Titel:
Ende der Verjährungshemmung bei Wegfall der Prozessführungsbefugnis ("Die Autobahn GmbH des Bundes")
Normenketten:
BGB § 185, § 195, § 199, § 204 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
ZPO § 696 Abs. 1
FernstrÜG § 10 Abs. 2
GG Art. 90
Leitsätze:
1. Die Vorschrift des § 10 Abs. 2 FernstrÜG ist dahingehend auszulegen, dass "Die Autobahn GmbH des Bundes" anstelle der bisher prozessführungsbefugten und aktivlegitimierten Partei in die zum 31.12.2020 bereits anhängigen Mahn-/Gerichtsverfahren eintritt (Anschluss an OLG Düsseldorf BeckRS 2021, 20323 Rn. 31; s. aber - nachgehend - BGH BeckRS 2024, 39544 Rn. 15 ff.). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Genehmigt der Berechtigte die Klage des Nichtberechtigten oder tritt er im Wege des Parteiwechsels für diesen in den Rechtsstreit ein, wird die Verjährung nur ex nunc gehemmt. Eine Rückwirkung findet nicht statt, weil § 185 BGB auf die Prozessführung nicht entsprechend anwendbar ist (Anschluss an BGH BeckRS 1989, 1356; BGHZ 46, 221 (229)). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Halterhaftung, "Die Autobahn GmbH des Bundes", Prozessführungsbefugnis, Aktivlegitimation, Verjährung, Hemmung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 03.02.2023 – 8 O 4597/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 22.10.2024 – VI ZR 39/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54713
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Grundurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 03.02.2023 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren wird auf 233.438,91 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einem Fahrzeugbrand am 18.09.2017.
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Zur Darstellung des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im (berichtigten) Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 03.02.2023 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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Die Klägerin hatte erstinstanzlich zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 233.438,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 39.016,94 € seit 02.01.2018 und aus weiteren 194.421,97 € seit dem 28.03.2018 sowie weitere 8,55 € an Mahnauslagen und Schreibkosten zu bezahlen.
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Das Landgericht hat durch Grundurteil entschieden und den Klageantrag Ziffer 1 dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet.
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Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter.
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Die Klägerin hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.
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Die zulässige Berufung führt zur Abweisung der Klage wegen Verjährung.
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1. Der streitgegenständliche Brand ereignete sich am 18.09.2017, so dass Verjährung zum 31.12.2020 eingetreten wäre, § 199 Abs. 1, § 195 BGB. Am 22.12.2020 ist der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids beim Amtsgericht Coburg – Zentrales Mahngericht – eingegangen. Die Zustellung erfolgte am 05.01.2021 und damit demnächst i. S. der §§ 167, 693 ZPO, wodurch eine Verjährungshemmung – rückwirkend auf den Zeitpunkt des Antrags auf Erlass des Mahnbescheids – eingetreten ist, § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
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Fraglich ist, ob eine Beendigung der Hemmung wegen Nichtbetreibens gemäß § 204 Abs. 2 S. 3, S. 1 BGB eingetreten ist. Ein Nichtbetreiben kann grundsätzlich dann angenommen werden, wenn der Antragsteller den Antrag nach § 696 Abs. 1 ZPO nicht stellt und deshalb das Verfahren nicht abgegeben wird. Der Widerspruch ist am 07.01.2021 beim Amtsgericht Coburg eingegangen, worüber die Klägerin am 08.01.2021, unbestritten zugegangen am 20.01.2020 beim Landesamt für Finanzen (vgl. Anlage K 12), benachrichtigt wurde (Bl. 4 d. A.)
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Der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens nebst Anspruchsbegründung ist tatsächlich am 15.07.2021 gefertigt worden und an diesem Tag elektronisch beim Amtsgericht Coburg – Zentrales Mahngericht – eingegangen. Dies ergibt sich aus dem entsprechenden Transfervermerk vom 15.07.2021 12:48:55 (Bl. 30 d. A.). Für Verwirrung beim Beklagten hat allerdings gesorgt, dass die Geschäftsstelle des Landgerichts Nürnberg-Fürth am 07.09.2021 ein Telefonat mit der klägerischen Anwaltskanzlei geführt hat und diese daraufhin die Anspruchsbegründung nebst Abschriften (erneut) übersandt hat, weil die Geschäftsstelle ansonsten die erforderliche Zahl von Abschriften hätte selbst herstellen müssen, die bei elektronischer Einreichung gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht beizufügen waren. Damit ist der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens nebst Anspruchsbegründung am 15.07.2021 beim Amtsgericht Coburg und damit innerhalb von sechs Monaten nach Zugang der Widerspruchsnachricht (20.01.2021) eingegangen.
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Die Akte selbst ist nach Abgabeverfügung vom 19.07.2021 am 26.07.2021 beim Prozessgericht eingegangen (Bl. 9 d. A.). Das Landgericht hat am 01.09.2021 einen Beschluss erlassen und am 06.09.2021 die am 09.09.2021 erfolgte Zustellung der Anspruchsbegründung verfügt. Da letztgenannte Verzögerungen nicht im Verantwortungsbereich der Klägerin liegen, bleiben sie außer Betracht.
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2. Allerdings ist über die rein zeitliche Abfolge hinaus noch die Frage zu klären, ob die Klägerin überhaupt wirksam verjährungshemmende Maßnahmen ergreifen und den Antrag nach § 696 Abs. 1 ZPO stellen konnte, da zum 01.01.2021 die A. GmbH des Bundes gegründet wurde.
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Gemäß Art. 90 Abs. 1 S. 1 GG bleibt der Bund Eigentümer der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs. Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird ab dem 01.01.2021 in Bundesverwaltung geführt, Art. 90 Abs. 2 S. 1 GG. Der Bund bedient sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts, Art. 90 Abs. 2 S. 2 GG. Nach § 10 Abs. 2 Fernstraßen-Überleitungsgesetz (FernstrÜG) vom 14.08.2017 (BGBl. I S. 1328) tritt die Gesellschaft privaten Rechts im Sinne des Infrastrukturgesellschaftserrichtungsgesetzes (InfrGG) zum 01.01.2021 im Rahmen der ihr zur Ausführung übertragenen Aufgaben in die Vergabe- und Gerichtsverfahren ein. Nach § 1 Abs. 1 InfrGG überträgt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Planung, den Bau, den Betrieb, die Erhaltung, die Finanzierung und die vermögensmäßige Verwaltung von Bundesautobahnen, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt, zur Ausführung auf eine Gesellschaft privaten Rechts, die am 13.09.2018 gegründete A. GmbH des Bundes, der die vorgenannten Aufgaben auch vollständig übertragen worden sind.
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Die Vorschrift des § 10 Abs. 2 FernstrÜG kann nach Auffassung des Senats nur so verstanden werden, dass die A. GmbH des Bundes anstelle der bisher prozessführungsbefugten und aktivlegitimierten Klägerin in die zum 31. Dezember 2020 bereits anhängigen Mahn-/Gerichtsverfahren eintritt (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.2021 – Verg 13/21 –, Rn. 43 – 44, juris).
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Die von der Klägerin favorisierte Auslegung, wonach sich durch die Gründung der A. GmbH des Bundes nur die Vertretungsbefugnis (vom Landesamt für Finanzen zur A. GmbH des Bundes) ändert, überzeugt nicht. Die Klägerin verweist zwar zutreffend auf eine Änderung der Anordnung über die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (VkBl. 2020, 778), in welche inzwischen auch die A. GmbH des Bundes als vertretungsbefugt aufgenommen worden ist. Allerdings kommt es auf diese Vorschrift nicht an. Maßgeblich ist vielmehr allein die Bestimmung des § 10 Abs. 2 FernstrÜG. In § 10 Abs. 2 FernstrÜG ist ein Eintritt der Gesellschaft privaten Rechts, also der A. GmbH des Bundes, in die Vergabe- und Gerichtsverfahren sowie in sonstige Verfahren und Rechtspositionen vorgesehen. Der Eintritt in ein Gerichtsverfahren ist etwas anderes als eine Änderung der Vertretungsbefugnis bei ansonsten gleicher Prozesspartei. Gemeint sein kann damit nur die Schaffung einer gesetzlichen Prozessstandschaft für die A. GmbH des Bundes, die im Gegensatz zu einer Landesbehörde (Landesamt für Finanzen) auch eine selbständige juristische Person des Privatrechts (GmbH) ist. Damit hat die A. GmbH die alleinige Befugnis, im eigenen Namen über ein fremdes Recht einen Prozess zu führen, die die Befugnis des bisherigen Rechtsträgers verdrängt.
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Aufgrund der seit dem 01.01.2021 bestehenden gesetzlichen Prozessstandschaft konnte die Klägerin keine fristwahrende Anspruchsbegründung einreichen. Dabei hat die Klägerin mit ihrer Anspruchsbegründung und in ihrem Schreiben vom 03.09.2021 (Bl. 35 d. A.) auch ausdrücklich klargestellt, dass Klägerin die Bundesrepublik Deutschland bleibt, die allerdings durch die A. GmbH des Bundes vertreten wird.
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Wenn eine Partei ihre Prozessführungsbefugnis während des Rechtsstreits verliert, so liegt ein – hier gesetzlicher − Parteiwechsel vor. Die Frage, ob § 265 ZPO (ggf. analog) weiterhelfen kann, wonach die Rechtshängigkeit das Recht einer Partei nicht ausschließt, die in Streit befangene Sache zu veräußern, oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten, und die Veräußerung oder Abtretung auf den Prozess keinen Einfluss hat, stellt sich schon deswegen nicht, weil die Streitsache erst mit Zustellung des Mahnbescheids als rechtshängig geworden gilt, wenn sie alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben wird, § 696 Abs. 3 ZPO. Frühester Zeitpunkt der Rechtshängigkeit war damit der 05.01.2021, denn die Zustellung des Mahnbescheids erfolgte an diesem Tag. Eine weitere Rückbeziehung der Rechtshängigkeit auf den Zeitpunkt des Eingangs des Mahnbescheidsantrags eröffnet § 167 ZPO nicht (Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 696 Rn. 8). § 167 ZPO ermöglicht das nur in den dort genannten Fällen, zu denen ein Wechsel in der Prozessführungsbefugnis nicht gehört.
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3. Damit kann festgestellt werden, dass die seit dem 01.01.2021 richtige Partei (A. GmbH des Bundes) das Verfahren seither nicht betrieben hat, so dass Verjährung eingetreten ist. An dieser Rechtsfolge würde sich auch dann nichts ändern, wenn die A. GmbH des Bundes die Prozessführung der Bundesrepublik Deutschland genehmigen würde, weil nur die Klage des Berechtigten die Verjährung hemmt. Die Klage eines Nichtberechtigten hemmt die Verjährung nicht (Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 204 Rn. 9; BGH, Urteil vom 29.10.2009 – I ZR 191/07 –, Rn. 38, juris). Für den Begriff des „Berechtigten“ kommt es nicht auf die Rechtsinhaberschaft an, sondern auf die Befugnis zur klageweisen Geltendmachung des Anspruchs. Nichtberechtigter kann dabei auch der Forderungsinhaber sein (Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 204 Rn. 9). Genehmigt der Berechtigte die Klage des Nichtberechtigten oder tritt er im Wege des Parteiwechsels für diesen in den Rechtsstreit ein, wird die Verjährung ex nunc gehemmt (BGHZ 46, 229; BGH, Urteil vom 16.03.1989 – VII ZR 63/88 –, Rn. 6, juris). Eine Rückwirkung findet nicht statt, weil § 185 BGB auf die Prozessführung nicht entsprechend anwendbar ist (Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 204 Rn. 11).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die Frage der Wirkung des § 10 Abs. 2 FernstrÜG auf laufende Gerichtsverfahren ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt.