Titel:
Unklare Verkehrslage, Elektronisches Dokument, Versichertes Fahrzeug, Unfallbeteiligte, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Überholen, Fahrtrichtungsanzeiger, Elektronischer Rechtsverkehr, Ergebnis der Beweisaufnahme, Unabwendbares Ereignis, Straßenverkehrsrecht, Betriebsgefahr, Streitwert, Versicherungsnehmer, Doppelte Rückschaupflicht, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Amtliche Kennzeichen, Überholvorgang
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadenersatz, Betriebsgefahr, Überholvorgang, Beweislast, Haftungsabwägung, Verkehrssicherungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54698
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 644,27 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall am 09.09.2020 in … geltend.
2
Unfallbeteiligt waren der bei der Klägerin kaskoversicherte und vom Zeugen … geführte Pkw Porsche, amtliches Kennzeichen …, sowie der vom Zeugen … geführte Pkw Ford, amtliches Kennzeichen …, dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte ist.
3
Am 09.09.2020 fuhren beide Fahrzeuge hinter einem langsam fahrenden Traktorgespann. Nachdem mehrere Fahrzeuge vor dem Zeugen … den Traktor mit Anhänger überholt hatten, fuhr der Zeuge … als nächstes Fahrzeug hinter dem Traktorgespann her. Zwischen dem Fahrzeug des … und dem nachfolgenden Fahrzeug des … fuhren noch zwei weitere Fahrzeuge. Der Zeuge … und der Zeuge … wollten dann den Traktor links überholen. Dabei kam es zu einer seitlichen Streifkollision zwischen beiden Fahrzeugen. Hierdurch wurde das bei der Klägerin versicherte Fahrzeug an der linken Fahrzeugseite beschädigt. Es entstand ein Schaden in Höhe von 3.077,10 €. Die Klägerin hat den Kaskoschaden ihres Versicherungsnehmers nach Abzug der Selbstbeteiligung (500,00 €) in Höhe von € 2.577,10 reguliert. Mit der Klage macht die Klägerin eine Haftungsquote von 25 % gegenüber der Beklagten geltend.
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Die Klägerin behauptet, der Fahrer des bei ihr versicherten Fahrzeugs, …, habe sich nach hinten vergewissert und dann nach vorne, ob die Fahrbahn frei sei. Nachdem kein Gegenverkehr mehr gekommen sei, sei er ausgeschert, um den Traktor mit Anhänger zu überholen. In der Zwischenzeit sei der Versicherungsnehmer der Beklagten von hinten gekommen in der Absicht, den Stau von hinten aufzuholen ohne Rücksicht darauf, dass natürlich auch andere Fahrzeuge aus der Kolonne überholen wollten. Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagten ein Mitverschulden bzw. eine überhöhte Betriebsgefahr in Höhe von 25 % zuzurechnen seien.
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Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 644,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt:
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
7
Die Beklagte behauptet, dass der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs als kein Gegenverkehr mehr kam, weder den Blinker setzte, noch sich zur Fahrbahnmitte hin einordnete. Da die Fahrbahn sowohl von hinten als auch von vorne frei gewesen sei und der Zeuge … nicht habe erkennen lassen ebenfalls überholen zu wollen, habe der Zeuge … ausgeschert, um den vorausfahrenden Pkw und den Traktor überholen zu können. Als sich der Zeuge … bereits direkt neben dem Zeugen … befand sei dieser plötzlich ausgeschert. Der Unfall sei für den Zeugen … unabwendbar gewesen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen … und …. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze der Klägerin vom 09.11.2022 und 27.01.2023, sowie der Beklagten vom 29.12.2022 und 12.01.2023 nebst Anlagen, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadenersatz gegenüber der Beklagten gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 1 PfIVG.
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1. Der Verkehrsunfall am 09.09.2020, bei dem das Fahrzeug des … mit dem amtlichen Kennzeichen … beschädigt wurde und das bei der Klägerin kaskoversichert ist, hat sich beim Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw des …, amtliches Kennzeichen …, ereignet, § 7 Abs. 1 StVG. Es kam zu einer Streifkollision zwischen den unfallbeteiligten Fahrzeugen im fließenden Verkehr, als beide Fahrzeuge einen langsamer fahrenden Traktor überholen wollten. Der Unfall wurde nicht durch höhere Gewalt verursacht, vgl. § 7 Abs. 1, Abs. 2 StVG.
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2. Gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird. Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt, die insbesondere die Einhaltung der geltenden Verkehrsvorschriften beinhaltet, nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“ (Senat, Urt. v. 3.6.2016 – 7 U 14/16 – NJW-RR 2017, 19; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 17 StVG, Rn. 22 m.w.N., r+s 2022, 105 Rn. 9, beck-online) Zwar gilt auch für ihn grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz, nach dem sich der Kraftfahrer in gewissem Umfang darauf verlassen darf, dass andere Verkehrsteilnehmer sich sachgerecht verhalten, solange keine besonderen Umstände vorliegen, die geeignet sind, dieses Vertrauen zu erschüttern. Allerdings ist ein strengerer Maßstab anzulegen, da ein „Idealfahrer“ den Verkehr sorgfältiger und kritischer als der Durchschnittsfahrer beobachten und seine Fahrweise darauf einstellen muss (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 20) Zur äußersten Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente (König, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 23). Vorliegend ist dabei zu berücksichtigen, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Pkw bei Ansetzen des Überholvorgangs beabsichtigte drei Fahrzeuge und einen Traktor mit Anhänger zu überholen. Nach der Rechtsprechung des OLG München, Urt. v. 24.2.2017 – 10 U 4448/16, ist ein Unfall im Rahmen des Überholens einer Fahrzeugkolonne nicht unabwendbar, weil ein Idealfahrer dies angesichts der mit derartigem Kolonnenspringen verbundenen abstrakten Selbst- und Fremdgefährdung unterlassen hätte.
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3. Gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Es muss mithin eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge erfolgen. Bei dieser Abwägung sind Verursachungsbeiträge nur insoweit zu berücksichtigen, als sie zulasten des jeweiligen Unfallbeteiligten nachgewiesen sind. Die Abwägung ergibt, dass der Verursachungsbeitrag des Fahrers des bei der Beklagten versicherten Pkw hinter dem Verursachungsbeitrag des Fahrers des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs zurücktritt.
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a) Der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Pkws, der Zeuge …, hat gegen die Verhaltensvorschrift des § 5 Abs. 4 StVO verstoßen. Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 StVO muss sich, wer zum Überholen ausscheren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Der Zeuge … hat gegen dieses Gebot dadurch verstoßen, dass er sich nicht hinreichend vergewissert hatte, dass er zum Überholen ausscheren konnte, ohne den nachfolgenden Verkehr zu gefährden.
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Davon ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme auszugehen. Der Zeuge … hat insofern in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2023 zwar angegeben, dass er sich vergewissert habe, dass vorne alle frei ist. Vorher habe er auch noch in den Rückspiegel geschaut. Auf Nachfrage gab der Zeuge an, dass er einmal in den Rückspiegel geschaut habe. Dann habe er sich nochmals 1 -2 Sekunden nach vorne vergewissert, ob frei ist. Dann habe er zum Überholen angesetzt.
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Der Gefährdungsausschluss im Rahmen des § 5 Abs. 4 StVO verlangt eine besonders sorgfältige Rückschau (OLG Karlsruhe DAR 1988, 163; OLG Jena NZV 2006, 147) Eine doppelte Rückschaupflicht ist zwingend geboten, und zwar vor Setzung des Fahrtrichtungsanzeigers und unmittelbar vor dem Ausscheren. (NK-GVR/Sebastian Gutt, 3. Aufl. 2021, StVO § 5 Rn. 28) Gegen diese doppelte Rückschaupflicht hat der Zeuge … verstoßen. Der Zeuge … hätte sich unmittelbar vor Ansetzen zum Überholen nochmals nach dem nachfolgenden Verkehr vergewissern müssen. Dies ist nach eigenem Vortrag nicht erfolgt.
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Der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Pkws hat zudem gegen die Verhaltensvorschrift des § 5 Abs. 4a StVO verstoßen. Gemäß § 5 Abs. 4a StVO sind das Ausscheren zum Überholen und das Wiedereinordnen rechtzeitig und deutlich anzukündigen. Dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Dadurch soll sich der nachfolgende Verkehr auf das Überholen einstellen können. Es ist davon auszugehen, dass der Zeuge … seine Absicht zum Überholen nicht rechtzeitig durch Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers angezeigt hat.
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Der Zeuge … hat in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2023 angegeben, dass der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs nicht geblinkt hat. Er hat ausgesagt, dass er noch gebremst hätte, wenn der … geblinkt hätte. Diese Angaben stehen nicht in Widerspruch zu den Angaben des Josef Pfeffer. Dieser auf Nachfrage des Gerichts angegeben, dass er nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er den Blinker gesetzt hat. Die Angaben des Zeugen … waren auch nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Es erschien dem Gericht glaubhaft, dass der Fahrtrichtungsanzeiger durch den Zeugen … nicht gesetzt wurde.
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b) Dem Fahrer des bei der Beklagten versicherten Pkws kann kein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO zur Last gelegt werden.
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Nach st. Rechtsprechung stellt das Überholen einer Kolonne als solches noch keinen Fall des Überholens bei unklarer Verkehrslage dar, sondern dafür müssen besondere Umstände hinzukommen (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 5 StVO, Rdnr. 34 m.w.N.). (r+s 2017, 211 Rn. 7, beck-online) Eine unklare Verkehrslage besteht nicht per se dann, wenn eine Kolonne vorausfährt (vgl. OLG München, Urt. v. 24.2.2017 – 10 U 4448/16, r+s 2017, 211 Rn. 7), weil bei fehlender Überholabsicht der Vorausfahrenden sonst jedes Überholen und damit die Auflösung der Kolonne ausgeschlossen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.6.2002 – 10 U 77/01, BeckRS 2004, 9618 Rn. 14). Unklar ist die Verkehrslage aber dann, wenn nach allen Umständen nicht mit einem gefahrlosen Überholen gerechnet werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.10.1995 – 5 Ss (OWi) 345/95, NZV 1996, 119), insbesondere dann, wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende jetzt sogleich tun wird (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 9.7.2013 – 9 U 191/12, NZV 2014, 125). (r+s 2022, 105 Rn. 15, beck-online) Eine unklare Verkehrslage ist etwa angenommen worden, wenn die zu überholenden Fahrzeuge langsamer werden und nach links blinken oder die Kolonne nur mit ca. 25 km/h fährt und ein Überholen zuvor durch eine durchgezogene gerade Linie auf der Fahrbahnmitte untersagt war.(r+s 2017, 211 Rn. 7, beck-online).
20
Derartige Umstände lagen im vorliegenden Fall nicht vor. Nach übereinstimmenden Angaben des Zeugen … und … kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge als diese sich auf gleicher Höhe befanden. Der Zeuge … hatte zu diesem Zeitpunkt nach unbestrittenem Vortrag bereits zwei Fahrzeuge, welche noch hinter dem Zeugen … gefahren waren, überholt. Der Zeuge … kann daher erst später und zu einem Zeitpunkt mit dem Überholvorgang begonnen haben, als er eine früher bestehende Möglichkeit zum Überholen nicht wahrgenommen hatte. Dies mag unter Umständen daran liegen, dass er aufgrund der Streckenführung erst zu diesem Zeitpunkt von einem gefahrlosen Überholen ausging. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Verkehrssituation anders einschätzen und ein früheres Überholen für möglich halten, insbesondere wenn kein Gegenverkehr herrscht. Umso wichtiger erscheint es dann, dass der Überholvorgang rechtzeitig angezeigt wird, insbesondere durch Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers, damit der nachfolgende Verkehr sich auf den beabsichtigten Überholvorgang einstellen kann. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der … den Blinker nicht gesetzt hatte (s.o.). Der Zeuge … konnte sich damit nicht auf ein Überholen des Zeugen … einstellen. Da es zu einer Kollision kam, als sich beide Fahrzeuge auf gleicher Höhe befanden, ist auch nicht davon auszugehen, dass der Zeuge … schon bei Beginn seines Überholvorgangs mit dem Ausscheren des Zeugen … nach links rechnen musste. Demjenigen, der im Kolonnenverkehr zuerst ordnungsgemäß zum Überholen angesetzt hat, gebührt der Vortritt auch gegenüber einem innerhalb der Kolonne an einer vorderen Stelle fahrenden Fahrzeugführer, der sich die ihm als ersten eröffnende Möglichkeit des Überholens nicht wahrgenommen hat. (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17) Der Überholende darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Fahrer des vorausfahrenden Pkw nicht ohne rechtzeitiges Einschalten des linken Fahrtrichtungsanzeigers und ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten, seinerseits zum Überholen ansetzen wird (BayObLG, VRS 64, 55 (56); NVZ 1995, 359).
21
Eine unklare Verkehrslage ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass für den Zeugen … durch andere Umstände – insbesondere einem Einordnen zur Mittellinie – erkennbar war, dass der Zeuge … den vor ihnen fahrenden Traktor überholen will. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Zeuge … zu Mittellinie orientiert hat, bevor er mit dem Überholvorgang begonnen hatte.
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Die Angaben der Zeugen … und … waren insoweit widersprüchlich. Der Zeuge … hat angegeben, dass er immer wieder zur Mittellinie gezogen ist, um zu schauen, ob vorne frei ist. Er sei dann auf die Mittellinie rausgefahren, um zu schauen ob vorne frei ist. Er habe dann in den Rückspiegel geschaut um sich dann danach noch mal nach vorne zu vergewissern ob frei ist. Dann habe er zum Überholen angesetzt. Der Zeuge … hingegen hat angegeben, dass er nicht gemerkt habe, dass der Porsche überholen will. Er habe sich nicht zur Mittellinie hin eingeordnet.
23
Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Für den Beweis ist die volle richterliche Überzeugung erforderlich. Es bedarf keiner absoluten Gewissheit oder „an Sicherheit grenzender“ Wahrscheinlichkeit. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2019, 3147 Rn. 27; 2015, 2111 Rn. 11; 2013, 790 Rn. 17; 1998, 2969 (2971); näher dazu Kopp/Schmidt JR 2015, 51 (52 f.)). (BeckOK ZPO/Bacher, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 286 Rn. 2) Eine derartige Überzeugung konnte sich das Gericht aufgrund der widersprüchlichen Angaben der Zeugen, bei denen das Gericht weder dem einen Zeugen, noch dem anderen Zeugen einen höheren Beweiswert zukommen lassen konnte, nicht bilden. Kann sich das Gericht nach ordnungsgemäßer Würdigung sämtlicher Ergebnisse der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung von der zu beweisenden Tatsache nicht in dem erforderlichen Maß überzeugen (non liquet), hat es bei seiner Entscheidung von dem Nichtvorliegen der betreffenden Tatsache zu Ungunsten der beweisbelasteten Partei auszugehen (sog negative Grundregel der Beweislast). (Saenger, Zivilprozessordnung, ZPO § 286 Rn. 34, beck-online).
24
c) Unter Berücksichtigung des Umstands, dass dem Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs kein verkehrswidriges Verhalten trifft, der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs jedoch gegen § 5 Abs. 4 und § 5 Abs. 4a StVO verstoßen hat, rechtfertigt eine volle Haftung des Fahrers der bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs. Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs tritt vorliegend zurück.
25
3. Mangels Hauptanspruchs steht dem Kläger auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.
26
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 BGB.