Titel:
Sofortige Beschwerde, Aussetzung des Verfahrens, Aussetzungsentscheidung, Prozeßleitende Maßnahmen, Aussetzung der Vollziehung, Ablehnung der Aussetzung, Musterverfahren, Einzelrichter, Terminsbestimmung, Beschwerdevorbringen, Landgerichte, Abtrennung, Anfechtbarkeit, Verfahrensaussetzung, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Kosten des Beschwerdeverfahrens, Kostenentscheidung, Rechtsmittelweg, Anspruchshäufung, Entscheidung des Landgerichts
Schlagworte:
Prozesstrennung, Zwischenentscheidung, Beschwerdeunzulässigkeit, Verfahrensaussetzung, Effektiver Rechtsschutz, Prozessführung, Klagehäufung
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 11.04.2023 – 35 O 12873/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54871
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klagepartei gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 11.04.2023 wird verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klagepartei zu tragen.
Gründe
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Dem landgerichtlichen Verfahren lag eine gemeinsame Klage von 16 Klägern zugrunde.
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Diese tragen sämtlich vor, Aktien der ... AG erworben zu haben. Sie machen deshalb gegen die Beklagte, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Schadensersatz gem. § 826 BGB wegen nach ihrer Auffassung fehlerhafter Erteilung von uneingeschränkten Testaten für die Jahresabschlüsse der ... AG von (spätestens) 2015 bis 2018 geltend. Eine persönliche oder sachliche Verbindung unter den Klägern besteht nach den Feststellungen des Landgerichts nicht. Es handelt sich um institutionelle Anlageunternehmen. Der Klagevortrag unterscheidet sich hinsichtlich des jeweiligen Erwerbszeitpunkts der streitgegenständlichen Aktien und des Schadens.
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Mit Beschluss vom 11.04.2023 hat der Einzelrichter beim Landgericht das Verfahren betreffend die Kläger zu 2) bis 16) jeweils einzeln gemäß § 145 ZPO abgetrennt und diese Entscheidung näher begründet.
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Gegen den formlos übermittelten Beschluss haben die Klägervertreter sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, diesen umfänglich aufzuheben und das (nicht aufgetrennte Verfahren) nach § 8 Abs. 1 S.1 KapMuG auszusetzen sowie die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen.
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Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
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Gem. § 568 S. 1 ZPO ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Einzelrichter am Oberlandesgericht berufen. Die Voraussetzung für eine Übertragung auf den Senat liegen nach Auffassung der Einzelrichterin nicht vor. Die Sache weist weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Noch hat sie eine grundsätzliche Bedeutung.
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Die sofortige Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen und dementsprechend dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 570 Abs. 3 ZPO nicht stattzugeben.
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Die Beschwerde gegen den oben genannten Beschluss ist bereits nicht statthaft.
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Die Prozesstrennung nach § 145 ZPO bei einer Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) oder Parteienhäufung (§§ 59, 60 ZPO) ist nach gefestigter Rechtsprechung eine prozessleitende Maßnahme in Form einer Zwischenentscheidung, die selbständig mit einem Rechtsmittel nicht angefochten werden kann (BGH NJW-RR 2015, 957; NJW 2003, 2386; 1995, 3120).
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Daraus, dass – so das Beschwerdevorbringen – die sofortige Beschwerde nach § 252 ZPO gegen Entscheidungen stattfindet, durch welche eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 8 Abs. 1 S.1 KapMuG abgelehnt wird, folgt hier nichts anderes.
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Das Landgericht hat nämlich weder die Aussetzung abgelehnt, noch kommt dessen Abtrennungsentscheidung in ihrer Wirkung einer Ablehnung der Aussetzung gleich. Ein Anspruch auf eine einheitliche Aussetzung innerhalb eines einzigen Verfahrens besteht demgemäß nicht.
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1. Wird die Ablehnung – wie hier zweifelsfrei – nicht ausdrücklich ausgesprochen, muss sie sich aus anderen Maßnahmen des Gerichts inhaltlich ergeben, die auf Fortsetzung des Verfahrens gerichtet sind. So ist etwa die Terminsbestimmung oder Ablehnung der Terminsaufhebung entsprechend § 252 ZPO anfechtbar, soweit dem Verfahren durch die Terminsbestimmung entgegen einem Ruhensgesuch Fortgang gegeben wird ;OLG München NJW-RR 1989, 64; MüKoZPO/ Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 252).
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Unter Abstellen darauf hat das Landgericht die Frage der Aussetzung bislang nicht abschlägig verbeschieden, d.h. nicht zum Ausdruck gebracht, dass dem bzw. den Verfahren ohne eine noch zu erfolgende Aussetzung Fortgang zu geben wäre.
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Dass eine Aussetzung durch die Auftrennung des anfangs einheitlichen Prozesses in mehrere selbständige Prozesse verhindert würde, ist selbst dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Eine mögliche Aussetzung der einzelnen Verfahren wird auch dort nicht in Abrede gestellt. Sie ist sogar zwischenzeitlich mit Beschluss des Landgerichts vom 28.04.2023 jedenfalls bezogen auf die vormalige Klagepartei zu 1) erfolgt.
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Im Übrigen wäre trotz einheitlichen Prozesses bei einer objektiven und subjektiven Klagehäufung die Verfahrensaussetzung auf den vom Musterverfahren betroffenen Teil zu beschränken (KK KapMuG/Kruis § 8 Rn. 48; Blankenheim WM 2017, 795 (797)), d.h. dass ein Verfahren insgesamt zur Aussetzung gelangt, ist auch bei unterbliebener Ab- bzw. Auftrennung nicht gewährleistet.
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2. Es liegt zudem keine unzumutbare Verzögerung bzw. „mittelbare“ Aussetzung der Aussetzungsentscheidung vor. Die erfolgte Abtrennung hat dergleichen ersichtlich nicht zur Folge und ist deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.
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Anfechtbar sind insoweit Fälle, in denen das Gericht das Verfahren zu einem nicht klar begrenzt nur vorübergehenden Zeitraum zum faktischen Stillstand bringt (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 252 Rn. 13).
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Beispiele hierfür sind etwa eine ungewöhnlich lange oder auf unbestimmte Zeit erfolgte Vertagung (RG JW 1899, 431 (432)), das unangemessene Hinausschieben eines Termins (OLG Celle NJW 1975, 2349; OLG Frankfurt a.M. NJW 1974, 1715), die Ablehnung, also Verweigerung einer Terminsbestimmung (OLG Köln NJW-RR 1999, 290; OLG Stuttgart ZZP 78 (1965), 237) oder die Verbindung eines Eilverfahrens mit der Hauptsacheklage, weil häufig einer Aussetzung des Arrest- oder Verfügungsverfahrens gleichkommend.
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Die vorliegend aufgestellte Behauptung, durch die Auftrennung des Verfahrens würde es infolge der notwendigen sukzessiven Abarbeitung durch das Landgericht rein faktisch zu einem nicht mehr zumutbaren Hinausschieben der Entscheidung über die Aussetzung kommen, ist indessen nicht nachvollziehbar.
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Das Landgericht hat seine Entscheidung im Gegenteil mit einer dadurch möglichen zügigeren und übersichtlicheren Prozessführung begründet. Tatsächlich ist zwischenzeitlich, wie ausgeführt, schon eine Aussetzung erfolgt. Zudem erschließt sich ohne weiteres, dass die mit einer Abtrennung einhergehende Verschlankung des jeweils verfahrensbezogenen Prozessstoffes nicht darauf angelegt ist, bezüglich der Entscheidung über die Frage der Aussetzung nach § 8 Abs. 1 S.1 KapMuG einen Stillstand oder auch nur eine relevante Verzögerung herbeizuführen. Eine solche Verzögerung ergibt sich auch nicht daraus, dass – wie mit der Beschwerde beanstandet – das Landgericht für alle Kläger zu prüfen habe, ob die Klage an sich schlüssig sei und die im Musterverfahren zu prüfenden Feststellungsziele für den Rechtsstreit vorgreiflich seien, weshalb es keiner Abtrennung bedürfe. Verkannt wird dabei offenkundig, dass für die Frage der Schlüssigkeit der Klage als solcher auch innerhalb eines einheitlichen Verfahrens auf den die einzelnen Kläger betreffenden individuellen Vortrag, wie etwa eine ausreichende Darlegung der einzelnen Erwerbsgeschäfte und die Schlüssigkeit des jeweils geltend gemachten Schadens, abzustellen wäre. Eine unterbliebene Abtrennung hätte daher eine Prüfung bezogen auf die jeweilige Klagepartei nicht erübrigt und mithin auch nicht deshalb zur einer Beschleunigung der Aussetzungsentscheidung beigetragen.
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3. Den Ausführungen zum effektiven Rechtsschutz bei Verletzung des Willkürverbots ist gleichfalls nicht zu folgen, d.h. auch danach ist eine andere Betrachtungsweise nicht veranlasst.
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Wie aufgezeigt ist dem angefochtenen Beschluss weder eine Ablehnung der Aussetzung zu entnehmen, noch ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen, dass und weshalb das Landgericht infolge der Abtrennung nicht zeitnah oder jedenfalls nur später als ohne Abtrennung eine gegebenenfalls dann der Überprüfung im Rechtsmittelweg zugängliche Entscheidung über die Frage der Aussetzung, bezogen auf die verschiedenen Kläger, treffen könnte und würde.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO liegen nicht vor.
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Eine Entscheidung des Landgerichts, das Verfahren nicht auszusetzen, liegt – anders als im Beschwerdevorbringen ausgeführt – nicht vor.