Inhalt

LG München I, Beschluss v. 29.11.2023 – 5 HK O 5321/19
Titel:

Sachverständigenablehnung, Rechtsmißbrauch, Internationales Zivilprozeßrecht, Kostenerstattungsanspruch, Gesellschaftsrechtliche Streitigkeit, Preisanpassungsklausel, Spruchverfahrensgesetz, Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out, Honorarvereinbarung, Hauptversammlungsbeschlüsse, Angemessene Barabfindung, Sachverständigengutachten, vertrauensvolle Zusammenarbeit, Maßgeblicher Zeitpunkt, Steuerliches Einlagekonto, Geschäftswert, Außergerichtliche Kosten, Niederlassungsfreiheit, Kostentragungspflicht, Elektronischer Rechtsverkehr

Schlagworte:
Barabfindung, Unternehmenswert, Ertragswertmethode, Planungsrechnung, Wachstumsabschlag, Sonderwerte, Börsenkurs, Antragsbefugnis, Fristwahrung, Konkrete Einwendungen, Bewertungsfehler, Marktrisikoprämie, Beteiligtenfähigkeit, Briefkastenfirma, Plausibilität, Anlassplanung, Rückstellungen, Stichtagserklärung, Plausibilität der Planung, Wachstumsraten der Wettbewerber, Marktwachstum, Preis-Mengengerüst, Markteintrittsbarrieren, Erträge aus dem Iran-Geschäft, Engineering-Projekte, Wechselkursentwicklung, Margenentwicklung, Abschreibungen, Finanzergebnis, Steuerplanung, Squeeze out, Synergien, Steuerquote, Konzernsteuerquote, Verlustvorträge, Implementierungskosten, Wachstumsrate, Minderheitsanteile, Ausschüttungsquote, Thesaurierung, Kapitalisierungszinssatz, Basiszinssatz, Risikozuschlag, Beta-Faktor, Unternehmensbewertung, Verschuldungsgrad, Inflationsrate, Wettbewerbsdruck, nicht betriebsnotwendiges Vermögen, EBITDA-Multiplikator, kartellrechtlich bedingte Veräußerungen, betriebsnotwendige Liquidität, steuerliches Einlagekonto, Marke, Angemessene Abfindung, Börsenwert, Durchschnittskurs, Hochrechnung, Vorerwerbspreise, Gerichtliche Sachverständige, Arbeitspapiere, Aufsichtsratssitzung, Kostenentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53903

Tenor

I. Die Anträge auf Festsetzung einer höheren Barabfindung als € 189,46 je auf den Inhaber lautender Stückaktie werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren erster Instanz sowie der Wert für die Berechnung der von der Antragsgegnerin geschuldeten Vergütung des gemeinsamen Vertreters der nicht selbst als Antragsteller am Verfahren beteiligten ehemaligen Aktionäre werden auf € 200.000,-- festgesetzt.

Gründe

A.
I.
1
1. a. Am 1.6.2017 schlossen die vormals börsennotierte L… Aktiengesellschaf (im Folgenden auch: L… AG oder die Gesellschaft), die P…, Inc., die später in L… plc. umfirmierte Z… plc., die Z… H… LLC sowie die Z… S… Inc. ein Business Combination Agreement mit dem Ziel des Zusammenschlusses der P…, Inc. und der L… AG unter dem Dach der L… plc. Im Wege eines freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots in Form eines Tauschangebots erwarb die L… plc. 170.874.958 Aktien der Gesellschaft. Im Zusammenhang mit dem Vollzug des Tauschangebots übertrug die L… plc. ihre Aktien an der Gesellschaft auf ihre 100%-ige Tochtergesellschaft L… Holding GmbH, die diese Aktien danach auf die damals noch als L… I… H… AG firmierende Antragsgegnerin übertrug. Am 25.4.2018 kündigte die Gesellschaft den beabsichtigten Ausschluss der Minderheitsaktionäre der L… AG gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung per ad hoc-Mitteilung aus. In einem am 24.4.2018 endenden Zeitraum von drei Monaten ergab sich ein volumengewichteter Durchschnittskurs der Aktien der Gesellschaft von € 172,79.
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b. Die Hauptversammlung der L… AG fasste am 12.12.2018 den Beschluss, die Aktien der Minderheitsaktionäre gegen eine Barabfindung in Höhe von € 189,46 auf die Antragsgegnerin zu übertragen. Bereits zuvor hatten die L… AG und die Antragsgegnerin am 1.11.2018 einen Verschmelzungsvertrag abgeschlossen, durch den die L… AG als übertragende Gesellschaft ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter Auflösung ohne Abwicklung auf die Antragsgegnerin als übernehmende Gesellschaft übertragen sollte. Der Verschmelzungsvertrag enthielt in seinem § 2 eine Bestimmung, dass im Zusammenhang mit der Verschmelzung ein Ausschluss der Minderheitsaktionäre der L… AG gemäß § 62 Abs. 5 UmwG i. V. m. §§ 327 a bis 327 f AktG erfolgen sollte, nachdem die Antragsgegnerin zum damaligen Zeitpunkt rund 92% des Grundkapitals der Gesellschaft hielt. Das zum Stichtag der Hauptversammlung € 475.476.940,80 betragende Grundkapital der L… AG war eingeteilt in 185.733.180 auf den Inhaber lautende nennwertlose Stückaktien mit einem rechnerischen Anteil von jeweils € 2,56. Die L… AG selbst hielt 95.109 eigene Aktien.
3
Der Unternehmensgegenstand der Gesellschaft lag ausweislich der Regelung in § 2 Ziffer 1 ihrer Satzung (Anlage AG 1) in der Herstellung und dem Vertrieb von technischen und anderen Gasen und deren Folgeprodukten sowie in der Errichtung, dem Erwerb, Vertrieb und Betrieb von Anlagen, in denen technische und andere Gase hergestellt oder eingesetzt werden, in der Herstellung und dem Vertrieb von Produkten des Apparate- und Maschinenbaus, der Medizintechnik, von pharmazeutischen Produkten und sonstigen Produkten auf dem Gebiet des Gesundheitswesens sowie in der Planung und Errichtung, dem Vertrieb und Betrieb von verfahrenstechnischen und anderen industriellen Anlagen, Einrichtungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und von Anlagen für Forschungszwecke. Dabei ist die Gesellschaft nach § 2 Ziffer 2 ihrer Satzung zu allen Maßnahmen und Handlungen berechtigt, die mit dem Gegenstand des Unternehmens zusammenhängen oder ihm unmittelbar oder mittelbar zu dienen geeignet sind, wobei dies die Forschung und Entwicklung sowie die Kooperation mit Dritten in den in Ziffer 2.1 genannten Bereichen einschließt. Die Gesellschaft kann ihre Tätigkeit auch auf einzelne der in § 2 Ziffer 1 bezeichneten Bereiche beschränken. Sie kann im In- und Ausland Zweigniederlassungen errichten, andere Unternehmen gründen, erwerben oder sich an ihnen beteiligen, insbesondere an solchen, deren Unternehmensgegenstände sich ganz oder teilweise auf die vorgenannten Bereiche erstrecken. Sie kann Unternehmen, an denen sie beteiligt ist, strukturell verändern, unter einheitlicher Leitung zusammenfassen oder sich auf deren Leitung oder Verwaltung beschränken sowie über ihren Beteiligungsbesitz verfügen sowie ihren Betrieb ganz oder teilweise in Beteiligungsunternehmen ausgliedern.
4
c. Die Division Gase war organisatorisch in die Segmente EMEA, Asien/Pazifik und Amerika aufgeteilt, wobei die organisatorische Führung lokal ausgerichtet war, so dass Regionaleinheiten bzw. Regional Business Units (im Folgenden auch: RBU) für das operative Geschäft verantwortlich zeichneten, wo auch die einzelnen Landesgesellschaften zusammengefasst sind. Diese produzieren und vertreiben vornehmlich Luftgase wie Sauerstoff, Stickstoff und Argon, die in einzelnen Luftzerlegungsanlagen hergestellt werden. Zudem umfasst die Produktpalette Gase wie Wasserstoff, Acetylen, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid, Schweißschutzgase und Edelgase wie Krypton, Neon, Xenon und Helium sowie hochreine Spezialgase und medizinische Gase. Im Geschäftsjahr 2017 erwirtschaftete die Division Gase einen Umsatz von € 14.988 Mio. und adjustiert von € 12.074 Mio. sowie ein adjustiertes operatives Ergebnis von € 3.665 Mio.
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Die Division Engineering als zweitgrößte Division wird vom Hauptsitz in München aus gesteuert. Sie positioniert sich im internationalen Anlagenbau, wozu namentlich schlüsselfertige Luftzerlegungssowie Olefinanlagen gehören. Im Geschäftsjahr 2017 erzielte diese Division einen Umsatz von € 2.388 Mio., um Wechselkurseffekte bereinigt von € 2.354 Mio. und ein operatives Ergebnis von € 220 Mio. bzw. adjustiert von € 222 Mio.
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Der Geschäftsbereich GIST hat seinen Fokus auf Logistik- und Versorgungskettenlösungen und erzielte im Geschäftsjahr 2017 im Primärmarkt Großbritannien Umsatzerlöse aus Lebensmittellogistik sowie im europäischen und globalen Markt Frachtumsätze von insgesamt € 605 Mio. und um Wechselkurseffekte bereinigt von € 594 Mio. Das operative Ergebnis belief sich auf € 23 Mio. und bereinigt auf ebenfalls € 23 Mio.
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2. a. Im Vorfeld der Hauptversammlung vom 12.12.2018 erstattete die E… Y… GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: E… Y…) eine gutachtliche Stellungnahme zum Unternehmenswert der L… AG, München und zur angemessenen Barabfindung zum 12.12.2018 (Anlage AG 2). Die Wirtschaftsprüfer von E… Y… ermittelten in Anwendung der Ertragswertmethode einen Marktwert des Eigenkapitals von € 34.944 Mio., woraus sie dann eine Abfindung je Aktie von € 188,24 errechneten. Dabei gingen sie von einer die Jahre 2018 bis 2022 umfassenden Detailplanungsphase mit einem operativen Ergebnis (vor Steuern) von € 4.531 Mio., € 3.638 Mio., € 4.040.Mio., € 4.365 Mio. und € 4.616 Mio. aus. An diese Detailplanungsphase schloss sich die Ewige Rente an, in der unter Ansatz einer Wachstumsrate von 1% mit einem nachhaltigen Ergebnis von € 4.662 Mio. gerechnet wurde. Die Planungsrechnung der Gesellschaft unterstellte für das Geschäftsjahr 2018 eine Ausschüttungssumme von € 191 Mio.; für die weiteren Jahre der Phase I und unter der Bewertungsprämisse phasengleicher Vereinnahmung entsprechend der historischen Entwicklung wurde eine kontinuierlich steigende Ausschüttungsquote angenommen. Im Terminal Value gingen die Wirtschaftsprüfer von E… Y… von einer zur Finanzierung des nachhaltigen Wachstums notwendigen Thesaurierung in Höhe der Wachstumsrate von 1% aus und erachteten dann eine nachhaltige Ausschüttungsquote von rund 50% als sachgerecht.
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Bei der Kapitalisierung der Überschüsse gingen die Bewertungsgutachter in ihrer gutachtlichen Stellungnahme von einem Basiszinssatz von 1,25% vor Steuern aus. Den Risikozuschlag ermittelten sie in Anwendung des (Tax-)CAPM, wobei sie von einer Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern und dem unternehmenseigenen Beta-Faktor von unverschuldet 0,73 ausgingen. Der verschuldete Beta-Faktor sank von 0,89 im Geschäftsjahr 2018 über 0,83 im Geschäftsjahr 2019, 0,82 im Geschäftsjahr 2020, 0,80 im Geschäftsjahr 2021 und 0,79 im letzten Planjahr auf 0,78 in der Ewigen Rente. Für den Terminal Value ging das Bewertungsgutachten von einem Wachstumsabschlag von 1% aus.
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Als Sonderwerte ermittelten die Bewertungsgutachter nicht betriebsnotwendige Grundstücke und Gebäude in einem Wert von € 66 Mio., langfristig zur Veräußerung gehaltene Wertpapiere zu Geldanlagen in Höhe von € 17 Mio., Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften mit dem jeweiligen anteiligen Wert des Eigenkapitals von € 18 Mio., weitere Wertpapiere mit einem beizulegenden Zeitwert von rund € 39 Mio. sowie zur Veräußerung bestimmte Anteile an der R… D… GmbH in Höhe von € 5 Mio. Nach persönlichen Steuern flossen demgemäß Sonderwerte von € 107 Mio. in die Unternehmensbewertung ein. Da sich im Laufe der Bewertungsarbeiten weitere Konkretisierungen hinsichtlich des Umfangs zusätzlicher kartellrechtlich bedingter Veräußerungen ergaben, musste die Planungsrechnung aktualisiert werden und ein Abzugsposten in Höhe von € 1.253 Mio. den Sonderwerten erfasst werden.
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Aufgrund der Stichtagserklärung der Gesellschaft vom 12.12.2018 (Anlage AG 7) kam es zu einem voraussichtlich zu erzielenden höheren Verkaufspreis für das Geschäft in der Republik Korea, weshalb sich ein Unternehmenswert der Gesellschaft zum Stichtag der Hauptversammlung von € 35.170 Mio. und damit ein anteiliger Wert pro Aktie als Grundlage der Barabfindung von € 189,46 errechnete.
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b. Die mit Beschluss des Landgerichts München I vom 30.4.2018, Az. 5HK O 5973/18 zur Abfindungsprüferin bestellte E… S… GmbH & . KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft (im Folgenden: E… S…) gelangte in ihrem Prüfungsbericht vom 31.10.2018 (Anlage AG 3), der durch die Stichtags- und Aktualisierungserklärung vom 12.12.2018 (Anlage AG 7) aktuellen Entwicklungen angepasst wurde, zu dem Ergebnis, die auf € 189,46 je Aktie der L… AG erhöhte Barabfindungsstelle sich als angemessen dar.
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Bewertungsgutachtens von E… Y… sowie des Prüfungsberichts von E… S… einschließlich der jeweiligen Aktualisierungserklärungen und der Stichtagserklärung der Gesellschaft wird in vollem Umfang auf die Anlagen AG 2, AG 3 sowie AG 5 bis AG 7 Bezug genommen.
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3. Die Eintragung des Squeeze out-Beschlusses erfolgte am 6.4.2019 in das Handelsregister der L… AG bedingt auf die Eintragung der Verschmelzung, wobei diese Eintragung am selben Tag bekannt gemacht wurde. Am 8.4.2019 wurde die Verschmelzung in das Handelsregister der Antragsgegnerin eingetragen und am nächsten Tag, also am 9.4.2019, bekannt gemacht. Am Tag der Eintragung des Verschmelzungsvertrages waren alle Antragsteller Aktionäre der L… AG.
II.
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Zur Begründung ihrer spätestens am 9.7.2019 zumindest per Telefax am Landgericht München I eingegangenen Anträge machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend, aufgrund ihrer zulässigerweise gestellten Anträge müsse die Barabfindung aufgrund ihrer Unangemessenheit erhöht werden.
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1. Diese Notwendigkeit resultiere bereits aus den zum Nachteil der Minderheitsaktionäre unplausibel und folglich korrekturbedürftig erfolgten Planannahmen der Gesellschaft.
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a. Die Vergangenheitsanalyse zeige die fehlende Zuverlässigkeit der Planungen angesichts der zu beobachtenden Abweichungen. So fehle der Vergangenheitsanalyse die Aussagekraft, weil den Planungen besonders herausfordernde Ziele im Sinne von Stretch-Targets zugrunde gelegen hätten. Dies zeige sich vor allem an dem im Vergleich zur Planung besseren Ist-Ergebnissen in den Jahren 2016 und 2017. Die Planung übersehe die Währungseffekte als Ursache des Rückgangs bei der Analyse der Budgetzahlen zum 30.6.2018, zumal in den Geschäftsjahren 2016 und 2017 Bereinigungen zu einem deutlich niedrigerem Umsatz und operativen Ergebnis in der Planung geführt hätten. Erklärungsbedürftig sei namentlich der Rückgang des Umsatzes von € 17,113 Mrd. im Jahr 2017 auf € 12,522 Mrd., wenn die L… AG selbst von einem veräußerten Umsatz von lediglich € 2,08 Mrd. ausgehe. Unklar seien die Abweichungen in Bezug auf die Dauer der Detailplanungsphase mit den dort angenommenen Wachstumsraten sowie den Annahmen zur Ewigen Rente im Vergleich zum Tauschangebot vom 14.8.2017. Hinterfragt werden müsse, ob die Rückstellungen zum letzten Bilanzstichtag noch vorhanden gewesen und sachgerecht in die Planung durch deren Auflösung umgesetzt worden seien.
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b. Die Planung selbst müsse in ihren Einzelansätzen korrigiert werden, weil diesen die Plausibilität fehle.
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(1) Dies zeige sich am Rückgang des Ergebnisses im Jahr 2019 um etwa 26% und dem Erreichen des Ergebnisses des Jahres 2018 erst wieder im Jahr 2022. Nicht nachvollziehbar seien Wachstumsraten weit unterhalb der ebenfalls global aufgestellten Wettbewerber A… L… S.A. und A… P… & C…, zumal die Gesellschaft mit dem Thema „Flüssiggas“ einer der Hauptprofiteure des Energiemix sein werde. Ebenso belege die Analystenschätzung von UBS mit einem EBIT-Wachstum von 8% den zu konservativen Ansatz der Planung, weil Kosten überproportional und somit die Jahresergebnisse unterproportional eingeschätzt würden. Unklar bleibe die Frage nach einer doppelten Berücksichtigung der kartellbedingten Veräußerungen bei der Ableitung des Unternehmenswertes und dem Rückgang des operativen Ergebnisses sowie auch nach der Betriebsnotwendigkeit des Haltens von Wertpapieren in einem Umfang von € 623 Mio.
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(2) In der Division Gase bleibe unklar, inwieweit eine nach Teilmärkten differenzierende Wettbewerbs- und Marktanalyse durchgeführt worden sei und ob es ein detailliertes Preis-/Mengengerüst und eine detaillierte Personal, Investitions- und Kapazitätsplanung gegeben habe. Dem Rückgang des operativen Ergebnisses um 0,2% im Jahr 2019 nach einem Wachstum von 2,9% bis 4,1% im Zeitraum von 2016 bis 2018 fehle die Plausibilität ebenso wie dem Rückgang des Umsatzwachstums auf nur noch 1,4% im Geschäftsjahr 2019 nach dem deutlich höheren Wachstum in 2018 mit 2,5% und dem Anstieg der weltweiten Industrieproduktion um 3,2%. Die Entwicklung der Umsatzerlöse übersehe den Vorteil gegenüber den Wettbewerbern aus der Kombination von Engineering und der Belieferung mit Gasen. Die Analyse der Wachstumsannahmen anhand eines Vergleichs mit der Peer Group sei untauglich, weil für den Bereich Healthcare mit einem globalen Wachstum von 9% gerechnet werde. Möglicherweise hätten auch Erträge aus dem Iran-Geschäft in die Planung einfließen müssen.
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(3) Zu hinterfragen sei, inwieweit für die Division Engineering eine eigenständige Wettbewerbs- und Marktanalyse durchgeführt worden sei. Aufgrund des rückläufigen Auftragseingangs in den Jahren 2015 bis 2017 insbesondere bei den Luftzerlegungssowie den Wasserstoff- und Synthesegasanlagen müsse mit einer in der Planung nicht abgebildeten zyklischen Gegenreaktion gerechnet werden. Die Planung übersehe, dass die Nachfrage im Weltmarkt für Luftzerlegungsanlagen ausweislich einer Studie von Future Markets Insight um 4,9% p.a. wachsen solle. Ebenso wenig spiegele die Planung den starken Anstieg der Frühindikatoren mit der Zusammensetzung des Auftragsbestandes wider, nachdem der Auftragseingang zum 12.12.2018 so hoch wie nie gewesen sei, die Planung aber von konstanten Umsätzen von € 2.554 Mio. bis 2020 ausgehe. Den in diesem Segment herangezogenen Vergleichsunternehmen fehle angesichts ihrer Tätigkeit als viel breiter angelegte Anlagenbauer mit einem nur kleinen Anteil von Olefin- und Erdgasanlagen an ihrem Produktprogramm und ihrer vielfach nur regionalen Tätigkeit die Vergleichbarkeit.
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(4) Die Planung in der Division GIST sei zu pessimistisch, weil die operative Marge von 7,4% aus den Jahren 2014 und 2015 nie mehr erreicht werden solle.
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(5) Beim Forecast 2019 müsse es angesichts der Wechselkursentwicklung im vierten Quartal 2018 mit einem schwachen Euro bzw. einem starken US-Dollar mit positiven Auswirkungen auf Umsatz und Ergebnis des Jahres 2019 zu Anpassungen kommen. Für das Jahr 2019 hätte aufgrund bestehender Terminkontrakte mit einem Wechselkurs von 1,15 USD/EUR auch dieser Wechselkurs in der Planung herangezogen werden müssen. Eine Prognose auf der Basis von Forward Rates sei wegen fehlender empirischer Belege nicht vorzugswürdig gegenüber der Annahme eines fixen Wechselkurses auf der Basis der Verhältnisse am Bewertungsstichtag. Gerade im Terminal Value müsse die Berechnung auf der Basis der aktuellen Wechselkurse erfolgen, zumal das Währungsrisiko angesichts des herangezogenen unternehmenseigenen Beta-Faktors bereits über den Risikozuschlag abgebildet werde. Die von den Bewertungsgutachtern vorgenommene Korrektur bedeute einen Widerspruch zur Schätzung der Synergieeffekte auf der Basis eines Umrechnungskurses von 1,13 USD/EUR bei den Synergieeffekten. Der Annahme steigender Wechselkursrisiken stehe die Veräußerung des US- und des Brasiliengeschäfts entgegen, weil sich dadurch das Währungsrisiko vermindere. Die Korrektur der Planwechselkurse übersehe, dass bei höheren lokalen Preisen auch höhere Preise durchzusetzen seien, weshalb ein Nettoeffekt ausscheide.
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(6) Bei der Ableitung der EBITDA-Marge bleibe unklar, warum die Gesellschaft gerade nicht hinter den Markterwartungen zurückbleibe, zumal sich aus anderen Quellen höhere EBITDA-Margen der Taiyo Nissan K.K. ergäben. Dem Rückgang der adjustierten operativen Marge in der Division Gase von 30,5% im Jahr 2018 auf 30% im Folgejahr fehle die Plausibilität angesichts der nicht gegebenen Nachvollziehbarkeit eines Abzugs von € 121 Mio. Angesichts des starken Anstiegs der Beschäftigung müsse in der Division Engineering mit einem deutlichen Anwachsen der Margen auf über 10% gerechnet werden. Dem Planansatz fehle auch deshalb die Plausibilität, wenn sich der Abstand zwischen der L… AG und dem am oberen Rand der Bandbreite angesiedelten A… P… & C… Vergleichsunternehmen trotz der Fusion mit P…, Inc. und der damit verbundenen Aufgabe margenschwächerer Geschäftsbereiche beispielsweise in Amerika vergrößern solle und in der Region EMEA schon bisher nicht geringere Margen im Vergleich zu den Wettbewerbern erzielt worden seien. Die Planung sei zu pessimistisch, weil sich ohne Berücksichtigung der sich aus dem LIFT-Programm ergebenden Effekten von rund € 300 Mio. jährlich eine EBITDA-Marge von nur 24,2% und damit weniger als im Jahr 2018 ergebe.
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(7) Der Ansatz des Finanzergebnisses erfolge fehlerhaft, weil die Derivate im Wesentlichen Bewertungseinheiten beträfen, so dass gegenläufige Entwicklungen bei den Grundgeschäften bestünden. Bei einer integrierten Planungsrechnung könne sich ein Abzug für betriebsnotwendige Thesaurierung nicht ergeben, weil der gegebenenfalls notwendige Finanzbedarf für eine Erhöhung des Working Capital bereits in den Planbilanzen berücksichtigt sein müsse, zumindest aber liquide Mittel vorhanden seien. Der Steuerquote von 27,1% im Jahr 2018 fehle angesichts eines Ansatzes von 22,0% im Zwischenabschluss zum 30.6.2018 und im Jahresabschluss zum 31.12.2018 von nur 4,2% die Plausibilität. Die Entwicklung der Unternehmenssteuerquote in Phase I belege die nicht vollständige Ausnutzung der steuerlichen Verlustvorträge, weshalb ein Teil als Sonderwert erfasst werden müsse.
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(8) Bei den Synergien fehle ein Ansatz der nach 2022 auftretenden Verbundeffekte, nachdem im Übernahmeangebot die Planungsphase bis 2024 verlängert worden sei. Weiterhin hätte neben den Kostensteigerungen auch die finanzwirtschaftlichen und steuerlichen Synergien sowie Ertragssteigerungen und produktbezogene Synergien berücksichtigt werden müssen. In der Ewigen Rente müsse es zu einer Erhöhung der Synergieeffekte um mindestens € 99 Mio. kommen, weil der Ansatz der erwarteten Verwaltungssynergien durch die Reduktion von Personalredundanzen allein in Phase I, nicht aber im Terminal Value nicht nachvollzogen werden könne. Auch im Jahr 2022 müsse es zu einer Zurechnung von Kostensynergien in Höhe von € 299 Mio. kommen, weil in diesem Jahr nach der Aussage eines Vorstandsmitglieds im Handelsblatt vom 4.3.2022 die Integrationsphase drei Jahre dauere und dann der volle Betrag von € 299 Mio. erreicht sei. Überhöht sei der Ansatz von Implementierungskosten von USD 1,128 Mrd., nachdem die Antragsgegnerin ebenso wie die L… AG nur solche in Höhe von US-$ 1 Mrd. unter Einschluss der Transaktionskosten von tatsächlich geplanten € 350 Mio. erwarte. Die Planung sei unplausibel, weil angesichts von Synergien in der Ewigen Rente von lediglich € 299 Mio. und jährlichen Kosten von € 450 Mio. die Verbundvorteile durch Kosten um rund € 150 Mio. überschritten würden. Auch hätte eine Anpassung des Wechselkurses erfolgen müssen.
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(9) Die angesetzten Abschreibungen seien übersetzt, weil darin vor allem Abschreibungen auf den Firmenwert der B… G… plc. enthalten seien, ohne einen Erwerb weiterer bzw. ersetzender Geschäftsanteile abzubilden.
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(10) Die betriebsnotwendige Thesaurierung in Höhe von € 820 Mio. bzw. € 919 Mio. in den Jahren 2021 und 2022 sei zu hoch angesetzt, weil sich daraus in den Folgejahren kein über die ewige Wachstumsrate hinausgehendes Wachstum ergebe. Die Annahme der Thesaurierungsquoten für die Jahre 2018 bis 2020 seien angesichts des deutlich unter dem historischen Niveau liegenden Verschuldungsgrades der Peer Group-Unternehmen zu hoch und auch wegen angekündigter Aktienrückkäufe durch L… plc. nicht mehr nachvollziehbar. Der Ansatz einer betriebsnotwendigen Thesaurierung in Höhe von € 81 Mio. sei übersetzt, weil sich durch die Thesaurierung in Phase I die Berechnungsbasis erhöhe. Inflationsbedingte Kursgewinne unterlägen keiner Besteuerung.
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(11) Der Ansatz zur Ewigen Rente vernachlässige die positiven Auswirkungen der gegen Ende der Detailplanungsphase vorgenommenen Wachstumsinvestitionen; zumindest aber hätte eine Konvergenzphase eingeschoben werden müssen. Daher sei es fehlerhaft, die Abschreibungen des Jahres 2012 in der Ewigen Rente durch ein langfristig zur Substanzerhaltung erforderliches Investitionsniveau abzüglich der CAPEX-Synergien zu ersetzen. Fehlerhaft erfolgt sei der Ansatz der nachteiligen Abschreibungsrate als Folge der sehr konservativen Absatzplanung erfolgt. Nicht nachvollziehbar sei es, im Terminal Value anstelle der nachhaltigen Abschreibungen die höheren Investitionen anzusetzen und gleichzeitig einen zusätzlichen Betrag des Jahresüberschusses zu Zwecken der Wachstumsthesaurierung heranzuziehen. Namentlich im Segment Healthcare müsse das Wachstum mit höheren Wachstumsraten fortgeschrieben werden angesichts von Marktstudien mit einem CAGR von 9% bis 2024. Das Wachstum im Terminal Value vernachlässige die langlaufenden Verträge mit Mindestabnahmevolumina sowie die Preissetzungsmacht in einem von regionalen Oligopolen geprägten Markt. Die Erhöhung der Minderheitenanteile am Ergebnis von 8,6% auf 9,6% im Terminal Value bedeute einen Widerspruch zur Annahme eines eingeschwungenen Zustandes; zudem müsse angesichts des sprunghaften Anstiegs der Gewinnmargen dieser Konzerngesellschaften auch deutlicher Anstieg in den Konzernzahlen der L… AG zu verzeichnen sei. Die Notwendigkeit des Ansatzes eines höheren Wachstums resultiere bei stetigem Einsparpotenzial in der Optimierung der Anlagen aus dem überproportionalen Verbrauch an Energie, weshalb konsequenterweise ein dauerhaft überproportionaler Anstieg von Umsatz und Gewinn angesetzt werden müsse.
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2. Der Kapitalisierungszinssatz bedürfe in all seinen Komponenten einer Korrektur zugunsten der Minderheitsaktionäre.
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a. Dies gelte zunächst für den Basiszinssatz, für den sich gerade wegen der zu beobachtenden sinkenden Tendenz hin zum Tag der Hauptversammlung eine Aufrundung verbiete. Auch komme es auf die aktuell zum Tag der Hauptversammlung zu erzielenden Zinsen an. Die Existenz von Credit Default Swaps auf deutsche Staatsanleihen erfordere gleichfalls eine Herabsetzung des Basiszinssatzes.
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b. Deutlich zu hoch sei der ohnehin schon im Ansatz fragwürdige Risikozuschlag. Das herangezogene (Tax-)CAPM sei gerade der Zuschlagsmethode nicht überlegen. Auch eröffne es eine Vielzahl von Ermessensspielräumen. Die Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern könne aufgrund ihres zu hohen Ansatzes keinen Bestand haben. So führe beispielsweise das angesetzte einjährige arithmetische Mittel zu erheblichen Verzerrungen; vorzugswürdig sei daher der Ansatz des geometrischen Mittels. Angesichts des langfristig stabilen Trends der Geschäfte der L… AG sei der angesetzte originäre Beta-Faktor der Gesellschaft von 0,73 mit Blick auf den mit 0,62 deutlich niedrigeren Beta-Faktor aus dem Tauschangebot immer noch erhöht. Aus dem verschuldeten Beta-Faktor von 0,8 müsse sich unter Berücksichtigung von Dividendenzahlungen ein unverschuldeter Beta-Faktor von 0,69 bzw. ein verschuldeter Beta-Faktor von unter 0,8 ergeben. Auch aus den von Infrarot Analytics und Comdirect ermittelten Beta-Faktoren lasse sich ein Rückschluss auf einen bei der Bewertung zu hoch ermittelten Beta-Faktor ziehen. Angesichts der weltweiten Tätigkeit der L… AG stelle sich der MSCI World Index im Vergleich zum CDAX als besserer Referenzindex dar. Aufgrund der kartellrechtlich bedingten Veräußerungen und der damit verbundenen Verringerung zinstragender Verbindlichkeiten wie auch der Pensionsansprüche müsse es zu niedrigeren Verschuldungsquoten kommen. Ebenso führe das verbesserte Rating der Gesellschaft zu einem sinkenden Beta-Faktor. Unklar bleibe, mit welchem Debt Beta gerechnet worden sei.
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c. Der Wachstumsabschlag müsse erhöht werden, weil die Entwicklung der Umsatzerlöse wie auch der operativen Ergebnisse der Gesellschaft und von Wettbewerbern wie der M… G… über einen längeren Zeitraum die Fähigkeit der Gesellschaft belege, Preissteigerungen in großem Umfang weiterzugeben. Die resultiere auch aus der Steigerung der Margen bei allen weltweit operierenden Anbietern und dem Ausscheiden der kleineren regionalen Anbieter. Auch wachse der globale Markt für Industriegase stärker als die Weltwirtschaft und die Chemieproduktion, wovon die L… AG als Marktführer profitiere, nachdem sie besonders in Asien stärker aufgestellt als die Wettbewerber. Aufgrund von Preisanpassungsklauseln in bestehenden Verträgen und der damit verbundenen Möglichkeit der Kostenüberwälzung auf die Kunden unter Einschluss der Energiekosten hätte der Wachstumsabschlag höher angesetzt werden müssen. Angesichts des Wachstums des Industriegasemarktes von 2018 bis 2021 um jährlich 4,4% mit steigender Tendenz, des globalen Chemiemarkts um 3,3% p.a. und des globalen Marktes für Grundchemikalien um 8,5% pro Jahr sei der Wachstumsabschlag mit 1% gleichfalls zu niedrig, weil die von der Gesellschaft produzierten Industriegase vor dem Hintergrund umweltfreundlicher und wirtschaftlicher Arbeitsweisen nicht mehr hinwegzudenken seien. Aus bestehenden Markteintrittsbarrieren und dem Wettbewerbsvorteil eines integrierten Geschäftsmodells mit dem Angebot der gesamten Leistungspalette im internationalen Gase- und Anlagenbaugeschäft resultiere ein Wettbewerbsvorteil mit der Folge eines höher anzusetzenden Wachstumsabschlags. Die geografisch unterschiedlichen Preissteigerungen dürfe man nicht nur auf der Kostenebene ansetzen. Die Notwendigkeit der Erhöhung des Wachstumsabschlags ergebe sich zudem aus der internationalen Ausrichtung der Gesellschaft mit lediglich 8% Umsatz im Inland. Auch vernachlässige der angenommene Wachstumsabschlag den hohen Stellenwert der sich für Wasserstoff und Flüssiggas als Energiespeicher und -quelle der Zukunft ergebenden Chancen ebenso wie das hervorragende Distributionsnetzwerk mit einer höheren Lieferfähigkeit und einer hohen back up-Sicherheit. Aus dem Zusammenschluss mit P…, Inc. und dem damit verbundenen Wegfall eines Wettbewerbers ergäben sich verbesserte Spielräume für Preiserhöhungen. Auch seien Mengeneffekte beim Wachstumsabschlag zu berücksichtigen, nachdem ein Mengenwachstum von 7% über einen Konjunkturzyklus bzw. bis 2024 gerade wegen der Umstellung des Energiemix weg von der Kohle wahrscheinlich sei. Der Wachstumsabschlag müsse schon wegen des im Tauschangebots herangezogenen Wertes von 1,5% entsprechend erhöht werden. Aus den hohen Thesaurierungen gerade in den Jahren 2018 und 2019 folge gleichfalls das Erfordernis eines höheren Wachstumsabschlags.
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3. Fehlerhaft erfolgt sei auch die Ermittlung des Umfangs der Sonderwerte.
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a. Dies gelte zunächst für die weiteren zum Stichtag noch nicht abgeschlossenen kartellbedingten Veräußerungen, bei denen deutlich höhere EBITDA-Multiplikatoren anzusetzen seien. Auch rechtfertige sich kaum die Annahme einer wertneutralen Veräußerung bei einem Abschlag von 69% gegenüber wertneutralen Ergebnissen. Bei noch nicht bestehenden Veräußerungserlösen hätte diese Prämisse der wertneutralen Veräußerung aufrechterhalten werden müssen. Gerade der Listing-Prospekt zeige, dass die aus den kartellbedingten Veräußerungen wegen der Verwendung für die Durchführung des Squeeze out erzielten Erlöse keine betriebsnotwendige Liquidität darstellen könnten. Angesichts des verbesserten und sehr niedrigen Verschuldungsgrades sei es fehlerhaft, weitere € 3 Mrd. durch Zuordnung zur betriebsnotwendigen Liquidität den Minderheitsaktionären vorzuenthalten.
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b. Unklar bleibe die Ermittlung des Werts der nicht betriebsnotwendigen Grundstücke. Angesichts des Immobilienbooms vor allem in München müsse der Verkehrswert anstelle der viel niedrigeren Buchwerte angesetzt werden.
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c. Im Rahmen der nicht betriebsnotwendigen Liquidität müsse im Terminal Value die Liquidität auf Basis der Nettofinanzverschuldung angesetzt werden, weshalb ein überschießender Betrag nicht betriebsnotwendig sei. Aufgrund der kartellbedingten Veräußerungen müsse sich angesichts von Erlösen in Höhe von mehr als € 4,2 Mrd. die Liquidität deutlich erhöht haben und demzufolge ein weiterer Sonderwert angesetzt werden.
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d. Unklar bleibe, ob bei der R… D… GmbH im Rahmen der Bewertung der Verkaufserlös oder der Buchwert angesetzt worden sei und in welchem Umfang ein steuerliches Einlagenkonto vorhanden gewesen sei.
38
4. Über den Börsenkurs müsse eine höhere Abfindung angesetzt werden angesichts eines Kurses von € 187,- am 8.4.2019 und eines 52-Wochen-Hochs von € 198,-; daraus ergebe sich, dass der Markt die Abfindung von €189,48 als zu niedrig einschätze. Auch am Tag vor der Hauptversammlung habe der Börsenkurs mit € 193,10 deutlich über dem Angebot gelegen. In einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Zusammenschluss mit Vollzug des Übernahmeangebots habe der Börsenkurs sogar bei € 204,- gelegen. Auch habe die vorzeitige Veröffentlichung des zu niedrigen Abfindungsbetrags von € 188,24 zu einer Abkoppelung von der Marktentwicklung geführt. Auch müsse es zur Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen kommen.
III.
39
Die Antragsgegnerin beantragt demgegenüber die Zurückweisung der Anträge. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, die Anträge der Antragsteller zu 2), zu 59) und 60), zu 68), zu 73), zu 128) und zu 226) seien angesichts fehlender ordnungsgemäßer Begründung unzulässig. Den Antragstellerinnen zu 142) und zu 153) fehle die Beteiligtenfähigkeit, weil es in Bezug auf die Antragstellerin zu 142) keinen Vortrag zum tatsächlichen Verwaltungssitz auf den British Virgin Islands gebe und In Bezug auf den Antragsteller zu 153) die Darlegung über eine wirksame Errichtung nach dem Recht des US-Bundesstaates Ohio fehle. Dies gelte auch für die Antragstellerinnen zu 31), zu 33) und zu 41), deren Existenz nicht nachvollzogen werden könne. Die Antragstellerin zu 37) sei nicht verfahrensfähig, weil die Vertretung durch die Nachtragsliquidatorin Karin D. durch eine Einsichtnahme in das Handelsregister nicht belegt sei. Soweit Antragsteller als natürliche Personen wie auch als Organe für juristische Personen Anträge gestellt hätten, fehle es am Rechtsschutzbedürfnis; angesichts der Inter omnes-Wirkung binde eine Entscheidung alle Minderheitsaktionäre, weshalb die Argumente für eine Erhöhung der Barabfindung bereits umfassend in dem Antrag der natürlichen Person niedergelegt werden könnten. Daher diene die Antragstellung ausschließlich dem Gebühreninteresse.
40
In jedem Fall aber seien die Anträge angesichts der Angemessenheit der Barabfindung unbegründet. Dies zeige sich bereits an dem Vorliegen aussagekräftiger Börsenkurse. Im relevanten Zeitraum von drei Monaten vor dem 25.4.2018 sei die Aktie der L… AG hochliquide gewesen. Eine Marktenge habe nicht vorgelegen; im relevanten Zeitraum seien im Durchschnitt knapp unter 70.000 Aktien, an manchen Tagen bis zu 210.654 Aktien und nie weniger als 19.338 Aktien der Gesellschaft gehandelt worden. Die Bid-Ask-Spreads hätten im Durchschnitt bei 0,11% und maximal bei 0,19% gelegen. Auch weise der relevante Börsenkurs der Gesellschaft im Referenzzeitraum keine unerklärlichen Kursausschläge aus; Marktmanipulationen habe es nicht gegeben. Ein Bußgeldbescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 7.7.2020 beziehe sich auf einen im Vergleich zum verschmelzungsrechtlichen Squeeze out völlig anders gelagerten Sachverhalt aus dem September 2016 und könne daher keinen Einfluss auf den Börsenkurs im Zeitraum vom 25.1.2018 bis 24.4.2028 haben. Die Gesellschaft habe alle kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflichten erfüllt, nachdem Erwartungen im Hinblick auf kartellrechtlich bedingte Veräußerungen in Südkorea keinen nach Art. 17 Abs. 1 MAR relevanten Informationen seien.
41
In keinem Fall aber lasse sich eine Erhöhung der Barabfindung über den Ertragswert erreichen, weil dieser zutreffend ermittelt worden sei.
42
1. Bei den Planannahmen bestehe kein Korrekturbedarf, nachdem der Unternehmenswert sachgerecht auf der Grundlage der Ertragswertmethode unter Anwendung der Grundsätze des IDW S1 2008 abgeleitet worden sei.
43
a. Von einer unzulässigen Anlassplanung könne keinesfalls ausgegangen werden. Die Planverantwortlichen der L… AG hätten die Bottom up-Planung des letzten Geschäftsjahres detailliert analysiert und entsprechende Anpassungen auf Basis der zum Planungszeitpunkt aktuellen Erkenntnisse und Erwartungen vorgenommen. Dabei beruhe die Planung ausschließlich auf Vorstandsbeschlüssen der L… AG und sei auch nicht durch die Antragsgegnerin beeinflusst worden. Vorgenommene Planaktualisierungen seien geboten gewesen aufgrund geänderter Umstände mit Einfluss auf die Planung oder Planungsrechnung namentlich wegen der kartellrechtlich bedingten Veräußerungen. Die Vergangenheitsanalyse belege die Geeignetheit der Planung als Grundlage für den Unternehmenswert, wobei notwendige Bereinigungen zutreffend durchgeführt worden seien. Die Analyse belege, dass durch Berücksichtigung der kartellrechtlichen und gesellschaftlichen Begleitumstände die Planzahlen nahezu eingehalten worden seien.
44
b. Die Planungsrechnung selbst sei nicht zu konservativ.
45
(1) Gerade die adjustierte Marge des Geschäftsbereichs Gase liege oberhalb des Durchschnitts der Peer Group-Unternehmen. Die geplanten operativen Margen lägen innerhalb der Bandbreite der Vergleichsunternehmen. Angesichts der Tätigkeit der Gesellschaft auch im Engineering-Bereich mit einem Umsatzanteil von rund 15% mit dort deutlich niedrigeren Margen werde die EBITDA-Marge der gesamten L…-Gruppe proportional beeinflusst, weshalb ihre Marge ohne diesen Bereich oberhalb des Durchschnitts der Peer Group-Unternehmen läge. Das operative Ergebnis des Forecast 2018 sei für die Division Gase von Einmal- und Sondereffekten von etwa € 121 Mio. geprägt gewesen, weshalb diese im Zuge der Erstellung des 6 + 6-Forecast nicht als Erwartungshaltung für das zweite Halbjahr eingeflossen seien. Daher könne die erwartete adjustierte Marge im Geschäftsjahr 2019 nicht als unplausibel eingestuft werden, zumal sie innerhalb des Korridors der Jahre 2015 bis 2017 angesiedelt sei. Auch enthalte die Planung ab dem Geschäftsjahr 2019 und für die Folgejahre einen kontinuierlichen Anstieg der EBITDA-Marge von rund 30% auf 31,4% im Planjahr 2022. Die Planung des Geschäftsjahres 2018 bilde Veräußerungsgewinne aus den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen ab.
46
Die für den Industriegasemarkt relevanten makroökonomischen Kerngrößen würden deutlich schwächer wachsen als die von Finanzanalysten geschätzten Planumsätze der Vergleichsunternehmen, was wie in der Vergangenheit nur auf die Erwartung externer Zukäufe zurückzuführen sei. Die Planung der L… AG bilde mit Ausnahme kleinerer Akquisitionen im Healthcare-Segment in Nordamerika keine Unternehmenserwerbe ab. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate im globalen Markt für Industriegase von 4,4% müsse vor dem Hintergrund deutlich niedrigerer CAGRs in Westeuropa und Nordamerika gesehen werden; in diesen zwei der drei größten regionalen und für die Gesellschaft relevanten Märkte solle das Wachstum lediglich 3,1% bzw. 2,5% p.a. betragen, so dass das geplante Umsatzwachstum oberhalb der Markterwartungen für diese Märkte liege. Umsatzentwicklungen nach dem Stichtag seien ungeeignet, Rückschlüsse auf eine fehlende Plausibilität zu ziehen. Angesichts eines vergleichsweise geringen Investitionsniveaus für neues Projektwachstum in den Jahren 2015 bis 2017 komme es 2018 und 2019 zu einem geringeren Anlaufen neuer Anlagen, weshalb dieser teilweise Investitionsstau kurz- bis mittelfristig in 2018 und vor allem in 2019 zu leicht unterhalb des Wachstums der Wettbewerber bzw. des Marktes liegenden Wachstum führe, während in den Planjahren ab 2020 ein deutlicheres Wachstum von 3,5% bis 3,7% erwartet werde. Die Plausibilität der Ergebnismargen lasse sich nicht durch die Kosteneinsparungen aufgrund der Effizienzprogramme Focus und LIFT infrage stellen, nachdem wertsteigernde Effekte konsistent planerisch in der Mehrjahresplanung verarbeitet worden seien und dieser Umstand daher nicht nochmals in die Bemessung der erwarteten Synergien Eingang finden könne.
47
Ein Widerspruch zu Annahmen im Tauschangebot bestehe nicht, was sich schon aus der nicht erfolgten Stand alone-Bewertung der L… AG angesichts des Bewertungsobjekts L… plc. zeige.
48
Die Planwechselkurse seien ordnungsgemäß mit einem währungsspezifischen Wechselkurs konstant über alle Planperioden hinweg umgerechnet worden. Die Bewertung berücksichtige den erwarteten Effekt der Inflationserwartungen auf die für die L…-Gruppe relevanten Währungsrelationen. Aufgrund höherer Inflationserwartungen im Ausland ergebe sich eine erwartete Abwertung ausländischer Währungen mit einem negativen Ergebniseffekt für die L…-Gruppe.
49
Die Produktgruppe Healthcare weise mit einem Mengenwachstum von rund 4% bis 5% p.a. aufgrund steigender Patientenzahlen die höchsten Wachstumsraten auf, wenngleich der Bereich im Umfeld von Ausschreibungen der Krankenversicherungen und anderer staatlicher Versorgungseinrichtungen teils unter hohem Preisdruck stehe.
50
Die Planung bilde auch das Iran-Geschäft ordnungsgemäß ab.
51
(2) Die Umsätze in der Division Engineering seien auf konkrete Projekte mit überwiegend sehr hohem Umsatzvolumen zurückzuführen, deren Umsetzung sich über mehrere Geschäftsjahre erstrecke. Angesichts der Erfassung von Umsätzen in der Rechnungslegungsperiode, in der der entsprechende Baufortschritt erreicht werde, sei es nicht sachgerecht, die Entwicklung der auf diese Division entfallende Umsätze auf eine jährliche Wachstumsrate zu reduzieren. Auch sei das Projektgeschäft dieser Division erheblich volatiler und unterliege Zyklen von vier bis sieben Jahren. Da die Gesellschaft auf Festpreisbasis arbeite, tragen sie das Kostenrisiko. Die Planung erfasse auch die nach Oktober 2018 eingegangenen Aufträge wie insbesondere den von P…, Inc. zur Lieferung einer Wasserstofffanlage in den USA.
52
(3) Die Planansätze in der Division GIST seien in die Planung einzubeziehen und ordnungsgemäß erfasst. Angesichts des Fokus auf Logistik- und Versorgungskettenlösungen müsse kurz- bis mittelfristig mit Kundenerhaltung und somit unveränderten Umsätzen gerechnet werden, wobei angesichts einer relativ konstanten Kostenstruktur mit einer operativen Marge von ca. 5,9% bis 6,7% gerechnet werde. Der Rückgang der Umsatzerlöse im ersten Planjahr beruhe auf Wechselkurseffekten.
53
(4) Der Aufwand an Kaufpreisallokationen in Bezug auf die Übernahme der B… G… plc. sei zutreffend als zahlungswirksamer Aufwand in Abzug gebracht worden. Die die Akquisition der B… G… plc. umfassenden Konzernabschlüsse seien auch stets mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers versehen gewesen.
54
(5) Ein Rückschluss auf den Steuersatz einer Legaleinheit auf die Gruppe sei nicht ohne weiters möglich. Die niedrigere effektive Steuerquote gemäß Konzernzwischenlagebericht zum ersten Halbjahr 2018 sei durch die Auflösung von Rückstellungen aufgrund besserer als erwarteter Betriebsprüfungsergebnisse beeinflusst und daher vergleichsweise niedrig. Die Steuerfachabteilung der Gesellschaft berücksichtige auch künftige Steuersatzänderungen in Großbritannien und den USA.
55
(6) Synergieeffekte seien ordnungsgemäß in die Bewertung eingeflossen, wobei aber nur unechte Synergien aus dem Unternehmenszusammenschluss unter Beachtung der Wurzeltheorie berücksichtigungsfähig seien. Allein die Möglichkeit der Umsetzung im faktischen Konzern genüge nicht, solange nicht mir ihrer Umsetzung begonnen sei. Die von der L… AG erwarteten Kostensynergien aus der Verbesserung interner Prozesse und der Optimierung der gemeinsamen Organisationsstruktur seien in die Bewertung eingeflossen. Wachstums- bzw. Umsatzsynergien dürfe man nur berücksichtigen, sofern die entsprechenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert seien. Die Synergieklasse Anlagenbau sei ordnungsgemäß in der Planung angesetzt und basiere auf der Konkretisierung der sich überschneidenden Aktivitäten vor allem im Großanlagenbau sowie auf Effekten aus der konzerninternen Durchführung bestimmter zuvor extern vergebener Großanlagenbauprojekte von P…, Inc.. Bei der Synergieklasse Corporate & Global Functions müsse angesichts des hier auftretenden hohen Dokumentationsaufwandes angenommen werden, deren Realisierung werde im faktischen Konzern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unterbleiben. Ebenso seien die Synergien aus Forschung & Entwicklung ordnungsgemäß angesetzt worden. In der Ewigen Rente komme es zu einer Fortschreibung der Kostensynergien von € 240 Mio. mit der Wachstumsrate, während die Investitionssynergien in Höhe von € 59 Mio. in der Berechnung des nachhaltigen Investitionsvolumens eingeflossen seien. Auch lägen die erwarteten Synergien innerhalb der stets kommunizierten Bandbreite. Auf die L… AG entfalle von erwarteten Synergien von insgesamt rund USD 805 Mio. ein Anteil von USD 437 Mio. oder 54%.
56
(7) Die Planung bilde die kartellrechtlich bedingten Veräußerungen bis zum Bewertungsstichtag zutreffend ab, wobei der angesetzte Veräußerungserlös mittels eines marktorientierten Multiplikatorverfahrens ermittelt worden sei und daher die plausible und gerechtfertigte Erwartung des Vorstands zu erzielbaren Kaufpreisen für die zu veräußernden Geschäftsanteile reflektiere. Aufgrund der teilweisen Kleinteiligkeit des Geschäfts seien EBITDA-Multiplikatoren von 4,0x bis 6,0x gerechtfertigt und marktgerecht. Dabei komme es auch nicht zu einer Durchbrechung des Stand alone-Grundsatzes im Zusammenhang mit diesen Veräußerungen. Auch ohne den verschmelzungsrechtlichen Squeeze out wäre es zum Abgang dieser Wertbeiträge gekommen, die als Teil des Planjahres sachgerecht über einen Veräußerungsgewinn berücksichtigt worden seien. Auch künftige Veräußerungen seien zu berücksichtigen, weil die Gesellschaft zu den Veräußerungen durch Behörden verpflichtet worden sei. Eine Doppelberücksichtigung dieser veräußerten Geschäftsanteile habe nicht stattgefunden.
57
(8) Die Ewige Rente sei ohne Verstoß gegen Bewertungsgrundsätze von der Bewertungsgutachterin abgeleitet worden. Das Ergebnis des letzten Planjahres bilde die erwarteten unechten Synergien aus dem Unternehmenszusammenschluss bereits vollständig ab. Es gebe zudem keine Anhaltspunkte für ein temporär außerordentliche hohes oder niedriges Ergebnis des letzten Planjahres. In gleicher Weise bilde der Terminal Value Wechselkurseffekte ordnungsgemäß ab.
58
(9) Die Minderheitenanteile am Jahresergebnis seien bei der Ableitung der zu kapitalisierenden Ergebnisse nicht zu hoch angesetzt. Soweit die Gesellschaften in der Detailplanungsphase ein negatives Periodenergebnis erwirtschaftet hätten, gehe der Ansatz der Ewigen Rente von der Profitabilität dieser Gesellschaften oder zumindest von einem der Fortführungsprämisse entsprechenden ausgeglichenen Ergebnis aus.
59
(10) Nicht beanstandet werden könne der Abzug für betriebsbedingt notwendige Thesaurierungen, weil die Gesellschaft zur Finanzierung des bilanziellen Wachstums Teile des nachhaltigen Ergebnisses einbehalten müsse. Der Betrag ergebe sich aus dem Produkt der Wachstumsrate und des wirtschaftlichen Eigenkapitals am Ende der Detailplanungsphase. Die Wertbeiträge aus Thesaurierung, die zukünftige Kursgewinne darstellen würden, unterlägen der Abgeltungssteuer. Die angesetzten Beträge für die Wachstumsthesaurierung seien auch in den Jahren 2021, 2022 nicht zu beanstanden; ebenso wenig seien die Thesaurierungsquoten für die Jahre 2018 bis 2020 zu hoch angesetzt. Der Umfang der betriebsbedingt notwendigen Thesaurierungen ergebe sich aus der integrierten Planungsrechnung der L…-Gruppe und basiere auf den Planannahmen der Gesellschaft zur Verwendung der erwarteten Überschüsse.
60
2. Der Kapitalisierungszinssatz müsse nicht zugunsten der Minderheitsaktionäre angepasst werden.
61
a. Dies gelte zunächst für den sachgerecht mit Hilfe der Svensson-Methode ermittelten Basiszinssatz in Höhe von 1,25% vor Steuern. Die vorgenommene Rundung auf Viertelprozentpunkte sei üblich und könne Schätzfehler ausgleichen. Der Zeitraum von drei Monaten stelle eine ausgewogene Balance zwischen Aktualität und statistischer Verlässlichkeit dar und sei konsistent mit der Berechnung des Börsenkurses. Bestehenden Tendenzen werde durch die Durchschnittsbildung hinreichend Rechnung getragen. Der einheitliche Basiszinssatz ergebe sich aus der Forderung nach Barwertäquivalenz. Eine Anpassung wegen der Existenz von Credit Default Swaps müsse nicht erfolgen.
62
b. Die Ermittlung des zwingend anzusetzenden Risikozuschlags über das (Tax-)CAPM sei zutreffend erfolgt. Gerade die Alternativmethode der Arbitrage Pricing Theory erhöhe die Unsicherheiten bei der Bestimmung der erforderlichen Parameter. Die herangezogene Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern beruhe auf einer in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Bewertungsmethode sowie methodischen Einzelfallentscheidungen und entspreche der nahezu einhelligen Rechtsprechung. Die Empfehlung des FAUB basiere auf verschiedenen Modellen zur Ableitung der Marktrisikoprämie. Der unternehmenseigene Beta-Faktor von 0,73 unverschuldet sei zutreffend ermittelt worden über einen Referenzzeitraum von zwei Jahren, wobei dieser deutlich niedriger und damit werterhöhend sei im Vergleich zu dem über eine Peer Group abgeleiteten Beta-Faktor. Die Ableitung über den MSCI World Index hätte einen verschuldeten Beta-Faktor von 1,01 ergeben, weshalb der Ansatz über den CDAX für die Minderheitsaktionäre günstiger sei. Der Unterschied zu dem im Rahmen des Tauschangebots herangezogenen Beta-Faktor von 0,62 begründe sich aus dem unterschiedlichen Analysezeitraum und resultiere aus unterschiedlichen Renditeausprägungen der Aktien der L… AG gegenüber dem Vergleichsindex.
63
c. Der Wachstumsabschlag von 1,0% müsse nicht erhöht werden. Angesichts des Prognosecharakters bestehe auch hier ein nur eingeschränkter Prüfungsumfang durch das Gericht. Angesichts zunehmender Marktpositionierung der größten Wettbewerber könne eine unmittelbare Weitergabe von Preissteigerungen an die Abnehmer der Gesellschaft trotz langfristiger Verträge nicht erfolgen, weil anderenfalls der Verlust von Marktanteilen drohe. Der Prüfer habe den Wachstumsabschlag unternehmensspezifisch bemessen und auch vor dem Hintergrund empirischer Studien und einschlägiger Gerichtsentscheidungen in Spruchverfahren ansetzen können. Im Tonnage-Geschäft könne die Gesellschaft Preissteigerungen zwar aufgrund vertraglicher Vereinbarungen weiterleiten, was allerdings im Bulk-Geschäft – also der Massenlieferung von Gasen in flüssiger Form – eine erhebliche Herausforderung darstelle. Neben dem Wettbewerbsdruck der sogenannten Big Five stehe die Gesellschaft unter dem Wettbewerbsdruck regionaler Gasunternehmen auf den zahlreichen regionalen Gasmärkten. Auf dem Markt für Industriegase seien die Produkte der Marktteilnehmer größtenteils austauschbar. Die Annahme eines Wachstumsabschlags unterhalb der erwarteten Inflationsrate führe weder zu einem Schrumpfen noch gar zum Ausscheiden der Gesellschaft aus dem Markt, weil der Wachstumsabschlag bedeute, dass ein Mehrgewinn von 1% verbleibe. Auch reflektiere der Wachstumsabschlag ein rein preisgetriebenes, kein reales (Mengen-)Wachstum. Die nachhaltigen Investitionen würden inhaltlich ausschließlich Ersatzinvestitionen erfassen, die zum Erhalt der am Ende der Phase I vorhandenen Substanz notwendig seien, weshalb das Investitionsvolumen unter das der Detailplanungsphase sinken müsse, das neben Erhaltungsgerade auch Erweiterungsinvestitionen umfasse. Die Inflation in den weiteren Währungsräumen werde durch die Schätzung eines nachhaltigen Wechselkurses berücksichtigt, wodurch die Kaufkraftäquivalenz gewahrt werde. Aus einem überproportionalen Energieverbrauch lasse sich nicht zwangsläufig auf einen höheren Wachstumsabschlag schließen. Der für Zwecke des kombinierten Unternehmens L… plc. herangezogene Wachstumsabschlag von 1,25% setze sich aus einem Wachstumsabschlag von 1,0% für die L… AG und 1,5% für P…, Inc. zusammen.
64
3. Die Ermittlung des Unternehmenswerts erfasse ordnungsgemäß das nicht betriebsnotwendige Vermögen. Erlöse aus den Veräußerungen in Nord- und Südamerika sowie von Anteilen an Gemeinschaftsunternehmen dürfe man nicht als Sonderwert einordnen, weil die konsolidierte Plan-G+V-Rechnung den Abgang des Wertbeitrages bereits erfasse. Die aufgrund der Entwicklungen nicht mehr von der Planungsrechnung abgebildeten zusätzlichen Veräußerungen seien dann zutreffend mit einer Abzugsgröße als Sonderwert erfasst worden. Da die nicht betriebsnotwendige Liquidität bereits im ausschüttungsfähigen Ergebnis enthalten sei, scheide eine nochmalige Erfassung als Sonderwert aus. Die Planungsrechnung berücksichtige die Verwendung überschüssiger Liquidität für Investitionen sowie insbesondere auch zur Rückführung von Fremdkapital. Der Ansatz nicht betriebsnotwendiger Grundstücke könne nicht beanstandet werden. Bei den sonstigen Beteiligungen sei der Buchwert mit dem anteiligen bilanziellen Eigenkapitalwert verglichen und dann der jeweils höhere Wert im Interesse der Minderheitsaktionäre angesetzt worden. Das ausschüttungsfähige Ergebnis liege aufgrund der betriebsnotwendigen Thesaurierung stets unter dem Periodenergebnis. Steuerliche Verlustvorträge seien bereits in der Steuerplanung berücksichtigt worden. Kurzfristige Wertpapiere zur Geldanlage seien mit dem zutreffend ermittelten Wert von € 17 Mio. als nicht zum operativen Geschäft gehörend ausgewiesen worden. Kunstgegenstände mit einem wesentlichen Einfluss auf den Unternehmenswert gebe es bei der L… AG nicht. Der Wert der Marke „L…“ müsse nicht als Sonderwert ermittelt werden, weil die Marke als betriebsnotwendig einzustufen sei; der Einfluss immaterieller Vermögenswerte auf die finanziellen Überschüsse bilde sich in den Planzahlen ab. Mögliche künftige Standortförderungen seien als hypothetische Annahmen angesichts des Stichtagsprinzips ohne Bedeutung. Auch bei den Sonderwerten müsse es aufgrund der unterstellten Veräußerung zum Abzug typisierter persönlicher Steuern kommen.
65
4. Vorerwerbspreise seien für den Unternehmenswert ohne Bedeutung. Ebenso wenig könne die angemessene Barabfindung mit Hilfe von Multiplikatormethoden ermittelt werden.
IV.
66
1. Das Gericht hat mit Beschluss vom 16.7.2019 (Bl. 7 d.A.) – das angegebene Datum ist erkennbar ein Schreibversehen – Herrn Rechtsanwalt Dr. … W… zum gemeinsamen Vertreter der nicht selbst als Antragsteller am Verfahren beteiligten ehemaligen Aktionäre der L… AG bestellt. Mit Verfügung vom selben Tag (Bl. 8 d.A.) hat der Vorsitzende die Bekanntmachung dieser Bestellung im Bundesanzeiger veranlasst. Der gemeinsame Vertreter hält die festgesetzte Barabfindung gleichfalls für nicht angemessen.
67
a. Zur Begründung verweist er zunächst auf die nicht als plausibel anzusehende Planung der Gesellschaft.
68
(1) Dies zeige sich bereits an denkbaren Einflussnahmen der Antragsgegnerin auf die Planung, zumal Herr Dr. B1. ein Vorstandsmandat bei der L… AG wie auch der Antragsgegnerin innegehabt habe. Fraglich sei zudem, inwieweit aus dem Plan-Ist-Vergleich für das erste Halbjahr 2018 Rückschlüsse auf die Qualität der Planung zu ziehen seien. Diese stelle sich auch deshalb als fehlerhaft dar, weil ihr keine mittleren Erwartungswerte zugrunde lägen entsprechend der Quartalsmitteilung vom 14.11.2018, weshalb eine Überleitung auf mittlere Erwartungswerte erfolgen müsse. Die Stichtagserklärung übersehe, dass es durch Währungseffekte angesichts des Anstiegs der operativen Marge von 9% auf 10% keine kompensatorischen Effekte gegeben haben könne, dass eine Differenz von € 106 Mio. auf der Ebene des EBIT bei am Stichtag 12.12.2018 nahezu abgeschlossenen Geschäftsjahr viel zu hoch sei und negative Bilanzeffekte ohne Auswirkung auf den Unternehmenswert seien. Unklar bleibe, worauf die rechnerischen Unterschiede von € 403 / € 404 Mio. p.a. in der Überführung der geplanten Umsatzerlöse je Division auf die geplanten Umsatzerlöse entsprechend der aggregierten G+V-Rechnung beruhen würde. Die im Zuge des Übernahmeangebots erstellte Planung weise deutlich höhere EBIT und EBITDA-Margen für die Jahre 2019 und 2020 sowie auch für die EBITDA-Marge in 2018 auf, wobei eine Verschlechterung innerhalb der Zeit bis zum Stichtag der Hauptversammlung nicht nachvollzogen werden könne. Die von einem CAGR von 3,65% bis zum Jahr 2022 ausgehende Umsatzplanung erfolge zu pessimistisch, weil der Markt für den Unternehmensverbund mit P…, Inc. eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 6% annehme. Die Planung vernachlässige eine Vielzahl von Chancen der Gesellschaft wie beispielsweise aus der Möglichkeit des Hinzugewinnens von Marktanteilen, der Beherrschung der Technologie entlang der gesamten Wertschöpfungskette vor allem im Bereich Erdgas, deren umfassendes Know how über die effiziente Erschließung von Erdöl- und Erdgasvorkommen durch den Einsatz von Industriegasen, der Entwicklung neuer Verfahren und Techniken im Klimaschutz auch zur Reduzierung und Wiederverwertung von CO₂, aus der Stellung als Vorreiter bei der Weiterentwicklung der Wasserstofftechnologie, den regulatorischen Entwicklungen im Gesundheitswesen mit einem besseren Zugang zu umfassenden medizinischen Leistungen auch in aufstrebenden Volkswirtschaften sowie der stetigen organisatorischen und prozessbezogenen Verbesserung gerade in der Stärkung der regionalen Verantwortung. Unklar bleibe der Umfang des Vorziehens von Folgeaufträgen aus dem Vorjahr, sowie die Existenz einer Mittelverwendungsplanung in Bezug auf die Erlöse aus den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen.
69
(2) In der Division Gase negiere der Planansatz mit einem unter dem Niveau der Wettbewerber liegenden Anstieg. Nicht geklärt sei, worauf die Annahme beruhe, das Wachstum der Wettbewerber sei durch Akquisitionen getrieben. Der Ansatz eines nur begrenzten regionalen Radius entsprechend den Ausführungen auf Seite 36 des Prüfungsberichts stehe in Widerspruch zum Geschäftsbericht des Jahres 2017 mit Berichten zu Aktivitäten in über hundert Ländern und einem Umsatzanteil von 28,9% in den besonders stark wachsenden Märkten Asiens und einem dort bestehenden Vorsprung gegenüber der A… L… S.A.. Im Teilbereich Healthcare vernachlässige die Planung die sich aus der demografischen Entwicklung ergebenden Chancen. Die Planung überbetone Markteintrittsbarrieren angesichts der kapitalintensiven Verarbeitungsmethoden und der aufwändigen Transport- und Lagerlogistik bei andererseits meist langlaufenden Verträgen und der unmittelbaren Weiterbelastung von Rohstoffkosten, weshalb kein hoher Wettbewerbsdruck bestehen könne, zumal es durch langfristige Kundenbindung und die Weiterbelastung von Preissteigerungen per se zu einem Umsatzwachstum kommen müsse.
70
(3) Die Planung für die Division Engineering vernachlässige die Kombination mit dem Gase-Geschäft und der damit verbundenen Möglichkeit des Angebots „aus einer Hand“. Ebenso übersehe die Planung den Anstieg der Umsatzerlöse im ersten Halbjahr 2018 um 12,5% statt 7% und der Auftragseingänge um 60,5% mit der Erwirtschaftung von nahezu 80% der prognostizierten Erlöse bereits in den ersten neun Monaten des Jahres, weshalb ein Anstieg von 2018 bis 2020 um insgesamt lediglich 7,8% nicht plausibel sein könne. Eine Anpassung der Planung hätte angesichts der Bekanntmachung von Großaufträgen am 9.11., 16.11. und 22.11.2018 erfolgen müssen, weshalb die Planung für 2018 Umsatzerlöse von mindestens € 2,6 Mrd. zugrunde legen müsse. Dem Ansatz einer Stagnation fehle die Plausibilität, weil sich die Gesellschaft selbst als Vorreiter bei der Herstellung technischer Anlagen zur Erreichung von Klimaschutzzielen sehe. In diesem Bereich blende die Planung die Möglichkeit aus der Herstellung der Technik für Wasserstofftankstellen sowie dem Boom zur Gewinnung von Schiefergas und dessen Verflüssigung mit den daraus folgenden Aufträgen zum Bau von Fracking-Anlagen aus.
71
(4) Nicht nachvollzogen werden könne der Umsatzrückgang im ersten Planjahr um € 27 Mio. in der Division GIST, weil die Gesellschaft mit Kundenerhaltung rechne und dieser Geschäftsbereich nicht von den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen erfasst sei. Die Erklärung des Umsatzrückgangs könne nicht über Wechselkurseffekte erfolgen angesichts der Entwicklung der Inflation in Großbritannien in den Jahren 2018 und 2019 und der Berechnung der Wechselkurse über die relative Kaufpreisparitätentheorie. Unklar bleibe, wie die Planung der Unsicherheit des Fortbestands der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden Mark & Spencer Rechnung trage.
72
(5) Zu hinterfragen sei, warum sich bei den sonstigen betrieblichen Aufwendungen und sonstigen betrieblichen Erträgen der bislang positive Saldo ins Negative verkehre.
73
(6) Die angesetzte Unternehmenssteuerquote von 24,7% im Jahr 2018 und von 24,0% in den Folgejahren übersehe die Berücksichtigung von Steuersenkungsprogrammen in den USA mit einer Reduktion des für die Bundessteuer maßgeblichen Körperschaftssteuersatzes von 35% auf 21% sowie gewerbesteuerliche Effekte aus der möglichen Bildung eines Cash Pools.
74
(7) Die Aufteilung der Synergien erfolge systemwidrig, weil ohne Einbeziehung der nur bei der Gesellschaft anfallenden Effekte aus dem Kostensenkungsprogramm LIFT 54% auf die Gesellschaft entfallen müssten, nachdem auf Basis des letzten Geschäftsjahres 2017 die L… AG 63% der Gesamtumsätze erwirtschaftet habe, weshalb eine Aufteilung nach dem Verhältnis 63 : 37 als sachgerecht angesehen werden müsse. Auch berücksichtige die Planung nicht intendierte Synergien aus der Zusammenlegung der technologischen Stärken, des Know how im Bereich Forschung & Entwicklung sowie aus CAPEX.
75
(8) Die Wachstumsthesaurierung müsse unterbleiben, weil anstelle von fortgeführten Abschreibungen Investitionsraten in Ansatz gebracht worden seien. Es müsse eine Kürzung des Beitrags zur Wachstumsfinanzierung um Unternehmenssteuern erfolgen, weil die im Unternehmen verbleibenden Mittel der Erwirtschaftung von Wachstum dienen würden und die Finanzierung der Reinvestitionen durch Fremdkapital erfolge, was zu einer Verminderung der Unternehmenssteuern durch die Zinsbelastung führe.
76
(9) Unklar bleibe die Ursache für die Veränderung der Höhe der Anteile der Minderheiten.
77
b. Auch der gemeinsame Vertreter macht geltend, der Kapitalisierungszinssatz müsse zugunsten der Minderheitsaktionäre angepasst werden.
78
(1) Dies ergebe sich bereits aus einer fehlerhaften Aufzinsung.
79
(2) Bei der Ermittlung des Risikozuschlags seien die verschuldeten Beta-Faktoren bereits deshalb fehlerhaft, weil die Gesellschaft einen geplanten Verschuldungsgrad von knapp unter 100% trotz geplanter Thesaurierung von nahezu € 5 Mrd. nie erreichen werde. Auch müsse berücksichtigt werden, dass die Fremdkapitalgeber das Risko der Gesellschaft als weit unterdurchschnittlich einstufen würden, was sich an einer Anleihe über einen Milliardenbetrag mit einem festen Zinscoupon von 0,25% zeige.
80
(3) Der Wachstumsabschlag übersehe die Annahme der Gesellschaft, zusätzliches Wachstum werde aus dem weltweiten Schifffahrtsboom kommen angesichts der Verpflichtung, bis zum Jahr 2020 den Schwefelanteil im Treibstoff zu senken.
81
c. Bei der nicht betriebsnotwendigen Liquidität bleibe unklar, auf welchen tatsächlichen Grundlagen die Abgrenzung zur betriebsnotwendigen Liquidität vorgenommen worden sei. Dasselbe gelte für den Umfang der betriebsnotwendigen Liquidität aus den insgesamt vorhandenen liquiden Mitteln. Ebenso müsse hinterfragt werden, wie die Prüfer Kenntnis hinsichtlich des Vorhandenseins von Kunstgegenständen erlangt hätten und ob es Anhaltspunkte für die Teilnahme der Gesellschaft an Standortförderungsprogrammen in Polen oder anderen Staaten gebe. Der Abzug persönlicher Ertragsteuern von den Sonderwerten führe zu einer doppelten Abführung von Steuern, wenn bei der Bemessung der Abfindung bereits persönliche Ertragsteuern auf eine fiktive Ausschüttung der Veräußerungserlöse des nicht betriebsnotwendigen Vermögens in Abzug gebracht worden sei.
82
d. Keinesfalls dürfe der Börsenkurs als alleiniger Maßstab für die Bemessung der Barabfindung herangezogen werden. Dies zeige sich bereits daran, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der kartellrechtlich bedingten Veräußerungen in dem für den Börsenkurs maßgeblichen Referenzzeitraum vom 25.1.2018 bis zum 24.4.2018 noch gar nicht bekannt gewesen seien. Daher fehle es an der Möglichkeit einer effektiven Informationsbewertung durch die Marktteilnehmer, weshalb der Anteilswert nicht unter Rückgriff auf den Börsenkurs ermittelt werden könne. Die Mitteilung über die Auflagen der USamerikanischen Federal Trade Commission seien erst am 22.10.2018 und damit weit nach dem Ende des Referenzzeitraums an die Kapitalmärkte kommuniziert worden.
83
2. Das Gericht hat mit Beschluss vom 17.11.2020 (Bl. 1752/1771 d.A.) unter Aufhebung des auf den 2.12./3.12.2020 anberaumten Termins die Abfindungsprüfer gebeten, in einer schriftlichen Stellungnahme zu den Rügen der Antragsteller ergänzend Stellung zu nehmen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30.3./31.3.2023 hat das Gericht die Abfindungsprüfer Dr. P… und Dr. E… mündlich angehört und mit Beschluss vom 31.3.2013 (Bl. 2399 Rs.) gebeten, zu einzelnen Bewertungsparametern ergänzend schriftlich Stellung zu nehmen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen und schriftlichen Anhörung der Abfindungsprüfer wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.3./31.3.2023 (Bl. 2366/2400 d.A.) sowie die allen Verfahrensbeteiligten zugestellten schriftlichen Stellungnahmen vom 17.3.2022 (Bl. 1834/1980 d.A.) und vom 25.4.2021 (Bl. 2402/2412 d.A.).
V.
84
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.3./31.3.2023 (Bl. 2366/2400 d.A.).
B.
85
Die Anträge auf Festsetzung einer höheren Barabfindung sind zulässig, aber nicht begründet.
I.
86
Die Anträge aller Antragsteller sind zulässig.
87
1. Die Antragsteller sind jeweils antragsbefugt im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 SpruchG, weil sie ausgeschiedene Aktionäre der L… AG im Sinne des § 1 Nr. 3 SpruchG sind. Maßgebender Zeitpunkt für die Aktionärseigenschaft kann dabei angesichts der Besonderheiten des auf § 62 Abs. 5 UmwG gestützten umwandlungsrechtlichen Squeeze out indes nicht die Eintragung des Squeeze out-Beschlusses im Handelsregister der Custodia Holding Aktiengesellschaft sein; vielmehr ist die Eintragung des Verschmelzungsbeschlusses am 8.4.2019 in das Handelsregister der Antragsgegnerin maßgebend, weil erst durch diese Eintragung die Minderheitsaktionäre ihre Stellung als Aktionäre der Gesellschaft aufgrund der Regelung in § 62 Abs. 5 Satz 1 und Satz 7 UmwG verlieren; der Squeeze out-Beschluss wird nach diesen rechtlichen Vorgaben nämlich erst gleichzeitig mit der Eintragung der Verschmelzung im Register des Sitzes der übernehmenden Aktiengesellschaft, mithin der Antragsgegnerin, wirksam. Die Antragsgegnerin hat den entsprechenden Vortrag aller Antragsteller entweder von vornherein nicht bestritten oder im Laufe des Verfahrens unstreitig gestellt bzw. nicht mehr bestritten, weshalb er gemäß §§ 8 Abs. 3 SpruchG, 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.
88
2. Die Anträge wurden jeweils fristgerecht innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Nr. 3 SpruchG beim Landgericht München I eingereicht, also innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Bekanntmachung der Eintragung des Verschmelzungsbeschlusses entsprechend den Vorgaben aus § 10 HGB. Die Bekanntmachung der Eintragung des Verschmelzungsbeschlusses als wesentliches Ereignis, das zum Ausscheiden der Minderheitsaktionäre führte und auf das bezüglich des maßgeblichen Datums der Bekanntmachung abgestellt werden muss, erfolgte am 9.4.2019, weshalb die Frist dann am Dienstag, den 9.7.2019 endete. An diesem Tag gingen spätestens ausweislich der Gerichtsakte alle Anträge zumindest per Telefax und folglich fristwahrend beim Landgericht München I ein.
89
3. Alle Antragsteller haben innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG ordnungsgemäß begründete Anträge gestellt, wie es von § 4 Abs. 2 Satz 2 SpruchG verlangt wird.
90
a. Dies gilt zunächst auch für die Antragsteller, soweit sie vorgetragen haben, im Zeitpunkt der Eintragung des Squeeze out Aktionäre der L… AG gewesen zu sein, mithin am 6.4.2019, auch wenn dieser Tag aus den oben dargelegten Gründen nicht maßgeblich sein kann. Die entsprechenden Erklärungen sind der Auslegung dergestalt zugänglich, dass sich der Vortrag auf das Wirksamwerden des Verschmelzungsvertrages durch Eintragung im Handelsregister der Antragsgegnerin als übernehmenden Rechtsträger bezieht.
91
Dabei dürfen an die Tiefe der Darlegung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Bei einem Spruchverfahren handelt es sich – ungeachtet der sich vor allem aus §§ 8 Abs. 3, 9 SpruchG ergebenden teilweisen Annäherung an zivilprozessuale Grundsätze – um ein solches der freiwilligen Gerichtsbarkeit, für das kein Anwaltszwang besteht. Dieser Umstand muss bei der Auslegung dieser Antragsschriftsätze, die zumindest zum Teil von nicht anwaltlich vertretenen ehemaligen Aktionären stammen, berücksichtigt werden. Das maßgebliche Verfahrensrecht verweist in § 3 Satz 1 Nr. 2 SpruchG auf die Antragsberechtigung des ausgeschiedenen Aktionärs, wenn auf die Regelungen in § 1 Nr. 3 SpruchG über die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens nach einem Squeeze out verwiesen wird. Entscheidend ist demgemäß die Darlegung des Aktionärs, durch einen Squeeze out die Aktionärseigenschaft verloren zu haben. Zwar musste der Gesetzgeber diese gesetzlichen Regelungen nicht anpassen, weil sich aus der Gesetzessystematik aus § 62 Abs. 5 UmwG ergibt, dass zwingend die Eintragung des Verschmelzungsbeschlusses maßgeblich sein muss, nachdem – wie bereits ausgeführt – erst hierdurch die Aktionärseigenschaft verloren geht. Die Kenntnis dieses Zusammenspiels unterschiedlicher materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften kann aber namentlich von anwaltlich nicht vertretenen Antragstellern nicht erwartet werden. Zudem ist bei der Auslegung verfahrensrechtlicher Bestimmungen zu berücksichtigen, dass es oberstes Ziel jeder Auslegung sein muss, möglichst dem materiellen Recht im Prozess zur Durchsetzung zu verhelfen und zu verhindern, dass der Prozess zum Rechtsverlust aufgrund einer zu strikten Auslegung von Verfahrensvorschriften führt (vgl. BVerfGE 84, 366, 369 f. = NJW 1992, 105; BGH NJW-RR 2010, 357; G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., Einleitung Rdn. 53). Deshalb muss auch der Vortrag anwaltlich vertretener Antragsteller in diese Richtung ausgelegt werden. Es muss genügen, wenn sich aus der Antragsschrift jeweils ergibt, dass der Antragsteller oder die Antragstellerin infolge der aktienrechtlichen Strukturmaßnahme eines Squeeze out die Aktionärsstellung verloren hat. Dies haben alle Antragsteller hinreichend dargelegt.
92
b. Alle Antragsteller haben innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG konkrete Einwendungen gegen die Angemessenheit der Kompensation erhoben, weshalb die Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 SpruchG erfüllt sind. Aufgrund dieser Vorschrift sind konkrete Einwendungen gegen die Angemessenheit nach § 1 SpruchG oder gegebenenfalls den als Grundlage für die Kompensation ermittelten Unternehmenswert in die Antragsbegründung aufzunehmen.
93
(1) Die Anforderungen an die Konkretisierungslast dürfen nicht überspannt werden. Für die Konkretisierung der Mindestanforderungen ist zunächst auf die vom Gesetzgeber beabsichtigte Funktion der Vorschrift abzustellen, die Überprüfung der Angemessenheit der Kompensation und der hierfür maßgeblichen Unternehmensbewertung im Wesentlichen auf die von den einzelnen Antragstellern vorzubringenden Rügen zu beschränken (vgl. nur Büchel NZG 2003, 793, 795). Allerdings darf hierbei nicht vernachlässigt werden, dass der Gesetzgeber es bewusst unterlassen hat, das Spruchverfahren vollständig aus der amtswegigen Prüfung zu lösen und in das Verfahren der ZPO zu überführen (kritisch hierzu Puszkajler ZIP 2003, 518, 520). Durch die Begründungspflicht sollen bloße pauschale und schemenhafte Bewertungsrügen ausgeschlossen werden (vgl. Wasmann WM 2004, 819, 823; Lamb/Schluck-Amend DB 2003, 1259, 1262). Allerdings darf dies nicht zu überzogenen Anforderungen führen, da zugleich berücksichtigt werden muss, dass der Hauptaktionär bzw. die betroffene Gesellschaft im Unterschied zum einzelnen Aktionär über eine Vielzahl von Detailkenntnissen verfügt und die jeweiligen Unternehmens- und Prüfungsberichte erhebliche Unterschiede bezüglich ihrer Ausführlichkeit und Detailliertheit aufweisen können sowie teilweise ebenfalls recht allgemein gehaltene Ausführungen enthalten (vgl. Puszkajler ZIP 2003, 518, 520 f.; Bungert/Mennicke BB 2003, 2021, 2026; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 4 SpruchG Rdn. 24). Aus dem Gesetzeszweck sowie dem Erfordernis der Konkretheit der Einwendungen ist somit zu schließen, dass bloß pauschale Behauptungen oder formelhafte Wendungen ohne konkreten und nachvollziehbaren Bezug zu der zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Kompensation und der ihr zu Grunde liegenden Unternehmensbewertung nicht als ausreichend angesehen werden können (vgl. BGH NZG 2012, 191, 194 = ZIP 2012, 266, 269 = WM 2012, 280, 283 = DB 2012, 281, 284; Koch, AktG, 17. Aufl., Anh. § 305 § 4 SpruchG Rdn. 8; Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand: 1.7.2023, § 4 Rdn. 24). Zu fordern ist, dass die vorgebrachten Einwendungen sich auf solche Umstände oder Bewertungsparameter beziehen, die für die Bestimmung der angemessenen Kompensation für die im Streit stehende Strukturmaßnahme rechtlich von Relevanz sein können (vgl. OLG Frankfurt NZG 2006, 674 f.; 2007, 873 f.; LG München I Der Konzern 2010, 251, 252 f. = ZIP 2010, 1995, 1996; ZIP 2013, 1664, 1665; ZIP 2015, 2124, 2126 f.; Beschluss vom 22.6.2022, Az. 5 HK O 16226/08, S. 22 f.; Beschluss vom 25.8.2023, Az. 5HK O 12034/21).
94
Die Gegenansicht (vgl. KG NZG 2008, 469, 470 = AG 2008, 451 f.; AG 2012, 795, 796; Wittgens NZG 2007, 853, 855), wonach die Anforderungen an die Substantiiertheit einer Bewertungsrüge generell hoch seien, wird dem Wesen des Spruchverfahrens gerade auch mit Blick auf das Informationsgefälle zwischen dem von dem Squeeze out betroffenen Minderheitsaktionären und der Aktiengesellschaft bzw. deren Hauptaktionärin nicht gerecht. Sie überspannt auch die Anforderungen an die Antragsteller, nachdem vielfach auch in den – einander ähnlichen – Bewertungsgutachten die näheren Daten zur Ermittlung der Marktrisikoprämie nicht offengelegt werden und zur Begründung häufig im Wesentlichen auf die Erkenntnisse des Fachausschusses Unternehmensbewertung (FAUB), wie sie im aktuellen IDW S. 1 und anschließenden Verlautbarungen des IDW niedergelegt wurden, verwiesen wird. Dann aber von den Antragstellern fast schon wissenschaftlich fundierte Widerlegungen und Berechnungen zu fordern, übersteigert die Anforderungen an eine zulässige Bewertungsrüge und wäre namentlich auch mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten und damit verfassungsrechtlich abgesicherten Justizgewährleistungsanspruch des Grundgesetzes nicht vereinbar.
95
Es genügt, wenn einzelne Parameter mit einer nachvollziehbaren Begründung in Frage gestellt werden. Dies ist hier von allen Antragstellern zumindest in Bezug auf einen Bewertungsfehler in den jeweiligen Antragsschriften geschehen.
96
(2) Diesen Anforderungen werden im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin alle Antragsschriften gerecht.
97
(a) Der Antragsteller zu 2), der die Aufrundung beim Basiszinssatz als nicht sachgerecht bezeichnete und auf die sinkende Tendenz des Basiszinssatzes verwies. Auch der Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München zu einer Marktrisikoprämie von 5,0% nach Steuern muss als hinreichend konkret bezeichnet werden, da der Antragsteller konkret zwei Beschlüsse dieses Gerichts nannte. Es wäre eine leere Förmlichkeit zu verlangen, er müsse die entsprechenden Passagen in seinen Antrag als wörtliches Zitat einfügen.
98
(b) In gleicher Weise haben die Antragsteller zu 59) und 60) Einwendungen gegen die festgesetzte Marktrisikoprämie in Höhe von 5,5% erhoben, indem sie auf eine fehlende Begründung verwiesen, warum der Mittelwert der ohnehin zutreffend von 4,5% auf 5,5% nach persönlichen Steuern erhöht wurden und nicht die Untergrenze herangezogen worden sei. Dabei verwiesen sie auf eine enorme Schwankungsbreite empirischer Befunde zur Marktrisikoprämie. Zudem verlangten sie, den unternehmenseigenen Beta-Faktor auf 0,72 herabzusetzen. Diese Erwägungen zu zwei wesentlichen Parametern innerhalb der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes müssen als ausreichend angesehen werden; eine lediglich formelhafte Begründung liegt nicht vor.
99
(c) Hinreichend konkrete Rügen gegen die Angemessenheit der Kompensation machen auch die Antragsteller zu 68) und 71) geltend, wenn sie unter Hinweis auf die allein mögliche Alternativanlage zu aktuell zum Stichtag der Hauptversammlung gültigen Zinssätze verweisen. In gleicher Weise hinreichend kritisiert wird der Ansatz des Wachstumsabschlages unterhalb der Inflationsrate. Ebenso wird die Marktrisikoprämie unter Hinweis auf die bei einer Überrendite von 5,5% nach Steuern folgende, nicht realistische Verdoppelung des DAX als unrealistisch hoch bezeichnet. Damit aber werden alle Komponenten des Kapitalisierungszinssatzes hinreichend in Frage gestellt. Dann aber kann es für die Zulässigkeit nicht mehr darauf ankommen, dass die Rüge zu den Planungsrechnungen nicht hinreichend konkretisiert sein wird; es muss genügen, wenn wenigstens ein Aspekt den Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Satz 1 SpruchG genügt (vgl. LG München I, Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15).
100
(d) Der Antragsteller zu 128) bezog sich ebenfalls auf das aktuelle Zinsniveau zur Begründung für einen überhöhten Basiszinssatz und beim Wachstumsabschlag auf die aktuelle Inflation als Maßstab, so dass auf die obigen Ausführungen unter B. I. 3. b. (3) Bezug genommen werden kann.
101
(e) Der Antragsteller zu 226) setzt sich mit der Ermittlung der Marktrisikoprämie auseinander und hält in Übereinstimmung mit Teilen der betriebswirtschaftlichen Literatur das niedrigere geometrische Mittel für sachgerecht zur Ableitung der Marktrisikoprämie. Auch stützt er sich auf Ausführungen der in Spruchverfahren sehr erfahrenen 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main mit dem langjährigen Vorsitzenden Richter Dr. M. und auf Entscheidungen anderer Gerichte.
102
Damit hat aber keiner der Antragsteller, bei denen die Antragsgegnerin die hinreichende Konkretisierung einer Bewertungsrüge vermisst und dies gerügt hat, lediglich formelhafte Wendungen gegen die Angemessenheit der zu leistenden Kompensation vorgebracht. Für die Frage, inwieweit Antragsteller eine hinreichend konkrete Rüge erhoben haben, kann nicht ausschlaggebend sein, ob die Angaben richtig oder schlüssig sind oder sich aus ihnen eine erhebliche Erhöhung der Kompensation ableiten lässt. Inwieweit sich daraus tatsächlich eine höhere Barabfindung ergibt, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags (so KG NZG 2012, 1427, 1428 = AG 2002, 795; LG München I, Beschluss vom 26.7.2019, Az. 5HK O 13831/17; Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand: 1.10.2023, § 4 SpruchG Rdn. 24) Ein schlüssiger Vortrag kann daher nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung angesehen werden (so indes nicht überzeugend Leuering in: Simon, SpruchG, 1. Aufl., § 4 Rdn. 34; Wittgens NZG 2007, 853, 855).
103
4. Soweit die Antragsgegnerin bei einigen Antragstellerinnen die Beteiligten- oder Verfahrensfähigkeit in Frage gestellt hat, kann dem nicht gefolgt werden. Die Voraussetzungen der §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 1 FamFG sind erfüllt, wonach beteiligtenfähig natürliche und juristische Personen sind. Die Antragstellerinnen zu 31), zu 33), zu 37), zu 41), zu 142), zu 153) und zu 208) sind beteiligtenfähig.
104
a. Die Antragstellerinnen zu 31), zu 33), zu 37) und zu 41) waren nach dem von der Antragsgegnerin nicht mehr bestrittenen und damit gemäß §§ 8 Abs. 3 SpruchG, 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vortrag vor 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR gegründet und dort enteignet worden. Mit ihrem außerhalb der DDR belegenen Restvermögen bestand die Gesellschaft im Bundesgebiet fort. Es ist in der Rechtsprechung weithin anerkannt, dass dem Inhaber eines Rechts durch eine innerhalb des Staatsganzen territorial begrenzten Enteignungsmaßnahme nicht mit Wirkung auch für außerhalb dieses Territoriums gelegene Gebiete Vermögenswerte entzogen werden dürfen. Andernfalls würde der Enteignungsmaßnahme entgegen dem völkerrechtlichen Grundsatz mittelbar eine Wirkung beigelegt, die über das Territorium, auf das sie beschränkt ist, hinausgehen würde (vgl. BGHZ 33, 195, 199 = NJW 1961, 21, 32; BGHZ 25, 134, 140 = NJW 1957, 1433, 1434 für Enteignungen in der CSSR; OLG Frankfurt NJW 1954, 644; OLG Düsseldorf NJW 1950, 470, 471). Dann aber müssen diese Gesellschaften auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland wenigstens als Liquidationsgesellschaft fortbestehen, selbst wenn das Recht der Sowjetischen Besatzungszone durch die Eintragung zu ihrem Erlöschen geführt haben sollte. Nach der Wiedervereinigung ist die Gesellschaft nunmehr im ganzen Bundesgebiet existent und kann dort gesellschaftlich tätig werden (vgl. BGH NZG 2007, 429 = ZIP 2007, 1028 = WM 2007, 859, 860 = NJW-RR 2007, 1182, 1183).
105
b. Die Antragstellerin zu 142) ist als nach dem Recht der British Virgin Island gegründete Limited beteiligtenfähig, weil sie die Fähigkeit besitzt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Dies muss nach dem maßgeblichen Personalstatut bejahrt werden, wobei es nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, ob die Antragstellerin zu 142) den Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit auf den British Virgin Island ausübt.
106
(1) Die Gründungstheorie kann vorliegend keine Anwendung finden. Die Antragstellerin zu 142) mit ihrem Verwaltungssitz in einer der Überseegebiete im Sinne der Art. 189 ff. AEUV kann sich nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union mit Wirkung zum 1.2.2020 und dem Ablauf des in Art. 126 des Austrittsübereinkommens bestimmten Übergangszeitraums am 31.12.2020 nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit aus Artikel 49, 54 AEUV, sollte diese je auf sie anwendbar gewesen sein, selbst wenn es sich bei ihr um eine Briefkastenfirma handeln sollte (bejahend für diesen Fall BGH NJW 2004, 3706, 3707 = AG 2005, 39, 40 = ZIP 2095, 2096 = BB 2004, 2432, 2433 wohl auch BGH DB 2010, 1581 = ZIP 2010, 1233, 1234 = AG 2010, 545, 546 = GmbHR 2010, 819, 820 = JR 2011, 88, 89 = NStZ 2010, 632, 633; verneinend dagegen LG München I IPrax 2021, 285, 287 f.; Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, a.a.O., § 4 a Rdn. 43; Heinze in: Münchener Kommentar zum GmbHG, a.a.O., § 4 a Rdn. 24; Kraft in: Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 3. Aufl., Teil 2 8. Kap. Rdn. 25; Thole DNotZ 2006, 143, 146 f. Kindler EuZW 2012, 888, 891 f.; König/Bormann EuZW 2012, 1241, 1243 f.; König/Bormann NZG 2012, 1241, 1243; Böttcher/Kraft NJW 2012, 2701, 2703 f. Mörsdorf/Jopen ZIP 2012, 1398, 1399).
107
(2) Ungeachtet dessen muss aber die Beteiligtenfähigkeit bejaht werden. Wenn die Antragstellerin zu 142) ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Tortola haben sollte und es sich dabei nicht um eine reine Briefkastenfirma handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Aufnahmeeinrichtung im Aufnahmestaat ausübt (vgl. EuGH NJW 2012, 2715, 2717 = NZG 2012, 871, 873 = ZIP 2012, 1394 1396 = WM 2012, 2154, 2156 f. = DB 2012,1614, 1615 = DB 2012, 2069, 2070 = NZI 2012, 937, 939 – VALE), wäre das Recht der British Virgin Islands anwendbar, wonach sie als Limited rechtsfähig wäre. Sollte dies indes nicht der Fall sein, dann müsste die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerin zu 142) aus einer analogen Anwendung von §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG und § 50 Abs. 2 ZPO bejaht werden.
108
(a) Es muss aber bereits davon ausgegangen werden, es könne nicht hingenommen werden, dass eine Gesellschaft, die in Deutschland am Geschäftsverkehr teilnimmt, nicht die Möglichkeit haben soll, ihre begründeten Rechte klageweise geltend zu machen (vgl. BGHZ 178, 192, 199 = NJW 2009, 289, 291 = NZG 2009, 68, 70 = AG 2009, 84, 86 = ZIP 2008, 2411, 2413 = WM 2009, 20, 22 = DB 2008, 2825, 2827 = DB 2009, 14, 16 = GmbHR 2009, 138, 140 – Trabrennbahn; LG München I IPrax 2021, 285, 289). Diese Situation muss aber als hier gegeben angenommen werden, weil die Antragstellerin Aktien einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft erworben hat.
109
(b) Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen will, müsste die Beteiligtenfähigkeit über §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG und § 50 Abs. 2 ZPO bejaht werden. Nach der Vorschrift des § 50 Abs. 2 ZPO, der insoweit ein auch für das Spruchverfahren maßgeblicher Rechtsgedanke zugrunde liegt, kann ein nicht rechtsfähiger Verein klagen und verklagt werden. Dieser Regelung ist aber ein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, dass in einem Fall wie hier, in dem eine Personifikation, die nach ihrem Personalstatut wie vorliegend die Klägerin so organisiert ist wie eine inländische Einrichtung, allgemein Partei- bzw. hier Beteiligtenfähigkeit zukommen muss (vgl. LG München I IPrax 2021, 285, 289; Lindacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl., § 50 Rdn. 56; auch Althammer in: Zöller, ZPO, a.a.O., § 50 Rdn. 32; Geimer in: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Rdn. 2203).
110
c. Nichts anderes kann für die Antragstellerin zu 208) gelten, auch wenn sie ein Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit ist. Sie nimmt am Rechtsverkehr teil, wie sich bereits aus der Zuteilung einer BCE-Unternehmensnummer ergibt; zudem erwarb sie Aktien der L… AG und unterhält ein entsprechendes Depot bei der Bethmann Bank. Angesichts dessen muss die Kammer nicht entscheiden, inwieweit die Antragstellerin zu 208) nach belgischem Recht Rechtsfähigkeit besitzt, so dass sie entsprechend den Grundsätzen zur Niederlassungsfreiheit auch in Deutschland Rechtsfähigkeit und damit Beteiligtenfähigkeit besitzen würde.
111
d. In Bezug auf den Antragsteller zu 153) hat die Kammer keine Zweifel an seiner Existenz aufgrund einer wirksamen Gründung im US-Bundesstaat Ohio und damit an seiner Beteilitgtenfähigkeit. Er kann erkennbar Träger von Rechten und Pflichten sein, weil anderenfalls kein Nachweis seiner Aktionärseigenschaft durch die zuständige Bank hätte erfolgen können.
112
5. Die Antragstellerin zu 31) ist verfahrensfähig im Sinne der §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 9 Abs. 3 1. Alt. FamFG, weil sie durch ihre Nachtragsliquidatorin handeln kann. Frau Karin D. wurde entsprechend dem als Anlage AG zum Schriftsatz der Antragstellerinnen zu 31), zu 33), zu 37) und zu 41) vom 30.7.2020 (Bl. 1202/1206 d.A.) vorgelegten Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.3.2006, Az. 90 AR 229/00 auf Antrag der hiesigen Antragstellerin zu 3) zur Nachtragsliquidatorin der Antragstellerin zu 31) bestellt. Angesichts dessen kann an der Verfahrensfähigkeit der Antragstellerin zu 31) kein Zweifel bestehen.
113
6. Der Antrag des Antragstellers zu 128) ist hinreichend bestimmt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, er habe in seinem Antrag unter 1. „..für die ausgeschiedenen Aktionäre der Areal Immobilien und Beteiligungs AG…“ formuliert. Eine Auslegung dieses Antrags entsprechend den hierzu oben beschriebenen Grundsätzen im Gesamtzusammenhang des Antragsschriftsatzes ergibt, dass es sich bei der Benennung einer anderen Gesellschaft als der L… AG um ein Schreibversehen handeln muss. Auf Seite 2 verweist der Antragsteller bei der Beschreibung der Antragszuständigkeit auf das Landgericht am Sitz des Rechtsträgers und benennt hierbei ausdrücklich die L… AG. Ebenso verweist er im Zusammenhang mit der Marktrisikoprämie auf die Ermittlung des Ertragswerts der L… AG sowie die Notwendigkeit des Heranziehens des unternehmenseigenen Beta-Faktors dieser Gesellschaft. Im Zusammenhang mit behördlichen Aufgaben nennt er die Meldung der L… AG. Dann aber steht außer Frage, dass in dem Antrag tatsächlich die L… AG gemeint sein muss.
114
7. Eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung mit der Folge des Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses kann nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass ein Teil der Antragsteller auch Organfunktionen für in der Rechtsform der juristischen Person organisierten anderen Antragstellerinnen wahrnimmt. Aus einem bestehenden wirtschaftlichen Interesse eines auch andere Antragstellerin gegebenenfalls beherrschenden Aktionärs kann nicht auf einen Rechtsmissbrauch geschlossen werden. Auch den in der Rechtsform einer juristischen Person organisierten Antragstellerinnen steht das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG zu, weil sie sich gemäß Art. 19 Abs. 3 GG als juristische Person auf die Institutsgarantie des Eigentums berufen können (vgl. BVerfGE 4, 7, 17 = NJW 1954, 1235, 1236; BVerfGE 53, 336, 345; Remmert in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 100. EL Januar 2023, Art. 19 Abs. 3 Rdn. 102; Antoni in: Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 13. Aufl., Art. 19 Rdn. 10). Dann aber müssen auch diese Antragstellerinnen die Möglichkeit haben, die Kompensation als Ausgleich für den Eingriff in ihr Eigentumsgrundrecht im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens in dem Spruchverfahren zur Überprüfung durch ein Gericht zu stellen (vgl. auch OLG Brandenburg AG 2023, 123, 125).
II.
115
Die Anträge sind jedoch nicht begründet, weil die Barabfindung in Höhe von € 189,46 als angemessen angesehen werden muss.
116
Aufgrund von §§ 62 Abs. 5 Satz 8, 327 b Abs. 1 Satz 1 AktG legt der Hauptaktionär die Höhe der Barabfindung fest; sie muss die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen. Die Barabfindung ist dann angemessen, wenn sie dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist, die also den vollen Wert seiner Beteiligung entspricht. Unter Berücksichtigung des Eigentumsgrundrechts aus Art.14 Abs. 1 GG muss der Aktionär einen vollständigen wirtschaftlichen Ausgleich für die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung als Aktionär gewährt werden. Hierzu muss der „wirkliche“ oder „wahre“ Wert des Anteilseigentums widergespiegelt werden. Zu ermitteln ist also der Grenzpreis, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann (vgl. nur BGH NJW 2023, 2114, 2116 = NZG 2023, 937, 939 = AG 2023, 443, 444 = ZIP 2023, 795, 796 = WM 2023, 714, 716 = DB 2023, 953, 954 = Der Konzern 2013, 217, 219; OLG München WM 2009, 1848 f. = ZIP 2009, 2339, 2340; ZIP 2007, 375, 376; AG 2020, 133, 134 f. = WM 2019, 2104, 2106; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG Düsseldorf ZIP 2022, 1269, 1271; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514 = ZIP 2012, 124, 126; Beschluss vom 28.3.2014, Az. 21 W 15/11, zit. nach juris; OLG Stuttgart ZIP 2010, 274, 276 = WM 2010, 654, 646; OLG Frankfurt AG 2017, 790, 791 = Der Konzern 2018, 74, 75; OLG Düsseldorf AG 2019, 92, 94 = ZIP 2019, 370, 373 = DB 2018, 2108, 2111; LG München I AG 2016, 51, 52 = ZIP 2015, 2124, 2127; Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5HK O 17096/11; Beschluss vom 22.2.2022, Az. 5HK O 16226/08; Beschluss vom 25.8.2023, Az.5HK O 12034/21).
117
Der für die Abfindung der Aktien maßgebliche Unternehmenswert wurde dabei im Ausgangspunkt zutreffend unter Anwendung der Ertragswertmethode ermittelt, bei der es sich um eine in der Wissenschaft wie auch der Praxis anerkannte Vorgehensweise handelt (vgl. hierzu nur Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 8. Aufl., S. 353), die folglich auch der Ermittlung des Unternehmenswertes der L… AG zugrunde gelegt werden kann. Danach bestimmt sich der Unternehmenswert primär nach dem Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens; er wird ergänzt durch eine gesonderte Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, das regelmäßig mit dem Liquidationswert angesetzt wird.
118
Der Ertragswert eines Unternehmens wird dabei durch Diskontierung der den Unternehmenseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse gewonnen, die aus den künftigen handelsrechtlichen Erfolgen abgeleitet werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es einen exakten oder „wahren“ Unternehmenswert zum Stichtag nicht geben kann. Vielmehr kommt dem Gericht die Aufgabe zu, unter Anwendung anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden den Unternehmenswert als Grundlage der Abfindung im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zu bestimmen (vgl. nur BGHZ 208, 265, 272 = NZG 2016, 461, 462 = AG 2016, 359, 360 f. = ZIP 2016, 666, 668 = WM 2016, 711, 713 f. = DB 2016, 883, 885 = MDR 2016, 658 f. = NJW-RR 2016, 610, 611 f.; OLG München WM 2009, 1848, 1849 = ZIP 2009, 2339, 2340; AG 2007, 287, 288; NZG 2022, 362, 364 f.; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; Beschluss vom 9.4.2021, Az. 31 Wx 2/19; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 130; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2224; AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71, 72 = WM 2016, 1685, 1687; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514 = ZIP 2012, 124, 126; LG München I Der Konzern 2010, 188, 189; AG 2016, 51, 52 = ZIP 2015, 2124, 2127; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 16513/11; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5HK O 5884/20; Beschluss vom 25.8.2023, Az. 5HK O 12034/23). Dabei ist es nicht geboten, zur Bestimmung des wahren „Wertes“ stets jede denkbare Methode der Unternehmensbewertung heranzuziehen oder die Kompensationsleistung nach dem Meistbegünstigungsprinzip zu berechnen. Demgemäß müssen gerade nicht die für die Minderheitsaktionäre stets günstigsten Zahlen herangezogen werden. Verfassungsrechtlich geboten sind nur die Auswahl einer im vorliegenden Fall geeigneten, aussagekräftigen Methode und die gerichtliche Überprüfbarkeit ihrer Anwendung (vgl. BVerfG NJW 2011, 2497, 2498 = NZG 2011, 869, 870 = AG 2011, 511 f. = ZIP 2011, 1051, 1053 = WM 2011, 1074, 1075 f. = BB 2011, 1518, 1520; NZG 2012, 907, 908 f. = AG 2012, 625, 626 = ZIP 2012, 1408, 1410 = WM 2012, 1374, 1375 = BB 2012, 2780 f.; OLG München AG 2020, 133, 134 = WM 2019, 2104, 2106; Beschluss vom 30.7.2018, Az. 31 Wx 136/16; OLG Düsseldorf AG 2016, 864, 865). Die Ertragswertmethode ist – wie ausgeführt – in Rechtsprechung und Literatur wie auch der bewertungsrechtlichen Praxis weithin anerkannt. Auch bei dem Standard IDW S1 handelt es sich um eine fachliche Bewertungsweise, mit deren Hilfe der Ertragswert bestimmt werden kann. Die Kammer sieht diese Methode, auch wenn sie von einem privaten Verein entwickelt wurde und daher keinen bindenden Rechtsnormcharakter haben kann, als zur Unternehmenswertermittlung geeignet an, weshalb sie hier zugrunde gelegt werden kann (vgl. auch OLG Düsseldorf AG 2023, 129, 130; 284, 287).
119
Die Möglichkeit, den Unternehmenswert anhand des Ertragswertverfahrens entsprechend den Grundsätzen des IDW S1 sachgerecht zu ermitteln, zeigt sich letztlich auch aus der Wertung der §§ 199 ff. BewG. Aufgrund von § 201 BewG bildet der zukünftig nachhaltig zu erzielende Jahresertrag die Grundlage für die Bewertung bei steuerlichen Anlässen. Dieses Verfahren ist zwar von Typisierungen und Vereinfachungen geprägt, um die steuerliche Abwicklung zu erleichtern (vgl. Krumm in: Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, 39. Erg.Lfg, Stand: Oktober 2021, Kap. 94 Rdn. 25), orientiert sich aber von der Methodik her an den Grundsätzen des Ertragswertverfahrens entsprechend dem Standard IDW S1, wie es sich in der – auch von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung gebilligten – Praxis durchgesetzt hat. Der Gesetzgeber geht in §§ 199 ff. BewG sehr wohl davon aus, dass sich der Unternehmenswert auf diese Art und Weise durch Kapitalisierung der künftig zu erzielenden Überschüsse ermitteln lässt, wie dies auch dem Standard IDW S1 zugrunde liegt (vgl. auch OLG München AG 2020, 133, 136 = WM 2019, 2104, 2113 f.). Daher ist den im Hinweisbeschluss des Landgerichts Köln, Az. 82 O 2/16 geäußerten Zweifeln an der Tragfähigkeit der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts nach dem Standard IDW S1 nicht zu folgen.
120
Diesem Ansatz lässt sich auch nicht entgegenhalten, die Berechnung müsse in Anlehnung an die Best Practice-Empfehlungen der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management zumindest plausibilisiert werden. Die Ertragswertmethode ist in der betriebswirtschaftlichen Lehre und Praxis weithin anerkannt und üblich, weshalb sie entsprechend den Vorgaben insbesondere auch des BGH der Ermittlung des Unternehmenswerts als Grundlage der angemessenen Barabfindung bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen zugrunde gelegt werden kann. Angesichts dessen bedarf es nicht zwingend einer weiteren Überprüfung durch eine andere Methode, die zudem nicht unerheblicher Kritik in der Fachliteratur ausgesetzt ist, weil das Konzept des markttypischen Erwerbers sich vom relevanten Bewertungsobjekt unzulässiger Weise entferne und es auch zu einer unzulässigen Doppelberücksichtigung der Unsicherheit im Bewertungskalkül komme (vgl. Olbrich/Rapp CF 2012, 233 ff.; auch Quill, Interessengeleitete Unternehmensbewertung – Ein ökonomisch-soziologischer Zugang zu einem neuen Objektivismusstreit, Diss. Universität des Saarlandes, 2016, S.330 f.). Auf eine variable Bandbreite abzielende Empfehlungen sind keinesfalls besser geeignet als die Ertragswertmethode, weil eine Bandbreite keine angemessene Barabfindung darstellen kann, nachdem diese auf einen bestimmten Betrag lauten muss.
121
Für die L… AG ergibt sich zum Stichtag der Hauptversammlung vom 12.12.2018 auf dieser Grundlage ein Unternehmenswert von € 35,17 Mrd. und damit eine Abfindung von € 189,46 je Aktie.
122
1. Grundlage für die Ermittlung der künftigen Erträge ist die Planung der Gesellschaft, die auf der Basis einer Vergangenheitsanalyse vorzunehmen ist und vorliegend auch vorgenommen wurde. Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens sind die in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und die darauf aufbauenden Prognosen ihrer Erträge allerdings nur eingeschränkt überprüfbar. Sie sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen haben auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen aufzubauen; sie dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein. Kann die Geschäftsführung auf dieser Grundlage vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, darf diese Planung nicht durch andere – letztlich ebenfalls nur vertretbare – Annahmen des Gerichts oder anderer Verfahrensbeteiligter ersetzt werden (vgl. BVerfG NJW 2012, 3020, 3022 = NZG 2012, 1035, 1037 = AG 2012, 674, 676 = ZIP 2012, 1656, 1658 = WM 2012, 1683, 1685 f.; OLG München BB 2007, 2395, 2397; ZIP 2009, 2339, 2340 = WM 2009, 1848, 1849; NZG 2022, 362, 367 f.; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG Stuttgart NZG 2007, 112, 114; AG 2006, 420, 425; 2007, 705, 706). Demzufolge kann eine Korrektur der Planung nur dann erfolgen, wenn diese nicht plausibel und unrealistisch ist. Eine derart unvertretbare und damit unplausible Planung kann nur dann angenommen werden, wenn sie im Vergleich zu den Ergebnissen der Vergangenheit, den Planansätze aus den Planungen der Vorjahre und unter Berücksichtigung vorhandener Analystenschätzungen für den Detailplanungszeitraum zu konservativ ist und überdies Planabweichungen zur vergangenen Entwicklung nicht schlüssig erklärbar sind, die Planung einseitige, systematische Verzerrungen aufweist oder wenn bei entsprechender Marktkontinuität ein bisher auch in den besten bzw. schlechtesten Zeiten nie erreichtes Niveau ohne nachvollziehbare Begründung geplant wird (vgl. OLG München WM 2009, 1148, 1849 = ZIP 2009, 2339, 2340; OLG Frankfurt ZIP 2010, 729, 731; OLG Düsseldorf AG 2023, 284, 287 f.; OLG Karlsruhe AG 2013, 353, 354; OLG Stuttgart AG 2014, 291, 296 f.; OLG Düsseldorf AG 2015, 573, 575 = Der Konzern 2016, 94, 96 = DB 2015, 2200, 2202; LG München I Der Konzern 2010, 188, 189 f.; ZIP 2015, 2124, 2127; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 16513/11; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5HK O 5884/20; Beschluss vom 25.8.2023, Az. 5HK O 12034/21).
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Diese Grundsätze wurden bei der L… AG zutreffend beachtet, weshalb die Planung der Gesellschaft als Grundlage für die Ableitung des Ertragswerts herangezogen werden kann.
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a. Dies gilt zunächst für die allgemeinen Erwägungen, auf denen die Planung beruht.
125
(1) Die die Jahre 2015 bis 2017 umfassende Vergangenheitsanalyse lässt nicht auf eine fehlerhafte Planungssystematik schließen. Diese verfolgt in erster Linie den Zweck zu ermitteln, inwieweit die für die Ermittlung des Ertragswerts wesentlichen und bestimmenden Zukunftsprognosen tragfähig und plausibel sind (vgl. OLG Frankfurt AG 2020, 955, 958; LG München I AG 2020, 222, 224 = Der Konzern 2020, 311, 312). Der hierfür heranzuziehende Betrachtungszeitraum beträgt üblicherweise zwei bis drei Jahre, wie der Kammer aus einer Vielzahl bei ihr anhängiger Spruchverfahren bekannt ist. Allein die Tatsache, dass es im ersten Planjahr jeweils eine tendenzielle Übererfüllung der Budgetziele von 5,2%, 1,1% und 4,0% beim operativen Ergebnis gab, lässt keinen Rückschluss auf die Unzuverlässigkeit der Planung oder eine ungeeignete Planungssystematik zu. In ihrem Prüfungsbericht verwiesen Herr Dr. P… und Herr S… für das Jahr 2015 auf eine sehr positive Wechselkursentwicklung, die maßgeblich hierzu beigetragen hat – bei einer Bereinigung ergäbe sich für das Geschäftsjahr 2015 beim operativen Ergebnis eine Zielverfehlung um etwa 5%. In den Folgejahren wurden die Planziele nie erreicht. Abweichend stellt sich die Situation bei den Umsatzerlösen dar, wo im Jahr 2015 das Ist-Ergebnis mit den Planungen bei einer Abweichung von 0,1% nahezu übereinstimmt, während in den Planjahren 2016 und 2017 als jeweils erstem Planjahr einmal eine Zielverfehlung von 3,3 und einmal eine Zielüberschreitung von wiederum 3,3% festzustellen war. Die Ursache hierfür lag im Jahr 2016 vor allem in negativen Währungseffekten im Gasgeschäft und im Jahr 2017 in einer positiven Entwicklung beim Engineering. Gerade diese vergleichsweise geringen Abweichungen belegen aber die Güte der Planung, nachdem jede Planung zukunftsgerichtet ist und dann Über- oder Unterschreitungen denknotwendig auftreten müssen. Auch die zunehmenden Abweichungen in weiter entfernt liegenden Planjahren sind mit maximal 21,2% bei den Umsatzerlösen im vierten Planjahr 2018 für die Mittelfristplanung 2015 bis 2018 sowie maximal 17,8% im vierten Planjahr der Mittelfristplanung 2014 bis 2017 noch vergleichsweise gering.
126
Aus einer isolierten Betrachtung der Plan-Ist-Abweichung für das erste Halbjahr 2018 lässt sich kein Rückschluss auf die mangelnde Qualität der Planungssystematik ziehen. Die Tatsache, dass im ersten Halbjahr 2018 51,3% der geplanten Umsatzerlöse realisiert wurden und der Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2017 bei etwa 50,5% lag, ist auf einen für die Gesellschaft günstigeren Wechselkurs zurückzuführen. Bei allen anderen bewertungsrelevanten Ergebnisgrößen zum 30.6.2018 wie namentlich dem operativen Ergebnis, dem EBIT, dem EBT und dem Jahresergebnis liegt die Gesellschaft dagegen zum 30.6.2018 unter dem Wert von 50% des jeweiligen Budgetwerts und auch hinter den Zielerreichungsgrößen der Vorjahre. Bei den erreichten Margen bleibt die Gesellschaft zum Halbjahr um jeweils 1,1 bis 1,8 Prozentpunkte unter dem Plan und hinter dem Zielerreichungsgrad der Vorjahre. Daher kann auch nicht davon ausgegangen werden, die älteren Planungen der Gesellschaft seien deutlich ambitioniert gewesen. Hierfür konnten die Prüfer keinerlei Anhaltspunkt im Rahmen ihrer Tätigkeit finden.
127
(2) Die Planansätze der L… AG beruhen auf einer die Jahre 2018 bis 2022 umfassenden Detailplanungsphase. Dabei erstreckt sich der Planungshorizont der Gesellschaft über einen Zeitraum von vier Jahren und umfasst die Geschäftsjahre 2019 bis 2022. Die Planzahlen für das aktuelle, zum Stichtag noch nicht vollständig abgeschlossene Geschäftsjahr 2018 basieren auf einer Hochrechnung und bilden die Ist-Zahlen des ersten Halbjahres 2018 sowie die an die aktuellen Entwicklungen angepassten Budgetzahlen für das zweite Halbjahr 2018 ab. Dabei kam es im Zeitraum von Juni bis September 2018 zu einer detaillierten Überleitung der Mittelfristplanung des Vorjahres, die die Kenntnisse über die finanzielle Entwicklung der drei regionalen Geschäftseinheiten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 widerspiegeln, wobei auch die zu diesem Zeitpunkt erwarteten regulatorischen und sonstigen operativen Desinvestitionen in diese Einheiten berücksichtigt wurden. Damit aber entspricht der Planungsprozess namentlich mit seiner Dauer von vier Jahren dem Prozess der Vorjahre. Allerdings konnte der Planungsprozess nicht erst im Dezember 2018 enden, weil dann die aktuellen Zahlen und Entwicklungen nicht mehr hätten einfließen können. Dies ist aber zwingende Voraussetzung, weil die Barabfindung die Entwicklungen zum Stichtag der Hauptversammlung widerspiegeln muss. Folglich war es sachgerecht, den Planungsprozess vorzuziehen und auf Annahmen der Planungsrechnung aus dem originären Planungsprozess des Vorjahres aufzusetzen. Einen Abschluss zum 30.11.2018 gab es nicht, weshalb die Abfindungsprüfer darauf nicht zurückgreifen konnten. Soweit es Zahlen für 2019 gibt, kann daraus kein Rückschluss mehr gezogen werden, weil sich diese Zahlen bereits auf L… plc. beziehen und damit auf ein anderes Bewertungsobjekt.
128
Vorgenommene Plananpassungen am 4.10.2018 und am 8.10.2018 waren erforderlich. Die Plananpassung zum 4.9.2018 beruhte auf dem auf kartellrechtlichen Auflagen beruhenden Erfordernis weiterer Desinvestitionen, die zu veräußernde Geschäftseinheiten in Amerika und China betrafen, deren Umfang detailliert auf Seite 23 des Prüfungsberichts dargestellt ist. Die weiteren Plananpassungen vom 8.10.2018 beruhten auf aktuellen Erkenntnissen zu diesen Veräußerungen und betrafen weitere HyCO-Anlagen, das Lasergeschäft in den USA sowie das Heliumgeschäft in China sowie Anlagen in Indien und Südkorea. Zudem wurden aktuelle Ergebniseffekte aus der Abwicklung von Zinsswaps berücksichtigt.
129
Der Rückgang des unbereinigten Konzernumsatzes von € 17.113 Mio. im Jahr 2017 auf € 16.836 Mio. im Jahr 2018 muss als sachgerecht bezeichnet werden und führt nicht zu einer fehlerhaften Analyse der Budgetzahlen zum 30.6.2018. Er hat seine Ursache in der Einführung des Tolling Accountings, der Umgliederung von GIST sowie in Wechselkurseffekten, die somit bei der Plananalyse gerade nicht übersehen wurden. Der Rückgang der Umsatzerlöse und der bereinigten Ergebnisse beruht auf den Vorgaben zur Veräußerung bestimmter Geschäftsbereiche, was auch bei den bereinigten Werten zur Herstellung der Vergleichbarkeit berücksichtigt werden musste. Daher müssen die um die veräußerten Geschäftsbereiche bereinigten Umsätze und operative Ergebnisse der Jahre 2016 und 2017 unter den tatsächlich erzielten Ergebnissen liegen.
130
(3) Für eine unzulässige Anlassplanung mit dem Ziel der Einflussnahme der Antragsgegnerin auf zum Nachteil der Minderheitsaktionäre erfolgende Planansätze sieht die Kammer keine hinreichenden Anhaltspunkte. Zwar muss davon ausgegangen werden, dass ausschließlich zu Bewertungszwecken außerhalb des regulären Planungsprozesses erstellte Sonderplanungen kritisch zu hinterfragen sind (vgl. OLG Düsseldorf AG 2016, 329, 330 = ZIP 2016, 71, 72 f. = WM 2016, 1685, 1687 f. = Der Konzern 2015, 550, 553; OLG Frankfurt Der Konzern 2018, 74, 76; OLG Karlsruhe, AG 2016, 672, 674; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., Anh § 305 Rdn. 27 b). Eine solche Anlassplanung kann namentlich nicht aus dem Doppelmandat von Herrn Dr. B. als Vorstand der L… AG und der vormals als L… I… H… AG firmierenden Antragsgegnerin hergeleitet werden. Verantwortliche Ansprechpartner der Abfindungsprüfer von E… S… war Herr Dr. Sc… als damaliger Finanzvorstand der Gesellschaff. Für die Jahre 2020 bis 2022 stützt sich die Planung auf die detailliert ausgearbeiteten Budget-Zahlen für das Geschäftsjahr 2019, die unter der Annahme von jährlichen Produktgruppen spezifischen Wachstumsraten, erwarteten Margenentwicklungen und weiteren relevanten Kennzahlen fortentwickelt wurden. Somit beruht die Planung gerade bezüglich der Annahmen zu den Wachstumsraten und den Trendzahlen für die Jahre 2022 im Wesentlichen auf der Übernahme aus der detaillierten Vorjahresplanung, die im Rahmen eines ausführlichen Bottom up-Planungsprozesses im Oktober 2017 erstellt und im November 2017 durch den Vorstand bestätigt wurde. Das Planjahr 2018 wurde ausgehend von den tatsächlich im ersten Halbjahr 2018 ermittelten Zahlen fortentwickelt. Dem Budget für 2019 wurden Top down-Targets zugrunde gelegt, die auf der Ebene einzelner Business Units und Divisionen aufgestellt und mit detaillierten Budgetzahlen hinterlegt wurde. Dieser Planungsprozess erfolgt nach den Erkenntnissen der Abfindungsprüfer durch Mitarbeiter der L… AG in der Verantwortung ihres Vorstands. Eine solche Anlassplanung kann folglich auch nicht aus dem Doppelmandat von Herrn Dr. B. als Vorstand der L… AG und der vormals als L… I… H… AG firmierenden Antragsgegnerin hergeleitet werden. Verantwortliche Ansprechpartner der Abfindungsprüfer von E… S… war Herr Dr. Sc… als damaliger Finanzvorstand der Gesellschaff. Da Herr Dr. B. aber erst im Herbst 2018 in den Vorstand der L… I… H… AG werde, war ihm ein Einfluss auf die Planung durch die Antragsgegnerin faktisch nicht möglich.
131
(4) Aus den Annahmen, die dem freiwilligen öffentlich Umtauschangebot der L… plc. vom 14.8.2017 zugrunde lagen, lassen sich keine Rückschlüsse auf eine fehlerhafte Planung der L… AG ziehen, weil die der dortigen Bewertung zugrunde gelegte Planungsrechnung nicht auf die zu übertragen ist, die die Basis für den verschmelzungsrechtlichen verfahrensgegenständlichen Squeeze out bildete.
132
(a) Die Abfindungsprüfer verwiesen zur Begründung in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 17.3.2022 überzeugend darauf hin, dass das Umtausch- oder Übernahmeangebot auf einer kombinierten Pro-forma-Planungsrechnung der L… plc. beruhte, die neben dem Businessplan der L… AG auch den von P…, Inc. umfasste. Daher lässt sich schon das Bewertungsobjekt für das Umtauschangebot nicht mit dem für den Squeeze out vergleichen. Gerade die dargestellten Wachstumsraten und Margen sind in der kombinierten Planung maßgeblich auch durch die Umstände und Entwicklungen bei P…, Inc. beeinflusst. Dabei sind Margenvergleiche gerade nicht auf einer Basis stand alone erfolgt, weshalb sich Rückschlüsse auf die Plausibilität der Planung der L… AG verbieten, selbst wenn Stand alone-Zahlen der L… AG im Ausgangspunkt eingeflossen sind. Diese wurden aber unter Berücksichtigung bewertungstechnischer Anpassungen sowie der aus dem Zusammenschluss erwarteten Anpassungen weiterentwickelt. Daher ist L… plc. eben nicht identisch mit der L… AG, wenn zuvor der Wert der in die L… plc. eingebrachten P…, Inc. abgezogen wird. Die Wachstumsraten unterscheiden sich im Hinblick auf den Zeitraum bis 2024 ebenfalls erheblich, nachdem für P…, Inc. 1,5% und für die L… AG nur 1,0% angenommen wurden, wobei dann für das kombinierte Unternehmen der Mittelwert von 1,25 herangezogen wurde. Ein Rückschluss auf die Plausibilität der Planung zum Stichtag der Hauptversammlung am 12.12.2018 kommt auch wegen der unterschiedlichen Bewertungsstichtage nicht in Betracht. Das Umtauschanagebot bezog sich auf den 31.5.2017, mithin um einen mehr als 1 ½ Jahre früher liegenden Zeitpunkt, weshalb die Businesspläne im Zeitpunkt der Bewertung schon über ein Jahr alt waren, so dass neuere Erkenntnisse, die in den Forecast 6 + 6 in Bewertung zum Stichtag der Hauptversammlung einflossen, beim Umtauschangebot naturgemäß nicht berücksichtigt werden konnten. Die Businesspläne der Jahre 2017 bis 2020 als Grundlage des Umtauschangebots waren bereits vom Planungshorizont nicht mit denen für die Squeeze out-Bewertung vergleichbar, die den Forecast 2018 sowie die Planjahre 2019 bis 2022 erfasste und die zudem erst während der Prüfungsarbeiten finalisiert wurden. Auch konnten die kartellrechtlich bedingten Veräußerungen mangels besserer Informationen beim Umtauschangebot nicht in der Planung verarbeitet werden. GIST wurde in der Planung zum Stichtag der Hauptversammlung abgebildet, während diese Geschäftseinheit in der Angebotsunterlage als Sonderwert erfasst wurde. Ebenso kam es zu unterschiedlichen Annahmen bezüglich der Wechselkurse.
133
(b) Aus demselben Grund ist auch ein Rückschluss nicht statthaft, aus den deutlich höheren Margen, die in der dem Übernahmeangebot zugrunde liegenden Planung angesetzt wurden, könne insbesondere nicht auf eine Verschlechterung zwischen dem 30.6.2018 und dem Stichtag der Hauptversammlung geschlossen werden. Die EBITDA-Marge der P…, Inc. lag im Zeitraum vor dem Bewertungsstichtag als auch auf Basis der Erwartungen von Finanzanalysten im Zeitraum danach bei etwa 33% und damit deutlich über der EBITDA-Marge der L… AG mit Werten von etwa 24% bis 26%. Die kombinierte EBITDA-Marge von rund 27% bis 29% liegt als gewichteter Durchschnitt aus P…, Inc. und L… AG dann aber innerhalb dieser Bandbreite.
134
(c) In gleicher Weise bietet die Fortschreibung der Planung um drei weitere Jahre bis 2024 im Tauschangebot keine Anhaltspunkte zur Annahme einer Fehlerhaftigkeit der Struktur der Planung, die zur Abfindung beim Squeeze out führte. Ursächlich für die Fortschreibung bis 2024 war die Berücksichtigung erwarteter Synergien und die Hinführung des Investitionsniveaus der L… AG und von P…, Inc. auf ein nachhaltiges Niveau. Dies war zum Stichtag der Hauptversammlung am 12.12.2018 indes nicht mehr notwendig, wie die Abfindungsprüfer dargelegt haben. Nach den zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnissen des Vorstandes sollten die Synergien bereits ab dem Jahr 2022 in voller Höhe erzielt werden, während beim Tauschangebot von einem längeren Hochlauf ausgegangen wurde. Bei der verfahrensgegenständlichen Bewertung wurden die nach dem Ende der Detailplanungsphase sinkenden Effekte aus wertsteigernden Investitionen auf die Zahlungsüberschüsse unmittelbar annuitätisch bei den auszahlungswirksamen Investitionen berücksichtigt. Die Wachstumsraten für die L… AG wurden in beiden Bewertungen identisch mit 1,0% angesetzt; der Wert von 1,25% bezieht sich auf die L… plc. und stellt sich als Folge der Kombination mit der Bewertung von P…, Inc. dar, bei der mit einer Wachstumsrate von 1,5% gerechnet wurde.
135
(5) Die Ansätze von Rückstellungen in der Planung erfolgten sachgerecht. Zum 31.12.2017 als dem letzten Bilanzstichtag vor dem maßgeblichen Tag der Hauptversammlung beliefen sie sich auf € 2.867 Mio., wovon € 1.250 Mio. auf Pensionen, € 477 Mio. auf übrige langfristige und € 1.110 Mio. auf kurzfristige Rückstellungen entfielen. Die der Bewertung zugrunde gelegte Planbilanz sieht zum Ende des Jahres 2018 Rückstellungen in Höhe von etwa € 2.431 Mio. vor. Dieser Rückgang beruht neben dem veräußerungsbedingten Abgang nach den Ausführungen der Prüfer auf einem Verbrauch von Restrukturierungsrückstellungen im Rahmen des Programms LIFT, die größtenteils 2018 zahlungswirksam werden sollten. Zudem erfolgte im ersten Halbjahr 2018 eine Auflösung von Rückstellungen, wobei der daraus resultierende zahlungsunwirksame Ertrag in die Planungsrechnung einfloss. Im Zeitraum zwischen Fertigstellung der Bewertung und dem Tag der Hauptversammlung wurden Rückstellungen in einem Umfang von € 5 Mio. aufgelöst und der daraus resultierende Ergebniseffekt in der Aktualisierung zum Tag der Hauptversammlung berücksichtigt. Im weiteren Verlauf sind keine Veränderungen der übrigen langfristigen sowie der kurzfristigen Rückstellungen geplant, während die Pensionsrückstellungen einen leicht ansteigenden Verlauf zeigen. Weitere zahlungsunwirksame Auflösungen von Rückstellungen waren insoweit nicht geplant.
136
(6) Die von einigen Antragstellern gerügte unterschiedliche Entwicklung von Bilanzpositionen wie Verbindlichkeiten im Einzel- und im Konzernabschluss des Jahres 2017 sind für die in die Zukunft gerichtete Ertragswertmethode ohne Bedeutung.
137
(7) Inwieweit in der Hauptversammlung gegen die Vorgaben aus § 131 Abs. 1 AktG verstoßen worden sein könnte, ist für das Spruchverfahren ohne Bedeutung, weil hier ausschließlich die Angemessenheit der angebotenen Kompensationsleistung geprüft werden kann.
138
(8) Die Abfindungsprüfer fanden bei ihrer Prüfung keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Standortförderprogramme, wie sei in Polen oder anderen Ländern angeboten werden, entsprechend den bei international tätigen Unternehmen zu beobachtenden Usancen nicht genutzt worden sein könnten, so dass Vorteile daraus auch in der Planung abgebildet sind.
139
b. Die konkreten Planannahmen bedürfen keiner Korrektur.
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(1) Aus dem Rückgang des Ergebnisses im Jahr 2019 mit € 1.910 Mio. um etwa 28% im Vergleich zum Vorjahr und dem Wiedererreichen des Ergebnisses von 2018 mit € 2.686 Mio. im Jahr 2022, wie dies teilweise vorgetragen wurde, kann nicht auf eine unplausible Planung geschlossen werden. Diese Entwicklung beruht auf den Besonderheiten des Jahres 2018, das zum Stichtag der Hauptversammlung noch nicht abgeschlossen war, aber insbesondere Erträge aus Veräußerungen enthielt, die einmaliger Natur sind und daher für Analysezwecke eliminiert werden müssen, weil sich Erträge, die aus den veräußerten Bereichen stammen, in den Folgejahren nicht wiederholen lassen. Daher müssen diese Einmalereignisse zur Herstellung der Vergleichbarkeit auch dieser beiden Jahre 2018 und 2019 bereinigt werden. Demgemäß muss gesondert vom bewertungsrelevanten EBIT auch ein bereinigtes EBIT ermittelt werden, bei dem dann der Wert von € 2.668 Mio. um zusätzliche Kosten für Veräußerungen in Höhe von € 144 Mio. und Einmalkosten des LIFT-Programms von € 150 Mio. einerseits sowie um die Veräußerungsgewinne der Desinvestition von € 625 Mio., die Anpassung um Desinvestitionen in Höhe von € 403 Mio. und Einmal- und Sondereffekte des ersten Halbjahres 2018 von € 121 Mio. zu bereinigen ist. Unter Berücksichtigung dieser notwendigen Anpassungen errechnet sich ein bereinigtes EBIT von € 1.813 Mio. Auf dieser Grundlage aber ist im Geschäftsjahr tatsächlich ein Anstieg des EBIT auf € 1.910 Mio. oder um 5,3% zu verzeichnen. Demgemäß liegt auch das EBIT des Jahres 2022 mit € 2.865 Mio. um € 1.052 Mio. oder 58% über dem bereinigten EBIT des Jahres 2018.
141
(2) Eine Anpassung der Planung zugunsten der Minderheitsaktionäre lässt sich nicht damit rechtfertigen, ihr lägen keine mittleren Erwartungswerte zugrunde. Dies ergibt sich insbesondere auch nicht aus der Quartalsmitteilung vom 14.11.2018. In dieser Mitteilung führte der Vorstand unter anderem aus, in Bezug auf die Geschäftsentwicklung der ersten neun Monate des Jahres 2018 lägen die Erwartungen für den Umsatz und das operative Konzernergebnis am oberen Ende der prognostizierten Bandbreite. Diese Aussage nimmt Bezug auf die Feststellungen im Finanzbericht 2017, wo in Bezug auf den Umsatz ausgeführt wird, der um die Effekte aus IFRS 15 sowie Währungen bereinigte Konzernumsatz solle auf dem Niveau des Vorjahres liegen und könne um bis zu 4% steigen. Für das bereinigte operative Konzernergebnis wird eine Bandbreite zwischen dem Vorjahresniveau und einer Erhöhung um 5% genannt. Die Planung selbst hat mit Erwartungswerten zu erfolgen – diese sollen ausdrücken, weshalb finanzielle Überschüsse im Mittel unter Berücksichtigung aller Chancen und Risiken zu erwarten sind. In der Analyse der Meldung zum III. Quartal 2018 zeigte sich nach den Erkenntnissen der Abfindungsprüfer, dass die Planung auf der Ebene des Ergebnisses vor allem durch positive Währungseffekte und vorgezogene Projekte im Bereich Engineering etwas besser ausfalle, gleichzeitig aber Kostenüberschreitungen bei Investitionsprojekten und Verschlechterungen in den bilanziellen Kennzahlen auftreten würden. Die daraus resultierenden Cashflows gleich sich dadurch nahezu ausgleichen und sind daher praktisch unverändert zu den für die Bewertung herangezogene Planung. Demgegenüber stellt die Quartalsmitteilung auf währungsbereinigte Größen ab. Auch für die längerfristigen Planungen konnten daraus keine Anhaltspunkte für notwendige Plananpassungen abgeleitet werden. Vielmehr wiesen die Abfindungsprüfer auf eine verschlechterte Einschätzung zum regulatorischen Umfeld im Bereich Healthcare mit der Folge einer mittelfristig deutlichen Reduzierung der Ergebnisbeiträge aus diesem Bereich hin, ohne dass dieser negative Effekt in die Planung eingeflossen wäre. Im Rahmen ihrer Analyse verglichen die Abfindungsprüfer die aktuellen Zahlen mit den geplanten Zahlen. Auch kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Quartalsmitteilung auf eine frühere Einschätzung des Vorstandes Bezug nahm und sich aber immer noch innerhalb dieser Bandbreite bewegt.
142
(3) Die Stichtagserklärung ist nicht deshalb fehlerhaft, weil durch Währungseffekte der Anstieg der operativen Marge von 9% aus 10% keine kompensatorischen Effekte eingetreten sein können und eine Differenz von € 106 Mio. auf der Ebene des EBIT bei einem am Stichtag nahezu abgeschlossenen Geschäftsjahr zu hoch sei und negative Bilanzeffekte keinen Einfluss auf den Unternehmenswert haben könnten. Die Stichtagserklärung der Gesellschaft vom 12.12.2018 stellt auf das operative Geschäftsjahr 2018 ab, wobei es sich entsprechend der Plan-Bilanz, der Plan-G+V-Rechnung und der Cashflow-Rechnung um das bewertungsrelevante EBITDA von € 4.531 Mio. handelt. Zu einer Werterhöhung führen allerdings ausschließlich die höheren kartellbedingten Veräußerungen. Bilanzeffekte können sich auch nicht auf die Ausübung bilanzieller Wahlrechte beziehen; vielmehr war ein gestiegener Kapitalbedarf im Working Capital festzustellen; auch gingen die Investitionen über das in der Planung angesetzte Niveau hinaus, wobei diese beiden Effekte zu einem negativen Cash-Effekt führen und sich gegenläufig zur Steigerung des operativen Ergebnisses auswirken. Eine vom gemeinsamen Vertreter vorgetragene rechnerische Differenz von € 106 Mio. auf der Ebene des EBIT ist für die Abfindungsprüfer rechnerisch nicht nachvollziehbar gewesen. Der Anstieg der operativen Marge von 9% auf 10% bezog sich zudem nicht auf den gesamten L…-Konzern, sondern auf die Division Engineering.
143
(4) Soweit sich in der Überleitung der geplanten Umsatzerlöse je Division auf die geplanten Umsatzerlöse entsprechend der aggregierten G+V-Rechnung Unterschiede von € 403 Mio. / € 404 Mio. pro Jahr ergeben, beruht dies auf Konsolidierungseffekten aus konzerninternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen den Divisionen. Die Planung wird auf Ebene der einzelnen Divisionen durchgeführt, so dass durch Addition der einzelnen Planungen ein Summenabschluss entsteht. Dieser enthält indes auch Leistungsbeziehungen zwischen den einzelnen Einheiten, die im Rahmen der Aufwands- und Ertragskonsolidierung eliminiert werden müssen, weil diese Lieferungen und Leistungen aus Konzernsicht nicht stattfinden und somit auf Konzernebene auch keine Umsatzerlöse ausgewiesen werden dürfen.
144
(5) Aus den Wachstumsraten im Vergleich mit Wettbewerbern der Gesellschaft lässt sich die mangelnde Plausibilität ebenso wenig herleiten wie aus den Annahmen des Marktes zu einem CAGR von 6% im Verbund der Gesellschaft mit P…, Inc.
145
(a) Die Wachstumsraten der Wettbewerber lassen sich nur bedingt mit denen der L… AG vergleichen. Die hohen Umsatzwachstumsprognosen stehen nicht in Einklang mit den für den Industriegasemarkt relevanten makroökonomischen Kerngrößen wie vor allem dem Bruttoinlandsprodukt und der Industrieproduktion, die für eine Analyse der Planannahmen auch im Sinne einer externen Plausibilisierung notwendig waren. Diese Kenngrößen wachsen indes deutlich schwächer als die von Finanzanalysten geschätzten Planumsätze der Vergleichsunternehmen. Aus den Geschäftsberichten der A… L… S.A. ergibt sich, dass die hohen Umsatzwachstumsraten dieses Unternehmens in den Jahren 2016 und 2017 ganz wesentlich auf der Übernahme von Airgas, Inc. beruhen. Für das Geschäftsjahr 2017 weist der Geschäftsbericht von A… L… S.A. ein bereinigtes Umsatzwachstum von 2,9% aus, das deutlich unter dem im Jahr 2017 erzielten unbereinigten Wachstum der Umsatzerlöse von 12,2% liegt. Auch in den Jahren 2016 und 2017 mit einem Rückgang von unbereinigt 5,6% bzw. einem Wachstum von 1,0% blieben die Wachstumsraten der L… AG deutlich hinter denen der Vergleichsunternehmen mit Mittelwerten von 2,7% im Jahr 2016 und 6,9% im Jahr 2018 zurück. Dieser Vergleich macht indes deutlich, dass es der Gesellschaft in der Vergangenheit gerade nicht gelungen ist, am Marktwachstum in gleicher Weise wie die Peer Group-Unternehmen zu partizipieren. Das Marktwachstum der Vergleichsunternehmen soll in den Jahren 2018 bis 2020 mit durchschnittlich 6,9% p.a. ähnlich hoch liegen. Der Vergleich mit der Vergangenheit zeigt aber, dass allein aus den geringeren Wachstumsraten der L… AG mit einem CAGR von 3,65% für den Zeitraum von 2019 bis 2022 die fehlende Plausibilität der Planung nicht abgeleitet werden kann, zumal die Abfindungsprüfer mit Blick auf die Airgas-Übernahme durch A… L… S.A. nicht ausschließen konnten, dass die Zukunftsprognosen für die Peer Group-Unternehmen ebenfalls externes Wachstum durch Zukäufe enthielten. Derartige Zukäufe sind auch in einem Markt mit vergleichsweise wenig Wettbewerbern nicht von vornherein auszuschließen. Zudem muss in die Analyse einfließen, dass das Wachstum der L… AG auch dadurch limitiert ist, dass gerade das jeweilige lokal Gase-Geschäft stark regionen- und kundenspezifisch ist, auch wenn die Gesellschaft insgesamt weltweit aufgestellt ist.
146
Legt man die um die Akquisition von Airgas, Inc. bereinigten Zahlen zugrunde, nähern sich die Wachstumsraten an, wenngleich dann aber immer noch Abweichungen auftreten, die mit minus 0,8 Prozentpunkten im Jahr 2016 und 2,7% Prozentpunkten im Jahr 2017 aber keinen außergewöhnlichen Befund darstellen, wie Herr Dr. P… im Termin vom 30.3.2023 erläuterte.
147
(b) Auch aus dem Vergleich mit den Erwartungen für den Unternehmensverbund mit der P…, Inc. und der L… AG, die zumindest teilweise von einem Wachstum von 6% ausgehen, kann die Fehlerhaftigkeit der Planung nicht begründet werden. Aus der Wachstumserwartung des Verbundes ergibt sich nämlich kein unmittelbarer Zusammenhang zum Umsatzwachstum der L… AG. Zum einen datiert diese Prognose aus einem Artikel vom 5.7.2019 mit Zahlen vom Mai 2019 und damit mehr als sechs Monate nach dem allein maßgeblichen Stichtag der Hauptversammlung. Vor allem aber kommt es nur im kombinierten Unternehmen zu einer Wachstumsrate von 5,9%, also knapp unter dem in dem Beitrag zitierten Wert von 6%. Unter Abzug der Zahlen der L… AG bleibt eine Steigerung von knapp 4%, wobei diese Differenzrechnung auch mit den Umsatzzahlen stimmig erfolgen kann. Unter Zugrundelegung der Zahlen aus dem Tauschangebot hat das kombinierte Unternehmen ein Wachstum von lediglich 2% pro Jahr und nicht von 6%. Aus den Zahlen eines einzigen Marktteilnehmers knapp sechs Monate nach dem Stichtag kann nicht auf einen unmittelbaren Zusammenhang zu unplausiblen Planansätzen geschlossen werden. Dabei muss insbesondere auch berücksichtigt werden, dass die Abfindungsprüfer nach ihrer Aussage über 200 Analystenschätzungen auswerteten, wobei diese zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen gelangten. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, die Quelle in dem Beitrag vom 5.7.2019 beinhalte die einzig wahre Sicht der Dinge.
148
Nichts anderes ergibt sich aus einer Studie von UBS, die ein EBIT-Wachstum von 8% nennt. Eine UBS-Studie vom 20.8.2018 nimmt einen Stand alone-Wert der Gesellschaft von € 175,- an und benennt ein Kursziel von € 240,-. Eine weitere Studie vom 23.10.2018 stellt in Bezug auf das Kursziel auf die Überwindung der letzten regulatorischen Hürden beider Fusionen der L… AG mit P…, Inc. ab. Dann aber muss davon ausgegangen werden, dass das Kursziel von weiterhin € 240,- und insbesondere auch das EBIT-Ziel von 8% aus der Studie vom 23.10.2018 sich auf den Unternehmensverbund, nicht aber auf die L… AG stand alone bezieht. Weiterhin ist zu beachten, dass die EBITDA-Marge von P…, Inc. entsprechend den obigen Ausführungen unter B. II. 1. a. (4) (b) sowohl im Zeitraum vor dem Bewertungsgutachten als auch auf Basis der Erwartungen von Finanzanalysten mit rund 33% deutlich über der EBITDA-Marge der L… AG mit Werten zwischen 24% und 26% lag. Daher verbietet sich ein unmittelbarer Rückschluss, weshalb auch ein Hinzuziehen der vollständigen Studie von UBS für die Prüfungstätigkeit nicht zwingend geboten war. Dies gilt auch für die Studie anderer Analysten wie beispielsweise von GVR. Weitere von Seiten der Antragsteller genannte Studien waren nicht heranzuziehen. Die Aufgabe der Prüfer besteht in der Überprüfung der angebotenen Barabfindung, aber nicht darin, jede nur denkbare mögliche Studie heranzuziehen, von denen sie keinen unmittelbaren Erkenntnisgewinn für ihre Aufgabe der Prüfung der angemessenen Barabfindung erkennen.
149
Nachdem die Gesellschaft in der Vergangenheit mit ihren Wachstumsraten hinten der Peer Group-Unternehmen zurückblieb, ist es nicht ungewöhnlich, wenn sie auch in der Detailplanungsphase unter denen der Vergleichsunternehmen bleibt und nicht von einem Auf- oder gar Überholen durch die L… AG ausgegangen wird.
150
(6) Der Rückgang des bereinigten operativen Ergebnisses im Jahr 2019 um 0,2% trotz einer höheren Wachstumsrate der weltweiten Industrieproduktion in diesem Jahr von 3,2% stellt die Plausibilität der Planung nicht infrage. Diese Kenngröße wurde bei der Überprüfung durchaus herangezogen; ab dem Jahr 2020 soll das Wachstum der L… AG über den erwarteten Wachstumsraten der weltweiten Industrieproduktion liegen. Im Jahr 2018 mussten positive Einmalergebnisse in Höhe von € 121 Mio. berücksichtigt werden; ohne deren Ansatz käme es im Jahr 2019 zu einem Anstieg um etwa 3,1%, wobei dieser Wert dem CAGR des adjustierten operativen Ergebnisses der Jahre 2016 und 2017 entspricht.
151
Eine Verbesserung des operativen Ergebnisses schon im Jahr 2019 lässt sich nicht aus dem Argument herleiten, es sei statt einer restriktiven Investitions- und Genehmigungspolitik auf eine Margenverbesserung Wert gelegt worden. Die Art und Weise der Geschäftspolitik stellt sich als unternehmerische Entscheidung der Gesellschaft dar, die von den Minderheitsaktionären hinzunehmen ist. Die angesprochene restriktive Haltung hat zudem keinen Einfluss auf die Entwicklung der Margen.
152
Die bereinigten Zahlen für die gesamte Gruppe betragen im Geschäftsjahr 2018 25,1% und im Geschäftsjahr 2019 24,7%, wobei jedoch Sondereffekte zu berücksichtigen sind. In den Folgejahren ist ein Anstieg der operativen Marge zu beachten.
153
(7) Eine Vernachlässigung von Chancen unter Berufung auf Ausführungen im Einzelabschluss zum 31.12.2018 lässt sich nicht bejahen. Diese können nicht zahlenmäßig den einzelnen Ergebnisbeiträgen der Planungsrechnung zugeordnet werden, wie die Abfindungsprüfer nachvollziehbar erläuterten. Die Berücksichtigung der Chancen zeigt sich aber insbesondere daran, dass der Healthcare-Bereich vergleichsweise hohe Wachstumsraten mit etwa 4% bis 5% aufweist. Bei einer Gesamtbetrachtung muss namentlich gesehen werden, dass die Gesellschaft in der Planung ein deutliches operatives Umsatzwachstum von 3,0% p.a.im Zeitraum der Jahre 2018 bis 2022 und ein noch stärkeres operatives Wachstum namentlich in den Jahren 2020 bis 2022 mit Wachstumsraten zwischen 5,1% und 5,6% aufweist. Gerade der Umstand, dass das Ergebnis in den letzten drei Jahren der Detailplanungsphase prozentual deutlich stärker wächst als der Umsatz, belegt neben der kostenseitigen Verbesserung gerade auch die Nutzung der Chancen, Marktanteile hinzuzugewinnen, sowie all der Chancen, die sich aus der Beherrschung der Technologie in der gesamten Wertschöpfungskette im Bereich Erdgas, den verstärkten Klimaschutzbemühungen, durch regulatorische Entwicklungen im Gesundheitswesen oder in der Wasserstofftechnologie bestehen.
154
(8) Das Vorziehen von Folgeaufträgen aus dem Folgejahr in das Jahr 2018 mit den Auswirkungen im Jahr 2018 wurde in der Planung sachgerecht berücksichtigt. Die Gesellschaft teilte den Abfindungsprüfern mit, hinsichtlich der Ertragsaussichten für das Geschäftsjahr 2018 habe es unter anderem eine vorgezogene Abwicklung von Aufträgen aus dem Jahr 2019 in der Division Engineering gegeben, weshalb beim operativen Ergebnis ein Mehrertrag von € 20 Mio. angesetzt worden sei, der aber in gleicher Höhe das erwartete Ergebnis im Jahr 2019 mindere. Namentlich die Großprojekte Amur und Portovaja in Russland konnten schneller als ursprünglich angesetzt abgewickelt werden. Derartige zeitliche Verschiebungen liegen bei projekbezogenen Geschäftsmodellen, wie sie auch in der Division Engineering vorkommen, in der Natur der Sache. Dem kann nicht entgegengehalten werden, durch die vorgezogene Abwicklung könnten bei der Umsatzerzielung nutzbare Kapazitäten frei werden. Der Umstand der vorgezogenen Abwicklung führte im Jahr 2019 nicht zu einem Verlust. Das Segment Engineering weist nämlich im Plan 2019 eine ähnlich hohe Marge wie im Jahr 2018 auf. Auch muss gesehen werden, dass solche Projekte langfristige Vorlaufzeiten aufweisen – so datiert eine entsprechende Vereinbarung mit dem russischen Unternehmen Gazprom drei Jahre vor dem Stichtag. Daher können freiwerdende Kapazitäten nicht kurzfristig mit anderen Projekten gefüllt werden. Im Geschäft mit russischen Unternehmen wurde mit Blick auf geostrategische Risiken auch keine Abschläge wegen eines freiwilligen Rückzugs aus Russland in die Planung aufgenommen.
155
(9) Preisanpassungspotenziale flossen sachgerecht in die Planung ein. Aufgrund der Gespräche mit dem Management unter Einbeziehung der lokalen Manager gelangten die Abfindungsprüfer nachvollziehbar zu der Erkenntnis, dass die einzelnen Regionen und Produktgruppen unterschiedlichen Preisentwicklungen unterworfen waren. Dabei verfügten die lokalen Manager über ein genaues Bild der jeweiligen Preisanpassungspotenziale, die auch in die Planungen eingeflossen sind. Die für Bewertungszwecke herangezogene Planung, die in den Jahren 2020 bis 2022 im Wesentlichen eine Fortschreibung auf der Basis von Wachstumsraten und Kennzahlen der Vorjahresplanung war, berücksichtigte auch die damals getroffenen Annahmen zu Preisanpassungspotenzialen. In diesem Zusammenhang muss aber beachtet werden, dass die Überwälzung von Kostensteigerungen aus der Beschaffung von Rohstoffen und Energie durch das Weiterreichen von Kostensteigerungen gerade nicht zu einem Anstieg der operativen Ergebnisse führen kann.
156
Da die L… AG nicht auf der Basis von Absatzmengen plant, war für die Prüfer ein Preis-Mengengerüst nicht verfügbar. Vielmehr plant die Gesellschaft auf Gruppenebene nach Volumen- und Preiseffekten differenzierende Veränderungen, die auf detaillierten Einschätzungen auf der Ebene der Regional Business Units beruhen. Auch hier gilt, dass die Planung auf den Ansätzen der Vorjahresplanung beruht, die für das Jahr 2018 detailliert überarbeitet wurde und in der demgemäß aktuelle projektspezifische Entwicklungen und Einschätzungen des lokalen Managements im Rahmen des Budgetierungsprozesses für 2019 berücksichtigt wurden. Für die Jahr 2020 bis 2022 erfolgte eine Fortschreibung des Budgetwertes für das Jahr 2019. Dabei kann auch nicht übersehen werden, dass bereits ein identisches Gas den weltweiten Kunden in höchst unterschiedlichen Lieferformen von der Pipeline über Großtanks bis hin zu Gasflaschen bereitgestellt wird und sich hierfür völlig unterschiedliche Verhältnisse des Produktionsvolumens und der Umsatzanteile ergibt. So steht beispielsweise die Bulk-Wertschöpfung nur für etwa 1% des Volumens, aber für rund 25% des Umsatzes. Damit aber kann aus der zur Verfügung gestellten Menge an Gas nicht auf die Umsatzentwicklung geschlossen werden.
157
Die Kostenplanung folgt dem Umsatzkostenverfahren, bei dem die Kosten der umgesetzten Leistungen von den übrigen Funktionskosten wie Vertriebs- und Verwaltungskosten abgegrenzt ist. Die Personalaufwendungen werden im Umsatzkostenverfahren bei den Funktionskosten erfasst. Die angestrebte operative Marge steigt vom Forecast des Jahres 2018 mit 30,5% nach einem kurzfristigen Rückgang im Jahr 2019 auf 30,0% sodann im Geschäftsjahr 2022 auf 31,4%. Gerade diese Entwicklung spricht für die Plausibilität der Planung, zumal sie mit Ausnahme des Jahres 2019 auch stets über den bereinigten operativen Margen der Jahre 2015 bis 2017 mit Werten von 29,3%, 30,1% und 30,4% lag.
158
Die Investitionsplanung erfolgte für den gesamten Planungszeitraum auf der Ebene der Regional Business Units unter Berücksichtigung der bestehenden sowie der im Planungszeitraum erforderlichen Produktionskapazität, die sachgerecht in der Gesamtplanung berücksichtigt wurde. Die Existenz einer Investitionsplanung ergibt sich namentlich auch aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Plan-Bilanz, der Plan-G+Vsowie der Plan-Cashflow-Rechnung, in der auf Investitionen ausdrücklich Bezug genommen wird.
159
Eine Aufteilung auf einen Preis- und Volumeneffekt kann auch angesichts der Fortschreibung der Planzahlen nicht vorgenommen werden. Dies ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Zitat aus dem Geschäftsbericht der L… plc. für das Geschäftsjahr 2018, wonach das Wachstum des zugrunde liegenden Umsatzes von 6% durch höhere Margen und die Preisgestaltung erreicht wurde. Allein darauf lässt sich nicht der Rückschluss ziehen, die Planung der L… AG beruhe auf einem Preis-Mengengerüst. Zum einen stammt der Bericht vom verbundenen Unternehmen und nicht vom Bewertungsobjekt; im Nachhinein lässt sich aber durchaus die verkaufte Menge sowie der erzielte Preis feststellen, wie dies im Geschäftsbericht von L… plc. erläutert wurde. Zum anderen stellt sich die Struktur bei der L… AG, wo Gas verkauft wird, grundlegend anders dar als bei einem originären Preis-Mengengerüst, wo mit einer bestimmten Zahl von Einheiten geplant wird, die dann zu einem bestimmten Preis verkauft wird.
160
c. Die Umsätze in der Division Gase flossen mit adjustierten Werten von € 12.376 Mio., € 12.552 Mio., € 13.016 Mio., € 13.468 Mio. und € 13.955 Mio. in der Detailplanungsphase in die Ermittlung des Ertragswerts ein, ohne dass hieran Korrekturen vorgenommen werden müssten.
161
(1) Die Plausibilisierung dieser Annahmen erfolgte von den Bewertungsgutachtern von E… Y… entlang des Planungsprozesses der Gesellschaft, die die einzelnen Divisionen umfasst und damit auch in Bezug auf die Division Gase dementsprechend vorgenommen wurde. Unter Berücksichtigung des regional jeweils unterschiedlichen Marktumfeldes plausibilisierten die Bewertungsgutachter zunächst auf der Ebene der Regional Business Units, um anschließend eine Gesamtbeurteilung auf der Ebene der aggregierten Planungsrechnung vorzunehmen. Die im Rahmen der externen Planungsplausibilisierung erfolgte Analyse geschah vor dem Hintergrund des regionalspezifischen Marktumfelds unter Heranziehung makroökonomischer Kennzahlen sowie Tendenzaussagen aus Marktstudien verwandter Märkte. Dabei kam es zu dem Abgleich dieser Erkenntnisse mit der in Phase I erwarteten Entwicklung in den Produktbereichen On-Site, Healthcare, Bulk, PGP/Flaschengase und Electronics gerade auch in Gesprächen mit den Planverantwortlichen. Die Nachfrage nach Produkten der L… AG ist aufgrund der heterogenen Zusammensetzung der Kundenindustrien von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geprägt, weshalb die L… AG gesamtwirtschaftliche Indikatoren im Rahmen ihrer Wachstumsprognosen berücksichtigen muss. Allerdings müssen signifikante Unterschiede hinsichtlich der Stärke des Zusammenhangs zwischen der Umsatzentwicklung der Gesellschaft und den gesamtwirtschaftlichen Indikatoren beachtet werden. Dabei befinden sich mit Nordamerika und Westeuropa angesichts der von den Prüfern bestätigten Feststellungen im Bewertungsgutachten zwei der größten regionalen Märkte im Bereich der Industriegase am unteren Ende der erwarteten Marktentwicklung bis ins Jahr 2021 mit Wachstumsraten von jährlich 2,1% bzw. 2,5%. Damit aber lässt sich auch nicht ein Widerspruch zum Geschäftsbericht herleiten, der von Aktivitäten in mehr als hundert Ländern und einem Umsatzanteil von 28,9% in den besonders stark wachsenden Märkten in Asien mit einem Vorsprung gegenüber A… L… S.A. berichtet.
162
Allerdings verwiesen die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme auch auf die unterschiedliche Abgrenzung der Märkte in den Markteinschätzungen und -studien, die häufig nicht mit den von der L… AG angebotenen Leistungen übereinstimmt. Ebenso weichen die von Marktstudien abgegebenen Entwicklungsprognosen zumeist aus der Perspektive einzelner Länder aufgrund des hohen Einflusses regionaler und kundenspezifischer Entwicklungen von den für die Regional Business Units relevanten Entwicklungsfaktoren ab. Dann aber ist es für die Kammer nachvollziehbar, wenn die Abfindungsprüfer von E… S… bei ihrer Beurteilung der Plausibilität der Planannahmen den Marktstudien keine so zentrale Bedeutung beigemessen haben. Hierfür spricht weiterhin die Tatsache, dass die Ertragsentwicklung der Regional Business Units in der Vergangenheit stets von der Marktentwicklung gemäß den Marktstudien abwich. In gleicher Weise gab es auf der Ebene der konsolidierten Planungsrechnung für die vergangenen Geschäftsjahre 2016 und 2017 Wachstumsraten, die deutlich unter den branchenspezifischen Indikatoren und Wachstumsprognosen liegende Wachstumsraten zeigten. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass die Planung der Gesellschaft für die Jahre 2020 bis 2022 von einem Ein- und Überholen der Gesamtwirtschaft ausgeht, was dann nachvollziehbar auf der Grundlage der Einschätzung durch die Mitarbeiter der Gesellschaft gewonnen werden konnte. In einer Konstellation mit einem Oligopol und einem Unternehmen mit beachtlicher Umsatzgröße weiß dieses Unternehmen regelmäßig mehr über die Marktentwicklung als Analysten, worauf Herr Dr. P… bei seiner Anhörung hingewiesen hat.
163
(2) Die Planannahmen übersehen nicht die Vorteile aus dem Bestehen von Markteintrittsbarrieren. Bei der L… AG sind bestehende Markteintrittsbarrieren als ambivalent zu bezeichnen, wie die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 17.3.2022 hervorgehoben haben. Sicherlich sind sie geeignet, anderen potenziellen Wettbewerbern den Markteintritt zu erschweren, weil die aufwändigen Verarbeitungsmethoden zur Herstellung von Industriegasen, die aufwändige Transport- und Lagerlogistik hinsichtlich der grundsätzlich flüchtigen Gase sowie die hohen regulatorischen Anforderungen an die Sicherheitstechnik Anfangsinvestitionen in erheblichem Umfang erforderlich machen. Andererseits sind die Produkte der Marktteilnehmer untereinander größtenteils austauschbar, weshalb die Preismacht der Käuferseite mit der bezogenen Gasmenge steigt. Ebenfalls ambivalenten Charakter haben langlaufende Verträge im Bereich On-Site, bei denen die Kunden regelmäßig durch eine zentrale Gaserzeugungsanlage versorgt werden. Dieses branchentypische Charakteristikum limitiert nämlich auch Expansionsmöglichkeiten und damit das Hinzugewinnen von Marktanteilen, weil die potenziellen Kunden unter Umständen bei den Wettbewerbern ebenfalls langfristige Verträge abgeschlossen haben können. Aus einer möglichen Vertragsgestaltung dergestalt, dass sich die Investitionskosten während der Vertragslaufzeit amortisieren würden und der Anteil nach dem Ende des Vertrages einen zusätzlichen Ertrag bedeute, kann die fehlende Plausibilität nicht hergeleitet werden. Herr Dr. E… wies bei der Anhörung im Termin vom 30.3./31.3.2023 nämlich darauf hin, dass die Anlagen auch instandgehalten werden müssen, wofür gleichfalls Kosten anfallen, die er mit etwa 40% der Anlaufkosten bezifferte.
164
Dabei wird die Bedeutung von Markteintrittsbarrieren nicht überbetont, selbst wenn die Verträge mit Abnehmern meist langlaufend und mit einer Möglichkeit der Weiterbelastung von Rohstoffkosten ausgestattet sind. Das Interesse der Gesellschaft an der Absicherung von Investitionskosten der kostenintensiven, lokal installierten Gaserzeugungs- oder Luftzerlegungsanlagen kann über die Laufzeit durch Vereinbarungen flexibler Vergütungsregelungen abgesichert werden, die unter anderem eine Weiterbelastung von Rohstoffkosten vor allem für Energiezufuhr oder Wasser vorsehen. Aber selbst bei einer vollständigen Weiterbelastung von Faktorkosten führt dies zu keinem Anstieg der bewertungsrelevanten Nettozuflüsse, wie Herr Dr. P… und Herr S… in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 17.3.2022 auch rechnerisch überzeugend dargestellt haben. Absolute Umsatzsteigerungen mit einem korrespondierenden Anstieg von Faktorkosten bedingen dann eine Verwässerung der Ergebnismargen, wenn diese brutto, mithin als Erhöhung der Aufwendungen sowie der Erhöhung der Erlöse ausgewiesen werden. Zudem muss beachtet werden, dass durch den seit dem 1.1.2018 erstmals bei der L… AG eingeführten Rechnungslegungsstandard IFRS 15 Weiterbelastungen von Kostensteigerungen per se nicht zu Umsatzsteigerungen führen. Unterstellt man einen Bruttoausweis in der G+V-Rechnung, führt die Weiterbelastung von Kostensteigerungen zwar zu einem umsatz-, aber nicht zu einem bewertungsrelevanten Ergebnisanstieg. Nach IFRS 15 erfolgt nämlich keine Verrechnung (Nettoausweis) von bislang brutto erfassten Kosten mit der umsatzseitigen Kostenerstattung bei Liefer- und Leistungsbeziehungen, in denen die L… AG keine Verfügungsmacht über die bezogenen Lieferungen und Leistungen ausübt. Demgemäß führen reine Weiterbelastungen von netto auszuweisenden Rohstoffkosten zu keinem Ausweis von Umsatzerlösen. Preissteigerungen der betroffenen Faktoreinsätze resultieren folglich nicht automatisch in einem Umsatzwachstum. In Bezug auf die L… AG sind insbesondere Energiebezugsleistungen des Produktbereichs On-Site der Division Gase betroffen. In anderen Produktbereichen ist die Gesellschaft bestrebt, Erhöhungen von Faktorkosten über individuelle Preisverhandlungen mit dem Kunden durchzusetzen oder durch Energieeffizienzsteigerungen in der Produktion auszugleichen. Dies gilt namentlich im Bulk-Geschäft, wo die Gesellschaft zu stetigen Produktivitätssteigerungen gezwungen ist, nachdem dort die Weitergabe von Faktorpreissteigerungen eine Herausforderung darstellt, wie die Abfindungsprüfer von den Planungsverantwortlichen erfuhren. Demgemäß spielen Preisanpassungsklauseln in diesem Geschäftsbereich keine Rolle.
165
(3) In der Division Gase fehlt dem Umsatzwachstum von 1,4% im Jahr 2019 ungeachtet eines Anstiegs um 2,5% im Vorjahr nicht die Plausibilität. Diese Entwicklung beruht auf der Investitionspolitik der Gesellschaft in den Jahren 2015 bis 2017, die die Minderheitsaktionäre als unternehmerische Entscheidung hinnehmen müssen. Die Anlaufphase größerer Investitionsprojekte im Rahmen des Geschäfts- bzw. Investitionszyklus des Industriegasgeschäfts beläuft sich nach den den Abfindungsprüfern vermittelten Erkenntnisse auf zwei bis drei Jahre. Das erstrebte Umsatzniveau erreichen diese Projekte aber gerade erst nach dem Ablauf der Anlaufphase. Da die L… AG in der Zeitspanne von 2015 bis 2017 eine restriktivere Investitions- und Genehmigungspolitik verfolgte, wie die den Prüfern vorgelegten internen Auswertungen der in den vergangenen Geschäftsjahren getätigten Investitionen belegen, und da zudem auch hier die regions- bzw. produktspezifischen Entwicklungen innerhalb der Regional Business Units als Ursache für die schwankende Umsatzentwicklung zu beachten sind, muss der in der Planung abgebildete Rückgang der Wachstumsrate im Geschäftsjahr 2019 nicht korrigiert werden.
166
(4) Die Planung vernachlässigt nicht den sich aus der Kombination von Engineering und der Belieferung mit Gasen gegenüber den Wettbewerbern ergebenden Vorteil. Die Tatsache, dass die L… AG im Wettbewerbsvergleich den höchsten Engineering-Anteil hält, kennzeichnet die Gesellschaft und ihr Geschäftsmodell seit vielen Jahren vor dem Bewertungsstichtag. Dann aber kann dieser Aspekt kein erst in der Detailplanungsphase neu auftauchender Wettbewerbsvorteil sein; vielmehr bildet sich dieser Umstand auch schon in den Ergebnissen der Vergangenheit ab. Da das Engineering-Geschäft im Vergleich zum Gase-Geschäft regelmäßig niedrigere Margen erwirtschaftet, führt die kombinierte Geschäftstätigkeit per Saldo betrachtet insgesamt zu der im Vergleich zu den Peer Group-Unternehmen geringeren operativen Marge.
167
(5) Die Planannahmen im Teilbereich Healthcare können nicht als zu konservativ oder zu pessimistisch eingestuft werden.
168
(a) Dabei kann namentlich nicht angenommen werden, die Planung vernachlässige die sich aus der demografischen Entwicklung, dem steigenden Zugang von Patienten zu höherwertigen medizinischen Dienstleistungen in Schwellenländern und Ländern der sogenannten Dritten Welt sowie der zunehmenden Bereitschaft zu Investitionen in die eigene Gesundheit und überbetone gleichzeitig die Risiken aus der zu Kostendruck führenden Kostenregulierung medizinischer Leistungen in Ländern wie Deutschland. Im medizinischen Bereich müssen die aufgrund der Demografie bestehenden Risiken aufgrund des allgemein erwarteten Kostendrucks auf das Gesundheitssystem und die damit einhergehenden staatlichen Eingriffe bei der Planung und deren Plausibilisierung beachtet werden. In der Vergangenheit verzeichnete das Healthcare-Geschäft in den USA ausweislich der nicht angegriffenen Feststellungen im Finanzbericht 2017 und im Halbjahresfinanzbericht von Januar bis Juni 2018 aufgrund von Preisreduzierungen durch staatliche Ausschreibungsverfahren erhebliche Umsatzrückgänge. Ungeachtet dessen bildet die Planung angesichts eines Wachstums von 4% bis 5% p.a. in den Jahren 2020 bis 2022 für die Produktgruppe Healthcare die Chancen in diesem Bereich und insbesondere im Homecare-Geschäft aufgrund steigender Patientenzahlen, einer wachsenden Mittelschicht sowie durch die erhöhten Anforderungen medizinischer Möglichkeiten hinreichend ab. Dabei geht die Planung noch davon aus, ab dem Jahr 2019 werde ein Rückgang der negativen Einflüsse auf die Marktpreise in den USA mit Auswirkungen für Lincare und positiven Effekten auf die operative Ergebnismarge zu verzeichnen sein. Allerdings erhielten die Abfindungsprüfer im Rahmen der Aktualisierung zum Stichtag die Information, dass aufgrund einer zwischenzeitlich erwarteten Änderung der competitive bidding-Regeln für den USamerikanischen Healthcare-Bereich von einer deutlichen Verschlechterung für Lincare ausgegangen werden müsse.
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Die tatsächliche Entwicklung bei Lincare kann entgegen der Auffassung des Antragstellers zu 32) die Planung nicht infrage stellen. Nachträgliche Entwicklungen – auch des Wechselkurses, die zum Übertreffen der Planumsätze beigetragen haben – sind zur Plausibilisierung entsprechend den obigen Ausführungen nicht geeignet. Dies gilt umso mehr, als sich diese nicht mehr in der L… AG als Bewertungsobjekt abspielten, sondern in dem kombinierten Unternehmen.
170
Der Plausibilität der Planansätze kann nicht eine Aussage der Herren A… und R…, wie sie im Handelsblatt vom 2.3.2019 zitiert wurden, entgegengehalten werden. Zum einen erfolgte die Aussage zu einem Zeitpunkt deutlich nach dem maßgeblichen Stichtag der Hauptversammlung vom 12.12.2018. Zum anderen erläuterte Herr Dr. P… im Rahmen der Anhörung, dass darin auf regulatorisch verordnete Preissenkungen verwiesen wurde. Die von Herrn A… und Herrn R… gemachte Aussage über Lincare als beste seiner Klasse lässt keinen Rückschluss in Bezug auf die Plausibilität der Planung zu. Allein aus einer einzigen Studie von Grand View Research, die ein hohes Wachstum von 9% prognostiziert, kann angesichts der Vielzahl von Prognosen und Marktstudien auf dem Markt nicht auf die mangelnde Plausibilität der Planung geschlossen werden, zumal Lincare nur einen Teilmarkt des Bereichs Healthcare bedient. Dies gilt vor allem auch angesichts der von Herrn Dr. P… mitgeteilten Zahlen für den US-Gesundheitsmarkt. Er verwies auf ein jährliches Wachstum von 5% in den Jahren 2018 bis 2022 und von 6% bis 7% in den Jahren 2021 und 2022 sowie einen Anstieg der operativen Marge, die nach der Planung von 20% im Jahr 2018 auf 25% im Jahr 2022 ansteigen soll. Die historische Marge des Jahres 2015 soll gerade auch im Jahr 2022 wieder erreicht werden, was auch mit der hohen Effizienz erklärt werden kann.
171
Zusätzlich nahmen die Abfindungsprüfer einen Vergleich der Studie von Grand View Research mit den Zahlen des Teilbereichs Healthcare in der Vergangenheit vor. Das Wachstum von durchschnittlich 9% pro Jahr bezieht sich auf den Zeitraum von 2016 bis 2024 mit dem Jahr 2015 als Ausgangspunkt der Schätzung. Im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr 2017 kam es zu einem Umsatzrückgang um 5,7%. Wenn dann aber die tatsächlichen Zahlen des Teilbereichs Healthcare in den Jahren 2016 und 2017 mit 5,2 Prozentpunkten bzw. 14,7 Prozentpunkten und somit von 9,2 Prozentpunkten im Durchschnitt deutlich hinter den Werten der Studie von Grand View Research zurückbleiben, was auch für den Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre vor dem Beginn der Detailplanungsphase mit einem CAGR von 2,8% gilt, kann aus einer verbalen Aussage der Herren A… und R… und einer Marktstudie nicht auf die mangelnde Plausibilität der Planung in diesem Bereich geschlossen werden.
172
Zudem muss gesehen werden, dass die Abgrenzung der Märkte vielfach nicht mit den von der L… AG angebotenen Leistungen übereinstimmt und die von Marktstudien vielfach aus der Perspektive einzelner Länder abgegebenen Entwicklungsprognosen von den für die Regional Business Units relevanten Entwicklungsfaktoren abweicht. Demgemäß entwickeln sich die Erträge im Produktbereich Healthcare deutlich abweichend gerade von der Studie von Grand View Research, was deren Aussagekraft sehr deutlich abschwächt.
173
In dieser Situation ist eine einzig zutreffend Prognose, die dann zwingend einer Unternehmensbewertung zugrunde gelegt werden könnte, ausgeschlossen. Dabei fällt insbesondere auch ins Gewicht, dass die Vorhersagegenauigkeit mit zunehmenden Zeitverlauf zwangsläufig deutlich abnehmen muss, weil der Konjunkturverlauf über längere Zeiträume angesichts der vielfältigen, auch geopolitischen Entwicklungen, von denen er abhängt, nicht präzise vorhergesagt werden kann. Demgemäß weisen nur wenige Monate später aufgestellte Aktualisierungen derartiger Prognosen bereits deutliche Veränderungen auf. Verlässliche Vorhersagen über einen länger Zeitraum durchaus schwierig. Wenn diese externen Prognosen dann nach Abgleichung und Vergleich mit den unternehmenseigenen Einschätzungen der vor Mitarbeiter der Gesellschaft nicht zur Grundlage einer Ableitung der für die Planung maßgeblichen Zahlen herangezogen werden, steht dies der Plausibilität der geplanten Annahmen nicht von vornherein entgegen.
174
(b) Aus dem Anstieg der Marge von 23% aus der Zeit vor der COVID-19-Pandemie auf 28% Ende 2021 im geografischen Bereich America, was auch mit der guten Entwicklung von Lincare zusammenhänge, kann nicht auf die mangelnde Plausibilität der Planung für den Healthcare-Bereich geschlossen werden. Die Zahlen des Jahres 2021 – also drei Jahre nach dem maßgeblichen Stichtag – lassen keinen Rückschluss auf eine mangelnde Plausibilität der Planung zu. Die Beurteilung der Planungsplausibilität muss sich auf den Stichtag beziehen und kann durch die Entwicklung der tatsächlichen Ergebnisse nach dem Stichtag grundsätzlich nicht infrage gestellt werden, weil für die Unternehmensbewertung der Informationsstand maßgeblich ist, der bei angemessener Sorgfalt am Bewertungsstichtag bestanden haben könnte. Aus einer ex post-Betrachtung lassen sich keine entsprechenden Rückschlüsse ableiten (vgl. OLG Düsseldorf AG 2017, 827, 830; OLG Frankfurt AG 2017, 832, 834 f.).
175
Spätere Entwicklungen bleiben regelmäßig ohne Bedeutung und können allenfalls zur Plausibilisierung herangezogen werden, ohne dass dies zwingend wäre. Bei einem Zeitraum von drei Jahren nach dem Stichtag spielen aber so viele Faktoren wie die konjunkturelle Entwicklung, gesetzgeberische Maßnahmen gerade im Bereich des Gesundheitswesens oder geopolitische Ereignisse eine Rolle, weshalb sich hier ein Rückschluss verbietet.
176
(c) Soweit gerügt wurde, die Planung übersehe, dass die im Bereich Homecare erzielten Margen regelmäßig höher seien als im traditionellen Industriegasegeschäft, rechtfertigt dies nicht die Annahme einer mangelnden Plausibilität. Die Planung geht im Medizingeschäft im Vergleich zum klassischen Industriegasegeschäft tatsächlich von höheren Margen aus; sie weist hier die höchsten Wachstumsraten aus, wobei dies im Bereich Homecare primär über steigende Patientenzahlen erreicht wird. Daher kann in diesem Geschäftsfeld insbesondere nicht von einer Reduktion ausgegangen werden.
177
(6) Erträge aus dem Iran-Geschäft wurden noch im Jahr 2018 im Rahmen des der Bewertung zugrunde liegenden Forecasts für dieses Geschäftsjahr berücksichtigt. Das Closing des Verkaufs des sogenannten Iran-Gase-Geschäfts erfolgte unterjährig im Jahr 2018, weshalb die bis zu diesem Zeitpunkt erwarteten Ergebnisbeiträge in die Ermittlung des Ertragswerts eingeflossen sind, während sie angesichts der Veräußerung noch im Jahr 2018 in den Folgejahren in der Planungsrechnung keine Berücksichtigung mehr finden konnten. Soweit diese auf einer Desinvestition beruhende Veräußerung bereinigt wurde, wirkt sich dies aber nicht auf die Ermittlung des Unternehmenswerts aus, da die Wertermittlung auf den unbereinigten Ergebnissen der Jahre ab 2018 ff. beruhte und die bereinigten Ergebnisse lediglich Plausibilisierungszwecken dienten. Die Anschaffungskosten des veräußerten Iran-Geschäfts haben für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der L… AG keine wesentliche Bedeutung. Zum anderen ist zu beachten, dass zum Bewertungsstichtag aus dem vorherrschenden politischen Umfeld mit drohenden Sanktionen erhebliche Risiken für die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft bestandenen. Gerade auch deshalb ist es nachvollziehbar, wenn die Abfindungsprüfer in ihrer ersten ergänzenden Stellungnahme darauf verwiesen, keinerlei Erkenntnisse zu bestehenden Ertragspotenzialen im Zusammenhang mit dem Iran-Gase-Geschäft gewonnen zu haben, die über das hinausgehen würden, was in der Planung für das Geschäftsjahr 2018 berücksichtigt wurde.
178
d. In der Division Engineering müssen die Planansätze angesichts ihrer Plausibilität nicht korrigiert werden, die in den Geschäftsjahren 2018 bis 2020 Umsatzerlöse von jeweils € 2.554 Mio., im Geschäftsjahr 2021 von € 2.652 Mio. und im Geschäftsjahr 2022 von € 2.754 Mio. sowie operative Ergebnisse in der Detailplanungsphase von € 258 Mio. im ersten Planjahr, von jeweils € 255 Mio. in den Jahren 2019 und 2020, von € 265 Mio. im Jahr 2021 und von € 275 Mio. im letzten Planjahr erwirtschaften soll.
179
(1) Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, es seien im ersten Halbjahr 2018 die Umsatzerlöse bereits um 12,5% statt 7% und das Auftragsvolumen um 60,5% und in den ersten neun Monaten bereits 80% des Gesamtjahreserlöses erwirtschaftet worden. Die Prozentzahl von 12,5, mit der die mangelnde Plausibilität begründet werden soll, beziffert die Erhöhung der Divisionsumsätze des ersten Halbjahres 2018 gegenüber demselben Zeitraum des Vorjahres. Die Prozentzahl von 7 bezieht sich auf die Veränderung des Divisionsumsatzes des Hochrechnungsjahres 2018 gegenüber jenen des Jahres 2017 auf unbereinigter Basis, während die bereinigten Zahlen einen Anstieg von 8,5% belegen. Der Anstieg um 60,5% bezieht sich wiederum auf das jeweils erste Halbjahr der beiden Vergleichsjahre 2017 und 2018. Die genannte Quote von 80% nimmt Bezug auf die Quartalsmitteilung vom 14.11.2018 zum 30.9.2018 in Bezug auf den für das Gesamtjahr erwarteten Umsatz. Allerdings lassen diese Zahlen bei einer genauen Betrachtung die Planung nicht unplausibel erscheinen. Wenn für die ersten neun Monate des Jahres 2018 in der Erklärung vom 14.11.2018 ein Umsatz von € 2.011 Mio. genannt wird, so stellt das Erreichen von etwa 78,3% des geplanten Jahresumsatzes von € 2.554 Mio. dar. Angesichts dieser Differenz zu exakt 75% von 3,34 Prozentpunkten lässt sich daraus aber kein Rückschluss auf die fehlende Plausibilität ziehen. Die operative Marge von rund 10% bei einem angenommenen operativen Ergebnis von 10,1% entspricht wiederum den Planannahmen.
180
(2) Die am 9.11., 16.11. und 22.11.2018 bekannt gewordenen Großaufträge über eine Wasserstoffanlage in den USA, eine LNG-Anlage in China sowie eine Wasserstoff-Betankungskapazität in Kalifornien bedeuten keine neuen Informationen. Im Zusammenhang mit der Planung. Da den Aufträgen im Bereich Engineering gerade bei Großprojekten zum Teil jahrelange Ausschreibungen, Detailplanungen und umfangreiche Kalkulationen vor der eigentlichen Auftragserteilung vorausgehen, ist eine überraschende Auftragserteilung nahezu ausgeschlossen, wie in der ergänzenden Stellungnahme vom 15.3.2022 erläutert wurde. Die Gesellschaft führt nämlich Übersichten über die laufenden Ausschreibungen und Angebotsprozesse, bei denen die einzelnen Projekte abhängig vom Status mit Wahrscheinlichkeiten für den erfolgreichen Angebotsabschluss bewertet werden – daraus wird dann der Erwartungswert des Auftragsbestandes abgeleitet. Diese drei Projekte waren vollständig in der Planung abgebildet und mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% in der Projektliste enthalten, weshalb die Planung nicht angepasst werden muss.
181
Soweit der Antragsteller zu 32) bemängelt, es müsse auf der Basis des Konzernabschlusses von L… plc. bei in nur zwei konsolidierten Monaten erzielten Umsatzerlöse im Segment Engineering in einem Umfang von USD 459 Mio. Im Jahr 2018 ein Umsatz von mehr als € 2,6 Mrd. auch bei der L… AG angesetzt werden, vermag dies die Plausibilität des Planansatzes nicht in Frage zu stellen. Der in der Planung angesetzte Wert von € 2.554 Mio. entspricht unter Berücksichtigung einer kaufmännischen Rundung dem Wert von € 2,6 Mrd., wie in der Zwischenmitteilung vom 14.11.2018 als Circa-Wert für das Geschäftsjahr 2018 genannt wurde. Dann aber vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen, warum aus dem Konzernabschluss der L… plc., die gerade nicht das Bewertungsobjekt ist, ein Umsatz von deutlich über € 2,6 Mrd. hergeleitet werden sollte. Dies gilt umso mehr, als für einen Wechselkurs von USD/EUR 1,17 ein geringerer Wert ermittelt würde im Wege einer nachvollziehbaren Hochrechnung.
182
(3) Der Annahme einer Stagnation in der Zeitspanne von 2018 bis 2020 fehlt nicht die Plausibilität, auch wenn sich die Gesellschaft selbst als Vorreiter in der Herstellung technischer Anlagen zur Erreichung von Klimaschutzzielen sieht und dabei eine Vielzahl von Möglichkeiten sieht, die eigenen Ressourcen zu nutzen. Aus einer stichwortartigen Auflistung positiver Aspekte, die im Wege der Selbstdarstellung auf der Homepage der Gesellschaft genannt wurden, kann nicht auf die mangelnde Plausibilität der Planung geschlossen werden. Dies zeigt sich namentlich an der Entwicklung der Gesellschaft in der Detailplanungsphase im Vergleich zu den Jahren der Vergangenheit. Über den Zeitraum der Jahre 2007 bis 2017 ergab sich ein durchschnittlicher Umsatz von € 2.623 Mio. bzw. ein Median von € 2.561 Mio., wobei in der Entwicklung der Umsätze ein jährliches (negatives) Wachstum von minus 1,4% zu verzeichnen war. Demgegenüber ergibt sich ausgehend vom Jahr 2017 als dem letzten Jahr der Vergangenheitsanalyse ein jährliches durchschnittliches Wachstum von etwa 2,9% bzw. unter Berücksichtigung des um Wechselkurseffekte adjustierten Umsatzes eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 3,2%. Angesichts der langen Vorlaufzeiten ist auch der Umfang zu erwartender neuer Wasserstoffanlagen auf eine Sicht von ein bis zwei Jahren gut absehbar. Die Projekte, die in der Mitteilung vom November 2018 genannt wurden, von denen zwei die Herstellung von Wasserstoffanlagen betrafen, sind entsprechend den obigen Erläuterungen unter B. II. 1. d. (2) in der Planung enthalten. Wenn die L… AG von einem Wachstum der Engineering-Erlöse für die Jahre 2021 und 2022 von jährlich ca. 3,8% über alle Anlagentypen hinweg ausgeht und darin nach den den Abfindungsprüfern erteilten Informationen auch das wasserstoffbedingte Wachstum enthalten ist, dann erfasst die Planung auch das Konsortium, an dem die L… AG beteiligt ist und das bis zum Jahr 2023 insgesamt 400 Wasserstofftankstellen in Deutschland bauen soll. Die Beteiligung an diesem Konsortium ist demgemäß in der Planung berücksichtigt.
183
Soweit der Antragsteller zu 32) darauf verweist, die In… SE weise für den Bereich E-Mobilität in den Jahren 2020 bis 2022 Wachstumsraten von 40,9%, 43,5% und 27,8% aus, ist dieser Ansatz nicht geeignet, die Planung der L… AG für die Division Engineering als fehlerhaft zu bezeichnen. Bei der In… SE handelt es sich um einen Stromerzeuger, weshalb ein Vergleich mit der L… AG im Sinne einer Peer Group-Analyse nicht erfolgen kann. Zudem beziehen sich diese Zahlen auf einen Stichtag am 4.3.2020, mithin knapp 15 Monate nach dem hier maßgeblichen Stichtag. Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch, dass die Wachstumsraten bei der In… SE in den Jahren 2018 bei 184% und in 2019 bei 226% lagen. Diese Steigerungsraten zeigen, dass offensichtlich von einem sehr niedrigen Ausgangspunkt aus gerechnet wurde. Für die hiervon zu unterscheidenden künftigen Wasserstofftankstellen gab es bei der L… AG kein Preis-Mengengerüst, weshalb es nicht möglich ist, den Einfluss dieses Projekts exakt darzustellen. Allerdings kam es – wie ausgeführt – zu nicht unerheblichen Wachstumsraten in diesem Segment. Daraus ist auch hier der Schluss zu ziehen, dass die Beteiligung an einem Konsortium zur Errichtung von 400 Wasserstofftankstellen in den Planzahlen berücksichtigt wurde.
184
Aus einer Veränderung des Auftragsbestandes kann nicht zwingend auf eine Veränderung der Umsatzerlöse geschlossen werden, weil zwischen dem Auftragseingang und dem Zeitpunkt, in dem Umsätze generiert werden, im Anlagenbau eine gewisse Zeitspanne liegt. Daher kann allein aus einem hohen Auftragsbestand zum 30.9.2018 mit € 4.988 Mio. nicht auf zu niedrige Umsätze geschlossen werden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung erläuterte Herr Dr. P… nachvollziehbar, dass die Analyse der Vergangenheitsentwicklung belege, dass es kein zwingendes Schema gebe, ein höherer Auftragseingang ziehe im nächsten oder übernächsten Jahr höhere Umsätze nach sich. In der ergänzenden Stellungnahme wurde dies exemplarisch besonders deutlich am Jahr 2013 mit dem größten Anstieg des Auftragseingangs mit einer Zunahme von 71,7% dargestellt. Dem Umsatzanstieg von 4,8% im Jahr 2014 folgte 2015 ein Umsatzrückgang von 14,0% und im Jahr 2016 von 9,4%. Auch zeigen sich gänzlich unterschiedliche Entwicklungen je nachdem, ob auf den 30.9. oder den 30.12. eines Jahres abgestellt wird. In der konkreten Planung zeigt namentlich die weitere Entwicklung ab dem Jahr 2021 mit einem Anstieg des Umsatzes um knappe 4%, dass eine solche Entwicklung mit entsprechenden Wachstumsraten in der Planung hinreichend abgebildet ist. Zudem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach den den Abfindungsprüfern erteilten Informationen die Organisation auf ein Umsatzvolumen von etwa € 2,5 Mrd. pro Jahr ausgelegt ist, was den Wachstumsmöglichkeiten gewisse Grenzen setzt. Aus einer Meldung im Handelsblatt vom 14.1.2021, also mehr als zwei Jahre nach dem Bewertungsstichtag über einen Umsatz von mehr als USD 2 Mrd. im Bereich Wasserstoff kann kein Rückschluss auf die mangelnde Plausibilität der Planung gezogen werden. Die im Handelsblatt vom 4.3.2019 zitierte Äußerung von Herrn A… über das Wachstumspotenzial von L… plc. bezieht sich nicht auf das konkrete Bewertungsobjekt L… AG und kann wegen der Stand alone zu erfolgenden Bewertung der L… AG nicht als Maßstab herangezogen werden. Das große Potenzial der L… im Anlagenbau wird nach dem Verständnis der Aussage von Herrn A… gerade erst durch den Zusammenschluss mit P…, Inc. ermöglicht.
185
Soweit teilweise auf den Beginn einer längeren Aufschwungphase zum Stichtag verwiesen wird, weshalb sich Spielräume zur Erhöhung der Gewinnmargen ergeben könnten, die nicht berücksichtigt worden seien, muss dem entgegengehalten werden, dass die angesetzten operativen Margen von 10,1% im Jahr 2018 und von jeweils 10,0% in den Folgejahren deutlich über den adjustierten operativen Margen der Vergangenheit von 2015 bis 2017 mit 8,4%, 8,5% und 9,4% liegen. Nachdem die Planung von einer Vollauslastung der Kapazität mit einem Volumen für € 2.500 Mio. und Umsätzen von € 2.554 Mio. bis € 2.754 Mio. ausgeht, vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass diese Ansätze korrekturbedürftig sein könnten und konjunkturelle Entwicklungen im Sinne eines Aufschwungs vernachlässigen würden.
186
Ein Anstieg der operativen Marge auf 10,2% im dritten Quartal des Jahres 2018 allein ist nicht geeignet, die Ansätze der Planung für die Division Engineering infrage zu stellen. Diese Marge berücksichtigte nicht die Vorverlagerung eines Rohertrags von € 20 Mio. weshalb das EBIT für 2018 und 2019 unverändert bliebt.
187
Mit der oben beschriebenen Margenentwicklung mit einem Anstieg auf 10,0% wird auch die angestrebte Kostenreduktion in der Planung abgebildet, nachdem diese in den Jahren der Vergangenheitsanalyse zwischen 8,4% und 9,4% lag.
188
(4) Der Umsatzanteil für Wasserstoff- und Synthesegasanlagen hat sich von etwa 20,6% im Jahr 2016 auf rund 9,9% im Jahr 2017 verringert, wobei sich dieses Niveau auch in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 abgezeichnet hat. Umsätze von € 179 Mio. bis einschließlich September 2018 entsprechen einem Anteil von etwa 8,9% des Umsatzes von € 2.011 Mio.. Demgegenüber hat sich der Umsatzanteil für Luftzerlegungsanlagen von etwa 17,8% im Jahr 2016 auf rund 20,7% im Jahr 2017 erhöht. Bei Anlagen zur Olefin-Herstellung kam es zu einem leichten Anstieg von 34,8% in 2016 auf 35,5% in 2017. Eine Verbindung zwischen den in der Division Engineering hergestellten Anlagetypen und den in der Division Gase abgesetzten Gasen konnten die Abfindungsprüfer im Rahmen ihrer Prüfungshandlungen nicht feststellen. Dagegen sprechen namentlich auch die regional unterschiedlichen Entwicklungen im Gase-Geschäft.
189
(5) Ebenso wenig übersieht die Planung, dass ausweislich einer Studie von Future Market Insight im Weltmarkt für Luftzerlegungsanlagen die Nachfrage um jährlich 4,9% wachsen soll. Diese Studie deckt die weltweite Entwicklung ab, was indes der geografischen Ausrichtung der Gesellschaft zum Stichtag nicht gerecht wird. Die regionalen Schwerpunkte sowie die Nachfrage nach den verschiedenen Anlagetypen schwanken im Zeitablauf stark. Ein geografischer Schwerpunkt lag für die Division Engineering in Russland. Im Jahr 2017 entfielen auf Luftzerlegungsanlagen nur rund 21% der Segmentumsätze. Bei dieser Sachlage kann aus einer wenig differenzierenden Wachstumsannahme in einer Studie für den Zeitraum von 2018 bis 2028 für einen Teilbereich der Division Engineering nicht auf die Unangemessenheit der Segmentplanung insgesamt geschlossen werden. Abgesehen davon haben die Abfindungsprüfer in diesem Zusammenhang auf andere vom Antragsteller zu 32) zitierten Zahlen verwiesen, die für die L… AG im Zeitraum 2007 bis 2017 statt eines durchschnittlichen jährlichen Anstiegs von 4,4% von 2013 bis 2021 entsprechend der Übersicht von Future Markets Insight einen durchschnittlichen jährlichen Rückgang von 4,7% aufweist. Auch diese Unterschiede belegen, dass Studien für sich genommen nicht der alleinige Maßstab für die Plausibilisierung einer Planung sein können.
190
(6) Die Planung blendet auch nicht die Chancen aus dem Boom zur Gewinnung von Schiefergas und dessen Verflüssigung mit den daraus resultierenden Aufträgen zum Bau von Fracking-Anlagen aus. Die Gesellschaft liefert Gase, die beim Fracking genutzt werden, sowie Anlagen, die die gewonnenen Rohstoffe aufbereiten. Angesichts der Problematik, inwieweit die Förderung von Schiefergas wegen der allgemeinen Umweltschädlichkeit der geförderten Gase und der durch die Förderung selbst hervorgerufenen Umweltrisiken weiter zunehmen wird, muss davon ausgegangen werden, dass die Chancen aus diesem Bereich hinreichend in der Planung niedergelegt sind.
191
(7) Die zur Plausibilisierung herangezogenen Vergleichsunternehmen sind mit der Gesellschaft vergleichbar. Dies zeigt sich namentlich an den von der Division Engineering erstellten „Competition Analysis“, die all die Unternehmen aufführen, die auch im Bewertungsgutachten und im Prüfungsbericht genannt sind.
192
(8) Im Rahmen der Plausibilisierung der Planzahlen für die Division Engineering nahmen die Abfindungsprüfer auch eine Wettbewerbsanalyse vor, bei der sie sich auf die entsprechende Analyse der Gesellschaft stützen konnten. Diese umfasste die wesentlichen Wettbewerber einschließlich umfassender Finanzzahlen und eine Analyse der das Engineering-Geschäft betreffenden Marktneuigkeiten wie beispielsweise in Bezug auf Unternehmenszusammenschlüsse oder Geschäftsveränderungen sowie die Vergabe größerer Engineering-Projekte an Wettbewerber. Zudem erläuterte das Management das Markt- und Wettbewerbsumfeld dieser Division mit der Zyklizität des Geschäfts und der Bedeutung des Ölpreises. Zudem wurde eine geografische Nachfrageverschiebung weg von Brasilien und EMEA hin zu China und Russland erörtert. Dabei stehen die Chancen im Bereich neuer Geschäftsfelder aus einer starken Digitalisierung namentlich im Bereich von Service und Maintenance geopolitischen Risiken beispielsweise in Südafrika oder Argentinien sowie dem verstärkten Wettbewerb durch Niedrigpreisanbieter aus China und Indien gegenüber. Gerade chinesische Unternehmen versuchen verstärkt, in Märkten wie Russland oder der Türkei, wo auch Niedrigpreise angeboten werden, Produkte aus dem Engineering-Bereich anzubieten, wie Herr Dr. P… bei seiner Anhörung ausführte.
193
Im Rahmen der Plausibilisierung der Segmentebene war ein Vergleich mit nicht börsennotierten Unternehmen nicht zielführend, weil es für diese keine hinreichenden Zahlen gibt, auf deren Grundlage Analysten eine Schätzung abgeben können.
194
e. Die Entwicklung der Umsatzerlöse in der Planung für die Division GIST, die im Jahr 2018 Umsätze von € 578 Mio., im Jahr 2019 von € 603 Mio., im Jahr 2020 von € 605 Mio., im Jahr 2021 von € 656 Mio. sowie im letzten Planjahr 2022 von € 740 Mio. und ein CAGR von adjustiert 4,5% im Zeitraum von 2017 bis 2022 vorsah, muss als plausibel eingestuft werden.
195
(1) Dem steht der Rückgang von unbereinigt € 605 Mio. im Jahr 2017 auf € 578 Mio. im ersten Planjahr 2018 nicht entgegen. Ein Teil dieses Rückgangs begründet sich nämlich bereits mit einer Verschlechterung des Wechselkursverhältnisses vor allem zum Britischen Pfund. Bei vergleichbaren Wechselkursen reduziert sich der Rückgang auf nur noch € 16 Mio. Bei der Prüfung wurden die Abfindungsprüfer vom Management auf die hohe Unsicherheit als Folge des Brexit hingewiesen. Angesichts eines CAGR, das um Wechselkurseffekte bereinigt bei 4,5% p.a. liegt, ist für die Kammer nicht zu erkennen, dass mit annähernd gleichen Umsätzen gerechnet werde. Mit Blick auf den geplanten Umsatz ist nicht davon auszugehen, diese Ansätze stünden im Widerspruch zu der kurz- bis mittelfristig angestrebten Kundenerhaltung. Zudem muss für diese Entwicklung die hohe Bedeutung des britischen Kunden M… & S… gesehen werden. Die Planung trägt dieser Unsicherheit dadurch Rechnung, dass im Zeitraum bis 2020 ein abgeschwächtes Wachstum angesetzt wurde. Solche Unsicherheiten spiegeln sich in verminderten Erwartungswerten wider. Dies entspricht den Grundsätzen zur Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts, wo Chancen und Risiken gleichmäßig einzubeziehen sind. Dabei müssen die am realistischsten erscheinenden Werte im Sinne von Erwartungswerten angesetzt werden. Wenn auf diese Art und Weise mit dem Ansatz eines geschwächten Wachstums den Unsicherheiten des Fortbestands der Geschäftsbeziehung mit M… & S… Rechnung getragen wird, kann darin kein Verstoß gegen den Grundsatz gesehen werden, wonach eine Planung nicht unter Anwendung des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips vorgenommen werden kann. Dies wurde auch sachgerecht im Zähler des Bewertungsobjekts angesetzt. Diese in der Planung angenommene Entwicklung eines Rückgangs war bereits im Ist erkennbar – Herr Dr. P… verwies auf eine Aufstellung, aus der sich nach seiner Erinnerung bereits im Ist ein Rückgang von € 16 Mio. ergab.
196
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Plan-Ist-Vergleichen am Ende der Detailplanungsphase, weil zum einen die steigenden Ergebnismargen in dem kombinierten Unternehmen und nicht in der L… AG erwirtschaftet wurden und zum anderen ein Ex post-Vergleich keinen Rückschluss auf die zum Stichtag der Hauptversammlung maßgeblichen Verhältnisse zulässt.
197
Soweit der Antragsteller zu 32) auf einen Währungseffekt von GBP 17 Mio. abstellt, räumt er in seinem Schriftsatz vom 6.7.2023 selbst ein, dass sich dieser Wert auf das gesamte Geschäft in Großbritannien bezieht und nicht nur auf die Division GIST. Dann aber können seine Berechnungen nicht maßgeblich sein.
198
Die zur Ermittlung der jährlichen Wachstumsrate von 4,5% vorgenommene Wechselkursbereinigung beruht auf dem tatsächlich im Geschäftsjahr 2017 realisierten Wechselkurs. Da sich diese tatsächliche Entwicklung vielfach nicht ausschließlich durch tatsächlich eingetretene Inflationsentwicklungen erklären lassen, kommt es weder auf die unterschiedlichen Inflationsraten in Deutschland und Großbritannien in den Jahren 2018 und 2019 noch darauf an, welche Methoden zur Prognose künftiger Wechselkurse herangezogen werden.
199
(2) Die Planung ist nicht zu pessimistisch, auch wenn die adjustierte Marge der Jahre 2015 und 2016 in Höhe von 7,4% nicht erreicht wird. Dabei muss nämlich gesehen werden, dass bereits im letzten Ist-Jahr 2017 mit einem Wert von 3,8% das Niveau von 2016 deutlich verfehlt wurde. Dieser Rückgang ist zur Überzeugung der Kammer zumindest zu einem nicht unerheblichen Teil dem im Juni 2016 beschlossenem Votum zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zu erklären. In den Planjahren steigen die adjustierten operativen Margen auf Werte zwischen 5,9% und 6,7%. Angesichts der mit dem Austritt ausgelösten Probleme der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Großbritannien, die zum Stichtag der Hauptversammlung gerade nicht gelöst waren, nachdem das Austrittsabkommen erst im Jahr 2020 verhandelt wurde, sind die angesetzten Zahlen plausibel. Die Tatsache, dass das Vereinigte Königreich erst ab dem 1.1.2021 nicht mehr am Binnenmarkt teilnahm, vermag daran nichts zu ändern. Die Tatsache des Brexit führte zu einer erheblichen Verunsicherung innerhalb der Europäischen Union, weshalb es nachvollziehbar ist, wenn niedrigere operative Margen erwartet werden als in der Zeit, die ganz überwiegend vor dem Brexit-Votum lag.
200
(3) Aus den mit durchschnittlich 29,9% in der Division Gase und 8,5% in der Division Engineering deutlich höheren operativen Margen kann im Vergleich zu durchschnittlich 6,3% in der Division GIST nicht auf die mangelnde Plausibilität der Planung in diesem Segment geschlossen werden. Auch in der Vergangenheit der Jahre 2015 bis 2017 verfehlte diese Division mit einer durchschnittlichen operativen Marge von 6,9% diejenigen der beiden anderen Divisionen. Dann aber ist es nachvollziehbar, dass sich an diesem Verhältnis nichts grundlegend ändern wird, zumal die Probleme aus dem Brexit nur einen Teil der Jahre der Vergangenheitsanalyse betrafen.
201
(4) Aus dem Tauschangebot kann mangels Vergleichbarkeit kein Rückschluss auf eine zu pessimistische Planung der Division GIST zum Stichtag der Hauptversammlung gezogen werden. Entsprechend dem Finanzbericht 2016 der L… AG, der auch im Zeitpunkt des Tauschangebots inhaltlich noch Gültigkeit beanspruchte, war das auf die Division GIST entfallende Vermögen saldiert unter der Position „langfristige zur Veräußerung gehaltene Vermögenswerte und Veräußerungsgruppen“ ausgewiesen. Die Angebotsunterlage führte aus, wegen der beabsichtigten Verkaufsabsicht werde dieses Unternehmen nicht als fortgeführte Geschäftsaktivität ausgewiesen, weshalb auch die Planungsrechnung der L… AG keine Ergebnisbestandteile der Logistiksparte GIST beinhalte. Vielmehr wurde die GIST in Höhe des bilanziellen Werts als Sonderwert berücksichtigt. Dann aber kann dem Tauschangebot keine Planung für diese Division zugrunde gelegen haben. Erst nachdem der Vorstand im zweiten Quartal des Jahres 2018 von der Veräußerung Abstand nahm, kam es zur Reintegration der Division GIST in die Planung. Im Rahmen der für den Squeeze out maßgeblichen Bewertung kann daher kein Sonderwert mehr zugrunde gelegt werden, weil es dadurch zu einer Doppelerfassung käme.
202
f. Die hinsichtlich der Wechselkursentwicklung getroffenen Annahmen, die der Entwicklung des Unternehmenswertes und damit der Barabfindung zugrunde lagen, müssen nicht zugunsten der Minderheitsaktionäre angepasst werden. Die Planungsrechnung der L… AG wurde zum Teil in Fremdwährungen erstellt, wobei für Zwecke der Konzernplanung einheitlich mit einem währungsspezifischen Wechselkurs konstant über alle Planperioden hinweg umgerechnet wurde. Dieser für die Planung fest angesetzte Wechselkurs ergibt sich aus dem Mittelwert von Spot Rate und vier Forward Rates bis zum 31.12.2019. So lag beispielsweise der Planwechselkurs im Verhältnis USD/EUR bei 1,2220. Bei dieser Vorgehensweise können Inflationsunterschiede, die zu Währungsauf- bzw. -abwertungen im Kontext der relativen Kaufkraftparitätentheorie führen können, nicht vollumfänglich berücksichtigt werden. Daher nahmen die Bewertungsgutachter von E… Y… eine Rückrechnung der Planzahlen auf die jeweiligen Kassakurse vor, um sodann die erwarteten Effekte aus Inflationsdifferenzen periodenspezifisch einzubeziehen. Sich hieraus ergebende Währungseffekte – also der Nettoeffekt aus der Aktualisierung der Kassakurse und die Berücksichtigung der Inflationsraten – wurden dann im Zuge der Ableitung der zu kapitalisierenden Ergebnisse ergebnis- und zahlungswirksam berücksichtigt. Die Bewertungsgutachter ermittelten für alle Fremdwährungen die prognostizierten Inflationsraten und verdichteten diese anhand der relativen EBITDA-Beträge zu einer durchschnittlichen Inflationserwartung. Diese wurde dann mit der inländischen Inflationserwartung verglichen und daraus dann ein Anpassungsfaktor in Bezug auf das von der L… AG geplante EBITDA ermittelt. So lassen sich dann implizit die zur Anwendung gelangten Wechselkurse ermitteln. Dabei ist der Ansatz eines Wechselkurses von USD/EUR 1,17 für die Minderheitsaktionäre im Ergebnis günstiger als der angenommene Planwechselkurs. Gegen die von den Wirtschaftsprüfern von E… Y… gewählte Vorgehensweise wird unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Prüfungshandlung durch die Abfindungsprüfer von E… S… kein grundlegender Einwand zu erheben sein. So kann darin namentlich kein unzulässiger Eingriff in die Planungshoheit des Vorstands gesehen werden. Die Annahme eines sich konstant entwickelnden Wechselkurses widerspricht der Realität der Devisenmärkte. Sie kann zwar zu internen Planungszwecken zugrunde gelegt werden; angesichts der tatsächlich vorkommenden Wechselkursschwankungen ist ein fester Wechselkurs aber nicht geeignet, wenn es darum geht, einen objektivierten Unternehmenswert abzubilden. Die von den Wirtschaftsprüfern von E… Y… vorgenommenen Anpassungen umfassten bezogen auf alle Währungen auf der EBITDA-Ebene einen Betrag von plus € 40 Mio. und von plus € 11 Mio. in den Jahren 2018 und 2019 sowie von minus € 14 Mio., minus € 33 Mio. und minus € 52 Mio. in den Jahren 2020, 2021 und 2022.
203
(1) Die von den Bewertungsgutachtern vorgenommene Aktualisierung der Wechselkurse in Bezug auf den US-Dollar ergab einen im Zeitablauf nahezu konstanten Wechselkurs von rund USD/EUR 1,17. Der Plausibilität dieses Ansatzes kann nicht entgegengehalten werden, der Forecast 2019 müsse angepasst werden, weil sich die Währungsentwicklung im vierten Quartal des Jahres 2018 mit einem starken US-Dollar und einem schwachen Euro positiv auf Umsatz und Ergebnis des Jahres 2019 auswirken müsse und die Gesellschaft über bestehende Terminkontrakte mit einem Wechselkurs von USD/EUR 1,15 verfügt habe.
204
(a) Die Entwicklung der Wechselkurse war zum Stichtag der Hauptversammlung tatsächlich günstiger als im Augenblick der Beendigung der Prüfungsarbeiten, was ceteris paribus tatsächlich zu einer Ergebnisverbesserung auch in den Folgejahren nach 2018 führen würde. Allerdings umfasst eine sachgerechte Beurteilung einer Wechselkursprognose nicht nur einen Parameter – hier also den Kassawechselkurs. Vielmehr müssen eine ganze Reihe anderer volkswirtschaftlicher Größen beachtet werden, zu denen neben Inflationserwartungen für die (relative) Kaufkraftparitätentheorie auch Zinsniveaus und Forward-Wechselkurse sowie die in der Regel auf Fundamentalmodellen basierenden Einschätzungen von Analysten gehören. Bei der Plausibilisierung der Planannahmen muss gesehen werden, dass die von den Bewertungsgutachtens ausschließlich angesetzte Wechselkursanpassung auf der Grundlage der auf Differenzen aufbauenden relativen Kaufkraftparitätentheorie die Minderheitsaktionäre nicht benachteiligt. Die Abfindungsprüfer wiesen nämlich darauf hin, dass auf der Basis anderer Methoden, insbesondere der Terminkursmethode sich noch deutlich schlechtere operative Ergebnisse und damit eine niedrigere Barabfindung ergeben würden. Die der Bewertung zugrunde gelegte Planung enthielt einen ausreichenden wechselkursbedingten Ergebnispuffer, um Schwankungen noch abzufedern. Dieser Puffer war noch nicht überschritten, wie die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme wie auch im Termin vom 31.3.2023 dargelegt haben.
205
(b) Aus von der L… AG für das Geschäftsjahr 2019 abgeschlossenen Terminkontrakten mit einem Wechselkurs von USD/EUR 1,15 ergibt sich kein Anpassungsbedarf. Zum einen resultiert dies aus der Erwägung, dass projektbedingte Währungsrisiken in erster Linie im Bereich Engineering abgesichert werden. Dagegen erfolgte bei der Gesellschaft in der Division Gase operatives Hedging der ausländischen Einheiten nicht, weil der überwiegende Teil der Umsätze und Kosten in lokaler Währung erbracht bzw. bezogen wird. Daher war für das Planjahr 2019 kein Wechselkurs von USD/EUR 1,15 anzusetzen. Die Bewertungsgutachter setzten eine Spot Rate von USD/EUR 1,17 an. Auf der Grundlage von Inflationserwartungen für Deutschland und die USA ergibt sich keine wesentliche Veränderung dieses Wertes. Zum anderen sind für die Jahre nach 2019 die Terminkontrakte angesichts ihrer begrenzten Laufzeit ohnehin ohne Bedeutung.
206
(c) Der Ansatz der relativen Kaufkraftparitätentheorie, der zu dem angesetzten Wechselkurs führte, ist nicht zu korrigieren. Sie wird als eine von mehreren möglichen Ansätzen zur Wechselkursprognose diskutiert. Dabei handelt es sich um eine in der Wissenschaft anerkannte und in der Praxis auch gebräuchliche Methode. Zum Zwecke der Plausibilisierung haben die Abfindungsprüfer die Entwicklung der Wechselkurse mit Forward Rates gerechnet, die für das Jahr 2019 Wechselkurse im Verhältnis USD/EUR von 1,16 bis 1,18, für das Jahr 2020 von 1,21, für das Jahr 2021 von 1,25 und für das Jahr 2022 von 1,28 ergaben. Diese gleichfalls anerkannte Methode zeigt eine für die Gesellschaft und ihre Aktionäre deutlich ungünstigere Entwicklung.
207
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellten die Prüfer dar, dass sich zum Stichtag der Hauptversammlung die relative Kaufkraftparität zwar etwas günstiger dargestellt hat. Andererseits sind aber die anderen Möglichkeiten zur Entwicklung der künftigen Wechselkurse über Terminkurse zu beachten, bei denen sich eine gegenläufige Entwicklung zum Stichtag abzeichnete – sowohl die Analystenschätzungen als auch die Terminkurse gingen von einer Abwertung des Euro und einer Aufwertung des US-Dollars aus. So nannten die Analystenschätzungen für das Jahr 2019 einen Wechselkurs von 1,19, der sich auf 1,25 in den Jahren 2020 und 2021 und auf 1,26 im Jahr 2022 entwickeln sollte. Dabei wären die Abweichungen im Verhältnis zum Ende der Prüfung für die Jahre 2020 bis 2022 sehr gering – für die Jahre 2020 und 2021 nannten die Abfindungsprüfer zu diesem Zeitpunkt Wechselkurse von 1,26 und 1,25 und für das Jahr 2022 von 1,26.
208
Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Prognosen sieht die Kammer auch unter Berücksichtigung der Entwicklung hin zur Hauptversammlung mit gewissen Aufwertungstendenzen des US-Dollars den Ansatz eines Wechselkurses von USD/EUR 1,17 als vertretbar an. Diese Wertentwicklung wurde im Rahmen der Prüfungstätigkeit berücksichtigt, nachdem der Puffer aus der Bandbreite der Wirtschaftsprüfer von E… Y… für alle Währungen zwar aufgebraucht, aber noch nicht überschritten war. Eine Erhöhung der Barabfindung ist daher unter diesem Gesichtspunkt nicht gerechtfertigt.
209
Dem kann die Entwicklung innerhalb eines Zeitraums von sechs Wochen bis zur Stichtagserklärung nicht entgegengehalten werden. Zum einen wurde die Entwicklung der Wechselkurse und der sich daraus ergebenden Effekte von den Prüfern beachtet. Zum anderen ist innerhalb einer Zeitspanne von sechs Wochen nicht absehbar, inwieweit es sich hier um eine sich verfestigende Tendenz handelt. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil gerade beim US-Dollar eine Vielzahl von Methoden darauf hindeuten, es werde für die kommenden Jahre keine für die Aktionäre günstigere Wechselkursentwicklung geben.
210
Der Ansatz eines Wechselkurses von USD/EUR 1,13 im Rahmen der Synergieeffekte lässt keinen Rückschluss auf die Fehlerhaftigkeit des bei den Planannahmen angesetzten Wechselkurses zu. Die Abfindungsprüfer sahen in dem angesetzten Wechselkurs von USD/EUR 1,13 einen zu geringen oder zu positiven Wechselkurs. Da der Ansatz des für die Ableitung des Unternehmenswertes maßgeblichen Wechselkurses auch bei den Synergien für die Minderheitsaktionäre ungünstiger gewesen wäre, wurde er von den Abfindungsprüfern nicht korrigiert; ein Widerspruch zu den sonstigen Annahmen lässt sich daraus nicht ableiten.
211
(2) Der Wechselkurs für die Ermittlung der ausschüttungsfähigen Ergebnisse stellt sich als das Ergebnis der notwendig werdenden Anpassungen im Rahmen der Errechnung des gewichteten Kurses für alle Währungen dar. Dabei muss gesehen werden, dass die zur Plausibilisierung der Anpassungen der Bewertungsgutachter angesetzte Methode über Forward Rates zu einem Ergebniseffekt von minus € 187 Mio. anstelle von minus € 52 Mio. im letzten Planjahr führen würde. Dabei beruht diese starke Abweichung im letzten Planjahr auf der prognostizierten Entwicklung der chinesischen Währung, des australischen Dollars, des britischen Pfunds und der südafrikanischen Währung.
212
(3) Die Veräußerung des USwie auch des Brasiliengeschäfts bleibt für die Währungseffekte ohne Bedeutung. Sie hat insbesondere keinen Einfluss auf eine Risikobetrachtung. Vielmehr kam es zu der wechselkursbedingten Ergebnisanpassung angesichts der Notwendigkeit der Ableitung von Erwartungswerten. Die daraus resultierenden negativen Ergebniseffekte haben jedoch nichts mit dem Risiko des US- und Brasiliengeschäfts zu tun, sondern ausschließlich damit, dass die Bewertungsgutachter auf Basis der von ihnen gewählten Kaufkraftparitätentheorie im Durchschnitt mit einer Abwertung der ausländischen Währungen rechneten, was im Vergleich zu konstanten Planannahmen eine Verringerung des EBITDA zur Folge hat. Der Anstieg der Wechselkurseffekte trägt auch dem gestiegenen Geschäftsvolumen im Verlauf der Detailplanungsphase Rechnung. Der Veräußerung des USwie auch des Brasiliengeschäfts wurde bei der Ableitung des Wechselkurseffektes auf der Ebene des EBITDA dadurch Rechnung getragen, dass ein um die kartellrechtlich bedingten Veräußerungen bereinigtes EBITDA angesetzt wurde.
213
(4) Die Korrektur der Planwechselkurse übersieht nicht, dass bei höheren lokalen Kosten auch höhere Preise durchsetzbar sein müssten. Die Abfindungsprüfer wiesen in ihrer ersten ergänzenden Stellungnahme nämlich darauf hin, dass bei einer in der lokalen Währung erstellten Planungsrechnung auch lokale Inflationserwartungen eingeflossen sind. In Ländern mit höherer Inflation ist demnach ein stärkeres preisbedingtes Umsatzwachstum als in Deutschland zu sehen. Über dem Zusammenhang mit der relativen Kaufkraftparität wird dieses in ausländischer Währung bemessene stärkere Wachstum mittels einer erwarteten Abwertung der Fremdwährung wieder kompensiert, weshalb sich kein Nettoeffekt ergibt.
214
(5) Aus der tatsächlichen Entwicklung der Wechselkurse nach dem Stichtag der Hauptversammlung kann kein Rückschluss auf die mangelnde Plausibilität gezogen werden. Auch hier gilt, dass angesichts des Stichtagsprinzips die tatsächliche Entwicklung ex post nicht geeignet ist, die Fehlerhaftigkeit von ex ante getroffenen Annahmen zu begründen.
215
g. Die sonstigen betrieblichen Aufwendungen und sonstigen betrieblichen Erträge wurden sachgerecht in der Planungsrechnung abgebildet und bedürfen keiner Anpassungen. Ihre mangelnde Plausibilität lässt sich namentlich nicht daraus ableiten, dass der bislang positive Saldo ab dem zweiten Planjahr negativ wird. Dabei muss nämlich gesehen werden, dass es bei der L… AG keine originäre Planung der sonstigen betrieblichen Erträge und Aufwendungen gibt. Die in der Bewertung angesetzten Eliminierungsbeträge entsprechen bis auf kleinste Rundungsdifferenzen der Summe aus fixen Umsatzkosten, Aufwendungen für Vertrieb und Verwaltung sowie für Forschung und Entwicklung. Der Ausweis unter den sonstigen betrieblichen Aufwendungen und sonstigen betrieblichen Erträge korrespondiert aber mit entsprechenden Beträgen in den drei genannten Aufwandspositionen, weshalb sich in der Summe kein Ergebniseffekt ergibt.
216
h. Die in der Planung angesetzten EBITDA- und EBIT-Margen müssen angesichts ihrer Plausibilität nicht angepasst werden.
217
(1) Die fehlende Plausibilität lässt sich nicht damit begründen, die Auswirkungen der beiden Optimierungs- und Kosteneffizienzprogramme LIFT und Focus in Höhe von insgesamt € 550 Mio. p.a. seien unvollständig in die Planung eingegangen. Das Programm Focus wurde im Jahr 2015 eingeleitet und führte bereits im Jahr 2016 zu Einsparungen. Die sich aus den im Jahr 2016 implementierten LIFT-Programm ergebenden Einsparungen wurden bereits in der Mehrjahresplanung der Gesellschaft abgebildet. Gerade auf diesen Umstand wurde im Bewertungsgutachten bei den Synergien hingewiesen. Daher ist ein Rückschluss, die mit diesem Programm verbundenen Einsparungen seien nur teilweise berücksichtigt worden, nicht statthaft. Die Einsparungen in den beiden Programmen belaufen sich ab dem Jahr 2019 auf € 550 Mio. jährlich. Die Einsparungen in dieser Größenordnung stehen auch in Einklang mit der in der Pressemitteilung der Gesellschaft vom 26.10.2016 genannten Gesamtsumme. Auch wenn hiervon € 370 Mio. auf das LIFT-Programm und nicht nur USD 347 Mio. bzw. € 307 Mio. entfallen sollten, ist zu beachten, dass die Prognose vom 26.10.2016 im Zeitpunkt der Hauptversammlung über zwei Jahre alt war. Die Veränderung kann sehr wohl durch Entwicklungen im Unternehmen begründet sein und sich beispielsweise aus einer Verschiebung der Effekte aus diesen beiden Programmen ergeben. Soweit eine EBITDA-Marge von nur 24,2% unter Eliminierung der Folgen des LIFT-Programms errechnet wird, kann daraus nicht die mangelnde Plausibilität hergeleitet werden. Da dieses Programm bereits 2016 installiert wurde, müsste konsequenterweise auch der Ausgangswert des Jahres 2018 korrigiert werden, um vergleichbare Werte zu erhalten. Eine einseitige Eliminierung lediglich im letzten Planjahr ist nicht konsistent, zumal solche Restrukturierungsprogramme regelmäßig erforderlich sind, um die angestrebte Ertragskraft zu erhalten.
218
Die Margen der Gesellschaft entwickeln sich steigend und nicht rückläufig; die Implementierung eines Effizienzprogramms wie LIFT soll gerade sinkenden Margen entgegenwirken, was angesichts der bereits oben geschilderten Entwicklung Erfolg hatte, nachdem es im Geschäftsjahr 2018 im Bereich Gase zu einem Margenanstieg kam. Soweit sich die Antragsteller auf die Entwicklung der EBITDA-Marge in der Region EMEA bei L… plc. beziehen, muss dem entgegengehalten werden, dass dieser Vergleich angesichts unterschiedlicher Bewertungsobjekte nicht zielführend sein kann, wenn damit die Plausibilität der Margenentwicklung bei der L… AG infrage gestellt werden soll.
219
(2) In der Division Engineering muss trotz eines starken Anstiegs der Beschäftigung nicht mit einem deutlichen Anstieg der Margen auf über 10% gerechnet werden. Inwieweit eine bessere Auslastung von Produktionskapazitäten der Wettbewerber Einfluss auf eine bessere Marge der L… AG mit einer vermehrten Beschäftigung bei dieser Gesellschaft haben soll, erschließt sich der Kammer nicht.
220
(3) Die Margenentwicklung bei der L… AG muss auch im Vergleich zu den Wettbewerbern als plausibel bezeichnet werden. Ein Margenvergleich mit Wettbewerbern dient von vornherein nur der Plausibilisierung der getroffenen Planannahmen, aber nicht der Planung selbst. Die Abfindungsprüfer haben sowohl in ihrem Prüfungsbericht als auch in ihrer ersten ergänzenden Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Peer Group-Unternehmen sowohl in der Vergangenheit als auch im Planungszeitraum eine hohe Margenbandbreite aufweisen. Dabei liegt die Gesellschaft im Planungszeitraum wie auch im Vergangenheitszeitraum bei der EBITDA-Marge innerhalb der Bandbreite der Peer Group-Unternehmen, wenn auch leicht unter deren Durchschnitt. Dies ist insbesondere auf den Umstand zurückzuführen, dass die L… AG im Vergleich mit ihren Wettbewerbern den höchsten Anteil an dem Engineering-Geschäft aufweist, in dem deutlich geringere operative Margen als im Gase-Geschäft erwirtschaftet werden.
221
Ein Vergleich mit dem Wettbewerber Taiyo Nippon Sanso mit der niedrigsten Marge im Bereich Gase führt nicht zur mangelnden Plausibilität. Selbst wenn dieser Wettbewerber ausgeklammert würde, würde sich der Abstand der Margen der L… AG weder in der Planung noch in der Vergangenheit ändern. Daher muss es bei dem Analyseergebnis verbleiben, wonach die Gesellschaft aufgrund der unterschiedlichen Margen in ihren Segmenten unterhalb des Durchschnitts der Vergleichsunternehmen liegt. Soweit eine Vergrößerung des Abstands der Marge der L… AG mit jener von A… P… & C… angesprochen wird, macht sich diese Rüge nicht hinreichend klar, dass die EBITDA-Marge der Division Gase vor Synergieeffekten dargestellt wurde, nachdem die Wirtschaftsprüfer von E… Y… den Ergebnisbeitrag aus Synergien erst auf der Konzernebene addiert haben. In Relation zu dem am besten vergleichbaren Unternehmen A… L… S.A., bewegt sich die Gesellschaft auf einem durchaus noch vergleichbaren Niveau, auch wenn die EBITDA-Marge der L… AG etwa einen Prozentpunkt niedriger liegt.
222
i. Die angesetzten Abschreibungen sind nicht übersetzt, weshalb keine Änderung der Werte von € 160 Mio. im Jahr 2018, € 150 Mio. in 2019, € 143 Mio. in 2020, € 128 Mio. in 2021 und € 107 Mio. in 2022 vorgenommen werden muss.
223
(1) Die Abschreibungen aus der sogenannten Purchase Price Allocation (im Folgenden auch: PPA) aus dem Erwerb der B… G… plc. wurden sachgerecht abgebildet. Abschreibungssachverhalte sind zahlungsunwirksam und beeinflussen im Grundsatz den Ertragswert nicht. Allerdings können sie teilweise zu einer abschreibungsbedingten Minderung künftiger Steuerzahlungen führen, was dann eine Erhöhung des Ertragswerts nach sich zieht. Der nicht planmäßig abzuschreibende Goodwill nach IFRS entfaltet keine steuerliche Wirkung und ist zahlungsunwirksam, weshalb selbst Goodwill-Abschreibungen den Ertragswert nicht beeinflussen würden. Vorliegend lag der Goodwill ab dem 31.12.2018 bei € 9.284 Mio. und blieb entsprechend der vorgelegten Planbilanz bis zum Ende von Phase I auf dieser Höhe. Hiervon zu unterscheiden sind konsolidierungsbedingte PPA-Effekte. Abschreibungen hierauf sind zahlungsunwirksam und beeinflussen den Ertragswert nicht.
224
Bei den vorliegend inmitten stehenden Abschreibungen handelt es sich nicht um Firmenwertabschreibungen, sondern um Abschreibungen vorhandener stiller Reserven von überwiegend materiellen und immateriellen Vermögensgegenständen. Im Rahmen der Bewertung der L… AG wurden diese PPA-Abschreibungen sachgerecht abgebildet, wie die von der Antragsgegnerin vorgelegte Kapitalflussrechnung belegt, die auch diese Abschreibungen darstellt. Ausgehend vom Periodenergebnis wurden im Rahmen der integrierten Cashflow-Rechnung diese Abschreibungen wieder hinzugerechnet, weshalb sich daraus gerade kein zahlungswirksamer Effekt ergibt. Die von der Antragsgegnerin vorgelegten Planbilanzen und namentlich die Cashflow-Rechnung bestätigt diesen Schritt. Danach wurden die nicht zahlungswirksamen Abschreibungen gerade wieder hinzuaddiert, um die verfügbaren ausschüttungsfähigen Überschüsse zu ermitteln. Da die zu diskontierenden Erträge nach persönlichen Steuern aus der bewertungsrelevanten Cashflow-Rechnung mit den Werten übereinstimmen, die der Ermittlung des Ertragswerts im Bewertungsgutachten und dem Prüfungsbericht zugrunde gelegt wurden, hat die Kammer keinen Zweifel an der sachgerechten Abbildung dieser PPA-Abschreibungen; sie müssen gerade nicht eliminiert werden. Soweit Minderheitsaktionäre unter Hinweis auf die Berechnung im Schriftsatz des gemeinsamen Vertreters vom 27.6.2023 mit einer unmittelbaren Übernahme der um Abschreibungen verminderten Ergebnisse die Ansätze monieren, kann dem nicht gefolgt werden, weil eine Auseinandersetzung mit den Planbilanzen und der integrierten Cashflow-Rechnung fehlt.
225
Soweit sich insbesondere die Antragstellerin zu 43) auf die Ermittlung der Barabfindung bei dem verschmelzungsrechtlichen Squeeze out der A… S… SE zu einem Stichtag im Jahr 2020 und eine von der im Vergleich zu der Bewertung der L… AG abweichende Vorgehensweise beruht, kann dem nicht gefolgt werden. Die Darstellung einer Bereinigung bei der Bewertung der A… S… SE bezieht sich auf einen unterschiedlichen bewertungssystematischen Zusammenhang. Die Bereinigung um Abschreibungen auf Kaufpreisallokationen erfolgt bei der A… S… SE nämlich im Rahmen der Vergangenheitsanalyse für die Geschäftsjahre 2017 bis 2019, um eine Vergleichbarkeit mit dem Plan-EBITDA herstellen zu können. Abgesehen davon würde die von der Antragstellerin zu 43) errechnete Auswirkung auf die Barabfindung mit einem etwa € 7,- höheren Betrag je Aktie zu einer Abweichung von rund 3,7% führen, was jedoch eine Änderung der festgesetzten Barabfindung nicht rechtfertigen kann. Einen exakten, einzig richtigen Wert eines Unternehmens kann es unabhängig von der angewandten Bewertungsmethode nicht geben, weil jede in die Zukunft gerichtete Prognose naturgemäß gewisse Unsicherheiten bedingt, die auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes hinzunehmen sind. Solange die vorgenommene Bewertung nach ihrer Methodik und der zugrunde liegenden Prämissen wie hier mit dem Bewertungsziel in Einklang steht, muss eine gewisse Bandbreite von Werten als noch angemessen angesehen werden. Eine höhere Barabfindung kann erst dann angenommen werden, wenn eine gewisse Grenze überschritten ist. Wenn eine Abweichung des gesamten Unternehmenswertes wie vorliegend unterhalb von 5% liegen würde, lässt sich eine Unangemessenheit der von der Hauptversammlung festgesetzten Barabfindung nicht bejahen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18.5.2022, Az. 101 ZBR 97/20; OLG München AG 2020, 133, 134, 138 = WM 2019, 2104, 2106, 2117; OLG Stuttgart, AG 2011, 205, 211; OLG Frankfurt AG 2012, 330, 334 f. = ZIP 2012, 371, 376; AG 2015, 504, 508 = Der Konzern 2015, 378, 387 f.; AG 2016, 551, 555 = ZIP 2016, 716, 719; OLG Düsseldorf WM 2019, 1789, 1795).
226
Vorliegend wirkten sich die Abschreibungen auf Kaufpreisallokationen aber aufgrund ihrer steuerlichen Effekte werterhöhend aus.
227
(2) Die Planung der übrigen immateriellen Vermögenswerte konnte mit einem Bestand von € 1.956 Mio. konstant erfolgen, nachdem alle Veränderungen und mithin auch die Abschreibungen und Investitionen in der Planbilanzposition „Sachanlagen“ berücksichtigt wurden.
228
j. Das Finanzergebnis wie auch die Steuerplanung bedürfen angesichts einer sachgerecht erfolgten Herleitung keiner Anpassung.
229
(1) Dies gilt zunächst für das Finanzergebnis, für das im Saldo Verluste von € 204 Mio. im Jahr 2018, von € 140 Mio. im Jahr 2019, von € 115 Mio. im Jahr 2020, von € 99 Mio. im Jahr 2021 und von € 87 Mio. im letzten Jahr von Phase I in die Unternehmensbewertung eingeflossen sind.
230
Ein Planungsfehler ergibt sich insbesondere nicht aus der Behandlung der Derivate. Im Jahr 2018 kam es zur Ablösung von Zinsswaps mit einem Nominalvolumen von € 1.600 Mio., die Ende September 2018 einen Marktwert von minus € 179 Mio. aufwiesen und zu einem Ergebniseffekt in dieser Höhe führten. Die Zinsswaps dienten einem beabsichtigten Zins-Hedging für zukünftige Darlehensaufnahmen. Da es sich hierbei um Sicherungsgeschäfte für zum Bewertungsstichtag noch nicht erfolgte Anleiheemissionen, gab es auch kein Grundgeschäft, das eine gegenläufige Entwicklung hätte nehmen können. Da die ursprünglich beabsichtigte Darlehensaufnahme aufgrund der Erlöse aus den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen nicht mehr überwiegend wahrscheinlich war, wurde die Hedging-Beziehung gelöst.
231
Die Beteiligung an assoziierten Unternehmen wurde konstant mit € 214 Mio. geplant, wie sich aus den Planbilanzen für den Zeitraum bis Dezember 2022 ergibt; die übrigen Finanzanlagen sollen von € 149 Mio. im Jahr 2018 bis auf € 312 Mio. im letzten Planjahr ansteigen. Die Erlöse daraus sind korrespondierend in der Plan G+V-Rechnung abgebildet, weshalb daraus kein Widerspruch in der Planung abgeleitet werden kann.
232
(2) Die Steuerplanung bedarf keiner Anpassungen, in die Ertragsteuern in den Jahren der Detailplanungsphase mit € 643 Mio., € 423 Mio., € 529 Mio., € 616 Mio. und € 671 Mio. in die Ermittlung des Unternehmenswerts und damit der Barabfindung eingeflossen sind.
233
(a) Die Steuerquote von 28,2% im Geschäftsjahr 2018 sinkt in den Folgejahren auf 24,2%. Im Jahr 2017 hat sich ein effektiver Konzernsteuersatz von 8,5% ergeben, der auf der Abbildung der Steuersatzänderung in den USA beruht hat. Bei einer Erhöhung des Steueraufwands um diesen Betrag, würde man zu einer Konzernsteuerquote von 23,4% gelangen. Zudem gab es im (Vergangenheits-)Jahr 2017 eine Reihe weiterer Sondersachverhalte, die zu dieser niedrigen Konzernsteuerquote führten. Angesichts dessen kann von einem nicht aufklärbaren Widerspruch nicht ausgegangen werden.
234
Die Entwicklung der Körperschaftsteuersätze in den USA wird in der Planung nicht vernachlässigt. Diese führen nämlich zu einem leichten Rückgang der Konzernsteuerquote. Allerdings müssen auf Konzernebene insgesamt auch gegenläufige Effekte beachtet werden. Zum einen nehmen die positiven Steuereffekte aus dem Erwerb der B… G… plc. von Jahr zu Jahr ab. Zum anderen ergeben sich gegenläufige Effekte aus den in den Jahren 2017 und 2018 umgesetzten Initiativen BEAT und GILTI, mit denen einer „Steueroptimierung“ durch Sitzverlegung in Niedrigsteuerländer entgegengewirkt werden sollte. Mangels einer expliziten Tabelle zur Steuerplanung innerhalb der L… AG ist es indes nicht möglich, diese Auswirkungen auf den Steuersatz exakt zu berechnen. Aufgrund der kartellrechtlich bedingten Veräußerungen nimmt der Anteil der Umsatzerlöse in den Vereinigten Staaten von Amerika ab, was den Effekt der dort gesunkenen Steuersätze weiter verringert.
235
Aus dem Halbjahresabschluss der L… AG zum 30.6.2018 mit einer aus dem Steueraufwand von € 242 Mio. und einem EBT von € 1.125 Mio. abgeleiteten Steuerquote von 22% lässt sich eine fehlerhafte Steuerplanung nicht begründen. Diese Quote wurde nach den von den Abfindungsprüfern vermittelten Erkenntnissen durch die Auflösung von Rückstellungen für Betriebsprüfungen positiv beeinflusst. Zudem muss auch hier der kartellrechtlich bedingte Verkauf in den USA berücksichtigt werden, der sich steuersatzerhöhend auswirkt. Angesichts dessen verbietet sich eine lineare Hochrechnung auf die Konzernsteuerquote des Jahres 2018. Aus dem Einzelabschluss der L… AG zum 31.12.2017, der eine Steuerquote von 4,1% auswies, kann kein Rückschluss auf die Konzernsteuerquote der auf konsolidierter Basis geplanten L… AG gezogen werden.
236
(b) Bei der Steuerplanung wurden Effekte aus vorhandenen steuerlichen Verlustvorträgen angemessen berücksichtigt. Die L…-Gruppe verfügte zum 31.12.2017 über steuerliche Verlustvorträge in Höhe von € 942 Mio., wie dem Finanzbericht 2017 zu entnehmen ist. Aufgrund der teilweise als nicht wahrscheinlich eingestuften Nutzbarkeit sind zum 31.12.2017 lediglich aktive latente Steuern auf Verlustvorträge in einem Umfang von € 95 Mio. aktiviert worden. Daraus ergibt sich die vergleichsweise geringe Bedeutung der steuerlichen Verlustvorträge. Zudem käme es ceteris paribus durch eine temporäre Verminderung der betrieblichen Ertragsteuern zu einem höheren Jahresergebnis und damit zu einer höheren einkommensteuerlichen Belastung, die den Wertbeitrag der steuerlichen Verlustvorträge reduziert.
237
Durch die temporäre Nutzung bestehender steuerlicher Verlustvorträge kommt es unter Ausblendung neu entstehender Verluste und latenter Steuern zu einem Absinken der Steuerquote, die indes nach dem Verbrauch der steuerlichen Verlustvorträge wieder ansteigen muss. Zwar liegt die effektive Steuerquote inklusive latenter Steuern in den Jahre 2015 und 2016 mit rund 24% in etwa auf dem Niveau der Planjahre ab 2019. Daraus lässt sich aber kein unmittelbarer Effekt aus der Nutzung der steuerlichen Verlustvorträge ableiten. Betrachtet man dagegen die Entwicklung der zahlungswirksamen Steuerquote, so beträgt diese in den Jahren 2015 und 2016 29% bzw. rund 30% und liegt oberhalb des sukzessiv sinkenden Niveaus ab 2019 von etwa 26%. Dieser Rückgang der zahlungswirksamen Steuerquote ist bereits als Indiz für die Nutzung bestehender steuerlicher Verlustvorträge zu sehen. Allerdings sind die jährlichen Effekte gering. In den Jahren der Vergangenheitsanalyse 2016 und 2017 ergaben sich keine Steuersatzeffekte aus bislang nicht genutzten Verlustvorträgen, was auch für das Jahr 2015 gilt. In diesem Jahr ergaben sich indes positive Effekte aus der Nutzung steuerlicher Verlustvorträge, für die bislang keine aktiven latenten Steuern gebildet wurden, in einem Umfang von € 4 Mio.. In den Jahren 2016 und 2017 beliefen sich diese positiven Effekte aus der Nutzung steuerlicher Verlustvorträge ohne bislang erfolgte Bildung aktiver latenter Steuern auf € 4 Mio. und € 13 Mio.. Angesichts der Überlagerung der Effekte aus der Nutzung gebildeter aktiver latenter Steuern mit jenen aus bislang nicht gebildeten, aber dennoch genutzten Verlustvorträgen muss angenommen werden, dass die effektive Konzernsteuerquote von nachhaltig etwa 24% die steuerlichen Verlustvorträge umfasst. Damit aber verbietet sich insgesamt eine nochmalige Erfassung der positiven Effekte als Sondereffekt, weil dies eine unzulässige Doppelberücksichtigung bedeuten würde.
238
(c) Bei den gewerbesteuerlichen Verlustvorträgen ist zu beachten, dass die L… AG das Instrument des Cash Pooling zur Nutzung von Liquiditätsüberschüssen heranzieht. Insoweit handelt es sich nicht um ein neues Instrument zur Saldierung eines hinzurechnungsfähigen Entgelts im Sinne des § 8 GewStG.
239
k. Bei der Ermittlung des Ertragswerts anzusetzende Synergien flossen sachgerecht in die Planung ein, weshalb hier keine Korrekturen vorzunehmen sind. Die dabei berücksichtigten Kostensynergien belaufen sich auf minus € 30 Mio. im Jahr 2018, minus € 154 Mio. im Jahr 2019, plus € 63 Mio. im Jahr 2020, plus € 206 Mio. im Jahr 2021 sowie weitere plus € 240 Mio. im letzten Planjahr. Hinzu kommen Investitionsausgaben in Höhe von € 59 Mio..
240
Bei der Ermittlung des Ertragswerts im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen finden angesichts des grundlegenden Stand alone-Prinzips nur solche Synergien oder Verbundeffekte Berücksichtigung, die auch ohne die geplante Strukturmaßnahme durch Geschäfte mit anderen Unternehmen hätten realisiert werden können (vgl. OLG Stuttgart NZG 2000, 744, 745 f. = AG 2000, 428, 429; AG 2011, 420; BayOblG AG 1996, 127, 128; LG München I AG 2016, 51, 54 = ZIP 2015, 2124, 2129; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 9122/14; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Beschluss vom 29.6.2018, Az. 5HK O 4268/17; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 178; Zeidler in: Semler/Stengel, UmwG, 4. Aufl., § 9 Rdn. 47; Decher in: Festschrift für Hommelhoff, 2012, S. 115, 123 ff.), während sogenannte echte Synergien, derentwegen üblicherweise die Strukturmaßnahme durchgeführt wird, regelmäßig nicht in die Bewertung einfließen können (vgl. OLG München AG 2018, 753, 755 = Der Konzern 2019, 277, 280; OLG Düsseldorf AG 2017, 712, 714; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., Anh § 305 Rdn. 31a; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 180). Unechte Synergien sind zu berücksichtigen, wenn die synergiestiftende Maßnahme am Bewertungsstichtag bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert war (vgl. OLG Stuttgart AG 2013, 840, 843; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh § 305 Rdn. 31b).
241
Die echten und unechten Synergien betragen in ihrer Summe insgesamt USD 805 Mio. oder € 712 Mio. ohne die Auswirkungen des LIFT-Programms und Investitionsausgaben von USD 155 Mio. oder € 137 Mio. Auf die L… AG entfallen von diesen Kostensynergien insgesamt USD 370 Mio. oder € 327 Mio. und von den Investitionsausgaben USD 67 oder € 59 Mio. Dabei ist die Aufteilung in einem Verhältnis von 54% für die L… AG bei 46% für P…, Inc. nicht zu korrigieren. Die Aufteilung erfolgte hier aufgrund der Analyse der Werttreiber. Dabei wurden die Synergien den Regionen, Funktionen und Kostenarten zugeordnet und auf dieser Basis aufgeteilt. So wurden Einkaufsynergien nach dem erwarteten Anfall auf die verschiedenen Regionen verteilt und in einem zweiten Schritt die relevanten Werttreiber für die jeweiligen Synergien identifiziert. Demgemäß waren dies beispielsweise bei den Einkaufsynergien die verbleibenden operativen Kosten nach den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen. Folglich wurde für das Segment EMEA ein Großteil der Einkaufssynergien der L… AG zugerechnet, für das Segment America dagegen P…, Inc.. Hierbei kamen unterschiedliche Bemessungsgrundlagen wie Umsatzerlöse, EBITDA, Aufwandspositionen oder Investitionssummen zum Ansatz. Diese Vorgehensweise wiederholte sich für alle Kosten, sofern nicht dezidierte Erkenntnisse zum Anfall einzelner Synergien vorlagen. Die hier gewählte Methode, die speziell auf die Verhältnisse bei den einzelnen Positionen ansetzt, bei denen unechte Synergien möglich sind, ist der Auffassung, die eine größenorientierte Aufteilung anhand von allgemeinen Kennzahlen wie Umsatz, EBIT oder Marktkapitalisierung vornimmt, deutlich überlegen. Allein aus diesen allgemeinen Kennzahlen lässt sich nicht zwingend herleiten, welcher Beitrag von welchem der beiden Unternehmen stammt. Diese Vorgehensweise könnte allenfalls dann als sachgerecht angesehen werden, wenn eine konkrete Aufteilung nicht möglich ist (vgl. Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH Konzernrecht, a.a.O., § 305 Rdn. 112).
242
(1) In der Bewertung fehlen keine nach 2022 auftretende Synergien, auch wenn im Übernahmeangebot die Planungsphase bis 2024 verlängert wurde. Die Planung der L… AG, auf deren Grundlage die Barabfindung ermittelt wurde, ging davon aus, dass nach einer Hochlaufphase der volle Umfang der Synergien bereits im Jahr 2022 erreicht und somit im Vergleich zu dem Übernahmeangebot vom August 2017 eine schnellere Realisierung der Synergien erwartet wird. Demgegenüber unterscheidet sich – wie bereits oben ausgeführt – die Unternehmensbewertung im Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot sowohl vom Bewertungsobjekt her als auch der Phasenabgrenzung, wobei auch hier nur ein kleinerer Teil der Synergien im Rahmen der vorgelegten Planung zusätzlich berücksichtigt wurde, der noch nicht in der Detailplanungsphase aus dem Übernahmeangebot berücksichtigt wurde.
243
(2) Die Implementierungskosten sind in der Planungsrechnung mit einem Betrag von € 350 Mio. angesetzt worden, wobei diese ganz überwiegend auf das Jahr 2019 entfallen und sich bis ins Jahr 2021 erstrecken. Dieser Ansatz kann nicht als überholt bezeichnet werden. Soweit Implementierungskosten in Höhe von USD 1.128 Mio. bzw. von USD 1.000 Mio. oder EUR 900 Mio. angesprochen werden, ist festzuhalten, dass der Betrag von € 900 Mio. bzw. USD 1.000 Mio. aus der Angebotsunterlage vom 14. August 2017 stammt und auch geschätzte Transaktionskosten von € 200 Mio. umfasst; diese Transaktionskosten sind aber nicht deckungsgleich mit den in der Hauptversammlung genannten Fusionskosten für die Jahre 2016 bis 2018. Das Umtauschangebot weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich um Schätzungen handele, die sich auch ändern könnten. Demgegenüber stellt die Bewertung für den Squeeze out zur Ermittlung der Barabfindung auf die zum Stichtag aktuellen Einschätzungen ab, wobei die Erkenntnisse im Vergleich zum Zeitpunkt der Erstellung der Angebotsunterlage aus 2017 mehrfach überarbeitet, aktualisiert und präzisiert wurden. Zudem konnte ein Teil der geplanten Synergien als Folge der kartellrechtlich bedingten Veräußerungen nicht oder nur durch zusätzliche Maßnahmen realisiert werden, die aber wiederum zusätzliche Kosten verursachten und somit eine Anpassung der Schätzung notwendig machten. Der von einigen Antragstellern in diesem Zusammenhang genannte Betrag von USD 1.152 Mio. bezieht sich auf die Summe der positiven Synergien und ist für die Implementierungskosten folglich ohne Bedeutung. Diese belaufen sich in ihrer Gesamtheit auf USD 1.128 Mio., wovon lediglich € 359 Mio. auf die L… AG entfallen.
244
Im Jahr 2022 konnte eine Zurechnung von Kostensynergien in Höhe von € 299 Mio. nicht erfolgen. Dieser Betrag bezieht sich auf die nachhaltigen positiven Synergien, die auf die L… AG entfallen und sich aus den Kostensynergien von € 240 Mio. und Investitionsausgaben von € 59 Mio. zusammensetzen.
245
(3) Synergien aus technologischer Stärke, aus Forschung und Entwicklung sowie insbesondere aus dem Know how, die in erster Linie in der Division Engineering zu erwarten sind, wurden dort angemessen berücksichtigt. Die Abfindungsprüfer verwiesen in ihrer ergänzenden Stellungnahme darauf, dass es sich hier vor allem um Kostensynergien handele, weil die wesentlichen Produkte der Gesellschaft wie Sauerstoff keinem technologischen Wandel unterliegen und durch die getroffenen kartellrechtlichen Auflagen Vorteile beispielsweise aus regionaler Marktdominanz stark minimiert würden.
246
(4) Die Planung berücksichtigt die Synergien aus Einsparungen bei den Investitionen (CAPEX). Dabei handelt es sich entsprechend der Feststellungen der Bewertungsgutachter wie auch der Abfindungsprüfer um Effekte aus der Vermeidung bzw. Reduktion nicht benötigter Investitionen durch best-practice Austausch zur Ermittlung von Luftzerlegungsanlagen, verbesserter Ausnutzung vorhandener Abfüllanlagen und Tank-LkW’s durch eine höhere Netzwerkdichte, ein gemeinsames Ersatzteilmanagement und die Bündelung des Bereichs Zylinderanlagen durch eine geringere Anzahl von Zylindern im Leerlauf bzw. eine optimierte Vorratshaltung durch Skaleneffekte.
247
(5) Darüber hinausgehende Synergien waren in der Detailplanungsphase nicht anzusetzen, wobei dies vor allem für finanzwirtschaftliche und steuerliche Synergien sowie für Ertragssteigerungen und produktbezogene Synergien gilt. Es entspricht der weithin vertretenen Rechtsprechung, dass unechte Synergien nur zu berücksichtigen sind, wenn die Maßnahmen entsprechend der obigen Darstellung unter B. II. 1. k. bereits eingeleitet sind oder im Unternehmenskonzept konkret oder plausibel dokumentiert sind. Für eine derartige Konkretisierung fanden die Abfindungsprüfer keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dabei verwiesen sie in ihrer ergänzenden Stellungnahme zunächst überzeugend auf den Umstand, dass sich der Markt für Gase als Hauptgeschäftsfeld der L… AG durch eine geringe Differenzierung zwischen den Produkten auszeichnet. Der von der Gesellschaft hergestellte Sauerstoff unterscheidet sich beispielsweise in der Regel nicht erheblich von den Produkten anderer Marktteilnehmer. Daher resultieren Synergien aus Produkten unter Ertragssteigerungen im Wesentlichen aus einer Verbesserung der Herstellung, der Logistik, der Kosten für die Anlagen zur Überzeugung der Gase und in Bezug auf Doppelstrukturen. Dabei handelt es sich vor allem um Effekte aus der Verschlankung sich geografisch bislang überschneidender Tätigkeiten sowie der Verlegung bzw. Ausweitung unternehmensweit genutzter Dienstleistungen, aus der Netz- und Transportwegoptimierung einschließlich verbesserter Anlagenauslastung und geringeren durchschnittlichen Logistikkosten wie auch aus Verbesserungen hinsichtlich der Effizienz in Instandhaltung, Produktion, Marketing und Vertrieb und aus der Konsolidierung sich überschneidender Aktivitäten der Einzelgesellschaften mit Fokus auf dem Großanlagenbau zwecks (personal-)optimierter Aufstellung des Geschäftsbereichs und der Erzielung von Effekten aus der konzerninternen Durchführung bestimmter zuvor extern vergebener Großanlagenbauprojekte der P…, Inc.. Die in diesem Bereich anfallenden (unechten) Synergien wurden identifiziert und im Rahmen der Ermittlung des Unternehmenswerts als Basis für die Barabfindung entsprechend berücksichtigt. Ebenso flossen entsprechend den obigen Ausführungen unter B. II. 1. k. (4) die CAPEX-Synergien in die Bewertung ein.
248
Verbesserungen in der Preisstruktur des Absatzmarktes durch den Wegfall eines möglichen Wettbewerbers sind dagegen nicht konkret zu erwarten, weil die regionalen Kartellbehörden entsprechende Vorkehrungen durch die angeordneten Veräußerungen trafen, um genau diesen Effekt zu verhindern.
249
Soweit sich Antragsteller auf Äußerungen in Interviews insbesondere von Herrn A… und der Präsentation von Organmitgliedern der beiden am Zusammenschluss beteiligten Gesellschaften im Vorfeld des Zusammenschlusses der beiden Unternehmen berufen, vermögen diese Erklärungen den Umfang der zu berücksichtigenden unechten Synergien in Phase I nicht in Frage zu stellen. Dies gilt insbesondere für Äußerungen von Herrn A… zu möglichen Umsatzsynergien. Wenn er in der Präsentation vom 31.8.2017 darauf verweist, „wir werden wegen unserer kombinierten Fähigkeiten mit etwa 1% mehr wachsen als wir dies mit unseren individuellen Fähigkeiten können“, so belegt dies, dass hier gerade nicht ausschließlich auf unechte Synergien und eine Stand alone-Betrachtung abgestellt wird, wie dies bei der vorzunehmenden Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts der L… AG erfolgen muss. Es entspricht gerade nicht der Lebenserfahrung, dass ein Vorstand der an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen bei positiven Auswirkungen zwischen den einzelnen Unternehmen sowie zwischen den für die Bewertung relevanten echten und unechten Synergien differenziert, weil hier gerade die Vorteile des Zusammenschlusses für das neue Unternehmen den Kapitalmärkten vorgestellt werden sollen. Dann aber kann auch aus der auf Folie 6 der Präsentation vom 31.8.2017 genannten Zahl von „++B“ nicht entnommen werden, die Überschrift „Wachstumssynergien“, mit denen Umsatzsynergien von mehreren Milliarden gemeint sein sollen, beziehe sich auf unechte Synergien, die von der L… AG auch ohne den Zusammenschluss mit P…, Inc. gehoben werden könnten. Abgesehen davon beruhen die Angaben auf Zahlen des Jahres 2016 – also mindestens zwei Jahre vor dem maßgeblichen Stichtag. Nichts anderes gilt für das Interview mit Analysten vom 13.6.2017 und in einer M & A-Pressekonferenz vom 2.6.2017. Auch hier werden keine hinreichend konkreten Sachverhalte geschildert, sondern allenfalls Erwartungen, die sich aber auch nicht auf unechte Synergien beschränken.
250
Auch die Ausführungen in der Angebotsunterlage belegen nicht die unterlassene Berücksichtigung unechter Umsatzsynergien, auch wenn in ihr darauf hingewiesen wurde, mit zusätzlichem Ertragswachstum verbundene Synergien könnten durch Cross-Selling-Bemühungen und den Aufbau einer gesteigerten globalen Reichweite und eines verbundenen Produktportfolios der kombinierten Unternehmensgruppe erreicht werden. Die Angebotsunterlage verweist nämlich ebenso darauf, dass es sich bei den avisierten Synergien lediglich um Schätzungen handele und konkrete Pläne zu einzelnen Integrationsmaßnahmen sowie spezifischen Größen eines möglichen Stellenabbaus oder Kürzungen in einzelnen Abteilungen an bestimmten Standorten oder Regionen lägen den Schätzungen nicht zugrunde. Vor allem aber ist entscheidend, wenn auf Seite 68 der Angebotsunterlage aufgeführt wird, die ungeprüften Schätzungen der Synergien – die sich konkrete Zahlen ausschließlich auf Kostensynergien bezogen haben – würden bestimmte Geschäftsentscheidungen unterstellen, die sich jedoch ändern könnten. Dementsprechend könne ein Erreichen dieser Schätzungen gerade nicht zugesichert werden. Sodann betonen die an der Erstellung der Angebotsunterlage erstellten Gesellschaften, die angesprochenen ungeprüften Schätzungen der Synergien und der Kostenreduzierung weder aktualisiert noch anderweitig überprüft zu haben. Auf Seite 66 wurde darauf verwiesen, die ungeprüften Schätzungen der Synergien und Kosteneinsparungen nicht als hinreichend sicher zu betrachten, um sich darauf verlassen zu können, die Synergien würden nachhaltig tatsächlich erzielt werden.
251
Die Ausführungen, mit denen Herr A… im Handelsblatt vom 4.3.2019 und vom 14.1.2021 zitiert wird, beziehen sich auf das kombinierte Unternehmen und lassen keinerlei Rückschluss darauf zu, in der Planung der L… AG seien zu berücksichtigende unechte Synergien vernachlässigt worden. Daher hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Aussage von Herrn Dr. P… während seiner Anhörung, aus den von den Abfindungsprüfern geführten Gespräche und den vorgelegten Unterlagen hätten sich keine Anhaltspunkte in Richtung auf Umsatzsynergien ergeben unzutreffend gewesen sein könnte. Soweit er Umsatzsynergien nicht vollständig ausschließen wollte, muss aber in diesem Zusammenhang gesehen werden, dass nach der Stand alone-Planung der L… AG das Umsatzwachstum namentlich ab dem Jahr 2020 deutlich stärker wachsen soll als in der Vergangenheit der Jahre 2015 bis 2017. Hierzu können Umsatzsynergien durchaus beigetragen haben, selbst wenn diese in der Planung nicht explizit ausgewiesen werden konnten.
252
(6) Ein auf Unternehmens- und Zentralfunktionen entfallender Teilbetrag von USD 99 Mio. bzw. EUR 88 Mio. wurde in der Planung nicht berücksichtigt, wie die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme wie auch im Rahmen ihrer Anhörung ausdrücklich klargestellt haben.
253
l. Der Umfang der Minderheitenanteile am Jahresergebnis in Höhe von € 121 Mio. im Jahr 2018, € 116 Mio. im Jahr 2019, € 144 Mio. im Jahr 2020, € 167 Mio. im Jahr 2021 und von € 182 Mio. im Jahr 2022, der vom Periodenergebnis abgezogen werden musste, ist aufgrund seiner plausiblen Herleitung nicht zu beanstanden.
254
Die Bewertungsgutachter nahmen Anpassungen an der Ausgangsplanung der L… AG insofern vor, als diese für die Jahre 2018 bis 2022 konstant € 140 Mio. zugrunde gelegt hatten. Bei steigend geplanten konsolidierten Ergebnissen musste dieser Ansatz allerdings wegen mangelnder Plausibilität korrigiert werden. Da eine Planungsrechnung auf der Ebene rechtlicher Einheiten nicht verfügbar war, konnte eine an sich gebotene individuelle Betrachtung auf der Ebene der einzelnen Tochtergesellschaften mit Minderheitsanteilen wegen Unmöglichkeit nicht erfolgen. Daher ermittelten die Bewertungsgutachter von E… Y… hilfsweise eine prozentuale Quote der Minderheitsanteile entsprechend dem Ergebnis über den Zeitraum der Vergangenheitsanalyse und schrieben dann den so ermittelten Durchschnitt von rund 8,6% des Konzernjahresüberschusses in die Phase I fort. Da sich in diesem Zeitraum die Ergebnisse veränderten, müssen auch die daran gekoppelten Minderheitenanteile in der Detailplanungsphase variieren. In gleicher Weise wurden sachgerecht Anpassungen für Synergien, aus Wechselkurs- und sonstigen Effekten mit einer Zuordnung von ebenfalls 8,6% zu den Minderheitsanteilen vorgenommen. Die Reduzierung der nachhaltigen Abschreibungen wurde dann in der Cashflow-Rechnung nachvollzogen. Für das Jahr 2018 musste weiter berücksichtigt werden, dass einmalige Buchgewinne aus den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen von Gesellschaften ohne Minderheitsbeteiligung realisiert wurden. Insgesamt flossen demnach keine negativen Ergebnisse mehr ein. Eine dauerhafte Verlusterzielung kann nicht unterstellt werden.
255
Die vom Antragsteller zu 32) hiergegen vorgetragenen Einwände vermögen daran nichts zu ändern. Der Vergleich mit dem Zwischenabschluss vom 30.6.2018 mit einem Anteil von 8,2% kann nicht als zielführend bezeichnet werden, weil er Ereignisse bis zum Stichtag der Hauptversammlung vernachlässigt. Aus dem Rückgang der Zahl konsolidierter Unternehmen im Konzernabschluss der L… plc kann kein Rückschluss auf die Beklagte gezogen werden.
256
m. Die Ansätze zur Ewigen Rente müssen nicht korrigiert werden, weil die Ansätze hierzu sachgerecht abgeleitet wurden. Diese konnten und mussten von den Bewertungsgutachtern von E… Y… angesetzt werden, weil es begriffsnotwendig im Terminal Value keine eigenständige Planung der Gesellschaft mehr gibt. Diese endete mit dem letzten Planjahr 2022.
257
(1) Vorliegend wurde nicht unmittelbar in die Ewige Rente übergeleitet, sondern in Teilen eine Grobplanungsphase dazwischengeschaltet. Eine explizite Darstellung dieser Konvergenzphase musste indes nicht erfolgen. Ihr Ansatz war notwendig, weil sich das zu bewertende Unternehmen am Ende der Detailplanungsphase nicht in einem eingeschwungenen Zustand befand.
258
(a) Ein solcher Gleichgewichts- oder Beharrungszustand liegt vor, wenn sich Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bewertungsobjektes am Ende von Phase I im sogenannten Gleichgewichts- oder Beharrungszustand befinden und sich die zu kapitalisierenden Ergebnisses annahmegemäß nicht mehr wesentlich verändern bzw. mit einer konstanten Rate, der mit dem Wachstumsabschlag im Kapitalisierungszinssatz Rechnung getragen wird, verändern. Dabei zeichnet sich die Ewige Rente durch die Berücksichtigung langfristiger Entwicklungstendenzen bei der Projektion der in der Detailplanungsphase gewonnenen Erkenntnisse aus (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.9.2011, Az. 20 W 7/08 – zit. nach juris; LG München I, Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5 HK O 5884/20; Beschluss vom 22.06.2022, Az 5 HKO 16226/08; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, a.a.O., Anh § 11 Rdn. 72; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 126).
259
(b) Dieser Zustand konnte bei der L… AG noch nicht erreicht gewesen sein, wie Herr Dr. P… im Rahmen seiner Anhörung erläuterte. Bei der Gesellschaft mussten nämlich Erweiterungsinvestitionen berücksichtigt werden. Um diese bewertungstechnisch abzubilden können, besteht neben der Möglichkeit der ausdrücklichen Abbildung einer Grobplanungsphase in gleicher Weise die hier gewählte Möglichkeit des Verzichts auf eine solche Grobplanungsphase mit dem dann notwendigen und auch hier gewählten Ansatz der Abbildung über eine Annuität. Die Umsetzung erfolgte vorliegend über eine Verringerung der nachhaltigen Investitionen. Das nachhaltige Umsatzwachstum wurde demgemäß mit der Rentenwachstumsrate aus den Umsatzerlösen des letzten Planjahres abgeleitet. Durch die Verminderung der Investitionen wird unterstellt, dass ein Teil der nachhaltig zur Substanzerhaltung erforderlichen Investitionen bereits durch die Zahlungsüberschüsse aus Erweiterungen der letzten Planjahre finanziert wird und die Investitionsauszahlungen daher geringer ausfallen. Das nachhaltige Investitionsniveau wurde dabei mit € 1,3 Mrd. angesetzt, nachdem noch im letzten Planjahr von € 1,8 Mrd. ausgegangen wurde. Der Differenzbetrag von € 500 Mio. wurde dann im Terminal Value kapitalisiert, weshalb auf den ausdrücklichen Ausweis einer Grobplanungsphase verzichtet werden konnte. Bei dieser Vorgehensweise kommt es gerade nicht zu einer Doppelerfassung; dies wäre nur dann der Fall, wenn die Zahlungsüberschüsse und gleichzeitig die Wachstumsrate erhöht würden.
260
Die Wachstumsrate konnte hier nicht auf 1,5% erhöht werden, weil sich dieser Wert auf P…, Inc. bezieht. Für die L… AG wurde im Übernahmeangebot ebenfalls wie hier eine Wachstumsrate von 1,0% angesetzt. Im Übrigen wird zur Angemessenheit der Wachstumsrate auf die Ausführungen unten unter B. II. 2. c. verwiesen.
261
(2) Die grundlegenden Ansätze zur Ableitung des nachhaltigen Wachstums verkennen nicht die Grundsätze der Zyklizität des Geschäftsmodells der L… AG. Dabei wurde ein langfristiger konjunkturzyklusübergreifender Ansatz gewählt und im Ausgangspunkt das EBITDA des letzten Planjahres um 1% erhöht. Demgemäß kam es gerade nicht zu dem grundsätzlich denkbaren Ansatz einer Fortschreibung des Ergebnisses eines durchschnittlichen Geschäftsjahres, weil anderenfalls bei konjunkturabhängigen Unternehmen die Gefahr bestünde, Boom- oder Rezessionsphasen ewig fortzuschreiben (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 31.3.2008, Az. 31 Wx 88/06 – zit. nach juris).
262
(a) Die Abfindungsprüfer gewannen die Erkenntnis, dass die Gesellschaft als weltweit tätiges Unternehmen grundsätzlich zyklischen Trends und der allgemeinen Entwicklung der Weltwirtschaft ausgesetzt ist. Allerdings führt die Vielfalt der bedienten Endkundenmärkte und die geografische Diversifizierung gerade in der Division Gase dazu, dass sich branchenspezifische Trends zum Teil nivellieren und zu einem gewissen Maß an Stabilität beitragen. Ebenso tragen die langfristigen vertraglichen Abnahmeverpflichtungen vieler On-Site-Verträge zu einer Stabilisierung bei. Ungeachtet dessen orientiert sich die Ableitung der Ewigen Rente genauso wie auch die Planung der Gesellschaft an Indikatoren, die konjunkturellen Schwankungen unterworfen sind wie das Bruttoinlandsprodukt und die Industrieproduktion. In gleicher Weise nehmen auch die Geschäftsberichte der Gesellschaft auf gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen Bezug, wenn es um die Darlegung der Chancen und Risiken der Gesellschaft in den Geschäftsberichten geht. Einer deutlich höheren Zyklizität unterliegt das Engineering-Geschäft, weshalb die Orientierung an den genannten gesamtwirtschaftlichen Daten als sachgerecht und angemessen bezeichnet werden muss.
263
(b) Das Fortschreiben der Umsätze für die Division Gase mit der Wachstumsrate auf der Grundlage des letzten Planjahres beinhaltet die Fortsetzung eines in der Phase I berücksichtigten Wachstumstrends auf ein in der Vergangenheit nie erreichtes Niveau – bereinigt allerdings um die kartellrechtlich bedingten Veräußerungen. Für den von Zyklizität geprägten Engineering-Bereich unterstellt die Bewertung ein Umsatzniveau, das oberhalb der Mitte der historisch beobachtbaren Bandbreite liegt, wobei die operative Marge etwa den Mittelwert der über die historischen Zyklen hinweg beobachtbaren Rentabilität widerspiegelt. Auch diese Vorgehensweise in einem zyklisch geprägten Geschäftsbereich kann nicht korrigiert werden (vgl. OLG München, Beschluss vom 31.3.2008, Az. 31 Wx 88/06; Beschluss vom 9.6.2015, Az. 31 Wx 246/14; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.1.2017, Az. 21 W 75/15; LG München I, Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13). Für die Gesellschaft insgesamt muss festgehalten werden, dass im Terminal Value gerade nicht auf den Durchschnitt der Planjahre aufgesetzt wurde, sondern mit einem angenommenen Umsatz von € 17.250,- Mio. vom Umsatz des letzten Planjahres mit € 17.044 Mio. ausgegangen wurde, der um die Wachstumsrate von 1,0% erhöht wurde.
264
(3) Eine Fortsetzung des Wachstums insbesondere im Bereich Healthcare musste nicht in einem größeren Umfang als geschehen vorgenommen werden. Eine solche Notwendigkeit lässt sich namentlich nicht mit einer Marktstudie von Grand View Research begründen, die bis 2024 von einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate in Höhe von 9% ausgeht. In den vergangenen Jahren blieb das Umsatzwachstum entsprechend den obigen Ausführungen unter B. II. 1. c. (5) (a) deutlich hinter den Wachstumsprognosen aus dieser Studie zurück. So gab es im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr 2017 einen Umsatzrückgang von 5,7%. Auch im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre erzielte die Gesellschaft lediglich ein Umsatzwachstum von durchschnittlich 2,8% p.a., das deutlich hinter den Wachstumsprognosen von Grand View Research zurückblieb. Dann aber ist nicht gerechtfertigt, für diesen Bereich in der Ewigen Rente ein höheres Wachstum anzusetzen.
265
(4) Das Wachstum im Terminal Value vernachlässigt nicht die langlaufenden Verträge mit Mindestabnahmevolumina sowie die Problematik des Bestehens einer Preissetzungsmacht. Ungeachtet des hohen Konsolidierungsgrades des Marktes für Industriegase ist dieser von einem starken Wettbewerb geprägt, wie die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme erläutert haben. In vielen Ländern spielen danach lokale Wettbewerber eine wichtige Rolle, was auch Ausfluss der hohen Ortsgebundenheit der hergestellten Gase ist. Die Produkte der Marktteilnehmer sind dabei vielfach austauschbar. Aus diesem Grund spielt neben der Produktionseffizienz vor allem der Preis eine wichtige Rolle im Wettbewerb, weshalb die Preissetzungsmacht der einzelnen Anbieter als begrenzt eingestuft werden muss. Langlaufende Verträge mit Mindestabnahmevolumina vor allem im On-Site-Geschäft tragen zu einer Stabilisierung der Ertragslage bei, führen aber nicht zwingend zu höherem Wachstum. Dies wird vor allem durch eine Ausweitung der Absatzmenge, nicht aber durch Preiserhöhungen generiert, wobei für die Höhe der nachhaltigen Wachstumsrate nur die Preiskomponente eine Rolle spielt. Angesichts des wettbewerbsintensiven Umfelds wurden auch oligopolistische Strukturen des Marktes nicht vernachlässigt.
266
Bei der Ableitung der Höhe der Wachstumsrate musste insbesondere entsprechend dem Bewertungsgutachten von E… Y… berücksichtigt werden, dass ungeachtet bestehender langfristiger Verträge mit Kunden die größten Wettbewerber ihre Marktposition weiter stärken konnten, nachdem vor allem im europäischen und amerikanischen Markt starke Konkurrenz vorhanden ist. Deshalb ist eine unmittelbare Weitergabe von Preissteigerungen werden des sonst drohenden Verlustes von Marktanteilen nicht immer möglich. Zudem verwies das Bewertungsgutachten auf die unterschiedlichen Überwälzungsmöglichkeiten in den einzelnen Regional Business Units im Gasgeschäft bzw. den Divisionen Engineering und GIST. Hier gibt es teils deutliche Unterschiede aus regionalem Fokus, Zyklizitätsdivergenzen aus Industriegasegeschäft und Anlagenbau sowie Entwicklungs- und Wettbewerbsgrad der bedienten Märkte. Die Abfindungsprüfer analysierten zusätzlich die Preisentwicklung mehrerer Output-Produkte sowie verschiedener Input-Faktoren. In der Vergangenheit wiesen die Preise dreier von der Gesellschaft hergestellter Gase über einen langen Zeitraum von 2010 bis 2017 kein Wachstum auf; stattdessen waren tendenziell rückläufige Preise zu beobachten, wobei dies vor allem für Sauerstoff und in geringerem Umfang für Stickstoff zu beobachten war. Wasserstoff verzeichnete nach einem Anstieg ab 2014 gleichfalls fallende Preise. Auf der Kostenseite stiegen dagegen die Preise für elektrischen Strom kontinuierlich an, während es bei Erdgas eine volatilere Entwicklung gab. Diese Entwicklung stellt die Gesellschaft im Bulk-Geschäft vor eine Herausforderung, weil sie dadurch zu stetigen Produktivitätssteigerungen gezwungen ist. Im Tonnage-Geschäft ist in der Regel zwar eine Weiterleitung durch vertragliche Vereinbarungen möglich; dabei muss aber gesehen werden, dass im Jahr 2018 die Inflation keine relevante Größe war, weshalb sich zum Bewertungsstichtag aus derartigen Klauseln keine besonderen Vor- oder Nachteile ableiten lassen.
267
(5) Ein höheres Wachstum in der Ewigen Rente lässt sich nicht mit der Begründung herleiten, die Gesellschaft verbrauche bei stetigem Einsparpotenzial in der Optimierung ihrer Anlagen weiterhin überproportional auch Energie, was konsequenterweise zu einem höheren Umsatz und Gewinn führen müsse. Der Gesamtenergieverbrauch der Gesellschaft, der in erster Linie Strom, Erdgas und Dieselkraftstoff umfasst, stieg im Zeitraum von 2013 bis 2017 um durchschnittlich etwa 3,5% pro Jahr. Im selben Zeitraum stiegen die Umsatzerlöse entsprechend den Ausführungen im Corporate Responsibility Report 2017 um jährlich etwa 0,7%. Daher steigt der Energieeinsatz bezogen auf 1 Euro Umsatz sukzessive von 0,45% auf 0,5%. Eine Optimierung der Anlagen rechtfertigt indes nicht automatisch ein höheres Wachstum, weil laufende Effizienzsteigerungen erforderlich sind, um anderweitige Preiserhöhungen zu kompensieren. Allerdings kann bei Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette ein linearer Zusammenhang zwischen dem Volumen der Gasproduktion einerseits und den damit verbundenen Umsatzanteilen andererseits nicht gezogen werden. Eine Verbindungslinie zwischen dem Energieverbrauch der Jahre 2013 bis 2017 und der Ewigen Rente ab 2023 ist nicht zu erkennen.
268
(6) Der Ansatz der Wechselkurse im Terminal Value muss nicht korrigiert werden.
269
(a) Bei der Ableitung der Ewigen Renten wurde nicht fehlerhaft ein Wechselkurseffekt in Höhe von € 52 Mio. in Abzug gebracht. Die unter Berücksichtigung der Währungseffekte für das Jahr 2022 angepasste G+V-Rechnung stellt die Ausgangsbasis für die Ewige Rente dar, wie die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme deutlich klargestellt haben. Die Umsatzerlöse erhöhen sich um 1% auf € 17.215 Mio., woraus sich dann eine EBITDA-Marge von etwa 27,1% und somit ein nachhaltiges EBITDA von € 4.662 Mio. ergibt. Dasselbe Ergebnis zeigt sich bei Erhöhung des angepassten Vorjahreswertes von €4.616 Mio. um 1% – dies ergibt wiederum ein EBITDA von € 4.662 Mio. Dann aber können die Wechselkurseffekte bei der Ableitung des Terminal Value nicht nochmals in Abzug gebracht worden sein.
270
(b) In der Ewigen Rente musste nicht mit den stichtagsaktuellen Wechselkursen gerechnet werden. Das Fortschreiben mit dem unternehmensspezifischen Wachstumsabschlag von 1% führt dazu, dass die Wechselkurse des letzten Planjahres faktisch übernommen werden. Dies wird in der Bewertungspraxis methodisch anerkannt, wie die Abfindungsprüfer hervorgehoben haben, weshalb es insoweit keiner Korrektur bedarf.
271
(c) Das Währungsrisiko ist auch nicht bereits über das Heranziehen des unternehmenseigenen Beta-Faktors abgegolten. Der Beta-Faktor bemisst im Nenner des Bewertungskalküls das systematische, nicht durch Portfoliobildung diversifizierbare Risiko der Aktie, mithin die Schwankung des tatsächlichen künftigen Zahlungsstroms vom Erwartungswert des künftigen Zahlungsstroms der L… AG zum Markt. Demgegenüber betrifft die Prognose der Wechselkurse vor allem die Höhe des bewertungsrelevanten Erwartungswerts dieser Zahlungsströme und folglich den Zähler des Bewertungskalküls. Das Niveau des Erwartungswerts und dessen Schwankungen sind unterschiedliche Kenngrößen, die beide im Rahmen der Bewertung berücksichtigt werden müssen.
272
(7) Die Abschreibungen wurden in der Ewigen Rente nicht fehlerhaft bemessen.
273
(a) Ein solcher Fehler kann nicht deshalb angenommen werden, weil die Abschreibungen des Jahres 2022 in der Ewigen Rente durch ein langfristig zur Substanzerhaltung erforderliches Investitionsniveau abzüglich der CAPEX-Synergien ersetzt wurden.
274
Das angesetzte Investitionsniveau von etwa € 1,3 Mrd. umfasst die langfristig zur Substanzerhaltung notwendigen Investitionen. Da im Terminal Value von Kapazitätserweiterungen abstrahiert wird und die erwarteten Zahlungsströme aus den Wachstumsinvestitionen der letzten Planjahre bei den Investitionen entsprechend den obigen Ausführungen unter B. II. 1. m. (1) (b) um € 500 Mio. mindernd berücksichtigt wurden, muss das nachhaltige Investitionsniveau unter den in der Detailplanungsphase geplanten Investitionen liegen. Die nachhaltigen Abschreibungen in Höhe von € 1.206 Mio. wurden in der Ewigen Rente aus dem Betrag der nachhaltigen Investitionen abgeleitet. Das herangezogene Bewertungsmodell differenziert klar zwischen nachhaltigen Investitionen und nachhaltigen Abschreibungen. Dabei ist der im nachhaltigen EBIT angesetzte Abschreibungsbetrag niedriger als das nachhaltige Investitionsniveau. Da die nachhaltigen Abschreibungen aufgrund der im Vergangenheits- und Detailplanungszeitraum höheren Investitionsbeträgen nach dem Ende von Phase I nicht sofort das nachhaltige Investitionsniveau erreichen, sondern sukzessive auf dieses Niveau abschmelzen wird, resultiert aus den temporär höheren Abschreibungen ein Steuervorteil, der bei der nachhaltigen Steuerquote annuitätisch berücksichtigt wurde.
275
(b) Die Höhe der nachhaltigen Investitionen wurde zutreffend auf Basis einer detaillierten Analyse zu Erhaltungs-, Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen abgeleitet. Erweiterungsinvestitionen wurden dabei entsprechend dem Wesen der Ewigen Rente sachgerecht nicht berücksichtigt. Zudem floss in die Bewertung auch der Umstand eine, dass aufgrund langer Vorlaufzeiten die Investitionen der L…-Gruppe typischerweise erst nach einem zeitlichen Versatz von einigen Jahren zu zusätzlichen Umsatzerlösen führen. Der hieraus resultierende Vorteil wurde durch Kürzung bei den nachhaltigen Investitionen werterhöhend berücksichtigt. Angesichts der beiden Effekte aus dem Außerachtlassen von Erweiterungsinvestitionen und der Kürzung der Wachstumseffekte nach dem Ende von Phase I kommt es zu einem geringeren Investitionsbedarf und daher auch zu niedrigeren nachhaltigen Abschreibungen. Daher kann auch nicht von einer sehr oder gar zu konservativen Absatzplanung als Ursache der nachhaltigen Abschreibungsrate ausgegangen werden.
276
(c) Eine Abstimmung zwischen Absatzplanung und Kapazitätsplanung konnte nicht erfolgen, weil die L… AG gerade nicht auf der Basis von Absatzzahlen ihre Planung aufstellt.
277
(d) Das nachhaltige Investitionsniveau muss nicht wegen in der Vergangenheit erfolgten Firmenerwerbe angepasst werden. Auf die DPA-Abschreibungen gab es keine Reinvestitionen.
278
(8) Die in der Ewigen Rente veranschlagten Werte für die Minderheitsanteile müssen nicht korrigiert werden, auch wenn sich ihr Anteil am Ergebnis von 8,6% auf 9,7% erhöht. Der Anstieg von € 182 Mio. im Jahr 2022 entsprechend den Korrekturen durch die Bewertungsgutachter auf das erste Jahr der Ewigen Rente mit € 252 Mio. ist wesentlich auf eine Teilhabe an Ergebnisverbesserungen zurückzuführen. Bei der Fortschreibung der in Phase I zugrunde gelegten Quote von 8,6% musste angenommen werden, dass die Gesellschaften, die in dem für die Ermittlung der Quote relevanten Zeitraum von 2015 bis 2017 Verluste erwirtschafteten, nachhaltig zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis erzielen sollen. Da eine dauerhafte Verlusterzielung nicht als wirtschaftlich sinnvoll angenommen werden kann, ist in der Annahme des Anstiegs der Minderheitenanteile kein Widerspruch zur Annahme des eingeschwungenen Zustands zu sehen. Der sprunghafte Anstieg wirkt sich für die Minderheitsaktionäre auch nicht negativ aus, wie die Vergleichsrechnung der Abfindungsprüfer mit einem sukzessiven Anstieg über den genannten Zeitraum der Detailplanungsphase hin zur Ewigen Rente mit dem Anteil von nunmehr 9,7% belegt. Zudem untersuchten die Abfindungsprüfer die regionale Verteilung der Gesellschaften mit Minderheitenanteilen, wobei der größte Teil auf die schnell wachsenden Regionen Ost- und Südasien entfiel. Dann aber wird das im Vergleich zum erwarteten Konzernwachstum überproportional hohe Wachstum in diesen Regionen auch zu einem überproportionalen Anteil der Minderheitsgesellschafter am Ergebniswachstum der L… AG führen. Allerdings wurde dieser Effekt im Bewertungsgutachten nicht berücksichtigt, was sich zum Vorteil der Minderheitsaktionäre auswirkt, weil andernfalls der Anteil der Minderheitengesellschafter ansteigen würde.
279
Da die L… AG über keine Planungsunterlagen dieser Gesellschaften verfügte musste zwangsläufig eine Modellierung vorgenommen werden, deren Kernüberlegungen nicht zu beanstanden sind.
280
(9) Eine Erhöhung der Synergien in der Ewigen Rente um mindestens USD 99 Mio. ist nicht veranlasst. Die in US-Dollar ausgedrückten Synergiepotenziale der L… AG umfassen insgesamt USD 370 Mio. oder € 327 Mio., wovon ein Teilbetrag von USD 99 Mio. auf Unternehmens- und Zentralfunktionen entfällt. Der Betrag von USD 99 Mio. muss als echte Synergie eingestuft werden, weil auch im faktischen Konzern beispielsweise ein Vorstand und eine Hauptverwaltung notwendig sind. Die bewertungsrelevanten Synergien von € 240 Mio. umfassen gerade nicht die Unternehmens- und Zentralfunktionen, die sich insgesamt auf USD 179 Mio. belaufen, wovon 55% oder USD 99 Mio. auf die L… AG entfallen. Als vorvertragliche Synergien werden diese aber weder in der Detailplanungsphase noch in der Ewigen Rente erfasst. Dasselbe gilt für die zugehörigen Implementierungskosten von USD 60 Mio. bzw. € 53 Mio.
281
n. Kein Korrekturbedarf kann in Bezug auf die Annahmen zur Ausschüttungs- und Thesaurierungsquote angenommen werden, weil die Ansätze sowohl in Phase I als auch in der Ewigen Rente sachgerecht erfolgten.
282
(1) Die Ansätze zur Thesaurierung und zur Ausschüttung entsprechen in Phase I und zur Ausschüttung der Jahresüberschüsse entsprechen dem Unternehmenskonzept der Gesellschaft und können daher nicht infrage gestellt werden. Es wird nämlich regelmäßig davon ausgegangen, dass sich der Umfang der Ausschüttungen bzw. Thesaurierung in der Planungsphase I an den konkreten Planungen der Gesellschaft zu orientieren hat (vgl. nur LG München I, Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5 HK O 17095/11,; Beschluss vom 6.11.2013, Az. 5 HK O 2665/12; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 25.8.2021, Az. 5HK O 12034/21; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh § 305 Rdn. 35 a und 35 b; Franken/Schulte in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl., Rdn. 5.49).
283
Die Gesellschaft geht in den Jahren von 2018 bis 2022 von Ausschüttungsquoten von 100%, 56,3%, 58,3%, 60,4% und 62,6% aus. Bei diesen Quoten kann Korrekturbedarf nicht bejaht werden. Es handelt sich dabei um unternehmerische Entscheidungen, die von den Minderheitsaktionären hinzunehmen sind, wenn sie wie hier auf einer fehlerfreien Basis beruhen. Es kann nicht Aufgabe des Gerichts sein, diese Entscheidung daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie sich möglichst werterhöhend auswirkt.
284
(a) Diese angesetzten Thesaurierungsquoten stehen nicht in Widerspruch zum Verschuldungsgrad der L… AG, wobei damit das Verhältnis des Marktwerts des Fremdkapitals zum Marktwert des Eigenkapitals gemeint sein muss, wenn bezüglich der Ausschüttungsquote ein Vergleich mit Peer Group-Unternehmen gezogen wird. Versteht man unter der Thesaurierungsquote das Verhältnis der Innenfinanzierung zum Periodenergebnis nach Minderheitenanteilen, so werden in den Jahren 2018 bis 2020 rund 87%, 81% bzw. 48% für Zwecke der Innenfinanzierung thesauriert. Dies gründet auf den hohen Tilgungsleistungen für den geplanten deutlichen Rückgang der Finanzschulden. Deren absoluter Bestand vermindert sich im Planungszeitraum. Auch dabei handelt es sich um eine von den Minderheitsaktionären hinzunehmende unternehmerische Entscheidung, die indes zu einem absinkenden verschuldeten Beta-Faktor führt, der sich hinsichtlich des Unternehmenswerts erhöhend und damit zugunsten der Minderheitsaktionäre auswirkt. Auch vermag die Kammer in dieser künftigen Planung keinen Widerspruch zu einer im Zwischenabschluss 2018 beschriebenen und damit in der Vergangenheit liegenden Kreditaufnahme über € 374 Mio. und € 532 Mio. zu sehen, weil auch derartige Schulden mit Hilfe thesaurierter Gewinne getilgt werden können, wie auch die vom Vorstand verabschiedete Planung mit dem darin enthaltenen Schuldenabbau zeigt.
285
(b) Demgemäß sind die im Geschäftsjahr 2018 angesetzten Mittel von € 1.329 Mio. für betriebsbedingt notwendige Thesaurierungen nicht zu korrigieren; für das Jahr 2019 sind € 997 Mio., im Jahr 2020 € 732 Mio. und im Jahr 2021 € 820 Mio. angesetzt. Die einzelnen Positionen der betriebsnotwendigen Thesaurierung für Wachstum sind in der Kapitalflussrechnung enthalten und widerspruchsfrei in der Ertragswertermittlung abgebildet. Für die Tilgung von Fremdkapital sind demgemäß im Jahr 2018 € 2.815 Mio., im Jahr 2019 € 1.049 Mio. und im Jahr 2020 € 591 Mio. vorgesehen. Die für die Jahre 2020 und 2021 angesetzten Beträge sind nicht deshalb zu hoch angesetzt, weil diese in den Folgejahren nicht zu einem über der nachhaltigen Wachstumsrate führenden Unternehmenswachstum führen. Der jährlich durch Thesaurierung zu deckende Kapitalbedarf resultiert nur zu einem geringen Anteil aus dem Saldo von Abschreibungen und höheren Investitionen mit € 85 Mio. bzw. € 146 Mio. Ganz wesentlich sind die im Finanzplan abgebildeten hohen Tilgungsleistungen für den geplanten deutlichen Rückgang der Finanzschulden – diese Tilgungsleistungen sollen € 591 Mio. und € 634 Mio. betragen.
286
(2) In der Ewigen Rente konnte eine Ausschüttungsquote von 50% angesetzt werden. Es ist nämlich sachgerecht, auf den Durchschnitt der Marktteilnehmer abzustellen (vgl. OLG München AG 2015, 508, 511 = ZIP 2015, 1166, 1170; WM 2020, 2104, 2112; Beschluss vom 26.6.2018, Az. 31 Wx 382/15; OLG Frankfurt Beschluss vom 15.10.2014, Az. 21 W 64/13; OLG Stuttgart AG 2011, 560, 563; LG München I AG 2020, 222, 224; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5 HK O 22657/12; Beschluss vom 29.8.2014, Az. 5HK O 7455/13; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 13671/13; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/15; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5 HK O 5884/20; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh § 305 Rdn. 35 a; Hachmeister/Ruthardt/Mager DB 2014,1209, 1211 f.). Der Kammer sind die marktüblichen Werte auch aus anderen Spruchverfahren bekannt, weshalb gegen den Ansatz einer innerhalb der genannten Bandbreite von Ausschüttungsquoten, die zwischen 40 und 60% bzw. 70% liegt, angesiedelte Ausschüttungsquote von 50% keine Bedenken bestehen.
287
Dem kann nicht entgegengehalten werden, aus einer Untersuchung der Statista Research Department vom 12.6.2019 gelange man zu einer durchschnittlichen Ausschüttungsquote von nur mehr 40% bei fallender Tendenz. Das arithmetische Mittel der in dieser Aufstellung dargestellten Ausschüttungsquote liegt über dem Zeitraum von 2003 bis 2018 bei etwa 42%, der Median bei rund 43%. Die Abfindungsprüfer haben in diesem Zusammenhang insbesondere darauf verwiesen, eine sinkende Tendenz könne dieser Untersuchung nicht entnommen werden, wenn man diese Werte um die deutlichen Rückgänge in den Jahren 2008 und 2009 als Folge der Finanzmarktkrise bereinigt. Auch verwiesen die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme darauf, dass es sich bei dem genannten Wert von 40% um eine Prognose für 2019 handele und zu berücksichtigen sei, dass Unternehmen mit Ausschüttungsquoten von mehr als 100% oder mit negativen Ausschüttungsquoten ausgeschlossen worden seien und dieser Teil nur auf die Daten der Auswahlindizes DAX, MDAX und SDAX rekurriere, während die nicht unerhebliche Zahl der Nebenwerte in der gleichen Statistik noch deutlich höhere Werte auswiesen.
288
(3) Der Abzug eines Betrages von € 81 Mio. im Terminal Value zur Finanzierung des nachhaltigen Wachstums erfolgte zutreffend.
289
(a) Die im nachhaltigen Ergebnis angesetzte Thesaurierung in dieser Höhe berücksichtigt, dass das mit dem langfristig erwarteten Wachstum der G+V-Rechnung bzw. der Überschüsse einhergehende Wachstum der Bilanz entsprechend finanziert werden muss. Demgemäß bedingt das nachhaltige Wachstum der finanziellen Überschüsse auch ein entsprechendes Wachstum der Bilanz, was entweder über Eigenkapital erfolgen kann oder aber durch Fremdkapital aufgebracht werden muss. Für die Finanzierung über das Eigenkapital müssen zu dessen Stärkung Erträge thesauriert werden. Die Alternative der Finanzierung über Fremdkapital würde zwangsläufig das Zinsergebnis (negativ) beeinflussen. Ein Wachstum ohne den Einsatz zusätzlicher Mittel ist folglich nicht möglich; nachhaltiges Gewinnwachstum kommt ohne Finanzierung nicht in Betracht. Das im Unternehmen regelmäßig zu reinvestierende gebundene Kapital unterliegt – selbst im Falle einer nachhaltigen fiktiven Vollausschüttung – inflationsbedingten Preiseinflüssen; auch die in den Plan-Bilanzen zum Ende der Detailplanungsphase berücksichtigten Aktiva und Passiva entwickeln sich inflationsbedingt fort. Aus diesen Tatsachen resultieren Finanzierungserfordernisse, die entweder durch Thesaurierung oder Fremdkapitalaufnahme erfolgen können, müssen dann aber bei der Ableitung der nachhaltigen Überschüsse einfließen (so ausdrücklich: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2012, Az. 12 W 66/06 – zit. nach juris; OLG München AG 2018, 753, 755 = Der Konzern 2019, 277, 281; AG 2020, 440, 442 = WM 2020, 1028, 1032; LG München I, Beschluss vom 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 16.4.2019, 5HK O 14963/17; auch Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. Aufl., S. 326 f.). Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei einer sich im eingeschwungenen Zustand befindlichen Gesellschaft die Kapitalstruktur in der Ewigen Rente konstant bleiben soll. Auch dies spricht für die Notwendigkeit des Ansatzes eines entsprechenden thesaurierungsbedingten Wachstums.
290
(b) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dadurch werde der Effekt des Wachstumsabschlags rückgängig gemacht. Es ist nämlich eine differenzierende Betrachtungsweise erforderlich. Die Erfassung von thesaurierungsbedingtem Wachstum erfolgt in der Phase des Terminal Value zum einen zur Abbildung des preisbedingten Wachstums in Form des Wachstumsabschlages und zum anderen zur Berücksichtigung des durch die Thesaurierung generierten Mengenwachstums durch eine nominale Zurechnung des über die Finanzierung des preisbedingten Wachstums hinausgehenden Thesaurierungsbeitrages. Damit aber hat der Wachstumsabschlag eine andere Funktion als der Ansatz des thesaurierungsbedingten Wachstums. Dabei müssen Investitionen in der Ewigen Rente höher sein als die Abschreibungen, weil auch das Anlagevermögen im Terminal Value wächst und es ohne Finanzierung auf dem Niveau des letzten Jahres der Detailplanungsphase verharren würde.
291
(c) Grundlage für die Ermittlung des Betrags der wachstumsbedingten Thesaurierung mit dem wirtschaftlichen Eigenkapital ist die Planbilanz zum Ende des letzten Planjahres, nicht aber die Konzernabschlusszahlen zum 30.6.2018, weil nur in der Ewigen Rente dieser Ansatz der Wachstumsthesaurierung folgen kann. Angesichts der Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Eigenkapitals wurden Positionen wie der Geschäfts- oder Firmenwert nicht in die Berechnungsbasis einbezogen. Dasselbe gilt für das Finanzanlagevermögen, die aktiven und passiven latenten Steuern, weil aus diesen kein inflationsbedingtes Wachstum und daher auch kein (saldierter) Kapitalbedarf zu erwarten ist. Demgemäß haben Herr Dr. P… und Herr S… in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 25.4.2023 eingehend erläutert, dass der Betrag von € 81 Mio. als Saldo aus dem wachstumsbedingten Kapitalbedarf von € 190 Mio. und der entsprechenden Kapitaldeckung von € 100 Mio. errechnet wird. Für die Bilanzpositionen, bei denen ein inflationsbedingtes Wachstum zu erwarten ist, wurden diese mit der Wachstumsrate von 1,0 multipliziert, woraus sich dann der Kapitalbedarf bzw. das Kapitaldeckungsvolumen ergibt. Für die Bilanzposten Geschäfts- oder Firmenwert, übrige immaterielle Vermögenswerte sowie das Sachanlagevermögen wurde der Kapitalbedarf nicht multiplikativ, sondern aus der Differenz zu den Investitionen von € 1.335 Mio. und den Abschreibungen in Höhe von € 1.206 Mio. berechnet.
292
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, in Anwendung des Ertragswertverfahrens sei es fehlerhaft, anstelle der nachhaltigen Investitionen die höheren Investitionen anzusetzen und gleichzeitig einen zusätzlichen Betrag des Jahresüberschusses für Wachstumsthesaurierung heranzuziehen. Wenn sich wie bei der L… AG die Ertragswertermittlung im Terminal Value an einer gewinn- und ertragsorientierten Darstellung orientiert, ist der Ansatz nachhaltiger Investitionen innerhalb der Plan-G+V-Rechnung nicht sachgerecht. In der G+V-Rechnung für die Ewige Rente werden keine nachhaltigen Investitionen angesetzt, sondern nachhaltige Abschreibungen, deren Ansatz in Kombination mit einer Wachstumsthesaurierung sachgerecht erfolgte.
293
(d) Ein Abzug von Unternehmensteuern konnte in diesem Zusammenhang nicht erfolgen. Ein solches Vorgehen zöge eine Verminderung des wirtschaftlichen Eigenkapitals als Bemessungsgrundlage für die Wachstumsthesaurierung nach sich. Zum Ausgleich müsste ceteris paribus ein laufender in Marktwerten gemessener Anstieg des Verschuldungsgrades angenommen werden. Zudem wird die Wachstumsthesaurierung aus dem Jahresüberschuss gebildet, der naturgemäß ein Wert nach Unternehmensteuern ist. Auch kennt das deutsche Steuerrecht keine Steuerermäßigungen für Thesaurierungen. Zwar führt die anteilige Deckung der Finanzierungslücke durch Fremdkapital zu einer höheren Zinsbelastung und damit verbunden geringerem Steueraufwand. Allerdings lässt sich ein Abzug von Unternehmensteuern vom Betrag der Wachstumsfinanzierung damit nicht rechtfertigen. Eine weitergehende Belastung des Betrags der Wachstumsthesaurierung lässt sich nicht aus dem Argument herleiten, dass die verbleibenden Mittel der Unternehmenswertsteigerung nach dem letzten Planjahr dienen. Die auch über eine Wachstumsthesaurierung jährlich steigenden Überschüsse unterliegen ihrerseits ceteris paribus jährlich steigenden Unternehmensteuerbelastungen. Demgemäß haben die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme darauf verwiesen, dass in der Bewertungspraxis und der Literatur ein derartiger Abzug von Unternehmenssteuern nicht befürwortet wird.
294
(4) Im Rahmen der Ermittlung des Ertragswerts konnte die Besteuerung auch unter Einschluss inflationsbedingter Kursgewinne erfolgen.
295
(a) Der Ansatz einer typisierten Einkommensteuer auf den Wertbeitrag aus Thesaurierung mit dem hälftigen Steuersatz zuzüglich des Solidaritätszuschlages ist angemessen. Die Festlegung eines Steuersatzes bedarf typisierender Annahmen. Aus empirischen Studien, die es wenigstens in den Vereinigten Staaten von Amerika, wenn auch nicht für Deutschland gibt, erkennt man eine durchschnittliche Haltedauer zwischen 25 und 30 Jahren. Auch wenn diese lange Dauer entsprechend den Erkenntnissen der Kammer aus anderen Spruchverfahren mit der Existenz von sehr langfristig engagierten Pensionsfonds zusammenhängt und dies für Deutschland nicht zwingend sein mag, kann es beim angesetzten Steuersatz bleiben. Dem lässt sich insbesondere auch nicht die Regelung aus § 52 a Abs. 10 EStG entgegenhalten. Ohne eine typisierende Betrachtung ließe sich nämlich ein einheitlicher Unternehmenswert nicht festlegen. Die Verwendung typisierter Steuersätze ist die notwendige Folge der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts und folglich unvermeidbar. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn eine inländische unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person als Anteilseigner angenommen wird. Wenn für Stichtage nach dem 1.1.2009 im Rahmen der Ermittlung der Zuflüsse an die Anteilseigner von der Besteuerung der Veräußerungsgewinne auszugehen ist, im Einzelfall aber ein Anteilsinhaber einen steuerfreien Veräußerungsgewinn haben kann, so muss dies bei der notwendigen Typisierung außer Betracht bleiben (vgl. OLG München NJW-RR 2014, 473, 474; AG 2015, 508, 511 f. = ZIP 2015, 1166, 1170; Beschluss vom 18.6.2014, Az. 31 Wx 390/13; Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16; OLG Frankfurt AG 2020, 954, 957; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; AG 2014, 208, 211; Beschluss vom 18.12.2009, Az. 20 W 2/08; LG München I, Beschluss vom 21.6.2013, Az. 5HK O 19183/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/16; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16585/15; König in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 1692 f.; in diese Richtung auch Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Rdn. 488 ff., insbesondere 491).
296
Ein Abstellen auf die individuelle Haltedauer und die individuellen Steuersätze eines jeden einzelnen Aktionärs – gegebenenfalls auch mit Sitz im Ausland – würde eine Unternehmensbewertung unmöglich machen, zumal die Gesellschaft über Inhaberaktien verfügt und folglich die Aktionäre nicht einmal namentlich bekannt sind. Angesichts dessen ist die hier vorgenommene typisierende Betrachtung unausweichlich und rechtlich unbedenklich.
297
(b) Allerdings muss auch eine effektive Ertragsteuer auf inflationsbedingte Wertsteigerung in das Bewertungskalkül einfließen. Soweit die Kammer hierzu in der Vergangenheit die gegenteilige Auffassung vertreten hat (vgl. LG München I, Beschluss vom 29.8.2028, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; auch LG Dortmund, Beschluss vom 26.8.2019, Az. 20 O 4/12) wird daran nicht mehr festgehalten. Die Berücksichtigung einer effektiven Ertragsteuer führt zu einer besseren Annäherung an den „wahren“ oder „wirklichen“ Unternehmenswert. Dies beruht zunächst auf der Erwägung, dass der Teil des Unternehmenswertes, der auf laufenden operativen Gewinnen beruht, den Anteilseignern über eine fiktive Vollausschüttung zugerechnet wird. Im Termin Value steigt der Unternehmenswert aber nicht nur durch diese laufenden operativen Gewinne, sondern auch inflationsbedingt. Auch diese Wertsteigerung steht den Aktionären zu, die aber konsequenterweise ebenso wie die Dividende in Phase I und thesaurierungsbedingte Wertsteigerungen in der Ewigen Rente um die persönlichen Steuern zu kürzen sind. Soweit Steuern abfließen, kann dieser Teil des Unternehmenswerts den Anteilseignern nicht fiktiv als Nettozufluss zugerechnet werden. Die von der Kammer bislang als Argument für die unterbliebene Berücksichtigung angeführte Inkonsistenz zwischen Zähler und Nenner im Bewertungskalkül kann nach nochmaliger Überprüfung nicht aufrechterhalten werden. Erst durch die Berücksichtigung der Besteuerung inflationsbedingter Kursgewinne kann das sogenannte Steuerparadoxon vermieden werden. Die Marktrisikoprämie im Nenner wird aus nominellen, empirisch am Markt beobachtbaren Aktienrenditen abgeleitet, in denen alle Wachstumsaspekte enthalten sind, mithin auch inflationsbedingtes Wachstum. Bei einer Umrechnung des Vorsteuerin den Nachsteuerwert werden also auch die inflationsbedingten Kursveränderungen hiervon erfasst. Wenn aber im Nenner (implizit) das inflationsbedingte Wachstum berücksichtigt ist, muss dies dann konsequenterweise auch bei den Überschüssen im Zähler folgen. Folglich kann von einer Inkonsistenz zwischen Zähler und Nenner nicht ausgegangen werden. Ebenso wenig liegt darin ein Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Annahme einer unbegrenzten Lebensdauer des zu bewertenden Unternehmens einerseits und einer Besteuerung von tatsächlich nur durch Veräußerung zu realisierenden Kursgewinnen. Es handelt sich hierbei um eine bewertungstheoretische Annahme, ohne die den Aktionären wesentliche Teile des Unternehmensvermögens vorenthalten würden (so OLG München, Beschluss vom 3.12.2020, Az.: 31 Wx 330/16 – zit. nach juris; OLG Frankfurt AG 2020, 954, 956; P…/Ruthardt in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl., § 12.150 ff.; WP Handbuch 2014, Band 2, Rdn. 399; P… Der Konzern 2019, 149, 153 ff.; Laas WPg 2020, 1256, 1258 ff.).
298
Angesichts dessen stellen sich die zu kapitalisierenden Überschüsse der L… AG wie folgt dar:
 
 
299
2. Der Wert der so ermittelten Überschüsse muss nach der Ertragswertmethode auf den Stichtag der Hauptversammlung abgezinst werden. Der hierfür heranzuziehende Kapitalisierungszinssatz, der die Beziehung zwischen dem zu bewertenden Unternehmen und den anderen Kapitalanlagemöglichkeiten herstellen soll, wurde in der Detailplanungsphase im Geschäftsjahr 2018 auf 5,81%, im Geschäftsjahr 2019 auf 5,51%, im Geschäftsjahr 2020 auf 5,41%, im Geschäftsjahr 2021 auf 5,34%, im Geschäftsjahr 2022 auf 5,28% und im Terminal Value auf 4,21% festgesetzt und muss aufgrund der sachgerechten Ableitung nicht zugunsten der Minderheitsaktionäre angepasst werden.
300
a. Der Basiszinssatz war dabei unter Anwendung der Svensson-Methode mit 1,25% vor Steuern und demgemäß auf 0,92% nach Steuern festzusetzen.
301
(1) Der Basiszinssatz bildet eine gegenüber der Investition in das zu bewertende Unternehmen risikolose und laufzeitadäquate Anlagemöglichkeit ab. Die Ermittlung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve von Zerobonds quasi ohne Kreditausfallrisiko kann methodisch nicht beanstandet werden. Es ist nämlich betriebswirtschaftlich gefordert, dass der Kapitalisierungszinssatz für den zu kapitalisierenden Zahlungsstrom hinsichtlich Fristigkeit, Risiko und Besteuerung äquivalent sein muss. Die Zinsstrukturkurve stellt den Zusammenhang zwischen der Verzinsung und den Laufzeiten von den am Markt gehandelten Anleihen dar und gibt den Zusammenhang zwischen Verzinsung bzw. Rendite einer Anleihe und deren Laufzeit wieder. Die nach der sogenannten Svensson-Methode ermittelte Zinsstrukturkurve bildet den laufzeitspezifischen Basiszinssatz – den sogenannten Zerobond-Zinssatz – ab. Sie ist in der Rechtsprechung zu Recht weithin anerkannt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2012, Az. 12 W 66/06; OLG Frankfurt NZG 2012, 1382, 1383; 2013, 69, 70; OLG München ZIP 2009, 2339, 2341 = WM 2009, 1848, 1850; AG 2012, 749, 752 = Der Konzern 2012, 561, 564; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1170; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; LG München I AG 2016, 95, 98; 2020, 222, 225; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/15; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; auch Baetge/Kümmel/Schulz/Wiese in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 448 f.). Nur dadurch kann der Grundsatz der Laufzeitäquivalenz verwirklicht werden. Die Annahme, es müsse auf den zum Bewertungsstichtag aktuellen Zinssatz für langläufige Bundesanleihen abgestellt werden, übersieht, dass die Unternehmensbewertung auf die Ewigkeit ausgelegt ist. Gerade die Anwendung der Svensson-Methode zeigt auch, dass hier gerade nicht auf Daten der Vergangenheit abgestellt wird, sondern künftige Entwicklungen der Ermittlung des Basiszinssatzes zugrunde gelegt werden (vgl. OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; LG München I, Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15). Mit ihrer Hilfe wird ein Zinssatz auf der Grundlage laufzeitabhängiger, zukunftsorientierter Kapitalmarktdaten verwendet (vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl., S. 481).
302
Dabei war eine Wachstumsrate von 1,0% zu berücksichtigen, mit der der Laufzeit über 30 Jahre hinaus Rechnung getragen wird, nachdem von einer unbegrenzten Fortdauer der Tätigkeit der Gesellschaft ausgegangen wird (vgl. Baetge/Kümmel/Schulz/Wiese in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 451 f.).
303
Auf dieser Grundlage ergibt sich zum Stichtag der Hauptversammlung ein Basiszinssatz in Höhe von 1,1338%, der dann auf 1,25% vor Steuern aufgerundet werden konnte. Dieser (Auf-)Rundung stehen keine grundlegenden Bedenken entgegen. Die Verpflichtung zur Zahlung einer angemessenen Barabfindung, die dem vollen Wert der Beteiligung entspricht, liegt ein einfachwie auch verfassungsrechtlich gebotener Ausgleich der jeweils geschützten gegenläufigen Interessen der Minderheitsaktionäre und der Antragsgegnerin als Hauptaktionärin zugrunde. Die Heranziehung von Parametern, die den richtigen Werten möglichst nahe kommen, wird dem gesetzlich vorgegebenen Interessenausgleich am ehesten gerecht. Die vorgenommene Rundung auf 1,25% vor Steuern ist daher von § 287 Abs. 2 ZPO gedeckt. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum nur eine Aufrundung, nicht aber eine sich zugunsten der Minderheitsaktionäre auswirkende Abrundung unzulässig sein soll. Ein einseitiger Verzicht nur auf eine Aufrundung würde zu einer Meistbegünstigung führen, die dem Spruchverfahren jedoch fremd ist (vgl. OLG München AG 2019, 887, 881 = WM 2019, 2262, 2265; Beschluss vom 30.7.2018, Az. 31 Wx 79/17; OLG Karlsruhe AG 2015, 549, 551 = Der Konzern 2015, 442, 448; OLG Frankfurt Der Konzern 2011, 47, 50 f.; LG München I, Beschluss vom 21.8.2015, Az. 5HK O 1913/14; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16585/15). Der Zulässigkeit der Aufrundung kann auch im konkreten Fall nicht entgegengehalten werden, angesichts einer fallenden Tendenz im Laufe der Referenzperiode und einer zu erfolgenden Abrundung bei einer lediglich zwei Tage später stattgefundenen Hauptversammlung würde die sinkende Tendenz durch die Aufrundung konterkariert. Eine Rundung kann in beide Richtungen erfolgen, sich im Einzelfall also auch zugunsten der Minderheitsaktionäre auswirken. Da Marktschwankungen und Tendenzen bereits in der Drei-Monats-Durchschnittsbildung abgebildet sind, besteht kein darüber hinaus gehender zwingender Grund, eine Tendenz zusätzlich durch den Verzicht auf die Rundung zu verstärken.
304
(2) Eine Reduktion wegen der Existenz von Credit Default Swaps muss nicht erfolgen. Allein der Umstand, dass am Markt auch Credit Default Swaps in Bezug auf staatliche Anleihen der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten sind, rechtfertigt nicht den Ansatz einer Kürzung des Basiszinssatzes. Zum einen ist die Bundesrepublik Deutschland – ungeachtet einer möglichen, aber keinesfalls sicheren Verwirklichung von Haftungsrisiken als Folge der Staatsschuldenkrise innerhalb des Euro-Raums – unverändert ein sicherer Schuldner. Auf ein theoretisches Restausfallrisiko kommt es nicht entscheidend an, weil völlig risikofreie Anlagen ohnehin nicht verfügbar sind. Zudem ist aus anderen Spruchverfahren gerichtsbekannt, dass es zwar Spekulationen gegen die Bundesrepublik Deutschland gibt; diese sind indes zahlenmäßig so gering, dass eine Berücksichtigung beim Basiszinssatz nicht gerechtfertigt sein kann. Weiterhin kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Neuregelungen in Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 2 GG zumindest nicht in dem Ausmaß ansteigen dürfen, wie dies in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten war (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2011, Az. 21 W 7/11; LG München I Der Konzern 2020, 311, 313 f.; Beschluss vom 29.8.2014, Az. 5HK O 7455/14; Beschluss vom 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 26513/11).
305
(3) Ebenso wenig ist es geboten, den Basiszinssatz in Phase I jeweils für ein konkretes Planjahr gesondert auszuweisen. Die einheitliche Festlegung des Basiszinssatzes für den gesamten Beurteilungszeitraum stellt eine allgemein übliche und nicht zu beanstandende Vorgehensweise dar (so ausdrücklich OLG München NJW-RR 2014, 423, 474; Beschluss vom 30.7.2018, Az., 31 Wx 122716). Dies ergibt sich letztlich auch aus der Überlegung, dass Erträge zwar jährlich erzielt und ausgeschüttet werden sollen, die Dauer des Unternehmens und damit die Ermittlung des Ertragswertes in die Ewigkeit angelegt ist und demzufolge auch nicht von einer jährlich neu stattfindenden Alternativanlage ausgegangen werden kann, wenn Bewertungsanlass das Ausscheiden eines Aktionärs aus der Gesellschaft ist (vgl. LG München I, Beschluss vom 30.3.2012, Az. 5 HK O 11296/06; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15).
306
b. Für die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes muss der Basiszinssatz um einen Risikozuschlag erhöht werden, der nach § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen ist und vorliegend in den Planjahren mit 4,89% in 2018, 4,59% in 2019, 4,49% in 2020, 4,42% in 2021 und 4,36% in 2022 sowie mit 4,29% jeweils nach Steuern in der Ewigen Rente festzusetzen ist.
307
(1) Der Grund für den Ansatz eines Risikozuschlages liegt darin, dass Investitionen in Unternehmen im Vergleich zur Anlage in sichere oder zumindest quasi-sichere öffentlichen Anleihen einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Dieses Risiko wird bei einem risikoaversen Anleger durch höhere Renditechancen und damit einen erhöhten Zinssatz ausgeglichen, weshalb der Ansatz eines Risikozuschlages unumgänglich ist, zumal der Verzicht auf diesen die ohnehin nicht durch die Planung abgegoltenen Risiken wie politische Krisen, Naturkatastrophen oder weitere nicht in die Planungsrechnung einzubeziehenden allgemeinen wirtschaftlichen Risiken vernachlässigen würde. Ebenso kann die Gefahr des Verfehlens der Planungsziele nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Angesichts dessen geht die heute nahezu einhellig vertretene obergerichtliche Rechtsprechung vom Erfordernis des Ansatzes eines Risikozuschlages aus (vgl. nur OLG München ZIP 2009, 2339, 2341 = WM 2009, 1848, 1850; KG NZG 2011, 1302, 1304 = AG 2011, 627, 628 f. = ZIP 2011, 2012, 2013 = WM 2011, 1705, 1706 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2011, Az. 20 W 7/11; AG 2013, 724, 729; AG 2014, 208, 211; OLG Frankfurt NZG 2012, 549, 550 = Der Konzern 2012, 199, 205 f.; AG 2017, 790, 793 = Der Konzern 2018, 74, 78; ebenso Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 394; Baetge/Kümmel/Schulz/Wiese in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 455).
308
(2) Allerdings wird die Frage, wie der Risikozuschlag im Einzelnen zu ermitteln ist, nicht einheitlich beurteilt.
309
(a) Mehrheitlich wird heute davon ausgegangen, der Risikozuschlag könne mittels des (Tax-)CAPM (Capital Asset Pricing Model) ermittelt werden. Danach wird die durchschnittliche Marktrisikoprämie, die anhand empirischer Daten aus der langfristigen Differenz zwischen der Rendite von Aktien und risikolosen staatlichen Anleihen errechnet wird, mit einem spezifischen Beta-Faktor multipliziert, der sich aus der Volatilität der Aktie des zu bewertenden Unternehmens ergibt (vgl. OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2226; AG 2016, 329, 331 = WM 2016, 1685, 1690; OLG Stuttgart AG 2010, 510, 512; AG 2008, 510, 514 f.; NZG 2007, 112, 117 = AG 2007, 128, 133 f.; OLG Frankfurt AG 2016, 551, 554; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 144; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, a.a.O., Anh § 11 Rdn. 126 f.). Zur Begründung der Maßgeblichkeit dieses kapitalmarkttheoretischen Modells wird vor allem ausgeführt, dass bei der Feststellung des Unternehmenswertes intersubjektiv nachvollziehbare Grundsätze unter Zugrundelegung von Kapitalmarktdaten Anwendung fänden und dass es kein anderes Modell gebe, das wie das CAPM die Bewertung risikobehafteter Anlagenmöglichkeiten erläutere.
310
Die weiteren in der Literatur diskutierten Modelle sind jedoch dem (Tax-)CAPM keinesfalls überlegen, sondern weisen – wie der Kammer aus anderen Spruchverfahren wie dem Verfahren 5HK O 16226/08 bekannt – deutliche Schwächen auf, weshalb sie zur Ermittlung des Risikozuschlages nicht herangezogen werden können.
311
Die Arbitrage Pricing Theory (APT) kann nicht als geeignetes Modell bezeichnet werden. Durch diese Methode wird ein Zusammenhang zwischen erwarteter Rendite und Risiko hergestellt. Die dabei zugrundeliegende Annahme unterscheidet sich allerdings deutlich von der des (Tax-)CAPM. Während das CAPM bei der Schätzung der Security Market Line davon ausgeht, dass alle Anlagen effizient diversifizierende Portfolios bilden und sich der Kapitalmarkt im Gleichgewicht befindet, nimmt das APT an, in funktionierenden Märkten könne es zu keinem Fortbestehen von Arbitragemöglichkeiten kommen. Grundgedanke ist dabei, dass bei kurzfristig auftretenden Arbitragemöglichkeiten der Marktpreis von den Marktteilnehmern dahingehend beeinflusst wird, dass sich die Arbitragemöglichkeit als Ausnutzen von Preisdifferenzen für dasselbe Wertpapier an zwei unterschiedlichen Handelsplätzen auflöst. Eine Verletzung dieser Beziehung spräche daher für einen irrationalen Markt. Die zweite Annahme des APT liegt in der Erklärung von Aktienrenditen durch ein Faktorenmodell, wobei sowohl Ein- als auch Mehrfaktorenmodelle Verwendung finden. Dabei wird die Aktienrendite unter Berücksichtigung mehrerer Risikofaktoren bestimmt, wie beispielsweise die Risikoprämien für makroökonomische Größen, die das Bruttoinlandsprodukt oder die Inflationsrate darstellen. Die dritte zentrale Annahme besteht im Vorhandensein einer ausreichenden Zahl von Wertpapieren, um wertpapierspezifische Risiken durch Diversifikation zu eliminieren. Ein erheblicher Nachteil dieses Modells liegt darin, dass keine konkrete Vorgehensweise in Bezug auf die Bestimmung von relevanten Faktoren, bzw. den korrespondierenden Risikoprämien aufgezeigt wird.
312
In gleicher Weise kann auch für das Drei-Faktoren-Modell nach Fama French eine Überlegenheit gegenüber dem (Tax-)CAPM nicht angenommen werden, weshalb es wie das APT zur Ableitung der Marktrisikoprämie nicht herangezogen werden muss. Dieses Modell berücksichtigt neben der Marktrisikoprämie und dem Beta-Faktor zusätzlich noch weitere Faktoren, die sich auf die Marktkapitalisierung und das Kurs-Buchwert-Verhältnis beziehen, wodurch die erwartete Überrendite von kleinen Unternehmen und Unternehmen mit einem hohen Quotienten aus Buch- und Marktwert berücksichtigt werden sollen. Die gerichtlich bestellten Sachverständigen haben in ihrem Hauptgutachten dargestellt, dass die Ermittlung der Faktoren auf empirischer Erklärungsgüte von Aktienrenditen basiert und somit theoretisch nicht fundiert ist. Aus einem anderen Spruchverfahren, Az. 5 HK O 16505/08 ist der Kammer aufgrund der Ausführungen des dortigen Sachverständigen, Herrn Dipl.-Kfm. Michael W., zudem bekannt, dass eine durchgeführte Untersuchung von Schulz aus dem Jahr 2009 für den deutschen Kapitalmarkt gerade keine Überrendite für kleine und große Unternehmen feststellen konnte. Angesichts dessen wird das Modell von Fama French den deutschen Marktgegebenheiten nicht gerecht. Auch dieser Umstand spricht neben der kontrovers diskutierten Auswahl der Risikofaktoren gegen den Ansatz der Überlegungen von Fama und French zur Ermittlung des Risikozuschlags bei der Gesellschaft.
313
Auch die Sicherheitsäquivalenzmethode, die im Zähler des Bewertungskalküls ansetzt, stellt keine vorzugswürdige alternative Methode zur Bestimmung des Risikozuschlags dar. Sie beruht auf der Erwägung, dass der unsichere künftige Zahlungsstrom als Grundlage der Bewertung nach der Ertragswertmethode durch einen Zahlungsstrom ersetzt wird, der anstelle des Erwartungswertes risikoneutrale Erwartungswerte abbildet. Die Diskontierung des Zahlungsstroms erfolgt dann mit dem risikofreien Zinssatz. Das Sicherheitsäquivalent ist dabei diejenige Ergebnishöhe, die bei sicherem Eintreten aus Sicht des Bewerters den gleichen Nutzen stiftet wie das volle (unsichere) Ergebnis-Verteilungsspektrum. Hierzu ist indes die Bestimmung einer Risikonutzenfunktion erforderlich. Die dieser zugrundeliegende Schätzung risikoneutraler Wahrscheinlichkeiten lässt sich beispielsweise über Marktdaten wie Optionspreise bei Annahme der Arbitragefreiheit ermitteln. Indes stellt die Risikonutzenfunktion ein abstraktes Konzept dar, dessen Bestimmung in Bezug auf den konkreten Funktionsverlauf mit solchen Herausforderungen verbunden ist, dass sie in der Bewertungspraxis keine Anwendung findet und schon deshalb nicht geeignet sein kann, den Risikozuschlag abzuleiten. Die Überlegungen für den Ansatz einer bestimmten Methode, wie sie oben einleitend unter B. II. dargestellt wurden, müssen hier in gleicher Weise geltend. Zudem ist, wie der Kammer aus den Verfahren 5 HK O 7819/09 durch die Aussage der dort bestellten Sachverständigen Wolfgang A. und Wolfram W. bekannt ist, dass eine darauf beruhende Bewertung intersubjektiv kaum oder gar nicht nachprüfbar ist, nachdem sie die Kenntnis der Risiko-Nutzen-Funktion der Eigentümer voraussetzt.
314
Für die von Gleißner entwickelte Ermittlung der Kapitalkosten auf der Grundlage des Ertragsrisikos, das anhand von Variationskoeffizienten von Ertrag oder von freiem Cash Flow gemessen wird, wobei dieser das Verhältnis der Standardabweichung zum Ertragswert darstellt, muss ungeachtet des dieser Methode innewohnenden Vorteils einer Ermittlung ohne Heranziehen von Kapitalmarktdaten gelten, dass sie in der wirtschaftswissenschaftlichen Praxis für aktienrechtliche Strukturmaßnahmen nicht angewandt wird, sondern nur vereinzelt für Bewertungsanlässe außerhalb solcher Maßnahmen. Somit fehlt es an einer zentralen Voraussetzung entsprechend den obigen Ausführungen unter B. II.
315
Angesichts dessen konnte und kann auf das (Tax-)CAPM zurückgegriffen werden, um den Risikozuschlag zu schätzen..
316
Die angesetzte Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern bedarf keiner Korrektur. Sie liegt innerhalb der zum damaligen Stichtag vom FAUB des IDW empfohlenen Bandbreite von 5,0% bis 6,0%. Der Stichtag der Hauptversammlung liegt nun aber zeitlich nach der aktuellen Empfehlung vom 22.10. 2019, durch die nach Anhebung der Obergrenze eine Bandbreite zwischen 5,0% und 6,0% nach Steuern als sachgerecht bezeichnet wurde. Zur Begründung dieser aktuellen Empfehlung führte der FAUB aus, aufgrund der aktuellen Entwicklung in Bezug auf den risikolosen Zinssatz von damals 0%, der danach sogar negativ wurde, sei eine erneute Anpassung in Bezug auf die Marktrisikoprämie erforderlich. Die Gesamtrenditeerwartung sei tatsächlich bereits in den Jahren 2012/2013 leicht gesunken; der Rückgang stehe jedoch in keinem Verhältnis zum Rückgang der Renditen deutscher Staatsanleihen. Ausgehend von einer aktuellen Gesamtrenditeerwartung von 7% bis 9% vor Steuern oder rund 5,62% bis 7,22% nach Steuern müsse es zu einer Anhebung der Marktrisikoprämie auf 6% bis 8% vor Steuern, mithin einem Nach-Steuerwert von 5% bis 6,5% kommen. Dieses Fazit einer leicht gesunkenen Gesamtrenditeerwartung beruht auf einer vom FAUB vorgenommenen Analyse verschiedenster Methoden, wobei namentlich historisch gemessene Aktienrenditen, langfristig reale Aktienrenditen, ex ante-Analysen impliziter Kapitalkosten und aktuelle Betrachtungen herangezogen wurden. Diese Empfehlung des FAUB beruht auf einem pluralen Ansatz und nicht nur auf einer einzelnen Ableitung. Dabei werden sowohl vergangenheitsbezogene Zahlen als auch Überlegungen zur Herleitung einer impliziten Marktrisikoprämie herangezogen. Seit Beginn der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise mit in der Folge sinkenden Basiszinssätzen gibt es eine wachsende Unsicherheit und damit verbunden eine hohe Risikoaversion, was – anders als steigende Diversifizierungsmöglichkeiten und eine im Zeitlauf gestiegene Risikotoleranz aufgrund gestiegenen Vermögens – für eine höhere Marktrisikoprämie spricht. Jüngere empirische Untersuchungen auch unterschiedlicher Ansätze – Betrachtung historisch gemessener Aktienrenditen, Betrachtung langfristig realer Aktienrenditen, Verwendung von ex ante-Analysen impliziter Kapitalkosten sowie modelltheoretische Analysen ohne risikofreie Kapitalkosten – deuten auf eine im Vergleich zu früheren Ansätzen infolge der Finanzkrise gestiegene Marktrisikoprämie hin (vgl. Castedello/Jonas/Schiessl/ Lenckner WPg 2018, 806 ff.). Dieser plurale Ansatz ist ungeachtet der an dieser Vorgehensweise in der Literatur geäußerten Kritik, die Marktrisikoprämie müsse anhand impliziter, am Kapitalmarkt beobachtbarer Kapitalkosten abgeleitet werden (vgl. Bassemir/Gebhardt/Ruffing WPg 2012, 882, 886), weshalb die theoretische Fundierung der Erhöhung fehle, vorzugswürdig. Die alleinige Ableitung der Marktrisikoprämie aus impliziten Kapitalkosten ist nämlich wiederum der nachvollziehbaren Kritik ausgesetzt, dass es sich dabei um einen Zirkelschluss handele, weil der aktuell gegebene Aktienkurs als gegebene Größe in die Ermittlung der impliziten Eigenkapitalkosten eingehe und sich eine einheitliche oder gar richtige Methode zu ihrer Herleitung nicht gebildet habe. Die mit der geänderten Bandbreite zum Ausdruck kommende, abwägende und veränderte Konzeption der zurückhaltenderen Herangehensweise ist ein für die Zwecke einer praktischen Unternehmensbewertung jedenfalls vertretbarer und damit für die gerichtliche Überprüfung hinreichend tauglicher Ansatz, den geänderten Bedingungen am Kapitalmarkt mit sehr niedrigen Basiszinssätzen und den daraus resultierenden empirischen Beobachtungen Rechnung zu tragen. Dabei ist nicht ersichtlich, dass die Nichtbeachtung der stichtagsaktuellen Empfehlungen des FAUB zur Marktrisikoprämie im Rahmen objektivierter Unternehmensbewertungen zu „richtigeren“ Unternehmenswerten führen könne. Wenn aber die Bandbreite einen genügenden Rahmen bietet, kann auch der Mittelwert von 5,75% nach Steuern vorliegend herangezogen werden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 8.9.2020, Az. 21 W 121/15; OLG München AG 2020, 629, 632 = WM 2021, 599, 605 f.; OLG Düsseldorf AG 2018, 679, 681 = Der Konzern 2019, 92, 96). Dabei muss gerade in diesem Zusammenhang gesehen werden, dass der Rückgang des Basiszinssatzes und die darauf beruhende Anpassung der Bandbreitenempfehlung deutlich stärker ausfiel als die Erhöhung der Marktrisikoprämie.
317
Soweit in der Literatur vertreten wird, eine höhere Marktrisikoprämie lasse sich nicht rechtfertigen (vgl. Knoll Der Konzern 2020, 478 ff.), vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Gerade die Ableitung und Höhe der Marktrisikoprämie sind in der betriebswirtschaftlichen Literatur heftig umstritten, wie eine Vielzahl von Studien und Literaturbeiträgen deutlich machen. Eine zweifelsfreie Klärung der Problematik wird nicht möglich sein. Da es nicht Aufgabe des Spruchverfahrens sein kann, wirtschaftswissenschaftliche Streitfragen einer letztverbindlichen Klärung zuzuführen, ist die Kammer auch nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten zu diesem Themenkomplex einzuholen. Ein weiterer Erkenntnisgewinn ist hierdurch nicht zu erwarten, nachdem es insbesondere keine belastbaren Studien gibt, die dem Gericht eine bessere Erkenntnisgrundlage vermitteln könnten (so ausdrücklich OLG München AG 2020, 629, 632 = WM 2021, 629, 606). Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den Entscheidungen des BGH zur Ermittlung des Risikozuschlags nach § 7 Abs. 4 und Abs. 5 StromNEV durch die Regulierungsbehörde (vgl. BGH, Beschluss vom 9.7.2019, Az. EnVR 41/18; Beschluss vom 3.3.2020, Az. EnVR 34/18) herleiten. Der BGH lässt in diesen Entscheidungen gerade nicht erkennen, dass der Ansatz des FAUB des IDW nicht geeignet sein könnte, die Marktrisikoprämie angemessen abzubilden. Es wird lediglich ausgeführt, es handele sich hierbei um eine alternativ in Betracht kommende Bewertungsmethode, die dem Ansatz der Bundesnetzagentur nicht klar überlegen sei (vgl. OLG München AG 2020, 133, 136 = WM 2019, 2104, 2113; Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16; OLG Düsseldorf NZG 2023, 160, 166 f. = AG 2022, 705, 710 f. = ZIP 2022, 1269, 1274 f. = WM 2022, 1480, 1486 = Der Konzern 2022, 483, 492). Die vom Kartellsenat des BGH aufgestellten Grundsätze lassen sich nach den ausdrücklichen Feststellungen im Beschluss vom 3.3.2020, Az. EnVR 34/18 gerade nicht mit denen zur Ermittlung der angemessenen Barabfindung nach § 327 b AktG vergleichen, weil die Ermittlung des Wagniszuschlags nach § 7 Abs. 5 StromNEV nicht der Ermittlung eines Unternehmenswertes dient, sondern der Bestimmung eines Faktors, dem ausschlaggebende Bedeutung für die Bestimmung einer den Zielen der §§ 1 und 21 EnWG Rechnung tragenden Vergütung für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen zukommt.
318
(c) Der herangezogene unverschuldete Beta-Faktor von 0,73 reflektiert zutreffend das operative Risiko der Gesellschaft. Der Beta-Faktor gibt an, wie sich die Rendite des zu bewertenden Unternehmens im Vergleich zum Marktportfolio verhält, so dass er das unternehmensindividuelle Risiko ausdrückt. Dabei beschreibt der Beta-Faktor, welche Änderung der Rendite der zu bewertenden Aktie bei einer Änderung der Rendite des Marktportfolios zu erwarten ist. Somit ist er kein empirisch feststellbarer Vergangenheitswert, sondern ein durch Schätzung zu ermittelnder Zukunftswert. Dabei erfolgt die Ableitung des künftigen Beta-Faktors bei börsennotierten Unternehmen aus historischen Kapitalmarktdaten anhand einer linearen Regression der unternehmensspezifischen Aktienkursrendite auf die Rendite des Aktienindex, wobei der Beta-Faktor die Steigerung der Regressionsanalyse angibt (vgl. OLG Karlsruhe, AG 2013, 880, 881 = Der Konzern 2013, 499, 512; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9.1.2014, Az. 26 W 22/12 (AktE) – zit. nach juris; OLG Frankfurt AG 2017, 790, 795; NZG 2020, 339, 346 = AG 2020, 298, 302 = ZIP 2020, 810, 818; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG a.a.O., Anh § 305 Rdn. 45 a; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 155 und 158). Sofern das unternehmenseigene Beta aussagekräftig und nicht durch Sonderfaktoren verzerrt ist, ist dieses zur Ermittlung des unternehmensindividuellen Risikos heranzuziehen und gegenüber der Ermittlung aus einer Peer Group vorzugswürdig. Dies resultiert aus der Überlegung, dass der eigene Beta-Faktor im Zweifelsfall das systematische, operative Risiko der Gesellschaft unmittelbar wiedergibt, weshalb er der beste Indikator für den künftigen Beta-Faktor ist (vgl. OLG Frankfurt, AG 2017, 790, 795; NZG 2020, 339, 346 = AG 2020, 298, 303 = ZIP 2020, 810, 818; OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 124, 895; OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 21, 367 = AG 2016, 584, 567; BeckRS 2016, 111006; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 170; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh 305 Rdn. 47; Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren für die Unternehmensbewertung, 6. Aufl., S.407 ff.).
319
Dabei konnte das unternehmensindividuelle Risiko der L… AG angesichts dessen Aussagekraft aus dem originären Beta-Faktor der Gesellschaft abgeleitet werden. Dies zeigt sich namentlich anhand der Liquiditätskennziffern. Eine zentrale Rolle kommt dabei den Bid-Ask-Spreads zu, nachdem diese eine sehr hohe Liquidität der Aktien der L… AG zeigen. In dem für die Ableitung des Börsenkurses maßgeblichen Zeitraum vom 25.1.2018 bis zum 24.4.2018 lag der höchste zu beobachtende Bid-Ask-Spreads bei 0,19, bei einer Erweiterung des Betrachtungszeitraums ab dem 1.11.2015 betragen die Bid-Ask-Spreads im Durchschnitt lediglich 0,06%. Dieser unternehmenseigene Beta-Faktor wurde unter Rückgriff auf Daten des Finanzinformationsdienstleister Bloomberg mittels Abfragen aller relevanten Börsenplätze in Deutschland ermittelt; die Auswahl erfasste gerade nicht nur den Xetra-Handel. Damit aber konnte das Marktgeschehen in seiner Gesamtheit gewürdigt werden.
320
Der angesetzte Beta-Faktor muss nicht deshalb herabgesetzt werden, weil im Rahmen des Tauschangebots ein deutlich niedrigerer unverschuldeter Beta-Faktor von 0,62 angenommen wurde. Die Regression im Tauschangebot erfolgte jeweils gegen einen breiten nationalen Index über fünf Jahre bis Mai 2022 bei monatlichen Renditeintervallen. Auch bei der Ermittlung der Barabfindung wurde gegen den CDAX als breitest möglichen nationalen Index regressiert. Demgemäß wurde in Bezug auf den Index derselbe Maßstab angelegt. Nicht zu beanstanden ist, wenn im Rahmen der Ermittlung der Barabfindung auf eine Periode von zwei Jahren bei monatlichen Renditeintervallen abgestellt wurde. Ein Rückgriff auf einen Referenzzeitraum von fünf Jahren würde Strukturbrüche als Folge des Business Combination Agreements mit der P…, Inc. und der nachfolgenden Bildung eines faktischen Konzerns zu stark vernachlässigen. Abgesehen davon liegt der unverschuldete Beta-Faktor bei einem fünfjährigen Referenzzeitraum mit wöchentlichen Renditeintervallen bei 0,76 bzw. 0,78 – je nachdem, ob man mit raw oder adjusted Beta-Faktoren rechnet. Bei monatlichen Renditeintervallen und einem Beobachtungszeitraum von fünf Jahren liegt nur der raw Beta-Faktor mit 0,72 geringfügig unter dem angesetzten Wert, während der adjusted Beta-Faktor mit 0,76 schon höher liegt. Eine denkbare Mittelwertbildung der so abgeleiteten Beta-Faktoren würde dann aber wiederum – wenn auch nur geringfügig – über dem angesetzten unverschuldeten Beta-Faktor von 0,73 liegen und zöge einen niedrigeren Abfindungsbetrag nach sich.
321
Ein Vergleich mit Peer Group-Unternehmen erhellt, dass der unternehmenseigene Beta-Faktor von P…, Inc., A… L… S.A. und T… S… N… im Zeitraum vor dem Tauschangebot und dem Stichtag des Squeeze out ebenso wie der der L… AG nicht unerheblich angestiegen ist, während lediglich der Beta-Faktor von A… P… & C… zurückging. Der Anstieg bei den anderen Vergleichsunternehmen belief sich auf Werte zwischen 13% und 19%, so dass der relative Anstieg des Beta-Faktors der L… AG um 16% innerhalb dieser Bandbreite liegt. Eine derartige, bei vier von fünf Unternehmen einschließlich der L… AG parallel verlaufende Entwicklung ist nicht ungewöhnlich und zeigt vor allen Dingen, dass das Risiko der Gesellschaft ab dem Tauschangebot bis zum allein maßgeblichen Stichtag der Hauptversammlung am 12.12.2018 wie bei den anderen Peer Group-Unternehmen angestiegen ist.
322
Das Heranziehen des CDAX als breitestem nationalem Index ist methodisch nicht zu beanstanden. In der Bewertungspraxis hat sich bislang kein allgemein gültiger Standard herausgebildet, ob eine Herleitung des Beta-Faktors durch Regression gegen einen möglichst breiten nationalen Index oder gegen den globalen MSCI World Index vorzugwürdig ist, nachdem beide Vorgehensweisen Vor- und Nachteile haben. So kommt es bei einer internationalen Diversifizierungsmöglichkeit in ausländischen Anlageformen zusätzlich zu einem Wechselkursrisiko, das nur dann ausgeglichen wird, wenn Wechselkursänderungen nur das Spiegelbild der Inflationsraten im In- und Ausland wären. Bei Verletzungen des Grundsatzes der Kaufkraftparität macht es indes einen Unterschied, ob eine Anlageform aus Sicht des In- oder des Ausländers beurteilt wird – In- und Ausländer werden aber unterschiedliche Renditeerwartungen haben, so dass auch das Wechselkursrisiko abgebildet werden muss. Derartige Wechselkursrisiken scheiden bei der Regression gegen einen breiten nationalen Index aus. Dabei entsteht den Minderheitsaktionären durch das Abstellen auf den CDAX vorliegend kein Nachteil, weil bei einer Regression gegen den MSCI World Index über einen fünfjährigen Beobachtungszeitraum unter Ansatz des Euro als Währung der raw beta-Faktor bei wöchentlichen Renditepunkten bereits bei 0,77 und bei monatlichen Renditepunkten bei 0,92 liegt. Erfolgt die Renditeberechnung auf Basis des US-Dollars liegen diese Werte bei 0,84 bzw. 0,85 für den raw beta-Faktor.
323
Soweit die in dem von I.. erstellten Privatgutachten vorgelegten Berechnungen zu niedrigeren Beta-Faktoren gegenüber dem MSCI World Index kommen, beruht dies vor allem darauf, dass eine Saldierung der betriebsnotwendigen Mittel mit dem (Brutto-)Fremdkapital vorgenommen und vor allem auch darauf, dass die Wirtschaftsprüfer von I.. auf die Berücksichtigung des Debt Beta verzichteten. Dieser Verzicht ist dem Privatgutachten von I.. auf Seite 71 ausdrücklich zu entnehmen, wenn dort ausgeführt wird, die Gutachter gingen von der „Praktikerformel“ aus, bei der unsichere Tax Shields angesetzt und ein Debt Beta nicht berücksichtigt werde. Den schriftsätzlichen Hinweis, es sei von I.. das Debt Beta berücksichtigt worden, vermag die Kammer daher nicht nachzuvollziehen. Eine isolierte Betrachtung nur des unverschuldeten Beta-Faktors führt mit der Modellierung des Bewertungsgutachters zu nicht vergleichbaren Ergebnissen.
324
Das Beta des Fremdkapitals zeigt an, in welchem Maße die Fremdkapitalgeber des Unternehmens systematisches, also nicht durch Diversifikation eliminierbares Risiko im Sinne des CAPM bzw. (Tax-) CAPM abnehmen. Dies führt zu einer teilweisen Überwälzung von systematischen Risiken von den Eigenkapitalgebern auf die Fremdkapitalgeber, so dass sich aus Sicht der Eigenkapitalgeber deren Risiko verringert. Die Ermittlung des Debt Beta hat dabei fallspezifisch anhand der Fremdkapitaltitel und deren Konditionen zu erfolgen, inwieweit die Fremdkapitalgeber tatsächlich einen Teil des systematischen Risikos übernehmen (vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, a.a.O, Kap. 23.7.10.5., S.632 ff.). Dabei wurde in einem ersten Schritt der Credit Spread vor Einkommensteuer durch die Subtraktion des Basiszinssatzes vom effektiven Fremdkapital errechnet, in einem zweiten Schritt dann die Einkommensteuer abgezogen und im letzten Schritt der Credit Spread durch die Marktrisikoprämie dividiert. Als Debt Beta wurden auf diese Art und Weise bei der Bewertung der L… AG für das Jahr 2018 0,15, im Jahr 2019 0,14, im Jahr 2020 0,13, in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 0,12 sowie in der Ewigen Rente 0,15 angesetzt.
325
Der unverschuldete Beta-Faktor musste nicht mit 0,69 unter Hinweis auf die notwendige Berücksichtigung von Dividendenzahlungen angesetzt werden, wie die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme überzeugend dargelegt haben. Dabei stellten sie zur Wahrung des Korrespondenzprinzips dem CDAX-Performance-Index nicht die unadjustierten Schlusskurse gegenüber, sondern zogen die seitens Bloomberg im Hinblick auf unterschiedliche Sachverhalte wie Dividenden, Sonderdividenden, Bezugsrechte, Aktiensplits etc. adjustierten Kurse der L… AG heran. Bei der zentralen Anpassung der Dividenden wird der Schlusskurs des letzten Tages von der Dividendenauszahlung (Price) mit dem Betrag der Dividende (Cash) in einen Anpassungsfaktor umgerechnet wie folgt:
„(Price – Cash) : Price.“
326
Alle aus der Sicht der damaligen Dividendenauszahlung zeitlich vorangehenden Schlusskurse werden multiplikativ mit dem Anpassungsfaktor multipliziert. Bei einer sich über mehrere Dividendenausschüttungen erstreckenden Zeitspanne werden die jeweils für dieses Ereignis beruhenden Anpassungsfaktoren multiplikativ auf alle jeweils vorangehenden Schlusskurse angewandt. Der Schlusskurs vom 10.5.2016 wird um die Sonder-Dividendenzahlung vom 4.5.2018 in Höhe von € 3,10 sowie um die normalen Dividenden vom 4.5.2018 in Höhe von € 3,90 und vom 11.5.2017 in Höhe von € 3,70 mit drei Anpassungsfaktoren adjustiert. Dabei war nur der Schlusskurs vom 10.5.2017 – ausgehend vom Ende der Abfrage – um die Sonderzahlung vom 4.5.2018 sowie die normale Dividende vom 4.5.2018 in Höhe von € 3,10 bzw. € 3,90 adjustiert, also mit drei Anpassungsfaktoren multipliziert. Der zweite Anpassungsfaktor für die normale Dividende 2018 berechnet sich wiederum aus dem Verhältnis des Schlusskurses vor der Dividende vermindert um die Dividende, dividiert durch den Schlusskurs vor der Dividende 2018. Der dritte Anpassungsfaktor für die normale Dividende 2017 ergibt sich aus dem Verhältnis des Schlusskurses vor der Dividende, vermindert um die Dividenden, geteilt durch den Schlusskurs vor der Dividende 2017. Nur diese nach dem 16.5.2017 liegenden Dividenden bezogenen Kurseinflüsse gehen in die Korrekturrechnung ein.
327
Aus den vorgelegten Zahlen von Infront Analytics sowie comdirect ergeben sich keine Zweifel an der Richtigkeit des unverschuldeten Beta-Faktors von 0,73. Zum einen erhellt die vorgelegte Analyse von Infront Analytics keinen konkreten Stichtag – wenn aus der Datumsangabe 26.4.2019 auf einen Stichtag im April 2019 geschlossen wird, was indes naheliegt, liegt dieser Stichtag etwa ein Jahr nach dem Ende des maßgeblichen Referenzzeitraums. Ähnliches gilt für den Hinweis auf comdirect, wo der 8.4.2019 als Stand angegeben wird.
328
Soweit auf mögliche Aktenrückkäufe als risikominimierender Faktor verwiesen wird, lässt sich daraus keine andere Beurteilung der Risikostruktur der L… AG herleiten. Die in der Ad hoc-Mitteilung vom 10.12.2018 und vom 21.1.2019 angesprochenen Aktienrückkaufprogramme beziehen sich auf L… plc., mithin auf die Muttergesellschaft, nicht aber auf die hier zu bewertende L… AG. Ein eigenfinanziertes Aktienrückkaufprogramm würde sich ohnehin nur auf die Nettoliquidität und damit auf den in Marktwerten gemessenen Verschuldungsgrad auswirken. Es ist nicht erkennbar, wie sich die Verminderung der Liquidität senkend auf das Risiko bzw. den Beta-Faktor auswirken soll. Aufgrund des Kapitalstrukturrisikos stiege ceteris paribus der verschuldete Beta-Faktor an.
329
Im Zeitpunkt der Bewertung noch nicht bekannte kartellrechtlich bedingte Veräußerungen können keinen Einfluss auf den unverschuldeten Beta-Faktor haben, weil sich durch diese Veräußerungen strukturell nichts an der operativen Geschäftstätigkeit der Gesellschaft verändert – diese ist nur „kleiner“ geworden. Angesichts der Ermittlung des Beta-Faktors anhand von Marktdaten und nicht durch Schätzung gibt es auch keinen Einfluss der Märkte, die als Folge dieser Veräußerungen nicht mehr bedient werden dürfen.
330
(d) Neben dem operativen Risiko trägt auch das Kapitalstrukturrisiko der Gesellschaft den Beta-Faktor. Demgemäß muss nach dem Unlevern über das Relevern die künftige Verschuldung abgebildet werden. Der Verschuldungsgrad der L… AG soll nach den Planungen in Phase I von 27,3% im Jahr 2018 über 17,7% im Jahr 2019, 14,3% im Jahr 2020 und 12,1% im Jahr 2021 auf 10,3% im letzten Planjahr 2022 zurückgehen; im Terminal Value wird ein Verschuldungsgrad von 8,5% angesetzt. Dabei errechnet sich der Marktwert des Eigenkapitals zum bewertungstechnischen Stichtag auf € 34.205 Mio., während der Fremdkapitalbestand zum Beginn des Jahres 2018 € 9,4 Mrd. betrug. Die Zahlen der Vergangenheit des Jahres 2017 insgesamt sind für die Ermittlung des künftigen Verschuldungsgrads ohne Bedeutung, nachdem der Ertragswert zukunftsorientiert ermittelt wird.
331
(aa) Die verschuldeten Beta-Faktoren sind nicht deshalb fehlerhaft, weil die Gesellschaft einen Verschuldungsgrad von knapp unter 100% trotz geplanter Thesaurierungen von fast € 5 Mrd. nie erreichen werde. Der Verschuldungsgrad liegt nämlich gerade nicht knapp unter 100%. Soweit Buchwerte der lang- und kurzfristigen Schulden in Höhe von € 17.842 Mio. und des bilanziellen Eigenkapitals von € 14.672 Mio. entsprechend der Konzernbilanz zum 30.6.2018 einen solchen Verschuldungsgrad von sogar über 100% rechtfertigen sollen, scheitert dies bereits an der Ausgangsbasis. Für die Ermittlung des verschuldeten Beta-Faktors ist entsprechend den obigen Ausführungen das Verhältnis der Nettofinanzverbindlichkeiten zum Marktwert des Eigenkapitals ausschlaggebend. Aus einer hypothetischen Entwicklung bilanzieller Kennzahlen errechnete Werte können keine geeignete Vergleichsgrundlage für den im Beta-Faktor berücksichtigten Verschuldungsgrad in Marktwerten sein. Auch ist eine Division des verschuldeten durch den unverschuldeten Beta-Faktor keine in der Praxis und Betriebswirtschaftslehre anerkannte Grundlage zur Ableitung des Verschuldungsgrades.
332
(bb) Bei der Ermittlung des verschuldeten Beta-Faktors war die weit unterdurchschnittliche Einstufung des Risikos durch die Fremdkapitalgeber nicht zu berücksichtigen, auch wenn eine Anleihe über € 1 Mrd. mit einem festen Zinscoupon von 0,25% emittiert worden war. Die Anpassung im Wege des Relevern hat an den periodenspezifischen Verschuldungsgrad und damit das Kapitalstrukturrisiko anzuknüpfen; nicht dagegen soll die Auswahl der Anpassungsformel für das Un- und Relevern vom Niveau der Fremdkapitalkonditionen abhängen. Die Anleiheverzinsung kann nicht in die periodenspezifische Berechnung des verschuldeten Beta-Faktors Eingang finden. Das Unlevern und anschließende Relevern erfolgte bei der Bewertung der Gesellschaft nach einer Anpassungsformel unter der Annahme unsicherer Tax Shields auf Basis des Verhältnisses vom Fremdkapital zum Marktwert zum Eigenkapital (vgl. OLG Frankfurt NZG 2020, 339, 347; AG 2021, 275, 279; OLG München, Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16; Baetge/Küm-mel/Schulz/Wiese in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 465).
333
(cc) Das verbesserte Rating kann keinen sinkenden Beta-Faktor nach sich ziehen. Soweit der gemeinsame Vertreter auf die im Januar 2017 von der L… Finance B.V. emittierte Anleihe mit einem Volumen von € 1 Mrd. mit einer Laufzeit von fünf Jahren und einem Sollzinssatz von 0,25% verweist, lässt sich daraus die Notwendigkeit eines sinkenden Beta-Faktors nicht ableiten. Diesem Ansatz fehlt der Bezug zu den Eigenkapitalkosten. Auch der Hinweis, das Risiko aus der Kapitalstruktur könne aus einem Vergleich der Effektivverzinsung der zinstragenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu jener aller im CDAX gelisteten Aktiengesellschaften abgeleitet werden, ist nicht sachgerecht. Das im Rahmen einer Unternehmensbewertung zu berücksichtigende Kapitalstrukturrisiko bezieht sich nämlich auf den in Marktwerten gemessenen Verschuldungsgrad zwischen dem Marktwert des Eigenkapitals und dem Marktwert des Fremdkapitals. Jenes beruht darauf, dass die Eigenkapitalgeber lediglich einen Residualanspruch auf den Zahlungsüberschuss aus der laufenden Geschäftstätigkeit haben, der nach Abzug der vertraglich fixierten Zahlungen an die Fremdkapitalgeber verbleibt (Baetge/Kümmel/Schulz/ Wiese in: Peemöller, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 472). Angesichts der Unklarheit der Entwicklung des Unternehmensratings bezogen auf den Zeitablauf und des Fehlens einer betriebswirtschaftlich anerkannten Verbindungslinie zwischen dem Sollzinssatz und dem in Marktwertverhältnissen gemessenen Kapitalstrukturrisiko kann ein verbessertes Rating nicht zu einem sinkenden Beta-Faktor führen. Zudem wurden die bewertungsrelevanten Effekte sich verändernder Sollzinsen als auch des sich im Zeitablauf vermindernden periodenspezifischen Verschuldungsgrads sachgerecht im Bewertungsgutachten von E… Y… abgebildet, wie die Abfindungsprüfer festgestellt haben.
334
(dd) Die kartellrechtlich bedingten Veräußerungen sind auch im Verschuldungsgrad sachgerecht berücksichtigt worden. Die Nettofinanzverbindlichkeiten werden ab Beginn des ersten Planjahres abgebaut, wie dies auch den Plan-Bilanzen vom Dezember 2017 bis zum Ende des letzten Planjahres zu entnehmen ist. Demgemäß geht auch der verschuldete Beta-Faktor von 0,89 bis auf 0,78 zum Beginn der Ewigen Rente zurück.
335
(3) Der so mit Hilfe des (Tax-)CAPM ermittelte Risikozuschlag steht auch in Einklang mit den sich aus der speziellen Situation der Gesellschaft am Markt ergebenden Risiken, wobei diese operativ leicht unter dem Durchschnitt liegen und dann unter Berücksichtigung der Verschuldungssituation insgesamt als wiederum unterdurchschnittlich eingestuft werden müssen.
336
Der Kammer ist aus anderen Spruchverfahren bekannt, dass der Durchschnitt des operativen Risikos über einen Beta-Faktor von etwa 0,8 abgebildet wird, was zu der Annahme des leicht unterdurchschnittlichen operativen Risikos bei der L… AG führt. Dabei muss gesehen werden, dass die Chancen der L… AG im Vergleich zu den Risiken leicht überwiegen, weshalb von einer leicht unterdurchschnittlichen Risikostruktur im operativen Bereich ausgegangen werden kann. Die Gesellschaft zeichnet sich durch ihre weltweite Tätigkeit mit einem diversifizierten Produktportfolio sowie ein breites Abnehmerspektrum aus. Auch genießt ihr Markenportfolio hohes Ansehen und wird mit Qualität und Zuverlässigkeit assoziiert. Namentlich mit dem Healthcare-Geschäft gehört die L… AG einschließlich ihrer Tochtergesellschaften zu den weltweit führenden Unternehmen in diesem Bereich, in dem sie auch über signifikante Marktanteile in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika verfügt, wobei gerade dieser Bereich auch weniger konjunkturabhängig ist. In der Division Engineering zeichnet sich die Gesellschaft durch umfangreiche Kompetenz in der Entwicklung und dem Bau technisch modernster Anlagen zur Herstellung von Industriegasen aus; gerade damit hebt sie sich als Technologieführer von zahlreichen Wettbewerbern ab, wobei kosteneffiziente Anlagen die Wettbewerbsposition im On-Site-Geschäft stärken. Andererseits muss aber auch gesehen werden, dass das Geschäft in diesem Bereich sehr wohl als zyklisch zu bezeichnen ist. Insgesamt ist das Geschäft durchaus konjunkturabhängig; dies gilt auch im Gase-Bereich, nachdem gerade die Abnehmer von Industriegasen in der Chemieindustrie abhängig sind von der konjunkturellen Entwicklung. Daneben besteht das immanente Risiko, dass Anpassungen und vermehrte Anforderungen sowie Kostendruck in Wachstumsmärkten nicht schnell genug erfolgen und die Wettbewerbsfähigkeit der Anlagen wie beispielsweise von Luftzerlegern nicht sichergestellt werden können. Im Hinblick auf das Homecare-Geschäft ist das Risiko nicht zu vernachlässigen, dass die stetige Anpassung des Geschäftsmodells und der Kostenstruktur an veränderte Regulierung, neue Technologien sowie die Digitalisierung hinten den Erwartungen zurückbleibt. Auch besteht die Gefahr der eingeschränkten Weitergabe bzw. Rekuperationsfähigkeit von volatilen Rohstoff-, Energie- und Materialkosten. Neben diesen internen Risiken können auch die sich aus einer konjunkturellen Abschwächung, von der die Planung indes gerade nicht ausgeht, sowie unvorteilhafte Wechselkursschwankungen ergebenden Risiken bei einer Gesamtbewertung nicht unberücksichtigt bleiben. Als makroökonomische Krisen kann vor allem eine mögliche Destabilisierung der Europäischen Union, die auch schon zum Stichtag angesichts der sehr stark auf die Wahrung nationaler Eigeninteressen bedachten und europakritischen Regierungen in Polen und Ungarn zu beobachten war, nicht ausgeschlossen werden; dasselbe gilt für eine plötzliche Abkühlung der Konjunktur in China sowie ein zum Stichtag der Hauptversammlung möglicher Handelskrieg zwischen den USA und China. Ebenso können Überkapazitäten in einzelnen Industriegase-Bereichen die Gesellschaft ebenso negativ beeinflussen wie regulatorisch bedingte Preisrückgänge im Gesundheitssystem der USA oder schärfere Umweltauflagen in China.
337
Die Finanzierungssituation der Gesellschaft mit ihrem Verschuldungsgrad muss auch hier risikosenkend berücksichtigt werden, nachdem der ohnehin nicht zu hohe Verschuldungsgrad im Laufe der Detailplanungsphase in die ewige Rente abnimmt, was dann auch zu einem sinkenden Risikozuschlag führen muss.
338
c. Der für das Wachstum der Überschüsse mit 1,0% im Terminal Value an-gesetzte Wachstumsabschlag muss angesichts seiner Angemessenheit nicht erhöht werden.
339
(1) Mit dem Wachstumsabschlag wird zugunsten der Aktionäre berücksichtigt, dass sich die Geldentwertung bei festverzinslichen Anleihen stärker auswirkt als bei einer Unternehmensbeteiligung. Das Unternehmen hat in der Regel die Möglichkeit, die Geldentwertung zumindest zu einem Teil durch Preiserhöhungen aufzufangen, während die Anleihe ohne Inflationsausgleich zum Nominalwert zurückgezahlt wird. Die Höhe des festzusetzenden Abschlages ist dabei abhängig von den Umständen des Einzelfalles. Maßgeblich ist vor allem, ob und in welcher Weise Unternehmen die erwarteten Preissteigerungen an die Kunden weitergeben können; daneben sind aber auch sonstige prognostizierte Margen- und Strukturänderungen zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart AG 2007, 596, 599; NZG 2007, 302, 307; AG 2008, 783, 788 f.; OLG München WM 2009, 1848, 1851 = ZIP 2009, 2339, 2342; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1171; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2227; AG 2018, 679, 681 f. = Der Konzern 2019, 92, 97; OLG Karlsruhe Der Konzern 2015, 442, 450 f.; 2016, 35, 41; LG München I AG 2017, 501, 506; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; Beschluss vom 27.11.2019, Az. 5HK O 6321/14; Beschluss vom 25.11.2020, Az. 5HK O 12435/05; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 175). Ausschlaggebend ist dabei primär die individuelle Situation des Unternehmens, nicht die allgemeine Entwicklung zum Bewertungsstichtag. Dabei kann nicht auf Umsätze und deren Entwicklung in Relation zur allgemeinen Inflationsrate abgestellt werden; entscheidend ist vielmehr das Wachstum der Ergebnisse. Die erwartete durchschnittliche Inflationsrate kann dabei nur einen ersten Ansatzpunkt für die Höhe des Wachstumsabschlages bilden (so auch ausdrücklich OLG München AG 2018, 753, 756 f. = Der Konzern 2019, 277, 282 f.; OLG Düsseldorf AG 2016, 329, 331 = WM 2016, 1686, 1691; Der Konzern 2019, 410, 419; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 175). Es ist nämlich zu beachten, dass – wie auch aus anderen Spruchverfahren gerichtsbekannt ist – Unternehmensergebnisse anderen Preiseinflüssen als der Verbraucherpreisindex unterliegen, weil Chancen und Risiken nominaler Ergebnisveränderungen sowohl von der Marktlage und Wettbewerbssituation als auch der Struktur jedes einzelnen Unternehmens abhängen.
340
Angesichts dieser Bedeutung des Wachstumsabschlages ist dieser auch ausschließlich in der Ewigen Rente festzusetzen; Preissteigerungen in der Detailplanungsphase sind bereits über die Planzahlen abgebildet, die dann auch zu einem entsprechenden Umsatzwachstum führen (vgl. van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 174).
341
(2) Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage lässt sich ein höherer Wachstumsabschlag nicht rechtfertigen.
342
(a) Der Ansatz von 1% vernachlässigt gerade nicht die Maßgeblichkeit der unternehmensspezifischen Inflationsrate. Die Abfindungsprüfer haben entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag neben empirischen Erfahrungen und einer qualitativen Einschätzung zur Unternehmenssituation dem in vielen Regionen bestehenden hohen Marktanteil, dem weltweit erheblichen Wettbewerbsdruck und der Ortsgebundenheit der hergestellten Ware vor allem auch eine Verprobung anhand statistischer Werte vorgenommen, um die unternehmensspezifische Inflations- oder Wachstumsrate zu verifizieren. Bei den Erzeugerpreisen gewerblicher Produkte ermittelten sie anhand der historischen Entwicklung von Wasser-, Stick- und Sauerstoffpreisen durchschnittliche Wachstumsraten ab 2010 unter Einschluss des Jahres 2018 von etwa 1%; für den Zeitraum bis 2017 lag das CAGR bei etwa 0,8%. Stickstoff weist bis 2018 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von ungefähr minus 0,2% und Sauerstoff von minus 2,4% auf. Diese Entwicklung muss angesichts des Bezugs des Wachstumsabschlags zur Entwicklung der Ergebnisse statistischen Preisgrößen für die operativen Aufwendungen gegenübergestellt werden. Dabei spielen auf der Kostenseite neben den Personalkosten in erster Linie steigende Energiekosten eine wichtige Rolle. Beim Erzeugerpreis für Erdgas bei Abgabe an die Industrie ergab sich im Zeitraum von 2010 bis 2018 ein durchschnittlicher Anstieg von 2,3% p.a., bis 2017 von 1,0% pro Jahr. Der Erzeugerpreis für elektrischen Strom stieg bei Abgabe an Sondervertragskunden in der höchsten Verbrauchsklasse im selben Zeitraum um jährlich 3,6% bzw. nur 3,4% p.a. mit dem Jahr 2017 als Ende des Betrachtungszeitraums. Im Tonnage-Geschäft ist eine Weitergabe gestiegener Beschaffungskosten an die Kunden aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zwar möglich; doch stellen diese im Bulk-Geschäft die Gesellschaft vor die Herausforderung, dies durch stetige Produktivitätssteigerungen kompensieren zu müssen. Die gleichfalls ausgewertete Datenreihe von Eurostat für Deutschland und die Europäische Union, die mit dem Jahr 2012 beginnt, weist für Industriegase in der Europäischen Union mit einem CAGR im Zeitraum zwischen 2012 und 2018 von minus 0,5% ebenfalls eine sinkende Tendenz aus. Diese Entwicklung spricht sehr wohl für die Annahme, dass die Entwicklung der (Absatz) preise für Industriegase jedenfalls in Deutschland auch in Zukunft hinter dem allgemeinen Anstieg von Erzeugerpreisen zurückbleiben wird.
343
An der Angemessenheit des angesetzten Wachstumsabschlags vermögen auch vertraglich vereinbarte Preisanpassungsklauseln nichts zu ändern. Diese ermöglichen es der L… AG zwar, Kostensteigerungen auf der Beschaffungsseite an ihre Kunden weiterzureichen. Damit kann auch ein Umsatzanstieg verbunden sein. Der Wachstumsabschlag bezieht sich indes nicht auf den Umsatz; vielmehr geht es um die Wirkung der preisänderungsbedingten unternehmensspezifischen Inflationsrate auf die Saldogröße der finanziellen Ergebnisse, mithin um das Wachstum der Ergebnisse. Damit aber impliziert ein Wachstumsabschlag von 1% ein vollständiges Überwälzen der Preise (vgl. OLG Düsseldorf WM 2016, 1641, 1646). Verträge mit derartigen Preisanpassungsklauseln gibt es nur in dem durch langfristige Kundenverpflichtungen gezeichneten Tonnage-Geschäft, also in den On-Site-Aktivitäten der Division Gase. Dem Bulk-Geschäft sind solche Klauseln dagegen fremd; aus den Divisionen GIST und Engineering wurden derartige Verträge nicht bekannt, weshalb sie gerade nicht konzernweit zum Einsatz kommen.
344
Aus der Möglichkeit, neue Verträge mit gegebenenfalls höheren Absatzpreisen abzuschließen, kann kein höherer Wachstumsabschlag abgeleitet werden. Zum einen bedeutet der Wachstumsabschlag bereits ein durchschnittliches jährliches Wachstum der Überschüsse, nicht des Umsatzes. Zum anderen muss gesehen werden, dass angesichts des vorhandenen Wettbewerbs ein nicht unerheblicher Preisdruck besteht, der das Wachstum der Überschüsse limitiert. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Produkte der Wettbewerber vielfach austauschbar sind, worauf im Prüfungsbericht ebenso hingewiesen wurde wie auf einen weltweit bestehenden erheblichen Wettbewerbsdruck. Auch Faktoren wie ein hervorragendes Distributionsgeschäft, eine hohe Lieferfähigkeit oder eine hohe Back-up-Sicherheit vermögen nichts an der Tatsache eines signifikanten Wettbewerbs um Marktanteile zu ändern. Da diese Attribute auch dazu beigetragen haben, dass die Gesellschaft zum zweitgrößten Produzenten von Industriegasen mit einem Marktanteil von rund 22% im Jahr 2017 wurde, muss auch hier gesehen werden, dass es sich dabei nicht um Faktoren handelte, die erst in der Detailplanungsphase auftreten und darauf aufbauend im Terminal Value einen höheren Wachstumsabschlag rechtfertigen könnten.
345
Bei dem Versuch, die im Unternehmen auftretenden Preissteigerungen auf den Beschaffungsmärkten durch höhere Preise auf den Absatzmärkten überzuwälzen, wird sich ein Unternehmen schon vom Ausgangspunkt her an dem eigenen spezifischen Geschäftsmodell orientieren und nicht an der konsumorientierten allgemeinen Inflationsrate, wie sie anhand des Verbraucherpreisindex für sämtliche Waren und Dienstleistungen gemessen wird. Das isolierte Ansetzen an Aufwands- oder Erlösgrößen steht im Widerspruch zum Grundgedanken des eingeschwungenen Zustands, nachdem im Wachstumsabschlag im Wesentlichen die Preissteigerungen zum Wachstum der Ergebnisse führen, während das thesaurierungsbedingte Wachstum fiktiv unmittelbar im Zähler des Bewertungskalküls zugerechnet wird (vgl. OLG München, Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 304 Rdn. 174). Auch der von Seiten des Antragstellers zu 32) herangezogene Vergleich mit dem Wettbewerber Messer SE & Co. KGaA rechtfertigt nicht die Notwendigkeit des Ansatzes eines höheren Wachstumsabschlags. Die Zahlen für die Messer SE & Co. KGaA zeigen eine jährliche durchschnittliche Steigerung der Kosten von 5,53% und ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 5,74% pro Jahr. Wenn nun bei der L… AG von einem Mehrgewinn von 1% in der Ewigen Rente ausgegangen wird, kann gerade nicht von einer fehlenden Überwälzbarkeit auf die Kunden der Gesellschaft ausgegangen werden.
346
Ebenso wenig lässt sich ein Wachstumsabschlag von 2% über eine Ableitung impliziter Aktienrenditen ableiten, die auf Basis von Analystenschätzungen für drei Jahre erhoben werden und in denen unterstellt wird, die Dividendenerwartung des dritten Jahres wachse mit einer konstanten, mit 2% anzusetzenden Rate, weil die langfristige Wachstumsrate des Gesamtmarkts der langfristigen Inflationsrate entspreche. Konzeptionell müsste als Gesamtwachstumsrate das Dividend Discount Model herangezogen werden, weshalb die Wachstumsrate von 2,0% nicht mit der unternehmensspezifischen Wachstumsrate, sondern allein mit der Gesamtwachstumsrate zu vergleichen ist, die vorliegend indes bei 3,71% und damit deutlich höher liegt.
347
(b) Ein höherer Wachstumsabschlag kann nicht unter Hinweis auf steigende Margen bei den weltweit operierenden Anbietern und dem Ausscheiden kleinerer regionaler Wettbewerber angenommen werden. So lässt sich bereits kein Zusammenhang zwischen den EBITDA-Margen und dem nachhaltigen Wachstumsabschlag herstellen. Die nachhaltige Marge ist Ausdruck der nachhaltigen Ertragskraft zu Beginn des Terminal Value und bildet demgemäß den Absprungpunkt der Ewigen Rente. Die festgesetzte nachhaltige Wachstumsrate bestimmt dagegen, wie stark das Wachstum in den Jahren danach sein wird. Demgemäß sind diese beiden Parameter unabhängig voneinander festzulegen.
348
(c) Aus dem prognostizierten weltweiten Wachstum des Industriegasemarktes um 4,4% p.a. im Zeitraum von 2018 bis 2021 mit steigender Tendenz, des globalen Chemiemarktes um 3,3% p.a. sowie des globalen Marktes für Grundchemikalien um 8,5% p.a. sowie aus umweltfreundlichen und wirtschaftlichen Handlungsweisen kann ein höherer Wachstumsabschlag nicht hergeleitet werden. Aussagen über den globalen Chemiemarkt und den Markt für Grundchemikalien sind angesichts des sehr viel weiter gefassten Produktspektrums nicht geeignet, die Planungsrechnung und den Wachstumsabschlag zu beurteilen. Selbst die spezifisch abgegrenzten Marktstudien des Industriegasemarktes sind zur Plausibilisierung nach den Erkenntnissen, wie sie den Abfindungsprüfern vermittelt wurden, weitgehend ungeeignet. Vielfach fehlt es nämlich an einer klaren Marktabgrenzung bei geringer Datenqualität. Vor allem aber ist das tatsächlich zu erwartende Wachstum aufgrund des sehr lokalen Gase-Geschäfts stark regionen- und kundenspezifisch, weshalb infolge von den Perspektiven der Marktstudien, die zumeist länderbezogene Informationen liefern. regelmäßig abgewichen wird. Daher werden für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge von den Verantwortlichen am ehesten Indikationen wie die Industrieproduktion, das Bruttoinlandsprodukt oder Preisindices herangezogen. Die Gesamtwachstumsrate der L… AG mit 3,71% liegt dabei deutlich über diesen Indikatoren Industrieproduktion und Bruttoinlandsprodukt. Für die Beurteilung des Wachstumsabschlags ist zudem zu bemerken, dass die Studien im Jahr 2021 enden, also der Zeitraum der 2023 ff. beginnenden Ewigen Rente von ihnen gar nicht erfasst wird. Vor allem aber zeigt sich das stärkste Wachstum in den Regionen, in denen die Gesellschaft gerade nicht knapp 2/3 ihres Umsatzes in der Vergangenheit erwirtschaftet hat. In den Regionen Westeuropa und Nordamerika sollen die jährlichen Wachstumsraten nur mehr bei 2,5% bzw. 2,1% liegen. Auch bilden die Studien die Gesamtwachstumsraten ab, die mit 3,71% bei der L… AG auf dem Niveau der globalen Industriegase-Entwicklung über einen Gesamtbetrachtungszeitraum von knapp zehn Jahren liegen.
349
(d) Der Ansatz eines Wachstumsabschlags von 1% und damit auch unterhalb der von der Europäischen Zentralbank langfristig erstrebten Inflationsrate von 2% kann nicht entgegengehalten werden, es werde dadurch zu einem laufenden Schrumpfen der Gesellschaft kommen. Zur Beurteilung der Angemessenheit des Wachstumsabschlages muss die Gesamtwachstumsrate der geplanten entziehbaren Überschüsse analysiert werden. Bei einer tatsächlichen Thesaurierung ist bei der Beurteilung zusätzlich nämlich das thesaurierungsbedingte Wachstum aus den tatsächlich einbehaltenen Beträgen zu berücksichtigen, das gleichfalls zum Wachstum der Gesellschaft beiträgt. Unter Berücksichtigung dieses notwendigen Ansatzes muss bei der L… AG tatsächlich von einer deutlich höheren Gesamtwachstumsrate von 3,71% ausgegangen werden.
350
(e) Dem Wachstumsabschlag von 1% können nicht bestehende Markteintrittsbarrieren entgegengehalten werden, die es trotz einer überschaubaren Zahl international tätiger Großkonzerne gibt. Diese Barrieren, die aus den kapitalintensiven Verarbeitungsmethoden zur Herstellung von Industriegasen sowie der aufwändigen, aber notwendigen Transport- und Lagerlogistik sowie hohen regulatorischen Anforderungen herrühren, stehen der Annahme einer hohen Wettbewerbsintensität im Terminal Value nicht entgegen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass viele kleinere regional tätige Anbieter zu dem verstärkten Wettbewerb beitragen. Zum anderen bestanden diese Markteintrittsbarrieren bereits vor dem Bewertungsstichtag, ohne dass dies zu einer Minderung des Wettbewerbsdrucks geführt hätte. Dem lässt sich auch ein Bestand langfristiger Kundenverträge nicht entgegenhalten, weil dies in gleicher Weise auch für die Wettbewerber der L… AG gilt. Zwar dienen solche langfristigen Verträge der Absicherung der eigenen Position am Markt, erschweren aber in gleicher Weise das Hinzugewinnen von Marktanteilen, weil potenzielle Kunden sich ebenfalls langfristig an Wettbewerber vertraglich gebunden haben. Auch das integrierte Geschäftsmodell aus Gaseherstellung und Anlagenbau ist kein neuartiger Faktor; die Kombination dieser beiden Bereiche ist vielmehr sowohl in der Detailplanungsphase wie auch in dem der Ewigen Rente zugrunde gelegten Ergebnis berücksichtigt. Das sich das daraus ergebende Mengenwachstum ist über das thesaurierungsbedingte Wachstum abgebildet.
351
(f) Geografisch unterschiedliche Preissteigerungen sind im Bewertungsmodell nicht fehlerhaft nur auf Kostenebene angesetzt worden, weshalb auch aus diesem Grund kein höherer Wachstumsabschlag angenommen werden kann. Die weltweite Tätigkeit und die daraus resultierenden (negativen) Folgen erfordern keine Erhöhung des Wachstumsabschlags. Die Wechselkursanpassung dient gerade nicht dem Ansatz höherer ausländischer Inflationsraten auf Kostenebene. Die Bewertungsgutachter von E… Y… rechneten die operativen Ergebnisse der ausländischen Einheiten und damit die Differenz aus Umsatz und Kosten mit angepassten Wechselkursen in Euro um. Ein sich daraus ergebender negativer Erlöseffekt beruht nicht auf einer einseitigen Erhöhung der Kosten, sondern auf notwendig werdenden Abwertungstendenzen der ausländischen Währungen, wodurch die in Fremdwährung erzielten EBITDAs in Euro ausgedrückt weniger wert sind.
352
Ein anderes Ergebnis bei Wachstumsabschlag lässt sich auch nicht aus der ganz überwiegend internationalen Tätigkeit der Gesellschaft herleiten. Die Höhe des Wachstumsabschlags muss im internationalen Kontext vor dem Hintergrund des Währungsraums festgelegt werden, in dem die Bewertung erfolgt – vorliegend also über einen bereits in Euro umgerechneten Zahlungsstrom. Bei einer wie hier sachgerecht vorgenommenen Wechselkursprognose ist in der Ewigen Rente nur mehr das inländische Inflationsniveau bzw. die inländische Wachstumsrate zu berücksichtigen. Zwar führt ein im Ausland bestehendes höheres Inflationsniveau zu höherem nominellen Wachstum der Zahlungsströme in der Fremdwährung. Diese höhere Inflation führt indes zu einer Abwertung der ausländischen Währung über die Zusammenhänge der Kaufkraftparitätentheorie. Dann aber wird das höhere nominelle Wachstum im Ausland bei Betrachtung aus Euro-Sicht wieder kompensiert. Für Bewertungszwecke kann also der Wechselkurs des letzten Planjahres unter Ansatz der inländischen inflationsbedingten Wachstumsrate fortgeschrieben werden.
353
(g) Der mit 1% angesetzte Wachstumsabschlag vernachlässigt nicht den Boom mit Wachstumsaussichten aus Wasserstoff und Flüssiggas als Energiespeicherquellen der Zukunft oder aus dem Erfordernis umweltfreundlicher Antriebstechniken im weltweiten Schifffahrtsboom. Wasserstoff als alternative Energiequelle floss bereits in die Planungsrechnung ein und ist deshalb auch in der Ewigen Rente angemessen berücksichtigt. Ebenso engagiert sich die Gesellschaft mit der Division Gase auch im Produktionsbereich Flüssiggas. Andererseits sind mit einem Umschwenken auf Wasserstoff durchaus Risiken verbunden, die die Abfindungsprüfer in ihrer ergänzenden Stellungnahme angesprochen haben. Im Automobilbereich können die bisherigen Energieträger verdrängt werden, woraus sich Risiken bei der Belieferung von Raffinerien mit Gasen durch die L… AG ergeben. Vor allem aber muss gesehen werden, dass der Wachstumsabschlag aus dem Zusammenwirken mehrerer unterschiedlicher Überlegungen abgeleitet wird, von denen die Entwicklung einzelner Marktsegmente stets nur ein Teilaspekt sein kann. Angesichts der Marktaussichten und der Wettbewerbsstruktur wird die Bedeutung von Wasserstoff und Flüssiggas gerade nicht vernachlässigt. Da Wasserstoff und Flüssiggas eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung des Schwefelanteils im Treibstoff spielen und sowohl Flüssiggas als auch Wasserstoff keine neuen Produkte sind, muss der Wachstumsabschlag nicht erhöht werden.
354
Der Hinweis auf ein doppelt so schnelles Wachstum der GaseBranche im Vergleich zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt und die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Mengenwachstums von 7% p.a. über einen kompletten Konjunkturzyklus hinweg und ein in Marktstudien angesprochenes Marktwachstum für Industriegase von jährlich 7% bis zum Jahr 2014 führt nicht zur Notwendigkeit, den Wachstumsabschlag zu erhöhen. Die Abfindungsprüfer verwiesen insbesondere auf einen Research-Bericht von Warburg vom 26.4.2018 mit einem unterhalb der festgesetzten Barabfindung liegenden Wert von € 187,81 je Aktie. Ein Herausgreifen einzelner Aspekte aus dem von den Antragstellern zitierten Bericht ist gerade nicht zulässig (vgl. OLG München WM 2019, 2262, 2266 und 2267). Zudem muss auch hier berücksichtigt werden, dass die Gesamtwachstumsrate wesentlich ist und nicht nur die inflationsbedingte. Da der Wertbeitrag aus Thesaurierung das künftige Dividendenwachstum aus Thesaurierung und damit auch alle Kapazitätseffekte vollständig abdeckt, der Wachstumsabschlag hingegen nur die primär inflationsbedingten Werteffekte abbildet, ist für einen zusätzlichen Ansatz einer Mengenkomponente kein Raum, was auch für den möglichen Wandel des Energiemix weg von der Kohle gilt.
355
(h) Der Zusammenschluss mit P…, Inc. rechtfertigt nicht die Erhöhung des Wachstumsabschlags.
356
(aa) Aus diesem Zusammenschluss ergeben sich keine so weit verbesserten Spielräume für Preiserhöhungen, als dass daraus ein Rückschluss auf einen höheren Wachstumsabschlag gezogen werden müsste. Das Überwälzen des Kostenanstiegs vor allem aus der Beschaffung von Rohstoffen und Energie führt nicht zu einem Anstieg der operativen Ergebnisse.
357
(bb) Eine gesteigerte Preissetzungsmacht lässt sich aus dem Zusammenschluss auch nicht herleiten. In geografischer Hinsicht kommt es nämlich zu einer Ergänzung der regionalen Standbeine beider Unternehmen. Allerdings muss es zur Vermeidung eines marktbeherrschenden Status zu Veräußerungen kommen. Dadurch wird ein Wettbewerber wie P…, Inc. bzw. L… AG durch den Erwerber als neuen Wettbewerber ersetzt. Es ändert sich also nichts an der grundlegenden Marktstruktur. Dies zeigt sich auch anhand der Analyse der mit der Transaktion erhofften Synergien, bei denen es sich entsprechend den obigen Ausführungen unter B. II. 1. k. im Wesentlichen um Kostensynergien und Einsparungen bei den Investitionsausgaben handelt. Eine gesteigerte Preissetzungsmacht, die sich neben steigenden Umsatzerlösen in einem höheren inflationsbedingten Wachstumsabschlag niederschlagen müsste, kann somit aus dem Zusammenschluss mit P…, Inc. nicht hergeleitet werden.
358
(i) Der im Rahmen des Tauschangebots angenommene Wachstumsabschlag von 1,5% bezieht sich nicht auf die L… AG, sondern auf P…, Inc. bei der Verlängerung des Planungszeitraums um die Jahre 2022 bis 2024. Für denselben Zeitraum wurde für die L… AG wie hier ein Wachstumsabschlag von 1,0% zugrunde gelegt.
359
(j) Aus dem Impairment-Test von A… L… S.A. kann kein Rückschluss auf einen zu niedrigen Wachstumsabschlag gezogen werden. Die Aufgaben eines Impairmenttests unterscheiden sich von denen der Ermittlung des Ertragswerts eines Unternehmens im Rahmen einer aktienrechtlichen Strukturmaßnahme, weil ein Impairmenttest in erster Linie Bezug zur Bilanzierung hat und nicht der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes dient (vgl. LG München I, Beschluss vom 21.6.2013, Az. 5HK O 19183/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 22.6.2022, Az. 5HK O 16226/08). Daher ist ein Rückschluss auf niedrigere Eigenkapitalkosten beim Impairmenttest auf einen zu gering angesetzten Kapitalisierungszinssatz im Rahmen einer Ertragswertermittlung nicht statthaft.
360
Angesichts dessen ergibt sich aus den kapitalisierten Überschüssen unter Berücksichtigung einer geometrischen Aufzinsung vom 1.1.2018 als bewertungstechnischem Stichtag auf den Tag der Hauptversammlung vom 12.12.2018 mit dem Zinssatz von 5,81% bei einem Aufzinsungsfaktor von 1,0550 ein Ertragswert von € 36.085 Mio. wie folgt:

Währung: EURm

GJ18F

GJ19B

GJ20P

GJ21P

GJ22P

ER

Zu diskontierende Erträge nach persönlichen Steuern

141

185

621

743

790

1.767

Eigenkapitalkosten

5,81%

5,51%

5,41%

5,34%

5,28%

4,21%

Eigenkapitalwert zu Beginn der Periode

34.205

36.050

37.851

39.278

40.634

41.990

Aufzinsungsfaktor

1,055

Ertragswert zum 12. Dezember 2018

36.085

361
3. Das nicht betriebsnotwendige Vermögen wurde mit einem Wert von € 113 Mio. einschließlich der Aufzinsung sachgerecht ermittelt, wobei allerdings ebenso zutreffend dann die Auswirkungen der kartellrechtlich bedingten Veräußerungen in Höhe von € 1.026 Mio. abzuziehen waren. Der im Vergleich zum Bewertungsgutachten niedrigere Abzugsposten resultiert entsprechend der Aktualisierungs- und Stichtagserklärungen aus höheren erwarteten Erträgen aus den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen.
362
a. In der Unternehmensbewertung waren Sonderwerte in einem Umfang von € 113 Mio. zu berücksichtigen.
363
(1) Für nicht betriebsnotwendige Grundstücke und Gebäude wurde ein Wert von € 68 Mio. in Ansatz gestellt, der von den Abfindungsprüfern als sachgerecht bezeichnet werden konnte. Für die von ihnen vorgenommene Prüfung lag ihnen eine Aufstellung derjenigen Grundstücke vor, die nach der Beurteilung der Gesellschaft zumindest 50% nicht für den operativen Geschäftsbetrieb benötigt werden. Für diese Objekte war neben der Grundstücksfläche, der Standort, der Grund für die fehlende Betriebsnotwendigkeit sowie der erwartete Verkaufspreis und der Buchwert der Liegenschaft ausgewiesen. Der erwartete Verkaufspreis wurde dabei – soweit verfügbar – aus vorhandenen Kaufpreisindikationen abgeleitet. Beim Fehlen derartiger Angebote Dritter wurde auf Schätzungen der lokalverantwortlichen Mitarbeiter der Gesellschaft zurückgegriffen, nachdem diese über die besten Kenntnisse vor Ort verfügen. Insgesamt umfasst die Aufstellung 21 Objekte, wobei diese zum Teil mehrere Flurstücke umfassen. Das Grundstück Nr. 266 in der R…rstraße 19, Pu… wurde als nicht betriebsnotwendig eingestuft. Aus der Lage in Pu… ist es für die Kammer nachvollziehbar, wenn dieses alleinstehende Gebäude nicht zum Geschäftsbetrieb der Gesellschaft benutzt wird. Die Abfindungsprüfer haben darauf verwiesen, dass keines der nicht betriebsnotwendigen Grundstücke in München liege und es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass in München gelegene Grundstücke nicht mehr für den operativen Betrieb der Gesellschaft benötigt würden. Angesichts dessen ist der Immobilienboom in München für die Ermittlung der Sonderwerte ohne Relevanz, weil ein Ansatz betriebsnotwendiger Grundstücke zu einer unzulässigen Doppelerfassung führen würde. Abgesehen davon wurde auch das in Pu… und damit im Umland von München gelegene Grundstück Nr. 266 mit dem prognostizierten Verkaufserlös bewertet, so dass auch die Entwicklung der Grundstückspreise in die Bewertung eingeflossen ist. Die Abfindungsprüfer erläuterten auch, dass die Differenzierung zwischen betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen nach den von ihnen gewonnenen Erkenntnissen nicht zu beanstanden war, so dass auch die Grundstücke Nr. 264 in der Flur straße 10/12 als betriebsnotwendig einzuordnen waren. Abgesehen davon ist nicht zu erkennen, inwieweit – ungeachtet der schon 2018 vorliegenden Wertsteigerungen im Münchner Umland – eine Umwidmung hin zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer Schätzung des Unternehmenswerts dazu führen könnte, dass die Wesentlichkeitsgrenze von regelmäßig 5%, aber der eine Erhöhung der Barabfindung vorgenommen wird, den Unternehmenswert so weit erhöhen könnte, dass eine Erhöhung der Barabfindung die Folge wäre.
364
Die Wertermittlung erfolgte anhand wahrscheinlichkeitsgewichteter Verkaufserlöse, die für jede einzelne Immobilie ermittelt wurde. Außerhalb der vor allem Europa umfassenden Region wurde der erwartete Nettoverkaufserlös mit der Verkaufswahrscheinlichkeit gewichtet und mit der Gegenwahrscheinlichkeit den Buchwert angesetzt. Dadurch stellten die Bewertungsgutachter sicher, dass keine Bewertung unterhalb des Buchwerts erfolgen konnte. Diese Wahrscheinlichkeitsgewichtung muss deshalb als sinnvoll bezeichnet werden, weil es im außereuropäischen Ausland durchaus einige Grundstücke gibt, für die zwar der beabsichtigte Verkauf ausgehandelt war und die Transaktion nur mehr von einer staatlichen Genehmigung abhing. Für den Fall der endgültigen Nichterteilung ist ein solches Grundstück allerdings faktisch nicht nutzbar. Hinsichtlich der in der Region EMEA gelegenen Grundstücke setzten die Wirtschaftsprüfer von E… Y… mit Ausnahme eines in Finnland gelegenen Grundstücks den erwarteten Verkaufspreis in voller Höhe an, wobei die erwartete Veräußerungswahrscheinlichkeit unberücksichtigt blieb. Der Verkaufserlös stellt nämlich unabhängig vom Buchwert den besten Schätzer dar. Bei dem finnischen Grundstück war zum Bewertungsstichtag seit über zehn Jahren ein Bebauungsprojekt erwogen worden, das indes nie verwirklicht wurde. Die von der Gesellschaft angenommene Wahrscheinlichkeit von lediglich 10% bei der Relevanz des Veräußerungserlöses wurde von den Bewertungsgutachtern auf 50% angehoben.
365
Auf diese Art und Weise wurde ein wahrscheinlichkeitsgewichteter Verkaufserlös von € 86 Mio. ermittelt. Auf den hieraus resultierenden Veräußerungsgewinn wurden Unternehmensteuern in Höhe von € 20 Mio. auf der Basis der Konzernsteuerquote des Jahres 2018 abgezogen, woraus sich dann ein anzusetzender Sonderwert für diese Grundstücke in Höhe von € 66 Mio. ergab.
366
(2) Daneben mussten kurzfristig zur Geldanlage gehaltene Wertpapiere in Höhe von € 17 Mio. in die Ermittlung des Unternehmenswerts als nicht betriebsnotwendiges Vermögen einfließen.
367
(3) Die Unternehmensbewertung berücksichtigt zutreffenderweise zur Veräußerung gehaltene Vermögenswerte in Höhe von € 5 Mio. entsprechend dem Halbjahresbericht zum 30.6.2018; bei dem angesetzten Wert handelt es sich um das Geschäft der R… D… GmbH, die zum 31.8.2018 veräußert wurde, wobei durch diese Veräußerung ein Verlust erzielt wurde. Da der Buchwert über dem Veräußerungserlös lag und der Wert der Beteiligung, der Eigenkapital sich zum 31.12.2017 auf € 4 Mio. belief, benachteiligt dieser Ansatz von € 5 Mio. die Minderheitsaktionäre nicht.
368
(4) Daneben waren zusätzliche „sonstige Sonderwerte“ in einem Umfang von € 57 Mio. als Sonderwert anzusetzen. Neben weiteren Wertpapieren, die mit ihrem Zeitwert von € 39 Mio. bewertet wurden, flossen hier nicht konsolidierte Beteiligungen in einem Umfang von € 18 Mio. ein. Dabei erfolgte die Wertableitung aus einem Vergleich der Buchwerte dieser Beteiligungen im Konzernabschluss der L… AG mit dem anteiligen, auf die L… AG entfallenden Eigenkapital der Gesellschaften, wobei der jeweils höhere der beiden Werte für die Ermittlung des Unternehmenswerts herangezogen wurde. Diese Vorgehensweise wird in der Rechtsprechung allgemein anerkannt (vgl. OLG München, Beschluss vom 31.3.2008, Az. 31 Wx 88/06; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.1.2017 Az. 21 W 37/12) und konnte auch hier zugrunde gelegt werden.
369
(5) Der Abzug persönlicher Ertragsteuern in Höhe von € 38 Mio. von den Sonderwerten erfolgte nicht fehlerhaft. Die Notwendigkeit dieses Vorgehens ist die Folge des aktuell gültigen Steuersystems, weil es mit der Einführung des Systems der Abgeltungssteuer unmöglich wurde, Anteilseigner steuerfreie Zahlungen oder Ware zukommen zu lassen (vgl. OLG Düsseldorf AG 2017, 709, 712; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 182). Dem kann nicht entgegengehalten werden, es komme dadurch wirtschaftlich zu einer doppelten Belastung, weil die ausscheidenden Aktionäre ohnehin persönliche Einkommensteuer auf die mit der Abfindung realisierten Wertsteigerungen abführen müssten. Der Bewertung des Unternehmens sind Nettozuflüsse an die Aktionäre zugrunde zu legen (vgl. OLG München AG 2014, 453, 454 = Der Konzern 2014, 172, 174 = NJW-RR 2014, 473, 474 = FGPrax 2014, 183, 184). Der objektivierte Unternehmenswert, der die Grundlage der Kompensationsleistung bildet, kennt keine Differenzierung nach unterschiedlichen Anschaffungskosten. Hiermit verbundene unterschiedlich hohe Veräußerungssteuern lassen sich mit dem Konzept des einheitlichen objektivierten Unternehmenswerts nicht in Einklang bringen. Auch bei dem Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens handelt es sich um Zuflüsse, die sich für die Aktionäre aus dem Eigentum am Unternehmern ergeben. Auch wiesen die Abfindungsprüfer darauf hin, dass es rechentechnisch sehr wohl möglich wäre, den Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens als integralen Bestandteil des Unternehmenswerts zu berücksichtigen, indem der aus der Verwertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens resultierende Erlös in die laufenden Erträge des ersten Planjahres einginge und dann über die Ausschüttung ebenfalls der persönlichen Ertragsbesteuerung unterläge.
370
Die namentlich vom gemeinsamen Vertreter zitierten, gegenläufigen Gerichtsentscheidung hatten ein grundlegend anderes Steuerregime zum Gegenstand und können daher nicht übertragen werden.
371
b. Bei den Sonderwerten mussten die Erlöse aus den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen in einem Umfang von € 1.026 Mio. abgezogen werden. Aus kartellrechtlichen Gründen mussten sich die an dem Zusammenschluss beteiligten Gesellschaften P…, Inc. und L… AG verpflichten, bestimmte Geschäftsaktivitäten zu veräußern, um dadurch in bestimmten Märkten eine marktbeherrschende Stellung zu vermeiden. Der Wertbeitrag des abzugebenden Geschäfts wird nicht wertdeckend durch entsprechende Veräußerungserlöse bzw. -gewinne aufgewogen, weshalb ein Abzug vorgenommen werden musste.
372
(1) Im Vergleich zu der am 9.10.2018 verabschiedeten Planung des Vorstands musste bei den tatsächlich bereits durchgeführten Veräußerungsgeschäften angesichts der Stichtagsbezogenheit der Barabfindung auch Veräußerungen aus dem Oktober 2018 berücksichtigt werden. Dabei ergab sich aus den Veräußerungen für das Geschäft in Südkorea ein höherer Verkaufspreis, weshalb der Abzugsbetrag geringer ausfallen musste als im Bewertungsgutachten und im Prüfungsbericht dargestellt. Zum Stichtag der Hauptversammlung flossen somit Verkaufserlöse von rund € 4 Mrd. in die Ermittlung des Sonderwerts ein, woraus sich ein EBITDA-Multiplikator von 6,7x ergab.
373
(2) Dagegen konnte für die noch nicht abgeschlossenen, aber kartellrechtlich notwendigen Veräußerungen lediglich auf die zum Stichtag der Hauptversammlung vorhandenen Informationen, aber nicht auf vereinbarte Kaufpreis zurückgegriffen werden wie bei den bereits vollzogenen Veräußerungen.
374
(a) Die gewählte Vorgehensweise, auf der Grundlage der Einschätzungen des Vorstandes EBITDA-Multiplikatoren zur Ermittlung der erwarteten Verkaufserlöse heranzuziehen, muss als sachgerecht bezeichnet werden, weil namentlich für Transaktionen Multiplikatormethoden eine wesentliche Beurteilungsgrundlage einnehmen. Zur Bewertung wird eine bereinigte, standardisierte Ergebnisgröße des Bewertungsobjekts mit einem standardisierten und für die Branche des Bewertungsobjekts typischen Multiplikator multipliziert, wobei vielfach – wie auch hier – EBITDA-Größen herangezogen werden (vgl. Laas/Demuth in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, 2018, § 15 Rdn. 32 bis 34 und 40; Schulz in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 10. Aufl., Rdn. 9.195; Weißhaupt ZHR 185 [2021], 91, 114 f.). Die für die bis zum Stichtag am 12.12.2019 erfolgten Transaktionen führten zu einem EBITDA-Multiplikator von 6,7x; für die zuvor abgeschlossenen Transkationen wurden Bandbreiten für die Multiplikatoren zwischen 4,0x und 6,5x erzielt, die auch für die weiteren Überlegungen als Basis herangezogen werden konnten. Dieser Ansatz muss nämlich als vertretbar und damit angemessen bezeichnet werden. Hierfür sprechen vor allem das Erfordernis einer zeitnahen Umsetzung der Veräußerung mit dem sich daraus ergebenden und am Markt bekannten Zwang zur Umsetzung. Dies zog eine ungünstigere Verhandlungsposition der L… AG mit Erwerbern nach sich, weil die Gesellschaft bei den Kaufpreisverhandlungen demgemäß nicht aus einer Position der Stärke heraus vorgehen konnte. Weiterhin handelte es sich bei den veräußerten Einheiten teilweise nur um Kundenverträge ohne zugehörigen Geschäftsbetrieb und ohne wesentliches Wachstumspotenzial, weshalb dies nicht mit der Veräußerung eines ganzen Unternehmens verglichen werden kann. Ebenso muss beachtet werden, dass der Kreis potenzieller Erwerber aufgrund von kartellrechtlichen Beschränkungen oder mangelnder Attraktivität auf lokale Wettbewerber beschränkt war und dass es sich teilweise um Joint Venture-Strukturen oder um Situationen mit Vorkaufsrechten handelte, bei denen entweder nur ein Käufer in Betracht kommt oder der Verkauf an andere Interessenten schwierig umzusetzen ist. Diese Umstände begrenzen den Spielraum für höhere Verkaufspreise erheblich. Es gab insbesondere auch keine Transaktionsmultiplikatoren für die Assets und Anlagen gab, wie Herr Dr. P… in der Anhörung herausstellte.
375
(b) Aus anderen Überlegungen kann die Fehlerhaftigkeit des Ansatzes nicht abgeleitet werden.
376
(aa) Die tatsächlich erzielten Verkaufspreise, wie sie in der Tabelle auf Seite 233 der ergänzenden Stellungnahme auf der Grundlage einer Mitteilung der Gesellschaft vom 13.5.2019 (Anlage GV 17) wiedergegeben sind, können für die Ableitung der Barabfindung nicht herangezogen werden, weil sie so nicht in der Wurzel angelegt waren. Danach sind nämlich nur solche Faktoren zu berücksichtigen, die zu den am Stichtag herrschenden Verhältnissen bereits angelegt waren (vgl. nur BGHZ 138, 136, 140; 140, 35, 38 = NZG 1999, 70, 71; BGH NZG 2016, 139, 143 = AG 2016, 135, 141 = ZIP 2016, 110, 115 = WM 2016, 157, 162 = BB 2016, 304, 305 = DB 2016, 160, 165 = NJW-RR 2016, 231, 236 = DStR 2016, 424, 427 = MDR 2016, 337, 338; OLG München AG 2015, 508, 511 = ZIP 2015, 1166, 1169; AG 2020, 440, 442 = WM 2020, 1028, 1032; OLG Frankfurt AG 2016, 551, 553; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2224; OLG Stuttgart NZG 2007, 478, 479; AG 2008, 510, 514; LG München I, Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5 HK O 22657/12; Beschluss vom 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16585715; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Gayk in: Kölner Kommentar zum AktG, 4. Aufl., Anh. § 11 SpruchG Rdn. 11; Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 365; Riegger/Wasmann in: Festschrift für Goette, 2011, S. 433, 435). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Hauptversammlung am 12.12.2018 war die Veräußerung zwar in der Wurzel angelegt, weil sie durch behördliche Auflagen vorgeschrieben war. Allerdings kann nicht angenommen werden, wesentliche Vertragskonditionen hätten zu diesem allein maßgeblichen Zeitpunkt bereits festgestanden – dies wäre jedoch Voraussetzung für die Berücksichtigung im Rahmen der Unternehmensbewertung. Insoweit unterscheidet sich die Sach- und Rechtslage entscheidend von derjenigen, wie dem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7.1.2022, Az. 31 Wx 399/18 (NZG 2022,362, 366 = AG 2012, 669, 670) zugrunde lag, wo Verträge bereits im Entwurf vorlagen.
377
(bb) Aus den EBITDA-Multiplikatoren des Europageschäfts von P…, Inc. lässt sich kein Rückschluss auf die Unangemessenheit der bei der L… AG herangezogenen EBITDA-Multiplikatoren ziehen, weil diese Multiplikatoren bei P…, Inc. gerade nicht das Bewertungsobjekt betrafen und die L… AG zudem keine Veräußerungen in Europa vornehmen musste.
378
(c) Gerade der Vergleich mit den tatsächlich erzielten Verkaufserlösen in Höhe von € 4.219,5 Mio. entsprechend der Mitteilung vom 13.5.2019 einerseits mit den angesetzten Werten zum Stichtag andererseits zeigt die Angemessenheit der herangezogenen Werte und Multiplikatoren. Das Bewertungsgutachten ging noch von Erlösen in Höhe von € 2.923 Mio. aus, zu denen die weiteren Veräußerungserlöse von € 720 Mio. bis hin zum 9.10.2018 zu addieren sind, was einen Betrag von € 3.623 Mio. ergibt. Die Neubewertungen der Veräußerungen in Südkorea führen dann zu einem Wert von etwa € 4 Mrd., also im Vergleich zu den tatsächlichen Erlösen einen nur um € 200 Mio. niedrigeren Wert. Angesichts der Zukunftsorientiertheit jeglicher Prognosen und den damit verbunden Unwägbarkeiten zeigt gerade dieser Vergleich, dass ein Multiplikator von 6,7 x zum Stichtag sachgerecht ist. Dieser EBITDA-Multiplikator liegt über der Bandbreite, die den einzelnen Transaktionen zugrunde lag. Der Multiplikator für die Virgin Island von 26,7 x ist bei einem Anteil des EBITDA mit 0,3 Mio. oder 0,05% bzw. von 0,19 des Kaufpreises nicht geeignet, die anderen EBITDA-Multiplikatoren grundlegend in Frage zu stellen.
379
Soweit sich einige Antragsteller auf die Notwendigkeit des Ansatzes eines üblichen Multiplikators von 10,2% berufen, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Herr Dr. P… wies im Rahmen seiner Anhörung darauf hin, dass Multiplikatoren mit Werten zwischen 11x bis 12 x auf bis zu zehn Jahre zurückliegenden Transaktionen beruhten. Daher kann wegen des Zeitablaufs daraus kein Rückschluss auf einen mit 6,7x zu niedrig angesetzten EBITDA-Multiplikator gezogen werden. Zudem muss auch hier auf die oben beschriebene ungünstige Verhandlungsposition der Gesellschaft verwiesen werden, was sich negativ auf den zu erzielenden Verkaufspreis auswirkt.
380
(d) Während der Prüfungsarbeiten gab es die Veräußerungen, die bis zum 3.9.2018 mit einem Erlös von € 625 Mio. abgewickelt waren. Im Rahmen der Bereinigung wurde deshalb ein Betrag von € 403 Mio. eliminiert. Für die tatsächlich stattgefundenen Transaktionen ergab sich ein Multiplikator von 7,4x. Der Verkauf des Südkoreageschäfts, der erst später zur Kenntnis erlangte, kann somit in dem Betrag von € 625 Mio. nicht enthalten sein.
381
(e) Bei der Wertermittlung kann nicht unterstellt werden, dass die Effekte aus den zusätzlichen kartellbedingten Veräußerungserlösen wertneutral zu erfassen sind. Soweit das von einigen Antragstellern in Auftrag gegebene Privatgutachten von I… in diesem Zusammenhang den negativen Wertbeitrag zum abgehenden Unternehmenswert vor Anpassung ins Verhältnis setzt und aus einer wertneutralen Abwicklung der zusätzlichen Veräußerungen mit Stand vom Oktober 2018 den Marktwert des Eigenkapitals abbilden will, übersieht dieser Ansatz, dass angesichts der ungünstigen Veräußerungs- und Verhandlungssituation gerade keine wertneutrale Veräußerung erwartet werden konnte. Der im Bewertungsgutachten und im Prüfungsbericht auf Basis eines Abzugspostens von € 1.253 Mio. ermittelte Wert von € 36.197 Mio., der ohnehin auf € 35.970 Mio. zu reduzieren wäre, kann nicht herangezogen werden, weil er bewertungsrelevante Synergien aus dem Zusammenschluss mit P…, Inc. enthält, ohne dass die zur Erlangung dieser Synergien notwendigen kartellrechtlichen Bedingungen und die damit verbundenen Kosten vollständig berücksichtigt worden wären. Daher kann der im Privatgutachten von I.. genannte Ausgangswert nicht unabhängig von den zusätzlichen Veräußerungen realisiert werden. Die in der aktualisierten Planungsrechnung vom 9.10.2018 zusätzlich berücksichtigten Veräußerungen betrafen Geschäftsteile, für die aufgrund ihrer Kleinteiligkeit, des eingeschränkten Käuferkreises sowie zeitlicher und rechtlicher Restriktionen keine wertneutrale Veräußerung erwartet werden konnten. Angesichts dessen konnte die für die übrigen, in der Planungsrechnung vom 4.9.2018 bereits berücksichtigten kartellrechtlich bedingten Veräußerungen angesetzten Prämisse der Wertneutralität hier nicht angenommen werden.
382
c. Weitere Positionen mussten nicht als Sonderwerte in den Unternehmenswert der L… AG einfließen.
383
(1) Dies gilt zunächst für nicht betriebsnotwendige Liquidität, weil die bei der Gesellschaft vorhandenen liquiden Mittel vollständig als betriebsnotwendig einzustufen sind.
384
(a) Die Abgrenzung erfolgte dabei nach den Analysen der Abfindungsprüfer auf der Grundlage einer Auswertung der historischen Bestände an liquiden Mitteln auf Ebene der Tochtergesellschaften, die der operativen Geschäftstätigkeit der Regional Business Units dienen und folglich als betriebsnotwendig einzustufen sind. Die in diesem Zeitraum zentral gehaltenen Liquiditätsbestände auf Ebene der Muttergesellschaft bzw. in sogenannten Financial Vehicles wurden demgegenüber als nicht betriebsnotwendig eingestuft. Die Analyse ergab dabei über den Vergangenheitszeitraum betriebsnotwendige Mittel von durchschnittlich etwa 5,5% der Umsatzerlöse. Der Anteil der betriebsnotwendigen Liquidität am gesamten Bestand der Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente belief sich im Vergangenheitszeitraum auf durchschnittlich etwa 64%. Dieses Verhältnis wurde auch für die Ableitung der betriebsnotwendigen Mittel im Rahmen der Bewertung herangezogen, wobei auch die ergebnisneutralen Auswirkungen des ab 1.1.2018 angewandten Tolling Accounting berücksichtigt wurde. Demgemäß wurden liquide Mittel in einem Umfang von € 761 Mio. im Jahr 2018, € 641 Mio. im Jahr 2019, € 740 Mio. im Jahr 2020, € 851 Mio. im Jahr 2021 und von € 972 Mio. im Jahr 2022 als betriebsnotwendig eingestuft. Da für alle darüber hinausgehenden Zahlungsmittel eine vollständige Ausschüttung unterstellt wurde, konnte das Vorhandensein nicht betriebsnotwendiger liquider Mittel nicht angenommen werden.
385
(b) Der Anstieg der betriebsnotwendigen Liquidität im Terminal Value auf 5,6% der Umsatzerlöse bedarf keiner Korrektur. Gerade der Vergleich mit den Entwicklungen in den Jahren der Vergangenheitsanalyse macht deutlich, dass dieser Wert nicht überhöht ist, sondern vielmehr den Durchschnitt angesichts eines Anstiegs um lediglich 0,1 Prozentpunkte nahezu unverändert fortschreibt.
386
In die Ewige Rente musste kein gesondert anzusetzender Bestand an nicht betriebsnotwendiger Liquidität einfließen, wie dies unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Planung der Liquidität auf Basis der Nettofinanzverschuldung mit der Folge, dass ein überschießender Betrag nicht betriebsnotwendig sei, gefordert wurde. Die Ableitung des nachhaltigen Zinsertrags erfolgte auf der Grundlage der betriebsnotwendigen Liquidität und des nachhaltigen Zinsaufwands aus den zinstragenden Verbindlichkeiten. Eine Verzinsung des saldierten Betrag steht allerdings in Widerspruch zu den unterschiedlichen Haben- und Sollzinssätzen, weshalb dies kein sachgerechtes Zinsergebnis abbilden kann. Dabei lag der durchschnittliche Zinsaufwand bei 2%; Pensionsrückstellungen sind mit über 2% verzinst. Wenn die Gesellschaft keine Finanzierung über Bonds vornimmt, so stellt sich dies als von den Aktionären hinzunehmende unternehmerische Entscheidung dar. Dasselbe gilt auch für den Vorhalt an Liquidität, wobei zum maßgeblichen Stichtag angesichts eines Basiszinssatzes von gerundet 1,25% vor Steuern negative Zinsen nicht angenommen werden können.
387
(c) Auch aus den kartellrechtlich bedingten Veräußerungen kann kein Sonderwert wegen einer nicht betriebsnotwendigen Liquidität begründet werden. Diese Erlöse wurden nämlich in der integrierten Bilanzplanung berücksichtigt und in hohem Maße zur Tilgung von Fremdkapital verwendet oder als Dividenden ausgeschüttet. Die vorgelegte Kapitalflussrechnung zeigt, dass im Jahr 2018 Tilgungen in Höhe von € 2,8 Mrd. und im darauffolgenden Jahr von € 1,1 Mrd. angesetzt wurden. Damit aber sind die Einzahlungen aus dem Verkauf der Beteiligungen, die in der Unternehmensbewertung mit etwa € 4 Mrd. angesetzt wurden, dort auch sachgerecht angesetzt und können nicht nochmals als Sonderwert herangezogen werden; anderenfalls käme es zu einer unzulässigen Doppelerfassung. Die integrierte Planungsrechnung erhellt weiterhin, dass auch die Erlöse von € 3 Mrd. aus den Basisverkäufen Amerikageschäft zur Schuldentilgung herangezogen werden. Ungeachtet des bereits niedrigen Verschuldungsgrades kommt es daher aber auch nicht zu einer Vorenthaltung dieses Betrages zum Nachteil der Minderheitsaktionäre, weil der Verschuldungsgrad sich weiter reduziert und damit auch der Beta-Faktor sinkt.
388
Diese Veräußerungen ziehen zwar einen Rückgang der betriebsnotwendigen Liquidität nach sich. Der in diesem Zusammenhang vorgetragene Hinweis auf die Möglichkeit eines Aktienrückkaufprogramms verfängt allerding nicht, weil es sich dabei um ein Programm der L… plc. und nicht der L… AG handelt. Die Bewertung bildet keine liquiden Mittel für Akquisitionen ab, weil solche – mit Ausnahme kleinerer Zukäufe im Healthcare-Segment – nicht erwartet werden. Daher ergibt sich hieraus kein weiterer Kapitalbedarf. Aussagen im Börsenzulassungsprospekt von L… plc. über einen Barverkaufspreis von € 5 Mrd. beziehen sich auf den Verkauf von Großteilen des europäischen Gasgeschäfts der P…, Inc. an T… N… S… und damit nicht auf das Bewertungsobjekt L… AG. Der im Geschäftsbericht der L… plc. beschriebene Anstieg flüssiger Mittel zum 31.12.2018, der L… plc. die Durchführung des Aktienrückkaufsprogramms ermöglichen soll, betrifft gerade nicht die L… AG als Bewertungsobjekt.
389
(2) Aus einem steuerlichen Einlagekonto kann ein Sonderwert nicht begründet werden. Ein Sonderwert in Form steuerlicher Vorteile der Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto im Sinne des § 27 KStG kann sich aber nur dann ergeben, wenn bei dem Bewertungsobjekt als Folge früher eingetretener Verluste das steuerliche Einlagekonto das steuerbilanzielle Eigenkapital übersteigt. Der Vorteil endet, sobald sich wieder ein „ausschüttbarer Gewinn“ im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG ergibt, der nur als steuerpflichtige Dividende ausgeschüttet werden kann. Nur sofern eine Ausschüttung den zum Ende des vorhergehenden Wirtschaftsjahres festgestellten Gewinn übersteigt, erfolgt diese aus dem steuerlichen Einlagekonto und kann steuerfrei vereinnahmt werden. Ausweislich des Steuerbescheids zum 31.12.2016 beträgt der ausschüttbare Gewinn etwas mehr als € 3,9 Mrd., so dass die geplanten Ausschüttungen deutlich unterhalb des ausschüttbaren Gewinns liegen. Für das Jahr 2017 lag im Zeitpunkt der Prüfung zwar noch kein Steuerbescheid vor; doch konnten die Abfindungsprüfer die Steuerberechnung der Gesellschaft für das Jahr 2017 auf ihre Plausibilität hin überprüfen. Ausweislich ihrer Feststellungen in der ergänzenden Stellungnahme ergaben sich dabei keinerlei Hinweise für eine relevante Änderung des steuerlichen Einlagekontos bzw. des ausschüttbaren Gewinns für das Jahr 2017.
390
(3) Wertbeiträge aus steuerlichen Verlustvorträgen konnten nicht als Sonderwert berücksichtigt werden. Da diese bereits innerhalb der Steuerplanung im Rahmen der effektiven Konzernsteuerquote berücksichtigt wurden, wäre ein nochmaliger Ansatz als Sonderwert eine unzulässige doppelte Erfassung im Rahmen der Ermittlung des Unternehmenswerts der Gesellschaft.
391
(4) Die Marke „L…“ durfte nicht als nicht betriebsnotwendiges Vermögen angesetzt werden. Die Marke dient nämlich unmittelbar dem Erzielen der Erlöse, weshalb ihr Wert über die Ertragsplanung in die Unternehmensbewertung einfließt und demzufolge nicht im Rahmen des nicht betriebsnotwendigen Vermögens Berücksichtigung finden kann; anderenfalls käme es zu einer unzulässigen Doppelerfassung (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.1.2011, Az. 20 W 3/09; LG München I AG 2017, 501, 507; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Beschluss vom 16.4.2021, Az. 5711/19; Beschluss vom 22.6.2020, Az. 5HK O 16116/08; Beschluss vom LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9.8.2010, Az. 3-5 O 73/04; Beschluss vom 30.6.2023, Az. 5HK O 4509/21; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh 305 Rdn. 36 b).
392
(5) Bei der L… AG sind keine Kunstgegenstände als nicht betriebsnotwendiges Vermögen vorhanden. Die Abfindungsprüfer erhielten auf ausdrückliche Nachfrage beim Management die Information über das Fehlen derartiger Kunstgegenstände. Dies bestätigte sich beim Besuch mehrerer Standorte der Gesellschaft, in deren Verlauf Herr Dr. P… und Herr S… keinerlei Anhaltspunkte für die Existenz von Kunstgegenständen in einem für das Bewertungsergebnis relevanten Ausmaß fanden.
393
Angesichts dessen sind zu dem Ertragswert der Gesellschaft von € 36.085 Mio. Sonderwerte in einem Umfang von € 113 Mio. hinzuzuaddieren, wovon dann die Folgen der kartellrechtlich bedingten Veräußerungen mit einem Betrag von € 1.026 Mio. in Abzug zu bringen sind. Daraus resultiert dann ein Unternehmenswert von € 35.171 Mio.. Bei insgesamt 185.638.071 Aktien resultiert daraus eine Barabfindung von € 189,46 je Aktie.
394
Dabei waren die von der L… AG gehaltenen 95.109 eigenen Aktien nicht zu berücksichtigen. Soweit eine Mindermeinung in der Literatur davon ausgeht, angesichts der Konzernneutralität des Squeeze out seien auch die eigenen Aktien abfindungsberechtigt (vgl. Habersack in: Emmerich: Habersack, Aktienrecht- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 327 b Rdn. 6; Heidel/Lochner in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 327 b Rdn. 2; Habersack ZIP 2001, 1230, 1236), kann dem nicht gefolgt werden. Die von der Aktiengesellschaft gehaltenen eigenen Aktien gehen nicht auf den Hauptaktionär über. Sie werden wie alle Anteile, für die § 16 Abs. 4 AktG gilt, von dem Rechtsübergang nicht erfasst, weil ein entsprechendes Interesse des Hauptaktionärs hieran nicht angenommen werden kann. Auch erzwingt der Regelungszweck des Squeeze out nicht den Rechtsübergang auf den Hauptaktionär. Durch diese Maßnahme soll der Hauptaktionär in seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit gestärkt werden (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/7034 S. 31 f.). Dem liefe es indes zuwider, wenn eigene Aktien der Aktiengesellschaft kraft Gesetzes, also ohne den erklärten Willen auf den Hauptaktionär übergingen und dieser verpflichtet wäre, die Gesellschaft deshalb mittels Barabfindung zu entschädigen. Dem Zweck wird bereits hinreichend entsprochen, wenn der Hauptaktionär nicht länger mit der Ausübung zwingender Minderheitsrechte rechnen muss und ein Anfechtungsrisiko bei Hauptversammlungsbeschlüssen ausgeschlossen ist. Aufgrund von § 71 b AktG besteht aus eigenen Aktien kein Stimmrecht, weshalb auch insoweit dem Gesetzeszweck Genüge getan ist. Diese Sichtweise steht auch in Einklang mit der Regelung in §§ 327 a Abs. 2, 16 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach auch bei der Berechnung der Schwelle von 95% des Grundkapitals die eigenen Aktien der betroffenen Aktiengesellschaft nicht mitgezählt werden. Anders als bei der Eingliederung im Sinne des § 320 AktG muss die Antragsgegnerin als Hauptaktionärin beim Squeeze out nicht zwingend Alleinaktionärin werden, nachdem eine Regelung die § 327 Abs. 1 Nr. 3 AktG über das Ende der Eingliederung im Falle des Verlustes der Eigenschaft als Alleinaktionärin in §§ 327 a ff. AktG nicht enthalten ist (vgl. LG München I BeckRS 2018, 18223; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; Beschluss vom 25.6.2021, Az. 5HKO 9171/17; Grunewald in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 327 e Rdn. 12; Singhof in: BeckOGK AktG, Stand 1.10.2023, § 327 b Rdn. 12; Schnorbus in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 327 e Rdn. 25; Koch, AktG, a.a.O., § 327 e Rdn. 4; Fleischer in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., § 327 b Rdn. 25; Holzborn/Lappe in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., § 327 b Rdn. 5; Lieder/Stange Der Konzern 2008, 617, 623 ff.; Riegger DB 2003, 541, 542 ff.).
395
4. Aus anderen Gründen lässt sich eine Erhöhung der Barabfindung nicht rechtfertigen.
396
a. Dies gilt zunächst für den Börsenkurs, der in einem Zeitraum von drei Monaten vor der am 25.4.2018 erfolgten Bekanntgabe der Squeeze out-Absicht an die Kapitalmärkte entsprechend einer Mitteilung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bei € 172,79 lag.
397
(1) Nach der Rechtsprechung insbesondere auch des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Bemessung der Barabfindung nicht nur der nach betriebswirtschaftlichen Methoden zu ermittelnde Wert der quotalen Unternehmensbeteiligung, sondern als Untergrenze der Abfindung wegen der Wertung des Eigentumsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG der Börsenwert zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 100, 289, 305 ff. = NJW 1999, 3769, 3771 ff. = NZG 1999, 931, 932 f. = AG 1999, 566, 568 f. = ZIP 1999, 1436, 1441 ff. = WM 1999, 1666, 1669 ff. = DB 1999, 1693, 1695 ff. = BB 1999, 1778, 1781 f. – DAT/Altana; BVerfG WM 2007, 73 = ZIP 2007, 175, 176 = AG 2007, 119 f.; BGH NJW 2010, 2657, 2658 = WM 2010, 1471, 1473 = ZIP 2010, 1487, 1488 f. = AG 2010, 629, 630 = NZG 2010, 939, 940 f. = DB 2010, 1693, 1694 f. = BB 2010, 1941, 1942 = Der Konzern 2010, 499, 501 – Stollwerck; OLG München AG 2007, 246, 247; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514; Koch, AktG, a.a.O., § 327 b Rdn. 6 und § 305 Rdn. 29; Schnorbus in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 327 b Rdn. 3; Habersack in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 327 b Rdn. 9; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, a.a.O., Anh § 11 Rdn. 197 f.; Meilicke/Kleinertz in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, a.a.O., § 305 AktG Rdn. 36).
398
Der BGH geht nunmehr in Übereinstimmung mit der überwiegend vertretenen Ansicht in Rechtsprechung und Literatur und unter teilweiser Aufgabe seiner früher vertretenen Auffassung mit Beschluss vom 19.7.2010, Az. II ZB 18/09 (vgl. BGH NJW 2010, 2657, 2658 ff. = WM 2010, 1471, 1472 ff. = ZIP 2010, 1487, 1488 f. = AG 2010, 629, 630 ff. = NZG 2010, 939, 941 ff. = DB 2010, 1693, 1694 f. = BB 2010, 1941, 1942 ff. = Der Konzern 2010, 499, 501 ff. – Stollwerck; bestätigt durch BGH AG 2011, 590 f. = ZIP 2011, 1708 f.; ebenso OLG Stuttgart ZIP 2007, 530, 532 ff. = AG 2007, 209, 210 ff. = NZG 2007, 302, 304 ff. – DaimlerChrysler; ZIP 2010, 274, 277 ff.; OLG Düsseldorf ZIP 2009, 2055, 2056 ff. = WM 2009, 2271, 2272 ff.; Der Konzern 2010, 519, 522; OLG Frankfurt NZG 2010, 664; AG 2012, 513, 514; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 99; ebenso Koch, AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 45; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 305 Rdn. 43; Tonner in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1581, 1597 ff.) davon aus, der einer angemessenen Abfindung zugrunde zu legende Börsenwert der Aktie müsse grundsätzlich aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung einer Strukturmaßnahme ermittelt werden.
399
(2) Die am 25.1.2018 begonnene Frist von drei Monaten endete am 24.4.2018.
400
(a) Für diesen Zeitraum ermittelte sich ein volumengewichteter Durchschnittskurs von € 172,79, der deutlich unter dem nach der Ertragswertmethode ermittelten Unternehmenswert lag. Auf nach diesem Zeitpunkt liegende Durchschnittskurse oder einzelne über dem Abfindungsbetrag liegende Tageskurse kann es folglich nicht entscheidungserheblich ankommen. Namentlich die Tatsache, dass der Börsenkurs am Tag der Hauptversammlung über dem Barabfindungsangebot lag, rechtfertigt kein anderes Ergebnis, weil ein Stichtagskurs nach dem Ende des dreimonatigen Referenzzeitraums ohne Bedeutung ist. Dies gilt umso mehr, als regelmäßig davon auszugehen ist, dass dieser Kurs auch durch Abfindungsspekulationen beeinflusst ist. Gerade aus diesem Grund geht die Rechtsprechung von der Notwendigkeit aus, den Börsenkurs an einen vor der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme liegenden Zeitraum anzuknüpfen.
401
(b) Die Kammer muss nicht abschließend entscheiden, inwieweit angesichts einer Frist von etwas mehr als 7 ½ Monaten zwischen der Bekanntgabe an die Kapitalmärkte und der Hauptversammlung am 12.12.2018 hier tatsächlich eine Hochrechnung erforderlich ist, nachdem von einer nicht mehr hinnehmbaren Verzögerung der Hauptversammlung durch die L… AG nicht auszugehen sein wird. Indes würde eine Hochrechnung zu keiner höheren Barabfindung führen. Geht man von dem Vortrag der Antragsgegnerin zur Entwicklung der Marktindices sowie branchenspezifischen Sektorenindices und von der Kursentwicklung der Peer Group aus, der von den Antragstellern und dem gemeinsamen Vertreter nicht bestritten wurde und der daher gemäß §§ 8 Abs. 3 SpruchG, 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt, führt eine Hochrechnung nicht zu einer höheren Barabfindung. Die drei herangezogenen Marktindizes DAX, MDAX und CDAX waren im Zeitraum zwischen der Bekanntgabe der Squeeze Out-Absicht und der Hauptversammlung um etwa 13% rückläufig. Bei den branchenspezifischen Indizes DAXsector Chemicals und DAX All Chemicals fiel der Rückgang mit 16,8% und 17,7% sogar noch stärker aus. Keines anderes Ergebnis ergibt sich bei einer Hochrechnung anhand der Kursentwicklung der Peer Group. Zwar haben sich die Untergruppen hier unterschiedlich entwickelt. Bei einer Gewichtung der einzelnen Geschäftsbereiche gelangt man indes zu einem Durchschnitt von plus 0,04%. Selbst bei Zugrundelegung der Steigerungsrate des am stärksten einfließenden Geschäftsbereich Gase käme man zu einem Kurs von lediglich € 180,05, der wiederum deutlich unter dem Ertragswert liegt. Eine sich an der Entwicklung zum Umtausch eingereichte Aktien der L… AG ist nicht geeignet, den Börsenkurz abzubilden. Dieser Kurs ist nämlich vom Fortschreiten des Zusammenschlusses von P…, Inc. und der L… AG beeinflusst und steht somit auch im Widerspruch zu einer Stand alone zu erfolgenden Bewertung.
402
(3) Soweit der BGH in seiner jüngsten Rechtsprechung davon ausgeht, die Abfindung könne allein über den Börsenkurs als marktorientierte Bewertungsmethode die Angemessenheit der Abfindung begründet werden (vgl. BGHZ 236, 180, 186 ff. = NJW 2023, 2114, 2116 f. = NZG 2023, 937, 939 f. = AG 2023, 443, 444 f. = ZIP 2023, 795, 796 f. = WM 2023, 714, 715 f. = DB 2023, 953, 954 f. = Der Konzern 2023, 217, 219 = DZWIR 2023, 486. 488 f.), muss nicht entschieden werden, inwieweit in der vorliegenden Konstellation die Marktteilnehmer auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich die Marktbewertung im Börsenkurs der Aktien niederschlägt. Denn selbst wenn die im Referenzzeitraum nicht eingeflossenen Informationen über die kartellrechtlich bedingten Veräußerung einer Möglichkeit der effektiven Informationserlangung durch die Marktteilnehmer der Maßgeblichkeit des Börsenkurses nicht entgegenstehen sollten, ändert dies nichts an der Angemessenheit der Barabfindung, wie sie über den Ertragswert hergeleitet wurde. Die Relevanz des Börsenkurses würde nämlich zu einer Herabsetzung der von der Hauptversammlung beschlossenen Barabfindung führen. Eine solche ist aber wegen des Verbots der reformatio in peius ausgeschlossen (vgl. BGH NZG 2010, 1344, 1345 = AG 2010, 910, 911 = ZIP 2010, 2289, 2290 = WM 2010, 2225, 2226 = DB 2010, 2606, 2607 = DZWIR 2011, 80, 81; BGHZ 207, 114, 129 = NZG 2016, 139, 143 = AG 2016, 135, 140 = WM 216, 157, 162 = WM 2016, 157, 162 = Der Konzern 2016, 88, 92 = NJW-RR 2016, 231, 235 f.; OLG München NZG 2022, 606, 618 = AG 2022, 503, 511; OLG Frankfurt AG 2017, 832, 834; Klöcker/Wittgens in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 11 SpruchG Rdn. 2; Dorn in: Kölner Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 11 SpruchG Rdn. 7; Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand: 1.10.2023, § 11 Rdn. 4).
403
b. Die Höhe der Abfindung muss Vorerwerbspreise nicht berücksichtigen. Soweit teilweise in Rechtsprechung und Literatur die Ansicht vertreten wird, Vorerwerbspreise seien zu berücksichtigen, weil auch eine sogenannte „Kontrollprämie“ Teil des Unternehmenswertes sei (vgl. LG Köln AG 2009, 835, 838 = Der Konzern 2009, 494, 496 f.; Schüppen/Tretter in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl., § 327 b AktG Rdn. 16; Hüttemann in: Festschrift für Hoffmann-Becking, 2013, S. 603, 615 f.; Behnke NZG 1999, 934; in diese Richtung auch Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 305 Rdn. 68; für einen Sonderfall auch LG Frankfurt, Beschluss vom 25.11.2014, Az. 3-05 O 43/13), vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Erwerbspreise, die ein Großaktionär in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Squeeze out entrichtet, spielen für die Bemessung der angemessenen Barabfindung keine Rolle. Der Preis, den ein Mehrheitsaktionär an die Minderheitsaktionäre zu zahlen bereit ist, hat zu dem „wahren“ Wert des Anteilseigentums in der Hand der Mindestaktionäre regelmäßig keine Beziehung. In ihm kommt nämlich der Grenznutzen zum Ausdruck, den der Mehrheitsaktionär an den erworbenen Aktien ziehen kann. Dieser ist wesentlich dadurch bestimmt, dass der Mehrheitsaktionär mit den so erworbenen Aktien ein Stimmenquorum erreicht, das aktien- oder umwandlungsrechtlich Voraussetzung für bestimmte gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ist. Daher ist der Mehrheitsaktionär vielfach bereit, einen „Paketzuschlag“ zu zahlen. Aus der Sicht des Minderheitsaktionärs ist der vom Mehrheitsaktionär außerbörslich bezahlte (erhöhte) Preis nur erzielbar, wenn es ihm gelingt, gerade seine Aktien an den Mehrheitsaktionär zu veräußern. Darauf aber hat der Minderheitsaktionär weder verfassungsrechtlich aus Art. 14 Abs. 1 GG noch einfachrechtlich angesichts des Grundsatzes der Vertragsfreiheit einen Anspruch (vgl. BVerfGE 100, 289, 306 f. = NJW 1999, 3769, 3771 = NZG 1999, 931, 932 = WM 1999, 1666, 1669 = AG 1999, 566, 568 = ZIP 1999, 1436, 1441 = DB 1999, 1693, 1695 = BB 1999, 1778, 1780 = JZ 1999, 942, 944 – DAT/Altana; BGHZ 186, 229, 241 = NJW 2010, 2657, 2660 = NZG 2010, 939, 943 = ZIP 2010, 1487, 1491 = AG 2010, 629, 632 = DB 2010, 1693, 1697 = WM 2010, 1471, 1475 = Der Konzern 2010, 499, 503 – Stollwerck; LG München I AG 2020, 222, 228; Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5HK O 17095/11; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 20672/14; Beschluss vom 29.6.2018, Az. 5HK O 4268/17; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16858/15; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn 91; Veil/Preisser in: BeckOGK AktG, Stand 1.7.2023, § 305 Rdn. 71 f.; Steinle/Liebert/Katzenstein: in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7: Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation), 6. Aufl., § 34 Rdn. 177 f.; Habersack NZG 2019, 881, 883 f.; Vetter AG 1999, 569, 572). Aus der Wertung des § 31 Abs. 4 WpÜG lässt sich das gegenteilige Ergebnis nicht begründen, weil das System des WpÜG mit dem der aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen wie dem Squeeze out nicht vergleichbar ist. Die Annahme des Erwerbsangebots beruht auf einer freien Entscheidung des Aktionärs, während er sich bei einem Squeeze out der Mehrheitsentscheidung der vom Hauptaktionär dominierten Hauptversammlung beugen muss. §§ 31 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 WpÜG, 4 WpÜG-AngVO verfolgen zudem einen anderen Zweck als die Bestimmung der Abfindung nach § 305 AktG. Sie sollen bei öffentlichen Übernahmeangeboten das in § 3 Abs. 1 WpÜG verankerte übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot absichern (vgl. Krause in: Assmann/Pötzsch/Uwe H. Sc…, WpÜG, 3. Aufl., § 31 Rdn. 4 und § 4 WpÜG-AngVO Rdn. 1). Demgegenüber sollen im Rahmen der Abfindung die außenstehenden Aktionäre für den mit dem Abschluss des Unternehmensvertrages verbundenen Eingriff in ihr Aktieneigentum entschädigt werden, ohne dass sie einen Anspruch auf einen solchen Preis haben, den ein anderer Minderheitsaktionär bei der Veräußerung an den herrschenden Aktionär erzielt (vgl. van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 305 Rdn. 7 m.w.N.). Hierfür spricht insbesondere auch die Gesetzgebungsgeschichte. Die noch im Regierungsentwurf (vgl. BT-Drucks. 14/7084) enthaltene Regelung, wonach eine im Rahmen eines Angebots nach dem WpÜG angebotene Gegenleistung als angemessene Barabfindung anzusehen sei, sofern das Angebot von mindestens 90% der Aktionäre, an die es gerichtet gewesen sei, angenommen worden sei, entfiel im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens, nachdem der Bundesrat und Aktionärsvereinigungen rechtliche Bedenken geltend gemacht hatten (vgl. BT-Drucks. 14/7477).
404
5. Weitere Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts sind auch unter Berücksichtigung des in §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 26 FamFG normierten Amtsermittlungsgrundsatzes nicht geboten.
405
a. Dabei ist namentlich die Durchführung einer gesonderten Beweisaufnahme durch die Einholung des Gutachtens eines gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht erforderlich, weil die Anhörung der gerichtlich bestellten Prüfer bereits zu einem für die Kammer überzeugenden Ergebnis geführt hat.
406
(1) Ein gerichtliches Sachverständigengutachten muss nur dann eingeholt werden, wenn nach der Anhörung des Prüfers, die sachlich auf § 8 Abs. 2 Satz 1 SpruchG gestützt wurde, weiterer Aufklärungsbedarf besteht (vgl. OLG München AG 2014, 453, 454 = Der Konzern 2014, 172, 173; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1172; Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; OLG Düsseldorf AG 2015, 573, 575 = ZIP 2015, 1336, 1338 = Der Konzern 2016, 94, 96; LG München I, Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Klöcker/Wittgens in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 8 Rdn. 4; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 8 Rdn. 21; im Grundsatz auch Drescher in: BeckOGK, Stand 1.4.2023, § 8 SpruchG Rdn. 15). Aufgrund des Berichts der Abfindungsprüfer, der ausführlichen Erläuterungen in zwei ganztägigen Anhörungsterminen hat die Kammer keinen Zweifel an der Plausibilität der Planannahmen, den Feststellungen zur Ewigen Rente, der Problematik der Thesaurierung sowie zu den Grundlagen des Kapitalisierungszinssatzes und zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen als den wesentlichen Aspekten der hier vorzunehmenden Ermittlung der angemessenen Abfindung.
407
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Anhörung der gemäß §§ 327 c Abs. 2 Sätze 2 bis 4, 293 c Abs. 1 AktG bestellten Abfindungsprüfer diene nur der Aufklärung über ihre anlässlich der Prüfung getroffenen Feststellungen, nicht jedoch der Überprüfung der inhaltlichen Angemessenheit der Planung und sonstiger Bewertungsparameter (in diese Richtung aber auch Puszkajler in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Vorb. §§ 7 bis 11 SpruchG Rdn. 29 und § 8 Rdn. 32 f.). Diese Auffassung ist nämlich mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck des § 8 Abs. 2 SpruchG nicht vereinbar. Mit der Anhörung des sachverständigen Prüfers soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Erkenntnisbasis schon zu Beginn des Verfahrens verbreitert und eine eventuell zusätzlich notwendig werdende Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen zur Begutachtung bestimmter Fragen erleichtert werden. Damit allerdings erschöpft sich nicht die Zielsetzung dieser Vorschrift. Bereits aus der Formulierung in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 8 SpruchG, die sich der Deutsche Bundestag erkennbar zu eigen gemacht hat, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, es könne auch aufgrund der Anhörung des Prüfers eine abschließende Entscheidung des Gerichts getroffen werden. Hierfür spricht insbesondere auch der Gedanken in den Gesetzesmaterialien, die Prüfungsberichte sollten künftig verstärkt als Grundlage zur Entscheidungsfindung der Gerichte beitragen; der Beschleunigungseffekt soll sich dann gerade auch daraus ergeben, dass ein gerichtliches Sachverständigengutachten als Folge der Bestellung und letztlich auch der Anhörung ganz vermieden werden kann (vgl. BT-Drucksache 15/371 S. 14 f. und 18; auch Gayk in: Kölner Kommentar zum AktG, 4. Aufl., Einl. SpruchG Rdn. 50). Dann aber muss es dem Gericht möglich sein, auch Aussagen des gerichtlich bestellten Prüfers zu Bewertungsfragen im Rahmen seiner Entscheidung zu verwerten. Dem steht letztlich auch nicht die Formulierung in § 8 Abs. 2 Satz 1 SpruchG entgegen, wenn dort die Anhörung des Prüfers als „sachverständiger Zeuge“ beschrieben wird. Auch wenn dies suggeriert, er solle dem Gericht nur Tatsachen bekunden, die er aufgrund seiner besonderen Sachkunde wahrgenommen hat (vgl. § 414 ZPO), kann seine Rolle nicht auf die eines sachverständigen Zeugen beschränkt werden, weil anderenfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Effekt der Beschleunigung des Verfahrens konterkariert würde. Dies gilt umso mehr, als das Problem der rechtlichen Einordnung des gerichtlich bestellten Prüfers in den Gesetzesmaterialien nicht weiter problematisiert wurde.
408
Die weitere Einschaltung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen wird namentlich auch nicht vom Schutz der Minderheitsaktionäre gefordert. Die Einschaltung eines vom Gericht bestellten sachverständigen Prüfers im Vorfeld der Strukturmaßnahmen soll dem präventiven Schutz der Anteilseigner im Spruchverfahren dienen; deshalb kann sein Prüfungsbericht zusammen mit dem Ergebnis einer auf § 8 Abs. 2 SpruchG gestützten Anhörung zusammen mit der aufgrund von § 8 Abs. 2 Satz 3 SpruchG eingeholten ergänzenden Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden. Im Übrigen haftet der sachverständige Prüfer nach §§ 327 c Abs. 2 Satz 4, 293 d Abs. 2 AktG, 323 HGB auch gegenüber den Anteilsinhabern. Gerade durch die Verweisung auf die für Abschlussprüfer geltenden Bestimmungen der §§ 319 Abs. 1 bis Abs. 3, 323 HGB ist die Unabhängigkeit des Prüfers sichergestellt. Der Umstand der Parallelprüfung, also der Prüfung zeitgleich mit dem Erstellen des Berichts des Hauptaktionärs, vermag an der Unabhängigkeit der Prüfung nichts zu ändern und begründet für sich genommen keine Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des vom Gericht bestellten Prüfers (vgl. OLG München ZIP 2007, 375, 377 f. = Der Konzern 2007, 356, 359; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 129 f.; LG München I, Beschluss vom 28.6.2013, Az. 5HK O 18685/11; Beschluss vom 29.8.2017, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 8 Rdn. 21; Emmerich in: Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 8 SpruchG Rdn. 6). § 407 a ZPO ist angesichts der Sonderregelung in § 8 SpruchG unanwendbar.
409
Eine Mitgliedschaft der Abfindungsprüfer im Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. begründet kein Bestellungsverbot im Sinne des § 319 Abs. 1 bis Abs. 4 HGB, der aufgrund der Verweisung in §§ 327 c Abs. 2 Satz 4, 293 d Abs. 1 AktG Anwendung findet. Angesichts dessen muss die Kammer auch nicht entscheiden, inwieweit sich daraus ein Verwertungsverbot ableiten ließe. Einen Ablehnungsgrund vermag die Kammer gleichfalls nicht zu erkennen. Dabei muss bereits davon ausgegangen werden, dass die Vorschriften über die Sachverständigenablehnung in §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 30 Abs. 1 FamFG, 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO auf den gerichtlich bestellten Prüfer keine Anwendung finden. Das Spruchverfahrensgesetz behandelt ihn aufgrund der Vorschrift des § 8 Abs. 2 nicht als Sachverständigen, sondern als sachverständigen Zeugen, weshalb die Vorschriften über die Ablehnung eines Sachverständigen auf ihn nicht anwendbar sind (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 23.3.2017, Az. 31 O 1/15; LG München I, Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Drescher in: BeckOGK, Stand 1.10.2023, § 8 SpruchG Rdn. 15). Abgesehen davon wäre ein Befangenheitsgrund auch nicht zu bejahen. Ein solcher ergibt sich nicht aus einer Mitgliedschaft der Vertragsprüfer im IDW. § 4 Abs. 9 der Satzung des IDW enthält nämlich keine unbedingte Verpflichtungserklärung des Wirtschaftsprüfers auf die Vorgaben des IDW. Zwar hat jedes Mitglied die Prüfungsstandards aufgrund dieser Vorschrift zu beachten. Aufgrund von § 4 Abs. 9 Satz 2 und Satz 3 der Satzung kann eine sorgfältige Prüfung indes ergeben, dass ein Prüfungsstandard nicht anzuwenden oder hiervon abzuweichen ist. Somit bietet die genannte Selbstverpflichtung genügend Raum für die dem Vertragsprüfer auferlegte unparteiische Überprüfung (vgl. OLG Karlsruhe AG 2018, 405, 406). Ein Ablehnungsgrund lässt sich auch nicht daraus ableiten, wenn namentlich Herr Dr. P… und Herrn Dr. R. in anderen Fällen als gerichtlich bestellter Prüfer tätig wurde und gegebenenfalls auch Privatgutachten zur Unternehmensbewertung erstellt. Zwar wird davon auszugehen sein, dass bei einem (gerichtlich bestellten) Sachverständigen, der in derselben Sache für einen nicht unmittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet hat, ein Ablehnungsgrund besteht, weil dann die Besorgnis besteht, er werde von einer früher geäußerten Begutachtung nicht abweichen (vgl. BGH MDR 2017, 479 f. = VersR 2017, 641, 642 = NJW-RR 2017, 569, 570 m.w.N. auch zur Gegenauffassung). Von einem gleichgelagerten Sachverhalt kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden, wenn die gerichtlich bestellten Abfindungsprüfer völlig andere Unternehmen bewertet haben (vgl. auch OLG Karlsruhe AG 2018, 405, 406). In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es dagegen um die Frage, dass möglicherweise die zu begutachtende Hüftgelenksprothese aus derselben Modellreihe stammte wie die, die dort bestellte Sachverständige auch als Privatgutachter zu beurteilen hatte. Vorliegend wird auch von Seiten der Antragsteller nicht vorgetragen, E… S… sowie namentlich Herr Dr. P…, Herr S… und Herr Dr. E… seien früher mit der Bewertung der L… AG befasst gewesen.
410
(2) Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der von den Wirtschaftsprüfern von E… S… als Abfindungsprüfer getroffenen Feststellungen. Herr Dr. P…, Herr S… und Herr Dr. E… verfügen zweifelsohne über die zur Beurteilung auch komplexer Fragen der Unternehmensbewertung erforderliche Sachkunde. Sie haben sowohl im Prüfungsbericht als auch in der mündlichen Anhörung samt ihrer ergänzenden Stellungnahme die vorgenommenen Prüfungshandlungen hinreichend erläutert und dabei insbesondere auch begründet, warum die Abfindungsprüfer gerade auch die Planansätze aus dem Bewertungsgutachten von E… Y… für angemessen und sachgerecht begründet erachteten. Daraus wird deutlich, dass sie sich ihrer Aufgabe und Funktion als gerichtlich bestellte Abfindungsprüfer in vollem Umfang bewusst waren. Dies zeigt sich weiterhin daran, dass die Abfindungsprüfer bei der Ableitung des Beta-Faktors über die Peer Group-Unternehmen weitergehende Analysehandlungen beispielsweise zur Abgrenzung der betriebsnotwendigen von der nicht betriebsnotwendigen Liquidität vorgenommen oder anhand eines eigenen Bewertungsmodell den Zinsertrag nachvollzogen haben. Zur externen Plausibilisierung zogen sie Analystenschätzungen insbesondere zu den Umsatzerlösen der Vergleichsunternehmen heran, die sie dann mit vom Kalenderjahr abweichenden Geschäftsjahr den Planjahren 2018 bis 2020 der L… AG zuordneten. Im Rahmen der Plausibilisierung des unternehmenseigenen Beta-Faktors durch eine über eine Peer Group abgeleiteten Beta-Faktor nahmen die gerichtlich bestellten Abfindungsprüfer eine Anpassung der von den Bewertungsgutachtern herangezogenen Peer Group vor, indem sie diese um weite Vergleichsunternehmen ergänzten und auch den Beta-Faktor aus einem fünfjährigen Beobachtungszeitraum mit monatlichen Renditeintervallen ableiteten. Die Abfindungsprüfer nahmen auch eine eigene vergleichende Wertermittlung auf der Basis von Trading-Multiplikatoren vor, wobei sie dafür wiederum die Daten des Informationsdienstleisters Bloomberg heranzogen. Dabei nahmen sie – im Gegensatz den Wirtschaftsprüfern von E… Y… – eine Gewichtung der einzelnen Segment-Peer Groups anhand von deren durchschnittlichen operativen Ergebnisse des Planungszeitraums vor. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass der Unternehmenswert innerhalb der Markterwartungen vergleichbarer Unternehmen liegt. Lediglich beim EBITDA 2018 liegt der Ertragswert der Gesellschaft leicht unterhalb des Mittelwerts, aber immer noch eindeutig innerhalb der Bandbreite. Unter Ansatz des EBITDA 2019 und 2020 ist der Unternehmenswert der L… AG auf Basis des Ertragswerts über dem Mittelwert angesiedelt, was auch für das EBIT 2018 gilt, wobei der Unternehmenswert hier schon am oberen Ende der Bandbreite liegt. Beim Heranziehen der EBIT-Multiplikatoren für 2019 und 2020 liegt der Unternehmenswert sogar oberhalb der festgestellten Bandbreite. Über ein Multiplikatorverfahren kann keinesfalls eine angemessene Barabfindung angesichts der bestehenden Ungenauigkeit dieser Wertermittlung begründet werden. Jedoch können die daraus gewonnenen Erkenntnisse sehr wohl zur Plausibilisierung des mithilfe der Ertragswertmethode gefundenen Barabfindung herangezogen werden (vgl. Böcking/Rauschenberg in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 2,52), was vorliegend auch geschah.
411
(2) Bei der Entscheidungsfindung konnte auch auf das Bewertungsgutachten von E… Y… zurückgegriffen werden. Es kann im Wege der freien Beweiswürdigung durch die Kammer verwertet werden, wobei sich die Kammer bewusst ist, dass es hierbei um den Vortrag eines Beteiligten geht. Da die Erkenntnisse der Bewertungsgutachter vom Vertragsprüfer einer umfassenden Überprüfung unterzogen wurden, hat die Kammer allerdings keinen Zweifel an ihrer Richtigkeit, zumal sie sich in das Gesamtbild des zu bewertenden Unternehmens einfügen.
412
b. Die Vorlage weiterer Unterlagen zur Planung und zur Bewertung sowie einer Inventarliste war ebenso wenig anzuordnen wie die Vorlage der Arbeitspapiere der beteiligten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, weil die Voraussetzungen von § 7 Abs. 7 Satz 1 SpruchG als einzig denkbarer Anspruchsgrundlage nicht erfüllt sind.
413
(1) Nach dieser sehr weit gefassten Vorschrift sind sonstige Unterlagen, die für die Entscheidung des Gerichts erheblich sind, auf Verlangen der Antragsteller oder des Vorsitzenden des Gerichts und gegebenenfalls eines vom Gericht bestellten gemeinsamen Vertreters unverzüglich vorzulegen. Zwar gehören auch Planungsunterlagen einer Gesellschaft zu den sonstigen Unterlagen im Sinne dieser Vorschrift (vgl. nur Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 7 Rdn. 55). Allerdings haben die Antragsteller die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage der vollständigen Planungsunterlagen nicht plausibel dargelegt, was indes zwingende Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung wäre (so OLG Düsseldorf AG 2021, 25, 27; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.10.2010, Az. 20 W 17/06; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; LG München I, Beschluss vom 7.5.2014, Az. 5HK O 21386/12; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 20672/14; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; LG Frankfurt AG 2022, 548, 552 = Der Konzern 2022, 435, 439; Dorn in: Kölner Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 7 SpruchG Rdn. 67). Eine derartige Entscheidungserheblichkeit vermag die Kammer nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang ist entscheidend zu berücksichtigen, dass wesentliche Grundlagen der Planung im Prüfungsbericht der gerichtlich bestellten Abfindungsprüfer dargestellt wurden, weshalb dieser eine ausreichende Basis für die Erhebung hinreichend substantiierter Einwendungen bildet.
414
(2) Die Antragsgegnerin ist weiterhin nicht verpflichtet, die Arbeitspapiere der Bewertungsgutachter von E… Y… sowie der Abfindungsprüfer von E… S… vorzulegen. Einem derartigen Verlangen steht nach h.M. bereits die Regelung in § 51 b Abs. 4 WPO entgegen, weil es keinen durchsetzbaren Anspruch des Auftraggebers – hier also der Antragsgegnerin – gegen den Wirtschaftsprüfer auf Herausgabe der Arbeitspapiere gibt (vgl. nur LG Frankfurt AG 2022, 548, 552 = Der Konzern 2022, 435, 439; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 7 Rdn. 58; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 22; Bungert/Mennicke BB 2003, 2021, 2029; Wasmann/Roßkopf ZIP 2003, 1776, 1780). Ob dem mit Blick auf §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 26 FamFG in jedem Fall zu folgen sein wird (kritisch zur h.M. Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand: 1.10.2023, § 7 SpruchG Rdn. 10), kann vorliegend aber dahinstehen. Es fehlt nämlich jedenfalls an der Entscheidungserheblichkeit. Zwar sind die Arbeitspapiere in der Begründung zum Regierungsentwurf des Spruchverfahrensgesetzes (vgl. BT-Drucks. 15/371 S. 15) beispielhaft aufgeführt. Dies bedeutet indes nicht, dass die Antragsteller verlangen können, ihnen müssten sämtliche Unterlagen, die die Wirtschaftsprüfer verwendet und in ihren Arbeitspapieren festgehalten haben, in jedem Fall zugänglich gemacht werden. Der Bericht der Hauptaktionärin wie auch der Bericht des gerichtlich bestellten Prüfers soll neben den allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen nur eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen. Diese ist durch die Vorlage des Berichts der Hauptaktionärin sowie des Prüfungsberichts des gerichtlich bestellten Abfindungsprüfers gewährleistet. Zudem fehlt es vorliegend an einem begründeten Vorlageverlangen der Antragsteller, die sich auf einen Anspruch nach § 7 Abs. 7 Satz 1 SpruchG hinsichtlich der Arbeitspapiere berufen. Sie haben nicht hinreichend begründet, warum ihnen nur mit Hilfe der Vorlage der Arbeitspapiere eine hinreichend substantiierte Rüge namentlich in Bezug auf die Planung möglich sein sollen; dies wäre indes erforderlich gewesen (vgl. OLG Karlsruhe AG 2006, 463, 464 = NZG 2006, 670, 671 f.; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; LG München I, Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Dorn in: Kölner Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 7 SpruchG Rdn. 67; Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand: 1.10.2023, § 7 SpruchG Rdn. 10; Klöcker/Wittgens in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 13). Gerade auch unter diesem Gesichtspunkt können keine überspannten Anforderungen an die Substantiierungslast bezüglich einzelner Rügen gestellt werden.
415
(3) Die im Termin vom 30.3.2023 seitens des Antragstellers zu 32) beantragte Vorlage des Protokolls der Aufsichtsratssitzung vom 6.12.2018 muss zurückgewiesen werden. Vorgänge im Aufsichtsrat müssen nicht offengelegt werden.
416
Der konkrete Inhalt und Details von Aufsichtsratssitzungen unterliegen der Geheimhaltung. Andernfalls wäre eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb des Gremiums nicht mehr gewährleistet, was auch für die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat gilt (vgl. BVerfG NJW 2000, 349, 351 = NZG 2000, 192, 194 = AG 2000, 74, 75 = ZIP 1999, 1798, 1800 = WM 1999, 2160, 2162 f. = DB 1999, 2201, 2203; BGH NZG 2014, 423, 429 = AG 2014, 402, 407 = ZIP 2014, 671, 678 = WM 2014, 618, 626 = BB 2014, 1163, 1167 = MittBayNot 2014, 357, 364; LG München I, BeckRS 2008, 11391; Poelzig in: BeckOGK AktG, Stand: 1.7.2023, § 131 Rdn. 70; Spindler in: BeckOGK AktG, Stand: 1.10.2023, § 116 Rdn. 114; Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 116 Rdn. 60; Koch, AktG, a.a.O., § 131 Rdn. 14; in diese Richtung auch BGHZ 198, 354, 372 f. = NJW 2014, 541, 546 = NZG 2014, 27, 32 f. = AG 2014, 87, 92 = ZIP 2013, 2454, 2459 f. = WM 2013, 2361, 2367 = BB 2014, 331, 336 = DB 2013, 2917, 2922 f. = MittBayNot 2014, 259, 265;). Der Aufsichtsrat soll durch Diskussion und Argumentation zu seiner Entscheidung kommen. Dies setzt eine offene Argumentation voraus, die erfordert, dass das Beratungsgeheimnis im Interesse der Gesellschaft und ihrer Funktionsfähigkeit strikt zu wahren ist (vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl., § 6 Rn. 266). Daher sind alle Mitglieder des Aufsichtsrats nach § 116 Satz 2 grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet, so dass der Vorlage dieses Protokolls die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Unterlagen aus Sitzungen des Aufsichtsrats entgegensteht, wozu auch das Protokoll der Sitzung gehört (vgl. Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 107 Rdn. 93; Drygala in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 116 Rdn. 36; Groß-Bölting/Rabe in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 116 Rdn. 67; Wittgens/Vollertsen AG 2015, 261, 263), wobei es nicht entscheidend darauf ankommen kann, dass der Planungszeitraum bereits abgelaufen ist. Zudem ist nicht erkennbar, inwieweit der Antragsteller zu 32) nicht in der Lage sein könnte, ohne Vorlage dieses Aufsichtsratsprotokoll hinreichend substantiierte Rügen zur Angemessenheit der Barabfindung vortragen zu können. Angesichts dessen kann es auch nicht mehr darauf ankommen, dass sich die in der Aufsichtsratssitzung vom 6.12.2018 angesprochene Planung auf das Jahr 2018 bezog und im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer oder der mündlichen Verhandlung diese nicht mehr aktuell ist, weil es hier um allgemeine Grundsätze der Vertraulichkeit der Arbeit des Aufsichtsrats geht.
417
(3) Soweit ein Antrag auf Vorlage der Angebotsunterlage zum Tausch gestellt wurde, liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 7 Satz 1 SpruchG nicht vor. Das Tauschangebot bezieht sich auf einen völlig anderen Stichtag und kann daher vorliegend nicht entscheidungserheblich sein. Dasselbe gilt für die im Zuge der Übertragung der zum Umtausch eingereichten L… Aktien auf die Antragsgegnerin erstellte Werthaltigkeitsbescheinigung; diese zum Umtausch eingereichten Aktien der L… AG sind für die vom verschmelzungsrechtlichen Squeeze out betroffenen Aktien ohne Bedeutung.
418
(4) Die Vorlage einer Honorarvereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und der Abfindungsprüferin E… S… kann nicht aus § 7 Abs. 7 SpruchG hergeleitet werden. Diese Vereinbarung ist nicht Gegenstand der Überprüfung im Spruchverfahren, so dass es auch hier an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit fehlt. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung der Kosten des gerichtlich bestellten Prüfers ergibt sich aus §§ 327 c Abs. 2 Satz 4, 293 c Abs. 1 Satz 5 AktG i. V. m. § 318 Abs. 5 HGB und wird gegebenenfalls auf Antrag vom Gericht festgestellt. Die Antragsgegnerin verwies auf die Üblichkeit der vereinbarten Vergütung, ohne dass dies bestritten worden wäre. Auch ist nicht erkennbar, dass sich aus der Vergütung eine Befangenheit der Abfindungsprüfer herleiten ließe.
419
Angesichts dessen konnten die Anträge auf Festsetzung einer höheren Barabfindung keinen Erfolg haben. Da Sachvortrag aus dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 31.10.2023 nicht zum Nachteil der Antragsteller und des gemeinsamen Vertreters verwertet wurde, musste nicht nochmals rechtliches Gehör gewährt werden.
III.
420
1. a. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SpruchG. Schuldner der Gerichtskosten ist nach der Grundsatzregelung aus § 15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG nur der Antragsgegner. Allerdings können die Kosten ganz oder zum Teil dem Antragssteller auferlegt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. Für eine Anwendung von § 15 Abs. 2 Satz 2 SpruchG ist in Richtung auf die anderen Antragsteller kein Raum. Es entspricht nicht der Billigkeit, die Gerichtskosten ganz oder teilweise den Antragstellern aufzuerlegen, auch wenn die Anträge keinen Erfolg hatten. Es muss dabei nämlich berücksichtigt werden, dass die Anhörung der Abfindungsprüfer im Termin vom 15.6.2023 nochmals eine deutlich erhöhte Klarheit und vertiefte Erkenntnisse zu wesentlichen Planannahmen wie namentlich der Entwicklung der Umsatzzahlen, der Kosten, zur Thesaurierung, sowie zum Kapitalisierungszinssatz gebracht hat.
421
b. Bezüglich der außergerichtlichen Kosten findet die Entscheidung ihre Grundlage in § 15 Abs. 2 SpruchG.
422
(1) Nach dieser Vorschrift ordnet das Gericht an, dass die Kosten der Antragsteller, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, ganz oder zum Teil vom Antragsgegner zu erstatten sind, wenn dies unter Berücksichtigung des Ausgangs des Verfahrens der Billigkeit entspricht. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden, weil die Anträge in der Sache keinen Erfolg hatten. Die Kammer hält mit Blick auf die nunmehr entgegenstehende Auffassung des Oberlandesgerichts München im Beschluss vom 11.3.2020, Az. 31 Wx 341/17 (AG 2020, 440, 444 f. = ZIP 2020, 761, 762 ff. = WM 2020, 1028, 1034 ff.) an ihrer bisher vertretenen Auffassung zur Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin nicht mehr fest. Das Oberlandesgericht München begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, aus der Gesetzgebungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. 15/371 S. 18) ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, dass im Falle des Unterliegens die Antragsteller ihre Kosten zu tragen hätten. Eine regelmäßige Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin widerspreche danach dem Willen des Gesetzgebers, wonach die Kostentragungspflicht der Antragsteller im Falle des Unterliegens die Regel darstellen soll. Auch weist das Oberlandesgericht München neben diesem Argument darauf hin, das mit der Verteilung verbundene Kostenrisiko sei keinesfalls existenzbedrohend – ein Rechtsschutzverlust ist mit dieser Regelung nicht verbunden, weil sich die Antragsteller im Spruchverfahren nicht zwingend anwaltlich vertreten lassen müssen und an die Antragsbegründungspflicht vergleichsweise niedrige Anforderungen zu stellen sind. Infolge der Berechnung der Anwaltsgebühren auf der Grundlage von § 31 RVG und nicht aus dem vollen Geschäftswert ist das Kostenrisiko zudem überschaubar, weshalb eine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes nicht angenommen werden kann. Die allgemeiner formulierte Vorschrift des § 81 Abs. 1 FamFG findet angesichts der Spezialregelung in § 15 Abs. 4 SpruchG a.F., die im Wesentlichen der Neuregelung in § 15 Abs. 2 SpruchG entspricht, keine Anwendung. Besondere Gründe, die eine hiervon abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind vorliegend nicht erkennbar.
423
(2) Der Antragsgegnerin steht indes kein Kostenerstattungsanspruch gegen die Antragsteller zu. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage, weil § 15 Abs. 2 SpruchG eine abschließende Regelung enthält und dort eine Erstattungspflicht hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners durch die Antragsteller nicht vorgesehen ist (so ausdrücklich BGH NZG 2012, 191, 193 f. = AG 2012, 173, 174 f. = ZIP 2012, 266, 268 f.= WM 2012, 280, 282 f. = DB 2012, 281, 282 f. = MDR 2012, 293 f.; OLG Frankfurt AG 2012, 417, 422 = Der Konzern 2012, 199, 211; LG München I, Beschluss vom 27.6.2014, Az. 5HK O 7819/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Drescher in: BeckOGK, Stand 1.4.2023, § 15 SpruchG Rdn. 25; Klöcker/Wittgens in: K. Schmidt/Lutter, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 21; Koch, AktG, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 6; Steinle/Liebert/Katzenstein in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7 – Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation), a.a.O., § 34 Rdn. 49).
424
2. Die Entscheidung über den Geschäftswert hat ihre Grundlage in § 74 GNotKG. Da die Anträge keinen Erfolg hatten, war der Mindestgeschäftswert von € 200.000,- festzusetzen. Dieser ist aufgrund von § 6 Abs. 2 Satz 3 SpruchG auch für die Vergütung des gemeinsamen Vertreters maßgeblich.