Titel:
Rechtsschutzinteresse, Verfassungsrechtliche Anforderungen, Dynamische Verweisung, Verwaltungsgerichte, Sachverständigengutachten, Einstweilige Anordnung, Öffentlich-rechtliches Hausrecht, Antragsbefugnis, Ersatzzwangshaft, Einschätzungsprärogative, Organstreitverfahren, Beschlußfähigkeit, Angemessener Ausgleich, Mindestabstandsgebot, Einschätzungsspielraum, Verwaltungszwang, Anhörungspflicht, Fraktionsrechte, Organstreitigkeit, Kompetenzabgrenzung
Leitsätze:
1. Abgeordnete und Fraktionen des Bayerischen Landtags können Anordnungen der Landtagspräsidentin, die auf deren Hausrecht (Art. 21 Satz 1 Alt. 1 BV) gestützt sind, (nur) im Organstreitverfahren nach Art. 64 BV, Art. 49 Abs. 1 VfGHG beanstanden.
2. Zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung können auch hausrechtliche Anordnungen erlassen werden, die das freie Mandat der Abgeordneten (Art. 13 Abs. 2 BV) und die damit korrespondierenden Fraktionsrechte beschränken.
3. Sitzungsbezogene Anordnungen auf der Grundlage des Hausrechts dürfen nur ergehen, soweit das Parlament nicht bereits in Ausübung seiner Geschäftsordnungsautonomie (Art. 20 Abs. 3 BV) eigene Regelungen getroffen hat.
4. Bei der Wahrnehmung ihrer verfassungsunmittelbaren Befugnisse aus Art. 21 Abs. 1 Alt. 1 BV verfügt die Landtagspräsidentin über einen verfassungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzungsspielraum.
5. Die zur Sicherstellung des Parlamentsbetriebs während der Corona-Pandemie getroffenen hausrechtlichen Anordnungen durften sich hinsichtlich der Risikobewertung und der Eignung der getroffenen Schutzmaßnahmen an den fortlaufend aktualisierten Lageberichten des Robert Koch-Instituts orientieren.
Schlagworte:
Antragsbefugnis, Organstreitverfahren, Verwaltungsakt, Hausrecht, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Parlamentsprivileg, Immunität, Mandatsausübung, Zugangsbeschränkung, Mund-Nasen-Bedeckung, Mindestabstand, Funktionsfähigkeit des Parlaments, Verhältnismäßigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54527
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe
1
Der Antragsteller zu 2 ist Abgeordneter des Bayerischen Landtags und Mitglied der Antragstellerin zu 1, der dortigen AfD-Fraktion. Die Antragsteller wenden sich in einem Organstreitverfahren gegen verschiedene von der Präsidentin des Landtags (Antragsgegnerin) im Jahr 2020 getroffene „Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bewältigung der durch die Ausbreitung des ‚Corona-Virus‘ bedingten besonderen Situation“.
2
Die angegriffenen schriftlichen „Anordnungen und Dienstanweisung“ traten am 3. Juli 2020 zunächst mit Wirkung bis zum 30. September 2020 in Kraft. Sie wurden am 15. September 2020 aktualisiert und verlängert sowie am 29. Oktober und 25. November 2020 ergänzt; mit Ablauf des 31. Dezember 2020 traten sie außer Kraft. Ab 1. Januar 2021 galt eine „2. Anordnung und Dienstanweisung“.
3
Die auf das öffentlich-rechtliche Hausrecht gemäß Art. 21 Abs. 1 BV und auf § 16 Abs. 2 der Hausordnung des Landtags vom 15. April 2019 sowie auf die dienstrechtliche Fürsorgepflicht gestützten Bestimmungen enthielten Regelungen zu den betroffenen Räumlichkeiten (Nr. 1), zum Zugang zum Maximilianeum (Nr. 2), zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Nr. 3) sowie zum Mindestabstandsgebot und zur maximalen Belegungskapazität der Sitzungssäle und Besprechungsräume (Nr. 4 Buchst. a). In Nr. 5 wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Nr. 6 verwies unter „Sonstiges“ auf die Möglichkeit des Verwaltungszwangs, auf die Bußgeldbewehrung gemäß § 112 OWiG sowie auf weitere hausordnungsrechtliche Maßnahmen wie Hausverweis und Hausverbot. Dem Maßnahmenkatalog war eine ausführliche Begründung beigefügt.
4
Die „Anordnungen und Dienstanweisung“ lauteten auszugsweise wie folgt:
Die folgenden Bestimmungen gelten für alle Personen, die sich in den meinem Hausrecht unterstehenden Räumlichkeiten aufhalten. Diese sind neben dem Maximilianeum:
2. Zugang zum Maximilianeum
Von allen Personen, die das Maximilianeum betreten bzw. über die Tiefgarage einfahren wollen – mit Ausnahme derjenigen, die eine allgemeine Zugangsberechtigung nach § 3 der Hausordnung haben – wird eine schriftliche Selbstauskunft eingeholt, die eine Risikobeurteilung ermöglicht.
Wird in der Selbstauskunft ein Kreuz bei „Ja“ gesetzt oder wird die Abgabe der Selbstauskunft verweigert, wird der betreffenden Person der Zugang zum Gebäude verwehrt.
Erkennbar kranken Personen wird ebenfalls der Zugang zum Gebäude verwehrt. Anzeichen einer relevanten Erkrankung sind Husten, Atemnot, Kurzatmigkeit, Niesen, Schnupfen und / oder Fieber.
Besuchergruppen können vorerst bis Ende des Jahres 2020 an keinen Sitzungen teilnehmen. Einzelbesuchern, insbesondere Petenten, bleibt die Teilnahme an Ausschusssitzungen vorbehalten.
3. Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung a) Ab Betreten eines Gebäudes ist eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.
Diese Pflicht gilt für alle Verkehrsflächen, insbesondere für die Sitzungssäle und Besprechungsräume, die Aufenthaltsbereiche vor Sitzungssälen, die Flure, die Sanitärräume, die Bibliothek, die Gaststätte und die Kantine, sowie in den Büros der Landtagsverwaltung.
Hinsichtlich der den Abgeordneten und Fraktionen zur Nutzung für parlamentarische Zwecke überlassenen Räumlichkeiten wird den jeweiligen Nutzungsrechtsinhabern angeraten, entsprechende eigene Regelungen zu erlassen.
b) In Sitzungssälen und Besprechungsräumen kann die Mund-Nasen-Bedeckung bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern am Platz abgelegt werden.
In der Gaststätte und in der Kantine kann die Mund-Nasen-Bedeckung gemäß der alIgemein gültigen Gaststättenregelung, am Tisch ebenfalls abgenommen werden.
Im eigenen Büro ist das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht verpflichtend, soweit es sich um ein Einzelbüro handelt oder der lnfektionsschutz in mehrfach belegten Büros durch die Einhaltung des Mindestabstands oder geeignete Abtrennungen zwischen den Arbeitsplätzen oder zeitliche Entzerrung der Büronutzung gewährleistet wird.
4. Verhalten in den Gebäuden
a) In den Gebäuden einschließlich der Sitzungssäle und Besprechungsräume wird das Mindestabstandsgebot (von mindestens 1,5 Metern) empfohlen. Das Mindestabstandsgebot ist verpflichtend einzuhalten, wenn berechtigterweise (siehe Ziffern 3 a, b, d und e) eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht getragen wird und nicht aufgrund baulicher oder technischer Maßnahmen der Infektionsschutz gewährleistet wird. Personen, für die gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 der 6. BaylfSMV der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum gestattet ist, haben die Abstandsregel nicht zu befolgen.
Für jeden Sitzungssaal bzw. Besprechungsraum wird von der Landtagsverwaltung eine maximale Belegungskapazität definiert, die einzuhalten ist.
Die sofortige Vollziehung der Anordnungen wird angeordnet. …
Bei Nichtbeachtung dieser Anordnungen kann Verwaltungszwang angewendet werden. In Betracht kommt insbesondere ein Zwangsgeld von 15 bis 50.000 Euro gemäß Art. 31 VwZVG. …
Zudem ist die Zuwiderhandlung gegen diese hausordnungsrechtlichen Anordnungen gemäß § 112 OWiG bußgeldbewehrt. Es kommt ein Bußgeld bis zu 5.000 Euro in Betracht.
Als weitere hausordnungsrechtliche Maßnahmen können bei Nichteinhaltung ein Hausverweis oder ein Hausverbot ausgesprochen werden.
5
Mit Schriftsatz vom 19. August 2020 beantragten die Antragsteller, gegenüber der Antragsgegnerin festzustellen, dass Nrn. 1, 2, 3, 4 Buchst. a, Nrn. 5 und 6 der „Allgemeinverfügung“ vom 3. Juli 2020 die Rechte des Antragstellers zu 2 aus Art. 13 Abs. 2, Art. 16 a und 28 BV und der Antragstellerin zu 1 aus Art. 16 a und 28 BV verletzen.
6
1. Die Feststellungsanträge seien zulässig. Die angegriffene Anordnung bzw. Allgemeinverfügung sei ein statthafter Antragsgegenstand im Organstreitverfahren. Den Antragstellern stehe die Antragsbefugnis zu, da eine Verletzung ihrer organschaftlichen Rechte möglich sei.
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Das Rechtsschutzinteresse für das Organstreitverfahren entfalle nicht bei einem Außerkrafttreten der Anordnung, da es um die Klärung von Grundsatzfragen gehe, die sich bei jeder weiteren Pandemie erneut stellen würden.
8
2. Mit weiteren Schriftsätzen vom 31. August und vom 3., 11. und 14. September 2020 sowie vom 23. und 24. August 2023 wurde ausführlich zur Begründetheit der Anträge Stellung genommen.
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Das Erfordernis der schriftlichen Selbstauskunft bei Besuchen im Landtag (Nr. 2) habe eine abschreckende Wirkung und schränke die Bereitschaft der Bürger, mit den Abgeordneten zu sprechen, massiv ein; dadurch werde die von Art. 13 Abs. 2, Art. 16 a Abs. 1 bis 3 BV geschützte Kommunikationsbeziehung zwischen den Antragstellern und den Bürgern nachteilig beeinflusst. Ferner sei die Regelung zur Selbstauskunft gleichheitswidrig ausgestaltet, weil davon ohne Begründung die zahlreichen Personen ausgenommen seien, die nach § 3 der Hausordnung eine allgemeine Zugangsberechtigung besäßen.
10
Die Anordnung einer Maskenpflicht (Nr. 3) erscheine u. a. wegen gesunkener Infektionszahlen und aufgrund der atypischen baulichen Besonderheiten des Landtagsgebäudes völlig überzogen. Auch gebe es wissenschaftliche Gründe, den Sinn der sog. Mund-Nasen-Bedeckungen zu bezweifeln, insbesondere wenn es sich nicht um FFP2-Masken handle. Es sei grundsätzlich Sache der Abgeordneten, ob diese ihr Gesicht zeigen wollten. Die Antragsteller hätten das Recht, eine entsprechende Politik zu vertreten und ihre die Regierungspolitik ablehnende Haltung durch „Verweigerung des Maskenirrsinns“ im Parlament auf sichtbare Weise durch das Zeigen des Gesichts zum Ausdruck zu bringen. Die durch Art. 16 a BV geschützten Rechte der Opposition dürften nur durch förmliches Gesetz eingeschränkt werden. Dass die mit der Maskenpflicht verbundenen Eingriffe in die organschaftlichen Rechte unverhältnismäßig seien, ergebe sich schon daraus, dass die Bayerische Staatsregierung kurz zuvor unter Hinweis auf bestehende Besonderheiten des Landtagsbetriebs erklärt habe, eine Maskenpflicht für Abgeordnete sei nicht erforderlich. Während eines vorherigen mehrmonatigen „Modellversuchs“ im Landtagsgebäude habe es keine Infektionen von Mitarbeitern oder Abgeordneten gegeben. Ebenso effektiv seien mildere Maßnahmen wie etwa die Pflicht zum Tragen eines sog. Face Shields. Zumindest sei eine lokal differenzierende Lösung für die AfD-Abgeordneten aus Regionen mit unterdurchschnittlich hohen Infektionszahlen geboten gewesen. Den angegriffenen Maßnahmen liege eine völlig unkritische Übernahme der seit Monaten unveränderten, objektiv widersprüchlichen Risikobewertungen durch das Robert Koch-Institut (RKI) zugrunde. Diese könnten nicht als Sachverständigengutachten angesehen werden. Der in den Medien gemeldete Anstieg von Infektionszahlen sei auf eine Zunahme der Testungen zurückzuführen. Generell seien der Nutzen von Schutzmasken, die medizinische Aussagekraft der sog. PCR-Tests und die Risikoeinschätzungen des RKI in Frage zu stellen, wie sich aus einer Vielzahl von Studien und Veröffentlichungen ergebe. Die Antragsgegnerin habe den Corona-Sachverhalt nicht von Amts wegen ermittelt, obwohl dies bei derart massiven Eingriffen in – tendenziell weit auszulegende – organschaftliche Rechte der (Oppositions-)Abgeordneten und Fraktionen erforderlich sei. Vergleichbares habe es in keinem anderen deutschen Parlament und, soweit ersichtlich, auch nirgendwo in Europa gegeben. In der Einführung einer Maskenpflicht liege ein politischer Machtmissbrauch der Landtagspräsidentin als ranghoher Vertreterin der größten Regierungspartei. Die in Nr. 3 Buchst. b Satz 2 getroffene Regelung über das Abnehmen der Mund-Nasen-Bedeckung in der Gaststätte und in der Kantine des Landtags enthalte eine grundsätzlich unzulässige dynamische Verweisung auf die damaligen bayerischen Corona-Verordnungen, ohne dass deren Fundstelle im Internet oder an sonstiger Stelle angegeben werde. Auch sei unklar, auf welche der mehrfach geänderten Einzelregelungen mit dem Verweis auf die „allgemein gültigen Gaststättenregelungen“ Bezug genommen werde.
11
Eine so weitreichende Regelung wie das Mindestabstandsgebot (Nr. 4 Buchst. a), mit dem in das freie Mandat massiv eingegriffen werde, könne nur durch formelles Gesetz und nicht von der Antragsgegnerin unter Berufung auf ihr Hausrecht, das ohnehin nur Einzelfallregelungen zulasse, getroffen werden. Insoweit gelte ebenfalls der Parlamentsvorbehalt des Art. 16 a Abs. 3 BV; die Regelung müsse damit auch dem Zugriff des plebiszitären Gesetzgebers unterliegen. Bei der in Nr. 4 Buchst. a Satz 3 genannten Vorschrift der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) fehle überdies die gebotene Angabe einer Fundstelle.
12
Für die ohne vorherige Anhörung angeordnete sofortige Vollziehung (Nr. 5) der von der Antragsgegnerin offenbar als Allgemeinverfügung verstandenen „Anordnung“ habe es angesichts rückläufiger Infektionszahlen an einer akuten Eilbedürftigkeit gefehlt. Es habe insbesondere kein dringender Grund bestanden, die Maskenpflicht auf die ca. 20 AfD-Abgeordneten auszudehnen.
13
Den schwersten und offensichtlichsten Verfassungsverstoß enthalte Nr. 6 der Anordnung. Den frei gewählten und nach Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BV nur ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten würden ein Hausverweis, ein Hausverbot und ein Zwangsgeld in unbegrenzter Höhe (Art. 31 Abs. 2 Satz 3 VwZVG) oder sogar Ersatzzwangshaft (Art. 33 VwZVG) angedroht, womit gegen Art. 28 BV verstoßen werde. Schon die Androhung dieses Mittels, das der bundesrechtlichen Wertung in § 112 Abs. 3 OWiG widerspreche, sei mit der Immunität der Abgeordneten und mit dem freien Mandat unvereinbar, zumindest aber dem Parlament vorbehalten.
14
Die Antragsgegnerin tritt den Anträgen entgegen. Es sei schon fraglich, ob die erforderliche Antragsbefugnis hinreichend dargelegt worden sei. Die Anordnung betreffe nur Randbereiche der Mandatsausübung. Mit dem Recht auf ungehinderte Mandatsausübung nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV werde nur ein Kernbestand an Rechten auf Teilhabe am Verfassungsleben in Gestalt von Rede- und Antragsbefugnissen verbürgt. Hierzu gehöre nicht ein Recht, im Plenum eine ablehnende Haltung durch Gruppenbildung ohne Infektionsschutz dokumentieren oder die Flure ohne Mund-Nasen-Bedeckung begehen zu können. Art. 16 a BV verschaffe den Antragstellern keine weitergehenden Rechte; der Vorschrift gehe es nicht um eine Privilegierung der Opposition. Art. 28 BV greife ersichtlich nicht ein; die Vorschrift gewährleiste nur die Freiheit des Abgeordneten gegenüber Strafverfolgung und Freiheitsbeschränkungen. Die Antragsteller seien auch nicht berechtigt, die Regelungen über Besucheranmeldungen und Adressenerfassungen zu rügen.
15
Die Anordnung der Antragsgegnerin sei weder der Form noch der Sache nach zu beanstanden. Das Selbstorganisationsrecht des Parlaments lasse den Weg einer Allgemeinverfügung zu; anders sei dies möglicherweise bei polizeilichem Handeln des Parlamentspräsidenten etwa in Form einer Durchsuchung von Abgeordnetenräumen. Da für Abgeordnete im vorliegenden Zusammenhang die Grundrechte nicht einschlägig seien, gelte der Grundsatz der formalen Gleichstellung aller Parlamentsmitglieder. Er sei erst dann verletzt, wenn das Hausrecht gegenüber den Abgeordneten unterschiedlich gehandhabt werde, wofür hier nichts ersichtlich sei. Ob vor Erlass der Anordnung eine Anhörung geboten gewesen sei, brauche nicht entschieden zu werden, da die Antragsgegnerin am 27. Mai 2020 mit den parlamentarischen Geschäftsführern aller Fraktionen in einer Videokonferenz unter wissenschaftlicher Begleitung die Absicht erörtert habe, eine Maskenpflicht anzuordnen. Nachdem die Antragstellerin zu 1 verkündet habe, eine diesbezügliche Empfehlung nicht umzusetzen, sei die streitgegenständliche Anordnung im Einvernehmen mit dem Landtagspräsidium erlassen worden. Die Antragsgegnerin sei ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen, da die zu der Videokonferenz zugezogenen Experten die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit der Maßnahmen anhand einer dem Landtag angepassten Gefahrenbeurteilung erläutert hätten.
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Die Antragsgegnerin habe ihr öffentlich-rechtliches Hausrecht nach Art. 21 BV, dessen Adressat auch die Abgeordneten seien, rechtsfehlerfrei wahrgenommen. Das ihr eingeräumte Ermessen über die funktionsgerechte Nutzung der Räume dürfe nur zweckgerichtet im Interesse der Funktionsfähigkeit des Parlaments und nicht als Sanktionsmittel eingesetzt werden. Die Antragsgegnerin sei der Risikoeinschätzung und den Empfehlungen des RKI gefolgt, dem nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Infektionsschutz eine besondere Rolle zukomme. Die pandemiebedingte Gefahr von Infektionsketten könne den Landtag erheblich in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigen, da schon bei nachträglich festgestellter COVID-19-Erkrankung nur eines Abgeordneten für alle Teilnehmer der betreffenden Plenarsitzung eine zweiwöchige Quarantäne anzuordnen gewesen wäre.
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Die Maskenpflicht sei in mehrfacher Hinsicht mit Ausnahmen zum Schutz der Kommunikation von und mit Landtagsabgeordneten versehen worden. Dass der Antragstellerin zu 1 die Durchführung von Besprechungen bei Wahrung eines Mindestabstands von 1,5 Metern unter Verzicht auf eine Mund-Nasen-Bedeckung schlechthin unzumutbar sei, habe sie nicht dargelegt. Auch die Zugangsregelung nach Nr. 2 sei ausreichend differenziert und nehme auf die Belange der Abgeordneten Rücksicht. Es könne offenbleiben, ob die Bayerische Verfassung ein Recht der Antragsteller zum jederzeitigen uneingeschränkten Kontakt mit (potenziellen) Wählern in den Landtagsgebäuden verbürge. Dass sie ohne Mund-Nasen-Bedeckung unter Wahrung des Mindestabstands Besucher empfangen könnten, lasse eine Beeinträchtigung ihrer Wahrnehmungsmöglichkeiten jedenfalls fernliegend erscheinen. Die in Art. 22 Abs. 1 Satz 1 BV geforderte Öffentlichkeit der Verhandlungen ermögliche zwar prinzipiell den freien Zutritt zu Sitzungen des Landtagsplenums; die Modalitäten könne aber der jeweilige Parlamentspräsident in Ausübung des Hausrechts regeln. Soweit es Einzelbesuchern wegen der aus Infektionsschutzgründen getroffenen Anordnung nicht mehr möglich sei, die Sitzungen von der Besuchertribüne aus zu verfolgen, liege darin keine unzulässige Einschränkung der Sitzungsöffentlichkeit; die Landtagssitzungen würden zur Gewährleistung der Transparenz im Internet übertragen. Nicht zu beanstanden sei auch, dass die aus allen Landesteilen stammenden Besucher und Besuchergruppen beim Betreten der Landtagsgebäude eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssten. Eine solche Bedeckung werde in der Rechtsprechung als geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Ausbreitung von COVID-19 angesehen. Die gemäß Nr. 6 angedrohten Maßnahmen unterfielen dem Hausrecht und im Übrigen der Polizeigewalt (Art. 21 BV), die sich auch auf die Abgeordneten erstrecke. Das danach mögliche Zwangsgeld unterfalle als eine ordnungsbehördliche Beugemaßnahme nicht dem Art. 28 BV.
18
Die getroffenen Anordnungen genügten dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dass nur die Personen mit medizinischer Befreiung von der Maskenpflicht stattdessen ein Face Shield tragen dürften, beruhe darauf, dass dieses die Aerosol-Verbreitung nicht hemme und daher die Ansteckungsgefahr nur in geringem Umfang vermindere. Da durch die Maskenpflicht die Angehörigen anderer Fraktionen, die Landtagsmitarbeiter und die Besucher geschützt würden, komme es auf das Einverständnis der Antragsteller, sich einer Infektionsgefahr auszusetzen, nicht an.
19
Einen von den Antragstellern ebenfalls mit Schriftsatz vom 19. August 2020 gestellten Antrag, die im vorliegenden Organstreitverfahren beantragten Feststellungen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache im Wege der einstweiligen Anordnung zu treffen, hat der Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 14. September 2020 (juris) abgewiesen.
20
In der mündlichen Verhandlung am 25. August 2023 haben die Antragsteller ihre ursprünglich gestellten weiteren Anträge auf Feststellung der Verletzung von Rechten des Landtags aus Art. 2, 3, 4, 5 sowie 16 a Abs. 2 und 3 BV zurückgenommen.
21
Die Anträge auf Feststellung, dass Nrn. 1, 2, 3, 4 Buchst. a, Nrn. 5 und 6 der „Anordnungen und Dienstanweisung“ vom 3. Juli 2020 gegen verfassungsmäßige Rechte der Antragsteller verstoßen, sind nur zum Teil zulässig.
22
1. Die von den Antragstellern gewählte Verfahrensart eines Organstreits ist statthaft.
23
a) Nach Art. 64 BV, Art. 49 Abs. 1 VfGHG entscheidet der Verfassungsgerichtshof über Verfassungsstreitigkeiten zwischen den obersten Staatsorganen oder in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilen eines obersten Staatsorgans. Als Teile des Landtags sind neben den einzelnen Abgeordneten, die sich vor allem auf Art. 13 Abs. 2 BV berufen können, auch die Fraktionen im Organstreit beteiligungsfähig. Einer Fraktion als einem Zusammenschluss von Abgeordneten können verfassungsmäßige Rechte wie den einzelnen Abgeordneten zustehen; zudem haben nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 BV jene Fraktionen, die – wie die Antragstellerin zu 1 – die Staatsregierung nicht stützen, das Recht auf ihrer Stellung entsprechende Wirkungsmöglichkeiten (vgl. VerfGH vom 17.1.2023 BayVBl 2023, 262 Rn. 23 m. w. N.). Im Organstreitverfahren ebenfalls beteiligungsfähig ist die Präsidentin des Bayerischen Landtags, da ihr als Teil dieses obersten Staatsorgans nach der Bayerischen Verfassung eigene Rechte zustehen, insbesondere die hier streitigen originären Befugnisse aus Art. 21 BV.
24
b) Bei der von den Antragstellern beantragten Feststellung einer Verletzung verfassungsmäßiger Rechte handelt es sich um eine nach Art. 64 BV, Art. 49 Abs. 1 VfGHG vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidende Verfassungsstreitigkeit (Organstreit) zwischen den Beteiligten.
25
Die als „Anordnungen und Dienstanweisung“ bezeichneten Maßnahmen der Antragsgegnerin, die auf das öffentlich-rechtliche Hausrecht nach Art. 21 Abs. 1 BV und § 16 Abs. 2 der Hausordnung des Landtags ebenso wie auf die dienstrechtliche Fürsorgepflicht gestützt waren, hatten keine einheitliche Rechtsnatur, sondern waren abhängig vom jeweiligen Adressatenkreis unterschiedlich zu qualifizieren. Gegenüber den Mitarbeitern des Landtagsamts handelte es sich um innerdienstliche Weisungen der Landtagspräsidentin in ihrer Funktion als Vorgesetzte (dazu Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 21 Rn. 14; Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 21 Rn. 9). Gegenüber den externen Besuchern des Parlaments sowie den Mitarbeitern der Abgeordneten und Fraktionen (dazu VerfGH BW vom 4.4.2022 NVwZ-RR 2022, 403 Rn. 52; Brocker in BeckOK GG, Art. 40 Rn. 44) stellten die zugangsbeschränkenden und verhaltenssteuernden Anordnungen einen Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG dar, da die Antragsgegnerin insoweit mit rechtlicher Außenwirkung von ihren verfassungsunmittelbaren Regelungsbefugnissen nach Art. 21 Satz 1 Alt. 1 BV Gebrauch machte. Im Verhältnis zu den Antragstellern als mit eigenen verfassungsmäßigen Rechten ausgestatteten Teilen des Landtags handelte es sich dagegen nicht um Maßnahmen, die auf eine Rechtswirkung nach außen gerichtet waren, sondern um den innerparlamentarischen Rechtskreis betreffende, auf dem Hausrecht beruhende Anordnungen, die die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte der Abgeordneten und Fraktionen berührten und daher Gegenstand (nur) eines Organstreitverfahrens sein konnten (Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 6 mit Fn. 16; Huber in Meder/ Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 3; vgl. BVerfG vom 9.6.2020 BVerfGE 154, 354 Rn. 27 ff.; SächsVerfGH vom 14.1.2011 – Vf. 87-I-10 – juris Rn. 23; VerfGH BW NVwZ-RR 2022, 403, vgl. Rn. 81 f. bei juris – in NVwZ-RR insoweit nicht abgedruckt; OVG Berlin-Bbg vom 28.10.2020 NVwZ-RR 2021, 120 Rn. 6 ff.; Klein in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 174; Drossel/Weber, NVwZ 2022, 365/371; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 24; a. A. Linke, NVwZ 2021, 1265/1266 ff.).
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2. Den Antragstellern fehlt jedoch für einen Teil der gestellten Anträge die notwendige Antragsbefugnis.
27
a) Soweit sich die Antragsteller gegen die unter Nr. 5 angeordnete sofortige Vollziehung der in den Nrn. 1 bis 4 getroffenen Maßnahmen wenden, sind die Anträge im Organstreitverfahren mangels eigener rechtlicher Betroffenheit unzulässig.
28
Eine Vollziehbarkeitsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO lässt die aufschiebende Wirkung, die nach § 80 Abs. 1 VwGO bei einem Widerspruch oder einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt eintritt, entfallen, sodass die betreffende Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme (vgl. Art. 35 BayVwVfG) ungeachtet des anhängigen Rechtsbehelfs vollstreckt werden kann. Der Betroffene kann dagegen mit einem Antrag an das Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgehen und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragen. Rechtliche Bedeutung besitzen Sofortvollzugsanordnungen als verfahrensrechtliche Nebenentscheidungen demnach nur im Zusammenhang mit dem fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte. Die Antragsgegnerin hat aber im Verhältnis zu den Antragstellern, wie oben dargelegt, keinen Verwaltungsakt erlassen, gegen den diese im Wege einer Anfechtungsklage und eines verwaltungsgerichtlichen Eilantrags hätten vorgehen können.
29
In einem Organstreitverfahren kommt dem Umstand, dass die beanstandete Maßnahme für sofort vollziehbar erklärt worden ist, im Übrigen schon deshalb keine eigenständige Bedeutung zu, weil der Verfassungsgerichtshof in diesem Verfahren lediglich feststellt, ob die Maßnahme gegen verfassungsmäßige Rechte des Antragstellers verstößt (vgl. VerfGH BayVBl 2021, 734 Rn. 25 m. w. N.). Im Fall eines erfolgreichen Antrags obliegt es dem Antragsgegner, den festgestellten verfassungswidrigen Zustand umgehend zu beenden (VerfGH, a. a. O., m. w. N.). Daher ist im Organstreit weder Raum für eine gesonderte Prüfung des Sofortvollzugs noch für eine über die Feststellung der Rechtsverletzung hinausgehende Verpflichtung, von Vollzugsmaßnahmen abzusehen.
30
b) Unzulässig sind die Anträge auch, soweit sich die Antragsteller gegen Nr. 6 der „Anordnungen und Dienstanweisung“ der Antragsgegnerin wenden und darin insbesondere eine Verletzung der in Art. 28 BV garantierten parlamentarischen Immunität sehen.
31
aa) Der Antragstellerin zu 1 fehlt hinsichtlich der genannten Verfassungsbestimmung von vornherein die notwendige Antragsbefugnis. Als Fraktion des Bayerischen Landtags kann sie sich in einem Organstreitverfahren nach Art. 64 BV, Art. 49 Abs. 1 VfGHG nur auf solche verfassungsmäßigen Rechte berufen, die ihr selbst in ihrer Eigenschaft als Zusammenschluss von Abgeordneten zustehen. Aus den Regelungen des Art. 28 BV zur Immunität ergeben sich aber nur Rechte des Landtags insgesamt in Gestalt des sog. Parlamentsprivilegs sowie ein subjektives Recht des einzelnen Mandatsträgers als Teil seiner verfassungsmäßigen Statusrechte (VerfGH vom 14.8.1952 VerfGHE 5, 216/219; Möstl in Lindner/Möstl/ Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 28 Rn. 1; Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 28 Rn. 1; vgl. auch BVerfG vom 17.12.2001 BVerfGE 104, 310/325 ff. zu Art. 46 GG). Die Antragstellerin zu 1 kann als Landtagsfraktion keine dieser Rechtspositionen im Organstreitverfahren geltend machen, da das bayerische Verfassungsprozessrecht eine solche Prozessstandschaft nicht vorsieht (vgl. VerfGH BayVBl 2021, 734 Rn. 29 m. w. N.).
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bb) Soweit sich der Antragsteller zu 2 als Mitglied des Landtags in Bezug auf die Nr. 6 auf die parlamentarische Immunität aus Art. 28 BV i. V. m. dem in Art. 13 Abs. 2 BV garantierten freien Mandat beruft, fehlt es jedenfalls an einer schlüssigen Darlegung, dass er in einem aus diesen Verfassungsvorschriften folgenden eigenen Recht verletzt oder gefährdet sein könnte (zu diesem Zulässigkeitserfordernis VerfGH vom 26.8.2021 BayVBl 2021, 808 Rn. 65 m. w. N.).
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(1) Die in Nr. 6 der „Anordnungen und Dienstanweisung“ enthaltenen Hinweise zu einer möglichen Anwendung von Verwaltungszwang, zur Bußgeldbewehrung und zu weiteren hausordnungsrechtlichen Maßnahmen stellten keine eigenständigen Anordnungen dar. Sie zeigten unter der Sammelbezeichnung „Sonstiges“ lediglich auf, welche Reaktionsmöglichkeiten der Antragsgegnerin bei Nichtbeachtung der vorgenannten Anordnungen zur Verfügung standen. Inwiefern sich schon aus diesen Erläuterungen des rechtlichen Instrumentariums ungeachtet des fehlenden Regelungscharakters nachteilige Auswirkungen auf die verfassungsrechtlich garantierten Statusrechte des Antragstellers zu 2 als Landtagsabgeordneter hätten ergeben können, lässt sich seinen Ausführungen nicht entnehmen.
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Mit der Gewährleistung der parlamentarischen Immunität wird die Handlungsfähigkeit der Volksvertretung insbesondere in ihrer Funktion als Gesetzgebungsorgan geschützt (VerfGHE 5, 216/219); sie findet ihre Rechtfertigung daher vor allem im Prinzip der repräsentativen Demokratie (BVerfGE 104, 310/329). Art. 28 BV verhindert, dass der Bayerische Landtag in seiner Arbeits- und Funktionsfähigkeit dadurch beeinträchtigt wird, dass ohne seine Genehmigung eines seiner Mitglieder wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet (Abs. 1) oder anderweitig in einer die Wahrnehmung des Mandats beeinträchtigenden Weise in seiner persönlichen Freiheit beschränkt wird (Abs. 2). Die Vorschrift dient damit vornehmlich dem Parlament als Ganzem (sog. Parlamentsprivileg). Eine Rechtposition einzelner Abgeordneter ergibt sich daraus nur insoweit, als diese unter Berufung auf ihr Recht auf ungestörte Mandatsausübung (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV) verlangen können, dass die Entscheidung über eine Genehmigungserteilung nach Art. 28 Abs. 1 BV nicht anhand sachfremder Erwägungen und damit in willkürlicher Weise (Art. 118 Abs. 1 BV) getroffen wird (VerfGH vom 14.1.1966 VerfGHE 19, 1/3 f.; Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 28 Rn. 8; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 28 Rn. 7; ebenso BVerfGE 104, 310/325 ff.). Hatte das Parlament wie hier noch keinen Anlass, über eine immunitätsrelevante freiheitsbeschränkende oder freiheitsentziehende Maßnahme zu entscheiden, so fehlt es an einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten, das Gegenstand einer Organstreitigkeit sein könnte (vgl. VerfGH BayVBl 2021, 734 Rn. 22 m. w. N.). Zudem käme hier als Antragsgegnerin nicht die Präsidentin des Landtags, sondern nur die Volksvertretung als Gesamtorgan in Frage.
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(2) Da Nr. 6 der „Anordnungen und Dienstanweisung“ nur in allgemeiner Form auf die im Fall ihrer Nichtbeachtung bestehenden Handlungsoptionen der Antragsgegnerin verwies, lag darin entgegen dem Vortrag der Antragsteller noch keine konkrete „Androhung“ der erwähnten Maßnahmen (Zwangsgeld bzw. Ersatzzwangshaft, Bußgeld, Hausverweis, Hausverbot) gegenüber etwa widerstrebenden Abgeordneten, die am Maßstab des freien Mandats (Art. 13 Abs. 2 BV) zu messen wäre. Die angegriffenen Bestimmungen galten nach ihrer Nr. 1 („Anwendungsbereich“) für alle Personen, die sich in den dem Hausrecht der Antragsgegnerin unterstehenden Räumlichkeiten aufhielten, also neben den Mitgliedern des Bayerischen Landtags auch für die Bediensteten des Landtagsamts, für die Mitarbeiter der Abgeordneten bzw. Fraktionen und für die Besucher des Landtags. Inwieweit gegenüber diesen unterschiedlichen Regelungsadressaten im Fall von Zuwiderhandlungen Maßnahmen des Verwaltungszwangs, Bußgeldbescheide und hausrechtliche Einzelanordnungen zulässig gewesen wären, hing nicht nur von den jeweiligen tatsächlichen Umständen, sondern maßgebend auch vom (verfassungs-) rechtlichen Status der betreffenden Personen ab. So konnte etwa der Hinweis auf die Bußgeldbewehrung in § 112 OWiG nicht den Antragsteller zu 2 betreffen, da diese Sanktionsnorm gemäß ihrem Absatz 3 auf ihn als Mitglied des Landtags von vornherein keine Anwendung findet. Da ihm gegenüber kein Verwaltungsakt erlassen worden war, kamen Vollstreckungsmaßnahmen nach den Art. 29 ff. VwZVG ebenfalls nicht in Betracht.
36
3. Hinsichtlich der übrigen Anträge besitzen die Antragsteller die erforderliche Antragsbefugnis. Sie berufen sich auf eine Verletzung von Rechtspositionen, die sich unmittelbar aus der Bayerischen Verfassung ergeben und ihnen als innerparlamentarische Rechte auch gegenüber der Antragsgegnerin zustehen.
37
Die Antragsteller machen geltend, durch Nrn. 1, 2, 3 und 4 Buchst. a der „Anordnungen und Dienstanweisung“ vom 3. Juli 2020 werde ohne erforderliche gesetzliche Grundlage und ohne hinreichenden Grund in ihre Organrechte als Mitglied bzw. Fraktion des Landtags eingegriffen. Durch die Zugangsbeschränkung zum Landtag werde die verfassungsrechtlich geschützte Kommunikationsbeziehung zwischen ihnen und den Bürgern nachteilig beeinflusst. Die angeordnete Maskenpflicht hindere sie daran, ihre ablehnende Haltung gegenüber der Regierungspolitik im Parlament durch Zeigen des Gesichts zum Ausdruck zu bringen. Weitreichende Regelungen wie das Abstandsgebot könnten nicht auf das Hausrecht der Landtagspräsidentin gestützt werden, sondern unterlägen einem Parlamentsvorbehalt. Auch die Rechte der Opposition dürften nur durch förmliches Gesetz eingeschränkt werden.
38
Die Antragsteller rügen damit hinreichend substanziiert eine Verletzung der in Art. 13 Abs. 2 BV garantierten freien Mandatsausübung und der in Art. 16 a BV gewährleisteten Minderheitenrechte. Die angegriffenen Anordnungen der Antragsgegnerin wirkten sich allerdings auf diese Organrechte zum Teil nur mittelbar aus. Sie waren gleichwohl als rechtserheblich anzusehen, da sie sich nach dem Sachvortrag der Antragsteller zumindest zu einem ihre Rechtsstellung beeinträchtigenden Verhalten verdichten konnten (vgl. VerfGH BayVBl 2021, 734 Rn. 33). Es handelte sich auch nicht um Regelungen, die mit der Mandatsausübung in keinem spezifischen Zusammenhang standen, sondern in eine andere Richtung zielten (vgl. dazu BVerfG vom 6.12.2021 NJW 2022, 50 Rn. 33).
39
Nicht geltend machen können die Antragsteller allerdings, dass die unter Nr. 2 („Zugang zum Maximilianeum“) geregelte Verpflichtung zur Selbstauskunft auch gleichheitswidrig (Art. 118 Abs. 1 BV) ausgestaltet sei, weil damit die Besucher des Landtags ohne Grund anders behandelt würden als die Inhaber einer allgemeinen Zugangsberechtigung. Mögliche Grundrechtsverstöße zu Lasten Dritter sind im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen; im Organstreit kommen als verfolgbare Rechte nur solche aus dem innerparlamentarischen Bereich in Betracht (vgl. VerfGH BayVBl 2023, 262 Rn. 25 m. w. N.). Eine Ungleichbehandlung der Mitglieder des Landtags, die sich auch auf den Abgeordnetenstatus auswirken würde, ist mit der Zugangsregelung ersichtlich nicht verbunden.
40
4. Obwohl die angegriffenen „Anordnungen und Dienstanweisung“ der Antragsgegnerin mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft getreten sind, liegt weiterhin das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitverfahren vor. Dieses kontradiktorische Verfahren dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht dagegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (VerfGH vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 18; BayVBl 2021, 734 Rn. 25; 2023, 262 Rn. 26; BVerfG vom 17.9.2019 BVerfGE 152, 8 Rn. 28). Das Rechtsschutzinteresse für einen Antrag entfällt daher grundsätzlich nicht allein dadurch, dass die beanstandete Rechtsverletzung in der Vergangenheit stattgefunden hat und bereits abgeschlossen ist (vgl. BVerfG vom 15.6.2022 NVwZ 2022, 1113, vgl. Rn. 65 bei juris – in NVwZ insoweit nicht abgedruckt). Selbst wenn man in solchen Fällen ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse forderte, läge dieses hier in Form eines objektiven Klarstellungsinteresses vor. Denn durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sollen auch für die Zukunft die streitigen verfassungsrechtlichen Fragen geklärt werden (VerfGH vom 11.9.2014 VerfGHE 67, 216 Rn. 32 m. w. N.; vom 26.2.2019 – Vf. 51-IVa-17 – juris Rn. 52; vgl. auch BVerfG vom 22.3.3022 NVwZ 2022, 629 Rn. 37). Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Antragsgegnerin unter vergleichbaren Umständen, insbesondere in einer ähnlichen Pandemielage, die gleichen Anordnungen erlassen würde, sodass es erneut zu einer Verfassungsstreitigkeit kommen könnte.
41
Der Antrag ist, soweit zulässig, unbegründet. Durch Nrn. 1, 2, 3 und 4 Buchst. a der „Anordnungen und Dienstanweisung“ vom 3. Juli 2020 wurden die Organrechte der Antragsteller aus Art. 13 Abs. 2 und Art. 16 a BV nicht verletzt. Zwar wurde die Ausübung dieser verfassungsmäßigen Rechte durch die angegriffenen Regelungen in mehrfacher Hinsicht Beschränkungen unterworfen (1.). Das in der Verfassung verankerte Hausrecht der Landtagspräsidentin umfasste aber derartige dem Infektionsschutz dienende Maßnahmen auch insoweit, als sie den Sitzungsbetrieb betrafen (2.). Die konkret getroffenen Anordnungen stellten in Anbetracht der damaligen Pandemielage keine unangemessene Erschwernis der parlamentarischen Tätigkeit dar (3.).
42
1. a) Gemäß Art. 13 Abs. 2 BV sind die Abgeordneten des Bayerischen Landtags Vertreter des Volkes, nicht nur einer Partei; sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Diese Verfassungsnorm gibt jedem Abgeordneten das subjektive Recht, sein Mandat innerhalb der Schranken der Verfassung ungehindert auszuüben; es verbürgt ihm einen Kernbestand an Rechten auf Teilhabe am Verfassungsleben (sog. freies Mandat; vgl. VerfGH vom 26.2.2019 NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 54 m. w. N.; BayVBl 2021, 734 Rn. 34). Die Freiheit des Mandats schützt insbesondere vor staatlichen Maßnahmen, die sich gegen eine bestimmte Art und Weise der Ausübung parlamentarischer Rechte richten (VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 71). Ihr Schutzbereich umfasst darüber hinaus eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wählern; dazu gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit, etwa durch Kontakte zu den Medien (VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 56; BVerfGE 154, 354 Rn. 52). Das ebenfalls aus Art. 13 Abs. 2 BV folgende Prinzip der egalitären Repräsentation bedeutet, dass alle Mitglieder der Volksvertretung einander formal gleichgestellt sind (VerfGH vom 30.7.2018 VerfGHE 71, 184 Rn. 58). Als Zusammenschlüsse von Abgeordneten können auch die Fraktionen entsprechende eigene Rechte aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV ableiten; für Fraktionen und Mitglieder des Landtags, die wie die Antragsteller die Staatsregierung nicht stützen, finden diese Rechte zudem ihre Grundlage in Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV (VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 57 f.; vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 21).
43
b) Diese aus der Bayerischen Verfassung folgenden Rechtspositionen der Abgeordneten und Fraktionen des Landtags, auf die sich die Antragsteller auch gegenüber der Antragsgegnerin berufen können, waren zumindest durch einen Teil der Regelungen unter Nrn. 1, 2, 3 und 4 Buchst. a der „Anordnungen und Dienstanweisung“ vom 3. Juli 2020 betroffen.
44
aa) Die Beschränkungen des Zugangs zum Maximilianeum (Nr. 2) berührten teilweise mittelbar auch Rechte der Antragsteller aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und Art. 16 a BV.
45
Allerdings galt die durch Nr. 2 begründete Verpflichtung zur Abgabe einer schriftlichen Selbstauskunft zum Infektionsrisiko nicht für Inhaber einer allgemeinen Zugangsberechtigung nach § 3 der Hausordnung und damit weder für die Abgeordneten selbst noch für deren Mitarbeiter. Unmittelbar betroffen waren somit nur die Besucher, denen im Fall einer auf „Ja“ lautenden Auskunft bzw. einer Auskunftsverweigerung oder bei Anzeichen einer relevanten Erkrankung der Zugang zum Gebäude verwehrt wurde. Dadurch und durch den ebenfalls unter Nr. 2 verfügten generellen Ausschluss von Besuchergruppen von der Sitzungsteilnahme wurde aber zugleich den Antragstellern die Möglichkeit genommen, mit den betreffenden externen Personen in den ihnen zugewiesenen Abgeordnetenbüros und Fraktionsräumen in direkten Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Das ihnen an diesen Räumlichkeiten eingeräumte Nutzungsrecht, das vom verfassungsmäßigen Recht auf freie Mandatsausübung umfasst ist (vgl. BVerfGE 154, 354 Rn. 37 m. w. N.; VerfGH Berlin vom 22.2.1996 NJW 1996, 2567/2568; VerfGH RhPf vom 14.5.2021 – VGH O 23/21 – juris Rn. 52), konnte danach nicht mehr uneingeschränkt ausgeübt werden. Das den Abgeordneten und Fraktionen zustehende (abgeleitete) Hausrecht an den von der Parlamentsverwaltung überlassenen Räumlichkeiten schließt jedoch das prinzipielle Recht ein, darüber zu entscheiden, wer sich dort wann und zu welchen Zwecken aufhalten darf (vgl. VerfGH Berlin NJW 1996, 2567/2568; Klein in Dürig/Scholz/Herzog, GG, Art. 40 Rn. 168; Blum in Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 21 Rn. 34; Brocker in Bonner Kommentar, GG, Art. 40 Rn. 282 m. w. N). Dieses Recht drohte durch die Zugangsbeschränkungen teilweise leerzulaufen, da ein bestimmter Kreis von Besuchern damit schon am Betreten des Parlamentsgebäudes gehindert werden konnte.
46
bb) Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Nr. 3), die für den in Nr. 1 umschriebenen räumlichen Anwendungsbereich der Maßnahmen mit Ausnahme der den Abgeordneten und Fraktionen überlassenen Räumlichkeiten galt und in den Sitzungssälen und Besprechungsräumen nur am Platz bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern entfiel, berührte ebenfalls die Organrechte der Antragsteller aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV und Art. 16 a BV.
47
Höchst fraglich erscheint insoweit allerdings, ob – entsprechend dem Vortrag der Antragsteller – von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des freien Mandats und einer effektiven parlamentarischen Opposition das Recht umfasst war, in den Räumen des Landtags durch das demonstrative Nichttragen der (von den staatlichen Gesundheitsbehörden allgemein empfohlenen) Schutzmasken eine ablehnende Haltung gegenüber der Regierungspolitik öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck zu bringen. Unabhängig von der Frage, ob bzw. ab welchem Störungsgrad gezielte Protestaktionen und symbolische Gesten während laufender Sitzungen zu Ordnungsmaßnahmen führen können (dazu SächsVerfGH vom 22.6.2012 NVwZ-RR 2012, 785/786; Glauben/Breitbach, DÖV 2018, 855/859; Schönberger/Schönberger, JZ 2018, 105/113 m. Fn. 76), dürften solche nonverbalen Meinungskundgaben grundsätzlich nicht mehr als Ausübung mandatsbezogener Statusrechte anzusehen sein, da der Willensbildungsprozess im Parlament nach der Vorstellung des Verfassungsgebers nicht durch tatsächliches Handeln, sondern durch öffentliche Verhandlung (Art. 22 Abs. 1 Satz 1 BV) in der Form von „Rede und Gegenrede“ erfolgen soll (vgl. VerfGH vom 17.2.1998 VerfGHE 51, 34/43 f.; BVerfG vom 14.7.1959 BVerfGE 10, 4/13; Drossel/Weber, NVwZ 2022, 365/367 m. w. N.).
48
Die Frage kann hier aber offenbleiben, da die Verpflichtung, in allen Räumen des Landtags eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, jedenfalls unter einem anderen Aspekt als mandatsrelevant angesehen werden muss. Zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Status des Abgeordneten gehört als notwendige Voraussetzung seiner parlamentarischen Teilhaberechte auch das Recht auf persönliche Anwesenheit im Plenum und in den Ausschüssen (vgl. Butzer in BeckOK GG, Art. 38 Rn. 139; Müller in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 84; Morlok in Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 156; Glauben/Breitbach, DÖV 2018, 855/857). Dieses Recht auf physische Präsenz wird beschränkt, wenn bereits der Zutritt zu den Sitzungssälen und die Fortbewegung innerhalb der Räume an die Erfüllung bestimmter Verhaltensanforderungen geknüpft wird, sodass den Abgeordneten die Teilnahme an der Sitzung erschwert oder im Weigerungsfall sogar gänzlich verwehrt werden kann.
49
cc) Aus den gleichen Gründen muss in dem für alle Gebäude einschließlich der Sitzungssäle und Besprechungsräume geltenden Mindestabstandsgebot (Nr. 4 Buchst. a) ebenfalls eine Beschränkung der den Antragstellern zustehenden Mandatsrechte gesehen werden.
50
Soweit diesbezüglich nicht bloß eine Empfehlung (Satz 1), sondern – vorbehaltlich hinreichender baulicher oder technischer Infektionsschutzmaßnahmen – eine zwingende Verpflichtung ausgesprochen wurde (Satz 2), war wiederum das verfassungsmäßige Recht der Abgeordneten auf Anwesenheit in den Räumen des Landtags betroffen. Die Forderung nach fortdauernder Einhaltung eines Mindestabstands zu anderen Personen betraf neben dem Aufenthalt in den von der Maskenpflicht ausgenommenen – einem abgeleiteten Hausrecht unterliegenden – eigenen Räumlichkeiten der Abgeordneten und Fraktionen (Nr. 3 Buchst. a Satz 3, Nr. 3 Buchst. b Satz 3) vor allem auch die dauernde Präsenz der Landtagsmitglieder an ihren jeweiligen Plätzen in den Sitzungssälen und Besprechungsräumen (Nr. 3 Buchst. b Satz 1). Die erzwungene Distanz von mindestens 1,5 Metern zum nächsten Nachbarn erschwerte den mündlichen Austausch insbesondere mit den Fraktionskollegen während der Sitzungen und konnte sich dadurch nachteilig auf die Ausübung der Mandatsrechte des einzelnen Abgeordneten und der entsprechenden Mitwirkungsrechte der Fraktionen auswirken.
51
2. Die Freiheit des Abgeordnetenmandats und die damit korrespondierenden Fraktionsrechte sind aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden, zu denen namentlich die Repräsentations- und die Funktionsfähigkeit des Parlaments gehören (vgl. BVerfGE 154, 354 Rn. 40 m. w. N.; VerfGH Berlin vom 28.8.2019 – 52/19 – juris Rn. 23; VerfGH BW NVwZ-RR 2022, 403, vgl. Rn. 104 bei juris – in NVwZ-RR insoweit nicht abgedruckt; Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 13 Rn. 8; Drossel/Weber, NVwZ 2022, 365/368).
52
Dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags dient auch das der Landtagspräsidentin in Art. 21 Abs. 1 Alt. 1 BV zugewiesene Hausrecht, das die ungestörte Erfüllung der öffentlichen Aufgaben des Parlaments sichern soll (vgl. für den Bundestag Klein in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 180; Brocker in BeckOK GG, Art. 40 Rn. 40). Auf das Hausrecht gestützt werden können nicht nur Entscheidungen darüber, wer zum Landtag und seinen Einrichtungen Zutritt hat, sondern auch Verhaltensregeln für den Aufenthalt in den Räumen des Parlaments, sei es durch Einzelmaßnahmen oder im Rahmen einer Hausordnung (Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 5; vgl. Blum in Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 21 Rn. 32; Klein in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 157). Diese hausrechtlichen Anordnungsbefugnisse der Landtagspräsidentin bestehen grundsätzlich auch gegenüber den Abgeordneten (VerfGH vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 40; Möstl in Lindner/ Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 6 f.; ebenso für den Bundestag Magiera in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 40 Rn. 29; Groh in v. Münch/ Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 40 Rn. 28; Klein in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 164 m. w. N.; Hilbert/Meier, ZJS 2022, 162/163 f. m. w. N.; differenzierend Brocker in BeckOK GG, Art. 40 Rn. 44; ders. in Bonner Kommentar, GG, Art. 40 Rn. 285). Da das Hausrecht eine der Landtagspräsidentin verfassungsunmittelbar zugewiesene Kompetenz darstellt, gilt für solche Maßnahmen entgegen dem Vortrag der Antragsteller weder das Erfordernis einer formell-gesetzlichen Grundlage noch ein sonstiger Parlamentsvorbehalt (ebenso im Ergebnis VerfGH BW NVwZ-RR 2022, 403 Rn. 54 f.).
53
Bei der Ausübung des Hausrechts und der ebenfalls der Parlamentspräsidentin übertragenen Polizeigewalt im Landtagsgebäude (Art. 21 Abs. 1 Alt. 2 BV) können sich allerdings Überschneidungen mit dem Selbstorganisationsrecht des Parlaments in Gestalt seiner Geschäftsordnungsautonomie (Art. 20 Abs. 3 BV) ergeben. Diese umfasst die prinzipielle Befugnis des Landtags, seine interne Organisation und seinen Geschäftsgang eigenständig zu regeln (VerfGH vom 23.4.2013 VerfGHE 66, 51/56). Zu den anerkannten Regelungsgegenständen des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts gehören insbesondere die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen und damit auch die Fragen der Disziplin und der Sitzordnung (Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 20 Rn. 10; vgl. auch BVerfG vom 17.9.2019 BVerfGE 152, 35 Rn. 33, 38; Klein in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 40 Rn. 5 f. m. w. N.). Soweit das Parlament diesbezüglich eigene Regelungen getroffen hat, die vom jeweiligen Sitzungsleiter kraft seiner Ordnungsgewalt zu vollziehen sind, muss das Hausrecht der Parlamentspräsidentin zurücktreten (vgl. Blum in Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 21 Rn. 25, 32). Für den Bayerischen Landtag war dies aber bezogen auf die Corona-Pandemie im streitgegenständlichen Zeitraum nur für die seit dem 20. April 2020 geltende und danach mehrfach geänderte Bestimmung des § 193 a BayLTGeschO anzunehmen, die aus Gründen des Infektionsschutzes u. a. eine Reduzierung der Ausschussgröße und die Möglichkeit der Zuschaltung von Abgeordneten zu Ausschusssitzungen per Videokonferenztechnik vorsah. An diese internen Organisationsvorschriften war auch die Parlamentspräsidentin bei der Ausübung ihres Hausrechts gebunden.
54
Aus dem prinzipiellen Vorrang der parlamentarischen Geschäftsordnung ergab sich indes keine strikte Sperrwirkung dergestalt, dass sich die hausrechtlichen Anordnungen von vornherein nicht auf den Sitzungsbetrieb im Plenum und in den Ausschüssen beziehen oder darauf auswirken durften (so aber Drossel/Weber, NVwZ 2022, 365/369; Hilbert/Meier, ZJS 2022, 162/164). Das Hausrecht nach Art. 21 Abs. 1 Alt. 1 BV erfasst räumlich das gesamte Landtagsgebäude und demzufolge auch den Plenarsaal und die für Ausschusssitzungen genutzten Räume. Es soll im Unterschied zur Ordnungs- und Disziplinargewalt des jeweiligen Sitzungsleiters nicht (lediglich) den störungsfreien Verlauf einer aktuell stattfindenden Sitzung gewährleisten, sondern den Landtag allgemein vor funktionsbeeinträchtigenden externen Einwirkungen schützen und damit die Parlamentsautonomie nach außen sichern (vgl. BVerfG vom 30.7.2003 BVerfGE 108, 251/273 f.; Brocker in Bonner Kommentar, GG, Art. 40 Rn. 278, 287).
55
Um eine solche von außerhalb des Parlaments drohende Gefährdung ging es im Prinzip auch bei den Anordnungen zum Tragen einer Schutzmaske und zur Einhaltung eines Mindestabstands, die einen (weiteren) Eintrag des Coronavirus SARS-CoV-2 in die Räume des Landtags erschweren und eine Infektion von Abgeordneten verhindern sollten. Da sie nicht den Kernbestand der Mandatsrechte berührten (VerfGH vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 44), waren sie vom Hausrecht der Landtagspräsidentin grundsätzlich auch insoweit gedeckt, als damit den Parlamentariern für den Aufenthalt in den Sitzungsräumen bestimmte Verhaltenspflichten auferlegt wurden. Jedenfalls solange der Landtag auf entsprechende eigene Schutzvorschriften in seiner Geschäftsordnung verzichtete und die Mehrheit der Mandatsträger die hausrechtlichen Anordnungen vorbehaltlos unterstützte, erstreckte sich deren Geltungsbereich auch auf den laufenden Sitzungsbetrieb (vgl. SächsVerfGH vom 14.11.2011 – Vf. 87-I-10 – juris Rn. 47 ff.). Erst bei tatsächlicher Wahrnehmung der speziell sitzungsbezogenen Regelungsbefugnisse wäre das allgemeinere Hausrecht verdrängt worden (zur Parallelproblematik bei Gerichtsgebäuden vgl. BVerfG vom 6.2.2007 NJW-RR 2007,1053/1054). Die Verbindlichkeit der gegenüber den Abgeordneten getroffenen Anordnungen setzte demnach weder ihre (zumindest konkludente) Übernahme in die Parlamentsgeschäftsordnung voraus (dazu Drossel/Weber, NVwZ 2022, 365/369 f.) noch musste hierfür zwingend auf die – nach überwiegendem Verständnis nur der Abwehr konkreter Gefahren dienende – Polizeigewalt der Landtagspräsidentin zurückgegriffen werden (so aber Hilbert/Meier, ZJS 2022, 162/164 f.; Lange, JURA 2023, 1040/1044 f.). Wenn im Verlauf einer Plenar- oder Ausschusssitzung seitens eines Landtagsabgeordneten gegen die Maskenpflicht oder das Abstandsgebot verstoßen wurde, oblag es dem zuständigen Sitzungsleiter, die zur Durchsetzung geeigneten und dem jeweiligen Einzelfall angemessenen Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen (§§ 117, 165 BayLTGeschO).
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3. Die zum Schutz vor einer Ausbreitung des Corona-Virus ergriffenen Maßnahmen der Antragsgegnerin stellten keinen zu weitgehenden Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Abgeordneten und Fraktionen dar. Sie wurden bereits im Vorfeld mit den parlamentarischen Geschäftsführern aller Fraktionen erörtert, sodass einer möglichen (ungeschriebenen) Informations- oder Anhörungspflicht in jedem Fall Genüge getan war. Die Antragsgegnerin hat, wie die ausführliche Begründung zeigt, die zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Landtags bestehenden Handlungsalternativen eigenständig erwogen und ein an den spezifischen Verhältnissen des Landtags orientiertes Schutzkonzept entwickelt. Die einzelnen Anordnungen in Gestalt der nur für Besucher geltenden Zugangsbeschränkung (Nr. 2), der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Nr. 3) und des Mindestabstandsgebots (Nr. 4 Buchst. a) waren auch der Sache nach nicht zu beanstanden. Sie genügten den im Organstreitverfahren zu prüfenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.
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a) Bei der Wahrnehmung der hausrechtlichen Befugnisse nach Art. 21 Abs. 1 Alt. 1 BV muss die Landtagspräsidentin die davon betroffenen Rechte der Abgeordneten und Fraktionen mit den widerstreitenden Rechtsgütern der Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments abwägen und in einen angemessenen Ausgleich bringen (vgl. BVerfGE 154, 354 Rn. 40; NdsStGH vom 27.9.2021 NVwZ 2021, 1606 Rn. 22; VerfGH BW NVwZ-RR 2022, 403 Rn. 62). Ob und inwieweit bei derartigen Kompetenzabgrenzungen auf der Ebene der Staatsorganisation auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anwendbar ist (dazu BVerfG vom 22.5.1990 BVerfGE 81, 310/338; vom 19.11.2014 BVerfGE 138, 1 Rn. 55; 154, 354 Rn. 45 ff.; krit. Linke, NVwZ 2021, 1265/1270 f.), bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Die auf das Hausrecht gestützten Maßnahmen dürfen jedenfalls nicht von vornherein ungeeignet sein, die parlamentarischen Abläufe vor äußeren Störungen zu bewahren. Zudem dürfen sich daraus schon mit Blick auf die wechselseitige Verpflichtung zur Verfassungsorgantreue (vgl. VerfGH vom 17.11.2014 VerfGHE 67, 291 Rn. 55) keine erheblichen Erschwernisse der Mandatsausübung ergeben. Bei der konkreten Bewertung der Gefahrenlage sowie bei der Wahl der zur Zielerreichung in Betracht kommenden Mittel und damit auch bei der Frage ihrer Erforderlichkeit verfügt die Landtagspräsidentin aber über einen verfassungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzungsspielraum (VerfGH vom 28.9.2021 – Vf. 74-IVa-21 – juris Rn. 28; vgl. auch VerfGH BW NVwZ-RR 2022, 403 Rn. 71; Blum in Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 21 Rn. 33; Brocker in Bonner Kommentar, GG, Art. 40 Rn. 290), da die Verfassung ihr das Hausrecht an den Parlamentsräumen als eine eigenständig auszuübende Kompetenz übertragen hat (vgl. zum Bundestag BVerfG vom 6.5.2005 NJW 2005, 2843 f.).
58
b) Hieran gemessen erweisen sich die angegriffenen Anordnungen als verfassungsgemäß. Sie konnten in der seinerzeit bestehenden Pandemielage (aa)) einen gewissen Beitrag zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Parlaments leisten (bb)) und waren für die Antragsteller nicht mit gravierenden Einschränkungen ihrer verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsmöglichkeiten verbunden (cc)).
59
aa) Mit dem Maßnahmenpaket der „Anordnungen und Dienstanweisung“ sollte laut der beigefügten Begründung angesichts einer zum damaligen Zeitpunkt weiterhin bestehenden Gesundheitsgefährdung aufgrund der Corona-Pandemie die Aufrechterhaltung des parlamentarischen Betriebs sichergestellt werden. Damit diente die Ausübung der hausrechtlichen Befugnisse einem legitimen Ziel.
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Die Antragsgegnerin war bei ihrer Bewertung des allgemeinen Infektionsrisikos nicht auf eigene Aufklärungsmaßnahmen verwiesen. Sie durfte sich insoweit vielmehr an den fortlaufend aktualisierten Lageberichten des RKI orientieren, dem der Bundesgesetzgeber auch schon in der damaligen Fassung des § 4 des Infektionsschutzgesetzes eine zentrale Rolle bei der Erfassung und Auswertung des wissenschaftlichen Erkenntnisstands zugewiesen hatte, sodass dessen Einschätzung im Bereich des Infektionsschutzes ein besonderes Gewicht beizumessen war (vgl. im Einzelnen VerfGH vom 26.3.2020 NVwZ 2020, 624 Rn. 16; vom 28.1.2022 – Vf. 65-VII-21 – juris Rn. 27; BVerfG vom 19.11.2021 BVerfGE 159, 223 Rn. 191). Die vom RKI zur Verfügung gestellten aktuellen Erkenntnisse und Bewertungen zur Pandemielage durften die für Infektionsschutzmaßnahmen zuständigen Stellen bei ihren Entscheidungen wie ein Sachverständigengutachten berücksichtigen und den erlassenen Maßnahmen zugrunde legen (vgl. BVerwG vom 22.11.2022 NVwZ 2023, 1000 Rn. 55 ff.). Dass in Fachkreisen mitunter abweichende Einschätzungen zu den Risikoannahmen des RKI geäußert wurden, stellte deren Verwertbarkeit als maßgebliche Informationsquelle nicht in Frage. Auch für den Verfassungsgerichtshof besteht daher im Rahmen seines Aufklärungsermessens nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 VfGHG kein Anlass, entsprechend den von den Antragstellern in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen in eine Beweisaufnahme zum Erkenntniswert von PCR-Tests, zur natürlichen Immunität gegen das Corona-Virus, zur Aussagekraft der amtlichen Corona-Todesfallstatistik oder zur Wahrscheinlichkeit einer zum damaligen Zeitpunkt drohenden Funktionsbeeinträchtigung des Gesundheitssystems einzutreten.
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Nach den Verlautbarungen des RKI bestand während der gesamten Geltungsdauer der angegriffenen Maßnahmen trotz zeitweise zurückgehender Fallzahlen eine insgesamt als hoch einzuschätzende Gefährdung für die Bevölkerung. Auch für den Bayerischen Landtag, in dem vor allem während der Sitzungswochen eine große Zahl von Mandatsträgern, Mitarbeitern und Besuchern in geschlossenen Räumen oftmals für mehrere Stunden zusammenkam, musste demzufolge mit einem erheblichen Infektionsrisiko gerechnet werden. Bauliche Besonderheiten des Maximilianeums, aus denen sich eine grundlegend andere Risikobewertung hätte ergeben können, lagen ersichtlich nicht vor.
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bb) Mit den von der Antragsgegnerin zur Sicherstellung des Parlamentsbetriebs vorgesehenen Schutzvorkehrungen sollte insbesondere verhindert werden, dass durch krankheits- oder quarantänebedingte Abwesenheiten von Abgeordneten die Beschlussfähigkeit des Landtags (Art. 23 Abs. 2 BV; § 123 BayLTGeschO) infrage gestellt wurde. Die zur Erreichung dieses von der Verfassung vorgegebenen Ziels getroffenen, von den Antragstellern angegriffenen Einzelmaßnahmen in Nrn. 2, 3 und 4 Buchst. a durften von der Antragsgegnerin als objektiv geeignet angesehen werden, einer Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 in den Räumen des Landtags zumindest in gewissem Umfang entgegenzuwirken und damit zum Schutz auch der Abgeordneten beizutragen.
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(1) Die in Nr. 2 für das Betreten des Maximilianeums von den Besuchern ohne allgemeine Zugangsberechtigung verlangte schriftliche Selbstauskunft ermöglichte es der Hausverwaltung, neben den erkennbar kranken Personen auch solchen, die kurz zuvor erhöhten Ansteckungsrisiken ausgesetzt waren, aber noch keine Krankheitszeichen aufwiesen, vorsorglich den Zutritt zu verweigern. Damit wurde der in der Wissenschaft weithin anerkannten Tatsache Rechnung getragen, dass bei COVID-19 eine Infektiosität bereits mehrere Tage vor dem Auftreten entsprechender Symptome bestehen kann.
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(2) Das in Nr. 3 geforderte Tragen einer einfachen Mund-Nasen-Bedeckung in allen dem Hausrecht der Antragsgegnerin unterstehenden Räumen (Nr. 1) diente dazu, die Übertragung des Virus im Wege einer Tröpfcheninfektion oder durch Aerosol-Partikel zu erschweren. Aus Sicht der Antragsgegnerin war dabei insbesondere von Bedeutung, dass es vor Sitzungen häufig zu Personenansammlungen in den Gängen und vor den Sälen ohne Einhaltung des Mindestabstands kam, wodurch die Gefahr der gleichzeitigen Infektion einer Vielzahl von Personen bestand. Die Behauptung der Antragsteller, dass das Tragen von Schutzmasken auch in solchen Situationen das Ansteckungsrisiko nicht nennenswert senken könne, steht im Widerspruch zu den damaligen (und auch den aktuellen) Erkenntnissen des auch insoweit als besonders sachkundig anzusehenden RKI (vgl. nur BayVGH vom 7.7.2020 – 20 NE 20.1477 – juris Rn. 16 sowie zuletzt RKI – Coronavirus SARS-CoV-2 – Infektionsschutzmaßnahmen, Stand: 4.4.2023), dessen Bewertung sich die Antragsgegnerin uneingeschränkt zu eigen machen durfte. Aufgrund ihrer Einschätzungsprärogative war sie auch weder dazu verpflichtet, als Ersatz für eine (dicht schließende) Mund-Nasen-Bedeckung das Tragen eines zwar bequemeren, aber in seiner Schutzwirkung damals noch wenig erprobten sog. Face Shields zuzulassen, noch musste sie hinsichtlich der Maskenpflicht nach der Herkunftsregion der Abgeordneten und den dafür jeweils ermittelten Inzidenzen differenzieren (vgl. auch VerfGH vom 12.8.2020 – Vf. 34-VII-20 – juris Rn. 20).
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Die in Nr. 3 Buchst. b Satz 2 enthaltene Erlaubnis, die Mund-Nasen-Bedeckung in der Gaststätte und der Kantine des Landtags „gemäß der allgemein gültigen Gaststättenregelung“ abzunehmen, war entgegen den Einwänden der Antragsteller weder zu unbestimmt noch lag darin eine – nur unter engen Voraussetzungen zulässige – dynamische Verweisung auf ein sich änderndes Regelwerk. Wie in der den „Anordnungen und Dienstanweisung“ beigefügten Begründung klargestellt wurde (Nr. 2.2, S. 7), bezog sich die genannte Formulierung allein auf § 13 Abs. 4 Satz 2 6. BayIfSMV (BayMBl 2020 Nr. 348 vom 19.6.2020) und die damit korrespondierenden Nrn. 2.6 und 3.1.4 des amtlichen Hygienekonzepts Gastronomie vom 14. Mai 2020 (BayMBl 2020 Nr. 270 vom 14.5.2020), wonach die Maskenpflicht für die Gäste nur galt, solange sie sich nicht an ihrem Platz befanden. Die ausdrückliche Bezugnahme auf diese förmlich bekanntgemachten Vorschriften, deren Fundstellen mit geringem Aufwand ermittelt werden konnten, ließ für die Regelungsadressaten klar erkennen, wann die Mund-Nasen-Bedeckung in den gastronomischen Einrichtungen des Landtags abgenommen werden durfte.
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(3) Der nach Nr. 4 Buchst. a sowohl auf den Verkehrsflächen als auch in den Sitzungssälen und Besprechungsräumen für den Aufenthalt am Platz einzuhaltende Mindestabstand von 1,5 Metern stellte ebenfalls ein geeignetes Mittel des Gesundheitsschutzes dar. Mit dieser Maßnahme wurde der respiratorischen Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel, die beim Atmen, Husten, Niesen und Sprechen entstehen, in gewissem Umfang entgegengewirkt und dadurch das Infektionsrisiko verringert (vgl. zuletzt RKI – Coronavirus SARS-CoV-2 – Infektionsschutzmaßnahmen, Stand: 4.4.2023). Dass bei der in Nr. 4 Buchst. a Satz 3 enthaltenen (statischen) Verweisung auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 6. BayIfSMV, mit der die dort genannten Personen bei gemeinsamem Aufenthalt in den Landtagsgebäuden von der Abstandsregel freigestellt wurden, nicht zusätzlich auf die Fundstelle im Bayerischen Ministerialblatt verwiesen wurde, stand der Wirksamkeit der Regelung nicht entgegen.
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cc) Die mit den vorgenannten Maßnahmen verbundenen Erschwernisse bei der Wahrnehmung der verfassungsmäßig garantierten Mandats- und Fraktionsrechte hatten nur geringes Gewicht und standen nicht in einem Missverhältnis zu der damit erreichten Sicherung der Funktionsfähigkeit des Landtags.
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Die Zugangsbeschränkung (Nr. 2) hatte zwar zur Folge, dass einem bestimmten Kreis von (möglicherweise infizierten) Besuchern der Zutritt zum Maximilianeum verwehrt wurde, sodass die Abgeordneten und Fraktionen in den ihnen zugewiesenen Räumen mit diesen Personen keine Gespräche führen konnten. Es stand den Mitgliedern des Landtags aber weiterhin frei, an anderen Orten außerhalb des Parlaments mit ihren Wählern oder sonstigen Gesprächspartnern zusammenzukommen. Die Zuweisung eigener Räume im Landtagsgebäude dient in erster Linie der parlaments- und fraktionsinternen Arbeit und soll nicht das Wahlkreisbüro der Abgeordneten ersetzen; die Eröffnung eines allgemeinen Publikumsverkehrs stellt allenfalls einen Nebenaspekt dar. Die mittelbare Beschränkung des Besucherkreises betraf daher die Ausübung der verfassungsrechtlich geschützten Mandatsrechte nur ganz am Rande.
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Das Gleiche gilt für das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Nr. 3) und für das Abstandsgebot (Nr. 4 Buchst. a). Es handelte sich um generelle Verhaltenspflichten, wie sie zur damaligen Zeit in ähnlicher Form für zahlreiche Alltagssituationen beim Zusammentreffen einer Mehrzahl von Personen in den jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen festgelegt waren (z. B. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3; § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1; § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 Nrn. 1 und 2; § 12 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 6. BayIfSMV in den jeweils geltenden Fassungen). Der in den Fraktionsräumen sowie im Plenum und in den Sitzungssälen einzuhaltende Mindestabstand von 1,5 Metern schloss zwar vertrauliche Gespräche mit unmittelbaren Sitznachbarn während der Sitzungen weitgehend aus, stand aber einer aktiven Beteiligung der Abgeordneten durch Wortbeiträge nicht entgegen und berührte somit nicht den Kern der Mandatsrechte. Mit der Maskenpflicht war bei objektiver Betrachtung nur eine geringfügige Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens verbunden; sie stellte auch kein ernsthaftes Hindernis für die mündliche Kommunikation dar. In der aus Gründen des Infektionsschutzes an alle Mandatsträger gleichermaßen gerichteten Anordnung, in den Räumen des Parlaments grundsätzlich eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, lag entgegen der Darstellung der Antragsteller auch keine einseitige Parteinahme der Landtagspräsidentin zugunsten der Regierungspolitik, sondern eine allein der Aufrechterhaltung des Parlamentsbetriebs dienende und damit politisch neutrale Präventivmaßnahme (vgl. VerfGH vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 44).
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Bei der Prüfung der Angemessenheit war zugunsten der angegriffenen Maßnahmen zu berücksichtigen, dass selbst dann, wenn nur bei einem einzigen Teilnehmer einer Plenarsitzung im Nachhinein eine COVID-19-Erkrankung festgestellt worden wäre, eine große Zahl von Abgeordneten wegen eines möglichen Kontakts für längere Zeit in Quarantäne hätte verbleiben müssen, sodass zumindest die Repräsentationsfähigkeit, im Einzelfall sogar die Beschlussfähigkeit der Volksvertretung in Frage gestellt gewesen wäre. Unter diesen Umständen durfte die Antragsgegnerin den mit den angegriffenen Maßnahmen bezweckten Schutz der Parlamentsangehörigen vor der Gefahr einer Erkrankung an COVID-19 und damit die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Landtags höher bewerten als die von den Antragstellern geltend gemachten Abgeordneten- und Oppositionsrechte.
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).