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AG Coburg, Endurteil v. 07.07.2023 – 11 C 1264/23
Titel:

Sachverständigengutachten, Abtretung, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Freistellungsanspruch, Zurückbehaltungsrecht, Haftpflichtversicherung, Erstattungsfähigkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Zug-um-Zug-Verurteilung, Reparaturkosten, Reparaturwerkstatt, Rückforderungsansprüche, Streitwert, Rückgriffsansprüche, Ungerechtfertigte Bereicherung, Schadensbeseitigung, Verfahren nach billigem Ermessen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Überzahlung

Schlagworte:
Schadensersatz, Werkstattrisiko, Reparaturkosten, Prognoserisiko, Geschädigtenvertrauen, Verzugszinsen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54696

Tenor

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 83,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.01.2023 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückgriffsansprüche wegen angeblicher Überzahlung gegen die , anlässlich der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs, amtliches Kennzeichnen, aufgrund des Unfallschadens vom 31.08.2022, Rechnungsnummer, soweit sie nicht die originären Nacherfüllungsansprüche der Klägerin aus dem Werkvertrag betreffen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 83,30 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Dem Kläger steht im tenorierten Umfang ein Anspruch auf restlichen Schadensersatz gegen die Beklagte gemäß §§ 7, 17 StVG, 823, 249 BGB, 115 VVG zu.
3
Die Parteien streiten um restliche Reparaturkosten.
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Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.
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Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers (AG Norderstedt, Urteil vom 14. 9. 2012 – 44 C 164/12; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014 – 9 S 314/13). Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014- 37 C 11789/11). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden der Klägerin ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendung sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier gleichartige Aufwendung sich bereits aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergeben.
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind hier die restlichen Reparaturkosten ersatzfähig.
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Ein Berufen auf das Werkstatt- und Prognoserisiko ist auch sachgerecht. Der Geschädigte soll aus Divergenzen zwischen der Haftpflichtversicherung und der Werkstatt herausgehalten werden. Der Geschädigte kann, sofern entsprechende Kosten im Sachverständigengutachten ausgewiesen werden, auf die Erforderlichkeit dieser vertrauen. Mithin ist von ihm auch nicht zu erwarten, dass er jede Rechnungsposition hinterfragt und sich belegen lässt. Der Haftpflichtversicherung steht es frei, sich entsprechende Ansprüche gegen die Werkstatt abtreten zu lassen.
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Nicht relevant ist, ob der Kläger die Kosten bereits beglichen hat. Seinerseits sieht er sich in jedem Fall einer entsprechenden Forderung der Reparaturwerkstatt gegenüber, der er auch nicht substantiiert entgegen treten kann, da er keinerlei Anhaltspunkte dafür hat, warum die Forderung überzogen sein soll. Auch besteht nicht lediglich ein Freistellungsanspruch. Sobald der Geschädigte den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung erfolglos zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes aufgefordert hat, wandelt sich der Befreiungsanspruch nach § 250 Abs. 2 BGB in einen Anspruch auf Geldersatz. Dem steht es nach der Rechtsprechung des BGH gleich, wenn der Schuldner die geforderte Herstellung oder überhaupt jeden Schadenersatz ernsthaft und endgültig verweigert (AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008, 5 C 365/08, BGH NJW 2004, 1868ff.). Eine Fristsetzung bedarf es dann auch nicht mehr.
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Im Übrigen greift das Werkstatt- und Prognoserisiko gerade zum Schutz des Geschädigten. Dieser Schutz kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Geschädigte die Rechnung vollständig bezahlt hat oder nicht. Bei einem bloßen Freistellungsanspruch besteht für den Geschädigten wiederum das Risiko, weiterhin von der Reparaturwerkstatt in Anspruch genommen zu werden, was dem Schutzzweck entgegenläuft. Wenn die Beklagte einwendet, es bestehe das Risiko der ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten, wenn dieser das erhaltene Geld nicht weiterleitet, kann sich diese mit den entsprechenden rechtlichen Mitteln dagegen wehren. Im Übrigen sieht das Gericht auch die Möglichkeit bei unberechtigter Forderung seitens der Werkstatt gegen dieses aus deliktischen eigenen Ansprüchen und nicht bloß aus abgetretenem Recht vorzugehen.
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Hieran ändert auch die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.04.2022, Az. VI ZR 147/21, nichts. Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, nach welchem teilweise durchgeführte Reparaturmaßnahmen ausweislich eines offensichtlich eingeholten Sachverständigengutachten wohl nicht erforderlich gewesen sind. Der Bundesgerichtshof unterstreicht in dieser Entscheidung seine bisherige Ansicht, dass es einer Erstattungsfähigkeit nicht entgegensteht, wenn die durchgeführten Arbeiten tatsächlich nicht erforderlich waren, solange den Geschädigten im Zusammenhang mit der Beauftragung der Werkstatt kein Verschulden trifft. Keine Aussage trifft die Entscheidung jedoch entgegen der Darstellung der Beklagten darüber, ob eine Erstattungsfähigkeit verneint werden muss, wenn abgerechnete Maßnahmen tatsächlich gar nicht durchgeführt wurden. Hier zieht die Beklagte einen Schluss, welcher der Entscheidung nicht zu entnehmen ist.
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Die Beklagte kann jedoch verlangen, dass ihr Zug um Zug etwaige Erstattungsansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag abgetreten werden. Eine solche Abtretung schmälert die Rechtsposition des Klägers als Geschädigten nicht und ist nicht davon abhängig, dass etwaige Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt tatsächlich bestehen; vielmehr genügt es, dass es möglich erscheint, dass solche Ansprüche vorhanden sind (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 19.10.2012 – 13 S 38/12, zit. n. juris). Die Berechtigung eines solchen Anspruchs ist vielmehr dann im Verhältnis zwischen dem Schädiger, hier der Beklagten, und der Reparaturwerkstatt zu klären. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Rechnung von dem Kläger bereits ausgeglichen worden ist oder nicht. Denn die Geltendmachung eines Anspruches gegenüber der Werkstatt wegen Überzahlung ist nicht notwendigerweise davon abhängig, ob bereits bezahlt wurde oder nicht. Darüber hinaus hatte es die Beklagte angesichts Ihres Prüfergebnisses bereits frühzeitig in der Hand, von dem Kläger wenigstens vorsorglich eine solche Abtretung zu verlangen und diesen darüber zu informieren, dass aus ihrer Sicht es günstiger sein kann, mit der Bezahlung der Reparaturkostenrechnung bis zur Durchführung des Abtretungsgeschäftes abzuwarten.
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Aus diesem Grund ist die Zug um Zug Verurteilung auch nicht auf eine Abtretung in Höhe der Klagesumme beschränkt. Inwieweit die Beklagte ohne Vorbehalt reguliert hat und ob daher über die Klagesumme hinaus Rückforderungsansprüche bestehen, ist im hiesigen Verfahren gerade nicht zu klären. Dies wäre Gegenstand eines etwaigen Folgeprozesses.
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Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
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Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB schließt den Verzug mit der Erfüllung der Leistungspflicht und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nur aus, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird. Beruft sich der Schuldner erst danach auf sein Zurückbehaltungsrecht, wird der bereits eingetretene Verzug dadurch nicht beseitigt. Der Schuldner muss vielmehr durch geeignete Handlungen den Verzug beenden, zum Beispiel seine eigene Leistung Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung anbieten (BGH, Urteil vom 26.09.2013, Az. VII ZR 2/13 m.w.N.)
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.