Titel:
Steuerentlastung im Strombereich - Unionsrechtliche Grundsätze der guten Verwaltung
Normenketten:
StromStG § 9b, § 10
AO § 171 Abs. 3
StromStV § 17b Abs. 1 S. 2
RL 2008/9/EG Art. 17, Art. 20
Leitsätze:
1. Nach Auffassung des Senats ist somit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der vom EuGH judizierten Ausprägung anwendbar. Zwar beruht die Steuerbegünstigung nach § 9b StromStG auf der fakultativen Steuerermäßigung für energieintensive Unternehmen nach Art. 17 EnergieStRL und ist insofern noch nicht geklärt, ob die o.g. Rechtsprechung des EuGH, die zu obligatorischen Steuerbefreiungen ergangen ist, auch hier anwendbar ist. Allerdings geht der Senat davon aus, dass die Mitgliedstaaten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch bei der Umsetzung fakultativer Steuervergünstigungen in nationales Recht beachten müssen, wenn sie sich zu einer solchen Umsetzung entschließen (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juni 2021 – VII R 44/19, BFHE 272, 568, Rn. 32, BeckRS 2021, 25266 ). (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser „Grundsatz der guten Verwaltung“ verlangt von einer Verwaltungsbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Kontrollpflichten eine sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung aller relevanten Gesichtspunkte vorzunehmen, sodass sie sicherstellt, dass sie bei Erlass ihrer Entscheidung insoweit über möglichst vollständige und verlässliche Informationen verfügt (EuGH-Urteile Agrobet CZ vom 14. Mai 2020 – C-446/18, ECLI:EU:C:2020:369, Rn. 43 und 44; CHEP Equipment Pooling vom 21. Oktober 2021 – C-396/20, ECLI:EU:C:2021:867, Rn. 49, und SC Cridar Cons vom 24. Februar 2022 – C-582/20, ECLI:EU:C:2022:114, Rn. 45, BeckRS 2021, 25266) (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entlastungsantrag, Auslegung bzw. Berichtigung trotz Formbedürftigkeit, Auslegung, Wiedereinsetzung, Zustimmung, Ablauf, Strombereich, Festsetzungsfrist, Unionsrecht, Erstattung, Grundsatz der guten Verwaltung, Vorsteuerabzug
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5463
Tenor
1. Unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 22. Januar 2020 und vom 19. Februar 2020 und der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2020 wird der Beklagte verpflichtet, eine Stromsteuerentlastung nach § 9b StromStG i.H.v. 3.086,61 € festzusetzen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, ist als Erzeuger von Strom und Wärme aus Biogas tätig.
2
Sie stellte beim Beklagten (dem Hauptzollamt Sch. – HZA) einen Antrag auf Festsetzung einer Entlastung nach § 9b des Stromsteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (StromStG), der am 20. Dezember 2019 beim HZA einging. Dazu verwendete sie den Vordruck 1453.
3
Der konkrete Entlastungszeitraum wurde im Antragsvordruck im vorgesehenen Feld nicht bezeichnet. Im Feld 9 „Anlagen“ ist u.a. ein Kreuz im Feld Stromrechnungen gesetzt. Im Antrag wurde die Entnahme von Strom für entlastungsfähige Zwecke mit 650,412 MWh beziffert und damit – unter Berücksichtigung des Selbstbehalts – eine Entlastung i.H.v. 3.086,61 € errechnet.
4
Am gleichen Tag ging beim HZA ein Antrag der Klägerin auf Festsetzung einer Entlastung nach § 10 StromStG ein, in dem das Jahr 2018 (1. Januar bis 31. Dezember 2018) als Entlastungszeitraum angegeben ist.
5
Den Anträgen, die von den gleichen Mitarbeitern des HZA am gleichen Tag bearbeitet wurden, war die Seite 3 der Stromrechnung für den Abrechnungsmonat Dezember 2018 zu dem Vertragskonto … beigefügt. Handschriftlich ist das Jahr „2018“ hervorgehoben und die getrennt angegebenen Summen der monatlich aufgegliederten Werte „Wirkarbeit Hochtarif“ und „Wirkarbeit Niedertarif“ zu der – farblich hervorgehobenen – Gesamtsumme 650.412 kWh addiert. Die Firma der Klägerin ist in dem Ausschnitt der Rechnung nicht bezeichnet. Als Verbrauchstelle ist die Adresse der Klägerin … angegeben.
6
Die Selbsterklärung zu staatlichen Beihilfen, der Nachweis, dass die Klägerin ein alternatives System zur Verbesserung der Energieeffizienz betrieben hatte und damit die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 bis 5 der Spitzenausgleich-Effizienzsystemverordnung im Antragsjahr 2018 erfüllte, die vereinfachte Selbsterklärung für KMU, worin die Klägerin Angaben zu 2016 und 2017 als den zwei abgeschlossenen Geschäftsjahren vor Beginn des Antragsjahres machte, und eine Beschreibung der wirtschaftlichen Tätigkeit für das Kalenderjahr 2018 waren beigefügt.
7
Mit Email vom 10. Januar 2020 wurden dem HZA die fehlenden Seiten 1 und 4 der Stromrechnung vom 3. Januar 2019 übermittelt.
8
Das HZA lehnte den Antrag auf Festsetzung einer Steuerentlastung nach § 9b StromStG mit Bescheid vom 22. Januar 2020 ab, da die vorgelegte Steueranmeldung nicht ausreichend bestimmt sei.
9
Am 11. Februar 2020 ging beim HZA erneut das nunmehr auch bezüglich des Entlastungszeitraums (1. Januar bis 31. Dezember 2018) ausgefüllte Formular für den Entlastungsantrag ein.
10
Den hierin enthaltenen Entlastungsantrag lehnte das HZA mit Bescheid vom 19. Februar 2020 ab, da der Antrag nicht innerhalb der Festsetzungsfrist eingegangen und der geltend gemachte Entlastungsanspruch deshalb erloschen sei.
11
Auch hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 4. März 2020.
12
Das HZA behandelte sowohl den Antrag vom 11. Februar 2020 als auch das Schreiben vom 4. März 2020 als Einspruch.
13
Die Einsprüche vom 11. Februar 2020 und 4. März 2020 wies es mit Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2020 als unbegründet zurück. Das Schreiben vom 20. Dezember 2019 erfülle nicht die Voraussetzungen eines die Verjährung hemmenden Antrags. Somit sei der Entlastungsanspruch mit Ablauf des 31. Dezember 2019 erloschen. Die nachträgliche Übersendung des vollständigen Antrags ändere hieran nichts. Eine Wiedereinsetzung in die Festsetzungsfrist sei nicht möglich.
14
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass ihr Antrag vom 20. Dezember 2019 – unabhängig davon, dass er unvollständig war – die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) ausgelöst habe. Weder das Gesetz noch die amtliche Anleitung zum Vordruck würden dem Antragsteller versagen, eine Ergänzung von fehlenden Angaben vorzunehmen. Eine solche sei erfolgt.
15
Im Übrigen sei der unvollständige Antrag auch der Auslegung zugänglich und müsse aufgrund der beigefügten Stromrechnung als ein solcher für das Kalenderjahr 2018 ausgelegt werden, denn nur auf Antrag könnte ausnahmsweise auch ein Monat als Entlastungszeitraum zugelassen werden. Dies ergäbe sich auch aus den der Selbstberechnung zugrunde gelegten Zahlen, denn danach sei klar, dass es sich nicht um einen Antrag allein für den Monat Dezember 2018 handeln könne. Ebenso stelle die Beschreibung der wirtschaftlichen Tätigkeit ausdrücklich auf das Kalenderjahr 2018 ab.
16
Das HZA sei zudem im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dazu verpflichtet gewesen, vor Ablehnung des Antrages eine Vervollständigung des Antrags bei ihr anzuregen.
17
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 22. Januar 2020 und vom 19. Februar 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2020 das HZA zu verpflichten, eine Stromsteuerentlastung nach § 9b StromStG i.H.v. 3.086,61 € festzusetzen.
die Klage als unbegründet abzuweisen.
19
Der „Antrag“ vom 20. Dezember 2019 sei nicht wirksam und habe deswegen auch keine Ablaufhemmung ausgelöst, so dass Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Da für den Antrag die Verwendung eines Vordrucks vorgeschrieben sei, entfalte ein unvollständig ausgefüllter Vordruck keine Rechtswirkungen und bewirke insbesondere keine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist. Das Vordruckerfordernis diene dem Ziel einer vereinfachten und effizienten Durchführung des Entlastungsverfahrens. Die Auslegung eines Antrags ohne Angabe des Entlastungszeitraums wäre mit einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand verbunden und erfordere die Festsetzung durch Entlastungsbescheid, während im vorgesehenen Verfahren eine Auszahlung des selbstberechneten Entlastungsbetrags (als Zustimmung zur Anmeldung) ausreichen würde.
20
Eine Ergänzung sei nur bei wirksamer Antragstellung möglich, die hier nicht vorliege.
21
Aus der Beschreibung der wirtschaftlichen Tätigkeiten ergebe sich nicht, dass der Antrag für das Jahr 2018 gestellt worden sei, da grundsätzlich der Entlastungsanmeldung für das Jahr 2018 die Beschreibung der wirtschaftlichen Tätigkeiten für das Jahr 2017 beizufügen gewesen wäre. Eine Abweichung hiervon sei nach Wahl des Unternehmens aber möglich.
22
Selbst bei Verletzung einer etwaigen Fürsorgepflicht durch das HZA würde diese nicht zur rückwirkenden Beseitigung der eingetretenen Festsetzungsverjährung und zum Wiederaufleben des bereits erloschenen Entlastungsanspruchs führen. Im Übrigen sei der Antrag zusammen mit einer Vielzahl weiterer Entlastungsanträge erst kurz vor Fristablauf beim HZA eingegangen.
23
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze, auf die vorgelegten Unterlagen und Akten verwiesen.
24
Die Klage ist begründet. Die Festsetzungsfrist war durch den Antrag vom 20. Dezember 2019 gehemmt und die Entlastungsvoraussetzungen liegen vor, so dass die Entlastung antragsgemäß festzusetzen ist.
25
1. Nach § 9b StromStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag für den näher bezeichneten Strom gewährt, der nachweislich nach § 3 StromStG versteuert und von einem Unternehmen des produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 StromStG für betriebliche Zwecke entnommen worden ist und der nicht von der Steuer befreit ist. Entlastungsberechtigt ist derjenige, der den Strom entnommen hat (§ 9b Abs. 3 StromStG).
26
Die materiellen Voraussetzungen für die Steuerentlastung nach § 9b StromStG sind für die von der Klägerin beantragte Entlastung für 650,412 MWh erfüllt.
27
2. Allerdings war die Festsetzungsfrist (und die Antragsfrist nach § 17b Abs. 1 Satz 3 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung – StromStV) grundsätzlich am 31. Dezember 2019 abgelaufen.
28
Die für die Festsetzung einer Steuer geltenden Vorschriften sind auf die Festsetzung von Steuervergütungen bzw. Steuerentlastungen sinngemäß anzuwenden, § 155 Abs. 5 AO. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese beträgt für Verbrauchsteuern und deren Vergütungen ein Jahr, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 AO.
29
Die einjährige Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Steuer entstanden ist, somit für das streitgegenständliche Jahr 2018 mit Ablauf des 31. Dezember 2018. Für das Jahr 2018 endet sie mithin am 31. Dezember 2019.
30
Die abweichende Regelung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 AO ist nicht anzuwenden, weil es in das Belieben des Entlastungsberechtigten gestellt ist, ob er die Steuerbegünstigung in Anspruch nehmen will, und er somit zur Abgabe einer Steueranmeldung nicht verpflichtet ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 8. Juni 2021 – VII R 44/19, BFHE 272, 568, Rn. 23, m.w.N.).
31
3. Die Festsetzungsverjährung wurde jedoch durch Stellung eines wirksamen Antrags nach § 17b Abs. 1 StromStV gehemmt.
32
a) Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird nach § 171 Abs. 3 AO gehemmt, wenn der Antrag auf Steuerfestsetzung bzw. hier -entlastung vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt wird.
33
Nach § 17b Abs. 1 StromStV ist die Steuerentlastung bei dem für den Antragsteller zuständigen Hauptzollamt mit einer Anmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck für den Strom zu beantragen, der innerhalb eines Entlastungsabschnitts entnommen worden ist. Der Antragsteller hat in der Anmeldung alle Angaben zu machen, die für die Bemessung der Steuerentlastung erforderlich sind, und die Steuerentlastung selbst zu berechnen (§ 17b Abs. 1 Satz 2 StromStV).
34
Im vorliegenden Fall enthält der Antrag alle Angaben, die für die Bemessung der Steuerentlastung erforderlich sind, die Steuerentlastung wurde selbst berechnet. Allerdings ist im amtlich vorgeschriebenen Formular zudem vorgesehen, dass der Antragsteller ausfüllt, für welchen Entlastungsabschnitt die Entlastung beantragt wird. Dies hat die Klägerin auf dem Antragsformular ihres am 20. Dezember 2019 beim HZA eingegangenen Antrags nicht getan.
35
b) Allerdings ist der Antrag insofern auslegungsbedürftig und auslegungsfähig dahingehend, dass ein Antrag für das Jahr 2018 gestellt wurde.
36
aa) Die Regelung des § 171 Abs. 3 AO dient dem Schutz des Steuerpflichtigen: Sie stellt sicher, dass der Erfolg eines einmal gestellten Antrags nicht von der Arbeitsweise und - geschwindigkeit der Behörde abhängt; eine antragsgemäße Entscheidung soll nicht allein daran scheitern, dass die Behörde die Prüfung des Antrags nicht innerhalb der nach anderen Vorschriften zu bestimmenden Festsetzungsfrist abschließt (vgl. BFH-Urteil vom 23. September 2020 – XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rn. 29, m.w.N.).
37
Zugleich soll die Vorschrift sicherstellen, dass u.a. Anträge auf Steuerfestsetzung nicht durch Ablauf der regulären Festsetzungsfrist gegenstandslos werden, sondern unabhängig von der Dauer der Bearbeitungszeit einer Sachentscheidung durch die Verwaltung zugänglich bleiben (BFH-Urteil vom 23. September 2020 – XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rn. 30).
38
bb) Aufgrund dieser Erwägungen verlangt die Rechtsprechung des BFH für eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO, dass der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei der für ihn zuständigen Behörde einen Antrag gestellt hat, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, inwieweit eine Steuerfestsetzung begehrt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 18. August 2015 – VII R 5/14, BFH/NV 2016, 74, Rn. 18; BFH-Urteil vom 23. September 2020 – XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rn. 32). Insofern besteht das Erfordernis, in den Entlastungsanträgen bereits grundlegende Angaben zu machen, die den Gegenstand des Begehrens im Kern bezeichnen und den Finanzbehörden eine Prüfung der Entlastungsvoraussetzungen ermöglichen (BFH-Urteil vom 6. Oktober 2015 – VII R 16/14, BFH/NV 2016, 561, Rn. 17).
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Da es sich bei einem Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO um eine Willenserklärung handelt, die der Auslegung zugänglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 18. August 2015 – VII R 5/14, BFH/NV 2016, 74, Rn. 18, m.w.N.), hat das FG im Wege der Auslegung (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) als Tatsacheninstanz zu ermitteln, ob und mit welcher Reichweite ein Antrag i.S. von § 171 Abs. 3 AO vorliegt. Lässt sich das Ziel des Steuerpflichtigen nicht durch Auslegung des eingereichten Schreibens ermitteln, wird der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gehemmt (vgl. BFH-Urteil vom 23. September 2020 – XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rn. 35 f, m.w.N.).
40
c) Die Auslegung der vorliegenden Angaben, die die Klägerin im Vordruck gemacht hat, ergibt nach Würdigung des Senats unter Heranziehung der weiteren Informationen, die dem am 20. Dezember 2019 eingegangenen Antrag beigefügt waren und auf die durch ein entsprechendes Kreuz verwiesen wurde, dass die Klägerin eine Steuerentlastung für den Entlastungszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2018 beantragt hat.
41
So wurde die Entlastung für 650,412 MWh beantragt und stimmte dieser Betrag mit der farblich hervorgehobenen Gesamtsumme der eingereichten Rechnung überein. Aus der Rechnung war ersichtlich (und handschriftlich hervorgehoben), dass es sich um einen Wert für das Jahr 2018 handelte. Soweit das HZA vorträgt, dass der Rechnungsausschnitt nicht die Klägerin bezeichnet habe, ist dies unerheblich dafür, dass sich hieraus das Jahr 2018 als begehrter Entlastungszeitraum ergab.
42
Auch der Nachweis über den Betrieb eines alternativen Systems zur Verbesserung der Energieeffizienz bezog sich auf 2018 als dem Antragsjahr. Ebenso machte die Klägerin in der vereinfachten Selbsterklärung für KMU Angaben zu 2016 und 2017, als den zwei abgeschlossenen Geschäftsjahren vor Beginn des Antragsjahres, so dass sich 2018 als Antragsjahr ergab.
43
Schließlich beantragte die Klägerin im zeitgleich eingegangenen Antrag auf Festsetzung einer Entlastung nach § 10 StromStG, für den auf die identischen Anlagen Bezug genommen wurde, die Entlastung explizit für den Entlastungszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2018.
44
Dass die abgegebene Beschreibung der wirtschaftlichen Tätigkeit sich auch auf 2018 bezog, spricht nicht gegen das Auslegungsergebnis. Zwar ist die Tätigkeitsbeschreibung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 StromStV grundsätzlich für das Kalenderjahr abzugeben, das dem Kalenderjahr vorhergeht, für das eine Steuerentlastung beantragt wird. Jedoch kann nach § 15 Abs. 3 Satz 2 StromStV das Unternehmen als maßgebenden Zeitraum das Kalenderjahr wählen, für das eine Steuerentlastung beantragt wird.
45
d) Der Auslegung steht nicht entgegen, dass für die Antragstellung die Verwendung eines amtlich vorgeschriebenen Vordrucks vorgeschrieben ist.
46
Zwar hat der BFH in einer anderen Konstellation entschieden, dass bei Nichtverwendung des Vordrucks ein formlos gestellter Antrag keine Rechtswirkungen – insbesondere nicht solche nach § 171 Abs. 3 AO – entfalten könne (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 2008 – VII R 37/07, BFH/NV 2008, 2062, Rn. 11, 14) und bestätigt, dass eine ggf. vorgeschriebene Form einzuhalten ist (BFH-Urteil vom 23. September 2020 – XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rn. 32). Allerdings steht dies der Auslegungsfähigkeit des Antrags unter Heranziehung weiterer vorliegender Informationen bei – lückenhafter – Verwendung des Vordrucks nicht entgegen.
47
aa) Zum einen steht auch in anderen Fällen die Pflicht, Steuererklärungen nach amtlich vorgeschriebenen Vordrucken abzugeben (§ 150 Abs. 1 Satz 1 AO), der Auslegungsfähigkeit nicht entgegen.
48
So ist in Fällen, in denen der Steuerpflichtige zur Einreichung einer Steuererklärung gesetzlich verpflichtet ist, lediglich erforderlich, dass das von ihm verfolgte Begehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag selbst ergeben muss, so dass Angaben zur rein betragsmäßigen Auswirkung auf die Steuerfestsetzung für die Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht ausreichend sind (BFH-Urteil vom 23. September 2020 – XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rn. 37). Die bloße Ankündigung einer Steuererklärung mit einem bestimmten Gesamtbetrag der Einkünfte genügt jedoch nicht (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juli 2021 – X R 35/20, BFH/NV 2022, 1, Rn. 23).
49
bb) Ebenso ist es im grundsätzlich formell geprägten Vorsteuervergütungsverfahren ausreichend, dass die Verwaltung über Angaben verfügt, die für die Feststellungen erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer schuldet, auch wenn diese in einem (unvollständigen) Vergütungsantrag nicht enthalten sind (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – Kommission / Deutschland vom 18. November 2020 – C-371/19, ECLI:EU:C:2020:936, Rn. 82).
50
cc) Zum anderen besteht zwar der Zweck der Vorgabe von Antragsformularen darin, die Vollständigkeit der benötigten Angaben (zu denen auch der Entlastungszeitraum zählt) zu gewährleisten (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 2015 – VII R 16/14, BFH/NV 2016, 561, Rn. 17) bzw. im Interesse der Finanzverwaltung und des Vergütungsberechtigten an einer zügigen und abschließenden Entscheidung eine Überprüfung der Vollständigkeit in jedem Einzelfall überflüssig zu machen (BFH-Urteil vom 1. Juli 2008 – VII R 37/07, BFH/NV 2008, 2062, Rn. 12). Dies schließt es aber nicht aus, in bestimmten Einzelfällen, in denen einzelne Angaben korrigiert werden oder fehlen, diese (ergänzten) Angaben zu berücksichtigen bzw. diese aufgrund der anderen vorliegenden Informationen im Wege der Auslegung zu ergänzen (ausdrücklich offen gelassen in BFH-Urteil vom 6. Oktober 2015 – VII R 16/14, BFH/NV 2016, 561, Rn. 17).
51
dd) Dies gilt umso mehr, als auch im Entlastungsverfahren nach § 9b StromStG der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt.
52
Danach verstößt es gegen Unionsrecht, wenn die Verletzung nationaler formeller Anforderungen dadurch sanktioniert wird, dass eine Steuerbegünstigung nach der Richtlinie (EG) 2003/96 des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom - EnergieStRL – verweigert wird (EuGH-Urteil Petrotel-Lukoil vom 7. November 2019 – C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933). Denn die nationalen Regelungen dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um eine korrekte und einfache Anwendung solcher Befreiungen sicherzustellen und Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch zu verhindern (EuGH-Urteil Polihim-SS vom 2. Juni 2016 – C-355/14, ECLI:EU:C:2016:403, Rz 62).
53
Im vorliegenden Fall stellt die Verjährungsfrist und das Erfordernis eines rechtzeitigen (fristhemmenden) Antrags zwar wahrscheinlich kein rein formelles Erfordernis dar, das aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nach den oben dargestellten Grundsätzen verzichtbar wäre (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 2020 – VII R 6/19, BFH/NV 2021, 198, Rn. 26). Denn insbesondere Verjährungs- oder Ausschlussfristen stehen grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität im Einklang, weil sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind, das zugleich den Betroffenen und die Behörde schützt, selbst wenn der Ablauf solcher Fristen die Betroffenen naturgemäß ganz oder teilweise an der Geltendmachung ihrer Rechte hindern kann (vgl. EuGH-Urteile Cargill Deutschland vom 19. Dezember 2019 – C-360/18, ECLI:EU:C:2019:1124, Rn. 52, und Valoris vom 14. Oktober 2020 – C-677/19, ECLI:EU:C:2020:825, Rn. 25).
54
Etwas anderes gilt jedoch bezüglich der Frage, ob dafür, dass ein fristhemmender Antrag vorliegt, alle Angaben formell ordnungsgemäß gemacht sein müssen, oder ob sich diese unter Heranziehung vorliegender Informationen anderweitig ergeben können. Denn bei der Pflicht einen Vordruck zu benutzen, handelt es sich um ein formelles Erfordernis.
55
Nach Auffassung des Senats ist somit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der vom EuGH judizierten Ausprägung anwendbar. Zwar beruht die Steuerbegünstigung nach § 9b StromStG auf der fakultativen Steuerermäßigung für energieintensive Unternehmen nach Art. 17 EnergieStRL und ist insofern noch nicht geklärt, ob die o.g. Rechtsprechung des EuGH, die zu obligatorischen Steuerbefreiungen ergangen ist, auch hier anwendbar ist. Allerdings geht der Senat davon aus, dass die Mitgliedstaaten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch bei der Umsetzung fakultativer Steuervergünstigungen in nationales Recht beachten müssen, wenn sie sich zu einer solchen Umsetzung entschließen (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juni 2021 – VII R 44/19, BFHE 272, 568, Rn. 32).
56
ee) Obwohl die EnergieStRL keine dem Art. 20 der RL 2008/9/EG entsprechende Regelung und Nachfragepflicht vorsieht und auch in § 9b StromStG nicht auf ein positives Wissen oder Wissenmüssen der Finanzbehörde abgestellt wird (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 2020 – VII R 6/19, BFH/NV 2021, 198, Rn. 21), ist zudem der unionsrechtlich geltende „Grundsatz der guten Verwaltung“ zu beachten. Denn sobald ein Mitgliedstaat das Unionsrecht durchführt, finden die aus dem Recht auf eine „gute Verwaltung“, das einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts widerspiegelt, folgenden Anforderungen Anwendung. Dieser „Grundsatz der guten Verwaltung“ verlangt von einer Verwaltungsbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Kontrollpflichten eine sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung aller relevanten Gesichtspunkte vorzunehmen, sodass sie sicherstellt, dass sie bei Erlass ihrer Entscheidung insoweit über möglichst vollständige und verlässliche Informationen verfügt (EuGH-Urteile Agrobet CZ vom 14. Mai 2020 – C-446/18, ECLI:EU:C:2020:369, Rn. 43 und 44; CHEP Equipment Pooling vom 21. Oktober 2021 – C-396/20, ECLI:EU:C:2021:867, Rn. 49, und SC Cridar Cons vom 24. Februar 2022 – C-582/20, ECLI:EU:C:2022:114, Rn. 45).
57
Unterläuft bzw. unterlaufen dem Steuerpflichtigen in seinem Erstattungsantrag ein oder mehrere Fehler und klären weder er noch die betreffende Steuerverwaltung diese später auf, kann er die Verantwortung hierfür nicht auf die Steuerverwaltung abwälzen, es sei denn, diese Fehler sind – wie hier – leicht erkennbar, sodass die Steuerverwaltung in der Lage sein muss, sie im Rahmen der ihr nach dem Grundsatz der guten Verwaltung obliegenden Kontrollpflichten festzustellen (EuGH-Urteil CHEP Equipment Pooling vom 21. Oktober 2021 – C-396/20, ECLI:EU:C:2021:867, Rn. 49 ff).
58
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht die Verpflichtung zur Antragstellung mittels amtlich vorgeschriebenen Vordruckes einer Auslegung des abgegebenen Antrags nicht entgegen.
59
Dies entspricht im Übrigen im Ergebnis den Grundsätzen, die im Bereich der Mehrwertsteuer gelten. Danach kann ein Vorsteuerabzug oder eine Mehrwertsteuererstattung nicht versagt werden, wenn die Steuerbehörde über alle notwendigen Informationen verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug vorliegen (vgl. z.B. EuGH-Beschluss Megatherm-Csillaghegy vom 3. Juni 2022 – C-188/21, ECLI:EU:C:2022:444, Rn. 38; EuGH-Urteil Kommission / Deutschland vom 18. November 2020 – C-371/19, ECLI:EU:C:2020:936, Rn. 82, m.w.N.). Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken, sondern hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 12. März 2020 – V R 48/17, BFHE 268, 443, BStBl II 2020, 604, Rn. 39).
60
4. Und selbst wenn eine entsprechende Auslegung des Schreibens vom 20. Dezember 2019 – entgegen der Auffassung des Senats – nicht möglich sein und allein dieses noch keinen fristhemmenden Antrag darstellen sollte, geht der Senat unter Berücksichtigung des EuGH zum Grundsatz guter Verwaltung davon aus, dass ein Berichtigungsantrag, der an den ursprünglichen Antrag anknüpft, als zum Zeitpunkt der Einreichung des ursprünglichen Antrags eingereicht gilt (vgl. EuGH-Urteil CHEP Equipment Pooling vom 21. Oktober 2021 – C-396/20, ECLI:EU:C:2021:867).
61
Insofern läge zumindest unter Berücksichtigung des vollständig ausgefüllten Antrags vom 11. Februar 2020 ein wirksamer, noch rechtzeitiger Antrag nach § 171 Abs. 3 AO vor, der die Festsetzungsfrist hemmt.
62
5. Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO).
63
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
64
7. Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a FGO).