Inhalt

VG München, Urteil v. 05.07.2023 – M 17 K 23.1194
Titel:

Beihilferecht, Osteopathische Behandlung der Wirbelsäule, Craniosacrale osteopathische Behandlung, Medizinische Notwendigkeit, Analogberechnung

Normenketten:
BayBG Art. 96 Abs. 2
BayBhV § 7
GOÄ § 6 Abs. 2 S. 1
GOÄ-Nr. 3306 analog
GOÄ-Nr. 527 analog
Schlagworte:
Beihilferecht, Osteopathische Behandlung der Wirbelsäule, Craniosacrale osteopathische Behandlung, Medizinische Notwendigkeit, Analogberechnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55035

Tenor

I. Unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 6. Februar 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2023 wird der Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine weitere Beihilfe in Höhe von 7,89 € zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat die Klägerin 3/4 und der Beklagte 1/4 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt weitere Beihilfeleistungen für eine osteopathische Behandlung ihrer am … … 2010 geborenen Tochter …, wobei der maßgebliche Bemessungssatz 80% beträgt.
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Mit Leistungsantrag vom 15. Januar 2023 machte die Klägerin u.a. die Gewährung von Beihilfe für eine Rechnung des Arztes Dr. … M … vom 2. Januar 2023 über einen Betrag von 152,54 € für die Behandlung ihrer Tochter … am 2. Januar 2023 geltend.
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Hiervon erkannte das Landesamt durch Bescheid vom 6. Februar 2023 Aufwendungen in Höhe von 112,86 € als beihilfefähig an und gewährte eine Beihilfe in Höhe von 90,29 €. Zur Begründung der Kürzungen der Rechnung wurde unter Hinweis-Nr. 1146 erläutert, dass ein gezielter chiropraktischer Eingriff an der Wirbelsäule nach GOÄ-Nr. 3306 nur einmal je Sitzung berechnungsfähig sei (§ 7 Abs. 1 BayBhV, Leistungsverzeichnis der Gebührenordnung für Ärzte – GOÄ).
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 18. Februar 2023 Widerspruch. Sie führte aus, dass ihre Tochter am 2. Januar 2023 wegen eines Sturzes in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Aus den Kürzeln hinter der GOÄ-Nr. 3306 in der Rechnung ergebe sich, dass eine osteopathische Behandlung der Wirbelsäule („w“), der Extremitäten („e“) und des Schädels („s“) durchgeführt worden sei. In den vergangenen Jahren seien diese Leistungen immer erstattet worden, wenn die GOÄ mehrfach, aber mit verschiedenen unterschiedlichen Kürzeln in einer Rechnung aufgeführt gewesen sei. Ergänzend übersandte sie einen Bericht aus der Zeitschrift „Manuelle Medizin“ 6/2009 zum Urteil des VG Saarlouis vom 23.6.2009 (Az. 3 K 1175/08).
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Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2023 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
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Mit Schreiben vom 13. März 2023, eingegangen am selben Tag, erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie beantragte sinngemäß,
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den Beklagten unter insoweitiger Aufhebung des Bescheids vom 6. Februar 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2023 zu verpflichten, der Klägerin bezüglich der Rechnung vom 2. Januar 2023 weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 31,74 € zu gewähren.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Bayerische Landesärztekammer dem behandelnden Arzt mit Schreiben vom 23. November 2007 mitgeteilt habe, dass die GOÄ-Nr. 3306 grundsätzlich viermal zum Ansatz kommen könne, soweit die vier Bereiche Wirbelsäule, Extremitäten, Schädel und Eingeweide behandelt werden würden. Im Rahmen der Analogbewertung seien die Aufwendungen eines vom Arzt unter analoger Anwendung der GOÄ berechneten Betrags schon dann beihilferechtlich als angemessen anzusehen, wenn sie einer vertretbaren Auslegung der GOÄ entsprächen. Im Hinblick auf eine vertretbare Auslegung kämen Auslegungen einer Ärztekammer in Betracht. Nach den Empfehlungen der Bayerischen Landesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Osteopathische Medizin könnten die in Rechnung gestellten Leistungen analog der GOÄ-Nr. 3306 abgerechnet werden.
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Der Vertreter des Beklagten beantragte mit Schreiben vom 20. April 2023,
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die Klage abzuweisen.
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Die Abrechnung der Osteopathischen Behandlung der Wirbelsäule nach GOÄ-Nr. 3306 analog sei zutreffend. Wie beim unmittelbaren Ansatz der GOÄ-Nr. 3306 bei einem chirotherapeutischen Eingriff an der Wirbelsäule sei der Begriff „Wirbelsäule“ als das gesamte Achsorgan zu verstehen, weshalb bei der Behandlung unterschiedlicher Abschnitte der Wirbelsäule in einer Sitzung die GOÄ-Nr. 3306 nur einmal berechnungsfähig sei. Auch die Kopfgelenke stellten einen Teilbereich der Wirbelsäule dar, weshalb ein gesonderter Ansatz der GOÄ-Nr. 3306 analog für die osteopathische Behandlung des Schädels nicht anzuerkennen sei. Für eine osteopathische Behandlung der Extremitäten sei die medizinische Notwendigkeit nicht gegeben, da laut Diagnose nur eine osteopatische Untersuchung und Behandlung der Wirbelsäule und des Schädels stattgefunden habe. Selbst wenn eine osteopathische Behandlung der Extremitäten durchgeführt worden sei, könne diese nicht nach GOÄ-Nr. 3306 analog abgerechnet werden, da diese Gebührenziffer nur eine Behandlung an der Wirbelsäule beinhalte. Nach Auskunft der Bundesärztekammer würden die Gebührenexperten der Landesärztekammern zwischenzeitlich die Abrechnung osteopathischer Leistungen auf Basis des „Igel-Kompendiums für die Arztpraxis“ empfehlen, wonach die GOÄ-Nr. 3306 allein für die Behandlung der Wirbelsäule vorgesehen sei. Für sonstige osteopathische Behandlungen würden andere Analogpositionen mit einer geringeren Bewertung als angemessen angesehen werden.
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Mit Schreiben vom 10. Mai 2023 übersandte die Klägerin eine Stellungnahme des behandelnden Arztes vom 4. Mai 2023, in der dieser darauf hinwies, dass bei der Patientin praktisch in jeder Sitzung die Extremitäten mitbehandelt worden seien. Bei der Diagnosestellung sei auch immer die Diagnose „Blockierung eines Fußwurzelknochens bds.“ angeführt worden. Hinsichtich der Abrechnung der GOÄ-Nr. 3306s für die osteopathische Behandlung des Schädels seien die Schädelknochen (craniosacrales System) behandelt worden. Die entsprechende Diagnose laute „segmentale und somatische Funktionsstörungen im Kopfbereich“.
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Der Vertreter des Beklagten erwiderte mit Schreiben vom 2. Juni 2023, dass die Diagnose mit den abgerechneten Behandlungen nicht in Einklang zu bringen sei. Entgegen dem Arztbrief vom 4. Mai 2023 sei die Diagnose „Blockierung eines Fußwurzelknochens bds.“ in der streitgegenständlichen Rechnung nicht als Diagnose aufgeführt, sondern lediglich eine osteopathische Untersuchung und Behandlung der Wirbelsäule. Unabhängig davon sei die Angemessenheit der Ansätze fraglich. Der behandelnde Arzt stütze sich auf die Empfehlung des Bundesverbandes deutscher osteopathischer Ärzteverbände (BDOÄ), welche eine Interessenvertretung osteopathischer Behandler darstellen. Nicht mehr zutreffend sei, dass auch die Bayerische Landesärztekammer die Abrechnungsempfehlung der BDOÄ empfehle. Diese sehe zwischenzeitlich das „IGeL-Kompendium für die Arztpraxis“ als Abrechnungsgrundlage für Analogleistungen bei Osteopathie an, worauf der BDOÄ auch auf seiner Homepage hinweise.
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Mit Schreiben jeweils vom 20. April 2023 erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
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Mit Beschluss vom 25. April 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 7,89 € für die Aufwendungen betreffend die craniosacrale osteopathische Behandlung ihrer Tochter … am 2. Januar 2023; der Bescheid vom 4. Februar 2023 und der Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2023 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Übrigen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die streitgegenständlichen Bescheide sind insoweit rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO), so dass die Klage im Übrigen abzuweisen war.
I.
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage statthaft, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Denn bei verständiger Würdigung des klägerischen Begehrens gemäß § 88 VwGO zielt der Antrag der nicht anwaltlich vertretenen Klägerin auf die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts zur Gewährung weiterer Beihilfeleistungen in Höhe von 31,74 € ab.
II.
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Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Für die vorgenommene Untersuchung und Behandlung entstehen Aufwendungen mit jeder Inanspruchnahme des Arztes (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand Juli 2022, Bd. 2 Anm. 12 zu § 7 Absatz 2 BayBhV). Bei den streitgegenständlichen Behandlungen vom 2. Januar 2023 bestimmt sich die Beihilfefähigkeit daher nach Art. 96 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) vom 23. Juli 2008 (GVBl S. 500) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.12.2021 (GVBl. S. 663) und der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl S. 15) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 18. August 2021 (GVBl S. 558).
III.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 23,89 € hinsichtlich der mit Rechnung vom 2. Januar 2023 geltend gemachten Aufwendungen für die ärztliche Behandlung ihrer Tochter … durch Herrn Dr. … M …
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1. Hinsichtlich der streitgegenständlichen Aufwendungen in Höhe von 15,87 € (80% von 19,84 €) für die osteopathische Behandlung der Extremitäten am Behandlungstag 2. Januar 2023 liegen die Voraussetzungen des § 7 BayBhV nicht vor.
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Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1), der Höhe nach angemessen (Nr. 2) sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3). Aufwendungen sind dem Grunde nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden sowie der Beseitigung oder zum Ausgleich körperlicher Beeinträchtigungen dient. Entsprechend dem Zweck der Beihilfengewährung müssen die Leiden und körperlichen Beeinträchtigungen Krankheitswert besitzen. Die Behandlung muss darauf gerichtet sein, die Krankheit zu therapieren (BVerwG, B.v. 30.9.2011 – 2 B 66/11 – juris Rn. 11).
24
Ob eine Maßnahme, für die Beihilfe beansprucht wird, die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV erfüllt, bestimmt sich nach objektiv medizinischen Kriterien. Zuständig für die Entscheidung über die Notwendigkeit von Aufwendungen ist nach § 7 Abs. 1 Satz 6 BayBhV die Festsetzungsstelle. In der Regel kann die Festsetzungsstelle davon ausgehen, dass das, was der Arzt durchgeführt, angeordnet und in Rechnung gestellt hat, notwendig ist. Allerdings belegt eine ärztliche Verordnung nicht automatisch, dass jedwede ärztliche Behandlung medizinisch indiziert wäre. Die Kosten lediglich nützlicher, aber nicht notwendiger Behandlungen muss der Beihilfeberechtigte selbst tragen (BayVGH, B.v. 14.5.2014 – 14 ZB 13.2658 – juris Rn. 7 f.).
25
Die streitgegenständliche Rechnung enthält im Abschnitt „Diagnosen 02.01.2023“: „Schulter-Arm-Syndrom rechts, Blockierung von Rippen, Segmentale und somatische Funktionsstörungen: Kopfbereich, Segmentale und somatische Funktionsstörungen: Brustkorb, Segmentale und somatische Funktionsstörungen: obere Extremität (akromioklavikular, sternoklavikular), Osteopathische Untersuchung und Behandlung der Wirbelsäule und des Schädels“. Der behandelnde Arzt führte in seiner ergänzenden Stellungnahme aus, dass bei … in praktisch jeder Sitzung die Extremitäten (vor allem die Füße) mitbehandelt worden seien. Bei der Diagnosestellung sei die Diagnose „Blockierung eines Fußwurzelknochens bds.“ angeführt worden. Dies stelle die Begründung für den Ansatz der GOÄ-Nr. 3306e dar. Die Rechnung über die Aufwendungen am Behandlungstag 2. Januar 2023, an dem die Tochter der Klägerin nach Angaben der Klägerin infolge eines Sturzes behandelt wurde, beinhaltet die Diagnose „Blockierung eines Fußwurzelknochens bds.“ nicht. Auch eine andere Diagnose, die die unteren Extremitäten betrifft, wurde ausweislich der Rechnung am Behandlungstag nicht gestellt.
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Soweit die obere Extremität in den Diagnosen Erwähnung findet, wird explizit das Akromioklavikulargelenk (Schultereckgelenk) und das Sternoklavikulargelenk (Brustbein-Schlüsselbein-Gelenk) genannt, was mit der Diagnose „Blockierung von Rippen“ und „segmentale und somatische Funktionsstörung des Brustkorbs“ in Einklang steht. Die osteopathische Behandlung der Rippen und des Brustkorbs stellt jedoch keine Behandlung der oberen Extremitäten dar. Die Behandlung der Brustwirbelsäule mit Rippengelenken ist Teil der osteopathischen Behandlung der Wirbelsäule. Insoweit folgerichtig wird auch im letzten Punkt des Abschnitts „Diagnosen“ nur „Osteopatische Untersuchung und Behandlung der Wirbelsäule und des Schädels“ und nicht der Extremitäten aufgeführt. Die Abrechnung der osteopathischen Behandlung der Wirbelsäule nach GOÄ-Nr. 3306 analog wurde von der Beihilfestelle anerkannt. Nach § 6 Abs. 2 GOÄ können selbstständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses der GOÄ berechnet werden. Die GOÄ-Nr. 3306 beschreibt in ihrer Legende den chirotherapeutischen Eingriff an der Wirbelsäule. Dass die GOÄ-Nr. 3306 analog auf die osteopathische Behandlung der Wirbelsäule anwendbar ist, ist zwischen den Parteien unstreitig und entspricht der einhelligen Meinung in der Fachliteratur. Die Leistungslegende zu GOÄ-Nr. 3306 stellt auf die Wirbelsäule als gesamtes Achsenorgan und nicht auf einzelne Unterabschnitte der Wirbelsäule ab. Daher ist auch bei Behandlung mehrerer Bewegungssegmente oder Wirbelgelenke in einer Sitzung nur der einmalige Ansatz der Leistung nach GOÄ-Nr. 3306 gerechtfertigt (Brück, Gebührenordnung für Ärzte, Stand 1.10.2022, Bd. 2, S. 886 (zu GOÄ-Nr. 3306); Verband der privaten Krankenversicherung (PKV), Kommentierung praxisrelevanter Analogabrechnungen, Stand 4.5.2023, S. 41).
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2. Die Nichtanerkennung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen in Höhe von 15,87 € (80% von 19,84 €) für die osteopathische Behandlung des Schädels nach GOÄ-Nr. 3306 analog am Behandlungstag 2. Januar 2023 neben der Leistung nach GOÄ-Nr. 3306 analog für die osteopathische Behandlung der Wirbelsäule ist als solche nicht zu beanstanden. Die vom behandelnden Arzt erbrachte Leistung der osteopathischen Behandlung des Schädels, die dieser mit Arztbrief vom 2. Juni 2023 ergänzend als Behandlung des craniosacralen Systems erläutert hat, ist jedoch unter Ersetzung der GOÄ-Nr. 3306 analog durch die GOÄ-Nr. 527 analog in Höhe des Schwellenwerts (5,48 x 1,8 = 9,86 €) als beihilfefähig anzuerkennen. Daraus ergibt sich ein Beihilfeanspruch der Klägerin in Höhe von 7,89 € (80% von 9,86 €).
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Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BayBhV sind Aufwendungen der Höhe nach angemessen, wenn sie dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte entsprechen. Ob der Arzt seine Forderung zu Recht geltend gemacht hat, ist eine der Beihilfegewährung vorgreifliche und nach der Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient dem Zivilrecht zuzuordnende Rechtsfrage, über die die Zivilgerichte letztverbindlich zu entscheiden haben. Deren Beurteilung präjudiziert die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen im beihilferechtlichen Sinne. Ist eine Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg indes nicht ergangen, hat die Festsetzungsstelle zu prüfen, ob die vom Arzt geltend gemachten Ansprüche nach materiellem Recht begründet sind (vgl. BVerwG, U.v. 20. März 2008 – 2 C 19.06 –, juris, Rn. 17 f. Da osteopathische Behandlungen im Gebührenverzeichnis nicht enthalten sind, kommt als Grundlage für den Honoraranspruch des Arztes nur § 6 Abs. 2 GOÄ in Betracht. Danach können selbstständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Gleichwertig bedeutet, dass die Leistungen in der technischen Durchführung, der Art sowie im Kosten- und Zeitaufwand vergleichbar sind. Insoweit gilt, dass die Aufwendungen eines vom Arzt unter analoger Anwendung der GOÄ berechneten Betrages dann beihilferechtlich als angemessen anzusehen sind, wenn sie einer vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung entsprechen. Entgegen der Auffassung der Klagepartei müssen die o.g. Kriterien objektiv gegeben sein; welche Leistung als Analogleistung herangezogen wird, liegt nicht allein im Ermessen des Behandlers.
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In der Fachliteratur ist umstritten, ob für die osteopathische Behandlung des Schädels im Sinne einer craniosacralen Therapie der Ansatz einer analogen Leistung aus dem Abschnitt E der GOÄ „Physikalischmedizinische Leistungen“ (GOÄ-Nr. 527 analog) oder der analoge Ansatz der GOÄ-Nr. 3306 heranzuziehen ist. Wird GOÄ-Nr. 3306 analog angesetzt, ist jedoch zu beachten, dass diese Leistungsziffer bei Durchführung einer osteopathischen Behandlung der Wirbelsäule und des Schädels in derselben Sitzung nur einmal in Betracht kommt, da die Leistungslegende der originären Gebührennummer 3306 auf die „Wirbelsäule“ und nicht auf den Schädel oder einzelne Wirbelsäulenabschnitte abstellt (vgl. Dr. med. A.P., Deutsches Ärzteblatt 108 vom 26.12.2011, S. A-2786). Denn anatomisch betrachtet umfasst das craniosacrale System die Wirbelsäule, den Schädel (Cranium), das Kreuzbein (Sacrum), die Hirn- und Rückenmarktshäute (Membrane), die Hirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis), sowie die Nerven und Faszien (Bindegewebe) die damit verbunden sind (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Cranio-Sacral-Therapie). Die Abrechnung der GOÄ-Nr. 3306 analog für die osteopathische Behandlung des Schädels neben dem einem weiteren Ansatz der GOÄ-Nr. 3306 analog für die osteopathische Behandlung der Wirbelsäule in derselben Sitzung ist demzufolge vorliegend nicht beihilfefähig. Die Abrechnung der GOÄ-Nr. 3306 analog für die osteopathische Behandlung des Schädels ist vorliegend auch nicht der Leistung nach GOÄ-Nr. 3306 gleichwertig, d.h. in der technischen Durchführung, der Art sowie im Kosten- und Zeitaufwand einer chirotherapeutischen Behandlung der Wirbelsäule vergleichbar. Das Gericht folgt insoweit den aktuellen Abrechnungsempfehlungen der Bundesärztekammer zu osteopathischen Leistungen (Beschluss des Gebührenordnungsausschusses der Bundesärztekammer vom 18. März 2021 (Nds. MBl. Nr. 16/2021, S. 894)) und des IGeL-Kompendiums für die Arztpraxis (Renate Hess / Regina Klakow-Franck, 2005, S. 113), wonach für eine craniosacrale osteopathische Behandlung die GOÄ-Nr. 527 analog heranzuziehen ist. Der Gebührenausschuss der Bundesärztekammer ist ein Gremium der Ärzteschaft, das mit medizinischem Sachverstand die Abrechnungsfähigkeit ärztlicher Leistungen bewertet. Insofern sind diese Bewertungen geeignet, als Orientierung für die Eignung und Erforderlichkeit ärztlicher Behandlungen zu dienen. Zwar hat dieses Gremium auch die wirtschaftlichen Interessen der Ärzteschaft im Blick und die vorliegenden Empfehlungen sind auch nicht mit dem für Beihilfefragen zuständigen Ministerium und nicht mit dem Verband der privaten Krankenversicherung abgestimmt (VG Ansbach, U.v. 30.6.2010 – AN 15 K 09.01745 – juris Rn. 44, a.A. hinsichtlich der Abstimmung VG Hamburg, U.v. 30.8.2007 – 8 K 1235/06 – juris Rn. 22)., dennoch ist das Gericht der Auffassung, dass die Empfehlung im vorliegenden Fall einen geeigneten Maßstab für die (analoge) Abrechnung bietet und hinsichtlich der Frage, was durch Anerkennung der (Analog) Ziffer abgegolten ist.
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Soweit der behandelnde Arzt angibt, er stütze sich auf die Abrechnungsempfehlungen des Berufsverbands deutscher osteopathischer Ärztegesellschaften e.V. (BDOÄ), kann diesen eine Empfehlung des Ansatzes der GOÄ-Nr. 3306 analog für eine osteopathische Behandlungen des Schädels neben einem weiteren Ansatz der GOÄ-Nr. 3306 analog für eine osteopathische Behandlungen der Wirbelsäule in derselben Sitzung nicht entnommen werden. Vielmehr wird in der Tabelle unter „osteopathische Behandlung Schädel – 3306 s“ auf den Hinweis … am Fuß der Seite verwiesen, in dem angegeben wird, dass der chirotherapeutische Eingriff an der Wirbelsäule 3306 laut BÄK bei der chirotherapeutischen Behandlung mehrerer Abschnitte der Wirbelsäule in einer Sitzung nur einmal angesetzt werden könne.
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Das von der Klägerin vorgelegte Schreiben der Bayerischen Landesärztekammer an die Ärzte Dr. J … M … und Dr. J … G … vom 23. November 2007 beinhaltet eine Äußerung der Bundesärztekammer aus dem Jahr 1994/1995 in einem konkreten Einzelfall, der grundsätzlich nicht auf andere Fälle übertragbar ist (vgl. Bayerische Landesärztekammer, Bayerisches Ärzteblatt 1/2022, S. 19). Das Schreiben enthält außerdem nur eine Aussage zur parallelen Abrechnung der GOÄ-Nr. 3306 unmittelbar und analog bei Erbringung von Leistungen der Chirotherapie neben einer osteopathischen Behandlung. Im Anschluss werden Beispiele zu einer analogen Heranziehung der GOÄ-Nr. 3306 für eine chirotherapeutische/osteopathische Behandlung der Extremitäten und des Schädels genannt. Auf die Problematik des mehrmaligen Ansatzes der GOÄ-Nr. 3306 analog in einer Sitzung, den die Leistungsbeschreibung der originären GOÄ-Nr. 3306 eigentlich ausschließt, wird nicht eingegangen.
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Soweit die Klägerin anführt, in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. April 2020 (Az. 13 K 9733/18) sei die fünffache Berechnung der Leistung nach GOÄ-Nr. 3306 analog als beihilfefähig erachtet worden, verkennt sie, dass sich die in diesem Verfahren streitgegenständliche Rechnung auf fünf Behandlungstage bezog und für jeden Behandlungstag jeweils einmal die GOÄ-Nr. 3306 analog abgerechnet wurde. Im Übrigen ist der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt, in dem es um eine osteopathische Behandlungsserie in mehreren Sitzungen zur Behandlung einer Knieerkrankung ging, nicht mit dem streitgegenständlichen Sachverhalt vergleichbar.
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3. Eine in der Vergangenheit möglicherweise zu Unrecht gewährte Beihilfe begründet keinen Anspruch des Beihilfeempfängers auf eine künftige erneute Erteilung einer Beihilfe zu Unrecht. Eine aus Art. 3 GG folgende Selbstbindung der Verwaltung erkennt die Rechtsprechung nur im Falle von Ermessensvorschriften an (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2023, VwVfG § 40 Rn. 103 ff.). Der Anspruch auf Gewährung von Beihilfe ist ein gebundener Anspruch und steht nicht im Ermessen der Beihilfestellen (vgl. Art. 96 Abs. 1 Satz 1 BayBG, § 7 Abs. 1 BayBhV).
34
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).