Titel:
Ruhestörender Lärm, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Prozeßbevollmächtigter, Elektronischer Rechtsverkehr, Schmerzensgeldbetrag, Höhe des Schmerzensgelds, Schmerzensgeldansprüche, Unterlassungsanspruch, Streitwert, Gemeinde, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Wiederholungsgefahr, Ordnungsgeld, Sitzungsniederschrift, Qualifizierte elektronische Signatur, Klageabweisung, Formlose Mitteilung
Leitsatz:
Es besteht ein Unterlassungs- und ggf. Schmerzensgeldanspruch, wenn der Bewohner der Nachbarwohnung mit einem Gegenstand gegen die Decke seiner Wohnung klopft und dies den Nachbarn in seiner Nachtruhe beeinträchtigt. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Nachbarrecht
Fundstellen:
WuM 2025, 98
LSK 2023, 54534
BeckRS 2023, 54534
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meldung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen,
a) mit einem Gegenstand an die Decke der im Erdgeschoss rechts des Anwesens gelegenen, von ihr genutzten Wohnung zu klopfen,
b) gegenüber Dritten zu behaupten, die Klägerin verursache in ihrer im ersten Oberschoss rechts des Anwesens gelegenen von, ihr genutzten Wohnung die Beklagte beeinträchtigen den ruhestörenden Lärm, und zwar insbesondere durch den Betrieb einer Industrienähmaschine.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 25 % und die Beklagte 75 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Ruhestörung.
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Vermieter ist jeweils die Gemeinde ...
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Die Parteien sind seit mehr als 25 Jahren Mieter im Anwesen … Die Beklagte bewohnt die im Erdgeschoss rechts gelegene Wohnung, die Klägerin die über dieser Wohnung gelegene Wohnung im ersten Obergeschoss rechts. Mit Schreiben vom 11.08.2022 teilte die Gemeinde ... der Klägerin mit, dass bei ihr Nachbarbeschwerden eingegangen seien, und zwar dahingehend, dass es durch die regelmäßige Verwendung einer Industrienähmaschine, vor allem während der Ruhezeiten, insbesondere auch nachts, zu einer unangenehmen Lärmbelästigung durch die Klägerin komme. Die Klägerin unterrichtete die Gemeinde .... darüber, dass die Beschwerden unbegründet seien. Am 02.11.2022 erschienen zwei Mitarbeiterinnen der Gemeinde im Anwesen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Zu diesem Zweck betraten sie die Wohnung der Klägerin und hörten sich das Geräusch beim Betrieb der Industrienähmaschine an. Eine der beiden Mitarbeiterinnen begab sich in die Wohnung der Beklagten und stellte fest, dass ein Nähmaschinengeräusch durch den – von der anderen Mitarbeiterin gleichzeitig überwachten – Betrieb der Industrienähmaschine in der Wohnung der Beklagten nicht zu hören ist. Dementsprechend kamen die Mitarbeiterinnen zu dem Ergebnis, dass der Vorwurf der Beklagten jeder Grundlage entbehrt. Am 26.11.2022 erstattete die Beklagte gegen die Klägerin bei der Polizeiinspektion M. 1 unter dem Aktenzeichen ... in Strafanzeige gegen die Klägerin. Daraufhin wurde von der Staatsanwaltschaft gegen die Klägerin wegen des Verdachts der vorsätzlichen Körperverletzung strafrechtlich ermittelt. Die Klägerin schaltete zu ihrer Verteidigung ihren Prozessbevollmächtigten ein. Dieser nahm Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 29.01.2023 teilte die Staatsanwaltschaft München 1 dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, dass sie das Verfahren mit Verfügung vom 10.01.2023 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt habe.
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Die Klägerin behauptet, dass sie am 05.11.2022 die Industrienähmaschine aus der Wohnung verbracht habe und sich seitdem keine Nähmaschine mehr in der Wohnung der Klägerin befinde. Aus ihrer Wohnung gehe kein Lärm, der einer Nähmaschine gleicht, aus. Die Klägerin nähe nicht mehr zu Hause. Im August 2022 habe die Beklagte begonnen, immer wieder mit einem Gegenstand an die Wohnungsdecke zu klopfen. Im Zeitraum 24.10.2022 bis 04.04.2023 sei es zu mehr als 500 Klopfattacken gekommen. Außerdem habe die Beklagte mehrere Polizeieinsätze veranlaßt. Dies habe bei der Klägerin zu körperlichen Beschwerden und zu Angstzuständen geführt. Der geschilderte Psychoterror der Beklagten habe dazu geführt, dass die Klägerin und ihr Ehemann, Herr ... erkrankten und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mussten. Bei der Klägerin habe sich stressbedingte vegetative Beschwerden eingestellt. Sie leide seit Ende 2022 immer wieder an Bauchschmerzen, Verdauungsbeschwerden und fortwährend an Angstzuständen. Sie habe eine regelrechte Scheu davor entwickelt, der Beklagten zu begegnen und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Die Klägerin bestreitet das Lärmprotokoll der Beklagten. Sie habe zu keiner Zeit ruhestörenden Lärm in ihrer Wohnung erzeugt oder auf den Fußboden ihrer Wohnung geklopft.
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Die Klägerin beantragt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meldung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen,
a) mit einem Gegenstand an die Decke der im Erdgeschoss rechts des Anwesens gelegenen, von genutzten Wohnung zu
b) gegenüber Dritten zu behaupten, die Klägerin verursache in ihrer im ersten Obergeschoss rechts des Anwesens gelegenen, von ihr genutzten Wohnung die Beklagte beeinträchtigen-den ruhestörenden Lärm, und zwar insbesondere durch den Betrieb einer Industrienähmaschine.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch einen Betrag von mindestens 1.000,00 EUR erreichen soll.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte behauptet, dass sie Opfer von Lärmbelästigungen der Klägerin sei. Die Beklagte werde durch die Geräusche der Nähmaschine erheblich gestört, weswegen sie unter Schlafmangel und Schlafstörung leide. Soweit die Beklagte also in der Vergangenheit gegen die Decke geklopft hat, damit die Klägerin ihre Nähmaschine nicht weiter zu unmöglichen Zeiten zur Berufsausübung nutzt, sei das durch Notwehr gerechtfertigt. Nähmaschinengeräusche seien weiterhin aus der Wohnung der Klägerin zu hören. Es werde auf das Lämprotokoll der Beklagten Bezug genommen. Das Lärmprotokoll der Klägerin werde bestritten. Vielmehr klopfe die Klägerin selbst auf den Fußboden ihrer Wohnung, damit es so wirke, als wenn die Klägerin klopfen würde. Die Beklagte bestreitet das Vorliegen körperlicher Beschwerden infolge des Klopfens der Beklagten an die Decke.
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Das Gericht hat keine Beweise erhoben.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 08.08.2023.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht München ist sachlich und örtlich zuständig.
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Die Klage ist begründet. Allerdings hat die Klägerin nur einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 300 €. Daher ist die Klage teilweise abzuweisen.
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Die Klägerin hat einen Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten. Die Beklagte hat unstreitig mit einem Gegenstand gegen die Decke ihrer Wohnung geklopft. Streitig ist nur, wie häufig dies vorkam und ob dies durch Notwehr gerechtfertigt ist. Es kam jedenfalls zu regelmäßigem Klopfen. Hierdurch wurde die Klägerin gestört und unter anderem in ihrer Nachtruhe beeinträchtigt.
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Diese „Klopfattacken“ der Beklagten sind nicht durch Notwehr gerechtfertigt.
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Zum einen hat die Beklagte nicht nachgewiesen, dass aus der Wohnung der Klägerin störende Geräusche einer Nähmaschine kommen. Aus den Tonbandaufnahmen, die in der Sitzung vom 08.08.2023 angehört wurden, konnte das Gericht lediglich ein starkes Rauschen hören, nicht aber für eine Nähmaschine charakteristische Geräusche.
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Auf die Vernehmung der beklagtenseits genannten Zeugen hat das Gericht verzichtet. Im Rahmen der Beurteilung hat das Gericht unterstellt, dass die Zeugen den Beklagtenvortrag bestätigt hätten.
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Trotz dieser Unterstellung ist das Gericht jedoch nicht davon überzeugt, dass die Beklagte durch Geräusche einer Nähmaschine der Klägerin gestört wird. Zum einen hat die Klägerin glaubhaft versichert, dass sie ihre Nähmaschine am 05.11.2022 aus der Wohnung entfernt hat und nicht mehr in ihrer Wohnung näht. Bei einem Ortstermin durch Mitarbeiter der Gemeinde Haar haben diese festgestellt, dass die Nähmaschine, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Wohnung befunden hat, nicht in der Wohnung der Beklagten zu hören ist. Die angehörten Tonbandaufnahmen belegen auch kein Nähmaschinengeräusch, lediglich ein Rauchen, was durch alles mögliche andere hervorgerufen sein kann. Auch die Staatsanwaltschaft hat das Strafverfahren wegen Körperverletzung gern. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
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Somit ist eine non-liquet-Situation gegeben. Da die Beklagte beweisbelastet ist, geht dies zu ihren Lasten.
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Entscheidend ist jedoch, dass keine Situation vorliegt, die ein Klopfen der Beklagten rechtfertigt. Selbst wenn aus der Wohnung der Klägerin Geräusche dringen, darf die Beklagte nicht durch ständiges Klopfen reagieren. Die Voraussetzungen der Notwehr liegen nicht vor. Vielmehr hätte die Beklagte ihrerseits gerichtlich gegen die Klägerin vorgehen und auf Unterlassung klagen müssen. Dies hat sie nicht getan.
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Da Wiederholungsgefahr besteht, hat die Klägerin einen Unterlassungsanspruch sowohl in Hinblick auf das Klopfen als auch wegen der Behauptung, dass von der Klägerin ruhestörender Lärm ausgeht. Diesbezüglich hat die Beklagte bereits mehrere Polizeieinsätze ausgelöst, Strafanzeige erstattet sowie sich beim Vermieter beschwert, was zu umfangreichen Maßnahmen gegenüber der Klägerin geführt hat.
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Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Die Klägerin hat nachvollziehbar ausgeführt, dass sie aufgrund des Verhaltens der Beklagten und des ständigen Klopfens ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen musste und sich stressbedingte vegetative Beschwerden eingestellt haben. Sie leidet seit Ende 2022 immer wieder an Bauchschmerzen, Verdauungsbeschwerden und fortwährend an Angstzuständen. Dies wird durch das vorgelegte Attest von ... bestätigt. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Beklagte ihrerseits von der Klägerin massiv gestört fühlt und wegen summender Geräusche in ihrer Wohnung nicht mehr schlafen kann, erachtet das Gericht einen Schmerzensgeldbetrag von 300 € als angemessen aber auch ausreichend.
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Die Entscheidung über Verzugszinsen beruht auf §§ 280, 286, 288 ZPO.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 ZPO.