Inhalt

AG Deggendorf, Endurteil v. 25.09.2023 – 3 C 287/23
Titel:

Verbringungskosten, Gesamtschuldner, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Basiszinssatz, Sachverständigengebühren, Aktivlegitimation, Unfallzeitpunkt, Unabwendbares Ereignis, Rechtshängigkeit, Vorschäden, Reparaturkostenermittlung, Schadenspauschale, Verkehrsunfälle, Klageerwiderung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren, Erstattungsfähige, Streitwert, Rechtsanwaltskosten, Parteivorbringen

Schlagworte:
Verkehrsunfall, Haftung des Halters, Haftung des Fahrers, Haftpflichtversicherung, Schadensersatz, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Fiktive Abrechnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55171

Tenor

1.  Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.284,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.07.2023 sowie weitere 367,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.07.2023 zu zahlen.
2.  Der Beklagte zu 1 wird weiter verurteilt, an den Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.651,53 € seit 14.05.2023 bis 11.07.2023 zu zahlen.
3.  Die Beklagte zu 2 wird weiter verurteilt, an den Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.651,53 € seit 16.05.2023 bis 11.07.2023 zu zahlen.
4.  Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5.  Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6.  Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
7.  Der Streitwert beträgt 2.284,30 €.  

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls vom 01.12.2022, gegen 8:15 Uhr, im D. Ortsteil G., auf der Zufahrt zum Betriebsgelände der Firma N.
2
Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer des klägerischen Fahrzeugs Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen (…) . Der Zeuge T. B., Sohn des Klägers, sei zum Unfallzeitpunkt mit dem klägerischen Fahrzeug unterwegs gewesen. Er habe vorgehabt, das vorgenannte Firmengelände zu befahren. Da aber auf dem Firmengelände der zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherte, dem Beklagten zu 1 gehörende und von dem Beklagten zu 3 gesteuerte Lkw (…) rückwärts gefahren sei, habe der Zeuge das Fahrzeug angehalten. Der Beklagte zu 3 habe offensichtlich das stehende Fahrzeug der Klägerseite übersehen und sei rückwärts fahrend auf den Pkw des Klägers aufgefahren. Hierdurch sei das Fahrzeug der Klägerseite beschädigt worden. Ausweislich des vorgelegten TÜV-Gutachtens (Anlage K 3) seien Reparaturkosten iHv netto 1.624,43 € angefallen, des Weiteren Gebühren für den Sachverständigen in Höhe von 634,87 €; einschließlich einer Pauschale in Höhe von 25 € macht der Kläger somit die Gesamtsumme in Höhe von 2.284,30 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten geltend. Das Fahrzeug ist nicht repariert; der Kläger rechnet den Fahrzeugschaden fiktiv auf Basis eines vorgerichtlichen Gutachtens ab.
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Der Kläger beantragt,
1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.284,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.03.2023 zu zahlen.
2.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 367,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.03.2023 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten tragen vor, die Beklagte zu 2 wisse nichts von einem Verkehrsunfall. Die Beklagten bestreiten, dass es zu einem Verkehrsunfall gekommen ist. Eine Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs habe durch einen ohnehin nicht vorgefallenen Unfall nicht eintreten können. Am Fahrzeug der Beklagtenseite sei keinerlei Beschädigung vorzufinden. Die Beklagten bestreiten des Weiteren, dass der Kläger Eigentümer des klägerischen Fahrzeuges sei. Die Beklagten bestreiten, dass das Fahrzeug der Klägerseite frei von Vorschäden gewesen sei. Die Reparaturkosten beliefen sich nur auf 1.453,45 €. Die Kosten für das Lackmaterial seien nicht in der geltend gemachten Höhe erstattungsfähig. Bei absoluter oder prozentualer Angabe des Lackmaterials würden 30% der Lohnkosten für das Lackmaterial erstattet. Verbringungskosten fielen nicht bei jeder Vertragswerkstatt an. Diese Kosten könnten daher nicht fiktiv geltend gemacht werden. Die Beklagte befinde sich nicht in Verzug. Rechtsanwaltskosten stünden der Klägerseite nicht zu.
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Zum sonstigen Vorbringen der Parteien wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst aller Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.08.2023.
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Das Gericht hat den Beklagten zu 3 als Partei zum Unfallhergang angehört und hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B.; insoweit wird verwiesen auf das Protokoll vom 14.08.2023 (Blatt 27 der Akte).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist bis auf einen Teil der Zinsforderung vollumfänglich begründet.
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Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagten wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles folgt bezüglich des Beklagten zu 1, unstreitig Halter des Lkw der Beklagtenseite zum Unfallzeitpunkt, aus § 7 Abs. 1 StVG, gegen die Beklagte zu 2, unstreitig Haftpflichtversicherer des LKW der Beklagtenseite zum Unfallzeitpunkt, aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 VVG, und gegen den Beklagten zu 3, unstreitig Fahrer des LKW der Beklagtenseite zum Unfallzeitpunkt, aus § 18 Abs. 1 StVG, § 823 I BGB. Zur Überzeugung des Gerichtes steht nach Durchführung der Beweisaufnahme und nach Anhörung des Beklagten zu 3 fest, dass der Unfall allein durch ein Verschulden des Beklagten zu 3, der mit dem Lkw der Beklagtenseite rückwärts gefahren ist und auf den stehenden Pkw der Klägerseite aufgefahren ist, verursacht wurde. Für den Zeugen, Fahrer des klägerischen Fahrzeug, stellt der Unfall sich hingegen als ein unabwendbares Ereignis dar, § 17 Abs. 3 StVG,.
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1. Die Aktivlegitimation der Klägerseite, also der Nachweis der Eigentümerstellung des Klägers, ergibt sich aus der vorgelegten Anlage K5. Hieraus folgt, dass der Kläger am 16.05.2017 bei dem Autohaus B. in H. das streitgegenständliche klägerische Fahrzeug erworben hat. Dass er das Eigentum hieran jemals wieder verloren hat, hätte die Beklagtenseite vortragen und gegebenenfalls beweisen müssen. Vortrag hierzu ist nicht erfolgt. Die Aktivlegitimation des Klägers steht somit fest.
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2. Hinsichtlich des Unfallhergangs mag zutreffen, dass zum Zeitpunkt der Zustellung der Klage an den Beklagten zu 1 und an die Beklagte zu 2 auf Beklagtenseite nicht bekannt war, dass es zu dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall gekommen war. Denn die Fahrer der beiden Fahrzeuge, der Beklagte zu 3 sowie der Zeuge, haben übereinstimmend angegeben, dass man nach dem Anstoß zunächst übereingekommen war, die Sache „privat“ zu regeln, dass also der Beklagte zu 3, Fahrer des Firmenfahrzeugs der Beklagtenseite, seinem Chef, dem Beklagten zu 1, zunächst den Unfall nicht mitteilen wollte, zumal am Fahrzeug der Beklagtenseite keinerlei Schaden entstanden war. Eine derartige gütliche Einigung kam aber in der Folge nicht zustande, weil der Zeuge sich in krankenhausärztliche Behandlung begeben musste. Dies erklärt das zunächst erfolgte Bestreiten der Beklagtenseite, dass es überhaupt einen Unfall gegeben habe.
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3. Übereinstimmend haben aber die beiden Fahrer geschildert, dass der Beklagte zu 3 mit dem Fahrzeug der Beklagtenseite auf dem oben genannten Firmengelände unterwegs war, in das auch der Zeuge einfahren wollte. Weil aber auf dem Firmengelände ein Fahrzeug rangierte, so der Beklagte zu 3 in vollkommen überzeugender und glaubwürdiger Aussage, hat der Beklagte zu 3 sein Fahrzeug etwas zurückgesetzt. Hierbei hat er das hinter ihm stehende klägerische Fahrzeug übersehen. Es kam zum Anstoß der Anhängerkupplung des Fahrzeugs der Beklagtenseite an der Frontseite des Fahrzeugs der Klägerseite, wobei ein Riss in der Stoßstange entstand. Identisch hat der Zeuge der Klägerseite ausgesagt. Insbesondere hat er glaubwürdig angegeben, dass zum Unfallzeitpunkt sein Fahrzeug stand, das Fahrzeug der Gegenseite sich in Bewegung setzte und auf das Fahrzeug der Klägerseite an der Frontseite auffuhr.
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Hieraus folgt die alleinige Haftung der Beklagtenseite dem Grunde nach.
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4. Die Einwendungen der Beklagtenseite gegen die klägerseits berechnete Schadenshöhe greifen nicht durch. Die Klägerseite hat substantiierten Parteivortrag gehalten durch Vorlage des vorgerichtlich erstellten Gutachtens des TÜV Süd (Anlage K3), dass mit einer netto Schadenssumme 1.624,43 € endet. Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Beklagtenseite sind unbeachtlich.
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a) Die Beklagtenseite wendet zunächst ein, „ausweislich des Prüfberichtes (gemeint ist hiermit die Anlage B1) (seien) die Kosten für das Lackmaterial in der geltend gemachten Höhe nicht erstattungsfähig. Bei absoluter oder prozentualer Angabe des Lackmaterials (würden) 30% der Lohnkosten für das Lackmaterial erstattet“. Die Beklagtenseite bezieht sich hiermit, ohne dies auszusprechen, offenkundig darauf, dass auf Seite 8 des TÜV-Gutachtens das Lackmaterial pauschal mit 40% der Lohnkosten bewertet wird. Diesen Betrag von 40% will die Beklagtenseite durch 30% ersetzen und verweist hierzu auf den Prüfbericht gemäß Anlage B1. Dieser Prüfbericht ist nicht unterschrieben und weist in keiner Weise auf, wer ihn verfasst hat. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich hierbei nicht um substantiiertes, sondern um bloßes einfaches Parteivorbringen handelt. Wenn dort ausgeführt wird, dass nur „30% der Lohnkosten für Lackmaterial erstattet werden“, bedeutet dies eben dies: dass die Beklagte nur gewillt ist, 30% zu zahlen; nicht aber wird hiermit ausgeführt, dass es nicht auch angemessen sei, 40% zu erstatten. Mit substantiiertem Vorbringen hat dieses Prozessverhalten der Beklagtenseite nichts mehr zu tun.
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Das Gericht schätzt den Materialanteil für die Lackierungskosten auf 40% der Lohnkosten, § 287 ZPO, somit auf 181,91 €. Ein Abzug ist daher nicht veranlasst.
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b) Des Weiteren bestreitet die Beklagtenseite in der Klageerwiderung, dass Verbringungskosten erstattungsfähig seien. Diese fielen nicht bei jeder Vertragswerkstatt an. Deshalb könnten diese auch nicht fiktiv geltend gemacht werden.
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Dies ist unrichtig. Unerheblich ist nämlich, dass der Kläger auf Gutachtensbasis abrechnet, dass also die Verbringungskosten bislang nur fiktiv, nicht aber konkret angefallen sind. Denn hierbei handelt es sich um unselbstständige Rechnungspositionen im Rahmen der Reparaturkostenermittlung, deren Beurteilung durch den Sachverständigen nicht anders zu behandeln ist als seine hinsichtlich der Arbeitszeit oder des benötigten Materials erfolgte Einschätzung. Wenn also, wie in der hiesigen Region üblich, im Fall einer Reparatur typischerweise die Verbringungskosten anfallen, so sind sie auch bei fiktiver Abrechnung zu erstatten (OLG München, Urteil vom 06.04.2022 – 10 U 627/21, Rn. 25 f).
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Die Einwendungen gegen die Höhe der Verbringungskosten, die sich noch im Prüfbericht gemäß Anlage B1 finden, hat die Beklagte in der Klageerwiderung nicht wiederholt.
20
c) Unbehelflich ist auch das Vorbringen der Beklagtenseite, das klägerische Fahrzeug sei nicht vorschadensfrei gewesen. Das TÜV-Gutachten weist insoweit auf Seite 3 darauf hin, dass am Fahrzeug reparierte (!) Vorschäden festgestellt wurden, nämlich am Außenspiegel rechts. Hierzu hat der Zeuge des Klägers glaubwürdig ausgesagt, dass früher einmal ein Schaden an dem rechten Außenspiegel aufgetreten gewesen sei, der sodann nach Einholung eines Gutachtens ordnungsgemäß repariert worden sei. Mit den hiesigen Schäden (Gutachten Seite 3, letzte Zeile: Anstoß gegen die Fahrzeugfront) hat dieser Vorschaden nichts zu tun. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagtenseite bleibt daher, übrigens schon mangels jeglicher Substantiierung, ohne Erfolg.
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d) Einwendungen gegen die Höhe der Sachverständigengebühren in Höhe von 634,87 € hat die Beklagtenseite nicht erhoben.
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e) Die Zuerkennung einer Schadenspauschale von 25 € entspricht ständiger hiesiger Rechtsprechung.
23
f) Die Klage ist daher in der Hauptsache in voller Höhe begründet.
24
g) Zinsen stehen der Klägerseite hingegen erst ab Rechtshängigkeit zu, d. h. also gegenüber dem Beklagten zu 1 ab 14.05.2023, gegenüber der Beklagten zu 2 ab 16.05.2023, und gegenüber dem Beklagten zu 3 ab 12.07.2023. Denn das Schreiben der Klägerseite vom 22.03.2023 (Anlage K 1) stellt lediglich die Übersendung einer Rechnung oder Zahlungsaufstellung dar, die, auch wenn sie wie hier eine Zahlungsfrist enthält, einer Mahnung nicht gleichsteht (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 286 Rn. 18). Zinsen sind daher erst ab Rechtshängigkeit geschuldet, § 291 BGB. Der Höhe nach folgt der Zinsanspruch aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
25
5. Als weitere Schadensposition hat der Kläger auch Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten, hinsichtlich deren Höhe auf die zutreffende Berechnung gemäß Blatt 5 der Klageschrift verwiesen wird. Hinsichtlich der Zinsen gilt das oben Angeführte entsprechend.
II.
26
Kosten: §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
27
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO
28
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung gemäß Ziffer 1 der Klageanträge.