Titel:
Bluthochdruck, Tatsachen i.S.d. § 11 Abs. 2 FeV, Empfehlung zur Nachbegutachtung, Ermessensausübung, Verhältnismäßigkeit, milderes Mittel
Normenketten:
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 11 Abs. 2
FeV Nr. 4.2 der Anlage 4 zur
Schlagworte:
Bluthochdruck, Tatsachen i.S.d. § 11 Abs. 2 FeV, Empfehlung zur Nachbegutachtung, Ermessensausübung, Verhältnismäßigkeit, milderes Mittel
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54224
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE und L sowie die Anordnung der Abgabe seines Führerscheins.
2
Dem Kläger wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 11. Januar 2017, Az.: …, aufgrund von Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) die Fahrerlaubnis für eine Dauer von sechs Monaten entzogen. Im Zuge des Wiedererteilungsverfahrens wurde nach der hausärztlichen Bestätigung des Vorliegens von Hypertonie beim Kläger mit Schreiben des Herrn Dr. med. F. … vom 3. Mai 2017 ein Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin mit verkehrsmedizinischer Qualifikation im Hinblick auf die körperliche bzw. geistige Eignung zum Führen eines Fahrzeugs angefordert. Ausgangspunkt war ein beim Kläger mehrfach aufgefallenes Händezittern (vgl. u.a. BA, Bl. 33). Das Gutachten des Herrn Dr. med. O. … vom 16. Juni 2017 (BA, Bl. 58 ff.) bestätigte die Eignung des Klägers zum damaligen Zeitpunkt. Es wies eine arterielle Hypertonie Grad I mit derzeit zufriedenstellender Blutdruckeinstellung beim Kläger aus. Es werde bei unauffälligem Verlauf in fünf Jahren eine verkehrsmedizinische Nachbegutachtung empfohlen. Dem Kläger wurde die Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist am 11. Juli 2017 wieder erteilt.
3
Das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) forderte den Kläger mit Schreiben vom 5. Mai 2022 (BA, Bl. 109 ff.) dazu auf, bis spätestens 29. Juli 2022 ein verkehrsmedizinisches Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin mit verkehrsmedizinischer Qualifikation vorzulegen. Die Erkrankung des Klägers könne Auswirkungen auf seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen haben. Jene Anordnung der Nachuntersuchung leite sich aus der Empfehlung im verkehrsmedizinischen Gutachten des Herrn Dr. med. O. … vom 16. Juni 2017 ab. Dabei sei zu beachten, dass eine Beurteilung der Fahreignung nicht durch einen behandelnden Arzt erfolgen solle. Es wurde darauf hingewiesen, dass das Landratsamt im Falle der nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen könne. Der Kläger wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, die Unterlagen, welche an die Untersuchungsstelle übersandt werden, einzusehen. Das Gutachten solle über folgende Fragen Auskunft geben:
1. Ist Herr … in der Lage trotz der vorliegenden Erkrankung (arterieller Hypertonus) den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Klassen A, B, BE und L (Gruppe 1) gerecht zu werden?
2. Liegt eine ausreichende Compliance vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?
3. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges (je Fahrerlaubnisklassengruppe) gerecht zu werden?
4. Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
5. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung i. S. einer erneuten (Nach-) Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?
4
Die Bitte der Bevollmächtigten des Klägers um Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens aufgrund eines Kanzleiumzugs vom 20. Juli 2022 wurde vom Landratsamt abgelehnt. Weder die Auswahlerklärung bezüglich des Facharztes noch das verkehrsmedizinische Gutachten wurden vom Kläger vorgelegt. Mit Schreiben vom 4. August 2022 wurde dem Kläger Gelegenheit zur Äußerung bzw. eine freiwillige Verzichtsmöglichkeit auf die Fahrerlaubnis bis zum 23. August 2022 gewährt. Eine Stellungnahme bzw. der Verzicht auf die Fahrerlaubnis ist daraufhin nicht erfolgt. Der Führerschein wurde bis zur Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht abgegeben.
5
Die ebenfalls mit verkehrsmedizinischem Gutachten vom 16. Juni 2017 empfohlene jährliche Vorlage eines Attests des Hausarztes zur Bescheinigung einer ausreichenden Blutdruckeinstellung wurde auf Anforderung vorgelegt, wobei der Kläger jeweils zum Ausdruck brachte, dass er das Vorgehen für nicht erforderlich halte. Die von Dr. med. F. … ausgestellten Atteste enthielten jeweils die Aussage, dass nach eingehender ärztlicher Untersuchung keine weitergehende Untersuchung vor Erteilung der Fahrerlaubnis empfohlen werde, da keine Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens festgestellt werden könne. Die Blutdruckeinstellung des Klägers sei gut und er sei somit in der Lage, ein Kraftfahrzeug der Klassen A, B, BE und L (Gruppe 1) zu führen. Mehrfach wies das Landratsamt den Kläger darauf hin, dass der Wegfall der Notwendigkeit weiterer Attestanforderungen vor Ablauf des empfohlenen Fünfjahreszeitraums ggf. durch eine frühzeitige erneute verkehrsmedizinische Nachbegutachtung erreicht werden könne.
6
Mit Bescheid vom 2. September 2022, zugestellt am 6. September 2022, wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis der Führerscheinklassen A, A2, A1, AM, B, BE und L entzogen (Ziff. 1) und angeordnet, dass er den Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides bei der Führerscheinstelle des Landratsamtes abzugeben hat (Ziff. 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziff. 4). Für den Fall, dass der Kläger seinen Führerschein nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung dieses Bescheides abliefert, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR angedroht (Ziff. 3). Es wurde festgesetzt, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens – eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR und Auslagen in Höhe von 4,11 EUR – zu tragen hat (Ziff. 5).
7
Rechtsgrundlage für die Entziehung sei § 3 Abs. 1 und 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV). Das angeordnete Gutachten sei nicht bis zum Ablauf der Vorlagefrist eingegangen. Daraus könne nach § 11 Abs. 8 FeV geschlossen werden, dass der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Der Sinn der Gutachtensanordnung bestehe darin, zu klären, ob der Betroffene gegenwärtig geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Von Seiten der Fahrerlaubnisbehörde seien daher strenge Anforderungen an die fristgerechte Gutachtenvorlage zu stellen, um eine im Interesse der Verkehrssicherheit gebotene Aufklärung der Fahreignung während angemessener Frist zu gewährleisten. Die Androhung des Zwangsgeldes beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 BayVwZVG. Ein Zwangsgeld sei geeignet und erforderlich, da hiermit die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins durchgesetzt werden solle. Die Abgabe des Führerscheins innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheides sei zumutbar. Es folgen Ausführungen zum Sofortvollzug und zur Kostenfestsetzung.
8
Mit Schreiben vom 13. September 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 14. September 2022, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage erheben und beantragen,
9
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 02.09.2022, Aktenzeichen … wird aufgehoben.
10
Dem Kläger wird der an den Beklagten gegebene Führerschein unverzüglich herausgegeben oder ihm für den Fall der Unbrauchbarmachung eine neue Ausfertigung kostenfrei ausgestellt.
11
Zur Begründung der Klage wurde sich insbesondere auf das vorgelegte Attest des Hausarztes des Klägers, Dr. med. F. …, vom 17. Juli 2018 bezogen, in dem dieser keine weitergehenden Untersuchungen des Klägers empfehle. Durch dieses sowie die hausärztlichen Folgeatteste werde eine gute Blutdruckeinstellung des Klägers bescheinigt. Auch habe der Kläger jährlich Atteste vorgelegt, aus welchen sich keinerlei Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergäben. Damit bestehe kein Anlass für eine vollumfängliche und entsprechend kostenaufwändige Begutachtung. Es bestünden weder Auffälligkeiten noch gebe es Vorfälle, welche die Anordnung eines derartigen Gutachtens rechtfertigen würden. Die Einschätzung des Dr. med. O. … aus dem Jahr 2017 sei durch diese unproblematische Entwicklung und Unauffälligkeit des Blutdrucks überholt. Damit dürfe durch die Nichtbeibringung des Gutachtens nicht auf die fehlende Fahreignung geschlossen werden.
12
Das Landratsamt beantragt mit Schreiben vom 15. September 2022,
13
Zur Begründung wurde – unter Verweis auf das Vorbringen im gegenständlichen Bescheid und die Antragserwiderung mit Schreiben vom gleichen Tag – vorgetragen, dass bereits Tatsachen, die auf eine Erkrankung bzw. einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen, im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV ausreichen würden, hier eine derartige Erkrankung bzw. ein Mangel jedoch bereits feststünde. Die eingereichten ärztlichen Atteste des Hausarztes würden dabei nicht genügen, um die Zweifel an der Fahreignung des Klägers vollständig auszuräumen. Ohne die Hinzuziehung einer verkehrsmedizinischen Expertise könne nicht ausgeschlossen werden, dass die vorliegende chronische Erkrankung zum jetzigen Zeitpunkt Auswirkungen auf die Eignung zum Führen von Fahrzeugen haben könne. Daneben diene die Begutachtungsanordnung auch der ggf. erforderlichen Festlegung weiterhin zu erbringender Nachweise, Intervalle und Arten der Kontrollen in der weiteren Überwachung zum Erhalt der Fahreignung. Dies sei mangels Fachkenntnis der Fahrerlaubnisbehörde durch diese nicht möglich, womit der Beurteilung durch einen verkehrsmedizinisch geschulten Arzt entscheidende Bedeutung zukomme. Daneben sei im verkehrsmedizinischen Gutachten des Dr. med. O. … vom 16. Juni 2017 gerade im Falle eines unauffälligen Verlaufs eine Nachbegutachtung nach fünf Jahren empfohlen worden.
14
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 7. Oktober 2022 (Az. B 1 S 22.885) wurde der Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt.
15
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2023 wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
16
Die nur teilweise zulässige Klage hat keine Aussicht auf Erfolg.
17
1. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Bevollmächtigte des Klägers ausschließlich nach Klageantrag I der Klageschrift vom 13. September 2022, wonach der Bescheid des Landratsamts vom 2. September 2022 aufzuheben sei, und erklärte, dass sich der Führerschein derzeit noch beim Kläger befinde, womit über Klageantrag II nicht zu entscheiden war.
18
2. Soweit sich die Klage auch gegen Ziffer 4 des Bescheids wendet, ist diese unstatthaft. Ziffer 4 des Bescheids stellt keinen Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar, sondern ist eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung zum Hauptverwaltungsakt, die rechtliche Aussagen zum Zeitpunkt der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes trifft. Rechtsschutz gegen die erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung richtet sich daher ausschließlich nach § 80 Abs. 5 VwGO und ist nicht im Rahmen eines Klageverfahrens zu gewähren (vgl. hierzu Schmidt in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2014, § 80 Rn. 33 m.w.N; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 36. EL Februar 2019, § 80 Rn. 199 m.w.N.).
19
3. Die Klage ist im Übrigen zulässig, aber unbegründet und hat deshalb in der Sache keinen Erfolg.
20
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
21
a. Ziffer 1 des Bescheids hält einer Rechtmäßigkeitskontrolle stand.
22
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
23
Die Nichteignung des Klägers ergibt sich vorliegend aus § 11 Abs. 8 FeV. Bringt ein Fahrerlaubnisbewerber ein behördlich angeordnetes Fahreignungsgutachten nicht bzw. nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis darauf schließen, dass dem Betroffenen die Fahreignung fehlt. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Falle grundloser Nichtbeibringung des Gutachtens ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist (stRspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 19). Die Gutachtensanordnung muss weiter hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Weiterhin ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erforderlich, dass der Betroffene nachweislich auf die Folgen der Nichteignungsvermutung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hingewiesen wurde. Die Frist muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Gutachtensbeibringung möglich und zumutbar ist (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 18).
24
aa. Vorliegend liegen hinreichende Tatsachen.gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV vor, die im Zeitpunkt der Beibringungsanordnung Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen – auch wenn es sich hier um einen Grenzfall handeln dürfte. Das Gericht erkennt die vom Landratsamt insoweit geltend gemachten Aspekte gerade noch als ausreichend zur erneuten Anordnung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens zur Abklärung der Fahreignung des Klägers an. Jedenfalls sprechen die zu berücksichtigenden Aspekte aus Sicht der Kammer überwiegend hierfür.
25
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des Ergehens der zu überprüfenden Anordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 14; B.v. 21.5.2012 – 3 B 65.11 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 27.5.2015 – 11 CS 15.645 – juris Rn. 11). Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens muss sich dabei auf konkrete Tatsachen stützen und darf nicht auf einen bloßen Verdacht hin „ins Blaue hinein“ verlangt werden (BayVGH, U.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13). Ob solche konkreten Tatsachen vorliegen, die Bedenken gegen die körperliche und geistige Eignung des Fahrerlaubniserwerbers begründen, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
26
§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV hält fest, dass die Fahreignung insbesondere dann nicht vorliegt, wenn eine Erkrankung u.a. nach der Anlage 4 zur FeV vorliegt. Prinzipiell ist ein kausaler Zusammenhang zwischen erhöhtem Blutdruck und dem Auftreten von Verkehrsunfällen nicht gesichert (vgl. Schuber/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 127). Hypertonie wird in Nr. 4.2 der Anlage 4 zur FeV genannt. Dabei wird unterschieden zwischen erhöhtem Blutdruck mit zerebraler Symptomatik und/oder Sehstörungen (Nr. 4.2.1) und bestimmten genannten Blutdruckwerten (Nr. 4.2.2), was durch eine fachärztliche Untersuchung zur Beurteilung der Fahreignung abzuklären wäre. Die Verwendung „insbesondere“ in § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV macht jedoch deutlich, dass die Aufzählung in der Anlage 4 zur FeV keinen abschließenden Charakter hat, sondern daneben auch weitere Krankheitsbilder fahreignungsrelevant sein können (Siegmund, in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 3.5.2023, FeV, § 11 Rn. 19). Es ist in diesem Zusammenhang auch die Vorbemerkung zur Anlage 4 der FeV zu berücksichtigen, in der in Nr. 2 das ärztliche Gutachten zur Grundlage der im Rahmen des § 11 FeV vorzunehmenden Beurteilung erklärt wird, ob im Einzelfall eine Eignung oder bedingte Eignung vorliegt. In welchem Umfang im maßgeblichen Zeitpunkt eine (Hypertonie-)Erkrankung vorliegt und ob diese die Fahreignung des Betroffenen ausschließt, ist danach in der Regel von einem Arzt i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV, welcher jedenfalls nicht den regulären Hausarzt umfasst, zu beurteilen.
27
Vorliegend ergibt sich aus dem verkehrsmedizinischen Gutachten vom 16. Juni 2017 durch Dr. med. O. … das Vorliegen eines zeitweise behandlungsbedürftigen arteriellen Hypertonus (Gutachten, S. 5, Behördenakte Bl. 58 ff.) beim Kläger. Das Gutachten hält fest, dass derzeit aus medizinischer Sicht lediglich regelmäßige Blutdruckkontrollen zu empfehlen sind, welche vom Kläger selbst durchgeführt werden können; in jährlichen Abständen wird eine Langzeit-RR Messung beim Hausarzt empfohlen. Der Kläger sei zum damaligen Zeitpunkt in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 vollständig gerecht zu werden; eine ausreichende Compliance sei danach gegeben gewesen. Es wurde eine verkehrsmedizinische Nachbegutachtung bei unauffälligem Verlauf in fünf Jahren empfohlen. Auch aus den auf Anforderung im Verlauf jeweils vorgelegten Attesten des Hausarztes des Klägers, Dr. med. F. …, ergibt sich, dass beim Kläger keine Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens festgestellt werden konnte; die Blutdruckeinstellung des Klägers sei gut.
28
Fraglich ist, ob ausschließlich eine (bloße) Empfehlung die erneute Anordnung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens tragen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn über mehrere Jahre hinweg weitere (haus-)ärztliche Dokumente vorgelegt wurden, die gerade eine ausreichende Einstellung der Erkrankung attestierten, womit eine Überholung einer derartigen Empfehlung im Raum steht. Vorliegend kann die feststehende Blutdruckerkrankung des Klägers in Verbindung mit der 2017 erfolgten Empfehlung des Verkehrsmediziners, gerade bei unauffälligem Verlauf der Erkrankung in fünf Jahren eine verkehrsmedizinische Neubeurteilung vorzunehmen, jedoch noch als ausreichende „Tatsache“ i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV gesehen werden, um eine definitive Abklärung der Auswirkungen der bestehenden Erkrankung des Klägers auf seine Fahreignung zu erwirken, womit die Anforderung des verkehrsmedizinischen Gutachtens nicht aufgrund eines bloßen Verdachts erfolgte, sondern es galt, nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums eventuell wiederaufkeimende Restzweifel auszuräumen. Insoweit kommt aus Sicht des Gerichts insbesondere der Charakter des Sicherheitsrechts, dem die zu Grunde liegende Materie zuzuordnen ist, zum Tragen, welcher als präventive Handlungsanweisung gerade kein Hinnehmen eines Risikos erlaubt.
29
Die aufgrund der feststehenden Blutdruckerkrankung des Klägers – welche als Dauererkrankung einzuordnen ist (BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 11 CS 19.2189 – juris Rn. 19) – bestehenden behördlichen Zweifel waren durch das bereits vorgelegte verkehrsmedizinische Gutachten von 2017 in Verbindung mit der dort empfohlenen jährlichen Vorlage eines hausärztlichen Attests augenscheinlich jedenfalls für den genannten Fünfjahreszeitraum ausgeräumt worden. Aufgrund der hierin enthaltenen Empfehlung der erneuten Vornahme einer verkehrsmedizinischen Begutachtung nach fünf Jahren, auch wenn hierfür in dem Gutachten keine individuellen Gründe genannt wurden, ergeben sich jedoch Unsicherheiten bezüglich des sich anschließenden Zeitraums, mithin entstanden erneut (jedenfalls Rest-) Zweifel. Da Verlauf und Auswirkungen der Erkrankung des Klägers auf die Fahreignung vom Landratsamt mangels fachlicher Expertise grundsätzlich nicht selbstständig eingeschätzt werden können, bedurfte es im vorliegenden Fall (erneut) einer Einschätzung eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation. Es erscheint fraglich, ob der ggf. vom Landratsamt zuzuziehende Amtsarzt die aus verkehrsmedizinischer Sicht notwendigen Schlussfolgerungen ziehen kann. Bei chronischen, wenn auch nur bedingten Eignungsmängeln erlangt die Frage nach der Kompensation der Erkrankung zur Erhaltung der Fahreignung besondere Relevanz. Es ist insbesondere zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des Ausmaßes und der zu erwartenden Verlaufsformen einer vorliegenden Krankheit die Selbstbeobachtung, Selbstkontrolle und Zuverlässigkeit (Compliance) des Fahrerlaubnisinhabers ausreichen, um die möglicherweise notwendigen therapeutischen Maßnahmen vor dem Benutzen eines Kraftfahrzeuges zu beachten (Schuber/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 83). Zum anderen soll bei einer Nachbegutachtung gerade geklärt werden, ob Komplikationen und Begleiterkrankungen aufgetreten sind, die zu einer Einschränkung der Fahreignung führen, denn die Frage, ob der bekannte Bluthochdruck gut eingestellt ist, wurde bereits mit den jährlich vorzulegenden hausärztlichen Bestätigungen überprüft (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2018 – 11 CS 18.2089 – juris Rn. 14 zu einer im Wege einer Auflage angeordneten Nachbegutachtung). Hieraus sowie aus jener im verkehrsmedizinischen Gutachten festgestellten zeitweisen Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung des Klägers lässt sich aus Sicht des Gerichts die Festlegung einer Nachkontrolle in fünf Jahren erklären, obwohl nach den sonstigen Feststellungen im Gutachten jedenfalls zum Erstellungszeitpunkt keine Auffälligkeiten festgehalten wurden.
30
Es bleibt – in jeder Hinsicht – zu bedenken, dass es sich bei dem 2017 ausgestellten Gutachten nur um eine Momentaufnahme zum Gesundheitszustand des Klägers und dessen Auswirkungen auf die Fahreignung handelt. Einer zweiten verkehrsmedizinischen Beurteilung als zumindest erneute Momentaufnahme kommt im Zusammenspiel aber doch eine höhere Aussagekraft diesbezüglich zu.
31
Sofern der Kläger einwendet, seit Vorlage des Gutachtens bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen zu haben, was gegen das Fehlen der Kraftfahreignung spreche, so führt dies nicht zum Entfallen jener Zweifel. Ausweislich des Gutachtens vom 16. Juni 2017 handelt es sich gerade um einen „zeitweise behandlungsbedüftige(n) arterielle(n) Hypertonus“; es ist mithin kein kontinuierlicher Verlauf erkennbar, sondern dieser ist nur durch Kontrollen ersichtlich. Eine zwischenzeitliche, möglicherweise beanstandungsfreie Teilnahme am Straßenverkehr ist damit unbeachtlich. So kann das Ausbleiben spezifischer Auffälligkeiten ebenso gut auf einer lediglich zeitweiligen Anpassung oder auf bloßem Zufall beruhen. Auch bringt es schon die relativ geringe Kontrolldichte im Straßenverkehr mit sich, dass häufig trotz fortbestehender Erkrankungen über einen langen Zeitraum keine Auffälligkeiten aktenkundig werden (vgl. OVG NRW, B.v. 7.4.2014 – 16 B 89/14 – juris Rn. 13 im Rahmen einer fortbestehenden Drogenproblematik).
32
In der Zusammenschau der genannten Aspekte blieben für die Behörde schließlich zu Recht Bedenken gegen die Fahreignung des Klägers bestehen.
33
bb. Die vorgelegten Atteste des Hausarztes Dr. med. F. … waren dabei nicht geeignet, die Zweifel der Behörde an der körperlichen und geistigen Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen auch über den genannten Fünfjahreszeitraum hinaus vollständig auszuräumen. Dergleichen wäre nur dann anzunehmen, wenn keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verblieben und die ursprünglichen Bedenken – auch für einen medizinisch geschulten Laien – eindeutig hätten widerlegt werden können (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – juris Rn. 13). Diese Voraussetzungen können die Befunde vorliegend nicht erfüllen, insbesondere da den Schreiben nicht zu entnehmen ist, in welchen Zeitabständen der Kläger seinen Blutdruck ärztlich kontrollieren lässt, welche konkreten Werte sich ergaben – mithin von welchem „Normbereich“ der Arzt ausgeht – und wie der Kläger medikamentös eingestellt worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 11 C 19.437 – juris Rn. 16). Betreffend eine Teilnahme des Klägers am Straßenverkehr wird hierin lediglich (recht pauschal) angegeben, dass keine Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens festgestellt werden konnte und die Blutdruckeinstellung gut sei. Näher erläutert wird dies nicht. Die Untersuchungsbefunde des Dr. med. F. … erfolgten entsprechend der Empfehlung von Dr. med. O. … in dessen Gutachten vom 16. Juni 2017 und waren folglich begrenzt auf Aussagen zu einer ausreichenden Blutdruckeinstellung. Eine Auseinandersetzung mit dessen Gutachten und insbesondere auch der Frage der Compliance und Adhärenz war nicht gefordert und wurde daher auch nicht vorgenommen. Insofern konnten die Atteste des Dr. med. F. … die behördlichen Zweifel nicht in dem gleichen Maße ausräumen wie ein Fahreignungsgutachten (zu dessen Anforderungen vgl. Anlage 4a zur FeV). Auch geht Herr Dr. med. F. … wohl fälschlicherweise davon aus, der Kläger sei gegenwärtig nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis. Es ist außerdem nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass Herr Dr. med. F. … über eine verkehrsmedizinische Qualifikation i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV verfügt. Jene verkehrsmedizinische Beurteilung stellt jedoch gerade die Verbindung zwischen den ärztlichen Feststellungen zur Gesundheit und deren Auswirkungen auf die Fahreignung dar. Die Fahrerlaubnis-Verordnung überträgt die Beurteilung dieser Frage zur endgültigen Abklärung ausschließlich der Verkehrsmedizin. Daneben darf der ärztliche Gutachter nicht zugleich der behandelnde Arzt sein (§ 11 Abs. 2 Satz 5 FeV), worauf auch in der Gutachtensanforderung vom 5. Mai 2022 hingewiesen wurde.
34
cc. Weder die Fragestellung in der Gutachtensanforderung (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) noch die Auswahl des Gutachters ist zu beanstanden. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV bestimmt die Fahrerlaubnisbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, von wem das Fahreignungsgutachten zu erstellen ist. Das Landratsamt forderte vom Kläger die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens von einem für die Fragestellung zuständigen Facharzt für Innere Medizin mit verkehrsmedizinischer Qualifikation gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV. Mit der Konkretisierung der Fragestellung auf die Abklärung einer Erkrankung im Sinne der Anlage 4 Nr. 4.2, des Vorliegens einer Hypertonie-Erkrankung, wird im Sinne des aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeschlossen, dass die Gesamtheit der in Anlage 4 genannten Krankheitsbilder zum Gegenstand der fachärztlichen Untersuchung gemacht wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es der Behörde nicht immer möglich sein wird, das genaue Krankheitsbild aus der Anlage 4 zu bestimmen. Deshalb genügt die Behörde den Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV auch, wenn sie die Fragestellung auf eine Hypertonie-Erkrankung beschränkt. Auch im Übrigen genügen die formulierten Fragen an den Begutachter den Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsanforderungen.
35
Die Beibringungsaufforderung vom 5. Mai 2022 entspricht auch den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV. Das Landratsamt ist den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 2 und 4 FeV ergebenden Informationspflichten korrekt nachgekommen. Das Landratsamt hat dem Kläger in seinem Schreiben vom 5. Mai 2022 die Gründe dargelegt, welche die Zweifel an der Fahreignung des Klägers stützen. Dabei bezieht sich das Landratsamt im Wesentlichen auf das verkehrsmedizinische Gutachten vom 16. Juni 2017, wonach bei unauffälligem Verlauf der Hypertonie-Erkrankung in fünf Jahren eine verkehrsmedizinische Nachbegutachtung empfohlen wird. Auch Hinweise darauf, dass der Kläger die Kosten der Begutachtung zu tragen hat und das Recht hat, die zu übersendenden Unterlagen einzusehen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) sowie ein Hinweis über die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) sind in der Beibringungsanordnung enthalten. Ebenfalls wird – wie bereits ausgeführt – darauf hingewiesen, dass die Beurteilung der Fahreignung nach der Fahrerlaubnis-Verordnung nicht durch den behandelnden Arzt erfolgen soll (§ 11 Abs. 2 Satz 5 FeV).
36
Die Fristsetzung zur Beibringung des medizinischen Gutachtens war angemessen im Sinne von § 2 Abs. 8 StVG und § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Sie war insbesondere so bemessen, dass es dem Kläger unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände möglich und zumutbar war, das Gutachten fristgerecht vorzulegen. Die Frist muss lediglich so bemessen sein, dass eine Gutachterstelle zur Erstellung eines Gutachtens über die aktuelle Fahreignung tatsächlich in der Lage ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 8.5.2017 – W 6 S 17.413 – juris Rn. 29). Mit Schreiben vom 5. Mai 2022, zugestellt am 7. Mai 2022, wurde der Kläger aufgefordert, bis zum 29. Juli 2022 ein verkehrsmedizinisches Gutachten vorzulegen. Diesem standen folglich fast drei Monate zur Verfügung, um seinen Gesundheitszustand und seine Fahreignung entsprechend der Gutachtensbeibringungsaufforderung begutachten zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 11 CS 17.1483 – juris Rn. 5, 26; B.v. 21.10.2015 – 11 C 15.2036 – juris Rn. 18; B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20: jeweils zwei Monate für ausreichend erachtet). Es begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landratsamt dem Kläger auf Bitte seiner Bevollmächtigten keine weitere Fristverlängerung gewährt hat, da der Zeitraum, der dem Kläger bis dato zur Verfügung stand, bereits ausreichend war, keinerlei objektive Hinderungsgründe vorgebracht wurden und angesichts der Restzweifel an der Fahreignung des Klägers aufgrund dessen chronischer Erkrankung im Interesse der Öffentlichkeit an der Sicherheit des Verkehrs auch kein zeitlich unbefristetes Zuwarten angezeigt war. Dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Zustimmungserklärung vorgelegt hatte, spricht daneben nicht dafür, dass der Kläger bemüht war, einen entsprechenden Termin bei einem Gutachter zu vereinbaren.
37
dd. Das Landratsamt hat im Rahmen des ihm gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV zustehenden Ermessens im Hinblick auf die Aufforderung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerade noch ausreichende Ermessenserwägungen angestellt.
38
In der Gutachtensanforderung vom 5. Mai 2022 bezieht sich das Landratsamt zur Begründung der Anordnung im Wesentlichen auf die Empfehlung des Dr. med. O. … zur verkehrsmedizinischen Nachbegutachtung. Um Zweifel an der Eignung des Klägers auszuräumen werde deshalb ein Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin mit verkehrsmedizinischer Qualifikation angefordert. Insoweit ist es grundsätzlich auch im Rahmen der Ermessensausübung nicht ausreichend, zur erneuten Anordnung des Gutachtens ausschließlich auf die ergangene Empfehlung Bezug zu nehmen, ohne eigene Ermessenserwägungen zu treffen. Dass eine Empfehlung die Fahrerlaubnisbehörde nicht von einer eigenständigen Überprüfung entbindet, führte der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung aus und erklärte hierzu, dass man in diesem Fall der Empfehlung jedoch gefolgt sei, da bei einer solchen Anhaltspunkte vorliegen müssten, um ihr gerade nicht zu folgen, nicht umgekehrt. Es obliege dem Kläger, jene Empfehlung zu entkräften. Das erste verkehrsmedizinische Gutachten fordere eben gerade – mit verkehrsmedizinischer Expertise und anders als in gleichgelagerten Fällen des Landratsamts – bei unauffälligem Verlauf eine Nachbegutachtung in fünf Jahren. Das Landratsamt machte auch in der Gutachtensaufforderung deutlich, dass gerade die erneute verkehrsmedizinische Beurteilung zur Klärung der Fahreignung bzw. zur Festlegung ggf. weiterer notwendiger Kontrollen oder Nachuntersuchungen Relevanz besitze. Soweit insofern eigene Ermessenserwägungen gefordert werden, muss auch berücksichtigt werden, dass dem Landratsamt insoweit keine fachliche Expertise zukommt. Eine ausführliche Auseinandersetzung im Rahmen eigener Ermessenserwägungen wird dadurch jedoch nicht vollständig entbehrlich. So ist das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde hier nicht auf Null reduziert, was in der Gutachtensaufforderung anklingt (S. 2 der Gutachtensaufforderung vom 5. Mai 2022, Behördenakte Bl. 110, siehe im Folgenden).
39
Problematisch ist daneben die Formulierung in der Gutachtensaufforderung (S. 2), wonach sich aufgrund des Vorliegens einer Hypertonie-Erkrankung die Fahreignungszweifel so erheblich verstärkt hätten, dass das Ermessen auf nahe Null reduziert werde. Vielmehr waren aufgrund der Empfehlung der Nachbegutachtung nach Ablauf von fünf Jahren die behördlichen Zweifel aufgrund der vorliegenden Hypertonie-Erkrankung des Klägers zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig ausgeräumt, weswegen die Gutachtensaufforderung erging.
40
Das Landratsamt lässt erkennen, dass die Interessen des Klägers mit dem öffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen abgewogen wurden (u.a. „Wir ordnen daher nach Abwägung der Gesamtumstände ein Gutachten (…) an“; S. 2) und mithin alle relevanten Interessen einander gegenübergestellt wurden, führt hierzu jedoch nicht konkret aus. Eine Auseinandersetzung mit dem Zeitablauf von fünf Jahren seit der Erstellung des ersten verkehrsmedizinischen Gutachtens und eine Positionierung dazu, ob jene Empfehlung – insbesondere durch die Vorlage der ärztlichen Atteste – möglicherweise überholt sein könnte bzw. nach wie vor gerechtfertigt ist, erfolgte nicht ausdrücklich. Es ist insgesamt letztlich jedoch keine Fehlgewichtung der abgewogenen Interessen erkennbar; die Fahrerlaubnisbehörde räumte dem öffentlichen Interesse an einem sicheren Straßenverkehr ordnungsgemäß Vorrang gegenüber den privaten Interessen des Klägers ein.
41
ee. Die Gutachtensaufforderung vom 5. Mai 2022 war letztlich gerade noch verhältnismäßig. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich prüfen, ob der Sachverhalt zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen weiter aufgeklärt werden kann.
42
In der Gutachtensanforderung führte das Landratsamt insoweit aus, es sei kein weniger einschneidendes Mittel verfügbar, um die Beeinträchtigung der Fahreignung durch die Erkrankung zu klären, insbesondere, da jene Beurteilung nicht durch den behandelnden Arzt erfolgen dürfe. Die erforderlichen Aufwendungen stünden in einem angemessenen Verhältnis dazu, dass die Eignungsfrage abschließend geklärt werden könne und seien somit verhältnismäßig. In der mündlichen Verhandlung legten die Vertreter des Landratsamts dar, für sie sei die Empfehlung zur Nachbegutachtung alternativlos gewesen im Hinblick darauf, dass die Behörde das Risiko trage, wenn tatsächlich etwas passiere. Insoweit geht aus den Erwägungen des Landratsamts hervor, dass sich mit den für den Kläger aus der Anordnung entstehenden Folgen (z.B. Kosten) befasst wurde, ein möglicherweise milderes Mittel zum verkehrsmedizinischen Gutachten wurde jedoch nicht in Betracht gezogen. Gerade mit Blick auf Bluthochdruck als „Volkskrankheit“ hätte sich intensiver mit alternativen ärztlichen Beurteilungsmöglichkeiten zumindest befasst werden müssen. Ob die Anordnung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens aus der Empfehlung von 2017 heraus wirklich zwingend, mithin erforderlich, war, bleibt aus Sicht des Gerichts zumindest zweifelhaft. Lassen aber die der Anforderung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen, so steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Anordnung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens in der Regel nicht entgegen. Dies wurde gerichtlich vor allem für die Fälle festgestellt, in denen die Fahrerlaubnisbehörde im Entziehungsverfahren nicht nur ein einfaches medizinisches Gutachten, sondern ein medizinisch-psychologisches Gutachten gefordert hat (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – BverfGE 89, 69 – juris Rn. 63; BayVGH, B.v. 25.4.2016 – 11 CS 16.227 – juris Rn. 11; VG Bayreuth, U.v. 29.10.2019 – B 1 K 19.219 – juris Rn. 30). Erst recht gilt dies für die Fälle der Aufforderung zur Beibringung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens, das gegenüber dem medizinisch-psychologischen Gutachten im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eine geringere Eingriffsintensität aufweist. Die Verhältnismäßigkeit ist hier mithin auch eine Frage des Bezugspunktes.
43
Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass das Landratsamt den Kläger auf dessen Protest gegen die Anforderungen hausärztlicher Atteste mehrfach auf die Möglichkeit hinwies, sich diesen (und ggf. auch der empfohlenen verkehrsmedizinischen Nachkontrolle in fünf Jahren) durch eine vorgezogene verkehrsmedizinische Begutachtung frühzeitig zu entziehen.
44
Wie bereits ausgeführt kommt dem Einwand des Klägers, keine Auffälligkeiten im Straßenverkehr gezeigt zu haben, keine Relevanz zu.
45
b. Nachdem dem Kläger die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung in Ziffer 2 des Bescheids als begleitende Anordnung geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen.
46
c. Die Androhung von Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR in Ziffer 3 des Bescheids für den Fall der Nichtabgabe des Führerscheins innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
47
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.