Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 20.06.2023 – 3194.Z3-3_01-22-64
Titel:

Nichtzulassungsbeschwerde, Erfolgsabhängige Vergütung, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Apothekenpflichtige Medizinprodukte, Nachprüfungsverfahren, Erhöhungsverlangen, Preisanpassungsklausel, Entscheidungen der Vergabekammer, Darlegungs- und Beweislast, Zuschlagskriterien, Vergaberechtsverstöße, Erschöpfende Leistungsbeschreibung, Antragsbefugnis, Vergabeverfahrensanordnung, Sofortige Beschwerde, Kostenvorschuss, Vergabevermerk, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung, Öffentlicher Auftraggeber, Verfahren vor der Vergabekammer

Schlagworte:
Nachprüfungsverfahren, Vergaberecht, Rahmenvereinbarung, Lieferzeit, Preismodell, Höchstmengenregelung, Dokumentationspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55341

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird bei fortbestehender Beschaffungsabsicht verpflichtet, die Vergabeunterlagen betreffend die in § 17 Abs. 2 Satz 2 des Versorgungsvertrages nach § 14 Apothekengesetz enthaltene Regelungen zur maximalen Bestellmenge der Artikel, die aus diesem Vertrag abgerufen werden kann, zu überarbeiten und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer eine Höchstmenge der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Artikel anzugeben. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
2. Der Antragssteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu 90 Prozent, die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragstellers zu 10 Prozent.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsteller und die Antragsgegnerin waren notwendig.

Gründe

I.
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 11.11.2022, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, schrieb die Antragsgegnerin eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Medikamenten und apothekenüblichen Waren sowie über die Erbringung von apothekerischen Dienstleistungen (Logistik-, Controlling- und Beratungsleistungen) im Wege eines offenen Verfahrens aus. Zuschlagskriterium war gemäß Abschnitt II.2.5) der Bekanntmachung nicht allein der Preis. Die weiteren Zuschlagskriterien sind in den Beschaffungsunterlagen aufgeführt.
2
Ausweislich der Angabe in Abschnitt I.3) der Bekanntmachung standen die Auftragsunterlagen für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang gebührenfrei unter der dort genannten Internetadresse zur Verfügung. Bestandteil der Vergabeunterlagen war unter anderem der Versorgungsvertrag.
3
Mit Schreiben vom 25.11.2022 rügte der Antragsteller, dass die Regelungen zur Lieferzeit nicht der Verwaltungspraxis der zuständigen Genehmigungsbehörde entsprächen und der Antragsteller sie daher für rechtswidrig halte.
4
Mit Schreiben vom 29.11.2022 erwiderte die Antragsgegnerin, dass der Antragsteller laut Google Maps selbst die von ihm genannte Verwaltungspraxis nicht einhalten könne. Mit Schreiben vom 02.12.2022 ergänzte die Antragsgegnerin, dass sie bei der Angebotsprüfung berücksichtigen werde, dass der Antragsteller auch einen Standort mit wesentlich kürzeren Fahrzeiten unterhalte.
5
Mit Schreiben vom 05.12.2022 fragte die Antragsgegnerin sodann bei der zuständigen Genehmigungsbehörde bezüglich der Genehmigungspraxis nach § 14 Abs. 5 ApoG zu den Fahrzeiten nach. Mit Schreiben vom 12.12.2022 rügte der Antragsteller unter anderem die rechtswidrigen Vorgaben einer Rüst- und Fahrzeit, die Fixpreisregeln in §§ 13 und 14 des Versorgungsvertrags, dass keine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit oder der Auskömmlichkeit der Preise bei der Angabe eigener Preise möglich sei, die Abrechnung der Zytostatikawirkstoffmengen, rechtswidrige Ausschlusskriterien, den Ausschluss der Verwurfsvergütung, die zu kurz bemessene Angebotsfrist, da zu Beginn des neuen Jahres neue Preise bekannt gegeben werden würden, die fehlenden Höchstgrenzen und die fehlende Laufzeitbeschränkung, die unklare Bewertung der Beratungs-, Controlling- und QM-Konzepte, die Bewertungsskala des Rückgabekonzepts, die unklare Verteilung von 40 Punkten in der Datei „Matrix …-2022-11-07 gesichert“, die rechtswidrigen Vorgaben zur Behandlung von 0 € Angaben und dass die Bestimmung des § 2 Abs. 2 S. 2 der Versorgungsvertrags der Versorgung aus einer Hand widerspräche.
6
Nachdem den Rügen des Antragstellers nicht abgeholfen wurde, stellte der Antragsteller mit Schreiben vom 14.12.2022 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB. Er trägt vor, dass die Auftragsausführungsbedingung zur Fahrt- und Rüstzeit rechtswidrig sei und er angesichts dessen kein aussichtreiches Angebot abgeben könne.
7
Mit Schreiben vom 21.12.2022 antwortete die zuständige Genehmigungsbehörde auf die Anfrage der Antragsgegnerin vom 05.12.2022, dass sie als Orientierungswert für ihre Verwaltungspraxis eine Lieferzeit von 75 Minuten vorgebe und wenn diese gegeben sei, sehe sie die Genehmigungsvoraussetzungen gem. § 14 Abs. 5 S. 3 Nr. 3 ApoG als erfüllt an.
8
Mit Datum vom 23.12.2022 veröffentlichte die Antragsgegnerin eine Änderungsbekanntmachung in der die Bestimmungen zur Lieferzeit angepasst worden waren.
9
Mit Schreiben vom 03.01.2023 rügte der Antragsteller, dass auch die geänderten Regelungen zur Lieferzeit rechtswidrig seien, zudem rügte er die Wahl des Preismodells, verschiedene Regelungen des Versorgungsvertrages, die Zuschlagskriterien und die unzureichende Dokumentation. Die Antragsgegnerin erwiderte daraufhin mit Schreiben vom 04.01.2023, dass sie den Rügen des Antragstellers teilweise abhelfen werde.
10
Mit Schreiben vom 05.01.2023 erklärte der Antragsteller, dass er seine bereits erhobenen Rügen aufrechterhalte. Ferner rüge er unter anderem die Neufassung der Bestimmungen in § 2 Abs. 2 S. 2, § 13 und § 14 des Versorgungsvertrages sowie die Höchstmengenregelung.
11
Mit Schreiben vom 05.01.2023 erweiterte der Antragsteller seinen Nachprüfungsantrag. Soweit es die Auftragsausführungsbedingung zur Lieferzeit anbelangt, sei der Antragsteller antragsbefugt, da die Angebotsfrist noch nicht abgelaufen sei und ein prüffähiges Angebot noch nicht vorliege.
12
Die Regelungen zur Lieferzeit seien vergaberechtswidrig, da die Antragsgegnerin keine strengeren Regelungen etablieren dürfe als die öffentlich-rechtlichen Vorgaben. Die Auftragsausführungsbedingung sei grundsätzlich an den Grundsätzen der Transparenz, der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, des Wettbewerbs und der Verhältnismäßigkeit zu messen. Eine Verletzung dieser Grundsätze dränge sich auf, wenn die öffentlich-rechtlichen Vorgaben übererfüllt werden sollen. Die Antragsgegnerin sei nicht dazu berechtigt, öffentlichrechtliche Vorgaben zu verschärfen. Auch würde der Wettbewerb durch diese Regelung über Gebühr eingeschränkt. Es fehle zudem die Eignung, einen legitimen Zweck zu fördern.
13
Weiter trägt der Antragsteller vor, dass das Preismodell vom allein bekannten Preismodell der Klinikversorgung abweiche. Die Antragsgegnerin habe sich nicht mit dieser Abweichung vom Standardmodell auseinandergesetzt, sie scheine es nicht zu kennen und verbreite daher Gerüchte über das Standardmodell. Sie verkenne auch die Besonderheiten dieser Vergabe, die sich zwingend an einen regionalen Anbieterkreis richten müsse und verletze zudem das Gebot der Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB. Nach dem gewählten Modell trage der Bieter das alleinige Preisänderungsrisiko und der Zuschlag erfolge willkürlich, da die Wirtschaftlichkeit und Auskömmlichkeit der Angebote nicht wirksam überprüft werden könnten. Die kalkulatorischen Unsicherheiten seien immens und unübersehbar.
14
Ferner sei auch die Preisanpassungsklausel rechtswidrig. Zum einen sei unklar wie sich der Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens (§ 14 Abs. 2 des Vertragsentwurfs) zur 12-MonatsRegelung in § 14 Abs. 1 des Vertragsentwurfs verhalte, zum anderen sei die Schwelle von 7% in § 14 Abs. 2 bzw. von 5% in § 14 Abs. 3 des Vertragsentwurfs unverhältnismäßig. Auch sei unklar welcher Zeitpunkt für die Bemessung der Höhe der Anpassung gelte und was unter einer Anpassung in der Höhe der tatsächlichen Differenz zwischen dem bisherigen und dem neuen Einkaufspreis zu verstehen sei. Die Deckelung in § 14 Abs. 3 des Vertragsentwurfs sei intransparent und § 14 Abs. 4 des Vertragsentwurfs sei rechtswidrig. Wenn der Bieter eigene Verkaufspreise bilden müsse und das Preisänderungsrisiko zu tragen habe, handele es sich hierbei um Geschäftsgeheimnisse, die die Antragsgegnerin nichts angingen. § 14 des Vertragsentwurfs sei insgesamt intransparent und unklar formuliert, er enthalte willkürliche Schwellen und mache jegliche Kalkulation unmöglich.
15
Auch § 13 des Vertragsentwurfs sei hinsichtlich der Regelungen zur Verwurfsvergütung unzulässig, so der Antragsteller weiter. Es sei unklar was unter den Abrechnungsregeln für die Verwurfsmengen zu verstehen sei und was mit Herstellerangaben gemeint sei. Weiterhin fehle eine Regelung zum Nachweis des Verwurfs und der Nichtverwertbarkeit. Der Vertragsentwurf verstoße damit gegen den Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Gleiches gelte auch für die fehlende Angabe der voraussichtlich benötigten monoklonalen Antikörper. § 13 des Vertragsentwurfs sei objektiv nicht ausführbar. Auch habe die Antragsgegnerin keine praktikablen Nachweismechanismen installiert und damit seien diese Regelungen nicht überprüfbar und willkürlich.
16
Weiter trägt der Antragsteller vor, dass die Antragsgegnerin gemäß dem EuGH verpflichtet sei eine Höchstmenge oder einen Höchstwert anzugeben, sie gebe hier stattdessen aber ein maximales wirtschaftliches Abrufvolumen an und es sei unklar, was damit gemeint sei. Auch die Erläuterungen der Bewertungsgrade in den Konzeptkriterien „Beratungskonzept“ und „Ausfallkonzept personell“ seien unklar und würden nicht zur Erläuterung des Bewertungsgegenstandes passen. Es sei unzulässig, das Beratungskonzept mit den Qualifikationen des vorgesehenen Personals zu vermischen. Hinsichtlich des „Ausfallkonzept personell“ habe es die Antragsgegnerin unterlassen, Unterkriterien zu bilden. Ferner könnten die Angaben eines Bieters im „Ausfallkonzept personell“ ohne die Benennung einer konkreten Person nicht überprüft werden.
17
Zudem sei auch der Sprung in der Bewertungsskala beim Rückgabekonzept patientenindividueller Zytostatika rein willkürlich. Auch würden die vielen Änderungen der Vergabeunterlagen darauf hindeuten, dass keine Vergabereife gegeben sei. Schließlich trägt der Antragsteller vor, dass ein vollständiger Dokumentationsausfall vorliege und er einen Interessenskonflikt gemäß § 6 VgV für möglich halte, da der externe Berater zumindest auch erfolgsbezogen bezahlt werden könne.
18
Der Antragsteller beantragt
1. Ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB wird in Bezug auf das Vergabeverfahren „Erbringung von Apothekenleistungen; …: Arzneimittel, EU-AB I. … Kreisklinik … gGmbH“ eingeleitet.
2. Der Antragsgegnerin wird es untersagt, das im Antrag zu 1. bezeichnete Vergabeverfahren auf Grundlage der bisherigen Vergabe- und Vertragsunterlagen in den benannten Losen durch Zuschlagserteilung abzuschließen.
3. Der Antragsgegnerin wird bei fortbestehender Vergabeabsicht aufgegeben, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren betreffend die Vergabe von Apothekenleistungen für die Kreisklinik … gGmbH gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und gemäß der Vergabeverordnung nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
4. Das im Antrag zu 1. bezeichnete Verfahren wird auf den Zeitpunkt vor der Veröffentlichung der Antragsbekanntmachung zurückversetzt.
Hilfsweise:
4. a. Die Vergabekammer wirkt unabhängig vom Hauptantrag zu 4. auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hin (vgl. § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB).
5. Die Vergabeakten der Antragsgegnerin werden beigezogen.
6. Dem Antragsteller wird Einsicht in die Vergabeakten der Antragsgegnerin gewährt.
7. Der Nachprüfungsantrag wird der Antragsgegnerin unverzüglich – notfalls per Telefax – zugestellt.
8. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller wird gemäß § 182 Abs. 4 GWB für notwendig erklärt.
9. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Antragstellers zu tragen.
19
Die Antragsgegnerin beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens zu tragen.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
20
Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da der Antragsteller keine Rechtsverletzung durch die gerügten Vergaberechtsverstöße darlegen könne, insbesondere drohe ihm kein Schaden.
21
Der Antrag sei auch unbegründet. Nach der Änderung der Vorgabe zur Fahrzeit gehe die Antragsgegnerin davon aus, dass der Antragsteller diese erfüllen könne. Der Antragsteller sei daher nicht in seinen Rechten verletzt und könne keinen Vergaberechtsverstoß geltend machen.
22
Auch durch die Wahl des Preismodells sei der Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt. Es bestehe kein vergaberechtlicher Anspruch auf die Wahl eines bestimmten, wenn auch weit verbreiteten Preismodells und die Antragsgegnerin habe auch keine Verpflichtung zur Markterkundung. Mit dem gewählten Preismodell stelle die Antragsgegnerin die Möglichkeit her viel vergleichbarere Angebot zu erhalten, als das mit dem gängigen Preismodell der Fall wäre. Insbesondere seien die Preise bei diesem Modell auch auf ihre Wirtschaftlichkeit und Auskömmlichkeit hin überprüfbar. Die Vorgaben würden es den Bietern auch erlauben eine belastbare Kalkulation anzustellen. Ferner läge es in der Natur der Sache, dass man zukünftige Preisentwicklungen nicht mit Sicherheit vorhersagen könne. Derartige Risiken dürften auch auf die Bieter übertragen werden. Insbesondere, da die Antragsgegnerin diese durch die Preisanpassungsregelungen auffangen würde. Ansatzpunkte dafür, dass die Vorgaben der Antragsgegnerin unzumutbar und damit unverhältnismäßig wären, seien nicht ersichtlich. Auch sei eine irgendwie geartete Benachteiligung des Mittelstandes oder ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht erkennbar.
23
Diese Preisanpassungsklauseln würden den Antragsteller ebenfalls nicht in seinen Rechten verletzten. Die Bieter könnten mögliche Preissteigerungen im Rahmen der Preisanpassungsklauseln bei ihrer Kalkulation berücksichtigen und absichern, da diese transparent und eindeutig seien. Auch seien die Preisanpassungsregelungen weder unverhältnismäßig noch willkürlich. Es stehe der Antragsgegnerin frei im Rahmen ihres Leistungsbestimmungsrechts auch Preisanpassungsregelungen festzulegen.
24
Preisanpassungsregelungen könnten auch nicht unverhältnismäßig sein, da sie das Preissteigerungsrisiko der Bieter abmildern würden. Ferner würde es sich bei den Einkaufspreisen nicht um Geschäftsgeheimnisse handeln, ein öffentlicher Auftraggeber dürfe im Rahmen der Vergabe immer die Abgabe der Urkalkulation verlangen.
25
Die Preisanpassungsregelungen würden auch den Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung nicht verletzen, da die Klauseln eindeutig und transparent seien und ein durchschnittlicher Bieter sie auch so verstehen müsse, wie sie gemeint seien.
26
Weiter trägt die Antragsgegnerin vor, dass die Regelungen zur Verwurfsvergütung einfach ausgestaltet und eindeutig formuliert seien. § 13 des Versorgungsvertrags bilde den Rechtsgedanken des allgemeinen Zivilrechts ab, dass bei der Abrechnung keine Doppelbelastung zu Lasten der Antragsgegnerin erfolgen dürfe. Die Klausel sei weder zivil- noch vergaberechtlich zu beanstanden. Auch habe die Antragsgegnerin die voraussichtlich benötigte Menge angegeben.
27
Bezüglich der Höchstmengenregelung habe die Antragsgegnerin alles Zumutbare und Mögliche getan um den voraussichtlichen Bedarf sorgfältig zu ermitteln und habe auf Basis der Vorjahre, also auf Grundlage ihrer Erfahrungswerte, eine Schätzung vorgenommen. Eine konkrete Höchstmenge oder einen Höchstwert in Euro anzugeben sei unmöglich, da der tatsächliche Bedarf von den tatsächlich im Krankenhaus zu behandelnden Patienten abhänge und nicht vorhersehbar sei. Bei einer Festlegung der Höchstmenge würde es durch die Überschreitung im schlimmsten Fall zur Beendigung des Versorgungsvertrags kommen. Ein unerwartetes Ereignis wie etwa die Corona-Pandemie könne schnell zur Überschreitung von Höchstmengen führen und das Krankenhaus dürfe wegen des Grundsatzes der Versorgung aus einer Hand nicht auf andere Quellen zugreifen.
28
Hinsichtlich der Konzeptkriterien „Beratungskonzept“ und „Ausfallkonzept personell“ sei der Antragsteller nicht beschwert und habe keine schlechteren Zuschlagschancen. Es stehe der Antragsgegnerin gemäß dem Vergaberecht frei zu entscheiden, welche Kriterien für sie von Bedeutung seien und daher bewertet werden sollen. Für die Antragsgegnerin sei die Qualifikation maßgeblich und ausschlaggebend für die Vertragsdurchführung und nicht die konkrete natürliche Person, die diese Qualifikation habe. Die Antragsgegnerin sei auch nicht verpflichtet Unterkriterien zu bilden, insbesondere, wenn diese künstlich erzeugt werden müssten. Die Antragsgegnerin habe die Kriterien auch hinreichend bestimmt. Ferner dürfe die Antragsgegnerin auch festlegen, wie sie die einzelnen Kriterien gewichte. Den Sprung in der Bewertungsskala habe die Antragsgegnerin bewusst gewählt, da sie dieses Kriterium aus sachlichen Gründen höher gewichten wolle.
29
Auch die vom Antragsteller weiter vorgetragenen Vergaberechtsverstöße würden nicht greifen. Es handle sich dabei um einen ins Blaue hinein gerichteten Vortrag der bereits unzulässig sei.
30
Es fehle dem Vergabeverfahren nicht an der Vergabereife, die Änderungen der Vergabeunterlagen seien erfolgt um den Rügen des Antragstellers abzuhelfen. Selbst wenn Dokumentationsmängel vorlägen, hat der Antragsteller nicht vorgetragen inwieweit er dadurch in seinen Rechten verletzt wäre. Schlussendlich bestehe auch kein Interessenskonflikt bezüglich des externen Beratungsdienstleisters, insbesondere werde dieser nicht erfolgsabhängig bezahlt.
31
In der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2023 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.
32
Zunächst teilte die Antragsgegnerin auf Nachfrage der Vergabekammer mit, dass der aktuelle Vertrag noch laufe und kein Interimsauftrag beauftragt sei. Der Antragsteller erklärte, dass er seinen Vortrag bezüglich der Lieferzeitproblematik weiterhin aufrechterhalte, da er eine Entscheidung der Vergabekammer für notwendig halte.
33
Hinsichtlich der Frage zu einem etwaigen Interessenskonflikt der von der Antragsgegnerin eingesetzten Fachberater erklärte die Antragsgegnerin, dass keinem der Berater erfolgsabhängige Vergütung gezahlt werde.
34
Die ehrenamtliche Beisitzerin hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf die Vorsitzende und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.
35
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
36
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
37
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
38
Hauptgegenstand der Vergabe ist ein Lieferauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2 GWB. Es handelt sich vorliegend um einen öffentlichen Auftrag, der teilweise aus Lieferleistungen und teilweise aus Dienstleistungen besteht. Der geschätzte Wert der Lieferleistungen ist am höchsten, § 110 Abs. 2 Nr. 2 GWB. Die Antragsgegnerin ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert. Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
39
1. Der Nachprüfungsantrag ist zum größten Teil zulässig, hinsichtlich der Rügen betreffend die Konzeptkriterien „Beratungskonzept“, „Ausfallkonzept personell“ und „Rückgabekonzept patientenindividuelle Zytostatika“ ist der Nachprüfungsantrag unzulässig.
40
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
41
Das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag wird in der Regel durch die Angebotsabgabe dokumentiert. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn angebotshindernde Vergaberechtsverstöße geltend gemacht werden. In diesem Fall wird das Interesse am Auftrag durch die Erhebung von Rügen und die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens belegt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20). Dies ist vorliegend der Fall, denn der Antragsteller trägt vor, er sei insbesondere aufgrund der rechtswidrigen Ausführungsbedingung zur Lieferzeit sowie der unbestimmten Leistungsbeschreibung und der daraus folgenden unzumutbaren Kalkulationsrisiken an einer Angebotsabgabe gehindert gewesen.
42
Der Antragsteller hat auch eine Verletzung in seinen Rechten geltend gemacht (§ 97 Abs. 6 GWB). Eine Rechtsverletzung ist bereits dann geltend gemacht, wenn nach der Sachverhaltsdarstellung des Antragstellers der Auftraggeber im Vergabeverfahren gegen vergaberechtliche Vorschriften verstoßen hat und eine Verletzung seiner Rechte möglich erscheint. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes kann die Antragsbefugnis danach nur dann fehlen, wenn eine Rechtsbeeinträchtigung offensichtlich nicht gegeben ist. Stets ist aber erforderlich, dass sich der Antragsteller auf eine Verletzung bieterschützender Vergabevorschriften berufen kann (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20). Die Frage, ob der Antragsteller die aktuelle Vorgabe zur Lieferzeit erfüllen kann und durch diese Vorgabe dann tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist, ist im Rahmen der Begründetheit zu erörtern. Im Rahmen der Zulässigkeit genügt es hingegen, dass die Möglichkeit einer Rechtsverletzung schlüssig dargelegt wurde.
43
Soweit der Antragsteller vergaberechtliche Bedenken hinsichtlich der Konzeptkriterien „Beratungskonzept“, „Ausfallkonzept personell“ und „Rückgabekonzept patientenindividuelle Zytostatika“ äußert, hat er jedoch bereits nicht vorgetragen, wie durch diese seine Zuschlagschancen verschlechtert worden sein können. Es dürfte daher bereits an einem darzulegenden Schaden fehlen. Im Übrigen hat der Antragsteller dargelegt, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht (§ 160 Abs. 2 S. 2 GWB). Nach dem Vortrag des Antragstellers droht ihm eine Beeinträchtigung seiner Zuschlagschancen durch ihn benachteiligende Ausschreibungsbedingungen. Ein drohender Schaden kann jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
44
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht im Übrigen keine Rügepräklusion entgegen.
45
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, soweit die vertraglich in § 17 Abs. 2 des Versorgungsvertrages geregelte Höchstmenge beanstandet wird und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (dazu 2.3.4.), im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag unbegründet. Weder liegt ein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot des § 6 VgV durch Beteiligung eines externen Beraters vor (dazu 2.1.), noch erweist sich der Vortrag des Antragstellers zur Vergaberechtswidrigkeit der Lieferzeit als begründet (dazu 2.2.). Auch die Vorgaben der Auftraggeberin zum gewählten Preismodell (dazu 2.3.1.), der Preisanpassung (dazu 2.3.2.) und der Verwurfsvergütung (dazu 2.3.3.) sind nicht zu beanstanden. Der Vortrag des Antragstellers hinsichtlich der Konzeptkriterien „Beratungskonzept“, „Ausfallkonzept personell“ sowie „Rückgabekonzept patientenindividuelle Zytostatika“ würde dem Nachprüfungsantrag ebenfalls nicht zu einer weiteren Begründetheit verhelfen (dazu 2.4.). Die vom Antragsteller vorgebrachte Dokumentationsrüge greift ebenfalls nicht durch (dazu 2.5.).
46
2.1. Es liegt kein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot des § 6 VgV durch Beteiligung eines externen Beraters vor. Zwar bediente sich die Antragsgegnerin eines externen Beratungsdienstleisters. Ein Interessenkonflikt ist jedoch nicht ersichtlich. Ausweislich des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 14.04.2023 erfolgt die Bezahlung des externen Beratungsdienstleisters auf Tagessatzbasis und nicht erfolgsabhängig, sodass es bereits an einem finanziellen Interesse des externen Beratungsdienstleisters fehlt. Anderweitige Interessen wurden weder von Seiten des Antragstellers vorgetragen, noch sind diese ersichtlich.
47
2.2. Der Antragsteller ist hinsichtlich der von ihm bemängelten Auftragsausführungsbedingung zur Lieferzeit nicht in seinen Rechten verletzt, da er die aufgestellten Kriterien erfüllt.
48
Soweit der Antragsteller die Vorgaben hinsichtlich der Fahrtzeit, die die Antragsgegnerin mit EU-Änderungsbekanntmachung vom 23.12.2022, veröffentlicht im EU-Amtsblatt am 28.12.2022 wie folgt geändert
… „Stelle des zu berichtigenden Textes: Bedingungen für die Ausführung des Auftrags Anstatt:
Zum Nachweis, dass die Apotheke diese Pflichten einhalten kann, ist mit dem Angebot ein Ausdruck eines Routenplaners mit der Option „schnellste Route“ mit dem Standort der Klinik sowie der Lieferapotheke bzw. der Niederlassung einzureichen, von der die Abfahrt erfolgt. Die Fahrtzeit darf unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen Rüstzeit von 10 Minuten nicht mehr als 50 Minuten betragen. muss es heißen:
Zum Nachweis, dass die Apotheke diese Pflichten einhalten kann, ist mit dem Angebot anhand aktueller Routenpläne (Ausdrucke nicht älter als 4 Wochen vor Ablauf der Angebotsfrist) nachzuweisen, dass die Fahrtzeit vom Standort der Niederlassung der Apotheke bis zum Krankenhaus
- jeweils einmal zwischen 6 und 10 Uhr sowie zwischen 16 und 19 Uhr nicht länger als 65 Minuten
- einmal zwischen 6 und 22 Uhr nicht länger als 60 Minuten beträgt.“ […]
für vergaberechtswidrig hält, kann die Vergabekammer dieser Auffassung nicht folgen. Es fehlt bereits an einer Rechtsverletzung des Antragstellers. Wie von der Antragsgegnerin schriftsätzlich vorgetragen, kann der Antragsteller die einzuhaltenden Fahrtzeiten erfüllen. Die Antragsgegnerin hat hierzu Auszüge aus Google Maps vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Antragsteller die geänderten Vorgaben bereits zum jetzigen Zeitpunkt einhalten kann.
49
Die Vergabekammer weist darüber hinaus darauf hin, dass sie im Übrigen die inhaltliche Ausgestaltung der Ausführungsbedingung bezüglich der Lieferzeit für vergaberechtskonform hält. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Grundsätze des Vergaberechts bei der Ausgestaltung der Auftragsausführungsbedingung nicht eingehalten wurden. Dem Auftraggeber steht das Leistungsbestimmungsrecht zu, welches ihm einen weitgehenden und nur eingeschränkt überprüfbaren Gestaltungsspielraum überlässt. Die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers unterliegt nur den allgemeinen vergaberechtlichen Grenzen. Die Auswahl muss diskriminierungsfrei und nach sach- und auftragsbezogenen Kriterien erfolgen. Der Auftraggeber muss zudem für seine Entscheidung nachvollziehbare und objektive Gründe angeben (BayObLG, Beschluss vom 29.07.2022, Verg 13/21). Diese Grundsätze berücksichtigend stellt die Auftragsausführungsbedingung zur Lieferzeit keinen Verstoß gegen das Vergaberecht dar.
50
Zur Wirksamkeit des abzuschließenden Versorgungsvertrages ist die Genehmigung nach § 14 Abs. 5 ApoG durch die zuständige Apothekenaufsicht erforderlich. Voraussetzung für die Genehmigung ist, dass die unverzügliche und bedarfsgerechte akut medizinische Versorgung und eine unverzügliche persönliche und bedarfsgerechte Notfallbetreuung gemäß § 14 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 und Nr. 4 ApoG sichergestellt werden kann. Um die Vergabe so zu gestalten, dass die Genehmigungsfähigkeit des Versorgungsvertrages sichergestellt ist, hat die Antragsgegnerin bei der Regierung von …, SG … – … als zuständiger Apothekenaufsicht nach der Verwaltungspraxis nachgefragt. Diese hat mit E-Mail vom 21.12.2022 mitgeteilt, dass die Verwaltungspraxis der Regierung von … als Orientierungswert eine Lieferzeit (Fahrtzeit + Richt- und Rüstzeit) von 75 Minuten vorsehe und dabei die Genehmigungsvoraussetzungen gem. § 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 ApoG als erfüllt ansehe. Die Erwägungen der Antragsgegnerin, sich an die von der Aufsichtsbehörde vorgegebenen Rahmenbedingungen zu halten, um nicht zu gefährden, dass die Genehmigung des Versorgungsvertrages unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 14 Abs. 5 ApoG versagt wird, sind nachvollziehbar und plausibel. Die dabei von der Antragsgegnerin angestellten Überlegungen, dass mit der selbst gewählten Vorgabe von 65 bzw. 60 Minuten der Orientierungswert der Aufsichtsbehörde ganz sicher eingehalten werden kann, sind nicht zu beanstanden, zumal die Werte von 60 bzw. 65 Minuten sich auf die reine Fahrtzeit beziehen, die Aufsichtsbehörde aber von einem Orientierungswert von 75 Minuten unter Berücksichtigung der Fahrt- und Richt- und Rüstzeit ausgeht. Auch die Annahmen der Antragsgegnerin, die diese zu der Entscheidung bewogen haben, Werte von 60 bzw. 65 Minuten vorzugeben, sind nicht zu beanstanden. Die zeitliche Vorgabe beruht zudem auf sachlichen Erwägungen der Antragsgegnerin, nämlich der Sicherstellung einer möglichst raschen Versorgung von Patienten bei akuten Notfällen. Eine Diskriminierung einzelner Bieter ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Vorgabe können eine große Anzahl von Apotheken im Umkreis von E… erfüllen, so auch der Antragsteller.
51
2.3. Die im Versorgungsvertrag nach § 14 Apothekengesetz, Stand 05.01.2023 von der Antragsgegnerin getroffene Regelung hinsichtlich der Höchstmenge ist vergaberechtlich zu beanstanden (dazu 2.3.4.). Die Regelungen hinsichtlich der Vergütung (dazu 2.3.1.), der Preisanpassung (dazu 2.3.2.) und der Verwurfsvergütung (dazu 2.3.3.) begegnen hingegen keinen vergaberechtlichen Bedenken.
52
Dabei ist vorauszuschicken, dass die Vergabekammer im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens grundsätzlich einzelne Vertragsklauseln wie die vorgenannten Regelungen im Versorgungsvertrag, die Bestandteil des ausgeschriebenen Auftrags werden, nicht auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit überprüft, da sie keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB sind. Außerhalb des Vergabeverfahrens und des Anwendungsbereichs vergaberechtlicher Vorschriften liegende Rechtsverstöße sind im Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen. Sie können ausnahmsweise nur dann zum Gegenstand eines solchen Verfahrens gemacht werden, wenn es eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm gibt, die im Nachprüfungsverfahren entscheidungsrelevant ist. Nach dem Wegfall des Verbots der Überbürdung eines unzumutbaren Wagnisses können Vertragsklauseln nur noch unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit einer für den Bieter oder Auftragnehmer kaufmännisch vernünftigen Kalkulation beanstandet werden, wobei dahinstehen kann, ob dies aus dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 S. 2 GWB) herzuleiten ist. Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen und damit den Bieter entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der auch im Vergaberecht und im Stadium der Vertragsanbahnung Anwendung findet, unangemessen belasten. Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation gemessen an diesen Maßstäben unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.12.2021, Verg 16/21; OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2019, 13 Verg 7/18).
53
2.3.1. Der Antragsteller macht hinsichtlich des Vergütungsmodells nicht substantiiert geltend, warum ihm eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar wäre. Er hat lediglich vorgetragen, dass das gewählte Preismodell mit kalkulatorischen Unsicherheiten verbunden sei, nicht jedoch, dass eine Kalkulation unzumutbar sei. Die Vergabekammer sieht jedoch auch anderweitig keine Anhaltspunkte für eine unzumutbare Kalkulation. Den Bietern ist eine vernünftige kaufmännische Kalkulation auf der Grundlage des gewählten Vergütungsmodells nicht unzumutbar. Die Antragsgegnerin hat sich ausweislich des ausgeschriebenen Versorgungsvertrages dazu entschlossen, von den Bietern verbindliche Preise, die grundsätzlich für die gesamte Laufzeit des Versorgungsvertrages gelten, abzufragen.
54
In § 13 des ausgeschriebenen Versorgungsvertrages nach § 14 Apothekengesetz, Stand 05.01.2023 ist folgendes geregelt: […] „(1) Die gelieferten Arzneimittel und apothekenpflichtigen Medizinprodukte, sowie die Zytostatika werden gemäß der Arzneimittelpreisliste (Verkaufspreise gemäß Anlage „Preisblatt Warenkorb“) vergütet“ […] Damit weicht die Antragsgegnerin von dem Vergütungssystem ab, welches zwischen der Antragsgegnerin und dem Antragsteller aus dem gegenwärtigen Versorgungsvertrag besteht. Dieses sieht ein Durchreichen der Einkaufspreise durch die öffentliche, Klinik versorgende Apotheke, die sie selbst gegenüber ihren Lieferanten zu bezahlen haben, an das Krankenhaus vor. Den Bietern ist zuzumuten, gewisse Preis- und Kalkulationsrisiken zu tragen. Zu derartigen Risiken gehört auch die Kalkulation von Festpreisen für die in der Preisliste aufgelisteten Arzneimittel, die grundsätzlich für die gesamte Laufzeit des Versorgungsvertrages gelten. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin in § 14 des Versorgungsvertrages eine Preisanpassungsklausel für den Fall, dass sich die Preise nachhaltig erhöhen sollten, in den Vertrag aufgenommen hat, sodass ein etwaig zu berücksichtigendes kalkulatorisches Risiko für die Bieter lediglich unterhalb der in § 14 des Versorgungsvertrages festgelegten Grenzen von 5% und 7% besteht. Lediglich für Preisschwankungen, welche diese Grenze nicht erreichen sind erhöhte Anforderungen an eine kaufmännische Kalkulation gestellt, welche jedoch nicht die Grenze der Unzumutbarkeit erreichen. Diese Risikoverteilung ist den Bietern, die sich an hiesigem Verfahren beteiligen wollen, durchaus zuzumuten. Die Vergabeunterlagen sind auch betreffend das Vergütungsmodell eindeutig. So bestimmen sie, dass die Bieter nach dem Preisblatt einen „Verkaufspreis an den Kunden (netto)“ anzubieten haben. Ob die anbietende Apotheke dabei ihre Einkaufspreise durchreicht oder eine andere Preiskalkulation vornimmt, ist dieser unter Einhaltung der von der Rechtsprechung aufgestellten Regeln zu Spekulationsangeboten im Rahmen der ihr zustehenden Kalkulationsfreiheit vorbehalten. Die Vergabekammer kann in dem gewählten Vergütungsmodell keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die Leistungsbeschreibung nicht eindeutig oder abschließend wäre. Weshalb eine wirksame Überprüfung durch die Antragsgegnerin, ob und inwieweit die Angebote wirtschaftlich und auskömmlich kalkuliert sind, nach Angaben des Antragstellers nicht möglich sei, erschließt sich der Vergabekammer nicht. Soweit es sich um die Frage der Preisprüfung für Unterkostenangebote handelt, steht der Antragsgegnerin nach Einreichen der Angebote das Instrument der Überprüfung nach § 60 VgV zur Verfügung. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund vorliegend keine Preisaufklärung erfolgen können sollte.
55
Auch die weiteren Beanstandungen des Antragstellers hinsichtlich des von der Antragsgegnerin für ihre Beschaffungsmaßnahme bestimmten Vergütungssystems greifen nicht durch.
56
Entgegen der Auffassung des Antragstellers durfte die Antragsgegnerin das Preismodell, wie vorliegend, ausgestalten. Dem Auftraggeber steht das Bestimmungsrecht zu, die Einzelheiten der Auftragsdurchführung festzulegen. Er ist darin frei, ob und welchen Gegenstand er beschaffen will (OLG München, Beschluss vom 28.07.2008, Verg. 10/08). Die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers unterliegt dabei nur den allgemeinen vergaberechtlichen Grenzen. Die Bestimmung des Auftragsgegenstandes muss nach einhelliger Rechtsprechung sachlich gerechtfertigt sein und es müssen dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe vorliegen. Die Festlegung muss willkür- und diskriminierungsfrei erfolgen (OLG München, Beschluss vom 09.03.2018, Verg 10/17). Die Vergabekammer konnte nicht feststellen, dass das von der Antragsgegnerin gewählte Vergütungssystem gegen diese Vorgaben verstößt. Ungeachtet dessen, dass regelmäßig die Dokumentation im Vergabeverfahren die Informationsgrundlage dafür bietet, ob der Auftraggeber bestimmte Vorgaben eingehalten hat (§ 8 VgV), und die vorgelegte Dokumentation des Vergabeverfahrens keine Informationen hinsichtlich der Wahl des Vergütungsmodells beinhaltet, hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 23.01.2023 ihre Erwägungen, die maßgeblich für die Wahl des Vergütungsmodells waren, vorgetragen.
57
Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang einen Dokumentationsmangel rügt, teilt die Vergabekammer diese Einschätzung nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gründe für die Wahl eines bestimmten Vergütungsmodells dokumentationspflichtig sind oder es sich hierbei vielmehr, entgegen dem, was nach § 8 Abs. 2 S. 2 VgV im Vergabevermerk mindestens niederzulegen ist, um solche Umstände und Gesichtspunkte handelt, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung außerdem nachträglich verteidigt werden soll. Jedenfalls durfte die Antragsgegnerin die fehlende Dokumentation nachholen, was sie im Schriftsatz vom 23.01.2023 auch tat.
58
Der Auftraggeber kann im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Aspekten und Argumenten präkludiert werden, die nicht im Vergabevermerk zeitnah niedergelegt worden sind. Vielmehr ist, soweit es die Frage der möglichen Heilung von Dokumentationsmängeln im Vergabevermerk betrifft, einerseits zu berücksichtigen, dass insbesondere die zeitnahe Führung des Vergabevermerks die Transparenz des Vergabeverfahrens schützen und Manipulationsmöglichkeiten entgegenwirken soll (OLG Jena, VergabeR 2010, 96 [100]). Andererseits gibt das Gesetz der Vergabekammer vor, bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Mit dieser dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz verpflichteten Regelung wäre es nicht vereinbar, bei Mängeln der Dokumentation im Vergabevermerk generell und unabhängig von deren Gewicht und Stellenwert von einer Berücksichtigung im Nachprüfungsverfahren abzusehen und stattdessen eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Dieser Schritt sollte vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4/10). Hinsichtlich einer möglichen Wettbewerbsverzerrung durch die unterbliebene Dokumentation ist weder von Seiten des Antragstellers vorgetragen wurden, noch kann die Vergabekammer hierfür Anhaltspunkte finden.
59
Die Antragsgegnerin teilt mit Schriftsatz vom 23.01.2023 mit, dass ein verbindliches Preisangebot gewollt ist, das die Grundlage für die Angebotswertung darstellt. Zudem sei eine verlässliche Preisstabilität gewünscht. Das von der Antragsgegnerin gewählte Vergütungsmodells ist hiernach sachlich gerechtfertigt, nachvollziehbar, und die Wahl dieses Vergütungsmodells auf der Grundlage objektiver und auftragsbezogener Gründe erfolgt. Die Vergabekammer kann keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die Festlegung willkürlich erfolgt ist. Insbesondere konnte der Vorwurf des Antragstellers nicht bestätigt werden, die Antragsgegnerin habe sich nicht ausreichend mit der Thematik Vergütungsmodell auseinandergesetzt. Die Antragsgegnerin hat glaubhaft vorgetragen, dass sie zur Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens einen externen Berater hinzugezogen hat, der über langjährige Praxiserfahrung im Wesen der Krankenhausapotheken und im Pharma-Einkauf für Kliniken verfügt. Dieser hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass es verschiedene Preismodelle bei den Versorgungsverträgen gäbe und sich darunter kein herrschendes oder übliches Modell etabliert habe. Aber selbst wenn dem so wäre, gibt es keine rechtliche Vorgabe, die es verbietet, dass der Auftraggeber verbindliche Preise für eine bestimmte Vertragslaufzeit verlangt. Das von der Antragsgegnerin gewählte Vergütungsmodell ist jedenfalls, neben weiteren Preismodellen, vergaberechtlich vertretbar. Es sind zudem keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das gewählte Vergütungsmodell benachteiligenden Charakter hätte. Alle potentiellen Bieter haben die gleiche Möglichkeit der Wettbewerbsteilnahme, indem sie verbindliche Preise anzugeben haben.
60
Einen Verstoß gegen das Gebot der Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen nach § 97 Abs. 4 S. 1 GWB ist ebenfalls nicht ersichtlich. Das Gebot der Mittelstandsförderung besagt, dass mittelständische Unternehmen die Möglichkeit haben sollen, sich am Verfahren zu beteiligen. Dass dies nicht möglich ist, hat weder der Antragsteller vorgetragen noch ist dies aus den Gesamtumständen ersichtlich. Der Mittelstandsschutz gebietet es jedenfalls nicht, dass die Preispolitik so gestaltet sein muss, dass kleine und mittelständische Unternehmen protegiert werden.
61
2.3.2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die in § 14 des Versorgungsvertrages nach § 14 Apothekengesetz, Stand 05.01.2023 vorgesehene Preisanpassungsklausel nicht vergaberechtswidrig.
62
In § 14 des Versorgungsvertrages nach § 14 Apothekengesetz, Stand 05.01.2023 ist folgendes geregelt: […] (1) Die Apotheke kann eine Anpassung der Vergütung während der Vertragslaufzeit nach den folgenden Bedingungen verlangen:
Eine Erhöhung der Vergütung kann erstmalig 12 Monate nach Vertragsbeginn erfolgen und weitere Erhöhungen frühestens jeweils 12 Monate nach Wirksamwerden der vorherigen Erhöhung. Eine Erhöhung wird drei Monate nach Zugang der Ankündigung (Erhöhungsverlangen) nebst Vorlage ausreichender Nachweise – jedoch nicht vor Ablauf der in S. 2 genannten 12 Monate – wirksam.
(2) Versorgungs- und Logistikpauschale:
Haben sich die Gehaltstarife (ohne evtl. Sockelbeträge) nach dem Gehaltstarifvertrag für öffentlichen Apotheken im Tarifbereich ADA seit Vertragsbeginn bzw. seit der letzten Erhöhung der Pauschale zum Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens um mehr als 7% erhöht, so ist die Apotheke berechtigt, eine Erhöhung der Versorgungs- und Logistikpauschale um denselben Prozentsatz zu verlangen.
(3) Arzneimittelpreise:
Haben sich die Einkaufspreise für die vertragsgegenständlichen Artikel nachweislich seit Vertragsbeginn bzw. seit der letzten Erhöhung der Verkaufspreise um mehr als 5% erhöht, so ist die Apotheke berechtigt, eine Erhöhung der Verkaufspreise bzgl. der von der Preiserhöhung betroffenen Artikel in der Höhe der tatsächlichen Differenz zwischen dem bisherigen und dem neuen Einkaufspreis zu verlangen, sofern die Apotheke die Steigerung ihrer Einkaufspreise nachweislich nicht durch einen Wechsel des Lieferanten oder Herstellers vermeiden kann. Hierzu hat die Apotheke mindestens zwei Vergleichsangebote vorzulegen. Für den Fall, dass die Apotheke mit den Lieferanten Rückvergütungs- oder Bonusvereinbarungen getroffen hat, die dazu geführt haben, dass sich die Preiserhöhungen je Artikel im Ergebnis nicht preissteigernd ausgewirkt haben, ist die Apotheke innerhalb von 1 Monat nach einer entsprechenden Rückvergütung oder Bonuszahlung zur Rückerstattung der erhöhten Beträge verpflichtet.
(4) Die Apotheke ist verpflichtet, sich stets um eine Reduzierung der Einkaufspreise zu kümmern. Sollten sich die Einkaufspreise für die vertragsgegenständlichen Artikel nach einer erfolgten Erhöhung gemäß Absatz 3 S. 1 um mehr als 5% reduziert haben, so hat die Apotheke dies dem Krankenhaus unverzüglich mitzuteilen. Das Krankenhaus ist in diesem Fall berechtigt, eine entsprechende Reduzierung der Vergütung gemäß Abs. 3 S. 1 nach den zeitlichen Rahmenbedingungen nach Absatz 1 zu verlangen. Die Reduzierung wird drei Monate nach Zugang des Reduzierungsverlangens – jedoch nicht vor Ablauf von 12 Monaten seit der letzten Erhöhung – wirksam. Das Krankenhaus ist berechtigt, die Unterlagen der Apotheke bezüglich der Einkaufspreise einmal pro Vertragsjahr durch einen Wirtschaftsprüfer überprüfen zu lassen. Die Kosten des Wirtschaftsprüfers trägt das Krankenhaus, es sei denn, es stellt sich heraus, dass das Verlangen einer Preiserhöhung seitens der Apotheke unberechtigt war, eine Rückerstattung gemäß Abs. 3 S. 3 nicht erfolgt ist oder die Apotheke die Mitteilung nach Abs. 4 S. 2 unterlassen hat. Die unterlassene Mitteilung nach Abs. 4 S. 2 oder die unterlassene Rückerstattung gemäß Abs. 3 S. 3 stellen einen wichtigen Kündigungsgrund nach § 17 Abs. 2 dar.“ […]
63
Auch für diese Regelung gelten die eingangs unter Ziffer 2.3. ausgeführten Erwägungen hinsichtlich der Überprüfung von Vertragsklauseln auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit entsprechend. Soweit der Antragsteller vorträgt, die Preisanpassungsklausel verunmögliche aufgrund zahlreicher inhaltlicher Unklarheiten der Regelung jede Kalkulation, folgt die Vergabekammer dieser Auffassung nicht.
64
Die Regelung der Preisanpassung in § 14 des Versorgungsvertrages ist klar und eindeutig formuliert und verstößt nicht gegen das in § 121 GWB enthaltene Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Eindeutig ist eine Leistungsbeschreibung, wenn sie den Bietern nicht mehrere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, was der Gegenstand der Leistung sein soll, und frei von Widersprüchen ist. Ob das der Fall ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die Leistungsbeschreibung ist Teil des anzubahnenden Vertragswerks für den Auftrag. Auf sie finden die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB Anwendung. Maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter. Für die Feststellung der Eindeutigkeit kommt es mithin darauf an, wie der maßgebliche Empfängerkreis die Beschreibung der Leistungen verstehen musste (Pauka/Krüger, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, § 121 GWB, Rn. 14).
65
Diese Vorgaben berücksichtigend ist die Preisanpassungsklausel hinsichtlich des Zeitpunkts für die Bemessung der Erhöhung eindeutig. Wie bereits die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 23.01.2023 bereits zutreffend mitgeteilt hat, ist für die Bemessung der Erhöhung auf den Zeitpunkt des Zugangs des Erhöhungsverlangens abzustellen. Die Vergabekammer kann vorliegend nicht erkennen, dass bezüglich dieses Punktes andere und somit mehrere Deutungsmöglichkeiten eröffnet sind, wie es der Antragsteller vorgibt. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass nicht klar sei, ob es in § 14 Abs. 2 des Versorgungsvertrages für die Bemessung der Höhe auf Abgabe, Zugang oder Wirksamwerden des Erhöhungsverlangens ankommt, widersprechen die Auslegungsvarianten Abgabe und Wirksamwerden bereits dem klaren Wortlaut des § 14 des Versorgungvertrages. § 14 Abs. 2 des Versorgungsvertrages regelt: […] „Haben sich die Gehaltstarife (…) seit Vertragsbeginn bzw. seit der letzten Erhöhung der Pauschale zum Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens (…) erhöht“ […]. § 14 Abs. 1 des Versorgungsvertrages enthält eine Legaldefinition für den Begriff des Erhöhungsverlangens: […] „Eine Erhöhung wird drei Monate nach Zugang der Ankündigung (Erhöhungsverlangen) (…) wirksam.“ […]. Damit ist klar und eindeutig formuliert, dass § 14 Abs. 2 des Versorgungsvertrages so gelesen werden muss: „Haben sich die Gehaltstarife (…) seit Vertragsbeginn bzw. seit der letzten Erhöhung der Pauschale zum Zeitpunkt des Zugangs der Ankündigung (der Erhöhung) (=Erhöhungsverlangen) (…) erhöht“ und keiner anderen Auslegungsmöglichkeit zugänglich ist. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass in § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages keine Zeitpunktregelung enthalten sei, greifen auch diese Bedenken nicht durch. Die Antragsgegnerin hat auch hier eine klare Regelung für die Bemessung im Vertrag aufgenommen, indem sie in § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages regelt: […] „Haben sich die Einkaufspreise (…) seit Vertragsbeginn bzw. seit der letzten Erhöhung der Verkaufspreise (…) erhöht“ […]. Auch wenn die Antragsgegnerin, anders als in § 14 Abs. 2 des Versorgungsvertrages nicht den Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens im Absatz 3 textlich mitaufgenommen hat, kommt, den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters zugrunde legend, nur eine Auslegungsmöglichkeit in Betracht. Die letzte Erhöhung der Verkaufspreise kann nur durch die die Klinik versorgende Apotheke vorgenommen worden sein, sodass auch hier unter verständiger Würdigung und im Kontext mit § 14 Abs. 1 des Versorgungsvertrages nur der Zugang der Ankündigung (Erhöhungsverlangen) maßgeblich sein kann.
66
Der Vortrag des Antragstellers, dass soweit § 14 Abs. 2 des Versorgungsvertrages auf den „Gehaltstarifvertrag für öffentliche Apotheken im Tarifbereich ADA“ Bezug nehme, dies keine zureichende Festlegung des Ausgangspunkts für die Berechnung einer Wertsicherung sei, folgt die Vergabekammer dieser Ansicht nicht. Der maßgebliche Zeitraum ist klar definiert. Es kommt auf den Gehaltstarifvertrag in der zum Zeitpunkt des Zugangs der Ankündigung (Erhöhungsverlangen) geltenden Fassung an. Die vom Antragsteller vorgetragene Unklarheit hinsichtlich der in § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages enthaltenen „Einkaufspreise für die vertragsgegenständlichen Artikel“ greift ebenfalls nicht durch. Soweit der Antragsteller vorgibt, es seien mehrere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, was unter diesem Begriff zu verstehen sei, teilt die Vergabekammer auch diese Auffassung nicht. Aus § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages ergibt sich eindeutig, dass es auf die Erhöhung der Einkaufspreise der nach dem Vertrag zu liefernden („vertragsgegenständlichen“) Artikel ankommt, die „von der Preiserhöhung betroffen“ sind. Eine Unklarheit bezüglich des in § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages enthaltenen Passus […] „eine Erhöhung (…) in der Höhe der tatsächlichen Differenz zwischen dem bisherigen und dem neuen Einkaufspreis zu verlangen“, ist ebenfalls nicht ersichtlich. § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages gibt klar und eindeutig vor, dass eine Erhöhung der Verkaufspreise um den Betrag erfolgen kann, den die Apotheke zusätzlich zu ihrem Einkauf aufwenden muss. Die Antragsgegnerin hat zutreffend in ihrem Schriftsatz vom 23.01.2023 erläutert, dass damit ein Ausgleich „eins zu eins“ erfolgen soll, ohne dass die Apotheke von einer Erhöhung der Einkaufspreise profitieren soll. Die vom Antragsteller weiter vorgetragene Unklarheit im Passus des § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages […] „sofern die Apotheke die Steigerung ihrer Einkaufspreise nachweislich nicht (…) vermeiden kann.“ […], greift ebenfalls nicht durch. Es gibt nur eine logische Auslegungsmöglichkeit, nämlich die, das hierbei nur Artikel betroffen sein können, bei denen sich die Einkaufspreise erhöht haben und für die die Apotheke eine Erhöhung verlangen will.
67
Unklarheiten sind ebenfalls nicht hinsichtlich der in § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages enthaltenen weiteren Deckelung ([…] „im Ergebnis nicht preissteigernd“ […]) gegeben. Die Antragsgegnerin hat zutreffend in ihrem Schriftsatz vom 23.01.2023 vorgetragen, dass die Apotheke die tatsächlichen Preissteigerungen weiterreichen darf, nicht aber solche, die nur scheinbar eingetreten sind, bspw. indem zwar zunächst Preissteigerungen auf Artikel zu verzeichnen waren, diese sich aber durch mit Lieferanten getroffenen Rückvergütungs- oder Bonusvereinbarungen wieder ausgleichen, sodass keine reale Preissteigerung verbleibt. Die klare und eindeutige Regelung hinsichtlich der Preisanpassungsklausel steht auch einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungs- und Nichtdiskriminierungsgrundsatz durch unterschiedliche Auslegung der Klausel durch die einzelnen Bieter entgegen.
68
Für die Vergabekammer sind auch keine weiteren Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb eine vernünftige Kalkulation unter Berücksichtigung der Preisanpassungsklausel nicht möglich sei.
69
Eine Verletzung des Wettbewerbsgrundsatzes ist nicht gegeben.
70
Die weiteren vom Antragsteller vorgetragenen Beanstandungen hinsichtlich der Preisanpassungsklausel greifen ebenfalls nicht durch. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeits- und Wettbewerbsgrundsatz betreffend die Aufnahme einer Schwelle von 7% Erhöhung der Gehaltstarife nach § 14 Abs. 2 des Versorgungsvertrages bzw. 5% Erhöhung der Verkaufspreise nach § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrages liegt nicht vor. Es ist bereits nicht ersichtlich, woraus sich eine Unverhältnismäßigkeit ergeben soll. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen ihrer Leistungsbestimmungsfreiheit entschieden, eine Preisanpassungsklausel in den Vertrag aufzunehmen. Sie hat mit Schriftsatz vom 23.01.2023 zudem nachvollziehbar dargelegt, dass sie bei der Versorgungs- und Logistikpauschale einen höheren Prozentsatz angesetzt hat als bei den Arzneimittelpreisen, weil die Entwicklung der Gehälter besser eingeschätzt werden kann. Eine willkürliche Festlegung ist damit ebenfalls ausgeschlossen.
71
Soweit der Antragsteller eine Unklarheit des § 14 Abs. 4 des Versorgungsvertrages dahingehend vorträgt, dass nicht erkennbar sei, wann genau das Krankenhaus die Vorlage welcher Unterlagen verlangen könne und das vertragliche Überprüfungsrecht an sich rechtswidrig sei, ist bereits eine etwaige Rechtsverletzung des Antragstellers nicht erkennbar. Dies betrifft Fragen der Vertragsausführung, die von der Vergabekammer nicht zu entscheiden sind. Ungeachtet dessen ist die Regelung der Vorlage von Unterlagen aber auch klar und eindeutig formuliert. Die Unterlagen der Apotheke bezüglich der Einkaufspreise können einmal pro Vertragsjahr überprüft werden.
72
2.3.3. Hinsichtlich der in § 13 des Versorgungsvertrages enthaltenen Regelung zur Verwurfsvergütung bestehen ebenfalls keine vergaberechtlichen Bedenken.
73
In § 13 des Versorgungsvertrages ist folgendes geregelt:
… „(1) Die gelieferten Arzneimittel und apothekenpflichtigen Medizinprodukte, sowie die Zytostatika werden gemäß der Arzneimittelpreisliste (Verkaufspreise gemäß Anlage „Preisblatt Warenkorb“) vergütet, wobei folgende Abrechnungsregeln für Verwurfsmengen Anwendung finden:
Zytostatische Wirkstoffe inklusive Antikörper gemäß Hilfstaxe (Fussnote:https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/arzneimittel/ rahmenvertraege/hilfstaxe/2022-02-15_Redaktionelle_Gesamtversion_Hilfstaxe_Anlage_3.pdf“ […]) Anlage 3 Teil 1: Anhang 1 und Anhang 2 können mit Anbrüchen in Rechnung gestellt werden, wenn und soweit die Restmengen nicht innerhalb der Haltbarkeit gemäß Hilfstaxe für das Krankenhaus bzw. andere Kunden genutzt werden können. Nicht mehr nutzbar sind Anbrüche, deren Haltbarkeit überschritten ist oder die aus rechtlichen Gründen nicht in einer anderen Rezeptur verarbeitet werden dürfen. Für die nicht im Anhang 1 oder 2 zu Anlage 3 Teil 1 aufgeführten zytostatischen Stoffe und Antikörper wird in Anlehnung an Nr. 3.8 lit. c) der Hilfstaxe Anlage 3 Teil 1 eine Höchstgrenze von 24 Stunden angesetzt, soweit nicht die Herstellerangaben eine kürzere Zeit vorsehen, die insoweit vorrangig gilt. Eventuelle nachträgliche Änderungen in der Hilfstaxe bzgl. der Haltbarkeiten dürfen ab deren Veröffentlichung bei der Abrechnung berücksichtigt werden.
74
Auch für die Regelung der Verwurfsvergütung gelten die eingangs unter Ziffer 2.3. ausgeführten Erwägungen hinsichtlich der Überprüfung von Vertragsklauseln auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit entsprechend. Der Antragsteller hat nicht explizit vorgetragen, dass ihm durch die Ausgestaltung der Regelung eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar sei. Selbst wenn man seinen Vortrag hinsichtlich der jede Kalkulation verunmöglichenden Preisanpassungsklausel auch für die Regelungen der Verwurfsvergütung heranziehen würde und eine Unzumutbarkeit der Kalkulation gesamtheitlich durch die vom Antragsteller beanstandeten Regelungen im Versorgungsvertrag vorgetragen sehen will, wie es der Antragsteller im Rahmen der mündlichen Verhandlung angedeutet hat, sieht die Vergabekammer nicht, weshalb aufgrund der Regelung zur Verwurfsvergütung eine kaufmännische vernünftige Kalkulation nicht möglich sein sollte.
75
Die Regelung ist bereits nicht unklar, wie es der Antragsteller vorträgt. Der Antragsteller beanstandet, dass nicht erkennbar sei, in welchen Zügen die Hilfstaxe Anwendung finde. Dies zeige sich an einigen Stellen im § 13 des Versorgungsvertrages, so beispielsweise in der Einleitung:
[…] „wobei folgende Abrechnungsregeln für Verwurfsmengen Anwendung finden“
76
Dem kann die Vergabekammer nicht folgen. § 13 des Versorgungsvertrages zu den Abrechnungsregeln für Verwurfsmengen ist eindeutig zu entnehmen, dass die Hilfstaxe lediglich von der Antragsgegnerin herangezogen wurde hinsichtlich der Haltbarkeitsgrenzen, nicht jedoch hinsichtlich des darin enthaltenen Vergütungssystems für den Verwurf. Die Antragsgegnerin hat im Versorgungsvertrag nicht auf die Anlage 3 Teil 1 ganzheitlich Bezug genommen, sondern nur auf Nr. 3.8 lit. c) und Anhang 1 und Anhang 2 und zwar soweit es die Bestimmung der jeweiligen Wirkstoffe und der für diese festgelegten Haltbarkeitsgrenzen anbelangt bzw. soweit die Antragsgegnerin eigene Regelung in Anlehnung an Nr. 3.8 lit. c) der Hilfstaxe Anlage 3 Teil 3 hinsichtlich der Höchstgrenze entwirft. Klarheit herrscht auch hinsichtlich der Regelung […] „soweit nicht die Herstellerangaben eine kürzere Zeit vorsehen, die insoweit vorrangig gilt.“ […] Damit kann nach verständiger Würdigung und abstellend auf den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters nur die Angabe des Herstellers zum Verfalldatum gemeint sein, die sich beispielsweise regelmäßig auf einem sog. Beipackzettel oder der Verpackung des Produktes befindet. Soweit im Versorgungsvertrag die Rede ist von […] „Eventuelle nachträgliche Änderungen in der Hilfstaxe bzgl. der Haltbarkeiten dürfen ab deren Veröffentlichung bei der Abrechnung berücksichtigt werden.“ […] begegnet auch diese Regelung keinen Bedenken hinsichtlich einer klaren und eindeutigen Formulierung. Die Anlage 3 zum Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen ist mit einem Stand überschrieben, sodass unter verständiger Würdigung nur eine Auslegung in Betracht kommen kann, nämlich, dass das Veröffentlichungsdatum mit dem jeweiligen Stand der Anlage gleichzusetzen ist.
77
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass durch Streichung des Absatzes: […] „Antikörper können gemäß Hilfstaxe Anlage 3 Teil 2: Preisbildung für zytostatikahaltige parenterale Lösungen sowie parenterale Lösungen mit monoklonalen Antikörpern mit Anbrüchen in Rechnung gestellt werden, wenn und soweit die Restmengen nicht innerhalb der Haltbarkeit gemäß Hilfstaxe für das Krankenhaus oder andere Kunden genutzt werden können.“ […] keine Klarheit mehr dahingehend gegeben ist, welche Regelung für die in Rechnung Stellung von Restmengen für zytostatikahaltige parenterale Zubereitungen zur unmittelbaren Anwendung am Patienten gelten, waren diese vor Streichung der betreffenden Passage bereits nicht Regelungsgegenstand. Vielmehr beinhaltete dieser Passus eine Regelung hinsichtlich parenteraler Lösungen mit monoklonalen Antikörpern, nicht aber für zytostatikahaltige parenterale Lösungen. Zudem ist klar und eindeutig im Versorgungsvertrag geregelt, dass für die in den Anhängen 1 und 2 zur Anlage 3 Teil 1 der Hilfstaxe aufgeführten zytostatischen Wirkstoffe inklusive Antikörper die dortigen Haltbarkeitsgrenzen gelten und für alle anderen zytostatischen Stoffe und Antikörper eine Haltbarkeitshöchstgrenze von 24 Stunden vorgesehen ist, es sei denn die Herstellerangaben sehen eine kürzere Zeitspanne vor.
78
Die Bedenken des Antragstellers, dass die Antragsgegnerin keinen praktikablen Nachweismechanismus installiert habe, greifen nicht durch. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot ist nicht gegeben. Die Antragsgegnerin muss keine Regelungen zum Nachweis des Verwurfs und der Nichtverwertbarkeit in den Versorgungsvertrag aufnehmen. Sie ist vielmehr im Rahmen des ihr zustehenden Leistungsbestimmungsrechts darin frei, ob sie eine solche Regelung für erforderlich hält. Sie hat sich vorliegend dazu entschlossen, auf eine solche Regelung zu verzichten und sich vielmehr hinsichtlich des rechtlichen Maßstabes für die Beweislast an den allgemeinen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast zu orientieren. Die Vergabekammer hat keine vergaberechtlichen Bedenken hinsichtlich der gewählten Vorgehensweise. Ergänzend stellt die Vergabekammer fest, dass die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung des Bayerischen LSG, Beschluss vom 03.07.2019, L 20 KR 177/18 keine Entscheidung hinsichtlich einer vom allgemeinen Rechtssatz abweichenden Darlegungs- und Beweislast getroffen hat. Insbesondere wurden keinesfalls allgemein statuierende Aussagen dahingehend getroffen, dass die Beweislast für die Weiterverwendbarkeit von Wirkstoffen regelmäßig derjenige zu tragen habe, der den unrechtmäßigen, also verfrühten Verwurf behauptet, also in diesem Fall die Krankenkasse.
79
Vielmehr wird nach Lektüre des Beschlusses des BSG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bayerischen LSG deutlich, dass weder dargetan noch ersichtlich ist, […] „dass das LSG bei alledem einen von allgemein geltenden Rechtsgrundsätzen abweichenden, der Bewertung als „grundsätzlich bedeutsam“ zugänglichen Rechtssatz zur Beweislast bei Regelungen in der Hilfstaxe als reinem Arzneimittelpreisrecht aufgestellt haben könnte.“ […]
80
2.3.4. Die von der Antragsgegnerin unter § 17 Abs. 2 des Versorgungsvertrages gewählte Regelung zur Höchstmenge verstößt gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie dem daraus folgenden Grundsatz der Transparenz.
81
Für die Höchstmengenregelung gelten die eingangs unter Ziffer 2.3. ausgeführten Erwägungen hinsichtlich der Überprüfung von Vertragsklauseln auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit entsprechend. Der Antragsteller hat auf Nachfrage der Vergabekammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wie er durch diese Klausel beschwert sei, vorgetragen, dass diese Klausel wie auch alle anderen im Zusammenhang mit dem gewählten Preismodell zu sehen seien und kalkulationsrelevant seien. Damit hat er seinen zunächst in diesem Punkt mangels Antragsbefugnis unzulässigen Nachprüfungsantrag zur Zulässigkeit verholfen. Die vorgetragenen vergaberechtlichen Bedenken greifen im Ergebnis auch durch.
82
§ 17 Abs. 2 Satz 2 des Versorgungsvertrages regelt folgendes:
[…] „Die maximale Bestellmenge der Artikel, die aus diesem Vertrag abgerufen werden kann, beläuft sich auf 110% des wirtschaftlichen Abrufvolumens, welches sich errechnet aus den angebotenen Einzelpreisen (siehe Anlage Preisblatt Warenkorb) multipliziert mit den geschätzten Abrufmengen der Artikel über die gesamte Laufzeit des Vertrages einschl. Verlängerungsoption und Preisanpassungen nach § 14 Abs. 3 und Abs. 4.“ […]
83
Nach § 21 Abs. 1 S. 2 VgV ist das in Aussicht genommene Auftragsvolumen so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben, braucht aber nicht abschließend festgelegt zu werden. Damit ist eine Regelung hinsichtlich des Auftragsvolumens, nicht aber hinsichtlich der Angabe einer Höchstabnahmemenge getroffen. Bislang wurde nicht einheitlich beurteilt, ob der Auftraggeber eine Höchstabnahmemenge angeben muss, dies mithin eine zwingende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit ist (Mädler, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, § 21 VgV, Rn. 8). Der EuGH hat dies in seiner Entscheidung mit Urteil vom 17.06.2021, C-23/20 bejaht. Er führt hierzu aus, dass die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung der am Abschluss der Rahmenvereinbarung interessierten Wirtschaftsteilnehmer beeinträchtigt würden, wenn der öffentliche Auftraggeber den Höchstwert oder die Höchstmenge, die eine solche Vereinbarung betrifft, nicht angäbe. Dass der öffentliche Auftraggeber eine Höchstmenge der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren angibt, sei für den Bieter von erheblicher Bedeutung, da er auf der Grundlage dieser Schätzung seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung beurteilen kann. Wäre die Höchstmenge der Rahmenvereinbarung nicht angegeben oder die Angabe nicht rechtlich verbindlich, könnten sich öffentliche Auftraggeber zudem über diese Höchstmenge hinwegsetzen. Dann könnten Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung vertraglich haftbar gemacht werden, wenn sie die von den öffentlichen Auftraggebern geforderten Mengen nicht liefern könnten, selbst wenn diese Mengen die Höchstmenge in der Bekanntmachung überschreiten. Dies würde jedoch den Transparenzgrundsatz verletzen. Die Vergabekammer folgt der Entscheidung des EuGH zur zwingenden Angabe einer Höchstabnahmemenge. Ob die Entscheidung des EuGH auch die Angabe einer berechenbaren Höchstmenge genügen lässt, widerspricht nach Ansicht der Vergabekammer wohl dem Zweck der Regelung, da die Bieter einfach und leicht auf einen Blick feststellen können sollen, ob sie für diesen Auftrag auch leistungsfähig sind und sich nicht erst durch zahlreiche Unterlagen oder eine aufwändige Bepreisung von Warenkörben durcharbeiten müssen. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da anhand der in § 17 Abs. 2 Satz 2 des Versorgungsvertrages aufgenommenen Regelungen eine Höchstmenge jedenfalls nicht berechenbar ist. Soweit eine Multiplikation mit Preisanpassungen nach § 14 Abs. 3 und Abs. 4 des Versorgungsvertrages vorgenommen werden soll, sind letztere im Zeitpunkt der Angebotsabgabe bereits nicht berechenbar, da diese in der Zukunft liegen. Somit sind nicht alle Parameter für die Berechnung für die Bieter hinreichend klar und eindeutig. Ein Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz ist evident.
84
Aufgrund der unklaren Regelung ist den Bietern eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation nicht zumutbar. Dies verletzt den Antragsteller in seinen Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB.
85
Die Auftraggeberin hat in den Vergabeunterlagen eine Höchstabnahmemenge, die die zugrundeliegende Rahmenvereinbarung betrifft, anzugeben und die Vergabeunterlagen diesbezüglich zu überarbeiten. Die Vergabekammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach ihrer Auffassung der EuGH in seiner oben zitierten Entscheidung eine artikelscharfe Vorgabe hinsichtlich der Höchstmengen nicht verlangt.
86
2.4. Soweit die bezüglich der Konzeptkriterien „Beratungskonzept“ und „Ausfallkonzept personell“ gerügten Vergabeverstöße bereits mangels Darlegung eines Schadens die Antragsbefugnis entfallen lassen haben, weist die Vergabekammer nur der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die von der Antragsgegnerin vorgenommene inhaltliche Ausgestaltung der Konzeptkriterien „Beratungskonzept“, „Ausfallkonzept personell“ und „Rückgabekonzept patientenindividuelle Zytostatika“ auch keinen vergaberechtlichen Bedenken begegnet.
87
Hinsichtlich des Konzeptkriteriums „Beratungskonzept“ sind von der Antragsgegnerin folgende Erläuterungen vorgegeben:
88
Hinsichtlich des Konzeptkriteriums „Ausfallkonzept personell“ sind von der Antragsgegnerin folgende Erläuterungen vorgegeben:
89
Es ist dabei aus Sicht der Vergabekammer vergaberechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die in § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 VgV enthaltenen Zuschlagskriterien Qualität und Qualifikation des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals vermengt hat. Der gesetzlichen Regelung des § 58 Abs. 2 Satz 2 VgV ist nicht zu entnehmen, dass die aufgeführten Ziffern nur jeweils separat anzuwenden sind. Nach Auffassung der Vergabekammer können die in § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 aufgeführten Zuschlagskriterien, bei denen es sich um einen nicht abschließenden Beispielkatalog handelt, in einem Konzeptkriterium zusammen berücksichtigt werden.
90
Die Benennung konkreter natürlicher Personen erachtet die Vergabekammer als nicht zwingend und die Nichtforderung als vergaberechtlich unbedenklich. In Gestalt welcher konkreten natürlichen Personen die Qualifikationen ausgeübt werden, ist unerheblich, zumal sich dies bis zum Zeitpunkt der Auftragserteilung und auch während der Vertragslaufzeit ändern kann. Der Antragsgegnerin kommt es darauf an, mit welcher Art von personellen Ressourcen die mit dem Konzept verfolgten Ziele umgesetzt werden sollen. Die Sicherstellung, dass das Beratungskonzept im Falle der Auftragserteilung mit den angegebenen Qualifikationen erbracht wird, erfolgt dadurch, dass der Bieter sich vertraglich verpflichtet, die mit seinem Angebot eingereichten Konzepte einzuhalten, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 Versorgungsvertrag nach § 14 Apothekengesetz. Es sind zudem keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass vorliegend Qualifikationen genannt würden, die so selten am Markt sind, dass das Leistungsversprechen unrealistisch erscheint und die Angabe einer konkreten natürlichen Person mit dieser Qualifikation erforderlich wäre.
91
Dass die Antragsgegnerin hinsichtlich des Konzeptkriteriums „Ausfallkonzept personell“ nicht angegeben hat, dass und mit welchem Anteil die Organisation und mit welchem Anteil die Qualifikation bewertet werde, begegnet ebenfalls keinen vergaberechtlichen Bedenken. Es wird vorliegend der Erwartungshorizont des Auftraggebers dargestellt und die Beschreibung der Bewertungsstufen geht ebenfalls auf die zu liefernden Schwerpunkte ein. Damit ist hinreichend klar, was vom Bieter verlangt wird, sodass keine weiteren Unterkriterien mit Gewichtung gebildet werden müssen. Der Wertungsmaßstab muss dann bei der konkreten Bewertung angewandt und hinreichend dokumentiert werden.
92
Hinsichtlich des Konzeptkriteriums „Rückgabekonzept patientenindividuelle Zytostatika“ ist folgende Bewertungsmatrix vorgesehen:
93
Die Gewichtungsskala liegt im Ermessen der Antragsgegnerin. Sie ist transparent für die Bieter bekannt gemacht. Es sind zudem keine Anhaltspunkte für eine willkürliche Bewertung ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat angegeben, bewusst einen größeren Sprung in der Skala aufgenommen zu haben, weil sie ein sehr gutes Konzept mit höherem Gewicht berücksichtigt wissen wollte.
94
2.5. Soweit der Antragsteller eine unzureichende Dokumentation des Vergabeverfahrens beanstandet, ist jedenfalls nicht erkennbar, dass sich die geltend gemachten Dokumentationsmängel nachteilig auf seine Rechtsstellung im Vergabeverfahren ausgewirkt haben. Nur dann aber kann sich ein Bieter auf eine fehlende oder unzureichende Dokumentation stützen (vgl. OLG München, Beschluss vom 02.11.2012 – Verg 26/12).
3. Kosten des Verfahrens
95
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Antragsteller zu 90 Prozent und die Antragsgegnerin zu 10 Prozent. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag des Antragstellers lediglich hinsichtlich der Beanstandung der Höchstmengenregelung Erfolg hatte, die übrigen Beanstandungen ohne Erfolg geblieben sind.
96
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
97
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.
98
Vom Antragsteller wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft verrechnet.
99
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und des Antragstellers beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird jeweils als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da es sich beim Vergaberecht und dem Nachprüfungsverfahren um einen komplexen Problemkreis handelt und sowohl der Antragsteller als auch die Antragsgegnerin nicht über die für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen personellen Kapazitäten verfügt und daher auf eine vertiefte rechtliche Begleitung im Nachprüfungsverfahren durch einen Anwalt angewiesen waren. Die im Nachprüfungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen waren jedenfalls hinsichtlich der vergaberechtlichen Ausgestaltung der Ausführungsbedingung zur Lieferzeit, des Mitwirkungsverbots sowie der Unbestimmtheit der Vergabeunterlagen komplex und weder auf Bieterseite noch auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers ohne anwaltliche Beratung zu bewältigen.