Titel:
Prozeßbevollmächtigter, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Angriffs- und Verteidigungsmittel, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Mandatsbeendigung, Verspätetes Vorbringen, Elektronischer Rechtsverkehr, Versäumnisurteil, Rückforderungsansprüche, Rechtshängigkeit, Rückzahlungsanspruch, Nebenforderungen, Kostenentscheidung, Örtliche Zuständigkeit, Einspruchsschrift, Deliktsrecht, Tatsächliches Vorbringen, Zahlungsaufforderung, Online-Glücksspiel
Schlagworte:
Verbraucherschutz, Internationale Zuständigkeit, Versäumnisurteil, Rückzahlungsanspruch, Nichtigkeit des Vertrags, Glücksspielvertrag
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55045
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.474,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2023 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung von Einsätzen bei einem Online-Glücksspiel sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.
2
Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz in … und betreibt mit einer Lizenz ihres Heimatlandes unter anderem die Internetplattform … auf der sie verschiedene Glücksspiele online und für jedermann zugänglich in Deutschland und in deutscher Sprache anbietet.
3
Der Kläger wohnt im Bundesland … und spielte über seinen in Deutschland registrierten Account … im Zeitraum vom 22.01.2021 bis 06.07.2021 über die von der Beklagten betriebene Internetseite die dort angebotenen Glücksspiele. Er befand sich in dieser Zeit durchgehend in Deutschland, aber außerhalb des Bundeslandes ….
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Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum über sein in Deutschland geführtes Giro- und Kreditkartenkonto Spieleinsätze in Höhe von insgesamt 18.884,00 € getätigt und Ausschüttungen in Höhe von 3.410,00 € erhalten.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.02.2023 ließ er die Beklagte zur Rückzahlung von 15.474,00 € binnen zwei Wochen auffordern. Dem kam die Beklagte nicht nach.
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Der Kläger trägt vor, er habe die Plattform im Vertrauen auf eine bestehende Lizenz der Beklagten genutzt, die tatsächlich nicht gegeben gewesen sei. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass das Glücksspiel in Deutschland verboten sei. Er habe deshalb Anspruch auf Rückzahlung seiner Einsätze abzüglich der Ausschüttungen bzw. Gutschriften sowie auf Freistellung von den ihm entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.305,43 €. Zudem befinde sich die Beklagte seit Ablauf der im Schreiben vom 27.02.2023 gesetzten Frist in Verzug.
- 1.
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 15.474,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.03.2023 zu zahlen, und
- 2.
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die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von vorgerichltichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.305,43 € gegenüber der … freizustellen.
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Die Beklagte ist der Klage nach Zustellung der Klageschrift am 19.05.2023 zunächst- und bis zur Mandatsbeendigung ihrer Prozessbevollmächtigten – entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage erweist sich – bis auf die Nebenforderungen – als schlüssig.
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Die Klage ist zulässig und insbesondere das Landgericht München I international sowie örtlich zuständig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgen vorliegend aus Art. 17, 18 EuGVVO, weil der Kläger Verbraucher ist. Die Beklagte ist im Sinne von Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ein beruflich oder gewerblich handelnder Vertragspartner. Der streitgegenständliche Glücksspielvertrag fällt unter Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVVO, weil die Beklagte ihre berufliche gewerbliche Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Klägers, mithin auf Deutschland, ausgerichtet hatte. Dies folgt schon daraus, dass die Website der Beklagten in deutscher Sprache gehalten.
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Die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils sind gem. § 331 Abs. 1 und 2 ZPO gegeben. Nach ordnungsgemäßer Zustellung der Klage am 19.05.2023 hat sich zunächst ein Prozessbevollmächtigter für die Beklagte bestellt und auf die Klage erwidert. Daraufhin ist Termin auf den 21.12.2023 anberaumt und der Beklagtenvertreter zu diesen Termin ordnungsgemäß geladen worden. Er hat mit Schriftsatz vom 30.11.2023 die Mandatsbeendigung mitgeteilt sowie erklärt, dass die Beklagte voraussichtlich keine neuen Prozessbevollmächtigten benennen wird. Es hat sich auch keine neue Prozessbevollmächtigte bzw. kein neuer Prozessbevollmächtigter bestellt, im Termin vom 21.12.2023 ist für die Beklagten niemand erschienen. Dementsprechend ist auf Antrag des Klägers im Wege des Versäumnisurteils gem. § 331 Abs. 2 ZPO zu entscheiden, wobei gem. § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO das tatsächliche Vorbringen des Klägers als zugestanden anzusehen ist.
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Die Klage ist – mit Ausnahme der Nebenforderungen – unter Zugrundelegung des zugestandenen Klägervortrags schlüssig. Der Kläger hat danach einen Anspruch auf Rückzahlung von 15.474,00 € gem. §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB sowie auf Prozesszinsen hieraus seit Rechtshängigkeit gem. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Ein weitergehender Anspruch besteht demgegenüber nicht.
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1. Anwendbares Recht ist gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom-I-VO das deutsche materielle Recht, weil die Beklagte ihre Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Klägers (Deutschland) ausgerichtet hat und deshalb deutsches Recht zur Anwendung kommt. Von dieser Verweisung sind gemäß Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO auch die vorliegend entscheidenden Fragen der Nichtigkeit eines Vertrags sowie die bereicherungsrechtlichen Folgen (Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO) erfasst.
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2. Dem Kläger steht aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 15.474,00 € zu, weil der Vertrag mit der Beklagten über die Teilnahme an dem von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen keinen tauglichen Rechtsgrund bildet, da der Vertrag wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 nichtig ist und dem Anspruch keine Einwände, insbesondere nicht solche nach § 817 Satz 2 BGB, entgegenstehen.
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2.1 Die Beklagte hat durch die Einzahlungen des Klägers in Höhe von insgesamt 18.884,00 € entsprechende Vermögensvorteile im Sinne von § 812 Abs. 1 BGB erlangt.
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2.2 Der zwischen den Parteien zustande gekommene Vertrag verstößt gegen die Regelung in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012. Das Veranstalten von Glücksspielen ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Glücksspielstaatsvertrages ohne Erlaubnis der zuständigen Landesbehörde verboten. Über eine Erlaubnis der zuständigen Behörde zum Veranstalten von Glücksspielen verfügt die Beklagten nicht. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist deswegen gemäß § 134 BGB nichtig.
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2.3 Dem Anspruch auf Rückzahlung gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB stehen weder § 817 Satz 2 BGB noch § 762 BGB oder § 242 BGB entgegen.
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2.3.1 Gemäß § 817 Satz 2 BGB ist die Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden selbst gleichfalls ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten zur Last fällt. Zwar dürfte dies vorliegend der Fall sein, weil der Kläger objektiv gegen § 85 StGB verstieß. Indes setzt § 817 Satz 2 BGB nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Leistende, vorliegend also der Kläger, bewusst verbotswidrig oder sittenwidrig gehandelt haben muss (vgl. Grüneberg in ders., 82. Aufl. 2023, § 817 Rz. 17 m.w.N.). Der Kläger hat angegeben, im Vertrauen auf die Legalität der von der Beklagten angebotenen Glücksspiele gespielt zu haben und von dem Verbot nicht gewusst zu haben. Dieses tatsächliche Vorbringen des Klägers gilt wegen der Säumnis der Beklagten gem. § 331 Abs. 1 ZPO als zugestanden.
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2.3.2 Der Rückforderung steht auch nicht die Regelung des § 762 BGB entgegen, da diese Norm gerade nur dann die Rückforderung des zum Zwecke des Spiels Geleisteten ausschließen soll, wenn es sich um einen legalen Spielvertrag handelt, was vorliegend gerade nicht der Fall ist (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 23. Februar 2023 – 9 U 3/22 –, Rn. 154, juris).
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2.3.3 Auch § 814 BGB steht dem Anspruch nicht entgegen, weil der Kläger jedenfalls keine positive Kenntnis vom Verbot der Teilnahme am Onlineglücksspiel und der Rechtswidrigkeit der von der Beklagten angebotenen Spielteilnahme hatte (s.o.).
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2.3.4 Schließlich steht auch § 242 BGB einem Rückforderungsanspruch des Klägers nicht entgegen. Weil sich (zumindest auch) die Beklagte nicht gesetzestreu verhalten hat, sind ihre eigenen Interessen nicht gegenüber den Interessen des Klägers vorrangig schutzwürdig im Sinne von § 242 BGB.
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2.4 Der Kläger hat daher Anspruch gem. § 818 Abs. 2 BGB auf Rückzahlung des von ihm Geleisteten, muss sich allerdings die durch die Beklagte während der online-Glücksspiele bereits erhaltenen Gutschriften bzw. Auszahlungen von zusammen 3.410,00 € entgegenhalten lassen, so dass ein Anspruch noch in Höhe von 15.474,00 € – entsprechend dem Klageantrag zu 1 – besteht.
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2.5 Der Kläger hat zudem auch Anspruch auf Zinsen in der gesetzlichen Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB seit Rechtshängigkeit, d.h. seit Zustellung der Klage an die Beklagte. Die Klage ist am 19.05.2023 zugestellt worden, so dass entsprechend ab dem 20.05.2023 Zinsen zu zahlen sind.
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3. Ein weitergehender Anspruch auf Zinsen schon seit dem 14.03.2023 und auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht demgegenüber nicht.
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3.1 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verzugszinsen für den Zeitraum vom 14.03.2023 bis zum 19.05.2023. Denn bereits nach dem klägerischen Vortrag ist ein verzugsbegründenden Ereignis nicht vorgetragen. Die erstmalige Zahlungsaufforderung im anwaltlichen Schreiben vom 27.02.2023 kann nicht zugleich eine Mahnung gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen und die darin gesetzte Frist von zwei Wochen vermag gleichfalls keinen Verzug zu begründen; insbesondere handelt es sich dabei nicht um einen nach dem Kalender bestimmten oder bestimmbaren Zeitpunkt gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, denn diese bezieht sich nur auf einen übereinstimmend vereinbarten und eindeutigen (etwa durch ein Datum bestimmten) Leistungszeitpunkt (vgl. Grüneberg, a.a.O., § 286, Rz. 22 m.w.N.).
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3.2 Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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3.2.1 Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB, weil der Kläger seine Prozessbevollmächtigten mit der vorgerichtlichen Geltendmachung mandatierte, bevor die Beklagte wirksam in Verzug gesetzt worden ist (vgl. Oben), so dass sich die Kosten nicht als Verzugsschaden darstellen.
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3.2.2 Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 812 BGB, weil es sich insoweit nicht um eine Bereicherung der Beklagten handelt.
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3.2.3 Ein Anspruch kommt schließlich auch nicht aus Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) in Betracht. Grundsätzlich können zwar auch die zur außergerichtlichen Durchsetzung eines Schadenersatzanspruches erforderlichen Rechtsanwaltskosten einen ersatzfähigen Schaden darstellen, indessen setzt das jedoch voraus, dass die Beauftragung dazu erforderlich und zweckmäßig war. Beides ist vorliegend nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Zum einen hat der Kläger vor der Mandatierung seiner Prozessbevollmächtigten keinerlei eigene Maßnahmen zur Geltendmachung von Ansprüchen ergriffen, was, nachdem die gesamte Beziehung zur Beklagten digital abgewickelt wurde, zumindest im Wege einer E-Mail nahegelegen hätte. Zum andern ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass überhaupt begründete Aussichten auf eine erfolgreiche außergerichtliche Durchsetzung nach Mandatierung seines Rechtsanwalts bestanden. Entsprechend ist damit ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe der Rechtsanwaltskosten nicht schlüssig dargetan, so dass die Klage insoweit abzuweisen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 2 ZPO.