Titel:
Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nebenkosten, Sachverständigenkosten, Sachverständigenhonorar, Elektronischer Rechtsverkehr, Ortsüblichkeit, Wirtschaftlichkeitsgebot, Ersatzfähige, Streitwert, Verfahren nach billigem Ermessen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Erstattungsfähigkeit, Darlegungslast, Qualifizierte elektronische Signatur, Formlose Mitteilung, Aufgabe zur Post, Schreibkosten
Schlagworte:
Sachverständigenkosten, Schadensgutachten, Wirtschaftlichkeitsgebot, Plausibilitätskontrolle, Nebenkosten, Honorarschätzung, Verkehrsunfall
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54692
Tenor
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 167,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.07.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 179,10 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
2
Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
3
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung weiterer Sachverständigenkosten in Höhe von 167,20 €.
4
Zu den ersatzfähigen Kosten der Wiederherstellung im Sinne von § 249 BGB gehören grundsätzlich auch die Kosten für ein Schadensgutachten, sofern das Gutachten zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs – wie hier unstreitig – erforderlich und zweckmäßig ist.
5
Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Er kann jedoch vom Schädiger nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Der Geschädigte ist allerdings grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Es ist auf die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen. Der Geschädigte ist daher zwar nicht zur Marktforschung, aber unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots zu einer Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise verpflichtet (BGH, Urteil vom 29.10.2019, VI ZR 104/19). Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (vgl. BGH, NJW 2014, 3151 ff.).
6
Der tatsächliche Aufwand gibt ex post gesehen einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages, da sich in ihm regelmäßig die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten niederschlagen (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019, VI ZR 315/18, Urteil vom 01.06.2017, VII ZR 95/16). Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte deshalb regelmäßig durch die Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragten Sachverständigen, soweit diese von ihm beglichen wurde (u. a. BGH Urteil vom 17.12.2019, VI ZR 315/18, Urteil vom 28.02.2017, VI ZR 76/16). Die Zahlung einer Rechnung ist typischerweise das wesentliche Indiz für die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten und dafür, dass er die Kosten für erforderlich und angemessen hielt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Rechnung wurde laut Anlage K10 bezahlt.
7
Es ist daher zur prüfen, ob die abgerechneten Preise erkennbar überhöht waren.
8
Bei der Frage, wann von erkennbar überhöhten Preisen auszugehen ist, ist keine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, sondern auf die vom Sachverständigen veranschlagten jeweiligen Einzelpositionen (Grundhonorar und Nebenkosten) abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2017, VI ZR 61/17).
9
Das abgerechnete Grundhonorar von 645,00 € ist erstattungsfähig und nicht erkennbar überhöht.
10
Maßstab für die Höhe des ersatzfähigen Schadens ist allein der nach § 249 Abs. 2 BGB erforderliche Geldbetrag. Die Berechnung des Sachverständigenhonorars in Form eines Grundhonorars abhängig von der Schadenshöhe ist allgemein anerkannt.
11
Das Gericht orientiert sich bei der Überprüfung der Angemessenheit bzw. Überhöhung der Abrechnung an der BVSK-Honorarbefragung, um anhand dieser Feststellungen eine Entscheidung zur Frage der erkennbar deutlichen Überhöhung und dem zu erstattenden Betrag im Rahmen des dem Gericht nach § 287 ZPO zukommenden Schätzungsermessens zu treffen. Die BVSK-Befragungen sind in der Rechtsprechung als Schätzgrundlage allgemein anerkannt. Das Gericht hält die Befragungen betreffend das Grundhonorar für repräsentativ genug und ausreichend aussagekräftig (so auch Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Az.: 32 S 8/22).
12
Der Verkehrsunfall ereignete sich am 10.12.2021. Die BVSK-Liste 2020 war die zum Unfallzeitpunkt zeitlich nähere Befragung, weshalb das Gericht diese Tabelle bei der Schätzung zu Grunde legt.
13
Der Bundesgerichtshof hat eine Schätzung des erforderlichen Grundhonorars durch Bildung des arithmetischen Mittels des HB V-Korridors der zum Zeitpunkt der Auftragserteilung aktuellen BVSK-Umfrage im Urteil vom 28.02.2017, VI ZR 76/16, ausdrücklich gebilligt. Diese Beträge legt das erkennende Gericht im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO zugrunde. Zwar wurde im Landgerichtsbezirk Coburg die übliche, geschätzte Vergütung häufig dem arithmetischen Mittel von HB II und IV entnommen. Die Schätzpraxis der Gerichte ist aber sehr unterschiedlich. Teilweise wird die Erstattungsfähigkeit generell von HB III, teilweise der Mittelwerte aus verschiedenen Honorarbereichen und teilweise des Höchstwerts aus HB V (vgl. LG Köln, BeckRS 2020, 2966) angenommen. Zu berücksichtigen ist auch, dass bzgl. der Ortsüblichkeit/Angemessenheit auf den Ort des Unfalls bzw. Geschädigten und nicht den Sitz des erkennenden Gerichts abzustellen ist, was mit einer Vielzahl von Unwägbarkeiten behaftet ist. So hat das Landgericht Coburg in dem Urteil vom 18.03.2022 (Aktenzeichen: 32 S 8/22) unter Berücksichtigung dieser Grundsätze den Mittelwert aus dem Honorarkorridor HB V, in dem 50 – 60% und damit jedenfalls mindestens die Hälfte der Sachverständigen abrechnen, als tauglichen Schätzwert angesehen.
14
Bei zugrunde zu legenden Netto-Reparaturkosten zuzüglich Wertminderung von 3.833,20 € beträgt nach der BVSK-Liste 2020 der Honorarkorridor HB V 581,00 € bis 645,00 € sowie das arithmetische Mittel hieraus 613,00 €.
15
Zwar übersteigt das Grundhonorar mit 645,00 € den arithmetischen Mittelwert. Allerdings bewegt er sich noch im Rahmen des genannten Korridors. Von einer deutlichen Überhöhung kann jedenfalls nicht ausgegangen werden, wenn dem Merkmal der „Deutlichkeit“ überhaupt noch eigenständige Bedeutung zukommen soll.
16
Das vom Sachverständigen berechnete Grundhonorar ist daher nicht erkennbar überhöht.
17
Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Rechnung ist zwischen dem Grundhonorar und den Nebenkosten zu unterscheiden und nicht lediglich ein Gesamtvergleich der abgerechneten oder „abrechnungsfähigen“ Beträge vorzunehmen.
18
Der Geschädigte muss im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle überprüfen, ob die abgerechneten Nebenkosten erheblich überhöht sind. Hierzu ist er auch in der Lage, da es sich um Kosten des täglichen Lebens handelt, mit denen ein Erwachsener üblicherweise im Alltag konfrontiert ist und deren Höhe er typischerweise auch ohne besondere Sachkunde abschätzen kann (BGH, Urteil vom 24.10.2017 – VI ZR 61/17 m.w.N.).
19
Für die Frage, wann die Nebenkosten deutlich überhöht sind, schätzt das Gericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Landgerichts Coburg die Angemessenheit und Ortsüblichkeit der abgerechneten Nebenkosten wiederum anhand der Werte der BSVK-Befragung, wobei das Gericht auch hier die Befragung aus dem Jahr 2020 zu Grunde legt.
20
Ausgehend davon, waren die in der Rechnung enthaltenen Nebenkosten aus Sicht der Geschädigten teilweise erkennbar überhöht.
21
Die Schreibkosten sind in Höhe von 25,50 € ersatzfähig.
22
Das Gutachten besteht aus 14 geschriebenen Seiten. Bei Abrechnung von 1,80 € je Seite ergibt sich der Betrag von 25,50 €.
23
Soweit Kopierkosten geltend gemacht wurden, wurde von der Beklagten bestritten, dass eine körperliche Ausfertigung, also ein Ausdruck, erstellt wurde. Bei lediglich digitaler Versendung des Gutachtens können aber denknotwendig keine Kosten für Kopien von Schreibseiten anfallen.
24
Hinsichtlich der abgerechneten Fotokosten sind 18,00 € ersatzfähig.
25
Das Gutachten enthält 9 Fotos. Als Pauschalbetrag sind 2,00 € pro Lichtbild (also 18,00 €) ersatzfähig. Damit sind alle Aufwendungen im Zusammenhang mit der Fotoerstellung von Anschaffung der Kamera über Fotografieren und technische Aufbereitung bis zum ersten Ausdruck abgegolten. Dies ist bereits mit dem fertigen Erstellen des Gutachtens erreicht.
26
Das pauschale Bestreiten der überhöhten Kosten für Porto und Telefon ist unbeachtlich. Die Vereinbarung einer Porto- und Telefonkostenpauschale ist üblich und in der BVSK-Tabelle vorgesehen. Die Höhe von 15,00 € ist nicht zu beanstanden (Landgericht Coburg, Urteil vom 18.03.2022, Aktenzeichen: 32 S 8/22).
27
Nach alledem besteht folgender Anspruch:
Porto/Telefonkosten 15,00 €
+ Mehrwertsteuer 19,0% Endbetrag 835,98 €
. /. Zahlung der Beklagten 668,78 €
28
In Höhe von 167,20 € ist daher die Klage begründet, im übrigen ist sie unbegründet und abzuweisen.
29
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
31
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.