Titel:
Straßenrecht, Schuldrechtliche Vereinbarung in Grundstückskaufvertrag, Zusicherung der Gemeinde, Sackgassenregelung, Unterlassung der Herstellung einer Verbindung zu anderen Straßen, Zustimmungsvorbehalt, Anspruch auf Sperrung einer Straße, Öffentlicher Zweck, Hochwasserschutz, Planfeststellung
Normenketten:
GVG § 17a Abs. 2
BayVwVfG Art. 54
BayStrWG Art. 17
StVO § 45
Schlagworte:
Straßenrecht, Schuldrechtliche Vereinbarung in Grundstückskaufvertrag, Zusicherung der Gemeinde, Sackgassenregelung, Unterlassung der Herstellung einer Verbindung zu anderen Straßen, Zustimmungsvorbehalt, Anspruch auf Sperrung einer Straße, Öffentlicher Zweck, Hochwasserschutz, Planfeststellung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.02.2025 – 11 ZB 24.863
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55314
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klä- ger dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung ode Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwen- den, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger sind Eigentümer des Flurstücks 9 der Gemarkung … … …, auf dem sich das Anwesen S. weg ... befindet, welches von ihnen zeitweilig als Ferienwohnung genutzt wird. Sie begehren von der Beklagten die Sperrung des S. wegs für den Durchgangs- bzw. Anliegerverkehr.
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Der über eine Länge von ca. 140 m als befestigte Straße verlaufende S. weg zweigt im Südwesten von der B. Straße ab und geht an seinem Ende in den unbefestigten Barfußpark der Gemeinde … … … über. Das Anwesen der Kläger befindet sich am Beginn einer leichten S-Kurve in der ersten Hälfte der Straße. Dahinter liegen noch weitere Wohnhäuser.
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Die Kläger veräußerten auf Grundlage eines notariell beurkundeten Kaufvertrags vom 29. Dezember 2009 eine aus dem Flurstück 9 weggemessene Teilfläche von 63 m² gegen Zahlung eines Kaufpreises i.H.v. …,- Euro an die Beklagte und räumten dieser an dem in ihrem Eigentum verbleibenden Grundstücksteil eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit für ein Kanalleitungsrecht gegen eine einmalige Zahlung von … Euro ein. In der entsprechenden notariellen Urkunde finden sich zudem folgende
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„Schuldrechtliche Vereinbarungen:
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Die Gemeinde … … … sichert den jeweiligen Eigentümern des Grundstücks Flst. 9 der Gemarkung … … … zu, den „S. weg“ in … … … incl. der heutigen Vertragsfläche auf Dauer nur als Sackgasse zu nutzen und keine Verbindung zu anderen bestehenden oder neu zu schaffenden Straßen herzustellen. Von der vorstehend eingegangenen Nutzungsbeschränkung ausgenommen ist der Straßenverkehr im öffentlichen Interesse, insbesondere durch den Freistaat Bayern – Wasserwirtschaftsamt – insbesondere zur Errichtung, Unterhaltung und Verbesserung der Hochwasserschutzmaßnahmen am „H. bach“, den Freistaat Bayern – Forstverwaltung – zur Bewirtschaftung der hinterliegenden Waldgrundstücke, die Gemeinde … … … für Unterhaltsmaßnahmen am H. bach, an den touristischen Flächen am S. teich und an der Kriegergedächtniskapelle und zur Sicherung des Katastrophenschutzes z.B. Rettungsdienst, Feuerwehr etc. Soweit Dritte durch den vorstehend beschriebenen Berechtigten beauftragt werden, sind diese berechtigt, auf dem „S. weg“ zu fahren.
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Durch vorstehende Vereinbarung kann eine Verbindung des „S. wegs“ zu anderen bestehenden oder neu zu schaffenden Straßen nur mit Zustimmung des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Flst. 9 der Gemarkung … … … geschaffen werden.“
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Mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom 2. März 2023 verfügte die Beklagte für den Zeitraum 27. März bis 8. Dezember 2023 eine Sperrung eines Abschnitts der in der Nähe befindlichen H. straße und eine Umleitung des Verkehrs u.a. über den S. weg über den zwischen beiden Straßenzügen liegenden Barfußpark. Der als Umleitung genutzte geschotterte Fußweg wurde zu diesem Zweck verbreitert und mit Rasengitterelementen befestigt. Es wurden Umleitungsschilder aufgestellt.
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Anlass der Anordnung war die Umsetzung des sog. „Bauabschnitts H. straße“ im Zuge der Realisierung des Planfeststellungsbeschlusses des Landratsamts … vom 16. Mai 2019. Die Beklagte hatte den betroffenen Anwohnern mit Informationsschreiben vom 23. Februar 2022 und auf einer Informationsveranstaltung vom 3. März 2022, bei der der Kläger zu 1 zugegen war, entsprechende Informationen zukommen lassen.
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Mit Schreiben vom 23. März 2022 ließen die Kläger der Beklagten durch ihre Bevollmächtigten mitteilen, sie seien mit der geplanten Maßnahme nicht einverstanden. Sie stehe im Widerspruch zur notariellen Urkunde. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 30. März 2022, die geplante Umfahrung sei von der Vereinbarung gedeckt.
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Unter dem 31. August 2022 erging eine erneute Aufforderung an die Beklagte, die Maßnahmen einzustellen. Mit Schreiben vom 6. September 2022 verwies die Beklagte darauf, dass der Freistaat Bayern Bauherr der Maßnahme sei und es sich um eine Hochwasserschutzmaßnahme handle. Mit Schreiben vom 7. September 2022 wiesen die Kläger auf die Eigenschaft der Beklagten als Straßenbaulastträgerin hin.
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Am … Oktober 2022 erhoben die Kläger Klage bei dem Amtsgericht …, zuletzt – nach Beginn der Bauarbeiten – mit den Anträgen: 12
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„I. Die Beklagte hat die Verbindung des S. wegs zu der in der Anlage K 2 beschriebenen, neu hergestellten Straße „Notumfahrung S. weg“ wirkungsvoll zu sperren.
Die Beklagte hat die Verbindung des S. wegs zu der in der Anlage K 2 beschriebenen „Notumfahrung S. weg“ für den Anliegerverkehr wirkungsvoll zu sperren.
II.Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 553,11 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu bezahlen.“
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Bei der Informationsveranstaltung sei herausgekommen, dass weder Feuerwehr noch Rettungsdienst noch Wasserwirtschaftsamt die Umfahrung benötigten bzw. nutzen könnten, sondern diese ausschließlich dem Anliegerverkehr dienen solle.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2022
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Die bereits hergestellte Notumfahrung werde zurückgebaut, sobald die Baumaßnahmen im Rahmen des Hochwasserschutzes fertig gestellt seien. Der S. weg werde - dauerhaft – weiterhin nur als Sackgasse genutzt, die Umfahrung solle nur für die Dauer der Baumaßnahmen ermöglicht werden.
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Mit Beschluss vom 16. Januar 2023 wurde die Streitsache an das Verwaltungsgericht München verwiesen, wo am 6. Dezember 2023 eine mündliche Verhandlung stattfand, im Zuge derer die Beklagtenseite unter Vorlage von Lichtbildern erklärte, die streitgegenständliche Umfahrung sei behelfsmäßig ausgestaltet und solle nur temporär bestehen. Die Klägerseite brachte u.a. vor, die in Bezug genommene Vertragsklausel sei grundsätzlich und auch im Hinblick auf die Zukunft auslegungsbedürftig.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie zum Inhalt der gewechselten Schriftsätze im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber in Haupt- und Hilfsantrag (nachfolgend A)) sowie hinsichtlich des Zahlungsanspruchs (nachfolgend B)) unbegründet.
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Die Kläger wehren sich (bei sachgerechter Auslegung des Klageantrags (I.), § 86 Abs. 1, § 88 VwGO) unter Berufung auf eine schuldrechtliche Vereinbarung mit der Beklagten dagegen, dass durch die Beklagte entgegen der bisherigen Nutzung des S. wegs als Sackgasse zusätzlicher Verkehr (Anlieger- und anderer Straßenverkehr) auf der „Notumfahrung S. weg“, einer provisorischen Verbindung zwischen S. weg und H. straße durch den sog. Barfußpark, zugelassen wird.
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I.) Nachdem die faktische Aufhebung der Umfahrungsregelung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zwar unmittelbar bevorstand, aber noch nicht vollzogen war, war über das Bestehen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses auf Seiten der Klagepartei nicht zu entscheiden.
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II.) Unter Hintanstellung etwaiger, von den Beteiligten aber nicht thematisierter Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der schuldrechtlichen Vereinbarungen gelangt die Kammer zu der Auffassung, dass weder diese und noch sonst eine öffentlich-rechtliche Rechtsposition das klägerische Begehren stützt.
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1. Die schuldrechtliche Vereinbarung trägt das klägerische Begehren bereits deshalb nicht, weil diese nur dauerhafte Veränderungen gegenüber dem bisherigen Zustand des S. wegs als Sackgasse ausschließen möchte. Eine sachgerechte Auslegung (§§ 133, 157 BGB i.V.m. Art. 62 Satz 2 BayVwVfG) der vertraglichen Bestimmung („… sichert … zu …, den ‚S. weg‘ … auf Dauer nur als Sackgasse zu nutzen und keine Verbindung zu anderen … Straßen herzustellen …“) lässt kein anderes Verständnis zu.
24
Das beanstandete Vorgehen der Beklagten steht hierzu nicht in Widerspruch. Denn die Umleitungsregelung bewirkte zunächst schon rechtlich keine dauerhafte Änderung der Sackgassenregelung. Die Sackgassenregelung (angeordnet durch das Richtzeichen Nr. 357 gem. Anlage 3 i.S.d. § 42 Abs. 2 StVO auf Grundlage von § 45 Abs. 4 Halbs. 1 StVO durch die Beklagte als Straßenverkehrsbehörde) wurde zu keinem Zeitpunkt aufgehoben, sondern durch die Umleitungsanordnung allenfalls zeitweise überlagert. Nach durch Bildmaterial belegten Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung war das entsprechende Richtzeichen weder abgedeckt noch abmontiert worden.
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Vor allem aber lassen alle der Kammer im gerichtlichen Verfahren bekannt gewordenen tatsächlichen Gründe für die von den Klägern beanstandeten, provisorischen Maßnahmen der Beklagten sowie die in der mündlichen Verhandlung erörterten konkreten örtlichen Verhältnisse zwischen dem Ende des S. wegs und der H. straße durch den sog. Barfußpark keinen vernünftigen Zweifel daran zu, dass die Beklagte den S. weg dauerhaft – wieder – nur als Sackgasse nutzen will.
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2. Selbst wenn man hinsichtlich des Merkmals dauerhaft eine andere Auffassung vertreten sollte (etwa, weil man die über ein halbes Jahr währenden Maßnahmen der Beklagten als nicht mehr nur vorübergehend erachten würde oder das Merkmal in Relation zum Zeitpunkt des Abschlusses der schuldrechtlichen Vereinbarung setzen wollte), wären die Maßnahmen der Beklagten auch deshalb von der vertraglichen Vereinbarung gedeckt, weil sie im öffentlichen Interesse i.S.d. schuldrechtlichen Vereinbarung erfolgten.
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Zwar teilt die Kammer grundsätzlich die Auffassung der Klägerseite, dass von dem entsprechenden Teil der Vereinbarung zunächst ausdrücklich nur die Befahrung durch die Genannten (Wasserwirtschaftsamt, Forstverwaltung, Gemeinde, Katastrophenschutz) zu den erklärten Zwecken erfasst wird. Die Formulierung „insbesondere“ schließt jedoch weiteren Verkehr im öffentlichen Interesse zweifelsfrei mit ein. Im hier einschlägigen Fall der Herstellung einer Umleitung wegen anderswo erforderlich werdender Straßenbaumaßnahmen zum Zweck des Hochwasserschutzes ergibt sich das öffentliche Interesse sowohl aus dem Gesetz, namentlich § 45 Abs. 1 StVO und §§ 5 Abs. 2, 72 ff. WHG, Art. 43 ff. BayWG, als auch aus der Vereinbarung selbst, die den Hochwasserschutz als Allgemeininteresse ausdrücklich benennt. Eine Beschränkung auf einzelne, nur gelegentliche Befahrungen sieht die Vereinbarung nicht vor und sie deckt nach ihrem Sinn und Zweck auch Fallkonstellationen, in denen – wie vorliegend – die vorübergehende Aufhebung des Charakters des S. wegs als Sackgasse gleichsam nur mittelbare Folge einer Hochwasserschutzmaßnahme ist. An dem Umstand, dass die „Notumfahrung“ zwingend und angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse alternativlos benötigt wurde, um für die Anwesen nördlich der gesperrten H. straße vorübergehend eine andernfalls nicht mehr gewährleistete verkehrliche Zugänglichkeit und Erschließung zu sichern, bestehen seitens der Kammer angesichts der im gerichtlichen Verfahren bekannt gewordenen konkreten örtlichen Verhältnisse keine vernünftigen Zweifel.
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3. Die Beklagte hätte für die gegenständlichen Maßnahmen, obwohl diese zu mehr als einzelnen Befahrungen durch einen der genannten Berechtigten führen, auch nicht die Zustimmung der Kläger einholen müssen.
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Nach dem Verständnis der Kammer sollte ein Zustimmungserfordernis lediglich für solche Konstellationen gelten, in denen die Sackgassenregelung aus anderen Gründen und dauerhaft aufgehoben werden sollte. Dass der zweite Absatz der schuldrechtlichen Vereinbarung ein eigenständiges, vom Kriterium der Dauerhaftigkeit losgelöstes Zustimmungserfordernis begründen sollte, ist fernliegend. Mit der Wahl der Eingangsformulierung „Durch vorstehende Vereinbarung“ wird ein Bezug zu der Zusicherung in ihrer Gesamtheit hergestellt. Die Analogie zum Notwegerecht i.S.d. § 917 BGB scheitert an einer vergleichbaren Interessenlage: Während das zu verlangende Notwegerecht nämlich die Nutzung des Eigentums selbst erlaubt, wird das Eigentum der Kläger durch die Befahrung des S. wegs nicht unmittelbar beansprucht.
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4. Weitere den Anspruch auf Sperrung tragende Rechtspositionen sind nicht ersichtlich und wurden von der Klagepartei auch nicht geltend gemacht. Insbesondere aus der Anlieger- und Eigentümerstellung erwachsen den Klägern keine gesetzlichen Ansprüche. So kommt ein Anspruch von Anwohnern auf Sperrung einer Straße allenfalls in Betracht, wenn durch das Verkehrsaufkommen eine für die dortigen Anwohner nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung durch Lärm und/oder Abgase zu verzeichnen wäre (VG des Saarlandes, U.v. 11.7.2007 – 10 K 37 und 38/07 – LKRZ 2007, 403, beck-online). Dies ist vorliegend weder ersichtlich noch substantiiert geltend gemacht.
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Mangels rechts- oder vertragswidrigen Verhaltens der Beklagten ist auch der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt begründet.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.