Titel:
Grundstückbezeichnung im Europäischen Nachlasszeugnis
Leitsatz:
Mit dem Europäischen Nachlasszeugnis (ENZ) wird nicht bescheinigt, dass ein bestimmter Gegenstand zum Nachlass gehört. Ein Mehrwert durch die Aufnahme einer Grundstücksbezeichnung in das ENZ entsteht daher nicht; vielmehr würde im Gegenteil eher eine Gefahr für die Sicherheit des Rechtsverkehrs dadurch geschaffen, dass eine bloße Behauptung eines Erben zu Informationszwecken in ein förmliches Nachweisdokument aufgenommen und den Eindruck der Amtlichkeit erwecken würde. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Europäisches Nachlasszeugnis, Grundbesitz, Sicherheit des Rechtsverkehrs, Vertrauenstatbestand
Vorinstanz:
AG Fürth vom 19.07.2023 – VI 2351/15
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 27.11.2024 – IV ZB 41/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54212
Tenor
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 19.07.2023 wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren wird zurückgestellt.
Gründe
1
Die am …2022 (nach) verstorbene Beteiligte zu 1) war die Ehefrau des Erblassers. Die Beteiligten zu 2) – 6) sind die Enkelkinder des Erblassers, nämlich Kinder der gemeinsamen Tochter des Erblassers und der Beteiligten zu 1), A., die am … 2019 (nach) verstorben ist.
2
Aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments vom 01.03.2013, in dem sich die Eheleute „wechselseitig zu Alleinerben“ einsetzten und die gemeinsame Tochter als Schlusserbin des Überlebenden (Bl. 11 d.A.), hatte das Amtsgericht Fürth der Beteiligten zu 1) am 22.02.2016 einen Erbschein als Alleinerbin erteilt (Bl. 26/27 d.A.).
3
Mit Schriftsatz vom 08.11.2022 zeigte sich der Verfahrensbevollmächtigte für die Beteiligten zu 2) – 6) im Nachlassverfahren nach der verstorbenen Beteiligten zu 1) (Az. VI 614/22) an und beantragte für diese die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses gem. Art. 68 der Verordnung (EU) 650/2012 vom 04.07.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (Erbrechts-VO, im Folgenden: EuErbVO) sowohl für den Erbfall des hiesigen Erblassers als auch den der Beteiligten zu 1). Er beantragte dabei bereits die Eintragung der Bezeichnung des zum Nachlass gehörenden Grundstücks in der tschechischen Republik nach Art. 68 lit. l) EuErbVO, wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 35 d.A. Bezug genommen.
4
Das Grundstück ist bezeichnet wie folgt: Flurstück Nr. . Katastergebiet (k.ú.) H. Katastergebiet von H. (vgl. Bescheid des Katasteramtes für den Bezirk K. [K.), Katasteramt F. [S.], vom 20.09.2023, in deutscher Übersetzung in Anlage 2 zum Schriftsatz vom 23.10.2023, Bl. 116/118 d.A.).
5
Am 27.04.2023 stellte die Beteiligte zu 4) zur Niederschrift des Amtsgerichts den Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden: ENZ) für sich und die Beteiligten zu 2) – 3) und 5) – 6) als Erbeserben der Beteiligten zu 1) zu je 1/5. Dabei beantragte sie auch die Aufnahme der Bezeichnung des Grundbesitzes (Bl. 64/65 d.A.).
6
Die Antragstellerin beruft sich im Wesentlichen auf die Entscheidung des EuGH vom 09.03.2023 (C-354/21, Registru Centras), die aufgrund vergleichbarer Rechtslage in Litauen und der Tschechischen Republik, die beide als Zielländer für eine Grundbucheintragung die Nennung des Grundbesitzes voraussetzten, einschlägig sei (vgl. auch die Nachweise in der WiRO 2020, 97ff., Bl. 56/63 d.A.). Der in Deutschland geltende Grundsatz der Universalsukzession hindere die Aufnahme der Grundstücksbezeichnung nicht. Auf die Schriftsätze vom 22.03., 23.03., 25.05. und 21.06.2023 (Bl. 49/50, 52/53, 70/71, 80/81 d.A.) wird Bezug genommen.
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Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 19.07.2023 die zur Begründung des Antrags auf Erteilung eines ENZ erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, allerdings die begehrte ausdrückliche Nennung des in Tschechien vorhandenen Grundbesitzes abgelehnt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den angegriffenen Beschluss (Bl. 92/94 d.A.) Bezug genommen.
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Gegen den am 31.07.2023 ihrem Verfahrensbevollmächtigten zugestellten Beschluss haben die Beteiligten zu 2) – 6) mit Schriftsatz vom 09.08.2023, eingegangen am selben Tag, Beschwerde eingelegt, die die bisher vorgebrachten Argumente aufrecht erhält und zudem darlegt, dass in anderen Bundesländern ENZ mit Aufzählungen von Grundstücken erteilt werden und die Erben – nach dem Versterben der Beteiligten zu 1), die keine Erklärung mehr gegenüber dem Grundbuchamt abgeben könne, – keine andere Möglichkeit hätten, ihr Erbrecht in der tschechischen Republik durchzusetzen. Die Entscheidung widerspreche auch Sinn und Zweck des ENZ, das gerade zur Verwendung durch Erben in einem anderen Mitgliedsstaat diene. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung in den Schriftsätzen vom 09.08., 01.09., 23.10., 21.11. und 24.11.2023 (Bl. 97/9104, 110/113, 116/118, 121/122, 125/126 d.A.) Bezug genommen.
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Das Amtsgericht Fürth hat der Beschwerde mit Beschluss vom 15.08.2023, auf den ebenfalls Bezug genommen wird, nicht abgeholfen (Bl. 106/107 d.A.).
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1. Die Beschwerde zum Oberlandesgericht gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts als Ausstellungsbehörde des ENZ ist nach Art. 72 Abs. 1 EuErbVO, § 43 Abs. 1 IntErbRVG statthaft. Die Beschwerde ist auch formgerecht innerhalb der Fristen des § 43 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 2 IntErbRVG erhoben worden.
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2. Die Beschwerde hat in der Sache allerdings keinen Erfolg.
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a) Zutreffend hat das Erstgericht die Zurückweisung des Antrags auf Aufnahme der Bezeichnung des Grundbesitzes im ENZ insbesondere auf die herrschende Meinung und die ständige Rechtsprechung des Senats und des Oberlandesgerichts München gestützt, nach der eine ausdrückliche Nennung einzelner Nachlassgegenstände, z.B. eines nach dem Antrag des Erben zum Nachlass gehörenden Grundbesitzes im Ausland, in ein ENZ unter Anwendung des deutschen Erbrechts nicht zulässig ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 05.04.2017 – 15 W 299/17, ZEV 2017, 579; v. 27.10.2017 – 15 W 1461/18, ZEV 2018, 339; OLG München, Beschluss vom 12.09.2017 – 31 Wx 275/17, ZEV 2017, 673; OLG Düsseldorf, Beschl. V. 14.10.2020 – 3 Wx 158/20, ErbR 2021, 156; MüKoBGB-Dutta EuErbVO Art. 63 Rn. 16-18; Kroiß/Horn/Solomon-Köhler EuErbVO Art. 68 Rn. 3; jurisPKBGB-Kleinschmidt EuErbVO Art. 68 Rn. 25 – 26; Burandt/Rojahn/Burandt/Schmuck EuErbVO Art. 68 Rn. 1-4; Dutta/Weber/Fornasier, 2. Aufl. 2021, EuErbVO Art. 69 Rn. 35; je m.w.N.). Mit Ausnahme einer im deutschen Erbrecht nicht vorgesehenen dinglich wirkenden Zuweisung eines Erbschaftsgegenstands würde nämlich eine informatorische Aufnahme einzelner Nachlassgegenstände, die nicht an der Vermutungswirkung und dem Vertrauensschutz der EuErbVO teilnehmen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 71 S. 3), dem Bestreben der EuErbVO zuwiderlaufen, ein Instrument mit einem formalisierten Inhalt zu schaffen, das in jedem Mitgliedsstaat unproblematisch verwendet werden könne.
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b) Die – gerade im Hinblick auf die Rechtslage in Tschechien und früher auch in Österreich und einer dadurch verursachten möglichen „Blockade“ des Grundbuchs – vertretene Gegenansicht (Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen – EuErbVO – HUP, EuErbVO Art. 68 Rn. 21, beck-online; Nordmeier IPRax 2019, 306; je m.w.N.) überzeugt hingegen nicht.
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Der Senat verkennt nicht, dass zwischenzeitlich der EuGH im Urteil vom 09.03.2023 – C-354/21 – Rechtssache Registrų centras – entschieden hat, dass das Recht eines Mitgliedstaats (hier Litauen) vorsehen darf, dass die Eintragung eines unbeweglichen Vermögensgegenstands ins Grundbuch abgelehnt werden kann, wenn das ENZ diesen nicht identifiziert. Dies ist mit Art. 1 Abs. 2 lit. l), Art. 68 lit. l), Art. 69 Abs. 5 EuErbVO vereinbar. Aber die Frage, ob und ggf. welche zwingenden Folgen sich aus der grundsätzlichen Vereinbarkeit des litauischen Grundbuchrechts mit dem Unionsrecht in Form der EuErbVO für die Ausgestaltung eines zur Verwendung in Litauen vorgesehenen ENZ ergeben, insbesondere ob dieses zwingend die Grundstücksbenennung enthalten muss, wurde hingegen nicht aufgeworfen.
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Soweit der EuGH ausgeführt hat, dass der Inhalt des Zeugnisses von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann, je nachdem, zu welchem Zweck es ausgestellt wird, kann dies zwar so verstanden werden, dass die von deutschen Behörden bei Anwendbarkeit deutschen Erbrechts ausgestellte ENZ nicht immer formalisiert einheitlich gestaltet werden müssten. Dies ergibt sich im Übrigen bereits aus dem Grundsatz der wirkungsorientierten Angaben, nachdem Art. 68 EuErbVO so ausgestaltet ist, dass nur die für die Zwecke des Nachlasszeugnisses erforderlichen Angaben, d.h. die für die Bescheinigung der Rechtsstellung als Erbe usw. in einem anderen Mitgliedsstaat erforderlichen Angaben, aufzunehmen sind (vgl. MüKo a.a.O. Art. 68 Rn. 2). Teilweise wird daher nun vertreten, dass für die Verwendung in Mitgliedsstaaten, die für die Grundbuchänderung die Bezeichnung des betroffenen Grundstücks im ENZ fordern, eine Aufnahme zwingend sei (vgl. BeckOGK/J. Schmidt, 1.8.2023, EuErbVO Art. 68 Rn. 37.5: „Insgesamt ergibt sich damit, dass die einem bestimmten Erben zugewiesenen Vermögenswerte immer dann und soweit in das Europäische Nachlasszeugnis aufgenommen werden müssen, wie dies erforderlich ist, damit das Europäische Nachlasszeugnis seine Nachweisfunktion erfüllen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass eine vererbte Immobilie im Europäischen Nachlasszeugnis konkret zu identifizieren ist, wenn dies erforderlich ist, damit der Erbe im Mitgliedstaat der Belegenheit die Eintragung ins Grundbuch erreichen kann.“).
16
Allerdings kann damit das Argument nicht entkräftet werden, dass im Falle der informatorischen Grundstücksbezeichnung im ENZ darin Angaben aufgenommen werden, deren Überprüfung im Ausstellungsverfahren nicht vorgenommen wird und für die auch keine Vermutungswirkung und kein Rechtsschein gilt. Es ist nämlich nicht vorgesehen, dass die Ausstellungsbehörden für das ENZ Nachforschungen dazu anstellen, ob der vermeintliche Nachlassgegenstand tatsächlich im Zeitpunkt des Erbfalls noch im Eigentum des Erblassers stand. Vielmehr wird mit dem ENZ gerade nicht bescheinigt, dass ein bestimmter Gegenstand zum Nachlass gehört, und auch kein Vertrauenstatbestand geschaffen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 71 S. 3). Ein Mehrwert durch die Aufnahme einer Grundstücksbezeichnung in das ENZ ist daher aus Sicht des Senats nicht gewonnen, sondern es würde im Gegenteil eher eine Gefahr für die Sicherheit des Rechtsverkehrs dadurch geschaffen, dass eine bloße Behauptung eines Erben (Grundstück gehört zum Nachlass) zu Informationszwecken in ein förmliches Nachweisdokument aufgenommen und den Eindruck der Amtlichkeit erwecken würde.
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Die Entscheidung des Erstgerichts ist daher nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 35 Abs. 1 IntErbRVG, § 84 FamFG.
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Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt bis zur Festsetzung des Nachlasswerts durch das Nachlassgericht vorbehalten Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 44 IntErbRVG, 70 Abs. 2 FamFG lagen vor. Die Rechtssache hat nämlich grundsätzliche Bedeutung, da die Frage der Erforderlichkeit der beantragten Aufnahme der Grundstücksbezeichnung in das ENZ infolge der Häufigkeit von Erbrechtsfällen mit Bezug zu anderen EU-Mitgliedsstaaten (von denen mehrere in ihrem Grundbuch- bzw. Katasterrecht eine solche Aufnahme zur Eintragungsvoraussetzung machen) von allgemeiner Bedeutung ist. Zudem erfordern die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Nachdem die Beschwerdeführer vorbringen, dass eine Vielzahl von Nachlassgerichten im Bundesgebiet außerhalb Bayerns und Baden-Württembergs die in den jeweiligen Zielländern zur Grundbucheintragung erforderlichen zusätzlichen informatorischen Angaben in das ENZ aufnehmen – offenbar ohne dass solche Entscheidungen bisher angegriffen wurden und in größerem Umfang zur Entscheidung durch die Oberlandegerichte gelangten –, wohingegen dies nach hiesiger Rechtsprechung nicht zulässig ist, ist eine höchstgerichtliche Entscheidung erforderlich.