Titel:
Amtshaftungsanspruch des Nacherben wegen Verletzung der Mitteilungspflicht nach einem Erbfall; Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Schadensersatz; Verjährungshemmung wegen höherer Gewalt bei Unkenntnis der Pflichtverletzung
Normenketten:
BGB § 195
BGB § 199 Abs. 3 Nr. 1
BGB § 199 Abs. 3a
BGB § 203
BGB § 206
BGB § 242
BGB § 823
BGB § 839
BGB § 2100
EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 4
Leitsätze:
1. Unterlässt das zuständige Standesamt pflichtwidrig den Hinweis auf einen hinterlegten Erbvertrag, aus dem sich ein Nacherbenrecht ergibt, so entsteht der Amtshaftungsanspruch des beeinträchtigten Nacherben bereits mit dem Eintritt des Erbfalls, auch wenn sich der konkrete Schaden erst bei Eintritt des Nacherbfalls realisiert.
2. In diesem Fall ist regelmäßig ein berechtigtes Interesse des beeinträchtigten Nacherben zu bejahen, schon vor dem Nacherbfall die Verletzung einer Amtspflicht durch das zuständige Standesamt gerichtlich feststellen zu lassen.
3. Eine etwaige Hemmung der Verjährung dieses Amtshaftungsanspruchs entsprechend § 206 BGB wegen Unkenntnis des ihn begünstigenden Erbvertrags endet mit dem Zeitpunkt, in dem der beeinträchtigte Nacherbe von Umständen Kenntnis erlangt, die Anlass zu Nachforschungen geben. Auf eine positive Kenntnis der Person des Schuldners kommt es hierbei nicht an.
Schlagworte:
Amtshaftungsanspruch des Nacherben wegen Verletzung der Mitteilungspflicht nach einem Erbfall, Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Schadensersatz, Verjährungshemmung wegen höherer Gewalt bei Unkenntnis der Pflichtverletzung, Amtshaftung
Vorinstanz:
LG Würzburg, Urteil vom 17.08.2022 – 64 O 538/21 Öff
Fundstellen:
ErbR 2025, 422
LSK 2023, 55135
BeckRS 2023, 55135
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 17.08.2022, Az. 64 O 538/21 Öff, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Würzburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen einer behaupteten Amtspflichtverletzung der Beklagten geltend. Die Beklagte wendet sich u. a. mit Erhebung der Einrede der Verjährung gegen den klägerischen Anspruch.
2
Der Kläger ist der von Herrn A. (im Folgenden: Erblasser) adoptierte Sohn der ersten Ehefrau des Erblassers, Frau N.. Herr D. ist das eheliche Kind des Erblassers und der Frau N., d. h. der (Halb-)Bruder des Klägers. Frau N. verstarb am ... 1978. Der Erblasser heiratete sodann am ... 1980 Frau S.. Diese Ehe blieb kinderlos.
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Am ... 1986 schloss der Erblasser mit seiner zweiten Ehefrau S. einen Erbvertrag (Anlage K6) vor der Notarin R. in …. Unter anderem setzte der Erblasser im Vertrag seine Ehefrau (im Folgenden: Vorerbin) zur von den gesetzlichen Beschränkungen nicht befreiten Vorerbin und den Kläger sowie den Bruder des Klägers je zur Hälfte zu Nacherben ein. Diese Bestimmungen waren vertragsmäßig vereinbart. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Erbvertrag (Anlage K6) Bezug genommen.
4
Der Abschluss des Erbvertrages wurde von der beurkundenden Notarin den Geburtsstandesämtern des Erblassers (beklagte Stadt …) und der Vorerbin (zzzzzz) mitgeteilt (vgl. Bearbeitungsblatt …/86, Anlage K1); er wurde nicht in amtliche Verwahrung gegeben. Aufgrund dieser Mitteilung legte das Standesamt der Beklagten im Jahr 1986 eine Testamentskarteikarte mit der Nr. 0001 an und vermerkte dort den Abschluss des Erbvertrages.
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Am 06.09.1993 und 07.09.1993 verfasste der Erblasser im Krankenhaus in … notarielle Testamente (Anlagen B1 und B2 der Beiakte LG Würzburg, Az. 92 O 1022/19). Mit diesen letztwilligen Verfügungen bestimmte der Erblasser unter anderem den Bruder des Klägers zu seinem Alleinerben. Die notariellen Testamente gab der beurkundende Notar H. auftragsgemäß in die amtliche Verwahrung des Amtsgerichts Schweinfurt (dortige Verwahrungsbuch-Nrn.: 00006 und 00007). Hierüber wurde das Standesamt der Beklagten informiert. Es vermerkte im Testamentsregister unter der Testamentskartei-Nr. 0001 nunmehr auch die beiden notariellen Testamente.
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Der Erblasser verstarb am ... 1993. Zum Nachlass gehörten insgesamt 42 Grundstücke, Bargeld und Sparguthaben, Bausparverträge, Geldforderungen, eine Lebensversicherung und Brennrechte.
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Mit Schreiben vom 07.10.1993 versandte das Standesamt … die Todesanzeige („Mitteilung über Sterbefall zum Geburtseintrag“, Anlage K2) an das Standesamt der Beklagten. Am 11.10.1993 wurde diese Mitteilung dort bearbeitet; dabei wurde vom Standesbeamten der Beklagten festgestellt, dass zum Geburtseintrag des Erblassers die Testamentskartei-Nr. 0001 vermerkt ist. Unter dem 11.10.1993 versandte das Standesamt der Beklagten an das Amtsgericht Schweinfurt eine „Mitteilung über Sterbefall in Nachlasssachen“ gemäß § 324 DA (Dienstanweisung für Standesbeamten) betreffend den Erblasser mit dem Hinweis auf die dort unter Verwahrungsbuch-Nr. 0006 und 0007 vorhandenen Verfügungen von Todes wegen. Ein Hinweis auf den Erbvertrag erging jedenfalls nicht an das Notariat in ….
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Unter dem 22.10.1993 eröffnete das Amtsgericht Schweinfurt die notariellen Testamente vom 06./07.09.1993 und übersandte diese am 26.10.1993 an das Amtsgericht Kitzingen als das für den Erblasser zuständige Nachlassgericht. Am 02.02.1994 wurde ein Erbschein ausgestellt, welcher den Bruder des Klägers als Alleinerben des Erblassers auswies.
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Dieser veräußerte in den Jahren 1999 bis 2007 zum Teil in Erfüllung vermeintlicher testamentarischer Pflichten, zum Teil zur Abwendung der Zwangsvollstreckung 39 Grundstücke aus dem Nachlass des Erblassers, deren Erwerb jeweils gutgläubig erfolgte. Er erlöste hierfür 669.433,02 €, wobei Grundstücke zum Teil auch ohne Kaufpreis übertragen wurden. Weiterhin erfüllte er Vermächtnisse in Höhe von insgesamt 111.893,66 €.
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Im Rahmen einer Erbvertragsnachforschung im Jahr 2016 wurde im Notariat in … (nunmehr Notarin Dr. F.) das Ableben des Erblassers bekannt, woraufhin das Notariat mit Schreiben vom 08.08.2016 dem Amtsgericht Kitzingen den Erbvertrag vom xx.07.1986 übersandte. Das Amtsgericht Kitzingen ordnete unter dem 25.11.2016 die Einziehung des bisher erteilten Erbscheins an; am 27.06.2017 erfolgte dessen Kraftloserklärung. Es wurde ein neuer Erbschein erteilt, der nunmehr die Vorerbin als nicht befreite Vorerbin auswies.
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Am ... 2018 verstarb die Vorerbin, die ihrerseits nach dem Tod des Erblassers zweimalig neu testiert hatte, jedoch – abgesehen von den Zuwendungen aus der Erbmasse des Erblassers – über kein nennenswertes Eigenvermögen verfügte. Alles, was sie hinterließ, war auch Teil des Nachlasses des Erblassers oder mit Vermögenswerten erworben, die ihr aufgrund der unwirksamen Testamente vom Bruder des Klägers übergeben worden waren. Eine Schadloshaltung gegenüber der Vorerbin hätte wegen deren Vermögenslosigkeit nicht erfolgen können.
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Erst durch umfangreiche Recherchearbeit und ein Schreiben des Notariats Dr. F., welches der Rechtsanwalt des Klägers am 01.04.2019 erhalten hatte, erlangte der Kläger Kenntnis davon, dass die vom Kläger behauptete maßgebliche Pflichtverletzung im Standesamt der Beklagten begangen worden war.
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Am 29.03.2021 ging im vorliegenden Verfahren der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ein.
14
Der Kläger begehrt wegen einer Amtspflichtverletzung die Zahlung von 111.893,66 € sowie weiteren Schadensersatz in Höhe von 700.000,00 € jeweils nebst Zinsen an die Nacherbengemeinschaft nach A.. Das Standesamt der Beklagten habe pflichtwidrig anlässlich des Todes des Erblassers weder das Notariat in … noch das Nachlassgericht in Schweinfurt auf den Erbvertrag hingewiesen. Dadurch sei bei der Erteilung des Erbscheins an den Bruder des Klägers der Erbvertrag unbeachtet geblieben. Der Bruder des Klägers habe mehrere Grundstücke veräußert und sei überschuldet. Dadurch sei der Nacherbengemeinschaft ein Schaden in Höhe von mindestens 700.000,00 € entstanden. Zudem habe der Bruder des Klägers Geldvermächtnisse in Höhe von insgesamt 111.893,66 € geleistet.
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Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und bestreitet das Unterlassen der Mitteilung über den Erbvertrag an das Amtsgericht Schweinfurt.
16
Das Landgericht hat mit Urteil vom 17.08.2022 die Klage abgewiesen. Die Ansprüche des Klägers wegen einer behaupteten Amtspflichtverletzung seien jedenfalls verjährt. Maßgeblich für den Beginn der Verjährungsfrist sei die Entstehung der Ansprüche. Der Bruder des Klägers habe in den Jahren 1999 bis 2007 rechtswirksam zum Nachlass gehörende Grundstücke veräußert und den Nachlass im Bestand geschmälert. Werde auf den Schadenseintritt im Jahr 1999 abgestellt, so habe zunächst die nach altem Recht geltende 30-jährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen. Nach Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB sei diese jedoch in die 10-jährige Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB n. F. übergeleitet worden und habe damit mit Ablauf des 31.12.2011 geendet. Wenn auf den spätesten Schadenseintritt im Jahr 2007 für die Entstehung des Anspruchs abgestellt werde, sei die 10-jährige Verjährungsfrist jedenfalls im Jahr 2017 abgelaufen. Erst im Jahr 2021 habe der Kläger einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt, der die bereits zu diesem Zeitpunkt verjährte Forderung nicht mehr hemmen konnte.
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Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
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Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Landgericht habe zu Unrecht den Anwendungsbereich des § 199 Abs. 3a BGB verneint. Der Kläger begehre Schadensersatz aufgrund seiner Nacherbenstellung. Dieser Anspruch setze zwingend die Kenntnis des Erbvertrags voraus. Es gelte daher die 30-jährige Verjährungsfrist, die erst im Jahr 2023 ablaufe. Vor Auffinden des Erbvertrages im Jahr 2016 sei dem Kläger die Existenz unbekannt gewesen. Zudem habe das Landgericht die Verjährungsvorschrift § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB n. F. falsch angewendet. Der Schaden sei erst mit Eintritt des Nacherbfalles eingetreten. Ein Schaden des Nacherben könne nicht vor Eintritt des Nacherbfalles angenommen werden, wenn während der Zeit der (unbekannten) Vorerbschaft der falsche Erbe Grundstücke veräußere. Der Nacherbe habe verschiedene Schadensersatzansprüche gegen den Vorerben, die alle erst mit Eintritt des Nacherbfalles entstehen würden. Der Nacherbe habe vor Eintritt des Nacherbfalles lediglich eine gesicherte Aussicht auf die Erbschaft. Dritten gegenüber könne diese nicht geltend gemacht werden. Der Nacherbe könne den Vorerben nicht davon abhalten, Verfügungen vorzunehmen. Selbst bei Kenntnis des Erbvertrages habe die Vorerbin über die Grundstücke verfügen können, ohne dass der Kläger bis zum Eintritt des Nacherbfalles einen Schadensersatzanspruch hätte geltend machen können. Daher sei der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles auch nicht in Vermögenspositionen konkret gefährdet oder eingeschränkt. Der Schaden sei erst mit Eintritt des Nacherbfalles, also am xx.08.2018 entstanden. Damit laufe die Verjährung nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB bis 01.09.2028. Die Einrede der Verjährung verstoße gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, § 242 BGB. Die schädigende Handlung der Beklagten habe dazu geführt, dass der Kläger erst 2016 – 30 Jahre nach Abschluss des Erbvertrages – von diesem Kenntnis erlangt habe. Die Erhebung der Einrede sei damit unbillig.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 10.08.2022 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Landgericht Würzburg zurückverwiesen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das Ersturteil. Die Verjährungsvorschrift des § 199 Abs. 3a BGB sei nicht anwendbar, weil der behauptete Klageanspruch nicht unmittelbar auf einem Erbfall beruhe. Es werde vorliegend ein Amtshaftungsanspruch geltend gemacht, der nicht originär und unmittelbar mit dem Erbfall verknüpft sei. Vielmehr beruhe der Anspruch auf Handlungen und Rechtsgeschäften, die sich nach dem Tode des Erblassers ergeben haben. Zutreffend habe das Landgericht auch die Verjährungsvorschrift des § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB angewendet. Der Schaden sei zutreffend bereits mit der Verkürzung des Nacherbenanwartschaftsrechts entstanden und nicht erst mit Eintritt des Nacherbfalles. Vorliegend würden keine Ansprüche gegen einen Vorerben oder einen Scheinerben geltend gemacht. Bei Eintritt des Nacherbfalles sei der Nachlass schon geschädigt gewesen. Zudem sei der Amtshaftungsanspruch bereits nach der 3-jährigen Regelverjährung verjährt. Bereits der Witwe des Erblassers habe der behauptete Amtshaftungsanspruch als Geschädigte zugestanden. Dieser Anspruch sei auf den Nacherben und jetzigen Kläger übergegangen. Der Gläubigerwechsel habe auf die Verjährung keinen Einfluss. Die Ehefrau des Erblassers habe als Vertragspartnerin auch Kenntnis von dem notariellen Erbvertrag gehabt. Wegen der Nichtberücksichtigung des Erbvertrages sei sie als Erbin übergangen worden. Kenntnis davon habe sie nach der Mitteilung des Nachlassgerichts an sie, dass sie als Ehegattin nicht Erbin des Erblassers geworden sei, gehabt. Der Anspruch sei daher bereits am 31.12.1996 verjährt gewesen. Der Amtshaftungsanspruch der Vorerbin sei auch durch den Nacherbfall nicht wieder aufgelebt. Auch nach der 10-jährigen Höchstfristregelung sei Verjährung eingetreten. Danach wäre der Amtshaftungsanspruch der Vorerbin jedenfalls zum 01.01.2012 verjährt. Selbst bei Verkauf des letzten Grundstücks im Jahr 2017 wäre die Verjährung mit Ablauf des Jahres 2017 eingetreten. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben durch Erhebung der Einrede der Verjährung liege nicht vor.
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Ergänzend wird auf die Berufungsbegründung vom 19.10.2022 und die Berufungserwiderung vom 23.12.2022 verwiesen.
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Der Senat hat zunächst durch Beschluss vom 01.03.2023 darauf hingewiesen, dass auch unter Berücksichtigung einer vom Landgericht nicht erörterten Hemmung wegen höherer Gewalt gemäß § 206 BGB keine Erfolgsaussichten bestehen und eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt ist. Mit Gegenerklärung vom 29.03.2023 führte der Kläger aus, dass erst mit vollständiger Aktenkenntnis der Nachlassakten am 05.08.2019 Wegfall der höheren Gewalt eingetreten sei. Beginnend mit Schriftsatz vom 10.10.2019 sei es bis zum 29.01.2021 zu Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung der Beklagten gekommen. Dem ist die Beklagte in den Schriftsätzen vom 19.04.2023, 22.05.2023 und 23.05.2023 nicht entgegengetreten.
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Mit Verfügung vom 25.04.2023 hat der Senat Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und darauf hingewiesen, dass eine Hemmung der kenntnisunabhängigen 10-jährigen Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB, Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB durch höhere Gewalt wegen Unkenntnis der Pflichtverletzung in Betracht kommt.
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Durch weiteren Hinweis vom 27.07.2023 äußerte der Senat Bedenken, ob der Zeitpunkt des Wegfalls höherer Gewalt erst auf den 05.08.2019 zu datieren sei, weil der Kläger bereits vor dem Erhalt des Schreibens des Notariats Dr. F. am 01.04.2019 durch die Kenntnis vom übergegangenen Erbvertrag von 1986 Nachforschungen betrieben habe.
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In der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2023 wurde dem Kläger nachgelassen, auf den Hinweis des Senats vom 27.07.2023 Stellung zu nehmen. Auf die daraufhin erfolgte Stellungnahme des Klägers vom 07.09.2023 wird Bezug genommen.
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Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, weil die zulässige Klage unbegründet ist. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil aufgrund der im Schriftsatz der Beklagten vom 02.08.2021 erhobenen Einrede der Verjährung ein Anspruch gemäß § 839 BGB nicht mehr durchsetzbar ist, § 214 BGB.
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1. Nach alter Rechtslage bis zur Schuldrechtsreform 2002 war der Anspruch wegen einer behaupteten Amtspflichtverletzung 1993/1994 nicht verjährt. Gemäß § 195 BGB (i. d. F. v. 1.1.1964) betrug die regelmäßige Verjährungsfrist 30 Jahre und begann mit der Entstehung des Anspruchs.
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Mit der Schuldrechtsreform 2002 wurde die regelmäßige 3-jährige Verjährung gemäß § 195 BGB eingeführt. Kenntnisunabhängig verjähren Ansprüche wegen Amtspflichtverletzungen gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB in 10 Jahren von ihrer Entstehung an. Für familien- und erbrechtliche Ansprüche verblieb es bei der 30-jährigen Verjährung gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB i. d. F. v. 02.01.2002. Mit der Gesetzesänderung zum Jahr 2010 fiel die Vorschrift des § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Wegfall. Dafür wurde die Vorschrift des § 199 Abs. 3a BGB geschaffen.
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Auf dieser Grundlage hat das Landgericht die Verjährungsvorschriften richtig angewendet.
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2. Die kenntnisunabhängige Verjährung gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB in 10 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an war spätestens im Jahr 2017 abgelaufen (a.). Eine Ablaufhemmung wegen höherer Gewalt entsprechend § 206 BGB kommt nicht in Betracht (b.). Die Erhebung der Einrede verstößt nicht gegen Treu und Glauben, § 242 BGB (c.).
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a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche Anspruch nicht unter den Anwendungsbereich von § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB (i. d. F. v. 02.01.2002) und § 199 Abs. 3a BGB (aktuelle Fassung) fällt.
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Unter „erbrechtlichen Ansprüchen“ im Sinne der Vorschrift des § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB (i. d. F. v. 02.01.2002) sind alle Ansprüche zu verstehen, die sich „aus“ dem mit „Erbrecht“ überschriebenen Buch 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergeben (BGH, Urteil vom 18. April 2007 – IV ZR 279/05 –, Rn. 7, juris). Der geltend gemachte Amtshaftungsanspruch ist davon nicht erfasst.
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Von § 199 Abs. 3a BGB (aktuelle Fassung) sind nur solche Ansprüche erfasst, die originär und unmittelbar mit dem Erbfall verknüpft sind und nicht nur in irgendeiner Weise mit ihm in Zusammenhang stehen. Unter die Vorschrift fallen etwa Fälle, bei denen es um die schwierige und zeitaufwändige Feststellung der Erben geht, bei denen ein Testament erst spät aufgefunden wird oder dessen Gültigkeit erst nach langer Zeit geklärt werden kann (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2015 – IV ZB 39/14 –, Rn. 19, juris). Sekundäransprüche, die nur mittelbar auf einem Erbfall beruhen, sind nicht § 199 Abs. 3a BGB zuzuordnen (Staudinger/Peters/Jacoby (2019) BGB § 199, Rn. 102).
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Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Amtshaftungsanspruch nicht originär und unmittelbar mit dem Erbfall verknüpft ist, sondern auf einer behaupteten Verletzung der Mitteilungspflicht der Beklagten nach Eingang der Todesfallmitteilung beruht. Überdies handelt es sich nicht um einen erbrechtlichen Anspruch, nur für solche ist überhaupt erst der Anwendungsbereich der Norm eröffnet. Nach § 199 Abs. 3a BGB sollen nur bestimmte erbrechtliche Ansprüche von der kürzeren Frist des § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB ausgenommen werden. Gesetzgeberisches Motiv war, dass für die erbrechtlichen Ansprüche in Buch 5 die bisherige Sonderverjährung nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich entfallen sollte und statt dessen die Regelverjährung gemäß §§ 195, 199 BGB gilt (Begr. RegE, BR-Drs. 96/08, 23). Mit § 199 Abs. 3a BGB sollte jedoch den typischerweise auftretenden Schwierigkeiten bei der Feststellung der maßgeblichen Umstände in bestimmten Konstellationen Rechnung getragen werden (a.a.O.).
36
b) Nach der daher anwendbaren kenntnisunabhängigen Verjährung gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB war die Verjährungsfrist spätestens am 01.10.2019 abgelaufen. Die in der Folgezeit durchgeführten Verhandlungen zwischen dem Kläger und der Versicherung der Beklagten konnten wegen bereits abgelaufener Verjährung eine Hemmung nach § 203 BGB nicht mehr herbeiführen. Die Verjährung begann auch nicht neu nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Durch den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers wurde die Verjährung nicht mehr erneut gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB gehemmt.
37
aa) Die 10-jährige Verjährungsfrist begann mit der Entstehung des Anspruchs im Jahr 1994 zu laufen, § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB.
38
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde am 02.02.1994 dem Halbbruder des Klägers ein Erbschein als Alleinerbe ausgestellt, nachdem das Standesamt der Beklagten pflichtwidrig einen Hinweis auf den Erbvertrag vom ... 1986, aus welchem der Kläger ein Nacherbrecht herleitete, unterlassen hatte. Im Zeitraum 1999 bis 2007 verfügte der Halbbruder des Klägers als Scheinerbe über Nachlassgegenstände und beeinträchtigte dadurch das Anwartschaftsrecht des Klägers als wahrer Nacherbe.
39
(1) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Amtshaftungsanspruch bereits bis zum Jahr 2007 entstanden war. Zu diesem Zeitpunkt war zwar der Nacherbfall noch nicht eingetreten. Jedoch erwirbt der Kläger als Nacherbe schon beim (Vor-)Erbfall mehr als die Aussicht, künftig Erbe zu werden. Neben dem zukünftigen Erbrecht erlangt er eine unentziehbare und unbeschränkbare Rechtsstellung, die ihm in Bezug auf die Erbschaft zahlreiche einzelne Rechte gewährt und sein zukünftiges Erbrecht sichert (BGH, Urteil vom 9. Juni 1983 – IX ZR 41/82, Rn. 26). Die Rechtsstellung des Nacherben bildet in ihrer Gesamtheit ein Anwartschaftsrecht. Schon vor dem Nacherbfall stellt es mithin einen gegenwärtigen Vermögenswert in der Hand des Nacherben dar. Da eine entgeltliche Veräußerung des Anwartschaftsrechtes möglich ist, besitzt das Recht einen objektivierbaren Wert (BGH, Urteil vom 9. Juni 1983 – IX ZR 41/82, Rn. 26).
40
Als „sonstiges“ Recht gemäß § 823 Abs. 1 BGB ist es auch deliktisch geschützt, sodass der Nacherbe, insbesondere bei Beschädigung der anwartschaftlich zugeordneten Nachlassgegenstände, grundsätzlich Schadensersatz verlangen kann. Voraussetzung ist aber ein konkreter Schaden, der entweder nach Eintritt des Nacherbfalls infolge des Mindererwerbs oder schon vorher nach Veräußerung des Anwartschaftsrechts infolge des Mindererlöses entsteht (Staudinger/Avenarius (2019) BGB § 2100, Rn. 73). Der konkrete Schaden realisiert sich in diesem Fall zwar erst nach Eintritt des Nacherbfalls in einem Mindererwerb durch den Nacherben (BeckOGK/Küpper, 1.1.2023, BGB § 2100 Rn. 125). Die Anwartschaft des Nacherben ist jedoch ein absolut geschütztes Recht auf erbrechtlichen Erwerb des Nachlasses, das nicht an den Nachlassgegenständen selbst besteht (Staudinger/Avenarius (2019) BGB § 2100, Rn. 81). Der Schadensersatzanspruch ist deshalb seinem Rechtsgrunde nach bereits vor Eintritt des Nacherbfalls entstanden, soweit das Anwartschaftsrecht des Nacherben durch die Amtstätigkeit eines Notars beeinträchtigt werden konnte (BGH, Urteil vom 11. Juni 1987 – IX ZR 87/86 –, Rn. 22, juris, für den Fall der Amtspflichtverletzung eines Notars). Dieselben Grundsätze gelten für eine Haftung aus § 839 BGB.
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(2) Dem Kläger kann nicht darin gefolgt werden, dass der Amtshaftungsanspruch des Klägers erst mit Eintritt des Nacherbfalls am xx.08.2018 mit Versterben der Vorerbin entstanden ist und damit die kenntnisunabhängige Verjährung zu laufen begann. Zunächst ist der Kläger darauf zu verweisen, dass es sich bei dem hier gegenständlichen Amtshaftungsanspruch nicht um einen Anspruch des Nacherben handelt, der den §§ 2100 ff. BGB entspringt. Eine Regelung, dass sämtliche Ansprüche des Nacherben, die auch nur im Entferntesten mit seiner Nacherbenstellung in Zusammenhang stehen, erst mit Eintritt des Nacherbenfalls entstehen, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
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Hierzu sind auch die Ausführungen des Klägers im nachgelassenen Schriftsatz vom 07.09.2023 nicht ergiebig. Ausdrücklich führt der BGH aus, dass der Schadensersatzanspruch des Nacherben seinem Rechtsgrunde nach bereits entstanden ist (BGH, Urteil vom 11. Juni 1987 – IX ZR 87/86 –, Rn. 22, juris). In dem zugrunde liegenden Fall klagte der für die unbekannten Nacherben bestellte Pfleger auf Feststellung der Schadensersatzpflicht, bevor der Nacherbfall eingetreten war. Auch aus den weiteren Ausführungen des Klägers ergibt sich lediglich zutreffend, dass eine Anwartschaft des Nacherben auf das künftige Erbe, nicht jedoch auf einzelne Gegenstände oder die Sachgesamtheit der Gegenstände besteht. Daraus wird jedoch wiederum deutlich, dass es für die Entstehung des Anspruchs dem Grunde nach nicht auf Verfügungen des vermeintlichen Erben über Nachlassgegenstände ankommt. Der Amtshaftungsanspruch ist vielmehr im Jahr 1994 mit Ausstellung des Erbscheins an den Bruder des Klägers entstanden. Zu diesem Zeitpunkt kam es zur Beeinträchtigung des klägerischen Nacherbenrechts, wenngleich sich ein konkreter Schaden erst später realisierte.
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(3) Dem steht auch nicht entgegen, dass ein eigener einklagbar Zahlungsanspruch dem Kläger vor Eintritt des Nacherbfalls noch nicht zustand. Entstanden ist ein Anspruch in dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte den Anspruch erstmals geltend machen und ihn im Wege der Klage, sei es auch einer Feststellungsklage, verfolgen kann (st. Rspr. BGH, Urteil vom 19. Mai 2022 – VII ZR 149/21 –, Rn. 24, juris). Die Erhebung einer Feststellungsklage auf Feststellung einer Amtspflichtverletzung durch die Beklagte war bereits zu früherem Zeitpunkt zumutbar und möglich. Vor Eintritt des Nacherbfalls hat der Nacherbe zwar keine Erbenrechte (Staudinger/Avenarius (2019) BGB § 2100, Rn. 90). Er kann jedoch schon vor Eintritt des Nacherbfalls im Hinblick auf den Bestand seines künftigen Erbrechts ein Feststellungsinteresse haben (Staudinger/Avenarius (2019) BGB § 2100, Rn. 91). Das RG hat den Nacherben schon vor Eintritt des Nacherbfalls mit der Feststellungsklage zugelassen, dass die Nichterwähnung seines Nacherbenrechtes im Erbschein auf Amtspflichtverletzung beruhe und ihm infolge unwirtschaftlicher Verwaltung der Erbschaft durch den Vorerben Schaden bereits erwachsen sei und in Zukunft erwachsen werde, den er bei Angabe seines Rechts im Erbschein hätte verhüten können (Nachweis in Staudinger/Avenarius (2019) BGB § 2100, Rn. 91). Der Nacherbe kann im Beeinträchtigungsfalle sein Anwartschaftsrecht schon vor dem Nacherbfall durch Feststellungsklage geltend machen (Grüneberg BGB, 82. Auflage 2023, § 2100, Rn. 17).
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bb) Eine zunächst bestehende Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt endete spätestens mit Ablauf des 01.10.2019.
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(1) Auch wenn von einer Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt analog § 206 BGB ausgegangen wird, weil der Kläger keine Kenntnis von der Pflichtverletzung hatte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – V ZR 79/18 –, Rn. 6, juris), wäre der Anspruch verjährt. Die Hemmung der Verjährung analog § 206 BGB führt nämlich nur dazu, dass sich die Verjährungsfrist nach Wegfall des Hindernisses um höchstens sechs Monate verlängert (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – V ZR 79/18 –, Rn. 7, juris).
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§ 206 BGB sieht eine Hemmung der Verjährung vor, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Es handelt sich um eine im Interesse des Schuldners eng auszulegende zusätzliche Schutzvorschrift (BGH, Urteil vom 13. November 2019 – IV ZR 317/17, Rn. 30). Höhere Gewalt liegt nur vor, wenn die Verhinderung auf Ereignissen beruht, die auch durch äußerste, nach der Sachlage vom Betroffenen vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnten; schon das geringste Verschulden schließt höhere Gewalt aus (BGH, Urteil vom 30. Juli 2008 – XII ZR 18/07 –, Rn. 32f.).
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(2) Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Zeitpunkt für den Wegfall des Hindernisses wegen höherer Gewalt nicht erst auf den 05.08.2019 zu datieren. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die höhere Gewalt bereits vor dem Erhalt des Schreibens des Notariat Dr. F. am 01.04.2019 weggefallen war. Dieses Schreiben war eine Reaktion darauf, dass durch den Bevollmächtigten des Klägers bereits Nachforschungen betrieben wurden. Anlass für diese Nachforschungen war die bereits zu einem früheren Zeitpunkt erlangte Kenntnis des Klägers, dass im Nachlassverfahren zunächst ein falscher Erbschein an den Scheinerben erteilt wurde, bei dessen Erteilung der den Kläger begünstigende Erbvertrag nicht berücksichtigt worden war.
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Zudem ergibt sich aus der beigezogenen Nachlassakte des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Kitzingen, Az. VI 0612/93, dass der Kläger bereits im Jahr 2016 als Beteiligter des Erbscheineinziehungsverfahrens Kenntnis von der Existenz des übergegangenen Erbvertrags von 1986 erlangt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ihm bewusst, dass er als Vorerbe nicht berücksichtigt und in seinen Rechten übergangen worden war. Bereits ab diesem Zeitpunkt musste sich dem Kläger eine Rechtsverfolgung aufdrängen. Vom Fehlen einer realistischen Möglichkeit, sein Recht durchzusetzen, kann nicht mehr gesprochen werden. Die Verhinderung der Rechtsdurchsetzung wegen höherer Gewalt entfiel damit bereits im Jahr 2016.
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Soweit die Berufung meint, dass erst mit Vorliegen der Gerichtsakten am 05.08.2019 und der Auskunft der Notarin positiv festgestellt werden konnte, dass das Standesamt der Beklagten seine Informationsverpflichtung nicht erfüllt hatte, der Fehler also bei der Beklagten lag, und deshalb zu diesem Zeitpunkt die höhere Gewalt weggefallen sei, verkennt sie, dass der Wegfall der höheren Gewalt keine positive Kenntnis von der Person des Schuldners voraussetzt. Durch die höhere Gewalt trat vorliegend eine Ablaufhemmung der kenntnisunabhängigen Verjährung ein. Nur solange der Kläger keine Kenntnis von der fehlenden Berücksichtigung des Erbvertrages im Nachlassverfahren hatte und deshalb an der Durchsetzung seiner Rechte gehindert war, kommt höhere Gewalt in Betracht. Der Kläger hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Jahr 2016 durch Einsicht in die Nachlassakten tätig werden können. Damit hat er nicht die erforderliche Sorgfalt walten lassen.
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(3) Unabhängig davon wäre ein Wegfall des Hindernisses auch bei Kenntniserlangung durch ein Schreiben des Notariats Dr. F., welches der Rechtsanwalt des Klägers am 01.04.2019 erhielt, eingetreten. Ab diesem Zeitpunkt lief die 6-monatige Nachfrist, die bei Beginn der Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung der Beklagten durch Schriftsatz vom 10.10.2019 schon abgelaufen war.
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Es kam im Rahmen der Verhandlungen auch nicht zu einem Neubeginn der Verjährung nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Dass es im Rahmen der Verhandlungen zu einem Anerkenntnis der Beklagten gekommen sei, wird vom Kläger nicht vorgetragen und ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Der Kläger trägt im Schriftsatz vom 29.03.2023 lediglich vor, dass mit Schreiben vom 21.01.2021 die Versicherung der Beklagten zur Anerkennung des Anspruchs dem Grunde nach aufgefordert wurde, worauf diese jedoch nicht reagierte. Auch die im Anlagenkonvolut 1 zum Schriftsatz vom 29.03.2023 vorgelegten Schreiben der Versicherung … beinhalten kein Anerkenntnis.
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(4) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers im nachgelassenen Schriftsatz vom 07.09.2023. Zum einen wird für das Vorliegen höherer Gewalt neuer Sachvortrag, der insoweit nicht nachgelassen war, gebracht. Der Schriftsatznachlass bezog sich auf den Hinweis des Senats vom 27.07.2023, wonach davon auszugehen sein könnte, dass die höhere Gewalt bereits vor dem Erhalt des Schreibens des Notariats Dr. F. am 01.04.2019 weggefallen war. Hierauf trägt der Kläger vor, dass ihm seitens des Rechtspflegers des Nachlassgerichts mitgeteilt worden sei, er solle den Eintritt des Nacherbfalls abwarten. Erst dann könne er aktiv etwas unternehmen. Dieser Vortrag bezieht sie ersichtlich nicht auf den erteilten Hinweis und ist deshalb nicht zu berücksichtigen.
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Selbst unter Berücksichtigung dieses Vortrags wäre die höhere Gewalt aufgrund der falschen Auskunft des Rechtspflegers mit Eintritt des Nacherbfalls am xx.08.2018 weggefallen. Lediglich bis zu diesem Zeitpunkt war der Kläger in seiner Rechtsausübung durch die behauptete falsche Auskunft des Rechtspflegers gehindert.
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c) Die Erhebung der Einrede der Verjährung verstößt nicht gegen Treu und Glauben, § 242 BGB.
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Einem Schuldner kann es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sein, sich auf die eingetretene Verjährung zu berufen. Eine unzulässige Rechtsausübung setzt voraus, dass der Schuldner den Gläubiger durch sein Verhalten objektiv – sei es auch unabsichtlich – von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten hat und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre. Insoweit ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21 –, BGHZ 233, 16-47, Rn. 49).
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Dafür finden sich vorliegend keine Anhaltspunkte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Rechtsfragen grundsätzlicher Natur, die über den konkreten Einzelfall hinaus von Interesse sein könnten, haben sich nicht gestellt und waren nicht zu entscheiden.