Titel:
Umsatzsteuervoranmeldung, Beurkundungsvorgang, Abtretung von Gesellschaftsanteilen, Faktischer Geschäftsführer, Steuerhinterziehung, Notarkosten, Handelsregisteranmeldung, Anmeldung zum Handelsregister, Beschuldigter, Durchsuchungsanordnung, Notariat, Tatverdacht, Unternehmensgegenstand, Personalausweis, Erstattungsanspruch, Beweismittel, Zahlungsweise, Tatkomplex, Urkundenfälschung, Beschlagnahmeverbot
Schlagworte:
Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung, faktischer Geschäftsführer, Durchsuchungsbeschluss, Vermögensabschöpfung, Handelsregisterbeurkundung, Notardurchsuchung
Rechtsmittelinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.11.2024 – 18 Qs 17/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 54086
Tenor
Nach §§ 103, 105 Abs. 1, 162 Abs. 1 StPO wird gemäß § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung die Durchsuchung der Geschäftsräume mit Nebenräumen
der Dritten Notariat P...
nach folgenden Gegenständen angeordnet:
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Alle dort befindlichen Ausweis- und/oder Lichtbilddokumenten sowie Kopien der Ausweis- und/oder Lichtbildddokumenten, mit denen sich Personen für die Firma D... GmbH, HRB ... des Amtsgerichts Nürnberg (vormals HRB ... des Amtsgerichts Jena), im Rahmen von Beurkundungen, Beglaubigungen, Handelsregisteranmeldungen gegenüber dem Notar/dem Notariat ausgewiesen haben, bspw. bei Firmengründung, Geschäftsführerwechsel oder Abtretung von Gesellschaftsanteilen.
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Alle dort befindlichen Auswels- und/oder Lichtbilddokumenten sowie Kopien der Ausweis- und/oder Lichtbilddokumenten, mit denen sich Personen für die Firma G... GmbH, HRB ... des Amtsgerichts Charlottenburg (vormals HRB ... des Amtsgerichts Jena), im Rahmen von Beurkundungen, Beglaubigungen, Handelsregisteranmeldungen gegenüber dem Notar/dem Notariat ausgewiesen haben, bspw. bei Firmengründung, Gesdhäftsführerwechsel oder Abtretung von Gesellschaftsanteilen.
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Alle dort befindlichen Ausweis- und/oder Lichtbilddokumenten sowie Kopien der Ausweis- und/oder Lichtbilddokumenten, mit denen sonstige bei den vorgenannten Beurkundungen anwesende Personen (bspw. Dolmetscher) gegenüber dem Notar/dem Notariat ausgewiesen haben.
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Kommunikation vor und nach den vorgenannten Beurkundungsterminen zwischen dem Notar/Notariat und den Vertretern der Firma D... GmbH und der Firma G... GmbH über die Geschäftsanbahnung, bspw. Terminabsprachen, sowie die Zahlung der Kosten der Beurkundung.
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Kontoumsätze und Buchhattungsdaten, aus denen sich die Zahlungsweise und der Zahlende der Notarkosten für die vorgenannten Beurkundungen ergibt.
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Kommunikations- und Datenverarbeitungsgeräte sowie Datenspeicher aller Art, welche oben genannte Unterlagen und Informationen in elektronischer Form enthalten könpen. Das gilt unabhängig davon, wie die Daten auf diesen gespeichert sind oder waren; außerdem Passwörter, Zugangsdaten und Verschlüsselungsinformationen zu diesen Dateh bzw. Datenträgern sowie die zur Sicherung, Lesbarmachung und Auswertung der Daten erforderliche Hard- und Software, insbesondere Mobiltelefone, Tablets, Laptops und PCs, CDs/DVDs, USB-Sticks, externe Festplatten und SD-Karten.
Den Dritten wird eingeräumt, die angeordneten Maßnahmen durch sofortige, erschöpfende und verbindliche Auskunft
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über die Identifizierung der anwesenden Personen im Rahmen der vorgenannte(n) Beurkundungsvorgänge,
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über alle dort vorhandenen Ausweis- und/oder Lichtbilddokumenten bzw. Kopien solcher betreffend die vorgenannten Beurkundungsvorgänge,
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über die vorhandene Kommunikation vor und nach den vorgenannten Beurkundungsterminen zwischen dem Notar/Notariat und den Vertretern der Firma D... GmbH und der Firma G... GmbH über die Geschäftsanbahnung, bspw. Terminabsprachen, sowie die Zahlung der Kosten der Beurkundung,
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über die Zahlungsweise und den Zahlenden der Notarkosten für die vorgenannten Beurkundungen
sowie durch Herausgabe der
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Ausweis- und/der Lichtbilddokumente bzw. Kopien solcher betreffend die vorgenannten Beurkundungsvorgänge
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der Kommunikation vor und nach den vorgenannten Beurkundungsterminen zwischen dem Notar/Notariat und den Vertretern der Firma D... GmbH und der Firma G... GmbH über die Geschäftsanbahnung, bspw. Terminabsprachen, sowie die Zahlung der Kosten der Beurkundung
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Belege, Kontoumsätze oder Buchhaltungsdaten, aus denen sich die Zahlungsweise und der Zahlenden der Notarkosten für die vorgenannten Beurkundungen ergibt.
Den Dritten wird dabei auferlegt, die Vollständigkeit der Auskunft schriftlich zu bestätigen.
Gründe
1
Aufgrund der bisherigen Ermittlungen besteht folgender Tatverdacht:
1. Beteiligte Firma und Personen
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Der Beschuldigte ... C... ist seit spätestens 17.03.2022 Geschäftsführer der D... GmbH, eingetragen in das Handelsregister des Amtsgerichts Nürnberg unter HRB ... Geschäftszweck ist die Vermittlung von Arbeitnehmern (Zeitarbeit). Die Geschäftsadresse lautet ... Nürnberg.
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Die D... GmbH ist steuerlich in Deutschland unter der Steuernummer ... beim Zentralfinanzamt N... erfasst.
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Es besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte ... S... für die D... GmbH ebenfalls verantwortlich tätig ist und dieses zumindest in einem erheblichen Umfang als sdg. faktischer Geschäftsführer mitführt.
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Das D... GmbH erzielte im Jahren 2022 und 2023 erhebliche Einkünfte und Umsätze durch Dienstleistungen im Transport- und Logistikgewerbe und stellte an die Kunden Rechnungen aus, in denen Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Es wurden im Zeitraum von 01.10.2022 bis 31.05.2023 mindestens betriebliche Umsätze in Höhe von 6.432.635,82 Euro eingenommen.
6
Die Beschuldigten C... und S... waren als Geschäftsführer bzw. faktischer Geschäftsführer der D... GmbH verpflichtet, für jeden Monat zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben. Dies wussten sie. Gleichwohl gaben die Beschuldigten für die D... GmbH seit Oktober 2022 überhaupt keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Hierdurch verkürzte die Beschuldigten im Zeitraum Oktober 2022 bis Mair 2023 Umsatzsteuer in noch zu ermittelnder Höhe.
Tatkomplex Urkundenfälschung
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Am 19.04.2023 um 06:02 Uhr fand in der Wohnung der ... A..., eine Durchsuchung im Verfahren 501 Js 3943/22 der Staatsanwaltschaft N.-F. statt (Bl. 1–20 TEA Ausweisdokumente).
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Durch die Beamten des Hauptzollamts N.- F-, welche mit dem Vollzug des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.04.2023 betreffend ... A... (Geschäftszeichen: 59 Gs 3937/23) beauftragt waren, wurden in einem begehbaren Kleiderschrank im Schlafzimmer in einer Reisetasche ein Umschlag mit folgenden Dokumenten festgestellt (Bl. 3 TEA Ausweisdokumente):
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1 ungarischer Personalausweis (Identity Card) mit der Nr. ... auf den Namen ...
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1 rumänischer Personalausweis (Identity Card) mit der Nr. ... auf den Namen ...
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1 rumänischer Personalausweis (Identity Card) mit der Nr. ... auf den Namen ...
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1 belgischer Aufenthaltstitel mit der Nr. ... auf den Namen ...
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1 belgischer Aufenthaltstitel mit der Nr. ... auf den Namen ...
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Bei den vorgenannten Dokumenten handelt es sich jeweils um eine Fälschung. Die Ausweise wurden jeweils nicht von den Ausstellungsbehörden erstellt (Bl. 31, 42, 52, 62 und 73 TEA Ausweisdokumente). Der ungarische Personalausweis sowie die beiden rumänischen Personalausweise enthalten jeweils dasselbe Lichtbild, welches den Beschuldigten ... S... zeigt.
10
Der gefälschte rumänische Personalausweis mit der Nr. ... auf den Namen ... C... wurde zur Identifikation bei der ... Bank ... verwendet. Das dortige Konto DE ... wurde am 25.11.2022 für die Kontoinhaberin D... GmbH eröffnet (Bl. 117f TEA Steuer C...).
11
Dies ist strafbar für den Beschuldigten C...
als Steuerhinterziehung in einer noch zu ermittelnden Anzahl von Fällen gemäß §§ 369 Abs. 1 Nr. 1, 370 Abs. 1 Nr. 2 und 2, Abs. 2 AO, §§ 25 Abs. 2, 53 StGB
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Dies ist strafbar für den Beschuldigten ... S...
als Steuerhinterziehung in einer noch zu ermittelnden Anzahl von Fällen und Urkundenfälschung gemäß §§ 369 Abs. 1 Nr. 1, 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO, §§ 267 Abs. 1, 25 Abs. 2, 53 StGB
Tatverdacht betreffend Tatkomplex D... GmbH
13
Hinsichtlich dieses Tatkomplexes wird auf den Verdachtsprüfungsvermerk in Sachen C... der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts N.-S. vom 23.06.2023 (Bl. 687 ff) sowie die Anregung einer Maßnahme der Vermögensabschöpfung vom 26.06.2023 (Bl. 693 ff) Bezug genommen.
14
Bei Durchsuchungsmaßnahmen in der Wohnung des Beschuldigten S... am 19.04.2023 wurde ein auf den Namen des Beschuldigten ... C... ausgestellter und nachweislich gefälschter Pass gefunden. Bei der Person auf dem Foto in diesem Pass handelt es sich um den Beschuldigten S... Der Pass trägt dieselbe Nummer wie der echte Pass des in A... lebenden Beschuldigten C... (Bl. 13 ff TEA Steuer C...). Dieser gefälschte Pass wurde zur Identifikation bei der ... Bank ... verwendet. Das dortige Konto DE... wurde am 25.11.2022 für die kontoinhaberin ... GmbH eröffnet (Bl. 117 TEA Steuer C...).
15
Aufgrund einer Kontoauswertung mehrerer Konten der Firma D... GmbH wurden bisher unversteuerte betriebliche Zahlungseingänge der ... GmbH aufgedeckt (Bl. 11 ff TEA VermA ... u. G...).
16
Dass keine Umsatzsteuervoranmelduhgen abgegeben wurden, ergibt sich aus dem Umsatzsteuerüberwachungsbogen der D... GmbH (Bl. 36–38 VermA ... u. ...).
17
Da vom Konto des Beschuldigten mit der kontonummer ..., auf welchem Zahlungen der D... GmbH eingehen, tatsächlich auch am Wohnort des Beschuldigten C... in A... Barabhebungen vorgenommen werden, besteht der Tatverdacht der Steuerhinterziehung in Deutschland auch gegen den „echten“ ... C... (Bl. 74–81 TEA Steuer C...).
18
Die Durchsuchung rechtfertigt sich nach den §§ 103, 105 StPO als Durchsuchung bei einem unverdächtigen Dritten. Durchsuchungsobjekt sind Räumlichkeiten des Notariats P....
19
Aus den Anmeldungen zum Handelsregister ist ersichtlich, dass beim Notar Dr. T... Beurkundungen für die Firma D... GmbH vorgenommen worden sind (Bl. 67–81 TEA ...).
20
Ebenfalls erfolgten im Notariat P... Beurkundungen für die G... GmbH vorgenommen (Bl. 18–19 TEA GSM). Die G... GmbH wurde am 16.08.2018 in das Handelsregister des Amtsgerichts Jena unter HRB ... eingetragen. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 21.10.2022 ist der Sitz der Gesellschaft von E... nach B... verlegt wurden (Bl. 150 TEA G... GmbH). Die G... GmbH ist beim Finanzamt G... unter der Steuernummer ... erfasst. Zuletzt hat sie dort für das 2. Quartal 2022 eine Umsatzsteuervoranmeldung mit Erstattungsanspruch abgegeben, später keine mehr (Bl. 82 ff TEA VermA ... u. G... GmbH).
21
Von den Konten der D... GmbH bei den ... Bank wurden im Zeitraum vom 29.11.2022 bis 20.06.2023 Zahlungen in Höhe von 2.028.502,64 € an Konten verschiedenster Firmen im europäischen Ausland geleistet. Die Zahlungen wurden dem Verwendungszweck nach alle im Auftrag oder auf Rechnung der G... GmbH geleistet wurden (Bl. 72 ff TEA Bank ...). Die Firmennamen der Zahlungsempfänger deuten auf Händler für exklusive Einrichtungsgegenstände, Leuchten und Stoffe hin. Der Unternehmensgegenstand der G... GmbH umfasst solche Umsätze bei entsprechend weiter Auslegung. Indessen sind solche Umsätze mit dem Unternehmensgegenstand der D... GmbH „Vermittlung von Arbeitnehmern (Zeitarbeit)“ nicht vereinbar.
22
Die G... GmbH hat seit dem 3. Quartal 2022 keinerlei Umsatzsteuervoranmeldungen für ihre Geschäfte, die ja demnach im Handel mit Möbeln, Stoffen usw. bestehen müssten, abgegeben. Den bisherigen Ermittlungen nach ist der einzige tatsächliche Leistungsaustausch zwischen den Firmen, dass die G... GmbH der D... GmbH einzelne Fahrzeuge vermietet, deren dauerhafte Fahrer die formal vermögenslosen Beschuldigten ... S... und ... S... sind. Demnach handelt es sich bei der G... GmbH um eine wirtschaftlich inaktiv Gesellschaft, deren wahrer Zweck darin besteht, der privaten Anschaffung von Luxusgütern zu dienen.
23
Insofern liegen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass sich dort Beweismittel finden lassen werden. Die oben genannten Gegenstände können als Beweismittel von Bedeutung sein. Die ahgeordnete Maßnahme steht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts und ist für die Ermittlungen notwendig.
24
Das Beschlagnahmeverbot der §§ 97 Abs. 1, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO führt nicht zu einem Verbot, die Durchsuchung der genannten Räumlichkeiten anzuordnen. Die Durchsuchungsanordnung bezieht sich nicht auf beschlagnahmefreie Gegenstände, denn die Unterlagen haben mit der Tätigkeit eines Notars im eigentlichen Sinne, auf die sich das Beschlagnahmeverbot der §§ 97, Abs. 1, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO erstreckt, nichts zu tun. Insofern ist § 160 a Abs. 2 StPO nicht einmal tangiert. Im Übrigen würde die Abwägung im Rahmen des Verhältnismäßlgkeitsprinzips ergeben dass angesichts des Umfangs der Straftaten die Durchsuchung auch angemessen ist.
25
Soweit auf Kommunikationsverbindungsdaten zugegriffen wird, gilt dies auch im Bezug auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Beschuldigten.
26
Eine vorherige Anhörung verbietet sich, um den Durchsuchungszweck nicht zu gefährden, § 33 Abs. 4 StPO.
27
Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Nürnberg ergibt sich aus § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO.