Titel:
Erfolgreiche Nachbarklage gegen eine Nutzungsänderungsgenehmigung bzgl. landwirtschaftlicher Lagerhalle in Schlosserei
Normenketten:
BayVwVfG Art. 37
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 5 Abs. 2 Nr. 6, § 6 Abs. 2 Nr. 4
GG Art. 14 Abs. 1 S. 2
VwGO § 162 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet oder in einem "faktischen" Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer regelmäßig anzuwendenden typisierenden Betrachtungsweise ist ein Betrieb als unzulässig einzustufen, wenn von Betrieben seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung in diesem Sinne unzumutbare Störungen ausgehen können; auf das Maß der konkret hervorgerufenen oder in Aussicht genommenen Störungen kommt es grundsätzlich nicht an. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, nachbarrechtsverletzende Unbestimmtheit der Baugenehmigung (bejaht), Gebietserhaltungsanspruch, Unzulässigkeit einer Schlosserei in einem faktischen Dorf- oder Mischgebiet, Nutzungsänderungsgenehmigung, Nachbarschutz, Bestimmtheitsgebot, Betriebsbeschreibung, Lagerhalle, Schlosserei, sonstiger Gewerbebetrieb, bauliche Nutzungsart, Einfügen, nähere Umgebung, Dorfgebiet, Mischgebiet, Anwaltskosten, Vorverfahren
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.01.2025 – 2 ZB 23.598
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55032
Tenor
I. Der Bescheid vom 31. Mai 2022, Gesch.-Nr., wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Umnutzung eines landwirtschaftlichen Gebäudes in eine Schlosserei.
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Sie sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. C* der Gemarkung M*. Östlich angrenzend befindet sich das Grundstück des Beigeladenen mit der Fl.Nr. B*, das auf Höhe des klägerischen Grundstücks mit einer ursprünglich landwirtschaftlich genutzten Halle bebaut ist. Die Halle und das Wohnhaus des Klägers haben einen Abstand von ca. 15 m.
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Der Beigeladene beantragte mit Plangeheft vom 12. September 2019 die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung der landwirtschaftlichen Lagerhalle zu einer Schlosserei sowie den Einbau eines WCs.
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Der im Verfahren beteiligte fachliche Immissionsschutz des Beklagten nahm zu dem Vorhaben am 10. Dezember 2019 Stellung. Nach Angaben des Bauherrn handle es sich um einen Metallverarbeitungsbetrieb. Hauptsächlich würden Treppen gefertigt. Die Betriebszeit sei nach den Bauantragsunterlagen von 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr vorgesehen. Materialanlieferungen erfolgten ausschließlich während der Betriebszeit max. zwei Mal wöchentlich. Verladearbeiten im Freien mit Stapler fänden nach Aussage des Betreibers zwei Mal wöchentlich ca. 30 Minuten während der Betriebszeiten statt. Der Bauherr plane, einen Elektrostapler anzuschaffen. Der nächste Immissionsort liege in ca. 20 m Entfernung nördlich des Bauvorhabens auf der Fl.Nr. A*. Bei plangemäßer Ausführung und Berücksichtigung von im einzelnen genannten Auflagevorschlägen bestünden aus Sicht des Immissionsschutzes gegen das Bauvorhaben keine Bedenken.
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Der Beklagte erteilte mit Bescheid vom 31. Mai 2022, als Einschreiben zur Post gegeben am 10. Juni 2022, eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer landwirtschaftlichen Lagerhalle zu einer Schlosserei/Einbau von WCs. Der Bescheid enthält die vom fachlichen Immissionsschutz vorgeschlagenen Auflagen:
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1. Hinsichtlich des Lärmschutzes sind die Bestimmungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm vom 26.8.1998 – einzuhalten.
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2. Die Beurteilungspegel sämtlicher vom Betrieb ausgehenden Geräusche, einschließlich des zum Betrieb gehörenden Fahrverkehrs (Betriebsverkehr, Kundenverkehr), dürfen in der Nachbarschaft des Betriebes folgende Immissionswerte nicht überschreiten:
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Allgemeines Wohngebiet: tagsüber 49 db(A)
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Mischgebiet: tagsüber 54 db(A)
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3. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen folgende Immissionsrichtwerte der TA Lärm von tagsüber 55 db(A) in einem allgemeinen Wohngebiet und tagsüber 60 db(A) in einem Mischgebiet um nicht mehr als 30 db(A) überschreiten.
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4. Ein Betrieb während der Nachtzeit (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) ist nicht zulässig.
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5. Während des Betriebs lärmerzeugender Anlagen und der Durchführung lärmerzeugender Arbeiten sind Fenster und Tore geschlossen zu halten.
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Ein kurzzeitiges Öffnen der Tore zum Ein- und Ausbringen von Waren ist zulässig.
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6. Auf dem Betriebsgelände im Freien ist nur ein Betrieb von lärmarmen Staplerfahrzeugen (elektrobetriebene Staplerfahrzeuge) zulässig.
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Baugenehmigung sei zu erteilen gewesen, weil dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstünden, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen seien.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2022, eingegangen am 7. Juli 2022, ließen die Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben. Sie beantragen,
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1. Der Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2022 (Nutzungsänderung einer landwirtschaftlichen Lagerhalle zu einer Schlosserei/Einbau eines WCs) wird aufgehoben.
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2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
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3. Die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten der Kläger im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
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4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Mit Beschluss vom 11. Juli 2022 wurde der Bauherr zum Verfahren beigeladen. Er hat keinen Antrag gestellt.
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Zur Begründung ihrer Klage ließen die Kläger unter dem 15. September 2022 u.a. ausführen, der Beigeladene habe seit dem Jahr 2018 begonnen, auf seinem Grundstück eine Schlosserei zu betreiben. Die auf dem Grundstück gelegene Garage sei als Maschinenraum umgebaut worden, in dem sich ein fest verbautes Notstrom-Aggregat befinde, das für die Produktion eingesetzt werde. Eine Art Festzelt sei als Lager errichtet worden. Beschwerden der Kläger sei der Beklagte nicht nachgegangen. Der Betrieb erfolge bei geöffneten Toren und auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen. Laute Baumaschinen wie Winkelschleifer, Kreissäge, Bohrmaschinen und Hammer seien im Einsatz und es liefen Kompressoren. Auch mit Erlass des angefochtenen Bescheids habe sich nichts geändert, dessen Auflagen würden beharrlich missachtet. Der von der Schlosserei ausgehende Lärm sowie die Abgase seien selbst bei Einhaltung der Auflagen für die Nachbarn, insbesondere die Bewohner des klägerischen Anwesens, unzumutbar. Es sei nicht verständlich, dass der Schwarzbau und die ungenehmigte Nutzung über Jahre hinweg von den zuständigen Behörden sehenden Auges geduldet worden seien.
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Die angefochtene Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Mischgebiet. Gewerbebetriebe seien daher nur zulässig, wenn sie das Wohnen nicht wesentlich störten, was nach einer eingeschränkt typisierenden Betrachtungsweise zu bestimmen sei. Schlossereien und andere metallverarbeitende Betriebe, in denen regelmäßig lärmintensive Arbeiten vorgenommen würden, störten das Wohnen typischerweise wesentlich und seien daher in allen Baugebieten, die auch dem Wohnen dienten, unzulässig. Der Betrieb der beantragten Schlosserei sei schon von ihrer Ausstattung her nicht möglich, ohne dass die maßgeblichen Emissionswerte, wie sie im Schreiben des fachlichen Immissionsschutzes des Beklagten vom 10. Dezember 2019 dargestellt seien, überschritten würden. Die angefochtene Nutzungsänderung füge sich in die Umgebung nicht ein. Auf die Verletzung des § 34 Abs. 1 BauGB könnten sich die Kläger berufen. § 34 BauGB stelle sich u.a. als eine Ausprägung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots dar. Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass der Beigeladene auf die schutzwürdigen Interessen der benachbarten Wohnnutzung weder hinreichend Rücksicht nehmen könne noch wolle.
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Der Beklagte trat der Klage unter dem 19. Oktober 2022, eingegangen am 9. November 2022, entgegen. Für ihn ist beantragt,
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Der Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Umgebungsbebauung entspreche einem faktischen Misch- oder Dorfgebiet. Bei dem streitgegenständlichen Betrieb handle es sich selbst dann nicht um einen nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieb, wenn man den Störgrad anhand einer typisierenden Betrachtungsweise beurteile. Ein Gewerbebetrieb sei als unzulässig einzustufen, wenn Anlagen seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung in diesem Sinne unzumutbare Störungen hervorrufen könnten. Dies gelte nicht, wenn der konkrete Betrieb nach Art und/oder Betriebsweise von dem Erscheinungsbild seines Betriebstypus abweiche und von daher die sonst üblichen Störungen von vorneherein nicht befürchten lasse. Der streitgegenständliche Betrieb weise eine atypische Betriebsform auf. Er werde laut Betriebsbeschreibung im bestehenden Betrieb als Einmannbetrieb und Einschichtbetrieb geführt. Mit Durchführung des Vorhabens erfolge der Betrieb durch maximal drei Personen. Es würden hauptsächlich Treppen gefertigt. Es sei nicht davon auszugehen, dass durch das Vorhaben Immissionen in einem für die Nachbarn unzumutbaren Umfang entstünden. Das Sachgebiet Immissionsschutz habe mitgeteilt, dass bei Berücksichtigung der Auflagenvorschläge keine Bedenken bestünden. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots sei nicht gegeben. Dem Inhalt nach beziehe es sich auf die Zulässigkeitskriterien Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstücksfläche. Das streitgegenständliche Vorhaben halte die maßgeblichen Immissionswerte ein.
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Die Kläger ließen hierauf unter dem 16. November 2022 erwidern und ihr bisheriges Vorbringen ergänzen und vertiefen. Der streitgegenständliche Gewerbebetrieb weise keine atypische Betriebsform auf. Es liege weder ein Einmann- noch ein Einschichtbetrieb vor. Lärmanfall gebe es zu allen Tages- und Nachtzeiten. Dass Treppen als Endprodukt gefertigt würden, sei nicht maßgeblich. Zur Stellungnahme des Immissionsschutzes werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, dass die Schlosserei nicht so betrieben werden könne, dass die maßgeblichen Grenzwerte eingehalten würden. Hierzu sei ergänzend auszuführen, dass in der Niederschrift des Gemeinderats vom 26. September 2019 darauf verwiesen werde, dass die Bauvoranfrage bezüglich des Neubaus für eine Fertigungshalle vom Beklagten aufgrund der Stellungnahme des Immissionsschutzes abgelehnt worden sei. Dass von dem Neubau einer Fertigungshalle mehr Lärmimmissionen ausgehen sollten als von dem Betrieb einer Schlosserei in einem landwirtschaftlichen Altbau, sei nicht ersichtlich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl der Beigeladene nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Beteiligten wurden mit der Ladung darauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 m.w.N.). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
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Nach diesen Maßstäben ist die vorliegende Anfechtungsklage erfolgreich. Die Baugenehmigung ist bereits in formeller Hinsicht in nachbarrechtsverletzender Weise unbestimmt und daher aufzuheben (siehe 1.). Darüber hinaus können die Kläger eine Aufhebung der Baugenehmigung auch aus dem Gebietserhaltungsanspruch verlangen, da die Schlosserei nach der Art der baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich unzulässig ist (siehe 2.).
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1. Eine Rechtsverletzung der Kläger ergibt sich unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Bestimmtheit der Baugenehmigung (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG).
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Ein Nachbar kann die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit einer Baugenehmigung geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand September 2022, Art. 68 Rn. 255). Eine Baugenehmigung ist daher nicht nur rechtswidrig, sondern auch nachbarrechtsverletzend, wenn die Unbestimmtheit des Bescheides ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft und wenn infolge der Unbestimmtheit nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht oder nicht (vgl. auch BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 2 ZB 13.2522 – juris Rn. 4). Der Inhalt der Genehmigung und der zugrundeliegenden Bauvorlagen ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln.
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Gemessen hieran verletzt die streitgegenständliche Baugenehmigung die Kläger in ihren Rechten. In den genehmigten Plänen ist lediglich der Standort der Halle dargestellt, jedoch keine Flächen für Zufahrten oder Lagerflächen im Außenbereich. Ausweislich der ebenfalls als genehmigt gestempelten Betriebsbeschreibung soll jedoch im Außenbereich auf gepflasterter Hoffläche Metallschrott zwischengelagert werden (vgl. Bl. 5d der Behördenakte). Wo diese Lagerung stattfinden bzw. die Lagergüter umgeschlagen werden sollen, lässt sich den eingereichten Plänen jedoch nicht entnehmen. Im Hinblick auf die mit der Lagerung, insbesondere dem An- und Abfahren bzw. Ab- und Aufladen verbundenen Immissionen kann eine Betroffenheit des Nachbarn ohne Kenntnis des Lagerorts nicht ausreichend beurteilt werden, so dass die Planunterlagen unbestimmt sind und die Kläger durch die auf ihrer Grundlage erteilte Baugenehmigung in ihren Rechten verletzt werden. Die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit betrifft wegen des Rücksichtnahmegebots im Zusammenhang mit der Einhaltung der Immissionsrichtwerte ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal.
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2. Darüber hinaus ist das Vorhaben auch bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es sich nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Hierauf können sich die Kläger aufgrund des ihnen zustehenden Gebietserhaltungsanspruchs auch im Rahmen des vorliegenden Nachbarrechtsbehelfs berufen.
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a) Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet oder in einem „faktischen“ Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer – unabhängig davon, ob er tatsächlich beeinträchtigt ist – das Recht, sich gegen eine „schleichende Umwandlung“ des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (BayVGH, B.v. 38 b) Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich vorliegend nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 BauGB. Demnach ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Dies ist hier nicht der Fall.
38
Die Eigenart der näheren Umgebung ist – zwischen den Beteiligten unstreitig – als Dorf- bzw. Mischgebiet zu qualifizieren. In dieses fügt sich das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung nicht ein. Bei der genehmigten Schlosserei handelt es sich nicht um einen im Dorf- bzw. Mischgebiet zulässigen „sonstigen Gewerbebetrieb“ i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 6 bzw. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO.
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Gem. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO sind in einem Mischgebiet zwar „sonstige Gewerbebetriebe“ grundsätzlich zulässig, allerdings steht dies gemäß der Zweckbestimmung eines Mischgebiets in § 6 Abs. 1 BauNVO unter dem Vorbehalt, dass es sich um Gewerbebetriebe handelt, „die das Wohnen nicht wesentlich stören“. Dasselbe gilt gem. § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 BauNVO für ein (faktisches) Dorfgebiet (BayVGH, U.v. 27.9.2021 – 15 B 20.828 – juris Rn. 33 m.w.N. für Dorf- und Mischgebiete).
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Bei der Prüfung, ob ein Betrieb zu den nicht wesentlich störenden, insbesondere wohnverträglichen Gewerbebetrieben i.S.v. § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 BauNVO bzw. § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zählt, ist in der Regel von einer typisierenden Betrachtungsweise auszugehen (BVerwG, U.v. 9.11.2021 – 4 C 5.20 – juris Rn. 10 m.w.N; BayVGH, U.v. 27.9.2021 – 15 B 20.828 – juris Rn. 35 m.w.N.). Der Betrieb ist als unzulässig einzustufen, wenn von Betrieben seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung in diesem Sinne unzumutbare Störungen ausgehen können; auf das Maß der konkret hervorgerufenen oder in Aussicht genommenen Störungen kommt es grundsätzlich nicht an. Eine typisierende Betrachtungsweise verbietet sich jedoch, wenn der zur Beurteilung stehende Betrieb zu einer Branche gehört, deren übliche Betriebsformen hinsichtlich des Störgrades eine große Bandbreite aufweisen, die von nicht wesentlich störend bis störend oder sogar erheblich belästigend reichen kann. Ist mithin ein Betrieb einer Gruppe von Gewerbebetrieben zuzurechnen, die hinsichtlich ihrer Mischgebietsverträglichkeit zu wesentlichen Störungen führen können, aber nicht zwangsläufig führen müssen, wäre eine abstrahierende Bewertung des konkreten Betriebs nicht sachgerecht. Ob solche Betriebe in einem Misch- bzw. Dorfgebiet zugelassen werden können, hängt dann von ihrer jeweiligen Betriebsstruktur ab. Maßgeblich ist, ob sich die Störwirkungen, die die konkrete Anlage bei funktionsgerechter Nutzung erwarten lässt, innerhalb des Rahmens halten, der durch die Gebietseigenart vorgegeben ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.11.2021 – 4 C 5.20 – juris Rn. 10 m.w.N.).
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aa) Nach der Rechtsprechung, die auch die erkennende Kammer teilt, stören Schlossereien und andere metallverarbeitende Betriebe, in denen regelmäßig lärmintensive Arbeiten wie Hämmern, Schleifen, Trennschleifen, Stanzen und Schmieden vorgenommen werden, das Wohnen typischerweise wesentlich. Sie sind deshalb in allen Baugebieten, die auch dem Wohnen dienen, unzulässig (BayVGH, B.v. 13.12.2006 – 1 ZB 04.3549 – juris Rn. 26; B.v. 26.10.2009 – 9 CS 09.2104 – juris Rn. 4 ff.; HessVGH, U.v. 24.11.2020 – 3 C 2071.18.N – juris Rn. 30; VG München, U.v. 5.4.2022 – M 1 K 18.4396 – juris Rn. 28; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 6 BauNVO Rn. 32). Die Genehmigung eines entsprechenden Betriebs in dem hier vorliegenden faktischen Dorfoder Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 bzw. § 6 BauNVO) verletzt daher den Gebietsbewahrungsanspruch der Antragsteller.
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bb) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist kein atypischer Fall dergestalt gegeben, dass der konkret genehmigte Schlossereibetrieb ausnahmsweise gebietsverträglich erscheinen würde.
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Grundlage der rechtlichen Beurteilung ist dabei der konkrete Schlossereibetrieb in seiner genehmigten Form. Im vorliegenden Fall sind die Bauantragsunterlagen, insbesondere die formularmäßig vorgelegte Betriebsbeschreibung (Bl. 5b ff. der Behördenakte) und damit auch die Baugenehmigung jedoch derart weit bzw. unbestimmt (s.o.) gefasst, dass eine atypische Betriebsweise nicht zu erkennen ist. Allein die Tatsache, dass es sich nach der Betriebsbeschreibung lediglich um einen Einmannbetrieb handeln soll, ist hierfür nicht ausreichend. Nennenswerte Beschränkungen der genehmigten Schlosserei, die diese von anderen Schlosserei- bzw. Metallverarbeitungsbetrieben maßgeblich unterscheiden würde, sind nicht vorhanden. Nach der Betriebsbeschreibung sollen vielmehr „klassische“ Schlossereimaschinen wie Schweißgerät, Bohrmaschine, Winkel- und Trennschleifer zum Einsatz kommen. Auch die angegebenen Betriebszeiten von 7.00 Uhr bis 18 Uhr sind nicht atypisch im o.g. Sinne. Soweit der Beklagte darauf verwiesen hat, dass „nur“ Treppen gefertigt werden sollen, kann auch dies eine atypische Betriebsform nicht begründen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass die Herstellung von Treppen weniger störend als andere metallverarbeitende Tätigkeiten wäre. Zum anderen hat dieser Aspekt in der Baugenehmigung und der ihr zugrunde liegenden Bauantragsunterlagen keinen Niederschlag gefunden. Es handelt sich letztlich um eine inhaltlich offene Baugenehmigung, die der Sache nach in einem weiten Sinn jede Tätigkeit gestattet, die in einer Schlosserei anfällt (vgl. zu einer Kfz-Werkstatt: BayVGH, U.v. 27.9.2021 – 15 B 20.828 – juris Rn. 36). Mit den immissionsschutzrechtlichen Auflagen im angefochtenen Bescheid kann der an sich gebietsunverträgliche Schlossereibetrieb ohnehin nicht gebietsverträglich gemacht werden.
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3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da der Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
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4. Ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der Anwaltskosten des Vorverfahrens besteht nicht, so dass die Hinzuziehung anwaltlicher Vertretung insoweit nicht als notwendig zu erklären war. Ein Vorverfahren hat vorliegend nicht stattgefunden. Anwalts- und sonstige Kosten, die in einem dem Vorverfahren vorgelagerten Verwaltungsverfahren entstehen, zählen nicht zu den nach § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähigen Kosten (Kunze in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1. Oktober 2022, § 162 Rn. 54).
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.