Titel:
Haushaltsführungsschaden, Fiktive Abrechnung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sachverständigengutachten, Auslagenpauschale, Kinderbetreuung, Haushaltstätigkeit, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Schmerzensgeld, Stundensatz, Stundenzahl, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Klageschrift, Kosten des Rechtsstreits, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Kostenentscheidung, Zurückweisung der Berufung, Berufungsbeklagter, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Gegenstandswert
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Haushaltsführungsschaden, Berufung, fiktive Schadenbemessung, vorläufige Vollstreckbarkeit
Vorinstanz:
AG Augsburg, Urteil vom 09.09.2022 – 25 C 4980/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 05.11.2024 – VI ZR 12/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54186
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 09.09.2022, …, in Ziffer 2 wie folgt, abgeändert:
1.1. 2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 879,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.04.2017 zu zahlen.
II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 46% und die Beklagte 54%, von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz trägt die Klägerin 22% und die Beklagte 78%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz, Schmerzensgeld sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nach einem Verkehrsunfall vom 25.10.2016.
2
Am 25.10.2016 befuhr die Klägerin mit dem Fahrzeug ihres Ehemanns …, die … und musste aufgrund des stockenden Verkehrs bis zum Stillstand abbremsen. Hinter dem Fahrzeug der Klägerin befand sich das Fahrzeug, … . Die Fahrerin des bei der Beklagten haftpflichtversichterten Fahrzeugs, … fuhr aus Unachtsamkeit auf das hinter der Klägerin befindliche Fahrzeug auf, wodurch dieses Fahrzeug auf das Heck des klägerischen Fahrzeugs geschoben wurde. Das klägerische Fahrzeug wurde aufgrund der Kollision am Heck beschädigt, wobei die Netto-Reparaturkosten für die Schadensbehebung gemäß dem Sachverständigengutachten vom 26.10.2016 (vgl. Anlage K 1, B 1) auf 1.758,83 € beziffert wurden.
3
Die Alleinhaftung der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Sachschaden wurde außergerichtlich bereits beklagtenseits abgewickelt.
4
Klagegegenstand waren Ansprüche im Zusammenhang mit dem behaupteten Personenschaden der Klägerin. Die Klägerin begehrte
− Schmerzensgeld für HWS-Trauma (mind. 850 €),
− Haushaltsführungsschaden für zwei Wochen in Höhe von 1.950,50 € (141,75 h x 14 €, vgl. LG Tübingen, Az. 5 O 80/13, Stundensatz wie JVEG),
− Erstattung von Auslagenpauschale (30,00 €), Fahrtkosten (20,40 €) und Parkgebühren (14,30 €)
− sowie die Erstattung von Rechtsanwaltskosten Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstands in der ersten Instanz wird auf die Feststellungen des Ersturteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
5
Das Amtsgericht Augsburg hat nach Erholung eines unfallanalytischen und biomechanischen Sachverständigengutachtens die Klage mit Urteil vom 09.09.2022 teilweise zugesprochen. Es wurde ein Schmerzensgeld von 600,00 € ausgeurteilt. Hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens erklärte das Erstgericht die Klage in Höhe von 1.125,00 € für begründet, wobei von 93,75 h und mit Blick auf den Mindestlohn gemäß § 287 ZPO von einem Stundensatz von 12,00 € ausgegangen wurde. Auch die Fahrtkosten (20,40 €), Parkgebühren (14,30 €) und die Auslagenpauschale (30,00 €) wurden zugesprochen.
6
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin, wobei sich die Berufung auf den Ausspruch hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens beschränkt.
7
Es erschließe sich nicht, wie das Gericht auf den ausgeurteilten Betrag des Haushaltsführungsschadens komme. Eine nachvollziehbare Würdigung der Anknüpfungstatsachen, die bei der Bemessung berücksichtigt worden seien, lasse sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Vielmehr seien die Ausführungen des Erstgerichts widersprüchlich.
8
Im Übrigen sei auch nicht nachvollziehbar, von welcher unfallbedingten MdH das Gericht in der zweiten Woche ausgehe. Hier werde lediglich ausgeführt, dass eine „teilweise Einschränkung“ angenommen werde.
9
Schließlich sei der Stundensatz von 12,00 € brutto überhöht. Im übrigen sei ein Nettobetrag anzusetzen.
10
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben,
als die Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 1.125,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.04.2017 zu zahlen sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten über einen Betrag in Höhe von € 147,56 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.01.2020 hinaus zu zahlen und
die Klage auch insoweit abzuweisen.
11
Die Klägerin und Berufungsbeklagte, die die erstinstanzliche Entscheidung verteidigt, beantragt,
Zurückweisung der Berufung.
12
Zur Ergänzung des Sachvortrags der Parteien wird darüber hinaus auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2023 (Bl. 214 ff d. A.), in der die Klägerin auch informatorisch angehört wurde, Bezug genommen.
13
Die gemäß §§ 511, 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung erweist sich als teilweise begründet.
14
Die Klägerin hat gegen die Beklagte nach Ansicht der Kammer gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 2 S. 1, 843, 844 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, §§ 1, 3 S. 1 PflVG lediglich einen Anspruch auf Zahlung eines Haushaltsführungsschadens in Höhe von 879,44 €. Insoweit war das Urteil der ersten Instanz in Ziffer 2.) abzuändern.
15
a) Das Erstgericht hält die für die jeweiligen Tätigkeiten angesetzten Stundenzahlen für plausibel, was insoweit nicht zu beanstanden ist, also:
− 3 Stunden pro Woche fürs Einkaufen (3 Einkäufe pro Woche zu jeweils 1 Stunde)
− 14 Stunden pro Woche für die Zubereitung der Mahlzeiten, 2 kalte und 1 warme Mahlzeit täglich (30 Minuten jeweils für die kalten Mahlzeiten und 1 Stunde jeweils für die warme Mahlzeit)
− 4 Stunden pro Woche für die Reinigung der Wohnung
− 2 Stunden pro Woche fürs Wäschewaschen
− 1 Stunde pro Woche fürs Bügeln
− 30 Minuten pro Woche für die Pflanzenpflege (damit ist wohl auch die sog. Aquariumspflege gemeint)
− gesamt: 24, 5 h Haushaltsführung
16
Zuzüglich 48 h Kinderbetreuung ergibt dies in der ersten Woche vom 26.10.2016 – 31.10.2016 eine Stundenzahl von 72,5 h, was insoweit ebenfalls nicht zu beanstanden ist. Es ist in der ersten Woche von einer 100%-igen Einschränkung im Haushalt auszugehen.
17
Das Ersturteil ist jedoch – wie in der Berufung gerügt – hinsichtlich der Annahmen für die zweite Woche nicht plausibel.
18
Bezüglich der zweiten Woche vom 01.11.2016 – 07.11.2016 äußert sich das Erstgericht ausdrücklich nur dazu, dass die Geltendmachung der 48 h Kinderbetreuung für das Gericht nicht plausibel erscheinen. Im übrigen wird eine Stundenzahl von 21,25 h für sonstige Haushaltstätigkeiten angenommen, wobei das Erstgericht im Urteil nicht konkret darlegt, wie es diese Zahl errechnet. Der Zeuge … konnte hierzu keine genauen Angaben machen („Meine Frau machte im Haushalt dann das Nötigste, ich habe noch den Rest gemacht.“; „Ich habe die schweren Arbeiten gemacht und sie hat dann die leichteren Arbeiten gemacht.“). Die Klägerin selbst sprach von „leichten Haushaltstätigkeiten“, die sie in der zweiten Woche übernommen habe.
19
Die Kammer nimmt an, dass das Erstgericht letztlich die Angaben aus der Klageschrift übernommen hat, wonach für die Klägerin in der zweiten Woche lediglich die Zubereitung der Mahlzeiten und die Aquariumspflege (bzw. Pflanzenpflege) möglich waren (S. 7 d. Klageschrift). Die Klägerin errechnet für diesen Zeitraum in der Klageschrift eine Stundenzahl von 21,25 h.
20
Diese Berechnung durch die Klägerin ist aber nicht nachvollziehbar, wie auch bereits in der Klageerwiderung (dort S. 8 Mitte) angemerkt wurde. Wenn man vom klägerischen Vortrag ausgeht, dann konnte die Klägerin in der zweiten Woche selbst wieder 14,5 h Haushaltstätigkeiten durchführen (s.o.: 14 h für das Zubereiten der Mahlzeiten, 30 Minuten für die Pflanzenpflege). Demnach wäre die zu ersetzende Stundenzahl für die zweite Woche mit 10 h zu beziffern, nicht aber mit 21,25 h.
21
Hinzuzurechnen sind nach der von der Kammer durchgeführten Anhörung der Klägerin weitere 27,43 h, in denen die Klägerin in der zweiten Woche die Kinderbetreuung nicht übernehmen konnte.
22
Die Klägerin schilderte plausibel und nachvollziehbar, dass sie auch in der zweiten Woche ihre Tochter nicht habe betreuen können. Die Kammer hat nicht verkannt, dass die Klägerin äußerte, das Ganze sei sieben Jahre her, sie könne nicht mehr detailliert angeben, was sie in der zweiten Woche schon wieder machen konnte und was nicht. Allerdings schilderte sie eindringlich, dass es ihr in der zweiten Woche nicht möglich war, mit der Tochter alleine zu sein und sie zu betreuen.
23
Ausgehend davon, dass die Großeltern die Tochter 3 Tage die Woche betreuen, verbleiben somit 4 Tage der zweiten Woche, in denen weder der Ehemann der Klägerin, da in der Arbeit, noch die Klägerin selbst die Tochter betreuen konnten. Bei 48 h Kinderbetreuung pro Woche ergeben sich damit 27, 43 h Kinderbetreuung, die die Klägerin in der zweiten Woche nicht leisten konnte (48 h: 7 = 6,86 h x 4 = 27,43 h).
24
In der zweiten Woche sind somit 37,43 h als zu ersetzende Haushaltstätigkeiten anzusetzen.
25
b) In diesem Zusammenhang hält es die Kammer aber nicht für fehlerhaft, dass die MdH nicht ausdrücklich bestimmt wurde. Aus dem Ansetzen der geringeren Stundenzahl – nach Ansicht der Kammer 37,43 h – wird ersichtlich, dass die Klägerin diesbezüglich teilweise an der Haushaltsführung eingeschränkt war. Es ist damit klar, welcher Anteil der zuvor ermittelten Arbeitszeit von einer Hilfskraft hätte übernommen werden müssen, um die Behinderung des Haushaltsführenden auszugleichen. Zutreffend führt das Erstgericht diesbezüglich im Urteil aus, dass die Differenz auch zwischen der Zeitverwendung für die Haushaltsführung im unverletzten Zustand und der Zeitverwendung für die Haushaltsführung im verletzten Zustand ermittelt werden kann.
26
c) Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des OLG München ist allerdings lediglich ein Betrag von 8,00 € netto als fiktiver Stundensatz anzusetzen (vgl. OLG München Urteil vom 10.03.2021, NJOZ 2021, 937 Rn. 76 ff; OLG München NZV 2014, 577).
27
Der Klägerin ist zuzugeben, dass man für diesen Preis – legal – keine Haushaltshilfe engagieren könnte. Allerdings wurde eben gerade keine Haushaltshilfe eingestellt, sondern geht es um die Abrechnung fiktiven Haushaltsführungsschadens. Die Unterschiede werden im Rahmen der fiktiven Abrechnung hingenommen. Der Geschädigte, der nicht die Mithilfe von Dritten in Anspruch nimmt, macht es für das erkennende Gericht geradezu unmöglich, fiktiv nachzuvollziehen, in welchem Umfang eine Tätigkeit durch Dritte erforderlich und möglich gewesen wäre. Er muss deshalb mit diesen Unwägbarkeiten leben, zumal er gerade ja auch auf finanzielle Aufwendungen verzichtet hat und der Ersatz des Haushaltsführungsschadens ihm deshalb ohne Abzug von Kosten zugutekommt (OLG Frankfurt a. M. NJW 2019, 442 = NZV 2019, 351 Rn. 52 – 53). Diese „Unabwägbarkeiten“ schlagen sich daher auch bei der Bemessung des Netto-Stundenlohns nieder. Im übrigen wird auf die Ausführungen des OLG München in der zitierten Entscheidung Bezug genommen.
28
Der gesetzlich verordnete Mindestlohn spielt bei der fiktiven Schadenbemessung anlässlich der Bemessung eines Haushaltsführungsschadens keine Rolle. Das MiLoG hat keine grundsätzlich erhöhende Auswirkung, da bei fiktiver Abrechnung auf den Nettolohn (also unter Herausnahme insbesondere der Steuern sowie der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Sozialversicherungsabgaben) vergleichbarer Hilfskräfte (professionelle Hilfskraft) abzustellen ist. Es geht nicht um die Entlohnung konkret eingestellter Fachkräfte (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 27. Aufl. 2022, BGB § 842 Rn. 128a; OLG München NZV 2014, 577).
29
d) Somit ist von einer Anzahl von 82,5 h (72, 5 h + 37,43 h) zu je 8,00 € netto als fiktiv zu ersetzender Haushaltsführungsschaden (879,44 €) auszugehen.
30
e) Die beanspruchten vorgerichtlichen Anwaltskosten sind der Klagepartei gemäß §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB zu erstatten. Unter Zugrundelegung eines berechtigten Gegenstandswertes von 1.544,14 € (600,00 € + 879,44 € + 64,70 €) verbleibt es bei dem erstinstanzlich ausgesprochenen Vergütungsanspruch in Höhe von 255,85 €.
31
Der diesbezügliche Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
33
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
34
Die Revision war zuzulassen, da gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die Instanzrechtsprechung zur Höhe des Stundensatzes bei fiktiver Abrechnung von Haushaltsführungsschadens, ist uneinheitlich. Abgesehen von der diesbezüglichen Rechtsprechung des OLG München orientieren sich andere Gerichte am Mindestlohn (12,00 € brutto, also 10,80 € netto) oder auch an § 21 JVEG. Auf die von den Parteien zitierten Entscheidungen wird Bezug genommen.