Titel:
Hinterbliebenengeld, Beerdigungskosten, Sachverständigengutachten, Schockschaden, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Beweisbeschlüsse, Rechtshängigkeit, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Schmerzensgeld, Genugtuungsfunktion, Grobfahrlässige, Rechtsvergleichung, Grober Behandlungsfehler, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Heimvertrag, Beweisaufnahme, Näheverhältnis, Streitwert, Gegenstandswert, Sitzungsniederschrift
Schlagworte:
Hinterbliebenengeld, Beerdigungskosten, Pflegefehler, Beweislastumkehr, Schadensersatz, Näheverhältnis, Organisationsversagen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55447
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.450,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.08.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkte seit 26.08.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 71 % und die Beklagte 29 % zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 8.450,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt Hinterbliebenengeld und anteilige Beerdigungskosten für ihre verstorbene Mutter, welche im Haus der Beklagten wohnte.
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Die am ... 1924 geborene Mutter der Klägerin befand sich aufgrund eines Heimvertrages zwischen der Beklagten und der Mutter der Klägerin seit 19.02.2002 im Haus der Beklagten. Am ... 2018 um 23.48 Uhr, stürzte die Mutter der Klägerin beim Gang zur Toilette. Sie erlitt aufgrund des Sturzes eine Gehirnerschütterung und einen Hüftbruch. Die operative Versorgung erfolgte am 01.10.2018 im Klinikum L. mit anschließendem stationären Aufenthalt. Nach der Operation erholte sich die Mutter der Klägerin zunächst, jedoch verstarb sie am ... 2018. Bereits vor dem Sturz vom ... 2018 stürzte die Mutter der Klägerin bereits sieben Mal.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 04.06.2019 wurde die Beklagte aufgefordert, den klägerischen Anspruch zu erfüllen. Eine Regulierung erfolgte bis dato nicht.
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Die Klägerin meint, die Beklagte habe nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um den Sturz der verstorbenen Mutter am ... 2018 zu verhindern, obwohl unstreitig diese bereits Gangunsicherheiten, Gleichgewichtsstörungen sowie eine fortgeschrittene Demenz aufgewiesen hatte. Die Mutter der Klägerin habe den Pflegegrad 4 gehabt. Sie sei seit dem 01.07.2018 nicht mehr fähig gewesen, sicher zu gehen. Der Tod der Mutter sei kausal auf den Sturz zurückzuführen. Bei einem entsprechendem Maßnahmenplan zur Sturzprophylaxe wäre die Mutter nicht am ... 2018 verstorben. Die Beklagte hätte zur Sturzprophylaxe folgende Maßnahmen ergreifen müssen:
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Aufklärung dahingehend, dass ein selbstständige Laufen zu unterlassen ist, Versorgung der Verstorbenen mit Windeln, Rufmöglichkeit nach Personal, Alarmsensoren am Bett, Hüftprotektoren sowie niedrige Gitter am Bett. Die Klägerin begehrt daher Hinterbliebenengeld in Höhe von 8.000 € sowie 450 € anteilige Beerdigungskosten.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
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die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.450,00 € sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen und
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außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 928,80 € sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagten sind der Ansicht, alles erforderliche getan zu haben. Ein Maßnahmenplan zur Sturzprophylaxe sei nicht erforderlich gewesen. Zudem sei es so, dass die bestehenden Maßnahmen genügt hätten. Seit dem Sturz vom 16.09.2018 sei die Verstorbene bei Benutzung des Rollators begleitet worden, die Verstorbene sei regelmäßig auf das Sturzrisiko hingewiesen worden, eine Rufmöglichkeit war gegeben (Notruftaster am Bett, im Vorraum, am Waschbecken und in der Dusche). Alarmsensoren seien wirtschaftlich unzumutbar und auch ungeeignet, zudem sei dies im Haus der Beklagten nicht umzusetzen gewesen. Auch wären die Verletzungen durch Gelpads (Hüftprotektoren) nicht verhindert worden. Ein Gitter am Bett hätte das Sturzrisiko der Mutter der Klägerin sogar noch erhöht und nicht verringert. Die Bewohnerin wäre dann aus einer höheren Höhe gestürzt bzw. beim Versuch das Bett über das Gitter zu verlassen. Einzig eine Fixierung am Bett oder eine lückenlose Beobachtung durch das Personal hätte einen Sturz zuverlässig vermieden. Diese Varianten seien aber rechtlich nicht vertretbar gewesen. Es wäre stark in die Rechte der Verstorbenen eingegriffen worden. Zudem hätte es einer richterlichen Anordnung bedurft. Die Beklagte meint zudem, die Höhe des von der Klägerin begehrten Hinterbliebenengeldes sei aus der Luft gegriffen und überhöht.
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Die Kammer hat zu den pflegerischen Fragestellungen mit Beweisbeschluss vom 29.10.2019 ein schriftliches Sachverständigengutachten erholt, welches die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. ... am 07.03.2020 erstattet hat. Mit Beweisbeschluss vom 07.05.2020 hat die Kammer ein schriftliches Ergänzungsgutachten erholt, das die Sachverständige am 17.07.2020 erstattet hat. Darin hat sie zu Ergänzungsfragen und Einwendungen der Klagepartei Stellung genommen. Des Weiteren wurde mit Beweisbeschluss vom 16.09.2020 ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Frage der Kausalität erholt, welches der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Z. und Dr. H. am 10.12.2020 erstattet hat. Im Termin vom 11.11.2021 hat die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Z. das Gutachten erstattet und Ergänzungsfragen der Klagepartei beantwortet. Die Kammer hat in dem Termin die Klägerin angehört und den Zeugen A. uneidlich vernommen. In der mündlichen Verhandlung am 24.11.2022 hat die Sachverständige Prof. Dr. H.-M. ihr schriftliches Gutachten erläutert sowie Ergänzungsfragen beantwortet. Zudem wurden die Klägerin erneut informatorisch angehört und die Zeugen A., H. und N. uneidlich vernommen.
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Wegen des weiteren Parteivortrages, bzw. zur Ergänzung des Tatbestandes wird vollumfänglich auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst ihrer Anlagen und die Sitzungsniederschriften vom 11.11.2021 und 24.11.2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
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Der Klägerin steht ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld und Erstattung der anteiligen Beerdigungskosten aus § 844 Abs. 3, Abs. 1 BGB zu, hinsichtlich des Hinterbliebenengeldes jedoch nicht in beantragter Höhe.
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1. Gemäß § 844 Abs. 3 BGB kann der Hinterbliebene, der in einem besonderen Näheverhältnis zu dem Getöteten im Zeitpunkt dessen Todes stand, für das zugefügte seelische Leid vom Ersatzpflichtigen eine angemessene Entschädigung in Geld gemäß § 844 Abs. 3 BGB sowie den Ersatz der Beerdigungskosten gemäß § 844 Abs. 1 BGB verlangen.
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a) Die Klägerin war unstreitig die Tochter der Verstorbenen. Es wird somit ein besonderes Näheverhältnis nach § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB vermutet. Die Beklagte hat keinerlei Vortrag getätigt, was diese Vermutung erschüttern könnte.
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b) Die Klägerin erlitt durch den Tod ihres Lebensgefährten ein seelisches Leiden.
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Die Entstehung eines seelischen Leides aufgrund des Todes wird durch Bestehen eines Näheverhältnisses indiziert, vgl. Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Auflage, § 844, Rn. 23.
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c) Grundsätzlich ist die Klagepartei dahingehend beweisbelastet, dass der Tod aufgrund einer Verletzung der Beklagten obliegenden Pflichten aus dem Heimvertrag eingetreten ist. Gelingt der Klagepartei jedoch der Nachweis, dass ein grober Pflegefehler seitens der Beklagten vorliegt, führt dies zu einer Umkehr der Beweislast. Die Beklagte wäre dann in der Beweislast, dass der Tod der Mutter der Klägerin nicht kausal auf den Sturz vom ... 2018 zurückzuführen ist. So liegt der Fall hier.
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aa) Die Sachverständige Prof. Dr. H.-M. führte in ihrer Anhörung aus, dass sie nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2022 von einem Organisationsversagen der Beklagten ausgeht. Es wäre erforderlich gewesen, dass die Fäden der Pflegeplanung in einer Person zusammenlaufen, was auch unter dem Stichwort Bezugspflege zu verstehen ist. Die Beweisaufnahme hätte jedoch gezeigt, dass es keine Kontinuität in der pflegerischen Versorgung der Verstorbenen gab. Es gab eine Vielzahl von Ansprechpartnerinnen. Eine Fallbesprechung, die insbesondere auch die gesetzliche Vertreterin, die Klägerin, aufgrund der kognitiven Einschränkungen der Verstorbenen hätte mit einbeziehen müssen, hat nicht stattgefunden. In dieser hätte eine fachlich fundierte Einschätzung vorgenommen werden müssen. Hierbei hätte, neben der zutreffend thematisierten Mobilitätsförderung und Förderung der Selbstbestimmung auch das Verletzungsrisiko abgewogen werden müssen. In diese Fallbesprechung hätte auch der Hausarzt der Verstorbenen einbezogen werden müssen, aufgrund der Medikation mit Nebenwirkungen, die Auswirkungen auf das Sturzrisiko habe, hier nämlich Schwindel. Auch wäre in der Fallbesprechung eine Abwägung zwischen Freiheitsrechten und dem Schutz vor Verletzungen vorzunehmen gewesen.
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Ob die dort vereinbarten Maßnahmen den hier streitgegenständlichen Sturz dann tatsächlich auch verhindert hätten, kann die Sachverständige Prof. Dr. H.-M. nicht sagen. Insbesondere auch deshalb nicht, da ihr auch biografische Daten bezüglich der Verstorbenen fehlen.
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Allerdings sieht die Sachverständige Prof. Dr. H.-M. das Unterlassen einer solchen Fallbesprechung als groben Pflegefehler. Es gibt im vorliegenden Fall mehrere intrinische und extrinische Faktoren, die zu einem Sturzrisiko und ein Verletzungsrisiko führen. Auch ist nach dem Expertenstandard eine Neuevaluation und Neueinschätzung nach einem wiederholten Sturz vorzunehmen. Auch nach einer signifikanten Änderung des Ernährungsstatus ist keine entsprechende Neubewertung vorgenommen worden. Es liegt daher ein Verstoß gegen ganz klare Vorgaben des Expertenstandards vor.
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bb) Der Beklagten ist es nicht gelungen, zu beweisen, dass der Tod nicht kausal auf den Sturz vom ... 2018 zurückzuführen ist.
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Die Sachverständige Prof. Dr. Z. führt aus, dass nach Knochenverletzungen, wie sie die Verstorbene bei ihrem Sturz vom ... 2018 erlitten hatte, Todesursache eine Lungenentzündung sein kann. Eine solche ist hier aber nicht naheliegend, da bei der Verstorbenen vor ihrem Tod keine erhöhten Entzündungswerte gemessen wurden. Vielmehr haben sich die Werte im Verlauf des Krankenhausaufenthalts sogar verbessert. So war der CRP Wert zunächst 15,8 ist dann auf 23 gestiegen und dann auf 9,4 gesunken. Der Normalwert liegt bei unter 5.
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Als weitere Todesursache nach schweren Knochenbrüchen kommt nach den Ausführungen der Sachverständige Prof. Dr. Z. eine Lungenembolie in Betracht. Eine solche kann nur durch Obduktion oder CT festgestellt werden. Beides ist nicht durchgeführt worden. Es lagen aber auch keine Anhaltspunkte für eine Lungenembolie vor. Auch eine Fettembolie kommt nach den Ausführungen der Sachveständigen Prof. Dr. Z. nicht in Betracht. Läge eine solche vor, wäre eine solche 3 – 4 Tage nach dem Trauma eingetreten und nicht ca. 2 Wochen. In keiner Weise lässt sich belegen oder quantifizieren, dass das Versterben die Mutter der Klägerin aufgrund der Einweisung in ein Krankenhaus und die dort erfolgte Behandlung, welches Stressfaktoren sind, beschleunigt wurde.
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Aufgrund dessen, dass die Sachverständige Prof. Dr. Z. keine Angaben hinsichtlich der genauen Todesursache der Mutter der Verstorbenen machen kann, also auch keine dahingehend, dass der Tod unabhängig vom Sturzgeschehen vom ... 2018 eingetreten wäre, ist die Beklagte beweisfällig geblieben.
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d) Die Beklagte hat folglich der Klägerin eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten, § 844 Abs. 3 BGB. Diese Entschädigung bemisst das Gericht mit 2.000 €. aa) Das Gesetz selbst billigt dem Hinterbliebenen eine „angemessene“ Entschädigung zu. Das bedeutet, dass das Gericht das Hinterbliebenengeld nach eigenem Ermessen, das es unter Billigkeitsgesichtspunkten ausübt, festsetzt.
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Konkrete Vorgaben enthält die Gesetzesbegründung nicht. Nur in der Kostenabschätzung lässt der Gesetzgeber erkennen, dass er mit 240.000.000 Euro bei 24.000 Haftungsfällen ausgeht oder von 10.000 je Getötetem. Dabei nimmt der Gesetzgeber die Rechtsprechung zu Schockschäden als „Anker“. Nach der Gesetzesbegründung bemessen die Gerichte den pathologisch nachgewiesenen Schockschaden mit 10.000 Euro, so dass das Hinterbliebenengeld für das nicht pathologisch festgestellte Leid wohl mit einem geringeren Betrag bemessen werden soll (so jedenfalls Burmann/Jahnke NZV 2017, 401, 410) . Tatsächlich hat zuletzt etwa das OLG Koblenz einen Schockschaden mit 10.000 Euro bemessen (Beschluss vom 25.9.2017 – 5 U 427/17, GesR 2017, 784). Es gibt aber auch aktuelle Entscheidungen, in denen das Schmerzensgeld auf 100.000 Euro bemessen wurde (OLG Frankfurt/M., Urteil vom 6.9.2017 – 6 U 216/16, VersR 2018, 560).
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Wagner vertritt, dass mit der Einführung des Hinterbliebenengeldes insgesamt psychische Beeinträchtigungen als Verletzung immaterieller Rechtsgüter (der Seele, der Psyche) rechtlich aufgewertet werden sollen, was sich auch auf die Entschädigungen auswirken soll.
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Deswegen sieht er bei nächsten Angehörigen 10.000 Euro als Untergrenze an (NJW 2017, 2641, 2645).
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Nugel orientiert sich stärker an der Schockschadensrechtsprechung und meint, das Hinterbliebenengeld müsse darunter liegen. Er schlägt eine Bandbreite von 3.000 bis 5.000 Euro für Regelfälle und in Ausnahmen bis zu 10.000 Euro vor (ZfSch 2018, 72, 77).
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Müller betont das Risiko einer Kommerzialisierung persönlicher Schicksalsschläge und meint, dass moderate Beträge in einer Größenordnung von 10.000 Euro angemessen seien (VersR 2017, 321, 325).
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Burmann/Jahnke geben keine Größenordnung vor. Sie verweisen auf die Funktion des Anspruchs und sehen im Vordergrund die Betroffenheit der Hinterbliebenen, für die entsprechend der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes ein Ausgleich angestrebt werden müsse (NZV 2017, 401, 410).
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Huber zieht Parallelen zur Bemessung des Schmerzensgeldes. Er meint, der Verlust der engsten Bezugsperson und die damit verbundene Trauer sei in etwa so zu taxieren wie ein folgenlos verheilender Beinbruch und schlägt eine Bandbreite von 10.000 bis 20.000 Euro vor (Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Baden-Baden 2018, Teil 1 § 1 Rn 112).
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Der Gesetzgeber beruft sich für die Einführung des Hinterbliebenengeldes auch auf eine Entscheidung des EGMR, wonach Hinterbliebenen für einen Todesfall infolge staatlicher Verantwortung ein entsprechendes Hinterbliebenengeld zuzusprechen sei (BT-Drucks. 18/11397, S. 8). Auch in anderen europäischen Staaten ist ein Hinterbliebenengeld nicht unbekannt. Im vereinigten Königreich ist der Betrag gesetzlich auf 12.980 Pfund für alle Angehörigen festgeschrieben (Wagner a. a. O., S. 2645). In Österreich hat Huber Beträge in einer Größenordnung von 4.500 bis 35.000 Euro aus Entscheidungen des OGH zwischen 2001 und 2016, indiziert von 5.700 bis 42.000 Euro (a. a. O., Teil 2 Länderbericht Österreich, Tabelle Rn 45) ermittelt, falls der Angehörige den Tod durch Nachricht erhalten hat. Hat der Angehörige den Tod persönlich miterlebt, liegen die Beträge zwischen 10.000 und 37.000 Euro (indiziert: 10.200 bis 42.900 Euro, Huber a. a. O. Rn 46). Bei der Entscheidung des OGH vom 30.10.2003 (2 Ob 186/03 x) liegt der zuerkannte Betrag zwar noch höher, hier hat der Kläger aber sowohl Frau als auch zwei Kinder verloren. Ansonsten erklären sich die Schwankungen jeweils mit den besonderen Umständen des Einzelfalls. In der Schweiz bewegen sich die Entschädigungssummen vielfach in einem Bereich zwischen 20.000 und 40.000 sFr (BG, Urteil vom 1.4.2009 – 1 C 284/2008; Urteil vom 12.11.2008 – 4 A 423/2008; BVG, Urteil vom 17.2.2010 – A A-862/07, BVGE 2011/55, 1116 – Flugzeugabsturz). In Italien sieht die Mailänder Tabelle für Ehegatten und Kinder Beträge zwischen 165.960 und 331.920 Euro, für Geschwister zwischen 24.020 und 144.130 Euro vor (https://www.altalex.com /~ /media /Altalex /allegati /2018/allegati%20free/tabelle%20milanesi%20danno%20non%20patri moniale%202018.pdf).
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Das Gericht entnimmt aus diesen wissenschaftlichen Aufarbeitungen des Problems den Hinweis, dass jedenfalls ein Betrag von 10.000 Euro eine Richtschnur für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes ist. Rechtsvergleichend fällt der Betrag eher noch niedrig aus. Dabei fallen allerdings die in Italien zuerkannten Beträge sehr hoch aus, während in den weiteren, in die Untersuchung von Huber einbezogenen Rechtsordnungen fünfstellige Beträge die Regel darstellen. Bei der vergleichenden Betrachtung ist allerdings immer auch das sozialstaatliche Fürsorgesystem zu sehen. Auch enthält die Abgrenzung zwischen materiellem und immateriellem Schaden Wertungen, so dass die Erkenntnisse aus der Rechtsvergleichung auch nur ein Anhaltspunkt sein können.
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Bezogen auf das deutsche Recht geht das Gericht zunächst von § 253 BGB aus, wonach immaterielle Schäden nur im Ausnahmefall mit Geld aufzuwiegen sind. Ein weit über 10.000 Euro hinausreichender Betrag würde der Rechtsprechung zu den „Schockschäden“ widersprechen und das gewachsene Gefüge der Schmerzensgeldzuerkennung strapazieren. Es kann nicht sein, dass Schockschäden als unmittelbare Beeinträchtigung einen geringeren Ersatzanspruch auslösen als die hier zu erörternde Reflexbeeinträchtigung. Auf der anderen Seite sind die Beeinträchtigungen durchaus anerkannt und vom Gesetzgeber ein Ersatzbedürfnis gesehen worden, vgl. für vorstehendes LG Tübingen, Urteil vom 17.05.2019 – 3 O 108/18.
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bb) Bei der Bemessung ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen groben Pflegefehler der Beklagten handelt.
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Es ist jedoch ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Sachverständige Prof. Dr. H.-M., auch die Klägerin als gesetzliche Betreuerin der Verstorbenen in der Verantwortung sieht. Dies gelte insbesondere bei Demenz und wenn interventionistische Maßnahmen im Raum standen.
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Weiter ist auch zu berücksichtigten, dass die Verstorbene bereits 94 Jahre alt war und die Sachverständige Prof. Dr. Z. ausführte, dass im Alter von 94 praktisch jederzeit ein Ableben möglich ist. Nicht außer Acht gelassen werden darf ferner, dass die Klägerin mit ihrer Mutter nicht mehr in einem Haushalt gelebt und auch eine eigene Familie gegründet hat. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin sich sehr wohl um ihre Mutter kümmerte, insbesondere durch regelmäßige Besuche.
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Bei dem Urteil des LG Tübingen (a.a.O.) handelte es sich um einen 60jährigen Familienvater, der bei einem Verkehrsunfall getötet wurde. Anders wie im vorlegenden Fall, hätte dieser höchstwahrscheinlich noch mindestens 10 bis 15 Jahre gelebt.
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Das Brandenburgische OLG hat in seinem Urteil vom 16.08.2022, Az. 12 U 30/22, ebenfalls über Hinterbliebenengeld einer bereits betagten Damen zu entscheiden gehabt. Die Mutter der dortigen Klägerin war mit 84 Jahren aufgrund eines Verkehrsunfalls verstorben. Das Brandenburgische OLG sprach der Klägerin 7.500 € zu.
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Ein Vergleich hinsichtlich der Entschädigungssumme zwischen hiesigen Verfahren und dem vor dem Brandenburgischen OLG scheitert jedoch, da im dortigen Fall das grob fahrlässige Verhalten des dortigen Beklagten mit in die Überlegungen einzubeziehen war und das Hinterbliebenengeld zum Teil auch der Genugtuungsfunktion Rechnung zu tragen hatte. Im hiesigen Verfahren hat die Genugtuungsfunktion jedoch zurückzutreten. Ein grob fahrlässiges Verhalten ist der hiesigen Beklagten nicht nachzuweisen. Das Organisationsversagen stellt objektiv einen groben Behandlungsfehler dar, es lässt aber nicht auf eine subjektives grob fahrlässiges Verhalten schließen.
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Weiter war bei der Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen, dass eine Kausalität zwischen dem Sturz vom ... 2018 und dem Versterben am ... 2018 nicht nachgewiesen werden konnte. Eine Haftung dem Grunde erfolgt allein deshalb, weil durch den groben Pflegefehler eine Beweislastumkehr stattgefunden hat und die Beklagte beweisfällig geblieben ist.
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Bei Gegenüberstellung dieser Gesichtspunkte kommt die Kammer zu der Überzeugung, dass eine Entschädigung in Höhe von 2.000 € hier angemessen, aber auch ausreichend ist.
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e) Ferner hat die Beklagte der Klägerin die anteiligen Beerdigungskosten in Höhe von 450 € nach § 844 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Die Klägerin hatte ein Viertel der angefallenen Beerdigungskosten zu tragen, da es vier Erben nach der Verstorbenen gab. Die Höhe der Beerdigungskosten sind zwischen den Parteien unstreitig.
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Der Kläger kann ferner seine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz ersetzt verlangen. Ausgehend von dem Gegenstandswert, der seinem Obsiegen im hiesigen Verfahren entspricht, mithin 2.450 €, ergibt dies bei 1,3facher Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG, Pauschale und Mehrwertsteuer einen Betrag von 334,75 €.
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Die Zinsnebenforderung ergibt sich aus den §§ 286, 288, 291 ZPO. Rechtshängigkeit trat am 02.11.2021 ein.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 48 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt.