Titel:
Gemeinsame Betriebsstätte, Unerlaubte Handlung, Haftungsbefreiung, Unfallversicherungsträger, Gesamtschuldnerische, Betriebshaftpflichtversicherung, Zweitschädiger, Arbeitsunfall, Gerichte für Arbeitssachen, Schmerzensgeldansprüche, Haftungsbeschränkung, Streitwertfestsetzung, Klageabweisung, Gesamtschuldnerausgleich, Rechtshängigkeit, Abgesonderte Verhandlung, Betriebliche Tätigkeit, Gestörtes Gesamtschuldverhältnis, Kosten des Rechtsstreits, Kostenentscheidung
Schlagworte:
Arbeitsunfall, Haftungsprivilegierung, Gesamtschuldnerische Haftung, Gemeinsame Betriebsstätte, Unerlaubte Handlung, Schmerzensgeldanspruch, Berufung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 10.10.2024 – 5 SLa 26/24
BAG Erfurt vom -- – 8 AZN 786/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54596
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 45.860,26 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1
Streitgegenständlich sind Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten auf Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiter materieller und immaterieller Schäden.
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Der Kläger war Arbeitnehmer der Fa. A. Auf Weisung seines Arbeitgebers lieferte der Kläger am 21.08.2019 eine Lkw-Ladung an die Beklagte zu 2. Er wurde auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 2. vom Beklagten zu 1., der Arbeitnehmer der Beklagten zu 2. ist, ent- und anschließend mit leeren Gitterboxen wieder beladen. Im Nachgang ist es zu einem Staplerunfall gekommen, bei dem der Kläger verletzt worden ist.
3
Der Kläger trägt vor, dass der Ladevorgang bereits vollständig beendet gewesen sei und er im Begriff gewesen sei, seinen Sattelauflieger wieder abfahrbereit zu verschließen. Während dieser Arbeiten habe man seitens des Ladepersonals schon einen weiteren Lkw zum Entladen hereingeholt, der sich in einem seitlichen Abstand von etwa 1,5 bis 2 Metern neben dem Lkw des Klägers befunden habe. Als der Kläger gerade – frontal vor seinem Auflieger stehend – den letzten Spriegel am linken Ende seines Aufliegers einlegen wollte, sei der Beklagte zu 1. mit dem unbeladenen Stapler von rechts kommend in/durch den schmalen Seitenabstand der beiden Lkw gefahren ohne sich dabei ausreichend davon überzeugt zu haben, dass er diesen schmalen Abstand befahren könne. Eventuell habe er den Kläger aus Unachtsamkeit aber auch nur übersehen, denn er erfasste ihn ungebremst mit dem Staplergehäuse am rechten Unterschenkel, wodurch dieser sich gedreht habe, sodass der rechte Fuß am Boden bleibend umgeknickt sei und der Stapler auf diesem zum Stehen gekommen sei. Der Kläger habe zum Glück Sicherheitsschuhe getragen, sodass er am Fuß selbst keine größeren Verletzungen erlitten habe. Er habe sich jedoch den rechten Innenknöchel gebrochen, sich ferner eine 13 cm lange Riss- und Platzwunde unterhalb der Knöchelinnenseite und eine 3x8 cm große Schürfwunde außenseitig sowie eine Distorsion des rechten Kniegelenks mit Teilruptur der Kollateralbänder zugezogen. Des Weiteren, was allerdings erst später diagnostiziert worden sei, eine schwere Läsion des Nervus Peroneus rechts in Höhe des Sprunggelenks, die wiederum eine Fußheberparese, aber auch eine latente Fußsenkerparese verursacht habe.
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In den ersten sechs Wochen nach dem Unfall habe der Kläger Lohnfortzahlung durch seinen Arbeitgeber, danach durchgängig Verletztengeld bis zum 16.02.2021 bezogen. Ab dem 17.02.2021 beziehe er eine Regelaltersrente. Im August 2021 habe die Berufsgenossenschaft nachträglich noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20%, basierend auf den durch den Arbeitsunfall entstandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, festgestellt, die bis heute andauerten und ihm als Dauerfolgeschäden verblieben seien. Seitens des Klägers wird wegen der Schwere der erlittenen Verletzungen sowie den damit einhergehenden erheblichen und langanhaltenden Beeinträchtigungen, der langwierigen und nur zähen Heilungsdauer mit unzähligen Behandlungen, einem nicht zum gewünschten Erfolg führenden Reha-Aufenthalt, den dauerhaft zurückgebliebenen Beeinträchtigungen, die zu einer MdE von 20% führten und schließlich auch wegen des nach dem Unfall durch die Beklagten an den Tag gelegten zurückweisenden Verhaltens und Nichtkümmerns seitens des Beklagten zu 1. ein Schmerzensgeld von insgesamt nicht unter 30.000,00 € als angemessen erachtet.
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In der Zeit vom 21.08.2019 bis 16.02.2021 habe er einen Nettoverdienstausfall in Höhe von insgesamt 11.360,26 € erlitten, der zum einen den Verpflegungsmehraufwand bzw. die Spesen, die wegen der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit nicht mehr entstehen konnten und zum anderen die Differenz zwischen dem vor dem Unfall durch den Kläger bezogenen Nettofestgehalts und den jeweils gezahlten Netto-Verletztengeldbeträgen umfasse. Wegen der Einzelheiten wird auf die Zusammenstellung in der Klageschrift vom 30.12.2022 (Bl. 9f. d. A.) verwiesen.
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Der Kläger begehrt von den Beklagten gesamtschuldnerischen Schadensersatz gemäß §§ 823, 831, 840 BGB.
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Die Staatsanwaltschaft G-Stadt habe dem Beklagten zu 1. gemäß § 153a StPO angeboten, gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 500,00 € von der Erhebung einer Anklage abzusehen, was der Beklagte zu 1. angenommen habe. Die Betriebshaftpflichtversicherung der Beklagten zu 2. habe die Ansprüche des Klägers als rechtlich unbegründet zurückgewiesen.
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Wegen der Art der Verletzungen und der zurückgebliebenen Dauerschäden stehe zu befürchten, dass in Zukunft Folgebehandlungen notwendig würden. Der Kläger habe daher auch Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm die in Zukunft aus dem Unfallereignis noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, sofern diese Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte übergingen.
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Durch Beschluss in der Güteverhandlung vom 14.03.2023 wurde im Hinblick auf die Anträge zu 1. und zu 2. die abgesonderte Verhandlung über den Grund der Ansprüche angeordnet, nach dem der Beklagtenvertreter zu 1. und zu 2. die klägerischen Forderungen auch der Höhe nach bestritten hat.
- 1.
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Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger gesamtschuldnerisch ein über den Betrag von durch den Beklagten zu 1. bereits gezahlten 500,00 € hinausgehendes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, das jedoch insgesamt 30.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst 5%-Punkten Zinsen ü.d.j. BZS hierauf ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 2.
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Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger gesamtschuldnerisch 11.360,26 € nebst 5%-Punkten Zinsen ü.d.j. BZS hierauf für den Beklagten zu 1. ab Rechtshängigkeit und für die Beklagte zu 2. auf einen Teilbetrag von 2.473,87 € ab 01.01.2020, auf einen Teilbetrag von 7.879,56 € ab 01.01.2021 sowie auf einen Teilbetrag von 1.006,83 € ab 01.03.2021 zu zahlen.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger gesamtschuldnerisch alle weiteren, über die Beträge in Ziffer 1.-2. hinausgehenden, materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm in Zukunft aus dem am 21.08.2019 auf dem in E-Stadt, E-Straße gelegenen Betriebsgelände der Beklagten zu 2. ereigneten Staplerunfall noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
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Die Beklagten beantragen
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Nach Ansicht der Beklagten trifft den Beklagten zu 1. kein Verschulden, sondern der Unfall sei auf eine Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen. Der Beklagte zu 1. habe beabsichtigt, in die durch die beiden Lkw gebildete Gasse, die eine Breite von 3 m, wenn nicht eher 4 m gehabt habe, mit einem Gabelstapler mit einer Breite von etwa 1,1 bis 1,2 m einzufahren. Auf Höhe des Lkw-Hecks habe er angehalten, um sicherzustellen, dass er in diese Gasse einfahren könne und habe den Kläger an dessen Lkw stehen sehen. Der Beklagte zu 1. habe zu dem Kläger Blickkontakt aufgenommen, um sicherzustellen, dass dieser ihn wahrnehmen würde. Erst daraufhin sei der Beklagte zu 1. in die Gasse eingefahren, was der Kläger auch wahrgenommen habe. Der Beklagte zu 1. sei versetzt zur Position des Klägers gefahren und hätte diesen daher ohne weiteres unfallfrei passieren können, wenn nicht der Kläger unvermittelt einen Schritt zurückgetreten und unmittelbar vor den Gabelstapler in dessen Fahrspur getreten wäre. So aber habe der Beklagte zu 1. dem Kläger weder ausweichen noch vor diesem bremsen können. Daher habe die Radfelge des Gabelstaplers den Kläger an dessen rechtem Fuß oberhalb des Knöchels erfasst und den Kläger verletzt. Der Gabelstapler habe nicht auf dem Fuß des Klägers gestanden und habe auch nicht darauf stehen können, weil der Kläger ja zurückgetreten sei. Es fehle daher schon an einem Verstoß gegen die maßgeblichen Sorgfaltspflichten im Sinne von § 276 BGB. Eine Haftung scheidet nach Ansicht der Beklagten vielmehr wegen eines weit überwiegenden und im Ergebnis anspruchsausschließenden Mitverschuldens des Klägers aus.
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Nach Ansicht der Beklagten ist die Klage unbegründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823, 831 BGB zusteht. Eine Haftung scheitere schon an dem Haftungsprivileg Beschäftigter verschiedener Unternehmen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne von § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII. Nach der Rechtsprechung des BGH sei eine gemeinsame Betriebsstätte bereits dann anzunehmen, wenn ein zeitliches und örtliches Nebeneinander von Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren (BGH VersR 2011, 500f.).
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Nach Ansicht des Klägers setzt eine gemeinsame Betriebsstätte ein unmittelbares Zusammenwirken von Arbeitnehmern zum Unfallzeitpunkt voraus. Die Kollision sei aber erst deutlich nach Beendigung bzw. im Nachgang des Beladevorganges erfolgt, mithin zu einem Zeitpunkt, zu welchem die Beteiligten nicht mehr unmittelbar zusammengewirkt hätten. Der Beklagte zu 1. sei ohne anzuhalten und ohne jeglichen Blickkontakt bzw. ohne jegliche Vorab-Verständigung in die Gasse zwischen den beiden Lkw eingefahren und habe den Kläger völlig unvorbereitet und überraschend erfasst.
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In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 08.08.2023 wurden der Kläger und der Beklagte zu 1. informatorisch zum Ablauf des Unfalls angehört.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen hierzu sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 313 Abs. 2 ZPO)
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klage ist zulässig.
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Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für die Klage gegen den Beklagten zu 1. ergibt sich aus § 2 Abs. 1. Nr. 9 ArbGG, für die Klage gegen die Beklagte zu 2. aus § 2 Abs. 3 ArbGG. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern aus gemeinsamer Arbeit und aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen. Dies kann auch Fälle betreffen, in denen die Parteien des Rechtsstreits bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt sind (BeckOK ArbR/Clemens, 66. Ed. 1.12.2022, ArbGG § 2 Rn. 28). Die Berührung der Arbeitsbereiche darf dabei nicht zufällig sein (LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 07.12.2015 – 3 Ta 21/15, Rn. 31). Die unerlaubte Handlung muss in einer inneren Beziehung zum Arbeitsverhältnis der Parteien stehen (BAG, Beschluss v. 11.07.1995 – 5 AS 13/95). Dies ist insbesondere gegeben, wenn die unerlaubte Handlung bei gemeinsamer Arbeit erfolgt, z.B. bei einem durch einen Arbeitskollegen herbeigeführten Arbeitsunfall (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 10. Aufl. 2022, § 2 ArbGG, Rn 109). Im Hinblick auf die Beklagte zu 2. handelt es sich um eine Zusammenhangstreitigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG, da der Anspruch gegen die Bekl. zu 2. aufgrund der gesamtschuldnerischen Inanspruchnahme in rechtlichem Zusammenhang mit dem Rechtsstreit gegen den Beklagten zu 1. steht.
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Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Schweinfurt ist aufgrund der §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 32 ZPO gegeben. Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.
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Die Klage ist nicht begründet. Dem Kläger stehen die mit der Klage gegen die Beklagten gesamtschuldnerisch geltend gemachten Ansprüche gem. §§ 812, 831, 840 BGB nicht zu.
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Bei dem Unfall vom 21.08.2019, der zur streitgegenständlichen Schädigung des Klägers geführt hat, handelt es sich um einen Versicherungsfall i. S. des § 105 SGB VII. Als ein solcher gilt auch ein Arbeitsunfall, § 7 Abs. 1 SGB VII, der vorliegend unstreitig durch den Unfallversicherungsträger des Arbeitgebers des Klägers sozialrechtlich anerkannt worden ist. Eine Bindung gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII an unanfechtbare Entscheidungen des Unfallversicherungsträgers besteht nicht, wenn es nach Anerkennung eines Arbeitsunfalls durch die Berufsgenossenschaft nur noch um die Frage geht, ob der in Anspruch genommene Schädiger wegen des Vorliegens einer gemeinsamen Betriebsstätte haftungsprivilegiert ist, oder wenn das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte zu verneinen ist (BGH, Urteil v. 22.01.2013 – VI ZR 175/11). Mit der bindend festgestellten Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers ist keine Aussage darüber getroffen, ob sich der Unfall nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte mit einem dritten Unternehmen ereignet hat (BAG, Urteil v. 19.02.2009 – 8 AZR 188/08).
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Den zivilrechtlichen Ansprüchen des Klägers steht die Beschränkung der Haftung der Unternehmer sowie anderer im Betrieb tätiger Personen gemäß den §§ 104 – 106 SGB VII entgegen. Eine vorsätzliche, die Haftungsbeschränkung ausschließende Verursachung des Arbeitsunfalls durch die Beklagten ist nach allen zwischen den Parteien streitigen Versionen des Hergangs nicht gegeben und wird auch vom Kläger nicht vorgetragen.
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Da der Kläger nicht für das Unternehmen der Beklagten zu 2. tätig war und der Beklagte zu 1. nicht Versicherter desselben Betriebs wie der Kläger war, greifen die Haftungsbeschränkungen der §§ 104 und 105 SGB VII nicht direkt, sondern nur gemäß § 106 Abs. 3 SGB VII. Danach gelten die §§ 104 und 105 für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen untereinander, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Nach gefestigter Rechtsprechung erfasst der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt (BGH, Urteil vom 24.06.2003 – VI ZR 434/01). Es genügt, wenn sich die Tätigkeiten ablaufbedingt „in die Quere kommen“ (grundlegend BGH, Urteil v. 17.10.2000 – VI ZR 67/00, zuletzt BGH, Urteil v. 23.09.2014 – VI ZR 483/12). Keine gemeinsame Betriebsstätte begründen dagegen ein Nacheinander oder ein unverbundenes zufälliges Nebeneinander.
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Unter Anwendung dieser Grundsätze verrichteten der Kläger und der Beklagte zu 1. vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte. Die gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten beim Ent- und Beladen erforderten wegen der räumlichen Nähe eine Verständigung über den Arbeitsablauf, da diese Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und entsprechende Absprachen erforderlich machten, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt (BGH, Urteil v. 30.04. 2013 – VI ZR 155/12). Im Falle der Beladung eines Lkw durch einen „fremden“ Gabelstaplerfahrer wird von der Rechtsprechung das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte bejaht (BGH, Urteil v.17.06.2008 – VI ZR 257/06).
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Auch zum Zeitpunkt des Unfalls bestand noch die typische Gefahr, dass sich die Beteiligten „ablaufbedingt in die Quere kommen“. Der Beladevorgang war noch nicht vollständig beendet, da der Kläger noch damit beschäftigt war, seinen Sattelauflieger am linken hinteren Ende abfahrbereit zu verschließen. Auch wenn er nicht ohne weiteres damit rechnen musste, dass der Beklagte zu 1. noch einmal diesen Bereich befahren würde, nachdem der eigentliche Beladevorgang abgeschlossen war. Denn es lag ungeachtet dessen keineswegs fern, dass der Beklagte zu 1. mit dem Gabelstapler noch einmal in die Nähe des Klägers kommen würde und es verwirklichte sich insofern eine der typischen Gefahren, die sich aus der gemeinsamen Tätigkeit ergaben. Die Anwendung von § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII setzt auch nicht voraus, dass im konkreten Fall jeder der auf der Betriebsstätte Tätigen in gleicher Weise verletzt werden könnte, sondern es reicht die Möglichkeit aus, dass es durch das enge Zusammenwirken wechselseitig zu Verletzungen kommen kann, was selbst dann der Fall ist, wenn eine wechselseitige Gefährdung zwar eher fernliegt, aber auch nicht völlig ausgeschlossen ist (BAG, Urteil v. 17.06.2008 – VI ZR 257/06). Der Beklagte zu 1. ist dem Kläger daher aufgrund der Haftungsbefreiung gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3 i. V. m. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII zum Ersatz des diesem entstandenen Schadens nicht verpflichtet.
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Eine Haftungsprivilegierung des Unternehmers gem. § 106 Abs. 3 Alt. 3 i. V. m. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII erfordert grundsätzlich dessen eigene Tätigkeit auf der gemeinsamen Betriebsstätte. Ob im Hinblick auf die Rechtsform der Beklagten zu 2. als GmbH die Voraussetzungen einer solchen Tätigkeit erfüllt sein können, ist daher zunächst zweifelhaft. Grundsätzlich kommt das Haftungsprivileg nur dem versicherten Unternehmer zu Gute, der selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt (BGH, Urteil v. 23.09.2014 – VI ZR 483/12).
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Die Haftungsbefreiung für nicht „Versicherte“ Unternehmen i. d. F. einer juristischen Person, die für ihre Verrichtungsgehilfen nach §§ 831, 840 2 BGB haften, ergibt sich jedoch nach den Grundsätzen zum gestörten Gesamtschuldverhältnis (BAG, aaO). Danach können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) beschränkt sein. Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden allein tragen zu lassen (BGH, Urteil v. 24.06.2003 – VI ZR 434/01).
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Die unanfechtbare Entscheidung des für den Arbeitgeber des Klägers zuständigen Unfallversicherungsträgers, den Arbeitsunfall diesem zuzuordnen, hindert das Gericht nicht daran, den Kläger haftungsrechtlich der Beklagten zu 2. zuzuordnen und diese als haftungsrechtlich privilegiert anzusehen (vgl. für den Fall eines Leiharbeitnehmers BGH, Urteil v. 18.11.2014 -VI ZR 141/13)
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Auch eine bestehende Haftpflichtversicherung für das Handeln des Unternehmers steht dem Ausschluss der Haftung nicht entgegen (BGH, Urteil v. 29.01.1963 – VI ZR 67/62).
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Die Haftungsbefreiung der Beklagten zu 1. und 2. ist nicht auf kongruente Unfallversicherungsleistungen beschränkt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dadurch auch der Anspruch auf Schmerzensgeld ausgeschlossen (BVerfG, Beschluss v. 07.11.1972 – 1 BvR 355/71, zuletzt bestätigend auch BAG, Urteil v. 28.11.2019 – 8 AZR 35/19). Bei kongruenten Leistungen der Unfallversicherung sind auch Ersatzansprüche wegen Schäden ausgeschlossen, die darüber hinausgehen. Aufgrund der Haftungsbefreiung der Beklagten waren daher die Anträge zu 1. und 2. abzuweisen. Bestehen die Ansprüche dem Grunde nach nicht, erfolgt die Klageabweisung durch Endurteil, auch wenn zuvor die abgesonderte Verhandlung über den Grund angeordnet war (Saenger, Zivilprozessordnung, 9. Aufl. 2021, § 304 ZPO, Rn 2).
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Die Haftungsbefreiung der Beklagten umfasst auch weitere materielle oder immaterielle Schäden des Klägers, weshalb auch der Antrag zu 3. auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden der Abweisung unterlag.
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Die Klage war daher im Ergebnis vollumfänglich abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgte gem. §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO in Höhe des mit dem Antrag zu 1. geltend gemachten Schmerzensgeldanspruches und des mit dem Antrag zu 2. geltend gemachten Zahlungsanspruches zuzüglich 5.000,00 € für den Antrag zu 3.
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Umstände, welche die gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG begründet hätten, sind nicht gegeben.