Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 14.11.2023 – 13 Ca 593/23
Titel:

Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Normenketten:
EFZG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1
ZPO § 286, § 292
AGG § 15
Leitsätze:
1. Der Tatrichter kann im Regelfall den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine förmliche ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSv § 5 Abs. 1 EFZG vorlegt. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert nicht durch einfaches Bestreiten mit Nichtwissen erschüttern, sondern nur in dem er Umstände vorträgt und im Bestreitensfall beweist, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die ärztliche Bescheinigung von einem Arzt im Ausland in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, ausgestellt worden ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Stammt die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus einem ausländischen Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, kann der Arbeitgeber die Richtigkeitsvermutung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er Umstände darlegt, die dafür sprechen, dass dem Arzt die für das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht wesentliche Unterscheidung zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht hinreichend bekannt war bzw. er eine entsprechende Unterscheidung nicht vorgenommen hat (hier bejaht). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entgeltfortzahlung, Arbeitsunfähigkeit, Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Erschütterung, Gefälligkeitsattest, Anwesenheitsprämie, Diskriminierung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 16.05.2024 – 9 Sa 538/23
BAG Erfurt, Urteil vom 15.01.2025 – 5 AZR 284/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55634

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 5.409,26.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Entgeltfortzahlung, die Zahlung eine Anwesenheitsprämie für September 2022 sowie die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 AGG.
2
Der aus H stammende Kläger ist seit dem 01.05.2002 bei der Beklagten als Lagermitarbeiter mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt Euro 3.612,94 beschäftigt. Die Beklagte ist ein Distributor für Komponenten der Elektroindustrie. Bei der Beklagten gab es eine Betriebsvereinbarung über variable Vergütung im Lager vom 22.02.2007 (Anl. B5, Bl. 58 der Akten), die in § 3 auch eine Anwesenheitsprämie regelte. § 5 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung lautete auszugsweise wie folgt:
„Fehlt der Mitarbeiter krankheitsbedingt mehr als fünf zusammenhängende Arbeitstage, wird die anwesenheitsbezogene Komponente ab dem jeweils anschließenden sechsten Arbeitstag nicht gekürzt, soweit ein gesetzlicher Entgeltfortzahlungsanspruch besteht. Bei Fehlzeiten aufgrund eines Arbeitsunfalls (mit Ausnahme von Wegeunfällen, die keine Unfälle mit KfZ sind) oder bei Vorlage einer Arbeitsunfähigkeits-Erstbescheinigung über mindestens 10 zusammenhängende Arbeitstage aufgrund eines stationären Krankenhausaufenthaltes und damit zusammenhängender Krankheitszeiten oder aufgrund eines Bandscheibenvorfalles wird die anwesenheitsbezogene Komponente nicht gekürzt, soweit ein gesetzlicher Entgeltfortzahlungsanspruch besteht. In besonderen Härtefällen können Unternehmen und Betriebsrat hiervon abweichende Regelungen zugunsten des Mitarbeiters vereinbaren.“
3
Am 23.02.2007 unterzeichnete der Kläger ein Schreiben, in dem er erklärte, dass er der Vertriebsvereinbarung zur variablen Vergütung zustimme und die entsprechenden Regelungen Gegenstand seines Arbeitsvertrages würden (Anl. B6, Bl. 76 der Akten). Die Betriebsvereinbarung wurde vom Bundesarbeitsgericht für unwirksam erklärt (BAG, Beschluss vom 28.07.2020, Az. 1 ABR 4/19). Mit Schreiben vom 28.07.2020 unterrichtete die Beklagte alle Mitarbeiter über die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung zur variablen Vergütung im Lager. Mit Schreiben vom 25.08.2020 (Anl. B8, Blatt 79 der Akten) wurde dies dem Kläger nochmals gesondert mitgeteilt. Dabei wurde der Kläger darüber unterrichtet, dass bei Arbeitnehmern, die im Jahr 2007 die Zustimmungsvereinbarung unterzeichnet hätten, die Regelungen der Betriebsvereinbarung zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden seien und nunmehr Rechtsgrundlage für die Gewährung der Arbeitsvertrag sei. Auch wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass weiterhin Kürzungen der Anwesenheitsprämie vorgenommen würden bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen. In der Zeit vom 22.08.2022 bis zum 09.09.2022 hatte der Kläger Urlaub und befand sich in H. Mit E-Mail vom 07.09.2022 teilte er der Beklagten mit, er sei bis zum 30.09.2022 krankgeschrieben (Anl. B2, Bl. 49 der Akten). Beigefügt war ein ärztliches Attest vom 07.09.2022 in französischer Sprache (Anl. K3, Bl. 9 der Akten). Nach seiner Rückkehr war der Kläger vom 04.10.2022 (Dienstag) bis zum 08.10.2022 mit Erstbescheinigung krank geschrieben. Der Kläger teilte der Beklagten mit, dass es sich bei der nunmehrigen Arbeitsunfähigkeit um eine Erkrankung im Zusammenhang mit der Bandscheibe gehandelt habe. Mit Schreiben vom 13.10.2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, bei dem Attest vom 07.09.2022 handele es sich nicht um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Der Kläger legte daraufhin eine weitere Bescheinigung vom 17.10.2022 mit einer beglaubigten Übersetzung vor (Bl. 12, 13 der Akten), in der der behandelnde Arzt bestätigte, er habe den Kläger am 07.09.2022 untersucht. Weiter hieß es (Übersetzung aus dem Französischen):
„Er hatte eine beidseitige Lumboischialgie die eine Ruhepause mit Arbeitsunfähigkeit und Reiseverbot für 24 Tage vom 07/09/2022 bis zum 30/09/2022 erforderlich machte.“
4
Die Beklagte akzeptierte auch dieses medizinische Zertifikat nicht (Schreiben vom 22.11.2022, Anl. K6, Bl. 14 der Akten). Sie gewährte dem Kläger keine Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 07.09.2022 bis 30.09.2022 und brachte mit der Lohnabrechnung für Oktober 2022 die für September gezahlte Anwesenheitsprämie i.H.v. Euro 213,30 brutto wieder zum Abzug. Bereits in den Jahren 2017, 2019 und 2020 hatte sich der Kläger bereits an bzw. in direktem zeitlichen Zusammenhang mit seinem beantragten Urlaub arbeitsunfähig krank gemeldet (Fehlzeitenübersicht des Klägers für die Jahre 2016-2023, Anl. B3, Blatt 50 der Akten). Der Kläger hat daraufhin Klage zum Arbeitsgericht München erhoben, die er unter dem 26.05.2023 um einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 AGG erweitert hat.
5
Der Kläger ist der Auffassung er habe einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für September 2022 sowie die wieder in Abzug gebrachte Anwesenheitsprämie für September 2022, da er tatsächlich im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Sein Arzt habe ausdrücklich Arbeitsunfähigkeit und Reiseverbot attestiert. Bereits das ärztliche Attest vom 07.09.2022 lasse die bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers klar erkennen. Ebenso wie die bei der Arbeitsunfähigkeit ab 04.10.2022 habe es sich um die Folgeerkrankung eines Bandscheibenvorfalles gehandelt. Die Beklagte erkläre sich nicht, wie der Kläger als Lagermitarbeiter bei strenger häuslicher Ruhe und bei dem ärztlichen Rat, in H wieder zu reisen und sich zu bewegen, eine Arbeitsleistung hätte erbringen sollen.
6
Die Kürzungsmöglichkeit bei Anwesenheitsprämien bestehe gerade nicht im Falle eines Bandscheibenvorfalles. Im Übrigen sei die Betriebsvereinbarung unwirksam und finde auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Eine Kürzungsmöglichkeit scheide damit ohnehin aus.
7
Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 AGG. Es liege eine Benachteiligung in Bezug auf seine ethnische Herkunft vor, weil die Beklagte grundsätzlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen deutscher Arbeitnehmer im Fall von in Deutschland attestierter Arbeitsunfähigkeit anerkenne. Damit seien im Ausland erkrankte ausländische Arbeitnehmer benachteiligt, da ein ausländischer Arbeitnehmer eine ungünstigere Behandlung erfahre als andere Arbeitnehmer des Betriebs. Die Frist des § 15 Abs. 4 AGG sei gewahrt, denn die Beklagte verweigere bis heute die Erfüllung des bestehenden Entgeltfortzahlungsanspruchs aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Wenn ein noch nicht abgeschlossener Zustand vorliege, beginne die Ausschlussfrist nicht vor dessen Beendigung zu laufen. Eine Entschädigung in Höhe eines Bruttomonatsgehalt sei geboten.
8
Der Kläger beantragt zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum 01.09.2022 bis zum 30.09.2022 einen Betrag i.H.v. Euro 1.583,02 netto, nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.10.2022, zu bezahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum 01.09.2022 bis zum 30.09.2022 einen Betrag in Höhe von Euro 213,30 brutto, nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2022, zu bezahlen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 3.612,94 netto zu bezahlen.
9
Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
10
Zur Klage führt die Beklagte aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den streitgegenständlichen Zeitraum. Es lägen Tatsachen vor, die geeignet seien, den Beweiswert der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung zu erschüttern. In der Bescheinigung vom 07.09.2022 werde nur bescheinigt, dass der Kläger angeblich 24 Tage häusliche Ruhe benötige und sich während dieser Zeit nicht bewegen oder reisen dürfe, die Richtigkeit der Übersetzung unterstellt. Dass es sich um eine mit einer Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankheit handele, werde bestritten und sei nicht ersichtlich. Auch die Angaben der erläuternden Bescheinigung vom 17.10.2022 führten zu keiner anderen Beurteilung. Es sei nicht nachvollziehbar, wie ein Arzt am 07.09.2022 beurteilen könne, dass der Kläger bis zum 30.09.2022 arbeitsunfähig krank sein solle, insbesondere wenn die Diagnose auf Rückenschmerzen gestützt werde. Der Kläger trage auch nicht vor, dass die Rückenschmerzen derart gravierend gewesen seien, dass der Arzt Medikamente habe verschreiben müssen. Bei einer Krankschreibung von 24 Tagen wäre es vermutlich naheliegender gewesen, den Kläger in ein Krankenhaus einzuliefern. Die Krankschreibung für 24 Tage scheine bei Rückenschmerzen wenig plausibel, was stark auf ein Gefälligkeitsattest hindeute. Ein verständiger Arzt hätte den Patienten zunächst maximal eine Woche krankgeschrieben und ihn anschließend erneut zur Untersuchung aufgefordert. Widersprüchlich seien auch die Angaben zu den Diagnosen in den Attesten (schwere Ischialbeschwerden im engen Lendenwirbelkanal – beidseitige Lumboischialgie). Auffällig sei insbesondere, dass der Kläger kurz vor Ablauf des beantragten Urlaubszeitraums plötzlich erkrankt sei und mitteile, die Rückreise nicht antreten zu können. Eine Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit ab dem 07.09.2022 werde bestritten. Nachdem der Kläger bereits in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Urlaubszeiträumen Krankheitszeiten aufgewiesen habe, werde der Verdacht verstärkt, dass das Vorgehen des Klägers System habe. Ein Anspruch auf Zahlung der Anwesenheitsprämie bestehe nicht. Die Betriebsvereinbarung sei aufgrund individualrechtlicher Wirkungen trotz ihrer Unwirksamkeit auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Aufgrund der behaupteten Krankheit vom 07.09.2022 bis zum 30.09.2022 sei die Prämie gekürzt worden. Die vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen enthielten weder die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls, bei dem eine Kürzung der Anwesenheitsprämie nach der Betriebsvereinbarung ausscheide, noch sei ein Hinweisdarauf enthalten, dass die Beschwerden Folge eines Bandscheibenvorfalles seien. Im Übrigen bestehe kein Anspruch bei fehlendem Entgeltfortzahlungsanspruch. Mit der erneuten Erstbescheinigung ab dem 04.10.2022 sei indiziert, dass es sich bei der behaupteten vorhergehenden Arbeitsunfähigkeit nicht um einen Bandscheibenvorfall gehandelt haben könne. Ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 AGG bestehe bereits dem Grunde nach nicht. Eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen der ethnischen Herkunft sei nicht gegeben. Der Anspruch scheitere auch bereits an der Frist des § 15 Abs. 4 AGG. Die beantragte Entgeltfortzahlung habe die Beklagte bereits mit Schreiben vom bereits 20.11.2022 abgelehnt. Der Kläger trage völlig unsubstantiiert vor und komme seiner Darlegungs- und Beweislast nicht nach. Es sei insbesondere nicht zutreffend, dass die Beklagte grundsätzlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen deutscher Arbeitnehmer im Falle von in Deutschland attestierten Arbeitsunfähigkeit anerkenne und ausländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.
11
Zum weiteren Vorbringen wird auf die schriftsätzlichen Ausführungen nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
13
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet gemäß § 2 Abs. 3 ArbGG, die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München folgt aus § 48 Abs. 1a ArbGG.
II.
14
Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 07.09.2022 bis 30.09.2022. Ein Anspruch auf Anwesenheitsprämie für diesen Zeitraum besteht in der Folge ebenfalls nicht. Ein etwaiger Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 AGG ist jedenfalls verfristet.
15
1. Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
16
a. Der Arbeitnehmer hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. In der Regel führt der Arbeitnehmer diesen Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber, wie auch vor dem Gericht, durch die Vorlage einer förmlichen ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S. des § 5 Abs. 1 EFZG. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweis für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erwiesen ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die ärztliche Bescheinigung von einem Arzt im Ausland ausgestellt worden ist in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert nicht durch einfaches Bestreiten mit Nichtwissen erschüttern, sondern nur in dem er Umstände vorträgt und im Bestreitensfall beweist, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen (BAG, Urteil vom 08.09.2021, Az. 5 AZR 149/21). Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (ständige Rechtsprechung des BAG, Urteil vom 11.08.1976, Az. 5 AZR 422 Schreck 75; vom 08.09.2021, bereits zitiert).
17
b. Bestreitet der Arbeitgeber trotz der vorgelegten ordnungsgemäß erteilten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, muss er den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Dies ist dann der Fall, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit dargelegt werden. Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden durch Umstände im Zusammenhang mit der Bescheinigung selbst, durch das Verhalten des Arbeitnehmers vor der Erkrankung und durch das Verhalten des Arbeitnehmers während der bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr ausgelöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Stammt die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – wie vorliegend – aus einem ausländischen Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, kann der Arbeitgeber weiter die Richtigkeitsvermutung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er Umstände darlegt, die dafür sprechen, dass dem Arzt die für das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht wesentliche Unterscheidung zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht hinreichend bekannt war bzw. er eine entsprechende Unterscheidung nicht vorgenommen hat (vgl. Schmitt, § 5 EFZG Rdnr. 152) .
18
c. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungsund Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist ein substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Soweit er sich für die Behauptung, auf Grund diese Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte beruft, ist dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 08.09.2021, bereits zitiert).
19
d. Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger. den Nachweis für eine Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 07.09.2022. bis zum 30.09.2022 durch die Vorlage der ärztlichen Bescheinigungen/Atteste vom 07.09.2022 und 17.10.2022 nicht erbracht.
20
aa) Der Beweiswert der ärztlichen Atteste, die der Kläger zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit vorgelegt hat, ist erschüttert durch von der Beklagten substantiiert dargelegte Umstände, die zu ernsthaften Zweifeln an der behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 07.09.2022 bis zum 30.09.2022 Anlass geben. Zweifel ergeben sich bereits daraus, dass der Kläger unmittelbar vor Beendigung seines genehmigten Urlaubs im Ausland erkrankt und bereits in der Vergangenheit Arbeitsunfähigkeitszeiten im Zusammenhang mit Urlaub aufgewiesen hat. Ein gehäufter Zufall von Zusammentreffen von Urlaub und Erkrankung ist nach der Lebenserfahrung wenig wahrscheinlich. Die ausgestellten Atteste sind in sich nicht schlüssig, weil die Krankheitsursache unterschiedlich benannt wird. Der Kläger selbst hat behauptet, er habe Rückenschmerzen gehabt. Bei Vorliegen von Rückenschmerzen ist eine Krankschreibung für einen Zeitraum von mehr als einer Woche mehr als ungewöhnlich. Üblicherweise muss sich ein Patient nach einigen Tagen erneut vorstellen, um das Fortbestehen der Beschwerden abzuklären und gegebenenfalls eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten. Auch durch die auffällige Dauer der Krankschreibung bei Rückenschmerzen ist der Beweiswert vorliegend erschüttert. Zu weiteren Arztbesuchen hat der Kläger nichts vorgetragen. Vielmehr hat er bereits am 08.09.2022 ein neues Rückreiseticket nach I für den 29.09.2022 gebucht. Dieser Umstand deutet aus Sicht der Beklagten und der Kammer darauf hin, dass der Kläger von vornherein beabsichtigt hatte, sein Auslandsaufenthalt durch die behauptete Arbeitsunfähigkeit eigenmächtig zu verlängern. Erschüttert ist der Beweiswert auch dadurch, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt vorgetragen hat, dass die Rückenschmerzen derart gravierend gewesen sind, dass der Arzt beispielsweise Medikamente gegen Schmerzen verschreiben musste. Bei einer Krankschreibung von 24 Tagen ist das wenig nachvollziehbar. Zu Recht weist die Beklagte weiter darauf hin, dass es stark auf ein Gefälligkeitsattest hindeutet, wenn ein Arzt bei ein- und derselben Diagnose eine erläuternde Bescheinigung ausstellt, die einen Monat später plötzlich den Begriff der Arbeitsunfähigkeit enthält.
21
bb) Der Kläger hat nach Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Atteste seinerseits nicht weiter substantiiert dargelegt, dass er tatsächlich erkrankt war. Weder hat es sich zu seinen Beschwerden näher geäußert, noch hat er dargelegt, welche Therapie und/oder Arzneimittel der ihn behandelnde Arzt im Einzelnen verordnet hat. Auch hat er sich nicht dazu geäußert, weshalb aufgrund von Rückenbeschwerden am 07.09.2022 eine Krankschreibung bis zum 30.09.2022 erforderlich gewesen sein soll. Damit hat er im Ergebnis nicht den Nachweis erbracht, dass im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt war. Entgeltfortzahlungsanspruch bei Krankheit stehen ihm daher nicht zu. Die ihn behandel-nden Ärzte hat er nicht von der Schweigepflicht entbunden.
22
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die unter 2) eingeklagte Anwesenheitsprämie.
23
a. Anspruchsgrundlage für die Zahlung einer Anwesenheitsprämie ist vorliegend nicht die vom BAG für unwirksam erklärte Betriebsvereinbarung, sondern der Arbeitsvertrag. Durch Unterzeichnung des Schreibens der Beklagten durch den Kläger am 23.02.2007 wurden die in der Betriebsvereinbarung getroffene Regelungen Gegenstand des Arbeitsvertrages und auf eine individualrechtliche Grundlage gestellt.
24
b. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum im September 2022 unentschuldigt gefehlt. Er hat daher bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf die Zahlung der Anwesenheitsprämie in der geforderten HöheDer Kläger hat vom 07.09.2022 bis zum 30.09.2022 an 18 Arbeitstagen gefehlt. Der gekürzte Betrag entspricht hierbei Euro 213,30 brutto.
25
c. Unterstellt, der Kläger wäre tatsächlich arbeitsunfähig krank gewesen, hätte der Kläger dennoch keinen Anspruch auf Zahlung der Anwesenheitsprämie gehabt, da er nach seinem eigenen Vortrag weder einen Arbeitsunfall erlitten hat noch einen stationären Krankenhausaufenthalt hatte. Der Kläger litt auch unter keinem Bandscheibenvorfall. Der entsprechende Vortrag hierzu ist unsubstantiiert.
26
3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Die Kammer vermag schon dem Grunde nach keinen Diskriminierungstatbestand erkennen. Jedenfalls wäre ein etwaiger Anspruch gemäß § 15 Abs. 4 AGG verfallen. Spätestens mit der Zurückweisung der Entgeltfortzahlung und Ablehnung der ärztlichen Atteste mit Schreiben vom 22.11.2022 begann die 2monatige Frist des § 15 Abs. 4 AGG zu laufen. Die erstmalige Geltendmachung des behaupteten Anspruchs erfolgte mit Klageerweiterung vom 26.05.2023 und demnach nicht fristgerecht.
III.
27
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 ArbGG, 91 ZPO.
28
2. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 61 ArbGG. Es wurden die eingeklagten Beträge addiert.