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LG Amberg, Endurteil v. 27.06.2023 – 13 O 519/22
Titel:

Passivlegitimation für Ansprüche auf eine Betriebsunterbrechungsentschädigung infolge einer Evakuierung

Normenketten:
ZPO § 253 Abs. 2
LStVG Art. 6
Leitsätze:
1. Macht ein Kläger im Wege der offenen Teilklage einen Teil eines einheitlichen Schadens geltend, so ist eine besondere Aufteilung der einzelnen Schadensposten nicht notwendig. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird im Rahmen der Entschärfung einer Fliegerbombe durch den Kampfmittelräumdienst eines Bundeslandes ein Betriebsunterbrechungsschaden infolge der von einer Gefahrenabwehrbehörde verfügten Evakuierung einer Klinik verursacht, so ist das Bundesland für Entschädigungsansprüche passiv legitimiert. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsunterbrechungsschaden, Regress, Gefahrenabwehr, Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Aufenthaltsgebot, Kampfmittelräumdienst, Evakuierung, Klinik, Weisung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 05.02.2025 – 4 U 1458/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 55023

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ersatzansprüche aus der Entschärfung einer Fliegerbombe und der dabei notwendigen Evakuierung des Krankenhauses … in …
2
Die Klägerin hat das Betriebsunterbrechungsrisiko der Trägergesellschaft des Krankenhauses … in … versichert.
3
Am 22.09.2017 wurde eine britische Fliegerbombe auf dem Krankenhausgelände gefunden, die am 30.09.2017 entschärft werden sollte. Die …, die hiesige Beklagte, erließ daher für den 30.09.2017 ein Betretungsverbot im Umkreis von 300 Metern um die Fundstelle.
4
Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein Anspruch auf Versicherungsentschädigung des streitgegenständlichen Betriebsunterbrechungsversicherung gegeben sei und dieser kongruent mit der Enteignungsentschädigung aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffes sei.
5
Indem die Klägerin den Schaden ihrer Versicherungsnehmerin regulierte, seien Ersatzansprüche der Versicherungsnehmerin im Wege der Legalzession auf die Klägerin übergegangen.
6
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.000.000 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
8
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Erlass der Allgemeinverfügung durch die Beklagte nur einen „Reflex“ der Weisungen des Kampfmittelbeseitigungsdienstes darstelle, dessen Planungen und Handlungen dem Freistaat Bayern zuzurechnen seien.
9
Demnach sei die Beklagte schon nicht passiv legitimiert.
10
Hinsichtlich des beiderseitigen Parteivorbringens im Übrigen wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze.

Entscheidungsgründe

11
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
12
Die Klage ist zulässig.
13
Die Klage wurde ordnungsgemäß i.S.d. § 253 II ZPO erhoben. Es liegt eine offene Teilklage vor. Vorliegend lässt der Kläger zwar offen, worauf sich der entsprechende Teilbetrag genau stützen soll. Allerdings handelt es sich vorliegend um einen einheitlichen Schaden, welcher durch die Klägerin geltend gemacht wird. Damit ist eine besondere Aufteilung der einzelnen Schadensposten nicht notwendig. BeckOK ZPO/Bacher, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 253 Rn. 54., BGH NZG 2012, 711 Rn. 12. Dies gilt selbst für den Fall, in dem mehrere unselbstständige Rechnungsposten umfasst sind. BeckOK ZPO/Bacher, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 253 Rn. 54., BGH NJW 2000, 3718 (3719. Vorliegend kann damit der Teilbetrag i.H.v. 1.000.000 Euro durch die Klägerin im Wege der offenen Teilklage heraus verlangt werden, obwohl diese nicht genau diejenigen Schadensposten aufzählt, welche den geforderten Teilbetrag im Einzelnen betreffen.
II.
14
Die Beklagte ist jedoch nicht passivlegitimiert.
15
Vorliegend ist nicht die … sondern vielmehr der Freistaat Bayern passivlegitimiert.
16
Die zur Gefahrenabwehr berufene Behörde war nach Art. 6 LStVG der Freistaat Bayern mit seinem Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration als oberste Sicherheitsbehörde. Der Freistaat Bayern hat nicht die Großei … im Rahmen der Entschärfung durch Zurverfügungstellen des Kampfmittelbeseitigungsteams lediglich unterstützt, sondern seine eigene, aus Art. 6 LStVG entspringende Verpflichtung dahingehen erfüllt, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren, welche mittelbar durch die bestehende Möglichkeit einer unkontrollierten Detonation für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen bestanden hatte. Zwar bestand keine Rechtspflicht für die … auf den Kampfmittelräumdienst zurückzugreifen, allerdings hatte der Freistaat Bayern die Fach- und Weisungskompetenz hinsichtlich der Durchführung der Kampfmittelbeseitigung vor Ort. Das ergibt sich daraus, dass die … die Allgemeinverfügung gerade deshalb erlassen hat, da sie selbst nicht in der Lage war entsprechende eigene Maßnahmen vorzunehmen, um die Gefahr, welche von der Fliegerbombe ausging, eigenständig zu bannen.
17
Zwar besteht eine Zuständigkeit der … dahingehend das Aufenthaltsgebot zu erlassen. Im vorliegenden Fall war dieser Erlass jedoch nur Teil der Entschärfung der Fliegerbombe. Daher ist der Freistaat Bayern weiterhin für die Entschärfung der Bombe zuständig und verantwortlich.
18
Dabei bestand eine Rechtspflicht für die Beklagte dahingehend, den Weisungen der Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes Folge zu leisten und die konkrete Gefährdungslage zu beseitigen. Die tatsächliche Aufsicht über die Kampfmittelbeseitigung übte damit immer der Freistaat Bayern, und nicht die … aus.
19
Daran kann auch nichts ändern, dass eine Außenwirkung einer Weisung des Freistaats Bayern an die Kampfmittelbeseitigung fehlt, da es vorliegend auf die Außenwirkung der Weisung nicht ankommt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Zuständigkeit für die Entfernung der Fliegerbombe durch die verbindlichen Weisungen des Kampfmittelbeseitigungsdienstes beim Freistaat Bayern liegt.
20
Die Klage war somit insgesamt abzuweisen.
III.
21
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 und § 101 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.