Inhalt

AG Coburg, Endurteil v. 16.05.2023 – 14 C 551/23
Titel:

Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nebenkosten, Sachverständigenkosten, Beauftragung eines Sachverständigen, Sachverständigenhonorar, Auswahl des Sachverständigen, Elektronischer Rechtsverkehr, Ortsüblichkeit, Wirtschaftlichkeitsgebot, Ersatzfähige, Fahrtkosten, Streitwert, Erstattungsfähige, Verfahren nach billigem Ermessen, Honorarvereinbarung, Schreibkosten, Kopierkosten, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung

Schlagworte:
Sachverständigenkosten, Schadensgutachten, Wirtschaftlichkeitsgebot, Plausibilitätskontrolle, Nebenkosten, Schätzermessen, Restwertermittlung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54697

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 157,08 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.03.2023 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 167,43 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
I.
2
Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung weiterer Sachverständigenkosten in Höhe von 157,08 € aus §§ 7, 17 StVG, 823, 249 BGB, 115 Abs. 1 VVG gegen die Beklagte.
3
Zu den ersatzfähigen Kosten der Wiederherstellung im Sinne von § 249 BGB gehören grundsätzlich auch die Kosten für ein Schadensgutachten, sofern das Gutachten zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs – wie hier unstreitig – erforderlich und zweckmäßig ist.
4
Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Er kann jedoch vom Schädiger nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Der Geschädigte ist allerdings grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Es ist auf die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen. Der Geschädigte ist daher zwar nicht zur Marktforschung, aber unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots zu einer Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise verpflichtet (BGH, Urteil vom 29.10.2019, VI ZR 104/19). Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (vgl. BGH, NJW 2014, 3151 ff.).
5
Der tatsächliche Aufwand gibt ex post gesehen einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages, da sich in ihm regelmäßig die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten niederschlagen (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019, VI ZR 315/18, Urteil vom 01.06.2017, VII ZR 95/16). Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte deshalb regelmäßig durch die Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragten Sachverständigen, soweit diese von ihm beglichen wurde (u. a. BGH Urteil vom 17.12.2019, VI ZR 315/18, Urteil vom 28.02.2017, VI ZR 76/16). Die Zahlung einer Rechnung ist typischerweise das wesentliche Indiz für die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten und dafür, dass er die Kosten für erforderlich und angemessen hielt. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.
6
Bei der Frage, wann von erkennbar überhöhten Preisen auszugehen ist, ist keine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, sondern auf die vom Sachverständigen veranschlagten jeweiligen Einzelpositionen (Grundhonorar und Nebenkosten) abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2017, VI ZR 61/17).
1. Grundhonorar
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Im vorliegenden Fall wurde keine konkrete Honorarvereinbarung getroffen, weshalb sich die übliche und angemessene Vergütung nach dem erforderlichen Aufwand bestimmt. Das abgerechnete Grundhonorar von 515,00 € ist erstattungsfähig und nicht erkennbar überhöht.
8
Maßstab für die Höhe des ersatzfähigen Schadens ist allein der nach § 249 Abs. 2 BGB erforderliche Geldbetrag. Die Berechnung des Sachverständigenhonorars in Form eines Grundhonorars abhängig von der Schadenshöhe ist allgemein anerkannt.
9
Das Gericht orientiert sich bei der Überprüfung der Angemessenheit bzw. Überhöhung der Abrechnung an der BVSK-Honorarbefragung, um anhand dieser Feststellungen eine Entscheidung zur Frage der erkennbar deutlichen Überhöhung und dem zu erstattenden Betrag im Rahmen des dem Gericht nach § 287 ZPO zukommenden Schätzungsermessens zu treffen. Die BVSK-Befragungen sind in der Rechtsprechung als Schätzgrundlage allgemein anerkannt. Das Gericht hält die Befragungen betreffend das Grundhonorar für repräsentativ genug und ausreichend aussagekräftig (so auch Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Az.: 32 S 8/22).
10
Der Verkehrsunfall ereignete sich am 08.09.2022. Die BVSK-Liste 2022 war die zum Unfallzeitpunkt zeitlich nähere Befragung, weshalb das Gericht diese Tabelle bei der Schätzung zu Grunde legt.
11
Der Bundesgerichtshof hat eine Schätzung des erforderlichen Grundhonorars durch Bildung des arithmetischen Mittels des HB V-Korridors der zum Zeitpunkt der Auftragserteilung aktuellen BVSK-Umfrage im Urteil vom 28.02.2017, VI ZR 76/16, ausdrücklich gebilligt. Diese Beträge legt das erkennende Gericht im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO zugrunde. Zwar wurde im Landgerichtsbezirk Coburg die übliche, geschätzte Vergütung häufig dem arithmetischen Mittel von HB II und IV entnommen. Die Schätzpraxis der Gerichte ist aber sehr unterschiedlich. Teilweise wird die Erstattungsfähigkeit generell von HB III, teilweise der Mittelwerte aus verschiedenen Honorarbereichen und teilweise des Höchstwerts aus HB V (vgl. LG Köln, BeckRS 2020, 2966) angenommen. Zu berücksichtigen ist auch, dass bzgl. der Ortsüblichkeit/Angemessenheit auf den Ort des Unfalls bzw. Geschädigten und nicht den Sitz des erkennenden Gerichts abzustellen ist, was mit einer Vielzahl von Unwägbarkeiten behaftet ist. So hat das Landgericht Coburg in dem Urteil vom 18.03.2022 (Aktenzeichen: 32 S 8/22) unter Berücksichtigung dieser Grundsätze den Mittelwert aus dem Honorarkorridor HB V, in dem 50 – 60% und damit jedenfalls mindestens die Hälfte der Sachverständigen abrechnen, als tauglichen Schätzwert angesehen.
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Bei dem zugrunde zu legenden Netto-Reparaturkosten in Höhe von 2.344,34 € beträgt nach der BVSK-Liste 2022 der Honorarkorridor HB V 497,00 € bis 554,00 € sowie das arithmetische Mittel hieraus 525,50 €.
13
Bei Zugrundlegung der genannten BVSK-Liste unterschreitet das Grundhonorar den arithmetischen Mittelwert, sodass nicht von einer deutlichen Überhöhung ausgegangen werden kann.
2. Nebenkosten
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Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Rechnung ist zwischen dem Grundhonorar und den Nebenkosten zu unterscheiden und nicht lediglich ein Gesamtvergleich der abgerechneten oder „abrechnungsfähigen“ Beträge vorzunehmen.
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Der Geschädigte muss im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle überprüfen, ob die abgerechneten Nebenkosten erheblich überhöht sind. Hierzu ist er auch in der Lage, da es sich um Kosten des täglichen Lebens handelt, mit denen ein Erwachsener üblicherweise im Alltag konfrontiert ist und deren Höhe er typischerweise auch ohne besondere Sachkunde abschätzen kann (BGH, Urteil vom 24.10.2017 – VI ZR 61/17 m.w.N.).
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Für die Frage, wann die Nebenkosten deutlich überhöht sind, schätzt das Gericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Landgerichts Coburg die Angemessenheit und Ortsüblichkeit der abgerechneten Nebenkosten wiederum anhand der Werte der BSVK-Befragung, wobei das Gericht auch hier die zeitlich nähere Befragung – nämlich diese aus dem Jahr 2022 – zu Grunde legt.
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Zu berücksichtigen sind nach der genannten BVSK-Befragung mithin für den ersten Fotosatz pro Lichtbild 2,00 €, für Kopierkosten pro Seite 0,50 € und Schreibkosten von 1,80 € pro tatsächlich beschriebener Seite. Hinsichtlich der Fahrtkosten sind 0,70 € pro Kilometer und für pauschale Porto- und Telefonkosten 15,00 € anzusetzen.
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Ausgehend davon, waren die in der Rechnung enthaltenen Nebenkosten aus Sicht des Geschädigten teilweise erkennbar überhöht, sodass hier Kürzungen vorzunehmen waren.
a) Schreib- und Kopiekosten
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Die Schreibkosten sind in Höhe von 30,60 € ersatzfähig.
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Der Kläger kann grundsätzlich Schreibkosten für 17 Seiten (je 1,80 €) seines Gutachtens beanspruchen (30,60 €). Auf die körperliche Ausfertigung des Gutachtens kommt es hierfür nicht an. Die Schreibkosten fallen unabhängig von der körperlichen Ausfertigung an (Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Aktenzeichen: 32 S 8/22). Auf die Frage der körperlichen Ausfertigung kommt es nicht an. Eine Kopie des Gutachtens im Sinne einer zweiten körperlichen Ausfertigung des Gutachtens ist nicht vorgetragen, sodass Kopierkosten nicht erstattungsfähig sind. b) Fotokosten Hinsichtlich der abgerechneten Fotokosten sind 28,00 € ersatzfähig.
21
Das Gutachten enthält 14 Fotos.
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Unabhängig von einer Verkörperung des Gutachtens sind als Pauschalbetrag 2,00 € pro Lichtbild ersatzfähig. Damit sind alle Aufwendungen im Zusammenhang mit der Fotoerstellung von Anschaffung der Kamera über Fotografieren und technische Aufbereitung bis zum ersten Ausdruck abgegolten. Dies ist bereits mit dem fertigen Erstellen des Gutachtens erreicht. Jedoch sind Kosten für einen weiteren Ausdruck bzw. Kopierkosten nur bei tatsächlichem Anfall erstattungsfähig (Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Aktenzeichen: 32 S 8/22 m.w.N.). c) Porto-/Telefonkosten Das pauschale Bestreiten der überhöhten Kosten für Porto und Telefon ist unbeachtlich. Die Vereinbarung einer Porto- und Telefonkostenpauschale ist üblich und in der BVSK-Tabelle vorgesehen. Die Höhe von 15 € ist nicht zu beanstanden (Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Aktenzeichen: 32 S 8/22).
d) Fahrkosten
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Die pauschal berechneten Fahrtkosten sind hier in voller Höhe erstattungsfähig.
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Der Geschädigte ist bei der Auswahl des Sachverständigen in bestimmten Grenzen frei. Er ist nicht verpflichtet, den nächstgelegenen oder einen von der Beklagten ausgesuchten Sachverständigen zu beauftragen. Die Beauftragung eines Sachverständigen im Umkreis von rund 50 km wird von den Gerichten allgemein gebilligt.
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Tatsächlich betrug die Fahrtstrecke einfach 32 km; mithin waren insgesamt 64 km zurückzulegen. Da die abgerechneten Fahrtkosten hinter dem Wert aus 0,70 € bei 64 km zurückbleibt, sind die angesetzten Kosten von 43,40 € zu ersetzen.
e) Restwertermittlung
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Der Sachverständige hat ausweislich der vorgelegten Fremdrechnung für die Abfrage bei der Restwertbörse für das streitgegenständliche Gutachten tatsächlich einen Betrag in Höhe von 18,00 € aufgewendet. Diese Kosten sind ersatzfähig, jedoch nicht darüber hinausgehende Beträge.
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Nach alledem besteht folgender Anspruch:
Grundhonorar 515,00 €
Schreibkosten/Kopien 30,60 €
Porto/Telefonkosten 15,00 €
Lichtbilder 28,00 €
Restwertermittlung 18,00 €
Fahrtkosten 43,40 €
650,00 €  
Zzgl. 19% MwSt 773,50 €
. /. Zahlung der Beklagten 616,43 €
157,08 €
II.
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1. Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 2, 288 BGB.
29
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
30
3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.