogisch betreuten Wohnform bewegen, könnte ebenfalls darauf hindeuten, dass dort hinsichtlich des Antragstellers zumindest faktisch Leistungen gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII erbracht worden sein könnten.
39
Letztlich kann aber dahinstehen, ob die stationären Jugendhilfeleistungen, die dem Antragsteller bis zum 31. Dezember 2022 gewährt wurden, als Maßnahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII oder gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII einzuordnen waren und welche dieser Jugendhilfeleistungen bei einer Weitergewährung über den 31. Dezember 2022 hinaus sachgerecht wären.
40
Denn der Antragsteller konnte weder hinsichtlich einer Jugendhilfemaßnahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII noch hinsichtlich einer solchen gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der begehrten Weitergewährung einer stationären Jugendhilfeleistung über den 31. Dezember 2022 hinaus glaubhaft machen.
41
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann jungen Menschen während der Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen oder bei der beruflichen Eingliederung Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen angeboten werden.
42
Bei der Unterbringung nach dieser Vorschrift handelt es sich ihrem Wesen nach um eine sog. Kann-Leistung des Jugendhilfeträgers, über deren Gewähr nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird. Demgemäß beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Leistungsbewilligung nach § 114 Satz 1 VwGO auf das Vorliegen von Ermessensfehlern. Ebenso wie bei sonstigen Entscheidungen eines Jugendhilfeträgers über Notwendigkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist daher vom Gericht nur überprüfbar, ob deren Bewilligung bzw. Ablehnung unter Beachtung allgemeingültiger fachlicher Maßstäbe, ohne sachfremde Erwägungen und unter Beteiligung des Leistungsadressaten nachvollziehbar erfolgt ist (BayVGH, B.v. 24.11.2016 – 12 C 16.1571 – juris Rn. 5).
43
Die Leistung nach § 13 Abs. 3 SGB VIII stellt zu derjenigen nach § 41 SGB VIII eine niederschwelligere Hilfeform der Unterbringung dar. Sie darf sich aber nicht auf die Zurverfügungstellung einer Wohnung beschränken, sondern hat nach dem Gesetzeswortlaut zumindest eine „sozialpädagogische Begleitung“ zu umfassen (vgl. Kepert/Dexheimer in: LPK-SGB VIII, 8. Auflage 2022, SGB VIII, § 13 Rn. 17, 18; Schruth in: Schlegel/Voelzke, jurisPKSGB VIII, 3. Auflage 2022, § 13 Rn. 71, 81), wobei umstritten ist, ob der jugendhilferechtliche Bedarf als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 13 Abs. 3 SGB VIII „hineinzulesen“ ist und bei Fehlen eines entsprechenden Bedarfs schon deshalb kein Anspruch auf Hilfe besteht, oder ob der jugendhilferechtliche Bedarf erst im Rahmen des Ermessens auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen ist (zum Ganzen: Kepert/Dexheimer in: LPK-SGB VIII, 8. Auflage 2022, SGB VIII, § 13 Rn. 18; Schruth in: Schlegel/Voelzke, jurisPKSGB VIII, 3. Auflage 2022, § 13 Rn. 71 ff., 81; Weitzmann in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Auflage 2022, § 13 Rn. 25 ff., 29).
44
Die sozialpädagogische Begleitung kann im Rahmen des § 13 Abs. 3 SGB VIII bereits darin bestehen, dass ein Ansprechpartner für Alltagsprobleme und lebenspraktische Fragen sowie ggf. für allgemeine Fragen der Schule, der Ausbildung und des Berufs zur Verfügung steht oder ein Freizeit- bzw. Bildungsangebot, das die kognitive und soziale Kompetenz fördert oder einfach nur Sozialkontakte ermöglicht. Insoweit muss allerdings aufgrund einer noch nicht vollendeten Verselbständigung des jungen Menschen ein Erfordernis für eine stationäre Leistungserbringung bestehen (vgl. Kepert/Dexheimer in: LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, SGB VIII, § 13 Rn. 18).
45
Hinsichtlich des 23-jährigen Antragstellers, bei dem es sich somit um einen jungen Menschen gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII handelt, kann dahinstehen, ob er sich im Jahr 2023 noch in einer Phase der „beruflichen Eingliederung“ i.S.d. § 13 Abs. 3 SGB VIII befindet, oder ob seine berufliche Eingliederung mit dem Abschluss seiner sechsmonatigen Probezeit für seine Tätigkeit als Verkäufer bei S. (s.o.) ihr Ende gefunden hat.
46
Denn der Antragsteller hat jedenfalls deshalb keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf (Weiter) Gewährung einer Jugendhilfeleistung gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII über den 31. Dezember 2022 hinaus, weil weder seinem Vortrag im behördlichen und gerichtlichen Verfahren, noch dem sonstigen Akteninhalt, belastbare Anhaltspunkte dafür entnommen werden können, dass bei ihm über den 31. Dezember 2022 hinaus ein jugendhilferechtlicher Bedarf vorhanden ist, der zwingend seine stationäre Unterbringung in einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform im obigen Sinne erfordern würde.
47
Der Antragsteller hat seinen Antrag vom 13. Dezember 2022 auf (Weiter) Gewährung der Jugendhilfeleistung nach § 13 Abs. 3 SGB VIII laut dem beigefügten handschriftlichen Schreiben lediglich damit begründet, dass er wegen seines Prozesses bei der Ausländerbehörde noch Zeit brauche. Es sei schwierig eine Privatwohnsitznahme zu bekommen, weil er noch nie in einer Gemeinschaftsunterkunft gewesen sei. Zurzeit hätten sie den „Antrag auf § 19d“ gemacht und es dauere noch ein bisschen, bis sie die Antwort zurückbekommen würden. Daher wolle er noch bis Februar oder März „beim Jugendamt“ wohnen. Wenn „19“ da sei, könne er eine Wohnung suchen. Hiermit hat er gerade keinen fortbestehenden jugendhilferechtlichen Bedarf hinsichtlich einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform im obigen Sinne vorgetragen, sondern stattdessen lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er in der Jugendhilfeeinrichtung bleiben wolle, um die Zeit bis zur Gestattung einer privaten Wohnsitznahme zu überbrücken. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass der Wunsch des Antragstellers nach Fortführung der stationären Jugendhilfemaßnahme über den 31. Dezember 2022 hinaus primär von dem Wunsch nach Vermeidung einer Zuweisung in eine von ihm als nicht vergleichbar angenehm empfundene Gemeinschaftsunterkunft getragen ist. Die Jugendhilfe dient jedoch nicht dazu, den jungen Menschen vor einer seinem ausländerrechtlichen Status entsprechenden Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft nach Auslaufen der Hilfe zu „schützen“.
48
Auch aus der pädagogischen Stellungnahme der Diakonie vom 13. Dezember 2022 betreffend den Berichtszeitraum vom 24. März 2022 bis 13. Dezember 2022 lässt sich kein zwingender Bedarf für die Weitergewährung einer stationären Jugendhilfemaßnahme entnehmen. Denn dort wurde zwar insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller weiterhin Unterstützung in den Bereichen Begleitung, Beratung und Stabilisierung bezüglich der Aufenthaltssituation, Begleitung zu wichtigen Terminen, Hilfe beim Verstehen und Bearbeiten von Briefen und Mails, psychische Stabilisierung und Motivation in depressiven Phasen sowie beim Umgang mit seinen finanziellen Mitteln benötige. Dieser Unterstützungsbedarf kann angesichts dessen, dass der Antragsteller nach Aktenlage hinsichtlich seiner ausländerrechtlichen Situation sowie den damit verbundenen Wohnraumfragen anwaltlich vertreten wird und er sich zudem in therapeutischer und psychiatrischer Behandlung außerhalb der Jugendhilfeeinrichtung befindet, aus Sicht des Gerichts allerdings auch in ambulanter Form gedeckt werden und erfordert somit keine stationäre Unterbringung des Antragstellers über den 31. Dezember 2022 hinaus. Dies gilt umso mehr, als in der o.g. pädagogischen Stellungnahme festgestellt wurde, dass der Antragsteller es inzwischen schaffe, seine Termine, insbesondere bei Ämtern und Ärzten, pflichtbewusst, regelmäßig und selbständig, wahrzunehmen. Nur bei wichtigen Terminen, in denen sicherzustellen sei, dass die Kommunikation einwandfrei verlaufe, wie z.B. bei Terminen mit der Ausländerbehörde, sei teilweise noch eine Begleitung erforderlich.
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An dieser Einschätzung ändert sich auch dadurch nichts, dass in der pädagogischen Stellungnahme darauf hingewiesen wird, dass die aktuelle Aufenthalts- und wohnrechtliche Situation in den letzten Wochen zu einer emotionalen Krise des Antragstellers geführt habe. Es sei ein unvorhersehbarer emotional-persönlicher und organisatorischer Betreuungsbedarf entstanden. Er habe depressive Episoden, da er aus seiner Sicht alles Mögliche getan habe, um einen sicheren Aufenthaltstitel zu erhalten, ihm dieser aber dennoch verweigert werde. Die Vorstellung, in eine Gemeinschaftsunterkunft ziehen zu müssen, löse große Ängste und Druck aus. Er habe zeitweise begonnen, tagsüber Alkohol zu konsumieren und es habe das Abrutschen in eine Krise gedroht. Er habe geäußert, schlecht schlafen zu können, Kopfschmerzen und Schwindelgefühl zu haben, sich nicht konzentrieren zu können und sich hilf- und machtlos zu fühlen. Diese psychisch-emotionale Situation berge die erhebliche Gefahr, dass der Antragsteller seinen Arbeitsplatz verliere. Ohne die Hilfe einer pädagogischen Fachkraft bestehe zudem die Gefahr, dass sich seine Perspektive erheblich verschlechtere. Es bestehe daher weiterhin der Bedarf, den Antragsteller sowohl organisatorisch, als auch emotional zu begleiten und zu unterstützen. Denn auch wenn er sich bemühe und im Betreuungsverlauf Fortschritte mache, weise er noch Entwicklungsdefizite auf und benötige Hilfe beim letzten Schritt in die Selbständigkeit. Diese Ausführungen reichen jedoch nicht aus, um hinsichtlich des außerhalb der Jugendhilfeeinrichtung therapeutisch und psychiatrisch angebundenen Antragstellers einen zwingenden Bedarf hinsichtlich einer stationären Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung über den 31. Dezember 2022 glaubhaft zu machen.
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Dies gilt umso mehr, als in der pädagogischen Stellungnahme ausgeführt wird, dass davon auszugehen sei, dass der Antragsteller im ersten Quartal des Jahres 2023 mit einem abgeschlossenen Prozess hinsichtlich seines Aufenthaltstitels und seines Antrags auf private Wohnsitznahme rechnen könne. Er habe aktuell eine Wohnmöglichkeit und könne die Jugendhilfe direkt nach der Erteilung verlassen und somit die bislang vereinbarten Ziele erreichen. Sollte die Jugendhilfe hingegen nicht bis zum geregelten Übergang fortgeführt werden, müsse der Antragssteller in eine Gemeinschaftsunterkunft ziehen, was die o.g. Gefahren berge. Diese Ausführungen erwecken den Eindruck, dass ein fortbestehender jugendrechtlicher Hilfebedarf beim Antragsteller über den 31. Dezember 2022 hinaus lediglich im Falle einer (drohenden) Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft gesehen werde. Es wurde jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt, warum ein Umzug des bereits 23 Jahre alten Antragstellers in eine Gemeinschaftsunterkunft und diesbezüglich bei ihm evtl. auftretende Ängste und sonstige psychische Probleme nicht durch therapeutische Begleitung durch seinen Psychiater, rechtliche Beratung durch seine Anwältin und ggf. ambulante Jugendhilfemaßnahmen angemessen bewältigt werden können.
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Auch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich kein zwingender Bedarf für die Weitergewährung einer stationären Jugendhilfemaßnahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB VIII über den 31. Dezember 2022 hinaus entnehmen, insbesondere hat der Antragsteller seine Ausbildung zum Verkäufer erfolgreich abgeschlossen und ist seit Juli 2022 in seinem erlernten Beruf in Vollzeitbeschäftigung tätig. Nach Aktenlage deutet zudem nichts darauf hin, dass er die bis zum 31. Dezember 2022 laufende sechsmonatige Probezeit wider Erwarten nicht bestanden haben könnte. Außerdem wurde er ab dem 2. Januar 2023 einer Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen, die sich laut dem vom Antragsteller nicht in Frage gestellten Vortrag der Antragsgegnerin in der Nähe seines Arbeitsplatzes befindet und ihm somit eine lückenlose Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit ermöglicht.
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Zudem ergibt sich weder aus dem Vortrag des Antragstellers noch aus den Stellungnahmen der Diakonie hinreichend klar, inwiefern eine vorübergehende Wohnsitznahme in einer arbeitsplatznahen Gemeinschaftsunterkunft für den bereits 23-jährigen Antragsteller unzumutbar sein sollte. Bereits die (Weiter) Bewilligung der stationären Jugendhilfemaßnahme bis zum Ablauf seiner Probezeit am 31. Dezember 2022 mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. August 2022 diente primär dazu, dem Antragsteller einen erfolgreichen Übergang in die berufliche Selbständigkeit und Integration zu ermöglichen.
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Hinsichtlich der vom Antragsteller bei sachdienlicher Auslegung seines Antrags im einstweiligen Rechtsschutz ebenfalls begehrten (Weiter) Gewährung von stationären Jugendhilfeleistungen gemäß § 41 (i.d.F. vom 3. Juni 2021) i.V.m. § 34 SGB VIII scheitert das Bestehen eines Anordnungsanspruchs zumindest im vorliegenden Zeitpunkt bereits daran, dass der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass einem etwaig fortbestehenden jugendhilferechtlichen Bedarf über den 31. Dezember 2022 hinaus vorliegend allein durch seine stationäre Unterbringung i.S.v. § 34 SGB VIII Rechnung getragen werden kann.
54
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erhalten junge Volljährige geeignete und notwendige Hilfe, wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. Für die Ausgestaltung der Hilfe gilt insbesondere § 34 SGB VIII entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten, des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt (§ 41 Abs. 2 SGB VIII).
55
Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 41 SGB VIII (i.d.F. vom 3. Juni 2021) nunmehr ausdrücklich formuliert, unter welchen Voraussetzungen Hilfe für junge Volljährige zu gewähren ist. Die Gewährleistung von Hilfe für junge Erwachsene wird damit verbindlicher, weil die Tatbestandsvoraussetzungen nunmehr explizit formuliert sind und die Rechtsfolge zwingend („muss“) daran anknüpft. Der öffentliche Träger hat festzustellen, ob im Rahmen der Möglichkeiten des jungen Volljährigen die Gewährleistung einer Verselbständigung nicht oder nicht mehr vorliegt. Ist dies der Fall, so muss dem jungen Volljährigen in jedem Fall eine geeignete und notwendige Hilfe (weiterhin) gewährt werden (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/26107, S. 94).
56
Grundsätzlich unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und der Fachkräfte des Jugendamtes, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 12 C 16.2159 – juris Rn. 11 m.w.N.).
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Will ein Betroffener – wie hier der Antragsteller – die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Durchführung einer bestimmten Hilfemaßnahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirken, muss er im Hinblick auf den im Rahmen der sozialpädagogischen Fachlichkeit bestehenden Beurteilungsspielraum des Jugendamts darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 12 C 16.1693 – juris Rn. 8; B.v. 17.8.2015 – 12 AE 15.1691 – juris Rn. 31; B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 30).
58
Vorliegend kann dahinstehen, ob beim Antragsteller über den 31. Dezember 2022 hinaus ein grundsätzlicher Bedarf nach Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenständigen Lebensführung i.S.d. § 41 Abs. 1 SGB VIII gegeben ist. Denn selbst wenn man einen fortbestehenden jugendhilferechtlichen Bedarf in diesem Bereich annehmen würde, hätte der Antragsteller unter Zugrundelegung des vom Gericht anzuwendenden Prüfungsmaßstabs der sozialpädagogischen Fachlichkeit jedenfalls nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der in einem solchen Fall bestehende Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin hinsichtlich der Auswahl der konkreten Hilfemaßnahme sich vorliegend allein auf die begehrte stationäre Unterbringung des Antragstellers in der Einrichtung „… … … D.“ bzw. in einer gleich geeigneten betreuten Wohneinrichtung verengt hat. Er hat insbesondere nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass ein etwaig über den 31. Dezember 2022 hinaus bestehender jugendhilferechtlicher Bedarf nicht durch ambulante Jugendhilfemaßnahmen in Ergänzung zur therapeutischen Begleitung durch seinen Psychiater und zur rechtlichen Beratung durch seine Anwältin gedeckt werden kann. Insoweit wird auf die diesbezüglichen obigen Ausführungen verwiesen.
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Der Antrag war daher abzulehnen.
60
Das Gericht weist ergänzend darauf hin, dass dies nicht bedeutet, dass beim Antragsteller das Fortbestehen eines jugendhilferechtlichen Bedarfs auszuschließen ist. Daher besteht die Möglichkeit der Beantragung ambulanter Hilfsmaßnahmen. Angesichts der obigen Ausführungen in der pädagogischen Stellungnahme der Diakonie vom 13. Dezember 2022 regt das Gericht eine Prüfung durch die Antragsgegnerin an, ob dem Antragsteller eine weitere Begleitung in Gestalt von ambulanten Jugendhilfeleistungen angeboten werden kann, um sicherzustellen, dass ihm der Schritt in die Selbständigkeit nachhaltig gelingt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
62
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.