Inhalt

FG München, Urteil v. 08.02.2023 – 4 K 1671/20
Titel:

Verspätungszuschlag und Ermessen

Normenketten:
GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 4, § 19 Abs. 5
AO § 5, § 121, § 152 Abs. 1, § 164 Abs. 1
RL 2008/7/EG Art. 4
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1
ÖlmmoInvFG § 4 Abs. 4
BVerfGG § 80
Leitsatz:
Bei der Vorschrift des § 152 Abs. 1 AO handelt es sich um eine Ermessenvorschrift im Sinne von § 5 AO. Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie gem. § 5 AO ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Wegen der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen gemäß § 102 FGO, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Verwaltungsakt begründet werden (§ 121 Abs. 1 AO). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verstößt § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. e i.V.m. Art. 4 der, RL 2008/7/EG, Verspätungszuschlag, Grunderwerbsteuer
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – II R 8/23
Fundstellen:
UVR 2023, 201
EFG 2023, 708
ErbStB 2023, 174
StEd 2023, 228
DStRE 2024, 94
BeckRS 2023, 5464
LSK 2023, 5464

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Beteiligten streiten u.a. über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer.
2
Die Klägerin ist eine Gesellschaft österreichischen Rechts in der Rechtsform einer AG. Ursprünglich hielt die ... AG, deren Geschäftsleitung sich in Österreich befand 60% der Anteile an der Klägerin. Die weiteren 40% der Anteile an der Klägerin wurden im Streubesitz gehalten.
3
Mit notariell beurkundetem Verschmelzungsvertrag vom 3. Januar 2017 wurde die ... AG auf die Klägerin verschmolzen. Ausweislich der §§ 2.1 und 2.4 des Verschmelzungsvertrages erfolgte die Verschmelzung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge durch Übertragung des Vermögens der ... AG als Ganzes auf die Klägerin gegen Gewährung neuer Anteile. Zur Durchführung der Verschmelzung wurde bei der Klägerin eine Kapitalerhöhung durchgeführt. 40% der Anteile an der Klägerin wurden weiterhin über den Streubesitz gehalten. Die übrigen 60% der Anteile an der Klägerin wurden von den ehemaligen Anteilseignern der ... AG gehalten. Die Verschmelzung wurde am 2.4.2017 mit konstitutiver Wirkung im Firmenbuch der ... AG in Österreich eingetragen.
4
Zum Zeitpunkt der Verschmelzung war die ... AG selbst nicht Eigentümerin von in Deutschland belegenen Grundstücken. Sie war jedoch mittelbar über Zwischengesellschaften zu100% an mehreren Leasinggesellschaften beteiligt, die jeweils Eigentümer von in Deutschland belegenen Leasingimmobilien waren. Auch war die ... AG mittelbar über Zwischengesellschaften zu 100% an der in Österreich ansässigen Kapitalanlagegesellschaft KAG GmbH (die KAG), beteiligt. Diese war zivilrechtliche Eigentümerin von mehreren in Deutschland belegenen Grundstücken, die sie treuhänderisch für österreichische Immobilienfonds verwaltete. Die inländischen Grundstücke der Leasinggesellschaften und der KAG lagen in den Bezirken verschiedener Finanzämter, der wertvollste Bestand an Grundstücken befand sich im Bezirk des beklagten Finanzamts (FA).
5
Mit Anzeige vom 28. Juni 2019, die dem FA vom Finanzamt … am 28. Oktober 2019 übersandt wurde, zeigte die Klägerin die am 3. Januar 2017 beurkundete Verschmelzung an.
6
Mit Bescheid vom 14. Januar 2020 stellte das FA, unter Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) für den am 2. April 2017 durch Handelsregistereintragung der Umwandlung verwirklichten Erwerbsvorgang, die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gem. § 17 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG gesondert fest. Die Grundstücke der KAG und der Leasinggesellschaften, auf die sich der Bescheid bezog, ergaben sich aus der dem Bescheid beigefügten Anlage. Der Bescheid erging gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
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Mit Schreiben vom 23. Januar 2020 legte die Klägerin Einspruch gegen den Feststellungsbescheid ein. Im Streitfall sei nicht § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG, sondern § 1 Abs. 3 Nr. 4GrEStG einschlägig, da bei der Verschmelzung der ... AG auf die Klägerin kein unmittelbar von der ... AG gehaltenes deutsches Grundvermögen übertragen worden sei. Eine Besteuerung nach letztgenannter Vorschrift sei jedoch rechtswidrig.
8
Mit Verwaltungsakt vom 27. Januar 2020 setzte das FA gegen die Klägerin einen Verspätungszuschlag i.H.v. 25.000 € fest. Die Anzeige über die Verschmelzung vom 3. Januar2017 mit Eintrag im Handelsregister am 2. April 2017 der bisherigen Grundstückseigentümerin ... AG auf die Klägerin sei erst am 26. Oktober 2019 und damit verspätet beim FA eingegangen. Bei der Bemessung der Höhe des Verspätungszuschlags berücksichtigte das FA zum einen, dass die Anzeige des Erwerbsvorgangs nach § 19 GrEStG erst mit erheblicher Verspätung von ca. 30 Monaten erstattet wurde, zum anderen berücksichtigte das FA, dass die Grunderwerbsteuernachzahlungen aus den Folgebescheiden ca. … € betrugen.
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Mit Schreiben vom 31. Januar 2020 legte die Klägerin gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags Einspruch ein.
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Mit Einspruchsentscheidungen jeweils vom 29. Juni 2020 wies das FA die Einsprüche gegen den Feststellungsbescheid vom 14. Januar 2020, sowie gegen den Bescheid vom 27. Januar 2020 über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags als unbegründet zurück. Den Vorbehalt der Nachprüfung im Feststellungsbescheid vom 14. Januar 2020 hob es auf.
11
Zur Begründung der Klage vom 30. Juli 2020 trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Hinsichtlich der Leasingimmobilien seien die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG erfüllt, da diese zum Vermögen der Leasinggesellschaften gehören würden. Die KAG habe in ihrem Vermögen jedoch keine Immobilien. Die von der KAG nur treuhänderisch verwalteten Fondsimmobilien gehörten zum Vermögen österreichischer Immobilienfonds und damit gerade nicht zum Vermögen der KAG. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. September 2004 II R 14/02, wonach die im Sondervermögen gehaltenen Grundstücke grunderwerbsteuerrechtlich der Kapitalanlagegesellschaft und nicht etwa den Anteilinhabern gehörten, sei inhaltlich nicht überzeugend. Auch unterliege die KAG im Streitfall nicht den im Inland für Kapitalanlagegesellschaften geltenden gesetzlichen Regelungen, sondern den ent- sprechenden Regelungen des österreichischen Rechts. Auch verstoße die Besteuerung im Streitfall gegen vorrangig anzuwendendes europäisches Sekundärrecht, konkret gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. e i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 2008/7/EG (die Richtlinie). Danach sei es den Mitgliedstaaten untersagt, von Kapitalgesellschaften indirekte Steuern unter anderem auf Ka- pitalzuführungen oder Umstrukturierungen zu erheben. Sowohl bei der Klägerin, als auch bei der X AG handle es sich um eine Kapitalgesellschaft i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtli- nie. Die Verschmelzung der X-AG auf die Klägerin gelte als Umstrukturierung nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie, da die X-AG ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen gegen die Gewährung neuer Anteile in die Klägerin eingebracht habe.
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Die im Zuge der Verschmelzung gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG erhobene Steuer stelle eine indirekte Steuer i.S.d. Richtlinie dar. Dass Verkehrssteuern wie die deutsche Grunderwerbsteuer indirekte Steuern i.S.d. Art. 5 der Richtlinie seien, folge auch aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie. Eine Aufnahme der Verkehrssteuern in den Katalog der Ausnahmetatbestände des Art. 6 der Richtlinie wäre nicht erforderlich gewesen, wenn sie schon dem Grunde nach nicht in den Anwendungsbereich des Erhebungsverbots von Art. 5 der Richtlinie fallen würden. Auch sei die Grunderwerbsteuer gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG eine Steuer, die auf Umstrukturierungen erhoben werde. Die Grunderwerbsteuer sei im Streitfall durch die Verschmelzung der ... AG auf die Klägerin entstanden. Die Qualifizierung einer Steuer habe nach den objektiven Merkmalen der Richtlinien zu erfolgen. Lasse ein bestimmter gesellschaftsrechtlicher Vorgang im Sinne der Richtlinie die Steuer objektiv entstehen, so sei nur dieser Vorgang auch der objektive Entstehungstatbestand der Steuer i.S.d. Richtlinie. Schließlich stelle die Grunderwerbsteuer gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG auch keine gem. § 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie zulässige Besitzwechselsteuer dar. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe zu Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der RL 69/335/EWG (die Vorgängerrichtlinie) entschieden, dass Besitzwechselsteuern Besitzsteuern seien, die von Kapitalgesellschaften im Zusammenhang mit bestimmten Vorgängen der Übertragung von Grundstücken nach allgemeinen und objektiven Kriterien erhoben worden seien. Diese Rechtsprechung sei auf Art. 6 der Richtlinie übertragbar, da die Vorschrift des Art. 6 der Richtlinie, von redaktionellen Änderungen abgesehen, von der Vorgängerrichtlinie übernommen worden sei. Ein objektiver Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums von Grundstücken könne aber bereits deshalb nicht bestehen, weil die Eigentumsübertragung eines Grundstücks kein Tatbestandsmerkmal von § 1 Abs. 3 GrEStG sei. Es sei ausreichend, dass die Gesellschaft über Grundbesitz verfüge. Die Fiktion einer Übertragung des Eigentums erfolge lediglich in der Rechtsprechung des BFH. Dies sei nicht das Ergebnis einer objektiven Betrachtung des Gesetzeswortlauts, sondern das Ergebnis einer wertenden Betrachtung durch den BFH. Dessen Urteil vom 19. Dezember 2007 II R 65/06 zum Themenkomplex der indirekten Steuern auf gesellschaftsrechtliche Vorgänge im europäischen Kontext sei erkennbar von der Intention getragen, die Vereinbarkeit der deutschen Share Deal Besteuerung mit dem Unionsrecht einer kritischen Untersuchung durch den hierfür allein zuständigen EuGH zu entziehen. Halte man das europäische Recht nicht für vorrangig anwendbar, so verstoße § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG jedenfalls gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG). So bestünde ein strukturelles Vollzugsdefizit bei der Grunderwerbsteuer auf Anteilsübertragungen, die zu einer Nichterhebung der Steuer führen würden. Auch läge ein nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigter Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit vor. Es sei nicht folgerichtig, dass teilweise eine transparente und teilweise eine intransparente Betrachtung erfolge.
13
Die Klägerin beantragt entsprechend den Schriftsätzen ihres Prozessbevollmächtigten vom 19. Oktober 2020 einschließlich der Aufhebung der beiden Einspruchsentscheidungen vom 29. Juni 2020,
1. den Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 14. Januar 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2020, sowie den Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags vom 27. Januar 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2020 aufzuheben,
2. hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen,
3. höchst hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen,
4. die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären,
5. dem Beklagten – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens – die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,
6. das Urteil im Hinblick auf die Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären,
7. im Fall der Klageabweisung die Revision zuzulassen.
14
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Das FA ist der Ansicht, der Bescheid sei rechtmäßig. Jedoch sei der Klägerin darin zuzustimmen, dass durch die Verschmelzung im Streitfall der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG verwirklicht worden sei.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird nach § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grunderwerbsteuerakte des FA, die Gerichtsakte, sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2023 Bezug genommen.
II.
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1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
18
a) Zu Recht hat das FA mit Bescheid vom 14. Januar 2020 die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer für den am 2. April 2017 durch die Handelsregistereintragung der Verschmelzung gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG verwirklichten Erwerbsvorgang gesondert festgestellt.
19
aa) Im Streitfall waren die Besteuerungsgrundlagen für den gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG steuerbaren Erwerbsvorgang gem. § 17 Abs. 3 Nr. 2 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 2 GrEStG vom FA gesondert festzustellen, da sich die Geschäftsleitung der ... AG nicht im Geltungsbereich des GrEStG, sondern in Österreich befand, in verschiedenen Finanzamtsbezirken bzw. Ländern liegende Grundstücke betroffen waren und im Bezirk des FA der wertvollste Bestand an Grundstücken gelegen war.
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bb) Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG sind im Streitfall erfüllt.
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(1) Nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG in der im Streitfall geltenden Fassung (a.F.) unterliegt ein Rechtsgeschäft der Grunderwerbsteuer, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95% der Anteile einer Gesellschaft begründet, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt. Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG a.F. gilt Entsprechendes bei der Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95% der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen, wenn kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG vorausgegangen ist. Eine steuerbare Anteilsübertragung i.S. von § 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG liegt nicht nur dann vor, wenn der Anteilserwerber die Anteile der Gesellschaft mit Grundbesitz selbst (unmittelbar) erwirbt, sondern auch dann, wenn es sich bei der Beteiligung des Anteilserwerbers um eine nur mittelbare, d.h. über eine andere Gesellschaft vermittelte handelt (BFH-Urteil vom 21. September 2005 II R 33/04, BFH/NV 2006, 609). Die Vorschrift erfasst dabei nicht den Erwerb der Anteile einer Gesellschaft als solcher, sondern die durch ihn begründete eigenständige Zuordnung der der Gesellschaft gehörenden Grundstücke. Bei den in § 1 Abs. 3 Nrn. 3 und 4 GrEStG geregelten Ersatztatbeständen fingiert das Gesetz zivilrechtlich nicht vorhandene grundstücksbezogene Erwerbsvorgänge. Sie behandeln den Erwerber der Anteile so, als habe er die zum Vermögen der Gesellschaft gehörenden Grundstücke erworben (BFH-Urteil vom 2. April 2008 II R 53/06, BStBl II 2009, 544). Ob ein Grundstück i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG zum Vermögen der Gesellschaft „gehört“, richtet sich weder nach Zivilrecht noch nach § 39 AO. Maßgebend ist vielmehr die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung. Ein Grundstück „gehört“ der Gesellschaft i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG, wenn es ihr im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgang auf-grund eines unter § 1 Abs. 1, 2 oder 3 oder nunmehr auch 3a GrEStG fallenden Erwerbsvorgangs grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen ist (BFH-Urteile vom 11. Dezember 2014 IIR 26/12, BStBl II 2015, 402; vom 1. Dezember 2021 II R 44/18, BFH/NV 2022, 996). Gem. § 1 Abs. 2 des österreichischen Immobilien-Investmentfondsgesetzes (ÖImmoInvFG) steht das Fondsvermögen eines Immobilienfonds im Eigentum der Kapitalanlagegesellschaft für Immobilien, die dieses treuhändig für die Anteilinhaber hält und verwaltet. Gem. § 3 Abs. 1 ÖImmoInvFG ist nur die Kapitalanlagegesellschaft für Immobilien berechtigt, über die Vermögenswerte zu verfügen, die zu einem von ihr verwalteten Immobilienfonds gehören und die Rechte aus diesen Vermögenswerten auszuüben; sie handelt hierbei im eigenen Namen für Rechnung der Anteilinhaber und hat hierbei die Interessen der Anteilinhaber zu wahren. Gem. § 4 Abs. 4 ÖImmoInvFG darf die Kapitalanlagegesellschaft für Immobilien nur mit Zustimmung der Depotbank Liegenschaften etc. erwerben, veräußern oder belasten, die zu einem von ihr verwalteten Immobilienfonds gehören.
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(2) Bei Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG daher mit Eintragung der Verschmelzung im Firmenbuch beim zuständigen (österreichischen) Landesgericht betreffend die ... AG am 2. April 2017 erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt sind 100% der Anteile an der ... AG, die mittelbar zu 100% an der grundbesitzenden KAG und den grundbesitzenden Leasinggesellschaften beteiligt war und der der in Deutschland belegene Grundbesitz sowohl der KAG, als auch der Leasinggesellschaften am Stichtag grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen war, auf die Klägerin übergegangen.
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(1.1) Dass die in Deutschland belegenen Grundstücke der Leasingfirmen am Stichtag, dem 2. April 2017, im Eigentum der Leasingfirmen gestanden haben und der ... AG deshalb grunderwerbsteuerrechtlich i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG a.F. zuzurechnen waren, ist unstreitig.
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(1.2) Anders als die Klägerin meint, waren der ... AG am Stichtag auch die in Deutschland belegenen Grundstücke der KAG grunderwerbsteuerrechtlich i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG a.F. zuzurechnen. Auch wenn die KAG die Grundstücke treuhänderisch für die verschiede-nen Immobilienfonds verwaltete, war sie dennoch gem. § 1 Abs. 2 ÖImmoInvFG Eigentümerin dieser Grundstücke. Auch war nur die KAG gem. § 3 Abs. 1 ÖImmoInvFG berechtigt über die Vermögenswerte zu verfügen, die zu einem von ihr verwalteten Immobilienfonds gehören, und die Rechte aus diesen Vermögenswerten auszuüben. Dass die KAG aus Gründen des Schutzes der Fondsanleger Beschränkungen unterworfen war – so durfte die KAG z.B.gem. § 4 Abs. 4 ÖImmoInvFG nur mit Zustimmung der Depotbank Liegenschaften, die zu einem von ihr verwalteten Immobilienfonds gehörten, erwerben, veräußern oder belasten –, ändert an dieser Beurteilung nichts (vgl. BFH-Urteil vom 29. September 2004 II R 14/02, BStBl II 2005, 148). Die Verfügungsbeschränkungen rechtfertigen nämlich nicht die Annahme, dass die treuhänderisch gehaltenen Grundstücke grunderwerbsteuerrechtlich nicht der Kapitalanlagegesellschaft, sondern etwa den Fondsgesellschaften „gehören“. Denn die Frage nach der grunderwerbsteuerrechtlichen Zuordnung eines inländischen Grundstücks zum Vermögen einer Gesellschaft i.S. von § 1 Abs. 3 GrEStG ist einer Zurechnung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten wie in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO vorgesehen, z.B. danach, wem das Halten des Grundbesitzes wirtschaftlich zugutekommt, nicht zugänglich. Die sich aus dem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Steuer unterliegenden Grundstückserwerb der Kapitalanlagegesellschaft für § 1 Abs. 3 GrEStG ergebende Zurechnungsfolge kann nicht durch den Hinweis darauf, dass die wirtschaftlichen Folgen aus dem Erwerb, der Vermietung und der Verwertung der zwar treuhänderisch gehaltenen, aber im Eigentum der Kapitalanlagegesellschaft stehenden Grundstücke nicht der Kapitalanlagegesellschaft zugutekommen, beseitigt werden (BFH-Urteil vom 29. September 2004 II R 14/02, BStBl II 2005, 148).Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte bei der Frage nach der grunderwerbsteuerrechtlichen Zuordnung von Grundstücken widerspräche der Grundstruktur der Grunderwerbsteuer als Rechtsverkehrsteuer. Der Besteuerung nach dem GrEStG unterliegen nämlich in typisierender Weise bestimmte, in § 1 Abs. 1 und 2 GrEStG umschriebene und in Abs. 3 der Vorschrift fingierte Rechtsvorgänge. Besteuert wird danach der (fingierte) Rechtsvorgang als solcher um des in der Rechtsänderung selbst enthaltenen Ergebnisses der Rechtsänderung willen. Daraus folgt, dass die grunderwerbsteuerrechtliche Tatbestandsmäßigkeit eines Rechtsvorgangs nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob der Rechtsvorgang für den Betroffenen vorteilhaft und wirtschaftlich erfolgreich war (BFH-Beschluss vom 6. August 1986 II B 53/86, BStBl II 1986, 858, und BFH-Urteil vom 6. September 1989 II R 135/86, BStBl II 1989, 984), und dementsprechend auch nicht davon, wem diese Vorteile zugutegekommen sind. Die Berücksichtigung solcher wirtschaftlichen Gesichtspunkte bei der Grundstückszuordnung im Rahmen des § 1 Abs. 3 GrEStG würde dazu führen, dass diese Vorschrift weitgehend leerliefe. Denn der wirtschaftliche Erfolg einer Kapitalgesellschaft kommt trotz der rechtlichen Verselbstständigung ihres Vermögens in der Regel natürlichen oder juristischen Personen, nämlich ihren Gesellschaftern und (wie im Streitfall) Dritten, in Form von Gewinnausschüttungen, Steigerungen des Werts der Anteile am Sondervermögen oder höheren Liquidationserlösen, zugute. Es wäre deshalb im Streitfall von vornherein verfehlt, die Zuordnungsentscheidung nach § 1 Abs. 3 GrEStG davon abhängig zu machen, ob der Erwerb des Eigentums an den Grundstücken des Fondsvermögens sowie „die Früchte des Eigentums und die Erträge aus der Substanzverwertung“ der Kapitalanlagegesellschaft wirtschaftlich zugutekommen (BFH-Urteil vom 29. September 2004 II R 14/02, BStBl II 2005, 148).
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cc) Der Senat hält die Anwendung des grunderwerbsteuerrechtlichen Besteuerungstatbestandes des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG auf den Streitfall für mit der Richtlinie vereinbar.
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(1) Gem. Art. 5 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie erheben die Mitgliedstaaten von Kapitalgesellschaften keinerlei indirekte Steuern auf Umstrukturierungen gem. Art. 4 der Richtlinie. Eine Umstrukturierung gem. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie liegt vor, bei einer Einbringung des gesamten Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft, sofern für die Einbringung zumindest teilweise das Kapital der übernehmenden Gesellschaft repräsentierende Wertpapiere gewährt werden. Gem. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten unbeschadet von Art. 5 der Richtlinie Besitzwechselsteuern, ein-schließlich der Katastersteuern auf die Einbringung von in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen Liegenschaften oder „fonds de commerce“ in eine Kapitalgesellschaft erheben.
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(2) Nach Auffassung des Senats verstößt die Erhebung der Grunderwerbsteuer die gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG beim Übergang unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen entsteht, bereits nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie. Zwar ist die Verschmelzung der ... AG auf die Klägerin eine Umstrukturierung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Durch den hier in Frage stehenden Steuertatbestand wird jedoch nicht die Umstrukturierung – im Streitfall die Verschmelzung der ... AG auf die Klägerin – als solche besteuert, sondern die Veränderung der Eigentumszuordnung von Grundstücken, die sich im Gesellschaftsvermögen befinden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass keine Grunderwerbsteuer entsteht, wenn zum Vermögen der Gesellschaft deren Anteile unmittelbar oder mittelbar auf einen anderen übergehen – hier der ... AG – kein Grundstück gehört. Entstehungstatbestand der Grunderwerbsteuer ist demzufolge nicht der Vorgang der Umstrukturierung (vgl. zur Vorgängerrichtlinie BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 II R 65/06, BFH/NV 2008, 693). Der hier in Frage stehende Steuertatbestand beschreibt vielmehr nur das auslösende Moment, nämlich den Übergang unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen, der nach der Wertung des deutschen Gesetzgebers einer Grundstücksübertragung in Gestalt einer spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderten Zuordnung von Grundstücken gleichkommt (BFH-Urteile vom 19. Dezember 2007 II R 65/06, BFH/NV 2008, 693; vom 20. Juli 2005 II R 30/04, BStBl II 2005, 839; vom 12. Januar 1994 II R 130/91, BStBl II 1994, 408; und vom 20. Oktober 1993 II R 116/90, BStBl II 1994, 121). Mit dem Anteilsübergang wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, auf den die Anteile übergegangen sind, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile unmittelbar oder mittelbar auf ihn übergegangen sind (BFH-Beschluss vom 23. August 2004 II B 122/03, veröffentlicht in juris; BFH-Urteile vom 8. August 2001 II R 66/98, BStBl II 2002, 156; vom 5. November 2002 II R 23/00, BFH/NV 2003, 505). Dies ergibt sich aus den objektiven Merkmalen des § 1 Abs. 3 GrEStG und damit in europarechtskonformer Qualifizierung (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 II R 65/06, BFH/NV 2008, 693).
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(3) Ginge man mit der Klägerin davon aus, dass die Grunderwerbsteuer von der Richtlinie erfasst werden würde, weil sie im Streitfall als zumindest mittelbar durch eine Umstrukturierung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie ausgelöst anzusehen wäre, wäre sie nach Auffassung des Senats jedenfalls gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zulässig.
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(1.1) Die Grunderwerbsteuer, die gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG bei einer Anteilsvereinigung erhoben wird, ist eine Besitzwechselsteuer i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie. Die Vorschrift ermächtigt die Mitgliedstaaten allgemein, indirekte Steuern zu erheben, deren Entstehungstatbestand objektiv im Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums an Grundstücken steht (vgl. zu Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Vorgängerrichtlinie BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 II R 65/06, BFH/NV 2008, 693). Die im Streitfall erhobene Grunderwerbsteuer steht objektiv im Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums an Grundstücken. Denn sie setzt das Vorhandensein einer Gesellschaft mit Grundbesitz voraus. Als „Einbringung“ im Sinne der Richtlinienregelung müssen dabei auch solche Vorgänge gelten, die objektiv erkennbar an eine Veränderung der Eigentumszuordnung anknüpfen, wie dies bei der hier in Frage stehenden Änderung der spezifisch grunderwerbsteuerrechtlichen Eigentumszuordnung durch Anteilsvereinigung der Fall ist. In der Sache wird ein fiktiver Besitzwechsel am Grundstück besteuert. Besitzwechselsteuern erfassen nicht nur förmliche Übertragungen, sondern auch diesen im Ergebnis gleichkommende wirtschaftliche Übertragungen, wie die Tatbestände des § 1 Abs. 2, 2 a und 3 GrEStG zeigen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 II R 65/06, BFH/NV 2008, 693).
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(1.2) Die Erhebung der Grunderwerbsteuer durch den hier in Frage stehenden Steuertatbestand entspricht auch Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie. Danach dürfen die nach Abs. 1 der Richtlinie zulässigen Steuern und Abgaben nicht höher sein als diejenigen, die im erhebenden Mitgliedstaat für gleichartige Vorgänge erhoben werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist (EuGH-Urteil vom 15. Juni 2006 – C-264/05 –, juris). Die Grunderwerbsteuer ist im Streitfall nichthöher als die Steuer, die für gleichartige Verschmelzungsvorgänge in Deutschland erhoben wird. Sie bemisst sich bei einem einheitlichen Steuersatz (§ 11 GrEStG) gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GrEStG nach den Werten i.S. des § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1bis 3 des Bewertungsgesetzes (BewG). Schließlich macht es für die Erhebung der Grunderwerbsteuer auch keinen Unterschied, ob sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung oder der Sitz der Kapitalgesellschaft in Deutschland befindet oder nicht.
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dd) Nach Ansicht des Senats verstößt § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Insbesondere sieht der Senat keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits.
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(1) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet eine in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlichen auf Ineffektivität angelegten Rechts (Urteil des Bundesverfassungsgerichts -BVerfGvom 9. März 2004 2 BvL 17/02, HFR 2004, 471).
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(2) Ein solch normatives Defizit für § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG liegt nicht vor; eine strukturell gegenläufige Erhebungsregel gibt es nicht. Die Finanzverwaltung ist bei Sachverhalten mit Auslandsberührung – wie auch die Vorschrift des § 90 Abs. 2 AO zeigt – generell auf eine erhöhte Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen. Auch kann sie zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Anspruch nehmen (vgl. § 117 Abs. 1 AO). Verbleibende Vollzugsdefizite bei steuerlichen Sachverhalten mit Auslandsberührung folgen aus den Grenzen der nationalstaatlichen Souveränität. Dies vermag der deutsche Gesetzgeber nicht zu verändern; es kann ihm deswegen auch nicht als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichmäßigkeit der Steuererhebung angelastet werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BStBl II 1997, 499). Die aus der Auslandsberührung eines steuerlichen Sachverhalts folgenden Vollzugsdefizite führen auch nicht dazu, dass im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann (BFH-Beschluss vom 18. November 2005 II B 23/05, BFH/NV 2006, 612 und BFH-Urteil vom 9. April 2008 II R 39/06, BFH/NV 2008, 1529).
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b) Der Verwaltungsakt vom 27. Januar 2020 über die Festsetzung des Verspätungszuschlags in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig.
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aa) Nach § 152 Abs. 1 AO in der Fassung vom 18. Juli 2016 (a.F.) kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist abzusehen, wenn der Erklärungspflichtige glaubhaft macht, dass die Verspätung entschuldbar ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Erklärungspflichtigen zuzurechnen. Gemäß § 152 Abs. 10 AO darf der Verspätungszuschlag höchstens 25.000 EUR betragen. Bei der Vorschrift des § 152 Abs. 1 AO handelt es sich um eine Ermessenvorschrift im Sinne von § 5 AO. Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie gem. § 5 AO ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Wegen der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen gemäß § 102 FGO, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Verwaltungsakt begründet werden (§ 121 Abs. 1 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der Entscheidung erkennbar sein, andernfalls ist sie rechtswidrig (BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl. II 2004, 579; BFH-Urteil vom 17. Januar 2017 VIII R 52/14, BStBl. II 2018, 740).
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bb) Hiernach ist die Ermessensentscheidung des FA, im Streitfall einen Verspätungszuschlag i.H.v. 25.000 € festzusetzen, nicht zu beanstanden. Das hierbei erforderliche Entschließungsermessen ist pflichtgemäß ausgeübt worden. Denn das FA hat bei seiner Entscheidung zum einen darauf abgestellt, dass die Klägerin die Anzeige, bei der es sich um eine Steuererklärung im Sinne der Abgabenordnung (§ 19 Abs. 5 GrEStG) handelt und zu deren Abgabe sie nach § 19 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG verpflichtet war, nicht innerhalb der dafür gem. § 19 Abs. 3 GrEStG vorgesehenen Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung vom Erwerbsvorgang, also bis Mitte April 2017, sondern erst verspätet am 28. Juni 2019 erstattet hat. Zum anderen hat das FA bei seiner Entscheidung insbesondere die Dauer der Verspätung von mehr als zwei Jahren, sowie die sich aus den Folgebescheiden ergebenden erheblichen Steuernachforderungen von mehr als ..…€ berücksichtigt. Nicht zu beanstanden ist, dass das FA nicht geprüft hat, ob ein Fall der entschuldbaren Verspätung im Sinne des § 152 Abs. 1 Satz 2 AO a.F. vorliegt. Nach der Vorschrift hat nämlich der Steuerpflichtige glaubhaft zu machen, dass die Verspätung entschuldbar ist. Eine Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörde besteht nicht. Im Streitfall hat die Klägerin solche Entschuldigungsgründe im Einspruchsverfahren nicht glaubhaft gemacht. Dass sich das Vorliegen von Entschuldigungsgründen im Sinne des § 152 Abs. 1 Satz 2 AO a.F. dem FA aufdrängen musste, ist für das Gericht nicht ersichtlich.
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c) Soweit ein Verstoß gegen die Richtlinie gerügt wird, kommt eine Vorlage an den EuGH im Streitfall nicht in Betracht.
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Zum einen ist das Finanzgericht als Instanzgericht nicht verpflichtet, etwaige Zweifelsfragen zur Auslegung von Gemeinschaftsrecht durch eine Vorlage klären zu lassen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. Januar 1996, VII B 169/95, BFH/NV 1996, 652 und vom 3. April 2001, V B 34/00, BFH/NV 2001, 1306, sowie BVerfG-Beschluss vom 3. Oktober 1989, 2 BvR 440/87, HFR 1990, 446). Zum anderen kann nach Auffassung des Senats weder in dem Grunderwerbsteuertatbestand des unmittelbaren oder mittelbaren Anteilsübergangs einer grundbesitzenden Gesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG, wie er im Streitfall durch die Verschmelzung der ... AG auf die Klägerin verwirklicht worden ist, noch in dem Grunderwerbsteuertatbestand der Anteilsübergangs im Allgemeinen ein Verstoß gegen die Richtlinie gesehen werden. Demnach ist eine Anrufung des EuGH nach Art. 267 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht erforderlich.
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d) Auch eine Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des BVerfG hält der Senat für nicht geboten.
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Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG i. V. m. § 13 Nr. 11, §§ 80 ff des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) hat ein Gericht, welches ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, das Verfahren auszusetzen und unmittelbar die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BFH besteht diese Vorlagepflicht jedoch nur dann, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer entscheidungserheblichen Gesetzesvorschrift überzeugt ist; bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift vermögen das Gericht dagegen nicht von der Pflicht zur Anwendung des Gesetzes zu entbinden (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 20. März 1952 1 BvR 267/51, BVerfGE 1, 167-184). Im Streitfall bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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3. Über den Antrag der Klägerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Kostenverfahren durch Beschluss zu entscheiden.
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4. Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).