Titel:
Einfache Insolvenzforderung, Ergebnisabführungsvertrag, Kostenerstattungsanspruch, Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, Gesellschaftsrechtliche Streitigkeit, Spruchverfahrensgesetz, Ausschüttungspolitik, Hauptversammlungsbeschlüsse, Verfahrensstandschaft, Angemessene Barabfindung, Steuerliches Einlagekonto, Geschäftswert, Außergerichtliche Kosten, Kostentragungspflicht, Elektronischer Rechtsverkehr, Privatgutachten, Konzernrecht, Ausgleichsbetrag, Darlegung der Antragsberechtigung, Ertragswertverfahren
Schlagworte:
Barabfindung, Ausgleichszahlung, Ertragswertmethode, Planungsprärogative, Marktrisikoprämie, Wachstumsabschlag, Antragsrücknahme, Antragsberechtigung, Antragsfrist, Antragsgegnerin, Antragsstellung, Antragszulässigkeit, Joint Venture, Rückabwicklung, Planung, Umsatzpotential, Marktprognosen, EBITDA-Marge, Ausschüttungsquote, Unverschuldeter Beta-Faktor, P. Group, Kapitalisierungszinssatz, Risikozuschlag, Bewertungskalkül, Squeeze out, Börsenwert, Hochrechnung, nicht betriebsnotwendiges Vermögen, Verrentungszinssatz, Ausgleichsbetrag, Risikostruktur, Bewertungsziele, Mischzinssatz, Arbeitspapiere, Gerichtskosten
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53900
Tenor
I. Die Anträge auf Festsetzung einer höheren Barabfindung als € 45,54 je Aktie und eines höheren Ausgleichs als € 2,57 brutto je Aktie werden zurückgewiesen.
II. Von den ausschließlich nach dem GNotKG berechneten Gerichtskosten trägt die Antragstellerin zu 43) 1/71, die Antragsgegnerin 70/71. Die weiteren Gerichtskosten trägt die Antragsgegnerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren erster Instanz sowie der Wert für die Berechnung der von der Antragsgegnerin geschuldeten Vergütung des gemeinsamen Vertreters der nicht selbst als Antragsteller am Verfahren beteiligten Aktionäre werden auf € 200.000,-- festgesetzt.
Gründe
1
1. a. Am 22.7.2019 veröffentlichte die L. GmbH, die von Investmentfonds gemeinsam kontrolliert wird, die wiederum von B. P. E. und T. Group beraten worden bzw. mit ihnen verbunden sind, ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot an die Aktionäre der O. AG (im Folgenden auch: die Gesellschaft) zum Preis von € 35,- je Aktie der O. AG; dieses Angebot wurde nicht von der notwendigen Zahl angenommen, um die Mindestannahmeschwelle zu erreichen, so dass es nicht vollzogen wurde. Noch während der Annahmefrist dieses Angebots veröffentlichte die O. B. GmbH – eine 100%ige Tochtergesellschaft der in U., Österreich ansässigen ams AG – am 3.9.2019 ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot zu einem Preis von € 38,50 je Aktie, das sich während der Laufzeit durch Parallelkäufe der ams AG auf € 41,- je Aktie erhöhte, jedoch gleichfalls die Mindestannahmeschwelle verfehlte und daher ebenfalls nicht vollzogen wurde.
2
Die Antragsgegnerin – gleichfalls eine 100%-ige Tochtergesellschaft der ams AG – veröffentlichte am 7.11.2019 ein weiteres freiwilliges Übernahmeangebot mit einer Mindestannahmeschwelle von 55% sämtlicher Aktien der O. AG abzüglich der 2.796.275 eigenen Aktien und unter Berücksichtigung der 19,99% der von der ams AG bereits gehaltenen Aktien. Nach Erreichen der Mindestannahmeschwelle kam es am 9.7.2020 zum Vollzug des Übernahmeangebots.
3
Am 10.2.2020 gab die ams AG in einer Ad hoc-Mitteilung bekannt, dass der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen der Antragsgegnerin als herrschendem und der O. AG als beherrschtem Unternehmen beabsichtigt sei. In einem Zeitraum von drei Monaten vor der Bekanntgabe dieser Absicht betrug der durchschnittliche gewichtete Börsenkurs der Aktie der O. AG € 42,20. Die ams AG konkretisierte am 29.7.2020 diese Absicht zum Abschluss eines Unternehmensvertrages im Rahmen einer Ad hoc-Mitteilung mit den Halbjahresergebnissen für das Geschäftsjahr 2020 dahingehend, dass man von einer Implementierung des Vertrages um das Jahresende 2020 herum ausgehe.
4
Die Antragsgegnerin und die O. AG schlossen am 22.9.2020 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, durch dessen Ziffer 1.1 die O. AG die Leitung ihrer Gesellschaft der Antragsgegnerin unterstellte, die auch berechtigt sein sollte, dem Vorstand der O. AG hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Nach Ziffer 2.1 in Verbindung mit Ziffern 2.3 und 6.2 sollte sich die Gesellschaft verpflichten, erstmals ab dem am 1.10.2020 beginnenden Geschäftsjahr ihren gesamten Gewinn an die Antragsgegnerin abzuführen, während sich diese in Ziffer 3.1 verpflichtete, einen bei der Gesellschaft entstandenen Jahresfehlbetrag auszugleichen. In Ziffern 4.1 und 4.2 des Vertrages verpflichtete sich die Antragsgegnerin, ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Gewinnabführungsverpflichtung für die Dauer des Vertrages eine Ausgleichszahlung in Höhe von € 2,57 brutto abzüglich eines Betrages für die Körperschaftsteuer sowie den Solidaritätszuschlag nach dem jeweils für diese Steuern für das jeweilige Geschäftsjahr geltenden Steuersatz zu zahlen. Alternativ zu dieser Ausgleichszahlung nach Ziffer 4 verpflichtete sich die Antragsgegnerin in Ziffer 5.1 des Vertrages, auf Verlangen eines jeden außenstehenden Aktionärs der O. AG dessen Aktien dieser Gesellschaft gegen eine Barabfindung in Höhe von € 45,54 zu erwerben, wobei dieser Betrag in einer Änderungsvereinbarung vom 2.11.2020 aufgenommen wurde, nachdem ursprünglich eine Barabfindung von € 44,65 je Aktie vorgesehen war. Der Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages wurde am 22.9.2020 um 19.01 Uhr nach XETRA-Handelsschluss per Ad hoc-Mitteilung an die Kapitalmärkte öffentlich bekannt gemacht.
5
b. Die Hauptversammlung der über ein in 96.848.074 nennwertlose auf den Namen lautende Stückaktien mit einem anteiligen Betrag von € 1,- je Aktie eingeteiltes Grundkapital von € 96.848.074 verfügenden O. AG stimmte dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit den Änderungen am 3.11.2020 zu, nachdem die Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin bereits am 2.11.2022 zugestimmt hatte.
6
Der satzungsmäßige Unternehmensgegenstand der Gesellschaft liegt in der Leitung einer Gruppe von Unternehmen, die in der Entwicklung, der Konstruktion und dem Vertrieb von elektrischen Bauelementen, elektronischen Systemen, Software und Licht, Beleuchtungs- und photonischen, insbesondere lichtwandelnden Produkten, Systemen und Lösungen einschließlich von Leuchtmitteln, Leuchten, Betriebs- und Herstellungsgeräten und -maschinen, Steuersystemen, Vorprodukten, Teilen und Zubehör solcher Produkte, Systemen und Lösungen sowie von Produkten, Systemen und Lösungen der angrenzenden oder verwandten Bereiche sowie der Entwicklung, Konstruktion, Herstellung und dem Vertrieb von Komponenten und Systemen für Fahrzeuge jeder Art sowie in der Erbringung von Beratungs-, Dienst- und Serviceleistungen auf diesen Arbeitsgebieten tätig sind. Die Gesellschaft kann zu diesen Arbeitsgebieten auch selbst tätig werden und ist zu allen Handlungen berechtigt und kann alle Geschäfte betreiben, die mit dem Gegenstand des Unternehmens zusammenhängen oder ihm unmittelbar oder mittelbar zu dienen geeignet sind. Sie kann auch andere Unternehmen, insbesondere solche, deren Unternehmensgegenstände sich ganz oder teilweise auf die Arbeitsgebiete der Gesellschaft erstrecken, im In- und Ausland gründen, erwerben und sich an ihnen beteiligen sowie solche Unternehmen leiten oder sich auf die Verwaltung der Beteiligungen beschränken. Die Gesellschaft kann ihren Betrieb ebenso wie von ihr gehaltene Beteiligungen ganz oder teilweise durch verbundene Unternehmen führen lassen oder auf solche übertragen oder auslagern sowie Unternehmensverträge abschließen. Weiterhin darf sie Zweigniederlassungen und Betriebsstätten im In- und Ausland errichten und ihre Tätigkeit auf einen Teil der in § 2 Abs. 1 ihrer Satzung bezeichneten Arbeitsgebiete beschränken.
7
Die Geschäftstätigkeit der O. AG ist in drei Business Units unterteilt. Die Einheit Opto Semiconductors bietet eine breite Palette von LEDs im sichtbaren sowie infraroten Bereich in unterschiedlichen Leistungsklassen für Allgemeinbeleuchtung, Automobil-, Verbraucher- und Industrieanwendungen sowie Laserdioden und optische Sensoren und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2019 unter Berücksichtigung von Anpassungen an eine neue Organisationsstruktur einen Umsatz von € 1.464 Mio.. In der Einheit Automotive erfolgt im Wesentlichen eine Fokussierung auf die Entwicklung, Produktion sowie den Vertrieb von Lampen, Lichtmodulen und Sensorik sowohl im Erstausstattungs- als auch im Ersatzteilgeschäft für Fahrzeughersteller und Zulieferer. Hier wurde im Geschäftsjahr 2019 ein angepasster Umsatz von € 1.781 Mio. erreicht. Das Tochterunternehmen O. C. GmbH, das das auf der LED- und Lasertechnologie basierende Automotive-System- oder Modul-Erstausrüstergeschäft betrieb, sollte bis zum Ende des Geschäftsjahres 2021 aufgegeben werden, wobei die beiden Partner O. AG und C. AG ihre in dieses Joint Venture eingebrachten Vermögenswerte, Kundenprojekte und damit verbundene Mitarbeiter zurückerhalten sollen. Die mit Beginn des Geschäftsjahres 2019 neu aufgestellte Business Unit Digital vereint die Geschäftstätigkeiten, die nach der Einschätzung der Gesellschaft die größte Wahrscheinlichkeit aufweisen, von der fortlaufenden Digitalisierung profitieren zu können, und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2019 einen Umsatz von € 916 Mio..
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Im Geschäftsjahr 2019 wurden ca. 34% der Umsatzerlöse in der Region EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika), 36% im Wirtschaftsraum Asien-Pazifik (Asien, Australien und Ozeanien) sowie 30% in der Region Amerika erwirtschaftet. Auf Deutschland entfielen in diesem Geschäftsjahr 16%, auf China 21,9% und auf die USA 23,2% des Umsatzes.
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2. a. Im Vorfeld der Hauptversammlung vom 3.11.2020 erstattete die P… GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: P…) eine gutachtliche Stellungnahme zum Unternehmenswert und zur Ermittlung der angemessenen Abfindung sowie des angemessenen Ausgleichs zum 3.11.2020 als Bewertungsstichtag in Bezug auf die O. AG (Anlage AG 2). Die Wirtschaftsprüfer von P. ermittelten in Anwendung der Ertragswertmethode einen Wert der Gesellschaft zum 3.11.2020 von ca. € 4.205 Mio., woraus sich dann eine Abfindung von € 44,65 je Aktie errechnete. Dabei gingen die Bewertungsgutachter von einer die Geschäftsjahre 2020 bis 2025 umfassenden Detailplanungsphase mit einem Ergebnis vor Steuern von – € 271 Mio., – € 96 Mio., € 189 Mio., € 375 Mio., € 491 Mio. und € 637 Mio. aus. An diese Detailplanungsphase schloss sich die Ewige Rente an, in der unter Ansatz einer Wachstumsrate von 1% mit einem nachhaltigen Ergebnis vor Steuern von € 609 Mio. gerechnet wurde. In den Geschäftsjahren 2020 und 2021 setzten die Bewertungsgutachter eine vollständige Thesaurierung des ausschüttungsfähigen Ergebnisses von – € 242 Mio. und € 127 Mio. an. Für die weiteren Jahre der Detailplanungsphase wurde entsprechend der geplanten mittelfristigen Ausschüttungspolitik eine Ausschüttungsquote von 40% des sich auf € 152 Mio., € 312 Mio., € 379 Mio. und € 475 Mio. belaufenden ausschüttungsfähigen Ergebnisses angenommen. Im Terminal Value ging das Bewertungsgutachten von einer Ausschüttungsquote von 50% aus. Bei der Kapitalisierung der Überschüsse gingen die Bewertungsgutachter von P… in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 21.9.2020 von einem Basiszinssatz von 0,0% aus. Den Risikozuschlag ermittelten sie in Anwendung des (Tax-)CAPM, wobei sie von einer Marktrisikoprämie von 5,75% nach Steuern und einem über eine P. Group hergeleiteten unverschuldeten Beta-Faktor von 1,25% ausgingen, der unter Beachtung des Verschuldungsgrades der Gesellschaft in Phase I von 1,52 abfallend bis auf 1,32 im letzten Planjahr 2025 und auf 1,26 in der Ewigen Rente angepasst wurde. Für den Terminal Value ging das Bewertungsgutachten von einem Wachstumsabschlag von 0,87% nach persönlichen Steuern aus. Als Sonderwerte setzten die Bewertungsgutachter Vermögenswerte mit einem Gesamtwert von € 147,2 Mio. an, wozu zwei Immobilien in T. und B., die nicht voll konsolidierten Beteiligungen der Gesellschaft unter Einschluss der 29,1%igen Beteiligung an der L. T. Inc., Anteile an zwei Venture Capital Fonds sowie im Geschäftsjahr 2020 erzielte und erwartete Erlöse aus der Veräußerung und Liquidation von Beteiligungen gehörten, wobei der Erlös aus der Veräußerung der Si. GmbH mit € 8 Mio. berücksichtigt wurde, an.
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Aufgrund eines auf – 0,1% vor Steuern abgesunkenen Basiszinssatzes gelangten die Bewertungsgutachter in ihrer Stichtagserklärung vom 3.11.2020 (Anlage AG 4) zu einem auf 4.290 Mio. € erhöhten Unternehmenswert, was zu einer Erhöhung der Barabfindung auf € 45,84 je Aktie nach sich zog, während sich für den Ausgleich ein rechnerischer Wert von € 2,56 brutto bzw. € 2,23 netto je Aktie ergeben hätte.
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b. Die vom Landgericht München I mit Beschluss vom 19.5.2020, Az. 5HK O 6184/20 zur Vertragsprüferin bestellte E. GmbH & Co KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft (im Folgenden: E…) gelangte in ihrem Prüfungsbericht vom 23.9.2020 (Anlage AG 5), der durch die Aktualisierungserklärung vom 3.11.2020 (Anlage AG 7) modifiziert wurde, zu dem Ergebnis, die auf € 45,54 je Aktie erhöhte Barabfindung stelle sich wie auch die (unveränderte) Ausgleichszahlung von € 2,57 brutto je Aktie stelle sich als angemessen dar.
12
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Bewertungsgutachtens von P… sowie des Prüfungsberichts von E. samt der jeweiligen Aktualisierungserklärungen wird in vollem Umfang auf die Anlagen AG 2, 4, 5 und AG 7 Bezug genommen.
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3. Die Eintragung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages erfolgte am 3.3.2021 im Handelsregister der O. AG, die Bekanntmachung nach § 10 HGB am 20.3.2021 in der Rubrik „Vorgänge ohne Eintragung“ und am 31.3.2021 in der Rubrik „Veränderungen“. Unter Berücksichtigung der von der Gesellschaft gehaltenen 2.664.388 eigenen sowie der von der Antragsgegnerin gehaltenen 66.605.912 Aktien sind von dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag am Tag seines Wirksamwerdens insgesamt 27.577.774 Aktien betroffen.
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Die Antragsteller zu 2) bis 42), 44) bis 63) und 65) bis 71) waren im Zeitpunkt des Eingangs ihrer Anträge beim Landgericht München I jeweils Aktionäre der O. AG.
15
Zur Begründung ihrer spätestens am 30.6.2021 zumindest per Telefax beim Landgericht München I eingegangenen Anträge machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend, aufgrund ihrer zulässigerweise gestellten Anträge müsse die Barabfindung ebenso wie der Ausgleich angesichts ihrer Unangemessenheit erhöht werden.
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1. Diese Notwendigkeit resultiere bereits aus den zum Nachteil der Minderheitsaktionäre unplausibel und folglich korrekturbedürftig erfolgten Planannahmen bei der Gesellschaft.
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a. Aus den starken Abweichungen zwischen Plan- und Ist-Ergebnissen mit bis zu 66,2% beim EBITDA ergebe sich eine unzuverlässige Planungssystematik. Angesichts der im Vergleich zur Planung 2019 sehr viel schlechteren Ergebnissen beim Umsatz und beim EBITDA im Jahr 2021 müsse vom Vorliegen einer unzulässigen Anlassplanung mit Einflussnahmen der Antragsgegnerin auf die Planannahmen des Vorstandes ausgegangen werden. Unklar bleibe, inwieweit das Jahr 2020 in die Unternehmensplanung eingeflossen sei. Auch sei bei der Planungsrechnung ein zu starker Euro-Kurs im Verhältnis zum US-Dollar angesetzt worden.
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b. Die Umsatzplanung der Gesellschaft stelle sich als zu pessimistisch und damit nicht mehr plausibel dar.
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(1) Der Lagebericht vom 2.12.2020 mit einer darin kommunizierten erwarteten Steigerung der Umsatzerlöse um 6% bis 10% und einer bereinigten EBITDA-Marge von 9% bis 11% belege die fehlende Plausibilität der Planzahlen für 2021 mit einem angenommenen Umsatzwachstum von lediglich 5,9% und einer EBITDA-Marge von 8,3%. In gleicher Weise zeige die Ad hoc-Mitteilung vom 26.1.2021 mit einem erwarteten Umsatzwachstum von 10% bis 14% statt von lediglich 6% bis 10%, dass der für das Planjahr 2021 erfolgte Ansatz eines Umsatzanstieges um rund 6% auf € 3.198 Mio. zu pessimistisch sein müsse, zumal zum Stichtag der erste Monat des letzten Quartals des Geschäftsjahres 2020 bereits abgeschlossen und Aufhellungen der wirtschaftlichen Perspektive zu erkennen gewesen seien. Die Auswirkungen der sich vor allem im Segment Opto Semiconductors auswirkenden Produktivitätsmaßnahmen seien angesichts der Überlagerung durch andere nicht genannte Effekte wie Preiserosionen mit € 120 Mio. für 2021 zu gering angesetzt worden. Die Fehlerhaftigkeit der Planung ergebe sich weiterhin daraus, dass das Wachstum des Umsatzes wie auch der EBITDA-Marge in den Planjahren 2020 und 2021 unter den Werten der P. Group-Unternehmen liege, obwohl es in der Vergangenheit stets über dem Durchschnitt gelegen habe oder zumindest habe Schritt halten können. Das Erreichen des Volumens von 2019 erst im Jahr 2022 sowie des Erreichens bzw. leichten Übertreffens eines EBIT von € 397 Mio. wie im Jahr 2017 erst im Jahr 2024 stelle sich als zu pessimistisch darf. Ebenso müsse die Planung stärker die hohen Markteintrittsbarrieren für Wettbewerber und die dadurch bestehende Marktpräsenz der Gesellschaft gerade mit dem hohen Wachstumspotenzial in Asien stärker berücksichtigen.
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(2) Im Segment Automotive müsse der durchschnittliche Umsatz höher als mit 2,1% p.a. angesetzt werden, weil die Gesellschaft ein Spezialist für Sicherheitsleuchten sei und diese für jedes Auto benötigt würden, mit einer zunehmenden Nachfrage nach Automobilen in Asien gerechnet werde und die pandemiebedingte Eintrübung nur von kurzer Dauer sei. Auch übersehe die Planung mit einem Erreichen des Vor-Corona-Niveaus erst im dritten Quartal 2021, das sich die Gesellschaft im Bereich der Automobilbeleuchtungen auf die im Vergleich zum Gesamtmarkt viel stärker wachsenden Teilmärkte für LED- und Laserprodukte fokussiere und im Hauptabnehmerland China die Pandemie bereits in der zweiten Jahreshälfte überwunden scheine mit der Folge erhöhter Absatzzahlen im Premiumbereich und einer verstärkten Nachfrage nach diesen Produkten im Nichtpremiumbereich. Auch vernachlässige die Planung die Auswirkungen der Auflösung des Joint Venture mit der Folge eines zukünftig höheren Wertschöpfungspotenzials der Scheinwerfer in diesem Segment, nachdem sich die Gesellschaft nicht mehr nur als Kfz-Zulieferer verstehe, sondern mit einem Angebot also Systemlieferant in Richtung Software und Algorithmen aufgestellt sein werde. Demgemäß müsse die Planung die Fokussierung auf den Vertrieb margenstarker Produkte mit dem damit verbundenen Umsatzpotenzial deutlich stärker abbilden. Auch spiegele die Planung mit steigenden Umsätzen unzureichend die Investitionen in Forschung & Entwicklung wider, die vor allem in die neue LiDar-Technologie einflössen.
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(3) Der durchschnittliche jährliche Umsatzanstieg von 8,4% im Geschäftsbereich Opto Semiconductors sei zu gering, weil sensorische Elemente zunehmend in vielen Industriezweigen verbaut würden und die Digitalisierung erst am Anfang stehe. Die Planung vernachlässige die Stellung der O. AG als Weltmarktführer, weil Abnehmer die etablierten Marken den eher unbekannten Marken von Kleinunternehmen vorzögen. Im Bereich Verbraucherelektronik übersehe die Planung die anhaltende Nachfrage nach Smartphones und Health Monitoring bei einem CAGR von lediglich 1,4%. Ebenso lasse sie fehlerhaft die Bereitschaft außer Acht, für Energieeinsparung und intelligentes Licht-Design höhere Preise in Kauf zu nehmen, zumal der Vorstand einen Trend in Richtung auf energieeffiziente Beleuchtungssysteme sehe und der Markt für Kfz-Beleuchtungssysteme auf LED-Basis mit dem Einsatz von Elektrofahrzeugen deutlich steigen werde. In gleicher Wese steige auch die Popularität energieeffizienter Beleuchtungstechnologien bei Wohn- und Gewerbeimmobilien.
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(4) Die Planung müsse im Segment Digital entsprechend dem Lagebericht 2019 das Ziel eines Anteils von langfristig über 10% abbilden, was allerdings bis in das Jahr 2025 nicht erreicht werde, weshalb die Planung insoweit widersprüchlich sei. Für das Marktsegment Horticultural Lighting vernachlässige sie die Folgen des Einsatzes von LED-Lampen in der Landwirtschaft mit erwarteten Umsatzwachstumsrechten von über 23%.
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(5) Unklar bleibe, wie die Beteiligungsergebnisse einschließlich der V.C. Fonds plausibilisiert worden seien, wie die Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen in die Planung eingeflossen seien und welchen Beitrag Akquisitionen für den Unternehmenswert leisten würden und ob Fördermittel in der Unternehmensplanung abgebildet gewesen seien.
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c. Im Rahmen der Aufwandsplanung komme es zu einer unzulässigen Fortschreibung der Integrationsplanung. Der mit 2,6% jährlich angesetzte Zinsaufwand für Pensionen stelle sich wegen des Niedrigzinsumfelds als signifikant zu hoch dar. Notwendig sei auch eine Korrektur der Abschreibungen aus Kaufpreisallokationen angesichts des fehlenden Zahlungsflusses mit diesen Vermögensgegenständen und der fehlenden Planung weiterer Unternehmenszukäufe.
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d. Die EBITDA-Marge sei angesichts eines Werts von 19,3% im laufenden Quartal deutlich zu niedrig angesetzt, nachdem dieser Wert nach der Planung erst im Jahr 2025 erreicht werden solle, weshalb die deutlich raschere Erholung zum Stichtag zumindest in der Wurzel angelegt gewesen sein müsse. Bei den EBITDA-Margen für die Bereiche Opto Semiconductors und Automotive müssen die im Lagebericht 2019 genannten Erfolgsziele sowie die beim Capital Market Day am 7.11.2018 genannten Spannweiten in die Planung einfließen. Das Erreichen der Brutto-, EBIT- und EBITDA-Margen der Jahre 2017 und 2018 erst wieder ab 2023 und/oder 2024 könne nicht nur mit der Strategieänderung bei den Business Units und der Corona-Pandemie erklärt werden, zumal bereits im Zeitraum vom 1.9. bis 30.11.2020 Umsatzerlöse, Erträge sowie die EBIT- und EBITDA-Marge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wieder massiv habe steigen können.
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e. Der Annahme eines eingeschwungenen Zustands am Ende des Jahres 2025 stehe entgegen, dass einerseits beim Umsatz vom Ergebnis dieses Jahres ausgegangen werde, bei der EBITDA-Marge aber ein Mittelwert der Detailplanungsphase angesetzt werde. Die Sachinvestitionen mit einem Anstieg von € 100 Mio. in 2020 auf € 307 Mio. müssten zu einem höheren nachhaltigen Wachstum als 1% führen. Unklar bleibe, wie der Wechselkurs EUR/USD in der Ewigen Rente angesetzt worden sei. Fehlerhaft sei hier eine durchschnittliche Profitabilitätserwartung der O. AG angesetzt worden.
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f. Ebenfalls unklar bleibe, wie und in welchem Umfang unechte Synergien in der Planung abgebildet worden seien. Die Ist-Entwicklung im Geschäftsjahr 2020 belege, dass Synergieeffekte durch das die Planungsrechnung des Vorstands ergänzende Bewertungsgutachten unterschätzt worden seien, nachdem sowohl die Aufwendungen für Forschung & Entwicklung als auch die Vertriebs- und allgemeinen Verwaltungskosten im Ist niedriger ausgefallen seien, weshalb es zu einer Anpassung der Planung auch der Folgejahre kommen müsse. Ebenso zeige die EBITDA-Marge mit 8,3% im Ist gegenüber lediglich 4,8% in der Planung das Erfordernis der Anpassung, zumal der Bewertungsstichtag gegen Ende des Jahres liege. Synergien aus möglichen Kooperationen im Bereich Forschung & Entwicklung könne die Gesellschaft auch ohne den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages erzielen, weshalb der positive Effekt auch die EBITDA-Marge deutlich über 1,2 Prozentpunkten liegen müsse.
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g. Die Ausschüttungsquote im Terminal Value müsse reduziert werden, weil die durchschnittliche Ausschüttungsquote börsennotierter Aktiengesellschaft nur mehr bei etwa 40% liege; anzusetzen sei daher die Quote der beiden letzten Planjahre. Die Thesaurierung verbiete sich angesichts hoher freier Liquidität und einer hohen Eigenkapitalquote. Aufklärungsbedürftig sei, worauf der unterbliebene Ansatz eines Wertbeitrags aus Thesaurierung von Jahresüberschüssen im Zeitraum von 2022 bis 2025 beruhe, was zu einem niedrigeren Verschuldungsgrad von 2% und damit einer unplausiblen Wertminderung führe.
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2. Der Kapitalisierungszinssatz müsse in all seinen Komponenten zugunsten der Minderheitsaktionäre korrigiert werden, wobei der Ansatz persönlicher Ertragssteuern unterbleiben müsse.
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a. Dies gelte zunächst für den mittels unzulässiger Rundung festgelegten Basiszinssatz, der fehlerhaft anhand von Durchschnittsrenditen der Vergangenheit ermittelt worden sei und bei dessen Ableitung die Existenz von CDS berücksichtigt werden müsse. Sachgerecht wäre es gewesen, die Renditen deutscher Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von 10 oder 30 Jahren anzusetzen. Zum Bewertungsstichtag habe der Basiszinssatz entsprechend der Base Rate Guide bei – 0,219% gelegen. Zudem erfordere seine Ableitung den Ansatz zeitlich kongruenter, also laufzeitspezifischer Diskontierungszinssätze.
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b. Deutlich zu hoch angesetzt sei der Risikozuschlag, dessen Ansatz ohnehin fragwürdig sei. Fehlerhaft erfolge die Ermittlung über das erhebliche Ermessensspielräume zu Lasten der Minderheitsaktionäre eröffnende CAPM bzw. (Tax-)CAPM. Der Ansatz einer Marktrisikoprämie von 5,75% nach Steuern sei deutlich überhöht. Bei der Ermittlung des Beta-Faktors hätte zwingend auf den originären Beta-Faktor abgestellt werden müssen, nachdem ein Bruch in der Entwicklung erst mit der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme eingetreten sein könne. Die Adjustierung entsprechend der Blume-Formel könne den Einfluss des Übernahmeangebots auf den unternehmenseigenen Beta-Faktor eliminieren. Bei der Ermittlung hätte dem zweijährigen Beta-Faktor gegen den MSCI World Index der Vorzug gegenüber dem größten nationalen Index CDAX eingeräumt werden müssen. Die Transformation der Gesellschaft weg vom Leuchtmittelhersteller hin zum diversifizierten Photonik-Unternehmen spreche für ein kontinuierliches Absinken des operativen Risikos, was sich auch am fünfjährigen originären Beta-Faktor der Gesellschaft ablesen lasse. In die P. Group hätten die Wettbewerber Cr. Inc., L. I. Co. Ltd., H. Inc., Z. G. AG, K. P. B.V. und F. AB angesichts ihrer guten Vergleichbarkeit einbezogen werden müssen, während der S. und H. KGaA angesichts der Tätigkeit ausschließlich in einem Markt die Vergleichbarkeit fehle, weshalb diese Unternehmen einem höheren Risiko ausgesetzt seien als ein diversifiziertes High Tech-Photonik-Unternehmen wie die Gesellschaft. K. M. und U. Inc. fehle die Vergleichbarkeit angesichts der Tätigkeit als Wettbewerber nur im Segment Automotive, während es nicht vom Semiconductor-Boom profitiere. Nicht klar werde, welche Methode beim Unlevern bzw. Relevern herangezogen worden sei, ob mit dem adjusted oder dem raw Beta-Faktor gerechnet worden sei, wie die Kapitalkosten abgleitet und die Pensionen, Minderheiten, Cash und Cash Equivalents sowie Tax Shields berücksichtigt worden seien. Ebenso müsse deutlich werden, wie sichergestellt worden sei, dass bei allen P. Group-Unternehmen eine identische, wertneutrale Überleitung von IFRS 17 alt auf IFRS 16 neu erfolgt sei. Vorliegend verbiete sich der Ansatz eines Debt Beta, weil die Fremdkapitalgeber angesichts einer sehr niedrigen Verschuldung hier gerade nicht Teile des systematischen Risikos übernähmen; keinesfalls aber dürfe das Debt Beta in der Ewigen Rente über 0,2 und nicht bei 0,7 liegen.
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c. Der Wachstumsabschlag in Höhe von nur 1,0% müsse deutlich erhöht werden, weil eine Umfrage der Deutschen Bundesbank kurze Zeit nach dem Stichtag belege, in Zeiten von Rohstoffknappheit könne ein Unternehmen mindestens 84% der Kostensteigerungen an die Abnehmer weitergeben. Der Ansatz stehe in Widerspruch zu der Aussage des Vorstands im Verlauf der Hauptversammlung, der O. AG sei es in der Vergangenheit trotz Umsatzrückgängen gelungen, Preisrückgänge zu kompensieren. Auch sei im Rahmen von Impairment-Tests für das Geschäftsjahr 2018/2019 eine langfristige Wachstumsrate von 2,4% angesetzt worden, was auch der Geschäftsbericht für das Jahr 2020 bestätige, wo von im Wesentlichen gleichbleibenden künftigen Wachstumsaussichten ausgegangen werde. Der Wachstumsabschlag von 1% stehe in Widerspruch zur Aussage des Vorstandes, die Transformation zu einem High Tech-Photonik-Unternehmen werde in 2024/2025 sehr weit fortgeschritten sein, weshalb der Vorstand in der Einheit Opto Semiconductors ein Umsatzvolumen mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 8% für die Jahre 2019 bis 2025 erwarte. Auch übersehe der angesetzte Wachstumsabschlag das hohe Wachstumspotenzial als erfolgreicher und innovativer Marktteilnehmer mit starker LED-Kompetenz. Angesichts eines Branchenwachstums von 45% in den nächsten Jahren müsse der Wachstumsabschlag höher ausfallen. Der Ansatz eines Wachstumsabschlages nach Steuern verstoße gegen den Grundsatz der Laufzeitäquivalenz, weil dies den Verkauf des Unternehmens zu einem Zeitpunkt 30 Jahre nach dem Anfang der Ewigen Rente unterstelle und darin zudem ein Wertungswiderspruch zur verwendeten Marktrisikoprämie liege.
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3. Beim nicht betriebsnotwendigen Vermögen fehle der Ansatz freier Liquidität in Höhe von € 370 Mio. entsprechend den Ausführungen im Geschäftsbericht 2020, nachdem üblicherweise von dem in der Bilanz ausgewiesenen Zahlungsmitteln nur maximal 2% der geplanten Umsatzerlöse als betriebsnotwendig einzustufen seien. Pensionen und ähnliche Verbindlichkeiten müssten angesichts ihres Eigenkapitalcharakters gesondert bewertet werden. Unklar bleibe die Behandlung der steuerlichen Verlustvorträge wie auch des steuerlichen Einlagenkontos. Zudem fehle ein Ansatz der Marke „O.“ als Sonderwert.
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4. a. Die Unangemessenheit der Barabfindung resultiere aus einer fehlerhaft unterbliebenen Berücksichtigung der Börsenkurse angesichts stabil über € 50,- liegender Kurse im Verlauf der letzten Jahre und eines Allzeithochs von € 79,58.
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b. Ebenso müsse man bei der Barabfindung Vorerwerbspreise ebenso berücksichtigen wie den Angebotspreis aus dem Delisting-Erwerbsangebot.
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5. Die vertraglich festgesetzte Ausgleichszahlung von € 2,57 brutto stelle sich als unangemessen dar. Die Gewinnrücklagen bzw. Wertbeiträge ohne Thesaurierung in Höhe von insgesamt € 796 Mio. hätten berücksichtigt werden müssen. Vor allem aber bedürfe der Verrentungszinssatz einer Erhöhung, weil durch die Anwendung der Mittelwertmethode der Verrentungszinssatz systematisch nach unten verzerrt werde. Maßgeblich sei vielmehr die zur Finanzierung der Übernahme der O. AG ausgegebene nicht wandelbare Euro-Anleihe mit einer Rendite von 5,7%, bei der es sich auch um einen gesicherten Bond handele. Daneben müsse auch das Auszehrungsrisiko für den Fall der Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages beachtet werden, dass im Falle eines Wiederauflebens des Abfindungsanspruchs angesichts der nicht erfolgten Vereinbarung einer solchen Konstellation entfalle.
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Die Antragsgegnerin beantragt demgegenüber die Zurückweisung der Anträge. Dabei seien die Anträge der Antragstellerinnen zu 43) und zu 64) wegen des fehlenden Nachweises der Antragsberechtigung unzulässig. Die minderjährige Antragstellerin zu 11) müsse sich im Spruchverfahren durch ihre Eltern vertreten lassen, was durch die alleinige rechtsgeschäftliche Vertretung durch ihren Vater als rechtsgeschäftlich bestellter Verfahrensbevollmächtigter nicht erfolgt sei. Eine wirksame Bevollmächtigung des Verfahrensbevollmächtigten fehle, weil hierfür ein Ergänzungspfleger hätte bestellt werden müssen. Der Antragstellerin zu 30) fehle als Erbengemeinschaft die Beteiligtenfähigkeit. Auch die Antragstellung der Antragstellerin zu 42) sei nicht wirksam, weil sie widersprüchlich und damit nicht schlüssig zu ihrer Antragsberechtigung vorgetragen habe.
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In jedem Fall aber müsse die sachgerecht mit Hilfe der Ertragswertmethode festgelegte Barabfindung wie auch der vertraglich vorgesehene Ausgleich als angemessen angesehen werden, was zur Unbegründetheit der Anträge führe.
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1. Bei der Planung bestehe kein Korrekturbedarf.
40
a. Die Erstellung des Bewertungsgutachtens wie auch des Prüfungsberichts auf der Grundlage von Planzahlen des Vorstandes könne angesichts der Planungsprärogative des Vorstands nicht in Frage gestellt werden. Es liege angesichts der Anfang September 2020 eine auf der Reflexion der neu formulierten Strategie für O. C. beruhende Planung vor, bei der die Zahlen über denen der Planung vom Juni 2020 lägen. Die Planung sei in Unabhängigkeit von der Antragsgegnerin und der ams-Gruppe erstellt worden, ohne dass die Antragsgegnerin darauf Einfluss genommen hätte.
41
b. Sachgerecht sei die Detailplanungsphase abgebildet, wobei die Umsatzwachstumsrate oberhalb der prognostizierten Zahlen der P. Group-Unternehmen läge. Dieses überproportional zum Markt geplante Umsatzwachstum führe zu einer Verfünffachung des EBITDA ohne Synergien im Planungszeitraum und gehe von einem Anstieg der EBITDA-Marke von 5% im Geschäftsjahr 2020 bis auf 25% im Geschäftsjahr 2025 einher. Daher handele es sich um eine ambitionierte Planung. Die in der Ad hoc-Mitteilung vom 26.1.2021 beschriebene Entwicklung beruhe auf einer rascheren wirtschaftlichen Erholung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und lasse sich auch anhand der Zahlen für Vergleichsunternehmen nachvollziehen; so berichtet beispielsweise die H… KGaA erst zum Dezember 2020 von einer leichten Markterholung mit einer Anhebung des Aufblicks für das Geschäftsjahr 2020/2021. Die Planungsrechnung berücksichtige die Corona-Krise und ihre Folgen angemessen und berücksichtige eine Erholung aus der Krise bis zum dritten Quartal des Geschäftsjahres 2021, wobei die Pandemie in China in der zweiten Jahreshälfte 2021 nicht überwunden gewesen sei.
42
(1) In der Einheit Automotive berücksichtige die Planung den erhöhten Anstieg der LED-Durchdringung im Automobilmarkt. Das erwartete Umsatzwachstum beruhe im Wesentlichen auf LED-Retrofit-Produkten mit der Annahme, die Gesellschaft werde ihre marktführende Position halten. Hinsichtlich der Rückgänge im traditionellen Automobilbereich komme es zu einer Überkompensation durch Zuwächse im LED-Bereich. Angesichts einer rückläufigen Preisentwicklung müsse die Planung eine erhebliche Mengenausweitung ansetzen, um das Umsatzwachstum von 2,1% p.a. zu erreichen.
43
(2) Die Geschäftseinheit Opto Semiconductors gehe im Segment Unterhaltungselektronik von zunehmendem Wachstumspotenzial aus, das die Planungsrechnung mit einem CAGR von 8% auch abbilde.
44
(3) Die Einheit Digital berücksichtige die zu erwartenden hohen Wachstumsraten im Bereich Horticultural Lightning, deren Anteil am Gesamtumsatz der Gesellschaft mit 2% allerdings nur sehr gering sei.
45
(4) Die Planung spiegele die Aufspaltung des Joint Venture O… C. angemessen wider. Die Planungsrechnung von September 2020 bilde die Rückübertragung der jeweiligen Vermögenswerte angemessen ab. Eine mögliche Weiterentwicklung im Falle der Nichtauflösung in den Bereichen Elektronik und Software sei für die Planungsrechnung ohne Bedeutung.
46
c. Die Planungsrechnung berücksichtige die Reorganisations- und Transformationskosten namentlich in den Geschäftsjahren 2020 und 2021. Umsatzkosten, Aufwendungen für Forschung & Entwicklung, Vertriebs- und Verwaltungskosten würden der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bzw. der Abfederung struktureller Marktentwicklungen dienen. Die durch die Pandemie reduzierte Profitabilität liege zum Ende der Detailplanungsphase über den historisch erreichten Margen. Erst durch Aufwendungen für Forschung & Entwicklung sowie die technologische und marktseitige Etablierung neuer oder fortentwickelter Produkte könne die Gesellschaft steigende Umsatzerlöse erzielen. Nicht zahlungswirksame Abschreibungen hätten keinen Effekt auf die Zahlungsströme; im Rahmen des integrierten Bewertungsmodells seien Abschreibungen sachgerecht erfasst.
47
d. Die in Phase I auf der Grundlage marktüblicher Zinsen und der vertraglich vereinbarten angesetzten Habenzinssätze von 0% bzw. entsprechend der perioden- und kreditartspezifischen Sollzinssätze von ca. 1% bis 3% seien ordnungsgemäß in der Planung abgebildet. Angesichts des Vorhandenseins erheblicher ausschüttbarer Gewinne ergebe sich aus einem steuerlichen Einlagenkonto keine Werterhöhung zugunsten der Minderheitsaktionäre. Umsatzsteuern seien sachgerecht berücksichtigt.
48
e. Auf der Basis von Inflationsunterschieden, Terminkursen und Analystenschätzungen habe der Vertragsprüfer eine Benachteiligung der Minderheitsaktionäre durch den Ansatz eines durchschnittlichen Wechselkurs USD/EUR von 1,17 für das Geschäftsjahr 2021, von 1,15 für das Geschäftsjahr 2022 sowie von 1,12 für die Geschäftsjahre 2023 bis 2025 verneinen können.
49
f. Ebenfalls sachgerecht sei die Ewige Rente abgeleitet worden; sie basiere auf der Annahme, die Gesellschaft werde unendlich lange Überschüsse erwirtschaften. Explizite Wechselkursannahmen seien nicht nötig, weil die Ewige Rente anhand künftig zu erwartender, durchschnittlicher operativer Margen abgeleitet werde. Die Ansätze seien angesichts eines enormen Preisdrucks in der Automobilzulieferindustrie und der zu beobachtenden Zyklizität der Automobilindustrie nicht zu pessimistisch. Auch sei das Wettbewerbsumfeld durch hohen Innovations- und Preisdruck geprägt, was bei zu hohen Preisvereinbarungen zu einem erhöhten Verlustrisiko von Marktanteilen führe. Die Ewige Rente schreibe sämtliche Umsatzsynergien ungeachtet naturgemäß erhöhter Unsicherheiten in voller Höhe fort. Sachgerecht sei der Ansatz einer nachhaltigen durchschnittlichen Profitabilität, weshalb die vergleichsweise äußerst hohe operative Ergebnismarge des Jahres 2025 nicht die Basis für den Terminal Value seien könne.
50
g. Die Planung bilde auch Synergieeffekte angemessen ab, indem erhebliche der von der Antragsgegnerin als Synergien eingeschätzte Maßnahmen alleine durch die O. AG realisierbar und bereits geplant seien. Bei vollständig in der O.-Gruppe abgebildeten Synergien handele es sich unter anderem um Einsparungen in den Bereichen Finanzen, Qualitätsmanagement, Vertrieb sowie um Einsparungen in der operativen Geschäftstätigkeit. Die den Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages voraussetzenden Synergien dürfe man in der Unternehmensbewertung nicht abbilden.
51
h. Die Ausschüttungsquote liege im Terminal Value in der Mitte der marktüblichen Bandbreite von 40% bis 60%. Die Thesaurierungen seien sachgerecht berücksichtigt worden. Der Verschuldungsgrad stelle sich als unmittelbare Folge der kurz- bis mittelfristigen Ausschüttungspolitik der O. AG dar; auch ziehe in niedrigerer Verschuldungsgrad einen niedrigeren Beta-Faktor mit der Folge eines höheren Unternehmenswertes nach sich.
52
2. Der Kapitalisierungszinssatz sei in all seinen Bestandteilen zutreffend angesetzt worden.
53
a. Der Basiszinssatz sei stichtagsbezogen mit Hilfe der Svensson-Methode zutreffend ermittelt und dann aufgrund von Veränderungen angepasst worden. Sachgerecht sei auch die Fortschreibung bis in die Ewigkeit mit der Rendite der am längsten laufenden Rendite von Null-Coupon-Anleihen. Die auf 1/10-Prozentpunkte vorgenommene Rundung könne nicht beanstandet werden. Ein Abzug wegen der Existenz von Credit Default Swaps verbiete sich wegen der quasi sicheren Investition in deutsche Staatsanleihen.
54
b. Der notwendigerweise anzusetzende und sachgerecht mit Hilfe des (Tax-) CAPM hergeleitete Risikozuschlag bedürfe keiner Anpassungen. Die zur Grundlage der Festsetzung der Marktrisikoprämie herangezogene Empfehlung des FAUB des IDW vom 25.10.2019 beruhe auf wissenschaftlichen Studien und empirischen Belegen. Das Niedrigzinsumfeld rechtfertige das Herabsetzung der Marktrisikoprämie nicht. Die Verwerfung des Heranziehens des unternehmenseigenen Beta-Faktors beruhe auf der sukzessiven Entkoppelung vom Marktgeschehen angesichts der Konfrontation der O. AG mit Übernahmeangeboten seit November 2018, die jeweils eine Veränderung des Börsenkurses um rund 8,6% nach sich gezogen hätten. Im Falle einer zunehmend konkretisierten Übernahmesituation könne eine hohe Liquidität nicht als Grund gegen eine Verzerrung des Aktienkurses angeführt werden. Die stattdessen herangezogene P. Group setzte sich aus insgesamt zehn vergleichbaren Unternehmen zusammen, die das systematische Risiko der Gesellschaft aufgrund ihrer Vergleichbarkeit zu den drei Geschäftseinheiten angemessen widerspiegeln würde. Sachgerecht erfolgt sei auch die Auswahl der für die Zwecke der Regression verwendeten Indizes, wofür das Heranziehen lokaler Indices wie auch des MSCI World Index zu einem stabilen Gesamtbild führe. Der fehlende Rückgriff auf tägliche Intervalle sei nicht zu beanstanden. Die Methodik des Un- und Relevern auf der Basis der Harris-Pringle-Gleichung sei in der Theorie anerkannt und in der Praxis häufig verwendet, wobei der verschuldete Beta-Faktor unter Berücksichtigung eines Debt Beta berechnet worden sei. Für eine Adjustierung bleibe kein Raum.
55
c. Der Wachstumsabschlag von 1% vor bzw. 0,87% nach persönlichen Steuern müsse nicht erhöht werden. Die Stellung der O. AG als Marktführer verlange dieses nicht angesichts der vollständigen fiktiven Zurechnung des thesaurierungsbedingten Wachstums im Zähler und der nicht möglichen Berücksichtigung organischen Wachstums im eingeschwungenen Zustand. Die allgemein am Markt beobachtbare Inflationsrate könne allenfalls ein erster Anhaltspunkt sein; maßgeblich sei vielmehr die individuelle Situation des Bewertungsobjekts. Für die Gesellschaft komme angesichts hoher regulatorische Unsicherheiten, der unzureichenden Wirkung operativer Effizienzprogramme, ambitionierter Wachstumsannahmen bei sinkenden Aufwendungen für Forschung & Entwicklung sowie Vertrieb und Verwaltung und eines bestehenden Abschreibungsüberhangs in der gesamten Planungsperiode ein Überwälzen der gesamten inflationsbedingten kostenseitigen Preissteigerungen an die Kunden nur in begrenztem Umfang in Betracht. Auch plane die O. AG dem Geschäftsjahr 2022 kein preisseitiges Wachstum. Der Wachstumsabschlag von 1% führe nicht zu einem realen Schrumpfen der Gesellschaft und stehe auch nicht in Widerspruch zu höheren Wachstumsabschlägen im Rahmen von früher ansetzenden Impairment-Tests.
56
3. Ein höherer Ansatz des nicht betriebsnotwendigen Vermögens verbiete sich angesichts seiner zutreffenden Herleitung. Sämtliche Beteiligungen seien sachgerecht bewertet worden. Aufgrund der Rückabwicklung des Joint Venture mit der C. AG bedürfe es keiner separaten Planung. Bei den Immobilien habe der Vertragsprüfer alle relevanten Unterlagen eingesehen und darauf aufbauend die Bewertung als Sondervermögen nachvollzogen. Das Immobilienvermögen in Südkorea könne wegen einer schon im Jahr 2018 erfolgten Veräußerung nicht mehr als Sonderwert einfließen. Die Planungsrechnung gehe von einem Wert von 8% der Umsatzerlöse als betriebsnotwendig aus und orientiere sich an dem in der Vergangenheit beobachteten Liquiditätsgrad. Sämtliche in der Planung enthaltenen Umsatzerlöse seien auch auf die Stärke der Marken zurückzuführen und daher in der Planung abgebildet.
57
4. Der Börsenkurs führe nicht zu einer höheren Barabfindung, weil der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs zutreffend über den Zeitraum vom 10.11.2019 bis zum 7.2.2020, dem letzten Handelstag vor der öffentlichen Ankündigung der Absicht zum Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zugrunde gelegt worden sei. Vorerwerbs- wie auch Nacherwerbspreise seien für die Höhe der Barabfindung ohne Bedeutung.
58
5. Nicht zu beanstanden sei die Bestimmung der angemessenen Ausgleichszahlung, wobei insbesondere bei dem durch den Ansatz des hälftigen Risikozuschlags hergeleitete Verrentungszinssatz kein Anpassungsbedarf bestehe. Fremdkapitalrenditen aufgrund der von der ams-Gruppe emittierten Anleihen seien bedingt durch die Übernahme und ihre Platzierung in einem noch durch die Corona-Krise beeinträchtigten Marktumfeld kurzzeitig erhöht gewesen, deren fehlende Nachhaltigkeit zum Stichtag bereits absehbar gewesen sei.
59
1. Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 23.12.2021, Az. 5HK O 4509/21 (Bl. 250 d.A.) Herrn Rechtsanwalt … zum gemeinsamen Vertreter der nicht selbst als Antragsteller am Verfahren beteiligten Aktionäre bestellt. Der Vorsitzende hat mit Verfügung vom selben Tag (Bl. 251 d.A.) die Veröffentlichung dieser Bestellung im Bundesanzeiger veranlasst. Der gemeinsame Vertreter rügt namentlich die Höhe der Marktrisikoprämie sowie des Beta-Faktors. Die durch die Antragsgegnerin selbst verursachte Marktverzerrung könne nicht dazu führen, den Beta-Faktor von 0,5 auf etwa 1,25 zu erhöhen. Zudem zeige die Ad hoc-Mitteilung vom 26.1.2021 samt der um rund 15% höheren Bewertung im Rahmen des Delisting-Angebots, dass es Zweifel gebe, inwieweit die bessere Entwicklung nicht tatsächlich schon zum Stichtag in der Wurzel angelegt gewesen sein könnte.
60
2. In der mündlichen Verhandlung vom 23.6.2022, 1.12.2022 und 2.12.2022 hat das Gericht die gerichtlich bestellten Vertragsprüfer – Herrn Wirtschaftsprüfer Dr. … P., Herrn Dr. … E., Frau Dr. … U. und Herrn Wirtschaftsprüfer Dr. … R. – mündlich angehört. Ferner hat das Gericht die Vertragsprüfer mit Beschluss vom 2.12.2022 gebeten, zu einzelnen Fragen der Unternehmensbewertung in einer ergänzenden Stellungnahme schriftlich Aussagen zu machen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung der mündlichen und schriftlichen Anhörung der Vertragsprüfer wird in vollem Umfang Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.6.2022 (Bl. 459/469 d.A.) sowie vom 1.12.2022 und vom 2.12.2022 (Bl. 550/576 d.A.), berichtigt durch Verfügungen vom 20.1.2023 und vom 26.1.2023 (Bl. 597 d.A. und Bl. 601 d.A.) sowie die allen Verfahrensbeteiligten übermittelte ergänzende Stellungnahme der Vertragsprüfer vom 7.12.2022 (Bl. 577/578 d.A.).
61
3. Die Antragsgegnerin zu 1) hat mit Schriftsatz vom 30.11.2022 (Bl. 533 d.A.) ihren Antrag zurückgenommen. Im Termin vom 23.6.2022 hat die Antragsgegnerin zu-gesagt, für den Fall von Antragsrücknahmen keine Kostenanträge zu stellen.
62
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des wechselseitigen Vortrags der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 23.6.2022 (Bl. 459/469 d.A.) und vom 1.12.2022 und 2.12.2022 (Bl. 550/576 d.A.).
63
Die Anträge auf Festsetzung einer höheren Barabfindung sind mit Ausnahme des Antrags der Antragstellerin zu 43) zulässig, aber nicht begründet.
64
Die Anträge aller Antragsteller, über die nach der Antragrücknahme der Antragstellerin zu 1) noch zu entscheiden ist, sind mit Ausnahme des Antrags der Antragstellerin zu 43) zulässig.
65
1. Diese Antragsteller sind antragsbefugt im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SpruchG, weil sie nicht nur dargelegt, sondern – soweit dies nicht von der Antragsgegnerin nicht von vornherein nicht bestritten oder im Laufe des Verfahrens unstreitig gestellt worden ist – auch bewiesen haben, dass sie im Zeitpunkt der Antragstellung, also des Eingangs des Antrags beim Landgericht München I, Aktionäre der O. AG waren. Dabei ist bei Namensaktien der Nachweis durch einen Auszug aus dem Aktienregister zu führen, weil die Vorschrift des § 67 Abs. 2 AktG, wonach gegenüber der Gesellschaft nur wie im Aktienregister als Aktionär eingetragene Person als Aktionär gilt, auch im Spruchverfahren Anwendung findet, auch wenn sich der Antrag gegen den anderen Vertragsteil, nicht die Gesellschaft richtet. § 67 Abs. 2 AktG bezieht sich auf die Ausübung aller mitgliedschaftlichen Rechte, die aus dem Anteil an der Gesellschaft resultieren. Dazu gehört auch das Recht, im Falle des Abschlusses eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages die angemessene Kompensation aus §§ 304, 305 AktG zu verlangen. Da diese Kompensation den außenstehenden Aktionär für die Beeinträchtigung bzw. den Verlust seiner mitgliedschaftlichen Rechte entschädigen soll und gerade keine Kaufpreisansprüche für die Veräußerung der Herrschaftsmacht darstellt, steht der beherrschende Rechtsträger dem eingetragenen Aktionär nicht wie jeder Dritterwerber gegenüber (vgl. OLG Hamburg NZG 2004, 45 f. = AG 2003, 694 = ZIP 2003, 2301 f. = BB 2004, 1295 f. = NJW-RR 2004, 125 f.; LG Frankfurt DB 2005, 1449, 1450; LG München I NZG 2010, 559 Ls. = BeckRS 2010, 1769; Wasmann in: Kölner Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 3 Spruch G Rdn. 24; Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand 1.1.2023, § 3 Rdn. 20; Theusinger/Deckers: in Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., § 3 SpruchG Rdn. 17 a; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 3 SpruchG, Rdn. 34; a. A. wenig überzeugend Dißars BB 2004, 1293).
66
a. Die Antragstellerin zu 64) hat durch Vorlage eines Auszugs aus dem Aktienregister mit Schreiben vom 1.12.2022 nachgewiesen, dass sie seit dem 27.10.2020 und auch am Tag des Eingangs ihres Antrags Aktionärin der O. AG war.
67
b. Der Antrag der Antragstellerin zu 43) ist dagegen wegen fehlender Antragsberechtigung unzulässig. Nachdem die Antragsgegnerin den entsprechenden Vortrag zur Antragsberechtigung bestritten hat, hätte es der Antragstellerin zu 43) oblegen, den Nachweis durch Vorlage eines Auszugs aus dem Aktienregister zu erbringen. Dies ist nicht geschehen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt gewillkürter Verfahrensstandschaft, bei der ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht wird und die auch im Spruchverfahren als zulässig angesehen werden muss (vgl. OLG Stuttgart NZG 2001, 854, 855 = AG 2001, 353, 354 f.; LG München I Der Konzern 2010, 196, 197; Klöcker/Wittgens in Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 3 SpruchG Rdn. 29; Wasmann in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 3 Rdn. 28; Büchel NZG 2003, 793, 795). Allerdings muss dieser Umstand innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SpruchG – also innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Bekanntmachung der Eintragung des Unternehmensvertrages im Handelsregister – zumindest im Ansatz dargelegt werden, also die Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen (vgl. LG München I Der Konzern 2010, 196, 197; Klöcker/Wittgens in Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 3 SpruchG Rdn. 29). Aufgrund der Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SpruchG muss die Antragsbegründung insbesondere die Darlegung der Antragsberechtigung enthalten. Daraus ist dann aber der Schluss zu ziehen, dass auch die Verfahrensstandschaft innerhalb dieser Frist offengelegt werden muss, was vorliegend nicht geschah. Die Antragstellerin zu 43) hat in ihrem Antragsschriftsatz auf Seite 3 ausdrücklich vorgetragen, „langjähriger Aktionär von O…“ zu sein und ihre Antragsberechtigung folge daraus, „dass sie das auch bei Antragstellung am heutigen 17.06.2021 noch“ sei. Angesichts dieses klaren Vortrags ist nicht erkennbar, dass hier ein fremdes Recht geltend gemacht werden könnte. Inwieweit eine Ausnahme bei Offenkundigkeit der gewillkürten Verfahrensstandschaft bestehen kann (so OLG Stuttgart NZG 2001, 854, 856 = AG 2001, 353, 355), muss hier nicht entschieden werden, weil dies in keiner Weise erkennbar war, zumal auch nicht ersichtlich ist, auf welcher rechtlicher Grundlage die Antragsgegnerin Zugriff auf das Aktienregister der O. AG hätte nehmen können. § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG gibt nur dem Aktionär einen Auskunftsanspruch, nicht aber anderen Aktionären, wozu auch die herrschende Gesellschaft im Vertragskonzern gehört.
68
2. Die Anträge wurden jeweils fristgerecht innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Nr. 1 SpruchG beim Landgericht München I eingereicht, also innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Bekanntmachung der Eintragung des Bestehens des Unternehmensvertrages im Handelsregister auf der Basis von § 10 HGB, die vorliegend am 31.3.2021 erfolgte. Daher endete die Frist am 30.6.2021. Spätestens an diesem Tag, dem 16.6.2014, gingen die Anträge aller Antragsteller beim Landgericht München I zumindest per Telefax und folglich fristwahrend ein, wie sich unmittelbar aus der Gerichtsakte ergibt.
69
3. Alle Antragsteller haben innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG sowohl hinreichend zu ihrer Antragsberechtigung vorgetragen als auch in Bezug auf die Angemessenheit der Kompensation konkrete Einwendungen erhoben, weshalb die Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 Satz 1 SpruchG erfüllt sind, auch soweit die Antragsgegnerin hiergegen Einwendungen vorgebracht hat.
70
a. Die Antragstellerin zu 5) hat in ihrer Antragsschrift hinreichend zu ihrer Antragsberechtigung vorgetragen, indem sie darauf verwies, bis zum Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages und auch darüber hinaus Aktionärin verblieben zu sein. Diese Ausführungen der anwaltlich nicht vertretenen Antragstellerin zu 5) sind dahingehend auszulegen, dass sie auch im Zeitpunkt der Antragstellung noch Aktionärin der Gesellschaft war, zumal sie insbesondere auch eine Anpassung des Ausgleichs beantragt. Eine gegenteilige, zur Unzulässigkeit führend Annahme wäre mit Grundsätzen zur Auslegung von Verfahrensanträgen nicht vereinbar. Bei der Auslegung verfahrensrechtlicher Bestimmungen ist nämlich zu beachten, dass es oberstes Ziel jeder Auslegung sein muss, möglichst dem materiellen Recht im Prozess zur Durchsetzung zu verhelfen und zu verhindern, dass der Prozess zum Rechtsverlust aufgrund einer zu strikten Auslegung von Verfahrensvorschriften führt (vgl. BVerfGE 84, 366, 369 f. = NJW 1992, 105; BGH NJW-RR 2010, 357; G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., Einleitung Rdn. 53). Gerade der Ausgleich setzt den Fortbestand der Aktionärseigenschaft voraus, weshalb diese materiell-rechtsfreundliche Auslegung gebietet, den Schriftsatz so auszulegen, dass die Antragstellerin zu 5) auch im Zeitpunkt des Eingangs ihres Antrags Aktionärin der O. AG war.
71
b. Alle Antragsteller haben innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG konkrete Einwendungen gegen die Angemessenheit der Kompensation erhoben, weshalb die Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 SpruchG erfüllt sind. Aufgrund dieser Vorschrift sind konkrete Einwendungen gegen die Angemessenheit nach § 1 SpruchG oder gegebenenfalls den als Grundlage für die Kompensation ermittelten Unternehmenswert in die Antragsbegründung aufzunehmen. Diesen Anforderungen werden alle Anträge gerecht, weil die Anforderungen an die Konkretisierungslast nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer in Übereinstimmung mit dem BGH nicht überspannt werden dürfen (vgl. BGH NZG 2012, 191, 194 = ZIP 2012, 266, 269 = WM 2012, 280, 283 = DB 2012, 281, 284; LG München I ZIP 2015, 2124, 2126; Beschluss vom 21.6.2013, Az. 5HK O 19183/09; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5HK O 22657/12; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand 1.4.2023, § 4 Rdn. 24). Die Antragsgegnerin hat insoweit auch keine Bedenken geäußert, weshalb weitere Ausführungen hierzu nicht veranlasst sind.
72
4. Auch der Antrag der im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Antragstellerin zu 11) ist zulässigerweise gestellt worden. Dabei muss die Kammer nicht abschließend entscheiden, ob die Bestellung eines Ergänzungspflegers entbehrlich ist, wie die Kammer im Anschluss an das Amtsgericht München, Az. 524 F 11609/18 RE entschieden hat oder ob mit Blick auf die Erteilung einer Prozessvollmacht als rechtlich nachteiliges Geschäft (vgl. BGH FamRZ 1975, 480 f.) ein Ergänzungsträger hätte bestellt werden müssen. Denn selbst wenn man diese Pflicht bejahen würde, muss nämlich davon ausgegangen werden, dass die Mutter der Antragstellerin zu 11) den Vater konkludent ermächtigt hat, den Antrag auch in ihrem Namen für ihre Tochter zu stellen.
73
5. Die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerin zu 30) als Erbengemeinschaft ist entgegen Teilen der Rechtsprechung und Literatur (vgl. OLG Stuttgart AG 2019, 262 = ZIP 2019, 1218, 1219; OLG Frankfurt NZG 2020, 339, 340 = ZIP 2020, 810, 811; Drescher in: Beck OGK SpruchG, Stand: 1.4.2023, § 3 Rdn. 27) zu bejahen. Nach §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG sind beteiligtenfähig Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Der BGH hat zwar bezüglich der Partei- und Rechtsfähigkeit einer Erbengemeinschaft wiederholt entschieden, dass diese zu verneinen sei, weil die Miterbengemeinschaft nicht auf Dauer, sondern auf Auseinandersetzung angelegt sei und nicht über eigene Organe verfüge, durch die sie im Rechtsverkehr handeln könnte; deshalb soll sie kein eigenständiges, handlungsfähiges Rechtssubjekt sein, sondern lediglich eine gesamthänderisch verbundene Personenmehrheit, der mit dem Nachlass ein Sondervermögen zugeordnet ist (vgl. BGH NJW 2002, 3389, 3390 = WM 2002, 393, 394 = WuM 2002, 601, 602 = NZM 2002, 950, 951 = FamRZ 2002, 1621 f. = RPfleger 2002, 625 f. = ZMR 2002, 907, 908 = MDR 2002, 81; NJW 2006, 3715 f. = WuM 2006, 695 = NZM 2006, 944, 945 = FamRZ 2007, 41, 42 = DNotZ 2006, 134, 135 = RPfleger 2007, 75, 76 = ZMR 2007, 26, 27; Staudinger-Löhnig, BGB, Neubearb. 2020, § 2032 Rdn. 10; Palandt-Weidlich, BGB, 82. Aufl., Einf v § 2032 Rdn. 1; Erman-Bayer, BGB, 16. Aufl., § 2032 Rdn. 1; a.A. Grunewald AcP 197 [1997], S. 305 ff.; E…-Boges ZEV 2002, 125, 127 ff.). Die Kammer muss nicht abschließend entscheiden, inwieweit der von der überwiegend vertretenen Auffassung zur fehlenden Rechts- und Parteifähigkeit einer Miterbengemeinschaft zu folgen ist. Die vom BGH im Zivilprozessrecht entwickelten Grundsätze lassen sich nämlich angesichts der Besonderheiten des Aktienrechts nicht auf die Beteiligtenfähigkeit im Spruchverfahren übertragen. Die über die Verweisungsnorm des § 17 Abs. 1 SpruchG anwendbare Regelung des § 8 Nr. 2 FamFG geht nämlich von einem im Vergleich zur Parteifähigkeit des § 50 ZPO weiteren Begriff der Beteiligtenfähigkeit aus, der dazu führt, dass angesichts der Besonderheiten des materiellen Aktienrechts eine Miterbengemeinschaft Beteiligte eines Spruchverfahrens sein kann. Es ist weithin unstreitig, dass eine Miterbengemeinschaft Aktien halten kann, wie dies insbesondere von § 69 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 AktG vorausgesetzt wird (vgl. nur Staudinger-Löhnig, BGB, a.a.O., § 2032 Rdn. 57; Cahn in: BeckOGK AktG, Stand: 1.4.2023, § 69 Rdn. 7; Bezzenberger in: Schmidt/Lutter, a.a.O., § 69 Rdn. 3; Lohr in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 69 Rdn. 4). Steht eine Aktie mehreren Berechtigten zu, so können sie die Rechte aus der Aktie gemäß § 69 Abs. 1 AktG nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben. Zudem muss auch aus der Regelung über die Empfangszuständigkeit von Willenserklärungen gegenüber mehreren Erben in § 69 Abs. 3 Satz 2 AktG die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Erbengemeinschaft vom Regelungsgehalt des § 69 AktG erfasst sein muss. Die weitere Voraussetzung des § 69 Abs. 1 AktG in Form der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch die Antragstellerin zu 5) ist gleichfalls zu bejahen, weil in einem Rechtsstreit ein gemeinsamer Verfahrensbevollmächtigter zugleich deren Vertreter gegenüber der Gesellschaft oder nach einer das Aktieneigentum berührenden Strukturmaßnahme wie einen Squeeze out gegenüber dem Hauptaktionär sein kann (vgl. Bezzenberger in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 69 Rdn. 7a). Dann aber kann der Erbengemeinschaft ein Recht zustehen. Als Aktionärin hat sie nämlich einen Anspruch auf eine angemessene Kompensation. Damit einhergehen muss aber die verfahrensrechtliche Möglichkeit, die Angemessenheit der von der Hauptversammlung beschlossenen Kompensation in einem Spruchverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Folglich muss die Erbengemeinschaft auch beteiligtenfähig im Sinne der §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG sein. Doch selbst die Gegenauffassung konzediert, dass dann die einzelnen Erben, an deren Stellung die Kammer keinen begründeten Zweifel hegt, als Antragsteller anzusehen sind (vgl. OLG Stuttgart ZIP 2019, 1218, 1219; OLG Frankfurt NZG 2020, 339, 340 = ZIP 2020, 810, 811).
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6. Die Antragstellerin zu 42) ist verfahrensführungsbefugt. Sie ist im Aktienregister als Aktionärin eingetragen und macht geltend, für ein Sondervermögen zu handeln. Da sie im Aktienregister eingetragen ist, steht ihr auch das Antragsrecht im Spruchverfahren zu (vgl. Bayer/Schmidt ZHR 178 [2014], S. 150, 171 f.). Eine nach Antragsstellung erfolgte Migration des GREIFF Fonds zu einer anderen Kapitalanlagegesellschaft muss in dem Spruchverfahren in analoger Anwendung von § 265 Abs. 2 ZPO unbeachtlich sein (vgl. BayObLGZ 2002, 56, 61 f. = NZG 2002, 877, 878; Koch, AktG, 17. Aufl. § 3 SpruchG Rdn. 5a; Drescher in: Beck OGK SpruchG, a.a.O., § Rdn. 24).
75
Die Anträge auf Festsetzung einer höheren Barabfindung sind, soweit sie zulässig sind, jedoch nicht begründet, weil die in der Hauptversammlung auf § 45, 54 je Aktie erhöhte Abfindung auf § 5 Ziffer 1 des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages als angemessen angesehen werden muss.
76
Ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag hat gemäß § 305 Abs. 1 AktG die Verpflichtung des anderen Vertragsteils zu erhalten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Vertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben. Die angemessene Barabfindung muss dabei aufgrund von § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen. Aufgrund von § 305 Abs. 2 Nr. 2 AktG muss der Vertrag in den Fällen, in denen der andere Vertragsteil eine abhängige oder in Mehrheitsbesitz stehende Aktiengesellschaft und das herrschende Unternehmen eine Aktiengesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, entweder die Gewährung von Aktien der herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Gesellschaft oder – wie hier – eine Barabfindung enthalten. Die angemessene Barabfindung muss dabei aufgrund von § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG die Verhältnisse der Hauptversammlung im Zeitpunkt des Beschlusses über den Vertrag berücksichtigen.
77
Die Barabfindung ist dann angemessen, wenn sie dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist, die also den vollen Wert seiner Beteiligung entspricht. Zu ermitteln ist also der Grenzpreis, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann (vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 18.5.2022, Az. 101 ZBR 97/20; OLG München WM 2009, 1848 f. = ZIP 2009, 2339, 2340; ZIP 2007, 375, 376; AG 2020, 133, 134 f. = WM 2019, 2104, 2106; NZG 2022, 362, 364; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514 = ZIP 2012, 124, 126; Beschluss vom 28.3.2014, Az. 21 W 15/11, zit. nach juris; OLG Stuttgart ZIP 2010, 274, 276 = WM 2010, 654, 646; OLG Frankfurt AG 2017, 790, 791 = Der Konzern 2018, 74, 75; OLG Düsseldorf AG 2019, 92, 94 = ZIP 2019, 370, 373 = DB 2018, 2108, 2111; LG München I AG 2016, 51, 52 = ZIP 2015, 2124, 2127; AG 2020, 222, 223; Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5HK O 17096/11; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15, Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5HK O 5884/20).
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Der für die Abfindung je Aktie maßgebliche Unternehmenswert wurde dabei im Ausgangspunkt zutreffend unter Anwendung der Ertragswertmethode ermittelt, bei der es sich um eine in der Wissenschaft wie auch der Praxis anerkannte Vorgehensweise handelt (vgl. hierzu nur Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., S. 337 f.), die folglich auch der Ermittlung des Unternehmenswertes der O. AG zugrunde gelegt werden kann. Danach bestimmt sich der Unternehmenswert primär nach dem Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens; er wird ergänzt durch eine gesonderte Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, das regelmäßig mit dem Liquidationswert angesetzt wird.
79
Der Ertragswert eines Unternehmens wird dabei durch Diskontierung der den Unternehmenseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse gewonnen, die aus den künftigen handelsrechtlichen Erfolgen abgeleitet werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es einen exakten oder „wahren“ Unternehmenswert zum Stichtag nicht geben kann. Vielmehr kommt dem Gericht die Aufgabe zu, unter Anwendung anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden den Unternehmenswert als Grundlage der Abfindung im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zu bestimmen (vgl. nur BGHZ 208, 265, 272 = NZG 2016, 461, 462 = AG 2016, 359, 360 f. = ZIP 2016, 666, 668 = WM 2016, 711, 713 f. = DB 2016, 883, 885 = MDR 2016, 658 f. = NJW-RR 2016, 610, 611 f.; OLG München WM 2009, 1848, 1849 = ZIP 2009, 2339, 2340; AG 2007, 287, 288; NZG 2022, 362, 364 f.; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; Beschluss vom 9.4.2021, Az. 31 Wx 2/19; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 130; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2224; AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71, 72 = WM 2016, 1685, 1687; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514 = ZIP 2012, 124, 126; LG München I Der Konzern 2010, 188, 189; AG 2016, 51, 52 = ZIP 2015, 2124, 2127; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 16513/11; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 15685/15; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5HK O 5884/20). Dabei ist es nicht geboten, zur Bestimmung des wahren „Wertes“ stets jede denkbare Methode der Unternehmensbewertung heranzuziehen oder die Kompensationsleistung nach dem Meistbegünstigungsprinzip zu berechnen. Verfassungsrechtlich geboten sind nur die Auswahl einer im vorliegenden Fall geeigneten, aussagekräftigen Methode und die gerichtliche Überprüfbarkeit ihrer Anwendung (vgl. BVerfG NJW 2011, 2497, 2498 = NZG 2011, 869, 870 = AG 2011, 511 f. = ZIP 2011, 1051, 1053 = WM 2011, 1074, 1075 f. = BB 2011, 1518, 1520; NZG 2012, 907, 908 f. = AG 2012, 625, 626 = ZIP 2012, 1408, 1410 = WM 2012, 1374, 1375 = BB 2012, 2780 f.; OLG München AG 2020, 133, 134 = WM 2019, 2104, 2106; Beschluss vom 30.7.2018, Az. 31 Wx 136/16; OLG Düsseldorf AG 2016, 864, 865). Die Ertragswertmethode ist – wie ausgeführt – in Rechtsprechung und Literatur wie auch der bewertungsrechtlichen Praxis weithin anerkannt. Auch bei dem Standard IDW S1 handelt es sich um eine fachliche Bewertungsweise, mit deren Hilfe der Ertragswert bestimmt werden kann. Die Kammer sieht diese Methode, auch wenn sie von einem privaten Verein entwickelt wurde und daher keinen bindenden Rechtsnormcharakter haben kann, als zur Unternehmenswertermittlung geeignet an, weshalb sie hier zugrunde gelegt werden kann.
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Die Möglichkeit, den Unternehmenswert anhand des Ertragswertverfahrens entsprechend den Grundsätzen des IDW S1 sachgerecht zu ermitteln, zeigt sich letztlich auch aus der Wertung der §§ 199 ff. BewG. Aufgrund von § 201 BewG bildet der zukünftig nachhaltig zu erzielende Jahresertrag die Grundlage für die Bewertung bei steuerlichen Anlässen. Dieses Verfahren ist zwar von Typisierungen und Vereinfachungen geprägt, um die steuerliche Abwicklung zu erleichtern (vgl. Krumm in: Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, 39. Erg.Lfg, Stand: Oktober 2021, Kap. 94 Rdn. 25), orientiert sich aber von der Methodik her an den Grundsätzen des Ertragswertverfahrens entsprechend dem Standard IDW S1, wie es sich in der – auch von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung gebilligten – Praxis durchgesetzt hat. Der Gesetzgeber geht in §§ 199 ff. BewG sehr wohl davon aus, dass sich der Unternehmenswert auf diese Art und Weise durch Kapitalisierung der künftig zu erzielenden Überschüsse ermitteln lässt, wie dies auch dem Standard IDW S1 zugrunde liegt (vgl. auch OLG München AG 2020, 133, 136 = WM 2019, 2104, 2113 f.). Daher ist den im Hinweisbeschluss des Landgerichts Köln, Az. 82 O 2/16 geäußerten Zweifeln an der Tragfähigkeit der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts nach dem Standard IDW S1 nicht zu folgen.
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Diesem Ansatz lässt sich auch nicht entgegenhalten, die Berechnung müsse in Anlehnung an die Best Practice-Empfehlungen der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management zumindest plausibilisiert werden. Die Ertragswertmethode ist in der betriebswirtschaftlichen Lehre und Praxis weithin anerkannt und üblich, weshalb sie entsprechend den Vorgaben insbesondere auch des BGH der Ermittlung des Unternehmenswerts als Grundlage der angemessenen Barabfindung bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen zugrunde gelegt werden kann. Angesichts dessen bedarf es nicht zwingend einer weiteren Überprüfung durch eine andere Methode, die zudem nicht unerheblicher Kritik in der Fachliteratur ausgesetzt ist, weil das Konzept des markttypischen Erwerbers sich vom relevanten Bewertungsobjekt unzulässiger Weise entferne und es auch zu einer unzulässigen Doppelberücksichtigung der Unsicherheit im Bewertungskalkül komme (vgl. Olbrich/Rapp CF 2012, 233 ff.; auch Quill, Interessengeleitete Unternehmensbewertung – Ein ökonomisch-soziologischer Zugang zu einem neuen Objektivismusstreit, Diss. Universität des Saarlandes, 2016, S.330 f.). Auf eine variable Bandbreite abzielende Empfehlungen sind keinesfalls besser geeignet als die Ertragswertmethode, weil eine Bandbreite keine angemessene Barabfindung darstellen kann, nachdem diese auf einen bestimmten Betrag lauten muss.
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Für die O. AG ergibt sich zum Stichtag der Hauptversammlung am 3.11.2020 auf dieser Grundlage ein Unternehmenswert von € 4.290 Mio. und damit eine Abfindung von € 45,54 je Aktie.
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1. Grundlage für die Ermittlung der künftigen Erträge ist die Planung der Gesellschaft, die auf der Basis einer Vergangenheitsanalyse vorzunehmen ist und vorliegend auch vorgenommen wurde. Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens sind die in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und die darauf aufbauenden Prognosen ihrer Erträge allerdings nur eingeschränkt überprüfbar. Sie sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen haben auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen aufzubauen; sie dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein. Kann die Geschäftsführung auf dieser Grundlage vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, darf diese Planung nicht durch andere – letztlich ebenfalls nur vertretbare – Annahmen des Gerichts oder anderer Verfahrensbeteiligter ersetzt werden (vgl. BVerfG NJW 2012, 3020, 3022 = NZG 2012, 1035, 1037 = AG 2012, 674, 676 = ZIP 2012, 1656, 1658 = WM 2012, 1683, 1685 f.; OLG München BB 2007, 2395, 2397; ZIP 2009, 2339, 2340 = WM 2009, 1848, 1849; NZG 2022, 362, 367 f.; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG Stuttgart NZG 2007, 112, 114; AG 2006, 420, 425; 2007, 705, 706). Demzufolge kann eine Korrektur der Planung nur dann erfolgen, wenn diese nicht plausibel und unrealistisch ist (vgl. OLG München WM 2009, 1148, 1849 = ZIP 2009, 2339, 2340; OLG Frankfurt ZIP 2010, 729, 731; OLG Karlsruhe AG 2013, 353, 354; OLG Stuttgart AG 2014, 291, 296 f.; OLG Düsseldorf AG 2015, 573, 575 = Der Konzern 2016, 94, 96 = DB 2015, 2200, 2202; LG München I Der Konzern 2010, 188, 189 f.; ZIP 2015, 2124, 2127; Beschluss vom 28.6.2013, Az. 5HK O 18685/11; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 16513/11; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5HK O 5884/20). Diese Grundsätze wurden bei der O. AG zutreffend angewandt.
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a. Dies gilt zunächst für die allgemeinen Erwägungen, auf denen die Planung der Gesellschaft beruht.
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(1) Die die Geschäftsjahre 2020 bis 2025 umfassende Planung der O. AG, die der Ermittlung der Abfindung zugrunde lag, entsprach dem üblichen Planungsprozess der Gesellschaft, der nach einem Gegenstromverfahren erfolgt, das bottom up- und top down-Elemente vereint. Bei seiner Anhörung verwies der gerichtlich bestellte Vertragsprüfer auf einen am Anfang der Planung stehenden und ca. vier Seiten umfassenden Planning Letter, der an alle Einheiten versandt wurde und Zielgrößen enthielt. Dabei sollte von einem Preisverfall ausgegangen werden, dem durch Produktivitätssteigerungen begegnet werden soll. Wechselkurse und Lohnsteigerungen wurden vorgegeben. Die Planung selbst erfolgte dann aufgrund von Marktdaten von IHS Markit sowie den Einschätzungen des Vertriebs sehr kleinteilig. So wird beispielsweise angegeben, wie hoch der Absatz für einen Audi A4 im Jahr 2023 sein soll und welcher Anteil an Fern- und Abblendlicht, Front- und Innenbeleuchtung abgesetzt werden soll. Zudem erfolgte eine Aufteilung nach den Technologien Halogen oder LED. Abschließend kommt es zur Festlegung der durchschnittlichen Verkaufspreise, woraus sich dann das Marktvolumen in Euro für die Absatzmärkte der O. AG weltweit ergibt. Dieses Modell ist strategischer Bestandteil der Planung der Gesellschaft und lag demgemäß auch hier zugrunde.
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Die Prüfer wiesen auf zwei erforderliche Anpassungen hin, die Korrekturen erforderlich machten. Zum einen musste das Joint Venture mit der C. AG in die Planung einfließen, weil die Rückabwicklung die Planung strukturell änderte, nachdem das Joint Venture voll konsolidiert war und die jeweils eingebrachten Vermögenswerte bis zum Ende des Geschäftsjahres 2021 zurückübertragen werden sollten. Daher kam es Anfang September zu einer entsprechenden Aktualisierung der Planung. Diese Anpassung war indes notwendig, weil die Planung andernfalls die zum Stichtag bereits angelegte Rückabwicklung nicht abgebildet hätte und somit nicht mehr aktuell gewesen wäre. Zum anderen wurde die Planung um die Synergieeffekte ergänzt, die im normalen Planungsprozess keine Rolle spielen.
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Das Jahr 2020 wurde insofern in der Planung berücksichtigt, als dieses Jahr aus faktischen Gründen zur Ermittlung des Ertragswerts zum 3.11.2020 benötigt wurde, weil für die Bewertung eine Aufsatzbilanz erforderlich ist und demgemäß wurden die Ergebnisse vom bewertungstechnischen Stichtag am 30.09.2019 auf den maßgeblichen Stichtag der Hauptversammlung entsprechend aufgezinst.
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(2) Für eine unzulässige Anlassplanung mit dem Ziel der Einflussnahme der Antragsgegnerin, die Abfindung zum Nachteil der Minderheitsaktionäre zu reduzieren, sieht die Kammer keine Anhaltspunkte. Die Vertragsprüfer wiesen im Rahmen ihrer Anhörung insbesondere auf deutlich niedrigere Übernahmeangebote zu je € 35 hin, die erheblich unter dem von der Bewertungsgutachterin ermittelten Abfindungsbetrag lagen. Weiterhin muss gesehen werden, dass sich der damalige Vorstandsvorsitzende der O. AG sehr für gute Angebote eingesetzt hat. Die Planungssystematik, die zu einem erheblichen Teil bottom up in einem kleinteiligen Ansatz erfolgte, spricht ebenfalls gegen die Möglichkeit der Einflussnahme durch Organmitglieder der Antragsgegnerin oder ihrer Muttergesellschaft.
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(3) Die die drei Jahre 2017 bis 2019 umfassende Vergangenheitsanalyse lässt nicht auf eine fehlerhafte Planungssystematik schließen. Diese verfolgt in erster Linie den Zweck zu ermitteln, inwieweit die für die Ermittlung des Ertragswerts wesentlichen und bestimmenden Zukunftsprognosen tragfähig und plausibel sind (vgl. OLG Frankfurt AG 2020, 955, 958; LG München I AG 2020, 222, 224 = Der Konzern 2020, 311, 312). Der hierfür heranzuziehende Betrachtungszeitraum beträgt üblicherweise zwei bis drei Jahre, wie der Kammer aus einer Vielzahl bei ihr anhängiger Spruchverfahren bekannt ist. Allein die Tatsache, dass es im Jahr 2019 zu einer Planunterschreitung beim EBITDA von 66,2% kam, rechtfertigt keinen Rückschluss auf die Unzuverlässigkeit der Planung. Herr Dr. P. verwies zur Begründung auf nicht vorhersehbare Ereignisse, die sich negativ auf die Umsatzzahlen und das EBITDA auswirkten. Er nannte in diesem Zusammenhang in erster Linie den während der Präsidentschaft von Donald Trump auftretenden Handelskrieg zwischen China und den USA – also Staaten, die wichtige Absatzmärkte für die O. AG sind. Ebenso wirkte sich der Dieselskandal in der Automobilindustrie als eine der wichtigsten Abnehmerbranchen der Gesellschaft negativ bei dieser aus. Die Planung stammt aus dem Jahr 2018, in dem sich daraus resultierende, wenn auch nicht quantifizierbare Einflüsse noch auswirkten. Das Bewertungsgutachten von P… verweist weiterhin darauf, dass die Geschäftseinheit Digital in den Geschäftsjahren 2018 und 2019 mit einer Knappheit an Komponenten konfrontiert war, was in Kombination mit der verzögerten Eröffnung eines neuen Werks gleichfalls nachvollziehbar zu der beschriebenen Planverfehlung führte. Angesichts eines hohen Wettbewerbs- und Preisdrucks ist ein deutlich sinkendes EBITDA nachvollziehbar.
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Demgegenüber konnte im Geschäftsjahr 2019 eine hohe Planungstreue festgestellt werden. Gerade der Vergleich mit einem relativ stabilen Geschäftsjahr macht deutlich, dass von einer hohen Planungsgüte ausgegangen werden kann. Die schlechtere Entwicklung beim Plan-Ist-Vergleich in den Folgejahren lässt sich auf markoökonomische Faktoren zurückführen. Eine Abweichung im ersten Planjahr von + 1,7% und beim bereinigten EBITDA von + 3,7% spricht angesichts des prognostischen Charakters jeder Planung für einen qualitativ hochwertigen Planungsprozess. Die in den beiden nachfolgenden Planjahren 2 und 3 zu beobachtende größere Abweichung der Ist- von den Planzahlen entspricht den Erfahrungen der Vertragsprüfer wie auch der Kammer aus einer Vielzahl von Spruchverfahren, in denen ähnliche Beobachtungen gemacht wurden. Die zunehmende Entfernung vom Zeitpunkt der Planung führt vermehr zu Auswirkungen von Ereignissen, die sich nicht vorhersehen ließen.
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(4) Soweit die Planung den Wechselkurs USD/EUR mit 1,17 im Planjahr 2021, mit 1,15 im Planjahr 2022 und mit 1,12 in den Planjahren von 2023 bis 2025 ansetzte, kann darin kein Nachteil zu Lasten der Minderheitsaktionäre gesehen werden. Die sich im Rückgang des Wechselkurses reflektierende Aufwertung des US-Dollar führt dazu, dass die in US-Dollar abgebildeten Zahlungsströme mehr wert sind und der Ertragswert steigt. Die Prüfer wählten zur Plausibilisierung der Währungsumrechnung einen Ansatz, der die gängigen Methoden in diesem Bereich berücksichtige, wobei sich keine dieser Methoden in der Praxis als herrschend durchsetzen konnte. Die Vertragsprüfer gelangten dabei zu der Erkenntnis, dass die Ermittlung über Analystenschätzungen, Forward Rates und Kaufkraftparität in keinem Fall zu einem geringeren USD/EUR-Wechselkurs geführt hätten. Bei der Prüfung wurde nach der Aussage von Herrn Dr. P. gerade dieser Aspekt intensiv diskutiert. Da aber die angesetzten Zahlen hoch blieben, zeigt dieser Umstand, dass die Planung nicht von der Antragsgegnerin vorgegeben gewesen sein kann.
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Bei der Umsatzplanung kann kein Korrekturbedarf bejaht werden.
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Aus dem Lagebericht vom 2.12.2020, in dem von einer erwarteten Steigerung der Umsatzerlöse um 6% bis 10% und einer bereinigten EBITDA-Marge von 9% bis 11% ausgegangen wurde, lässt sich nicht die Schlussforderung ziehen, das Wachstum der Umsätze für 2021 von € 3.020 Mio. auf € 3.198 Mio. oder um 5,9% und die im Jahr 2021 angenommene EBITDA-Marge von 8,3% seien zu pessimistisch. Die Planung für das Geschäftsjahr 2021 enthielt nach den Ausführungen von Herrn Dr. P. im Termin vom 23.6.2021 Transformationskosten in einem Umfang von € 83 Mio., die in der Prognose für 2021 im Geschäftsbericht vom 2.12.2021 bereinigt wurden. Bei einer Erhöhung des EBITDA um diese Transformationskosten gelangt man zu einer EBITDA-Marge von etwa 11%. Bei einer vergleichbaren Berechnungsbasis kann folglich nicht von einem Widerspruch zu dem etwa einen Monat nach dem Stichtag veröffentlichten Geschäftsbereich der Gesellschaft ausgegangen werden.
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Soweit die Ad hoc-Mitteilung vom 26.1.2021 ein erwartetes Umsatzwachstum von 10% bis 14% statt 6% bis 10% nennt, kann daraus keine zu pessimistische Planung abgeleitet werden. Aus den von den Vertragsprüfern mit den Mitarbeitern des Rechnungswesens und des Vorstands geführten Stichtagsgesprächen Ende November 2020 ergaben sich keine Hinweise auf geänderte Einschätzungen hinsichtlich der Umsatzentwicklungen. Die Hochrechnung 2020 wich nur geringfügig von den damals vorliegenden aktuellen Zahlen ab. Der Umsatz lag um 0,5% und das EBITDA um € 8 Mio. höher, während das EBIT um € 4 Mio. niedriger lag. Bei diesen geringfügigen Abweichungen, die zudem bei wesentlichen Parametern in beide Richtungen gingen, konnte die Aufsatzbilanz zum 30.9.2020 zugrunde gelegt werden. Die Zahlen von IHS Markit wiesen nach Auskunft von Herrn Dr. P. um einen Tick bessere Zahlen als zuvor aus, wobei der Effekt aus der zweiten Corona-Welle gerade nicht abgebildet war. Die Planung ging davon aus, dass die pandemiebedingten Einbrüche im dritten Quartal des Geschäftsjahres, mithin im Zeitraum von April bis Juni 2021 wieder aufgeholt sein würden. Diese Planannahmen müssen als plausibel bezeichnet werden. Zum allein maßgeblichen Stichtag der Hauptversammlung herrschte innerhalb der Epidemiologen keine Einigkeit darüber, wie sich die Covid-19-Pandemie weiterentwickeln würde. Ein wirksamer Impfstoff war zum Stichtag der Hauptversammlung noch nicht zugelassen. P. und Bi. schlossen die Phase-3-Studien erst mehr als zwei Wochen nach der Hauptversammlung ab; eine Zulassung der Impfstoffe konnte erst zu einem noch späteren Zeitpunkt beantragt werden. Moderna als einer der bedeutendsten Produzenten eine wirksamen Vakzins stellte – gerichtsbekannt – einen Antrag auf Zulassung des Impfstoffes Ende November 2020 für die Europäische Union und die USA als zentrale Märkte für die O. AG – mithin mehrere Wochen nach der Hauptversammlung als maßgeblichem Stichtag. Im Zeitpunkt der Hauptversammlung war in Deutschland erneut ein – wenn auch weicher Lockdown – beschlossen worden. Auch in anderen wichtigen Staaten der Europäischen Union waren massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens angeordnet worden, was sich auf die wirtschaftliche Entwicklung negativ auswirken konnte und Prognosen für die weitere Entwicklung erschwerten. Auch wenn die Wirtschaft von einschränkenden Maßnahmen wie im ersten Lockdown vom März 2020 nach den Beschlüssen der Bund-Länder-Konferenz vom 28.10.2020 nicht oder zumindest bei weitem nicht so stark betroffen sein sollte, muss gesehen werden, dass die Konsumbereitschaft in wirtschaftlich extrem schwierigen Zeiten gerade auch in Automobile nicht so ausgeprägt ist, was sich für ein Unternehmen der Zulieferindustrie wie die O. AG negativ auswirkt. Deutlich negative Auswirkungen muss dieser Lockdown gerade auch in der Unterhaltungsbranche habe, mit der die Geschäftseinheit Digital Umsätze erwirtschaftet.
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Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch der Hinweis von Herrn M… von P… im Termin vom 23.6.2022, dass die Analystenschätzungen im zeitlichen Umfeld der Ad hoc-Mitteilung vom 26.1.2021 ebenfalls deutlich besser ausfielen, als die noch zum Tag der Hauptversammlung verfügbaren Analystenschätzungen. Im Vergleich zur stichtagsbezogenen Situation meldeten sie massive Umsatz- und Ertragssteigerungen – beim Umsatz war ein Plus von 4,1% im Durchschnitt zu verzeichnen. Beim Ergebnis meldeten auch die Vergleichsunternehmen eine relative Steigerung von 46%. Aus diesen Zahlen kann zur Überzeugung der Kammer sehr wohl der Schluss gezogen werden, dass diese Entwicklung erst nach dem Stichtag der Hauptversammlung eingetreten ist und zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Wurzel angelegt war. Hierfür spricht auch die extreme Volatilität und Schnelllebigkeit der Absatzmärkte für Automobilbeleuchtung, auf die Herr M. verwiesen hat. Auch die von ihm geführten Stichtagsgespräche hatten nach seinen Angaben keinen Hinweis auf eine Tendenz hinsichtlich höherer Volumina bei den Absatzzahlen ergeben, durch die eine Preiserosion im einstelligen Prozentbereich hätte ausgeglichen werden können.
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Die in der Planung zugrunde gelegte Umsatzentwicklung im Segment Automotive bedarf angesichts ihrer Plausibilität keiner Korrekturen.
97
Diese Geschäftseinheit sieht im Geschäftsjahr 2021 ein Umsatzvolumen von € 1.717 Mio. vor, das bis auf € 2.021 im Geschäftsjahr 2025 ansteigen soll. Ausgehend vom Geschäftsjahr 2020 gelangt man zu einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 5,1% pro Jahr – die in einigen Anträgen genannte Wachstumsrate von 2,1% stellt sich als das geometrische Mittel unter Einschluss des Jahres 2019 dar, wobei dieser Zeitraum gewählt wurde, um einen einheitlichen Vergleichszeitraum mit den Marktstudien zu haben.
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Dieses Segment ist von gegenläufigen Entwicklungen geprägt, was bei der Beurteilung der Plausibilität der Planung berücksichtigt werden muss. Der traditionelle Bereich Halogen wird aufgrund von Vorgaben entsprechend den Verordnungen der Europäischen Union auslaufen, weshalb hier jedenfalls kein überdurchschnittliches Wachstum angenommen werden kann. Dagegen geht die Planung von einem starken Anstieg im LED-Bereich aus. Zwar werden die Halbleiter hierfür im Bereich Opto Semiconductors gefertigt; doch fließt ein Teil davon in die Geschäftseinheit Automotive.
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Die Annahme des Vorstands, das Vor-Corona-Niveau werde im Zeitraum von April bis Juni 2021 erreicht, muss als plausibel angesehen werden. Herr Dr. P. erläuterte im Termin vom 1.12.2022, das Marktmodell als Grundlage der Planung decke die Markterwartungen gerade auch mit der zunehmenden Penetration von LED ebenso ab wie die Entwicklung in China einschließlich des Bereichs der Premiumfahrzeuge. Aufgrund der Erläuterung des Marktmodells durch den Vorstand fanden die Vertragsprüfer bei ihren Analysen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass regionale oder technologische Entwicklungen ausgeblendet gewesen sein könnten.
100
Ebenso wenig vernachlässigt die Planung die folgende Auflösung des Joint Venture O. C. GmbH mit der Folge eines künftig höheren Wertschöpfungsanteils der Scheinwerfer, weil die Gesellschaft nicht nur als Kfz-Zulieferer, sondern auch als Systemlieferant in Richtung auf Software und Algorithmen aufgestellt sein werde. Die Vertragsprüfer erläuterten die Abbildung des Joint Venture in der ursprünglichen Planung im Bereich Automotive mit einem Marktpotential für den gesamten vom Joint Venture angestrebten Markt und einem angenommenen Anstieg von € 5 bis € 10 Mrd. bei den Erlösen. Hintergrund dieses Ansatzes war der Transfer aller relevanten Kunden von der C. AG auf das Joint Venture. Allerdings brachte dieses keine Erträge; vielmehr waren hohe Finanzierungsbeiträge notwendig, um negative Cashflows abzudecken. Zur Vermeidung einer Insolvenz mit absehbaren negativen Reaktionen bei Kunden wie der D2. AG oder der A2. AG wurde als Alternative die Rückabwicklung des Joint Venture gewählt. Diese gestaltete sich so, dass jeder Partner das zurückerhält, was von ihm eingebracht wurde. Somit erhielt die Gesellschaft das Lichtmodulgeschäft, während die Lichtsysteme bei der C. AG bleiben sollten. Infolge der Rückabwicklung gingen Algorithmen und Software an C., weshalb dieser Bereich in der bewertungsrelevanten Planung keine Rolle mehr spielen kann. Die Planung wurde infolge der Rückabwicklung beim Planungs- und Umsatzteil konsequent so geändert, dass der Teil, der originär aus dem zurückgeholten Geschäft entsteht, in der Einheit Automotive abgebildet wird.
101
Die Planung musste nicht stärker die Fokussierung auf den Vertrieb margenstarker Produkte mit dem damit verbundenen Umsatzpotential abbilden. Das Lampengeschäft wurde im Jahr 2019 veräußert und kann daher in der Planung nicht berücksichtigt sein. Die O. AG konzentriert sich in ihrer Planung ausweislich der Ausführungen von Herrn Dr. P. tatsächlich auch auf innovative und markenstarke Produkte, wie dies auch kommuniziert wurde. Allerdings birgt dieser LED-Bereich die Chance des Auftretens in einem margenstarken Segment; andererseits gibt es in diesem Modell aber auch nicht unerhebliche Risiken, die vor allem aus dem dort auftretenden Preisverfall resultieren.
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Dies bildet sich in der Planung des Geschäftsbereichs Automotiv insofern ab, als hier von einem CAGR von 2% beim Umsatz ausgegangen wird. Dies liegt zwar unterhalb des in Marktprognosen angenommenen Wachstums von 5,4% p.a. im Zeitraum von 2019 bis 2024. Doch ist dies auf die Konzentration dieser Business Unit auf das Geschäft mit traditionellen Leuchtmitteln und das Geschäft mit LED-Komponenten zurückzuführen. Das Bewertungsgutachten erläuterte ebenso wie der Prüfungsbericht, dass im traditionellen Automobilbereich, der sowohl das OEM- als auch das Nachrüstungs- und Ersatzteilgeschäft beinhaltet, aufgrund der allgemein steigenden LED-Penetrationsrate langfristig mit sinkenden Umsätzen gerechnet werde. Dennoch plant die Geschäftseinheit Automotive, sich mit Hilfe überlegener Kenntnis der Anwendungen und des Marktes gegenüber den Hauptwettbewerbern in diesem traditionellen Markt behaupten zu können und demgemäß in Phase I einen signifikanten Marktanteil in einem allgemein rückläufigen Markt zu erlangen. Daher kann die Wachstumsrate von 2% jährlich angesichts der Marktbedingungen nicht als zu pessimistisch und damit auch nicht als unplausibel eingestuft werden.
103
Die Planung lässt auch nicht fehlerhaft außer Betracht, dass die Bereitschaft bestehe, für Energieeinsparung und intelligentes Licht-Design höhere Preise in Kauf zu nehmen, zumal der Vorstand einen Trend in Richtung auf energieeffiziente Beleuchtungssysteme sehe und auch der Markt für KFZ-Beleuchtungssysteme auf LED-Basis mit dem Einsatz von Elektrofahrzeugen deutlich steigen werde. Die Potenziale aus der Energieeinsparung und auch der Bereitschaft der Kunden, hierfür Geld auszugeben, bildet die Planung hinreichend ab. Es muss nämlich gesehen werden, dass die O. AG als Zulieferer der Automobilhersteller nur einen Bruchteil von dem erhält, was der Endverbraucher dann letztlich dem Automobilhersteller für energieeffiziente Beleuchtungssysteme bezahlt. Hinsichtlich dieser Absatzmöglichkeiten kann zudem nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Elektromobilität angesichts ihrer Preisnachteile gegenüber dem herkömmlichen Verbrennungsmotor und der geringeren Reichweite sowie der nicht hinreichend ausgebauten Infrastruktur im Planungszeitraum an Grenzen stößt.
104
Im Geschäftsbereich Opto Semiconductors geht die Planung von plausiblen, nachvollziehbaren Annahmen aus, die nicht korrigiert werden müssen.
105
Die Annahme, steigende Umsätze würden unzureichend die Investitionen in Forschung und Entwicklung und dabei insbesondere in die neue LiDAR-Technologie für eine optische Abstands- und Geschwindigkeitsmessung abbilden, übersieht, dass gerade in diesem Geschäftsbereich eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 8,4% angenommen wird bei einem Umsatz von € 1.464 Mio. im letzten Ist-Jahr 2019, der nach einem pandemiebedingten Rückgang auf € 1.336 Mio. im Geschäftsjahr 2020 auf € 2.375 Mio. im letzten Planjahr 2025 ansteigen soll. In dem Teilsegment „Visualization und Laser“, die die LiDAR-Technologie zugeordnet wird, sind nach den Aussagen der Vertragsprüfer im Termin vom 1.12.2022 besonders hohe Wachstumsraten von 16% p.a. zu verzeichnen. Damit aber werden auch die Folgen des permanent hohen Anteils an Kosten für Forschung und Entwicklung gerade auch im Personalbereich hinreichend in der Planung reflektiert.
106
Der durchschnittliche Umsatzanstieg von 8,4% in dieser Einheit ist auch nicht deshalb als zu niedrig zu veranschlagen, weil sensorische Elemente zunehmend in vielen Industrien verbaut werden und die Digitalisierung erst am Anfang stehe. Diese Wachstumsrate von jährlich rund 8% beinhaltet den Umsatzrückgang des Jahres 2020, der auf der Sondersituation einer weltweiten Pandemie mit dem dadurch bedingten Umsatzrückgang um rund 8,75% beruht. Ausgehend vom ersten Planjahr steigen die Umsätze in dieser Geschäftseinheit um durchschnittlich 12,2% jährlich.
107
Die Auswirkungen des im November 2018 beschlossenen Reorganisations- und Transformationsprozesses in Richtung auf einen halbleiterbasierten Technologiekonzern flossen hinreichend in die Planung ein. Die O. AG führte die im Zusammenhang mit der Umwandlung zu einem Halbleiter- und Photonic-Unternehmen aufgestellten Programme fort, die zu Werksschließungen, Verkäufen und Personalabbau sowie infolge des Verkaufs des Lampengeschäfts auch zu einer veränderten Organisationsstruktur führten. Das Bewertungsgutachten von P. bildet dies bei den Transformationskosten ab. Die Planung berücksichtigt und beziffert die laufende Anpassung aus Ergebnisverbesserungsmaßnahmen wie Personalabbau und Werkschließungen. Andererseits stehen dem Investitionen, Kapazitätserweiterungen sowie neue Produkteinführungen gegenüber.
108
Die Planung vernachlässigt nicht die Stellung der Gesellschaft als Weltmarktführer, wobei sich dies vor allem auf das Marktsegment „Verbraucherelektronik“ als Teil von Opto Semiconductors bezieht. Dieses Teil-Segment umfasst den Markt für Sensoren im Bereich „Wearables und Smartphones“. Allerdings führt diese Stellung nicht automatisch zur Möglichkeit, einen damit verbundenen Wertzuschlag beziffern zu können, wie Herr Dr. P. erläutert hat. Dabei muss vor allem gesehen werden, dass auf diesen Bereich nur ein vergleichsweiser kleiner Teil des operativen Geschäfts der Gesellschaft entfällt. Zudem weist gerade das Bewertungsgutachten von P… darauf hin, dass in diesem Bereich die 3D-Sensorik für stark ansteigende Umsätze sorgen soll. Die Planung übersieht dabei auch nicht die anhaltende Nachfrage nach Smartphones und Health Monitoring. Von einem CAGR von 1,4%, wie dies teilweise in den Antragsschriften angenommen wurde, kann gerade nicht ausgegangen werden. Diese Wachstumsrate bezieht sich nur auf den Zeitraum von 2019 bis 2022 mit den negativen Auswirkungen der Pandemie, die überschlägig in die Planung eingeflossen sind und auf dem erwarteten weltweiten Wachstum des Bruttoinlandproduktes von – 5,0% im Jahr 2020 und von + 5,0% im Jahr 2021 aufbauten. Der Bereich der Sensorik, der auch die Verbraucherelektronik umfasst, soll aber im Zeitraum von 2019 bis 2025 ein CAGR von 13% erzielen, so dass die Planung gerade nicht zu pessimistisch ist.
109
Die Planung für den Geschäftsbereich Digital muss nach den im Termin vom 1.12.2022 von den Vertragsprüfern vermittelten Erkenntnissen als plausibel eingestuft werden, weshalb hier kein Anpassungsbedarf angenommen werden kann.
110
Auch wenn der Lagebericht 2019 von einem Ziel ausgeht, in diesem Segment langfristig ein Umsatzwachstum von 10% zu erwirtschaften, lässt dieser Ansatz nicht den Rückschluss auf eine unangemessene Planung zu. Die Einheit geht von einem Umsatzanstieg von € 934 Mio. im Geschäftsjahr 2019 auf € 1.059 Mio. im Geschäftsjahr 2025 und damit von einem CAGR von 2% aus. Der Geschäftsbericht 2019 beschrieb dagegen strategische Ziele, die im November 2018 formuliert und am 6.12.2019 veröffentlicht wurden. Zugleich war aber vermerkt, dass es sich dabei um keine Prognose für 2020 handele. Demgegenüber waren diese strategischen, mittelfristigen Ziele im Geschäftsbereich für den sehr viel zeitnäheren, schon etwa einen Monat nach der Hauptversammlung veröffentlichten Geschäftsbereich 2020 nicht mehr enthalten. In diesem Bericht ging es um die Folgen der Pandemie und den Misserfolg des Joint Venture mit der C. AG, aber nicht mehr um eine strategische Ausrichtung. Abgesehen davon beträgt die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate mit dem Jahr 2020 als Aufsatzpunkt bis zum Jahr 2025 bereits 7,4%. Eine nachhaltige Aufrechterhaltung des genannten Ziels lässt sich angesichts der Vergangenheitsanalyse der nun in der Geschäftseinheit Digital zusammengefassten unternehmerischen Aktivitäten nicht aufrechterhalten.
111
Die Popularität energieeffizienter Beleuchtungstechnologien an Wohn- und Gewerbeimmobilien wurde in der Planung hinreichend berücksichtigt. Die Planung der O. AG geht bei der Einheit Digital von einem leicht überproportionalen Wachstum aus, da nach den von den Vertragsprüfern vermittelten Erkenntnissen gerade auch durch den europäischen Markt mit Freude an energieeffizienten Gebäuden und durch die Nachfrage nach Beleuchtungslösungen im Mittleren Osten die Investitionen in Wohn- und Gewerbeimmobilien getrieben werden. Damit aber trägt die Planung diesen Trends sehr wohl Rechnung.
112
Eine Vernachlässigung des Marktsegmentes „Horticulture Lighting“ mit LED-Lampen für die Landwirtschaft lässt sich nicht bejahen. Dieses Geschäftsfeld umfasst eine vielfältige Mischung von Untersegmenten wie beispielsweise den Bereich „Fluence“, zu dem unter anderem die Beleuchtung von Gartengewächshäusern gehört. Das im Bewertungsgutachten von P… genannte erwartete Umsatzwachstum von 23,1%, wie es in Markterwartungen dargestellt wird, betraf die Zeit vor der Covid-19-Pandemie und kann folglich nicht zum Gradmesser für die Beurteilung der Plausibilität der Planannahmen in diesem Teilsegment gemacht werden. Für den Zeitraum von 2019 bis 2025 erwartet die Gesellschaft in diesem Bereich ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 10,9%, wobei sich dies aus einem Anstieg von € 2 Mio. im Geschäftsjahr 2019 auf € 60 Mio. im letzten Planungsjahr ergibt. Es handelt sich also um ein relativ kleines Geschäftsfeld, bei dem sich Markterwartungen nicht 1 : 1 übertragen lassen. Allerdings erwartet die Gesellschaft gerade im Bereich des Cannabis-Anbaus aufgrund niedrigerer Markteintrittsbarrieren einen intensiveren Wettbewerb, der zu einer im Vergleich zum Markt unterproportionalen Umsatzentwicklung führen wird. Angesichts dessen ist es nachvollziehbar, wenn in der Planung davon ausgegangen wird, die Gesellschaft werde ihren Umsatz nicht in dem Maße steigern, wie dies mit jährlich 23,1% aus der Zeit vor der Pandemie führ die Jahre 2019 bis 2024 erwartet wurde, auch wenn die Covid-19-Pandemie in diesem Bereich keine größeren Auswirkungen haben soll.
113
Die Plausibilität der Umsatzplanung insgesamt kann auch nicht aufgrund eines Vergleichs mit den Wachstumsraten von Umsatz und EBITDA-Marge bei den P. Group-Unternehmen infrage gestellt werden, wie eine von den Vertragsprüfern durchgeführte Analyse deutlich macht. Beim Umsatz waren in den Jahren der Vergangenheit von 2012 bis 2019 bei der O. AG sehr stark schwankende Raten festzustellen, wobei diese teils über, teils unter den Werten der Vergleichsunternehmen lagen. Im Jahr 2017 konnte die Gesellschaft bessere Raten im Vergleich zum Marktwachstum ausweisen; in den Jahren 2013 und 2018 war das Wachstum indes negativ und auch schlechter als das der P. Group. Im letzten Jahr der Vergangenheitsanalyse kam es zu einem extrem hohen Umsatzrückgang von € 3.789 Mio. auf € 3.464 Mio., also um knapp 8,6%. Im ersten Planjahr soll dann das Niveau der P. Group-Unternehmen erreicht und in den nachfolgenden Jahren der Detailplanungsphase übertroffen werden. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei der Analyse der EBITDA-Marge, die in der Vergangenheit gleichfalls starke Schwankungen aufwies und insbesondere im Geschäftsjahr 2019/20 sehr niedrig war. Im ersten Planjahr soll die EBITDA-Marge stark ansteigen und am Ende von Phase I deutlich über den entsprechenden Margen der P. Group liegen.
114
Auch wenn durch den starken Rückgang im Geschäftsjahr 2019/20 die Ausgangsbasis niedriger lag als bei den Vergleichsunternehmen, kann daraus kein Rückschluss auf eine fehlende Plausibilität gezogen werden. Insgesamt muss die Planung tatsächlich als durchaus ambitioniert eingestuft werden, wofür der Vergleich mit den P. Group-Unternehmen nur als Indikator zu werten ist. Noch entscheidender ist die allgemeine Einstufung und Bewertung der Planung der O. AG. Dort gab es eine sehr detaillierte Strategieplanung für jeden einzelnen Markt mit Marktprognosen, wie Herr Dr. R. im Termin vom 1.12.2022 betont hat, die dann extern über Marktstudien plausibilisiert wurde. In der Planung ist dabei zu erkennen, dass die Gesellschaft in allen wesentlichen Bereichen einen Gewinn von Marktanteilen, zumindest aber ein Halten zugrunde legte. All diese Märkte sind hochgradig kompetitiv. In einer Gesamtschau ergibt sich, dass die Umsatzwachstumsraten für die relevanten Märkte tendenziell eher überproportional waren. Von Verlusten an Marktanteilen war möglicherweise auch in eher unbedeutenden Märkten auszugehen. Das Erreichen dieser Ziele bedeutet für die O. AG durchaus eine große Herausforderung. Dabei muss beachtet werden, dass die Gesellschaft als Automobilzulieferer in der Lieferkette keinen einfachen Stand hat, weil sie insbesondere auch unter dem (Preis-)Druck der großen Automobilhersteller als Abnehmer steht. Demgemäß ist es gerechtfertigt, die Planung als durchaus ambitioniert oder optimistisch zu bezeichnen.
115
Die Tatsache, dass das Vorkrisenniveau von 2019 erst im Geschäftsjahr 2022 wieder erreicht und das EBIT von € 397 Mio. aus dem Jahr 2017 erst im Jahr 2024 wieder erreicht werden soll, führt nicht zur fehlenden Plausibilität der Planung. Hauptumsatzbringer ist der Bereich Automotive, der im Ist des Jahres 2019 eine Einbuße von 7% und im Jahr 2020 von 12% verzeichnet. Das Umsatzniveau von 2019 mit € 1,8 Mrd. wird in dieser Geschäftseinheit tatsächlich erst in 2022 wieder erreicht oder übertroffen. Das Erreichen dieses Ziels setzt aber voraus, dass der erwartete Zuwachs im Bereich Retrofit-LED tatsächlich kommt. Allerdings müssen die gegenläufigen Effekte bei der Entwicklung von Halogen und LED beachtet werden. Dies macht einen stabilen Vergleich schwierig, wann das Vorkrisenniveau wieder erreicht sein wird. Die Fehlerhaftigkeit der Planung kann dann daraus aber nicht abgeleitet werden.
116
Bei der Entwicklung des im Jahr 2017 € 379 Mio. betragenden EBIT muss die erschwerte Vergleichbarkeit berücksichtigt werden. Zu Beginn des Jahres 2019 wurden die Business Units der O. AG neu aufgestellt. Die vormalige Einheit „Specialty Lighting“ wurde dabei den neuen Einheiten Automotive und Digital zugeordnet. Das ehemalige Berichtsegment „Lighting Solutions & Systems“ wurde aufgelöst und ein Teil als aufgegebener Geschäftsbereich ausgewiesen. Daher publizierte die O. AG die Geschäftszahlen des Jahres 2018 im Geschäftsbericht 2019 bereits in der neuen Struktur. Demzufolge beruht die G+V-Rechnung des Jahres 2017 nicht auf der neuen Organisation, weshalb sie auch noch Erträge der Einheit „Lighting Solutions“ enthielt und der Ausweis des Berichtssegments „Lighting Solutions & Systems“ noch nicht als teilweise aufgegebener Geschäftsbereich erfolgte. Somit ist die Vergleichbarkeit des Geschäftsjahres 2017 mit den beiden Folgejahren bereits eingeschränkt. Bei den Erwartungen für die Phase I kann dann auch die Verlusthistorie der Jahre 2019 und 2020 nicht ausgeblendet werden, weshalb ein stabiler Vergleich nicht oder zumindest kaum erfolgen kann.
117
Die Planung trägt hohen Markteintrittsbarrieren für Wettbewerber und der dadurch bestehenden Marktpräsenz mit entsprechendem Wachstumspotential in Asien ausreichend Rechnung, nachdem die Vertragsprüfer im Rahmen ihrer Anhörung die Feststellungen aus den Bewertungsgutachten bestätigten, wonach diese Markteintrittshürden nur den kleinen Teilmarkt Horticulture Lighting betreffen, der von anfänglich hohen Investitionskosten der Abnehmer geprägt ist.
118
Die Basis für das Wachstum umfasst die zunehmende Indoor-Landwirtschaft zur Sicherstellung der globalen Nahrungsmittelversorgung, den steigenden Bedarf an energieeffizienten Beleuchtungsmethoden für das Pflanzenwachstum sowie den weltweit steigenden Konsum von Fleisch. Auch stellt der wachsende Markt der medizinischen Cannabis-Industrie einen Wachstumstreiber für dieses Segment dar. Andererseits bremsen die höheren Preise von LED-Wachstumslampen im Vergleich zu herkömmlichen Lichtlösungen im Gartenbaubereich die Attraktivität der innovativen Wachstumslampen. Auch wenn die Höhe des Effizienzgrades beim Energieverbrauch auf lange Sicht die hohen Investitionskosten der Abnehmer überkompensieren könnte, bleibt ein wesentliches Risiko für die Nachfrageentwicklung. Dies muss bei einem Erwartungswert ebenso berücksichtigt werden, wie die Gefahr, dass die Start up-Unternehmen bisher unbekannte, neuartige Produkte etablieren und die O. AG infolge dieser Entwicklung Marktanteile verliert.
119
Soweit es um die Abbildung von Akquisitionen im Unternehmenswert geht, floss neben der bereits oben unter A. II. 1. B. (3) (c) angesprochenen Rückabwicklung des Joint Venture der Erwerb von Unternehmen für hochintensive UV-Beleuchtung in die Planung ein. Dieser allerdings vom Volumen eher nachrangige Erwerb wurde mit den erwarteten Umsätzen und Erträgen in der Planung abgebildet. Fördermaßnahmen des chinesischen Staates waren in der Planung nicht mehr zu berücksichtigen, nachdem diese bereits im Jahr 2019 beendet waren und daher angesichts des Stichtagprinzips für die Detailplanungsphase ohne Bedeutung sein müssen. Investitionsförderungen wurden in der Steuerplanung über den Steuersatz entsprechend berücksichtigt.
120
c. Die Aufwandsplanung muss aufgrund der dort getroffenen plausiblen Annahmen nicht angepasst werden.
121
Von einer unzulässigen Fortschreibung der Integrationsplanung kann nicht ausgegangen werden. Bei diesen Integrationsmaßnahmen handelt es sich um die Rückabwicklung des Joint Venture, wobei sich daraus ergebende Effekte nicht nur in der Vergangenheit anzusetzen sind. Die in die Zukunft wirkenden Auswirkungen sind in der Planung abgebildet. Die Kosten der Implementierung, die sich aus der Zusammenarbeit mit der Antragsgegnerin ergeben, laufen im Jahr 2023 aus und wurden demgemäß im Gegensatz zur Detailplanungsphase im Terminal Value nicht mehr berücksichtigt.
122
Der mit 2,6% jährlich angesetzte Zinsaufwand für Pensionen ist auch unter Berücksichtigung der niedrigeren Sollzinsen nicht zu hoch. Die Pensionsverpflichtungen sind bei allen Rechnungslegungsarten sehr langfristig angelegt, während die normale Finanzierung bei der O. AG sehr kurzfristig erfolgt. Auch muss der technische Effekt gesehen werden, dass sich die Prozentzahlen auf den Nettoverpflichtungsbestand beziehen. Die Verpflichtungen werden mit einem viel kleineren Zinssatz belegt. Andererseits muss das Deckungsvermögen berücksichtigt werden, was dann rein rechnerisch zum Ausweis höherer Zinssätze führt.
123
Kein Korrekturbedarf besteht in Bezug auf Abschreibungen aus Kaufpreisallokationen. Diese führen nämlich nie zu Ein- oder Auszahlungen und damit zu keinen relevanten Geldflüssen. Wenn derartige Abschreibungen zu berücksichtigen sind, erfolgt dies beim Steueraufwand und führt dann zu einer Werterhöhung.
124
d. Die in der Planung angenommenen Margen können der Ermittlung der Abfindung zugrunde gelegt werden.
125
Dies gilt zunächst für die EBITDA-Marge, die ungeachtet eines Werts von 19,3% im laufenden Quartal nicht erhöht werden muss, auch wenn dieser Wert erst im letzten Planjahr 2025 wieder erreicht werden soll. Die EBITDA-Marge von 19,3% im laufenden Geschäft resultiert aus einem Umsatz von € 340 Mio. und einem EBITDA von € 162 Mio., wobei sich aus der entsprechenden Quartalsmitteilung ergibt, dass diese bereinigte EBITDA-Eliminierungen um € 14 Mio. und um € 31 Mio. für Sonderthemen enthalten. Das demgemäß um diese Sondereffekte korrigierte EBITDA beläuft sich auf nur noch € 117 Mio. und die EBITDA-Marge demgemäß auf 13,9%; für das Gesamtjahr beläuft sie sich auf 10,9%.
126
Bei der Abbildung der EBITDA-Marge für die beiden Bereiche Opto Semiconductors und Automotive flossen die im Lagebericht genannten Erfolgsziele und die am Capital Market Day vom 7.11.2018 genannten Spannweiten tatsächlich ein. Der Geschäftsbericht 2019 enthält auf Seite 34 im Prognosebericht eine angestrebte EBITDA-Marge zwischen 9% und 11%; aus dem Bewertungsgutachten ergibt sich in der Planung eine EBITDA-Marge von 10,9%. Die Aussagen vom Capital Market Day zielen für den Bereich Opti Semiconductors auf eine langfristige EBITDA-Marge zwischen 23% und 29%, während das Bewertungsgutachten im Terminal Value von einer EBITDA-Marge von 26,7% für diesen Bereich ausgeht. Am Capital Market Day kommunizierte die Gesellschaft für den Bereich Automotive eine EBITDA-Marge von 9% bis 11%, während das Bewertungsgutachten im Terminal Value mit einem Wert von 10% rechnet. Angesichts dessen besteht zwischen den Aussagen vom Capital Market Day und der Bewertung von P… kein Widerspruch.
127
Das Erreichen der Brutto-, EBIT- und EBITDA-Marge der Jahre 2017 und 2018 erst wieder ab 2023 und/oder 2024 führt nicht dazu, die Planung als zu pessimistisch und daher nicht mehr plausibel einzustufen. Herr Dr. P. erläuterte in diesem Zusammenhang nachvollziehbar, dass die Jahre 2017 und 2019 durch rückläufige bereinigte Umsätze geprägt waren, was zeitbedingt nicht durch die Covid-19-Pandemie hervorgerufen gewesen sein konnte. Dies zeigt vielmehr, dass die Gesellschaft bereits vor dem Ausbruch der Pandemie in einem schwierigen Marktumfeld tätig war. Durch den weiteren pandemiebedingten Rückgang bedarf es dann aber eines erheblichen Wachstums, um das frühere Umsatzniveau wieder zu erreichen.
128
Eine im Kern durchaus vergleichbare Entwicklung gab es bei dem Wettbewerber H… KGaA, wo das erste Halbjahr vom 1.6. bis zum 30.11.2020 von einem Umsatzrückgang von 4,3% und einem deutlichen Absinken der EBIT-Marge von 7% auf 3% geprägt war. Erst im Zeitraum vom 1.9. bis zum 30.11.2020 kam es im Vergleich zum Vorjahr zu einem Umsatzanstieg von 2,6% und einem Anstieg der EBIT-Marge von 6,8% auf 11,9%. Die verbesserte Prognose von IHS Markit wurde im Dezember 2020 und damit erst nach dem Stichtag veröffentlicht und konnte somit nicht einfließen. Gerade der Vergleich der Entwicklung mit einem der wichtigsten Wettbewerber im Zeitraum von Juni bis September 2020 erhält auch, dass die angenommene Prognose im Rahmen der Planung der O. AG nicht als zu pessimistisch eingestuft werden kann.
129
e. Die Annahmen für die Ewige Rente müssen nicht korrigiert werden.
130
(1) Dabei kann bereits ab den Geschäftsjahren 2026 ff. von einem eingeschwungenen Zustand ausgegangen werden. Ein solcher Gleichgewichts- oder Beharrungszustand liegt vor, wenn sich Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bewertungsobjektes am Ende von Phase I im sogenannten Gleichgewichts- oder Beharrungszustand befinden und sich die zu kapitalisierenden Ergebnisses annahmegemäß nicht mehr wesentlich verändern bzw. mit einer konstanten Rate, der mit dem Wachstumsabschlag im Kapitalisierungszinssatz Rechnung getragen wird, verändern. Dabei zeichnet sich die Ewige Rente durch die Berücksichtigung langfristiger Entwicklungstendenzen bei der Projektion der in der Detailplanungsphase gewonnenen Erkenntnisse aus (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.9.2011, Az. 20 W 7/08 – zit. nach juris; LG München I, Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5 HK O 5884/20; Beschluss vom 22.06.2022, Az 5 HKO 16226/08; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, a.a.O., Anh. § 11 Rdn. 72; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 305 Rdn. 119).
131
Dem kann namentlich nicht entgegengehalten werden, dass nur beim Umsatz vom Ergebnis des Jahres 2025 ausgegangen wurde, während bei der EBITDA-Marge ein Mittelwert der Jahre der Detailplanungsphase herangezogen wurde. Herr Dr. P. verwies im Rahmen der Anhörung auf die Notwendigkeit einer eingehenden Analyse der nachhaltigen Profitabilität. Der herangezogene Wert der EBITDA-Marge von 20,1% unter Einschluss nachhaltig erzielbarer Synergien bezieht sich auf die letzten drei Jahre der Detailplanungsphase, in der von einer relativ konstanten EBITDA-Marge ausgegangen wird. Dieser Wert liegt deutlich über dem historischen Durchschnitt; im Zeitraum der Vergangenheitsanalyse lag die bereinigte EBITDA-Marge im Geschäftsjahr 2018 nämlich bei 16% und im Geschäftsjahr 2019 bei 9%; in den ersten drei Quartalen des durch die Pandemie beeinträchtigten Geschäftsjahres 2020 ging sie nochmals auf 8% zurück. Aber auch wenn die Pro forma-Anpassungen der Rechnungslegung nach IFRS 16 bei Leasingverträgen berücksichtigt werden, ergibt sich eine EBITDA-Marge von 17,4% im Geschäftsjahr 2018 und von etwa 10,7% für das Geschäftsjahr 2019. Für die ersten drei Quartale des Jahres 2020 beträgt die so bereinigte EBITDA-Marge etwa 8,3%. Dies zeigt, dass die EBITDA-Marge im Terminal Value gerade nicht in Widerspruch zu den Werten der Vergangenheit liegt.
132
(2) Soweit in den Segmenten „Entertainment Industries and Digital Systems“ am Ende der Phase I noch kein eingeschwungener Zustand erreicht war, weil es hier verlagerte Planungszeiträume mit erhöhten Wachstumsraten gab, wurden diese Effekte mittels einer barwertäquivalenten Annuität sachgerecht berücksichtigt, weshalb im Terminal Value ein nachhaltiges Umsatzniveau von € 4.707 Mio. angesetzt werden konnte.
133
(3) Aus den Sachinvestitionen mit einem Anstieg von € 100 Mio. im Geschäftsjahr 2020 auf € 307 Mio. im letzten Planjahr kann ein höheres nachhaltiges Wachstum als 1% nicht begründet werden. Aus einer langfristigen Analyse ab 2010 ergibt sich bei der O. AG eine Investitionsquote von 8%. Im Geschäftsjahr 2020 kam es zu einem Rückgang der Investitionen auf € 100 Mio., woraus sich in Relation zu Umsatzerlösen von € 3.020 Mio. eine Investitionsquote von rund 3,3% ergibt. Die Planung legt dann eine Investitionsquote von relativ konstant 7% zugrunde. Angesichts dieser Konstanz ist in Übereinstimmung mit den Vertragsprüfern nicht von einem einmaligen Investitionsschub auszugehen, der nicht abgebildet worden sein und zu einem größeren nachhaltigen Umsatzwachstum führen könnte.
134
(4) Der Wechselkurs USD/EUR wurde entsprechend der Rendite aus den letzten drei Jahren der Detailplanungsphase zugrunde gelegt, in der ein Wechselkurs von USD/EUR von 1,12 enthalten ist. Diese Kursentwicklung wirkt sich zum Vorteil der Minderheitsaktionäre aus. Die Tatsache, dass für den Zeitraum der Ewigen Rente keine expliziten Annahmen zum Wechselkurs getroffen wurden, ist methodisch nicht zu beanstanden. Für diesen Zeitraum gibt es keine Unternehmensplanung mehr, weshalb hier seitens der Bewertungsgutachter zwingend Annahmen getroffen werden müssen. Wenn aber dann vorliegend auf den Durchschnitt der letzten Planjahre abgestellt wird, ist dies nicht zu beanstanden.
135
Die in die Unternehmensbewertung eingeflossenen Synergien müssen nicht verändert werden.
136
Bei der Ermittlung des Ertragswerts im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen finden angesichts des grundlegenden Stand alone-Prinzips nur solche Synergien oder Verbundeffekte Berücksichtigung, die auch ohne die geplante Strukturmaßnahme durch Geschäfte mit anderen Unternehmen hätten realisiert werden können (vgl. OLG Stuttgart NZG 2000, 744, 745 f. = AG 2000, 428, 429; AG 2011, 420; BayOblG AG 1996, 127, 128; LG München I AG 2016, 51, 54 = ZIP 2015, 2124, 2129; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 9122/14; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Beschluss vom 29.6.2018, Az. 5HK O 4268/17; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 171; Zeidler in: Semler/Stengel, UmwG, 4. Aufl., § 9 Rdn. 47), während sogenannte echte Synergien, derentwegen üblicherweise die Strukturmaßnahme durchgeführt wird, regelmäßig nicht in die Bewertung einfließen können (vgl. OLG München AG 2018, 753, 755 = Der Konzern 2019, 277, 280; OLG Düsseldorf AG 2017, 712, 714; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., Anh § 305 Rdn. 31a; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 171). Unechte Synergien sind zu berücksichtigen, wenn die synergiestiftende Maßnahme am Bewertungsstichtag bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert war (vgl. OLG Stuttgart AG 2013, 840, 843; Ruiz de Vargas in: Bürger/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh § 305 Rdn. 31b).
137
Gegen diese Grundsätze wurde vorliegend nicht verstoßen.
138
Die Vertragsprüfer prüften auf der Basis dieser Grundsätze, inwieweit die von Seiten der Antragsgegnerin präsentierten Ideen realistisch, in der Planung abgebildet und ohne Unternehmensvertrag denkbar waren. Bei ihren Prüfungshandlungen achteten die Vertragsprüfer nach der Aussage von Herrn Dr. P. insbesondere auf die Vorlage entsprechender Dokumentationen, anhand derer dann überprüft wurde, ob die einzelnen Maßnahmen auch ohne Unternehmensvertrag umsetzbar sind oder ob dafür ein solcher Vertrag benötigt würde. Intern ging es dabei vor allem um den Abbau von Mitarbeitern, nachdem nach dem Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages keine zwei Einkaufs- und Rechtsabteilungen sowie auch keine zwei Buchhaltungen benötigt werden. Dabei wurden unechte Synergien im Umfang von € 54 Mio. p.a. identifiziert, die zu einem ganz wesentlichen Teil in die Planung eingeflossen sind. Als echte Synergien wurden € 56 Mio. identifiziert. Die im Übernahmeangebot angedachten Synergien mussten dabei nicht im dort vorgesehenen Umfang übernommen werden. Dies ergibt sich schon aus der von Herrn Dr. P. mitgeteilten Tatsache, dass sie zum Teil schon tatsächlich nicht umsetzbar waren.
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Soweit der positive Effekt auf die EBITDA-Marge mit 1,2 Prozentpunkten angesetzt wurde, muss dies auch unter Berücksichtigung möglicher Kooperationen im Bereich Forschung und Entwicklung als ausreichend angesehen werden. Eine Zusammenarbeit in diesem Bereich war nach den Erkenntnissen der Vertragsprüfer ohne Unternehmensvertrag nicht möglich. Demgemäß bezog sich eine entsprechende Antwort der Vorständin auf der Hauptversammlung zu diesem Thema auf echte Synergien.
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Bei den Ansätzen zur Thesaurierung und zur Ausschüttung kann kein Korrekturbedarf festgestellt werden, weil die Annahme einer Ausschüttungsquote von 50% auch in der ewigen Rente sachgerecht erfolgte.
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Die Ansätze zur Thesaurierung und zur Ausschüttung entsprechen in Phase I und zur Ausschüttung der Jahresüberschüsse entsprechen dem Unternehmenskonzept der Gesellschaft und können daher nicht infrage gestellt werden. Es wird nämlich regelmäßig davon ausgegangen, dass sich der Umfang der Ausschüttungen bzw. Thesaurierung in der Planungsphase I an den konkreten Planungen der Gesellschaft zu orientieren hat (vgl. nur LG München I, Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5 HK O 17095/11, S. 37; Beschluss vom 6.11.2013, Az. 5 HK O 2665/12; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5 HK O 22657/12; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13). Daher können wegen der Planung in den ersten beiden Geschäftsjahren keine Ausschüttungen vorgenommen werden, was den erwarteten Konzernjahresfehlbeträgen geschuldet ist. Für die Folgejahre gehen das Bewertungsgutachten wie auch der Prüfungsbericht von der mittelfristig geplanten Ausschüttungsquote von 40% aus.
142
In der Ewigen Rente konnte eine Ausschüttungsquote von 50% angesetzt werden. Es ist nämlich sachgerecht, auf den Durchschnitt der Marktteilnehmer abzustellen (vgl. OLG München AG 2015, 508, 511 = ZIP 2015, 1166, 1170; WM 2020, 2104, 2112; OLG Stuttgart AG 2011, 560, 563; LG München I AG 2020, 222, 224; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5 HK O 22657/12; Beschluss vom 29.8.2014, Az. 5HK O 7455/13; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 13671/13; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/15; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 27.8.2021, Az. 5 HK O 5884/20; Hachmeister/R…/Mager DB 2014,1209, 1211 f.). Der Kammer sind die marktüblichen Werte auch aus anderen Spruchverfahren bekannt, weshalb gegen den Ansatz einer innerhalb der genannten Bandbreite von Ausschüttungsquoten, die zwischen 40 und 60% bzw. 70% liegt, angesiedelte Ausschüttungsquote von 50% keine Bedenken bestehen. Dabei kann die gelebte Ausschüttungspraxis des Unternehmens nicht gänzlich außer Betracht bleiben. In der Vergangenheit gab es große Schwankungen, wobei die Ausschüttungsquote im Durchschnitt bei knapp 50% lag. Auch der Geschäftsbericht führt an, dass die O. AG eine Dividendenausschüttungsquote zwischen 30% und 50% des Konzernergebnisses nach Steuern anstrebe. Soweit sich aus einer veröffentlichten Studie von Statista für Werte aus dem DAX, MDAX, SDAX sowie für Nebenwerte ein langfristiges Mittel von 42% ergibt, kann daraus noch nicht die Unangemessenheit der angesetzten Ausschüttungsquote abgeleitet werden. Der Wert von 50% liegt innerhalb einer vielfach zu beobachtenden Bandbreite, weshalb ein geändertes Ausschüttungsverhalten hier nicht zugrunde gelegt werden kann.
143
Eine höhere Thesaurierung lässt sich nicht rechtfertigen, weil gerade nicht vom Vorliegen freier Liquidität ausgegangen werden kann. Herr Dr. P. erläuterte im Rahmen seiner Anhörung, dass der Ansatz einer betriebsnotwendigen Liquidität von 8% der Umsatzerlöse als betriebsnotwendig auch entsprechend der Einschätzung des Managements der Gesellschaft keiner Korrektur bedürfe. Aus den von den Vertragsprüfern aufbereiteten historischen Kennzahlen ergab sich im Durchschnitt ein Anteil von etwa 8% der Umsatzerlöse als betriebsnotwendig. Soweit darüber hinaus freie Mittel verfügbar waren, wurden diese zur Tilgung von Verbindlichkeiten herangezogen, wodurch die Verschuldungsquote angesichts des Rückgangs der Verbindlichkeiten auf € 1 Mrd. deutlich sank. Dies wirkt sich im Rahmen der Ermittlung des Beta-Faktors beim Relevern zugunsten der Aktionäre aus, was bei einer Ausschüttung nicht möglich wäre.
144
Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, es sei im Zeitraum von 2022 bis 2025 ein Wertbeitrag aus Thesaurierung in Höhe von insgesamt € 790 Mio. unberücksichtigt geblieben. Nicht ausgeschüttete Gewinne wurden zur Innenfinanzierung angesetzt – mithin für Investitionen, Bildung von Working Capital und vor allem zur Befreiung von Verbindlichkeiten, was – wie soeben ausgeführt – zu einem Rückgang des Verschuldungsgrades führt. Ohne diesen Ansatz müsste der Verschuldungsgrad wegen der dann notwendigen Fremdfinanzierung mit allen negativen Folgen für den Zinsaufwand und den verschuldeten Beta-Faktor erhöht werden.
145
Der Abzug eines Betrages von € 4 Mio. im Terminal Value zur Finanzierung des nachhaltigen Wachstums erfolgte sachgerecht.
146
(a) Die im nachhaltigen Ergebnis angesetzte Thesaurierung in dieser Höhe berücksichtigt, dass das mit dem langfristig erwarteten Wachstum der G+V-Rechnung bzw. der Überschüsse einhergehende Wachstum der Bilanz entsprechend finanziert werden muss. Demgemäß bedingt das nachhaltige Wachstum der finanziellen Überschüsse auch ein entsprechendes Wachstum der Bilanz, was entweder über Eigenkapital erfolgen kann oder aber durch Fremdkapital aufgebracht werden muss. Für die Finanzierung über das Eigenkapital müssen zu dessen Stärkung Erträge thesauriert werden. Die Alternative der Finanzierung über Fremdkapital würde zwangsläufig das Zinsergebnis (negativ) beeinflussen. Ein Wachstum ohne den Einsatz zusätzlicher Mittel ist folglich nicht möglich; nachhaltiges Gewinnwachstum kommt ohne Finanzierung nicht in Betracht (so ausdrücklich: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2012, Az. 12 W 66/06 – zit. nach juris; OLG München AG 2020, 440, 442 = WM 2020, 1028, 1032; LG München I, Beschluss vom 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 16.4.2019, 5HK O 14963/17; auch Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. Aufl., S. 326 f.). Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei einer sich im eingeschwungenen Zustand befindlichen Gesellschaft die Kapitalstruktur in der Ewigen Rente konstant bleiben soll. Auch dies spricht für die Notwendigkeit des Ansatzes eines entsprechenden thesaurierungsbedingten Wachstums.
147
(b) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dadurch werde der Effekt des Wachstumsabschlags rückgängig gemacht. Es ist nämlich eine differenzierende Betrachtungsweise erforderlich. Die Erfassung von thesaurierungsbedingtem Wachstum erfolgt in der Phase des Terminal Value zum einen zur Abbildung des preisbedingten Wachstums in Form des Wachstumsabschlages und zum anderen zur Berücksichtigung des durch die Thesaurierung generierten Mengenwachstums durch eine nominale Zurechnung des über die Finanzierung des preisbedingten Wachstums hinausgehenden Thesaurierungsbeitrages (vgl. Schieszl/Bachmann/Amann in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 706). Damit aber hat der Wachstumsabschlag eine andere Funktion als der Ansatz des thesaurierungsbedingten Wachstums. Dabei müssen Investitionen in der Ewigen Rente höher sein als die Abschreibungen, weil auch das Anlagevermögen im Terminal Value wächst und es ohne Finanzierung auf dem Niveau des letzten Jahres der Detailplanungsphase verharren würde.
148
(4) Im Rahmen der Ermittlung des Ertragswerts konnte die Besteuerung auch unter Einschluss inflationsbedingter Kursgewinne erfolgen.
149
(a) Der Ansatz einer typisierten Einkommensteuer auf den Wertbeitrag aus Thesaurierung mit dem hälftigen Steuersatz zuzüglich des Solidaritätszuschlages ist angemessen. Die Festlegung eines Steuersatzes bedarf typisierender Annahmen. Aus empirischen Studien, die es wenigstens in den Vereinigten Staaten von Amerika, wenn auch nicht für Deutschland gibt, erkennt man eine Haltedauer zwischen 25 und 30 Jahren. Auch wenn diese lange Dauer entsprechend den Erkenntnissen der Kammer aus anderen Spruchverfahren mit der Existenz von sehr langfristig engagierten Pensionsfonds zusammenhängt und dies für Deutschland nicht zwingend sein mag, kann es beim angesetzten Steuersatz bleiben. Dem lässt sich insbesondere auch nicht die Regelung aus § 52 a Abs. 10 EStG entgegenhalten. Ohne eine typisierende Betrachtung ließe sich nämlich ein einheitlicher Unternehmenswert nicht festlegen. Die Verwendung typisierter Steuersätze ist die notwendige Folge der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts und folglich unvermeidbar. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn eine inländische unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person als Anteilseigner angenommen wird. Wenn für Stichtage nach dem 1.1.2009 im Rahmen der Ermittlung der Zuflüsse an die Anteilseigner von der Besteuerung der Veräußerungsgewinne auszugehen ist, im Einzelfall aber ein Anteilsinhaber einen steuerfreien Veräußerungsgewinn haben kann, so muss dies bei der notwendigen Typisierung außer Betracht bleiben (vgl. OLG München NJW-RR 2014, 473, 474; AG 2015, 508, 511 f. = ZIP 2015, 1166, 1170; Beschluss vom 18.6.2014, Az. 31 Wx 390/13; Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16; OLG Frankfurt AG 2020, 954, 957; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; AG 2014, 208, 211; Beschluss vom 18.12.2009, Az. 20 W 2/08; LG München I, Beschluss vom 21.6.2013, Az. 5HK O 19183/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/16; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Beschluss vom 29.8.2018, Ahl 5HK O 16585/15; Kunowski/Popp in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 1060 f.; in diese Richtung auch Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 488 ff., insbesondere 491).
150
Ein Abstellen auf die individuelle Haltedauer und die individuellen Steuersätze eines jeden einzelnen Aktionärs – gegebenenfalls auch mit Sitz im Ausland – würde eine Unternehmensbewertung unmöglich machen, zumal die Gesellschaft über Inhaberaktien verfügt und folglich die Aktionäre nicht einmal namentlich bekannt sind. Angesichts dessen ist die hier vorgenommene typisierende Betrachtung unausweichlich und rechtlich unbedenklich.
151
(b) Allerdings muss auch eine effektive Ertragssteuer auf inflationsbedingte Wertsteigerung in das Bewertungskalkül einfließen. Soweit die Kammer hierzu in der Vergangenheit die gegenteilige Auffassung vertreten hat (vgl. LG München I, Beschluss vom 29.8.2028, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; auch LG Dortmund, Beschluss vom 26.8.2019, Az. 20 O 4/12) wird daran nicht mehr festgehalten. Die Berücksichtigung einer effektiven Ertragssteuer führt zu einer besseren Annäherung an den „wahren“ oder „wirklichen“ Unternehmenswert. Dies beruht zunächst auf der Erwägung, dass der Teil des Unternehmenswertes, der auf laufenden operativen Gewinnen beruht, den Anteilseignern über eine fiktive Vollausschüttung zugerechnet wird. Im Termin Value steigt der Unternehmenswert aber nicht nur durch diese laufenden operativen Gewinne, sondern auch inflationsbedingt. Auch diese Wertsteigerung steht den Aktionären zu, die aber konsequenterweise ebenso wie die Dividende in Phase I und thesaurierungsbedingte Wertsteigerungen in der Ewigen Rente um die persönlichen Steuern zu kürzen sind. Soweit Steuern abfließen, kann dieser Teil des Unternehmenswerts den Anteilseignern nicht fiktiv als Nettozufluss zugerechnet werden. Die von der Kammer bislang als Argument für die unterbliebene Berücksichtigung angeführte Inkonsistenz zwischen Zähler und Nenner im Bewertungskalkül kann nach nochmaliger Überprüfung nicht aufrechterhalten werden. Erst durch die Berücksichtigung der Besteuerung inflationsbedingter Kursgewinne kann das sogenannte Steuerparadoxon vermieden werden. Die Marktrisikoprämie im Nenner wird aus nominellen, empirisch am Markt beobachtbaren Aktienrenditen abgeleitet, in denen alle Wachstumsaspekte enthalten sind, mithin auch inflationsbedingtes Wachstum. Bei einer Umrechnung des Vorsteuerin den Nachsteuerwert werden also auch die inflationsbedingten Kursveränderungen hiervon erfasst. Wenn aber im Nenner (implizit) das inflationsbedingte Wachstum berücksichtigt ist, muss dies dann konsequenterweise auch bei den Überschüssen im Zähler folgen. Folglich kann von einer Inkonsistenz zwischen Zähler und Nenner nicht ausgegangen werden. Ebenso wenig liegt darin ein Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Annahme einer unbegrenzten Lebensdauer des zu bewertenden Unternehmens einerseits und einer Besteuerung von tatsächlich nur durch Veräußerung zu realisierenden Kursgewinnen. Es handelt sich hierbei um eine bewertungstheoretische Annahme, ohne die den Aktionären wesentliche Teile des Unternehmensvermögens vorenthalten würden (so OLG München, Beschluss vom 3.12.2020, Az.: 31 Wx 330/16 – zit. nach juris; OLG Frankfurt AG 2020, 954, 956; P./R. in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl., § 12.150 ff.; WP Handbuch 2014, Band 2, Rdn. 399; P… Der Konzern 2019, 149, 153 ff.; Laas WPg 2020, 1256, 1258 ff.).
152
Abgebildet wird die Problematik der Inflationsbedingten Wertsteigerungen vorliegend im Nenner des Bewertungskalküls, in dem ein Wachstumsabschlag nach Steuern von 0,87 angesetzt wurde. Das Ergebnis ändert sich durch diese Vorgehensweise nicht.
153
Angesichts dessen stellen sich die ausschüttungsfähigen Überschüsse der O. AG wie folgt dar:
|
GJ20
|
GJ21
|
GJ22
|
GJ23
|
GJ24
|
GJ25
|
|
|
GJ jeweils zum 30.09
|
Plan
|
Plan
|
Plan
|
Plan
|
Plan
|
Plan
|
|
|
MEUR
|
MEUR
|
MEUR
|
MEUR
|
MEUR
|
MEUR
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Opto Semiconductors
|
1.336
|
1.425
|
1.604
|
1.841
|
2.102
|
2.375
|
|
Automotive
|
1.573
|
1.717
|
1.787
|
1.897
|
1.971
|
2.021
|
|
Digital
|
741
|
811
|
874
|
930
|
992
|
1.059
|
|
Überleitung Konzernabschluss
|
- 630
|
- 755
|
- 739
|
- 811
|
- 855
|
- 897
|
|
Umsatz
|
3.020
|
3.198
|
3.526
|
3.857
|
4.209
|
4.559
|
Umsatzkosten
|
2.330
|
2.313
|
2.465
|
2.609
|
2.821
|
2.982
|
Bruttoergebnis
|
690
|
885
|
1.061
|
1.248
|
1.389
|
1.577
|
Forschungs- und Entwicklungskosten
|
385
|
354
|
311
|
326
|
341
|
363
|
Vertriebs- und allg. Verwaltungskosten
|
622
|
618
|
585
|
586
|
600
|
622
|
Eliminierung Verwaltungskosten Fluxunit
|
1
|
1
|
1
|
1
|
1
|
1
|
Sonstige betriebliche Erträge
|
66
|
27
|
|
|
|
|
Sonstige betriebliche Aufwendungen
|
3
|
20
|
|
|
|
|
EBIT
|
- 253
|
- 79
|
166
|
338
|
449
|
592
|
|
|
|
|
|
|
|
Umsatz- und kostenseitige Synergien
|
|
18
|
50
|
54
|
54
|
54
|
Aufwendungen in Verbindung mit kosten- und umsatzseitigen Synergien
|
|
4
|
6
|
1
|
|
|
EBIT inkl. unechte Synergien
|
- 253
|
- 65
|
210
|
392
|
504
|
647
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
EBIT inkl. unechte Synergien
|
- 253
|
- 65
|
210
|
392
|
504
|
647
|
Abschreibungen
|
397
|
331
|
315
|
310
|
305
|
312
|
EBITDA inkl. unechte Synergien
|
144
|
266
|
525
|
701
|
809
|
959
|
EBITDA
|
144
|
266
|
525
|
701
|
809
|
959
|
946
|
Abschreibungen
|
- 397
|
- 331
|
- 315
|
- 310
|
- 305
|
- 312
|
- 329
|
EBIT
|
- 253
|
- 65
|
210
|
392
|
504
|
647
|
617
|
Zinsergebnis
|
- 18
|
- 30
|
- 21
|
- 17
|
- 13
|
- 9
|
- 8
|
EBT
|
- 271
|
- 95
|
189
|
375
|
491
|
637
|
609
|
Unternehmensteuern
|
- 32
|
- 76
|
- 37
|
- 63
|
- 112
|
- 162
|
- 166
|
Ergebnis nach Unternehmensteuern (vor Minderheiten)
|
- 303
|
- 171
|
152
|
312
|
379
|
475
|
443
|
Minderheiten
|
61
|
44
|
|
|
|
|
|
Ergebnis nach Unternehmensteuern (nach Minderheiten)
|
- 242
|
- 127
|
152
|
312
|
379
|
475
|
443
|
Cashflowrelevante Anpassungen
|
|
|
|
|
|
|
- 4
|
Ausschüttungsfähiges Ergebnis
|
- 242
|
- 127
|
152
|
312
|
379
|
475
|
438
|
Thesaurierung
|
242
|
127
|
- 91
|
- 187
|
- 227
|
- 285
|
- 219
|
Ausschüttung
|
0
|
0
|
61
|
125
|
152
|
190
|
219
|
Persönliche Ertragsteuern
|
|
|
- 16
|
- 33
|
- 40
|
- 50
|
- 58
|
Ausschüttung (nach ESt)
|
0
|
0
|
45
|
92
|
112
|
140
|
161
|
Fiktive Zurechnung von Thesaurierung
|
|
|
|
|
|
|
219
|
Persönliche Ertragsteuer auf fiktive Zurechnung
|
|
|
|
|
|
|
- 29
|
Zu diskontierende Nettoausschüttung
|
0
|
0
|
45
|
92
|
112
|
140
|
352
|
154
Der Wert der so ermittelten Überschüsse muss nach der Ertragswertmethode auf den Stichtag der Hauptversammlung abgezinst werden. Der hierfür heranzuziehende Kapitalisierungszinssatz, der die Beziehung zwischen dem zu bewertenden Unternehmen und den anderen Kapitalanlagemöglichkeiten herstellen soll, wurde in der Detailplanungsphase im Geschäftsjahr 2020 auf 8,76% in den Planjahren 2021 und 2022 jeweils auf 8,31%, im Jahr 2023 auf 8,06%, im Jahr 2024 auf 7,86%, im letzten Planjahr auf 7,60% sowie im Terminal Value auf 6,39% festgesetzt und muss nicht zugunsten der Minderheitsaktionäre angepasst werden.
155
Zutreffend ist der Ausgangspunkt bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes unter Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern in der Bewertung durch die Antragsgegnerin. Da die finanziellen Überschüsse aus der alternativ am Kapitalmarkt zu tätigenden Anlage der persönlichen Ertragsbesteuerung der Unternehmenseigner unterliegen, ist der Kapitalisierungszinssatz unter Berücksichtigung der persönlichen Steuerbelastung zu ermitteln (vgl. OLG München ZIP 2006, 1722, 1725; AG 2007, 287, 290; NJW-RR 2014, 473, 474; OLG Düsseldorf AG 2019, 92, 95 = ZIP 2019, 370, 373 f. = DB 2018, 2108, 2111 f.; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 134: OLG Karlsruhe AG 2013, 353, 355; Laas WPg 2020, 1256, 1257). Dabei ist im Rahmen der Unternehmensbewertung nach dem im Zeitpunkt der Hauptversammlung maßgeblichen Steuerregime der Abgeltungssteuer von einem Steuersatz von 25% entsprechend der gesetzlichen Regelungen in §§ 43, 43 a Abs. 1 Nr. 1, 32 d Abs. 1 Satz 1 EStG auszugehen, der auch angesetzt wurde. Zudem ist der Solidaritätszuschlag zu beachten, woraus sich dann ein Steuersatz von 26,375% errechnet.
156
Der Basiszinssatz war dabei mit – 0,1% anzusetzen.
157
Der Basiszinssatz bildet eine gegenüber der Investition in das zu bewertende Unternehmen risikolose und laufzeitadäquate Anlagemöglichkeit ab. Die Ermittlung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve von Zerobonds quasi ohne Kreditausfallrisiko kann methodisch nicht beanstandet werden. Es ist nämlich betriebswirtschaftlich gefordert, dass der Kapitalisierungszinssatz für den zu kapitalisierenden Zahlungsstrom hinsichtlich Fristigkeit, Risiko und Besteuerung äquivalent sein muss. Die Zinsstrukturkurve stellt den Zusammenhang zwischen der Verzinsung und den Laufzeiten von den am Markt gehandelten Anleihen dar und gibt den Zusammenhang zwischen Verzinsung bzw. Rendite einer Anleihe und deren Laufzeit wieder. Die nach der sogenannten Svensson-Methode ermittelte Zinsstrukturkurve bildet den laufzeitspezifischen Basiszinssatz – den sogenannten Zerobond-Zinssatz – ab. Sie ist in der Rechtsprechung zu Recht weithin anerkannt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2012, Az. 12 W 66/06; OLG Frankfurt NZG 2012, 1382, 1383; 2013, 69, 70; OLG München ZIP 2009, 2339, 2341 = WM 2009, 1848, 1850; AG 2012, 749, 752 = Der Konzern 2012, 561, 564; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1170; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; LG München I AG 2016, 95, 98; 2020, 222, 225; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/15; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; auch Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 434 f.). Nur dadurch kann der Grundsatz der Laufzeitäquivalenz verwirklicht werden. Die Annahme, es müsse auf den zum Bewertungsstichtag aktuellen Zinssatz für langläufige Bundesanleihen abgestellt werden, übersieht, dass die Unternehmensbewertung auf die Ewigkeit ausgelegt ist. Gerade die Anwendung der Svensson-Methode zeigt auch, dass hier gerade nicht auf Daten der Vergangenheit abgestellt wird, sondern künftige Entwicklungen der Ermittlung des Basiszinssatzes zugrunde gelegt werden (vgl. OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; LG München I, Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15). Mit ihrer Hilfe wird ein Zinssatz auf der Grundlage laufzeitabhängiger, zukunftsorientierter Kapitalmarktdaten verwendet (vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl., S. 481; Baetge/Kümmel/Schulz/Wiese in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 437).
158
(2) Eine Reduktion wegen der Existenz von Credit Default Swaps muss nicht erfolgen. Allein der Umstand, dass am Markt auch Credit Default Swaps in Bezug auf staatliche Anleihen der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten sind, rechtfertigt nicht den Ansatz einer Kürzung des Basiszinssatzes. Zum einen ist die Bundesrepublik Deutschland – ungeachtet einer möglichen, aber keinesfalls sicheren Verwirklichung von Haftungsrisiken als Folge der Staatsschuldenkrise innerhalb des Euro-Raums – unverändert ein sicherer Schuldner. Auf ein theoretisches Restausfallrisiko kommt es nicht entscheidend an, weil völlig risikofreie Anlagen ohnehin nicht verfügbar sind. Zudem ist aus anderen Spruchverfahren gerichtsbekannt, dass es zwar Spekulationen gegen die Bundesrepublik Deutschland gibt; diese sind indes zahlenmäßig so gering, dass eine Berücksichtigung beim Basiszinssatz nicht gerechtfertigt sein kann. Weiterhin kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Neuregelungen in Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 2 GG zumindest nicht in dem Ausmaß ansteigen dürfen, wie dies in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten war (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2011, Az. 21 W 7/11; LG München I Der Konzern 2020, 311, 313 f.; Beschluss vom 29.8.2014, Az. 5HK O 7455/14; Beschluss vom 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 26513/11).
159
(3) Ebenso wenig ist es geboten, den Basiszinssatz in Phase I jeweils für ein konkretes Planjahr gesondert auszuweisen. Die einheitliche Festlegung des Basiszinssatzes für den gesamten Beurteilungszeitraum stellt eine allgemein übliche und nicht zu beanstandende Vorgehensweise dar (so ausdrücklich OLG München NJW-RR 2014, 423, 474; Beschluss vom 30.7.2018, Az., 31 Wx 122716). Dies ergibt sich letztlich auch aus der Überlegung, dass Erträge zwar jährlich erzielt und ausgeschüttet werden sollen, die Dauer des Unternehmens und damit die Ermittlung des Ertragswertes in die Ewigkeit angelegt ist und demzufolge auch nicht von einer jährlich neu stattfindenden Alternativanlage ausgegangen werden kann, wenn Bewertungsanlass das Ausscheiden eines Aktionärs aus der Gesellschaft ist (vgl. LG München I, Beschluss vom 30.3.2012, Az. 5 HK O 11296/06; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15).
160
b. Für die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes muss der Basiszinssatz um einen Risikozuschlag erhöht werden, der nach § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen ist und vorliegend sowohl in der Detailplanungsphase als auch in der Ewigen Rente auf 5,75% nach Steuern festzusetzen ist.
161
(1) Der Grund für den Ansatz eines Risikozuschlages liegt darin, dass Investitionen in Unternehmen im Vergleich zur Anlage in sichere oder zumindest quasi-sichere öffentlichen Anleihen einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Dieses Risiko wird bei einem risikoaversen Anleger durch höhere Renditechancen und damit einen erhöhten Zinssatz ausgeglichen, weshalb der Ansatz eines Risikozuschlages unumgänglich ist, zumal der Verzicht auf diesen die ohnehin nicht durch die Planung abgegoltenen Risiken wie politische Krisen, Naturkatastrophen oder weitere nicht in die Planungsrechnung einzubeziehenden allgemeinen wirtschaftlichen Risiken vernachlässigen würde. Ebenso kann die Gefahr des Verfehlens der Planungsziele nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Angesichts dessen geht die heute nahezu einhellig vertretene obergerichtliche Rechtsprechung vom Erfordernis des Ansatzes eines Risikozuschlages aus (vgl. nur OLG München ZIP 2009, 2339, 2341 = WM 2009, 1848, 1850; KG NZG 2011, 1302, 1304 = AG 2011, 627, 628 f. = ZIP 2011, 2012, 2013 = WM 2011, 1705, 1706 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2011, Az. 20 W 7/11; AG 2013, 724, 729; AG 2014, 208, 211; OLG Frankfurt NZG 2012, 549, 550 = Der Konzern 2012, 199, 205 f.; AG 2017, 790, 793 = Der Konzern 2018, 74, 78; ebenso Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 325).
162
(2) Allerdings wird die Frage, wie der Risikozuschlag im Einzelnen zu ermitteln ist, nicht einheitlich beurteilt.
163
(a) Mehrheitlich wird heute davon ausgegangen, der Risikozuschlag könne mittels des (Tax-)CAPM (Capital Asset Pricing Model) ermittelt werden. Danach wird die durchschnittliche Marktrisikoprämie, die anhand empirischer Daten aus der langfristigen Differenz zwischen der Rendite von Aktien und risikolosen staatlichen Anleihen errechnet wird, mit einem spezifischen Beta-Faktor multipliziert, der sich aus der Volatilität der Aktie des zu bewertenden Unternehmens ergibt (vgl. OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2226; AG 2016, 329, 331 = WM 2016, 1685, 1690; OLG Stuttgart AG 2010, 510, 512; AG 2008, 510, 514 f.; NZG 2007, 112, 117 = AG 2007, 128, 133 f.; OLG Frankfurt AG 2016, 551, 554; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 144; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, a.a.O., Anh § 11 Rdn. 126 f.). Zur Begründung der Maßgeblichkeit dieses kapitalmarkttheoretischen Modells wird vor allem ausgeführt, dass bei der Feststellung des Unternehmenswertes intersubjektiv nachvollziehbare Grundsätze unter Zugrundelegung von Kapitalmarktdaten Anwendung fänden und dass es kein anderes Modell gebe, das wie das CAPM die Bewertung risikobehafteter Anlagenmöglichkeiten erläutere.
164
Die weiteren in der Literatur diskutierten Modelle sind jedoch dem (Tax-)CAPM keinesfalls überlegen, sondern weisen – wie der Kammer aus anderen Spruchverfahren wie dem Verfahren 5HK O 16226/08 bekannt – deutliche Schwächen auf, weshalb sie zur Ermittlung des Risikozuschlages nicht herangezogen werden können.
165
Die Arbitrage Pricing Theory (APT) kann nicht als geeignetes Modell bezeichnet werden. Durch diese Methode wird ein Zusammenhang zwischen erwarteter Rendite und Risiko hergestellt. Die dabei zugrundeliegende Annahme unterscheidet sich allerdings deutlich von der des (Tax-)CAPM. Während das CAPM bei der Schätzung der Security Market Line davon ausgeht, dass alle Anlagen effizient diversifizierende Portfolios bilden und sich der Kapitalmarkt im Gleichgewicht befindet, nimmt das APT an, in funktionierenden Märkten könne es zu keinem Fortbestehen von Arbitragemöglichkeiten kommen. Grundgedanke ist dabei, dass bei kurzfristig auftretenden Arbitragemöglichkeiten der Marktpreis von den Marktteilnehmern dahingehend beeinflusst wird, dass sich die Arbitragemöglichkeit als Ausnutzen von Preisdifferenzen für dasselbe Wertpapier an zwei unterschiedlichen Handelsplätzen auflöst. Eine Verletzung dieser Beziehung spräche daher für einen irrationalen Markt. Die zweite Annahme des APT liegt in der Erklärung von Aktienrenditen durch ein Faktorenmodell, wobei sowohl Ein- als auch Mehrfaktorenmodelle Verwendung finden. Dabei wird die Aktienrendite unter Berücksichtigung mehrerer Risikofaktoren bestimmt, wie beispielsweise die Risikoprämien für makroökonomische Größen, die das Bruttoinlandsprodukt oder die Inflationsrate darstellen. Die dritte zentrale Annahme besteht im Vorhandensein einer ausreichenden Zahl von Wertpapieren, um wertpapierspezifische Risiken durch Diversifikation zu eliminieren. Ein erheblicher Nachteil dieses Modells liegt darin, dass keine konkrete Vorgehensweise in Bezug auf die Bestimmung von relevanten Faktoren, bzw. den korrespondierenden Risikoprämien aufgezeigt wird.
166
In gleicher Weise kann auch für das Drei-Faktoren-Modell nach Fama-French eine Überlegenheit gegenüber dem (Tax-)CAPM nicht angenommen werden, weshalb es wie das APT zur Ableitung der Marktrisikoprämie nicht herangezogen werden muss. Dieses Modell berücksichtigt neben der Marktrisikoprämie und dem Beta-Faktor zusätzlich noch weitere Faktoren, die sich auf die Marktkapitalisierung und das Kurs-Buchwert-Verhältnis beziehen, wodurch die erwartete Überrendite von kleinen Unternehmen und Unternehmen mit einem hohem Quotienten aus Buch- und Marktwert berücksichtigt werden sollen. Die gerichtlich bestellten Sachverständigen haben in ihrem Hauptgutachten dargestellt, dass die Ermittlung der Faktoren auf empirischer Erklärungsgüte von Aktienrenditen basiert und somit theoretisch nicht fundiert ist. Aus einem anderem Spruchverfahren, Az. 5 HK O 16505/08 ist der Kammer aufgrund der Ausführungen des dortigen Sachverständigen, Herrn Dipl.-Kfm. …, zudem bekannt, dass eine noch vergleichsweise zeitnah zur Hauptversammlung durchgeführte Untersuchung von Schulz aus dem Jahr 2009 für den deutschen Kapitalmarkt gerade keine Überrendite für kleine und große Unternehmen feststellen konnte. Angesichts dessen wird das Modell von Fama-French den deutschen Marktgegebenheiten nicht gerecht. Auch dieser Umstand spricht neben der kontrovers diskutierten Auswahl der Risikofaktoren gegen den Ansatz der Überlegungen von Fama & French zur Ermittlung des Risikozuschlags bei der Gesellschaft.
167
Auch die Sicherheitsäquivalenzmethode, die im Zähler des Bewertungskalküls ansetzt, stellt keine vorzugswürdige alternative Methode zur Bestimmung des Risikozuschlags dar. Sie beruht auf der Erwägung, dass der unsichere künftige Zahlungsstrom als Grundlage der Bewertung nach der Ertragswertmethode durch einen Zahlungsstrom ersetzt wird, der anstelle des Erwartungswertes risikoneutrale Erwartungswerte abbildet. Die Diskontierung des Zahlungsstroms erfolgt dann mit dem risikofreien Zinssatz. Das Sicherheitsäquivalent ist dabei diejenige Ergebnishöhe, die bei sicherem Eintreten aus Sicht des Bewerters den gleichen Nutzen stiftet wie das volle (unsichere) Ergebnis-Verteilungsspektrum. Hierzu ist indes die Bestimmung einer Risikonutzenfunktion erforderlich. Die dieser zugrundeliegende Schätzung risikoneutraler Wahrscheinlichkeiten lässt sich beispielsweise über Marktdaten wie Optionspreise bei Annahme der Arbitragefreiheit ermitteln. Indes stellt die Risikonutzenfunktion ein abstraktes Konzept dar, dessen Bestimmung in Bezug auf den konkreten Funktionsverlauf mit solchen Herausforderungen verbunden ist, dass sie in der Bewertungspraxis keine Anwendung findet und schon deshalb nicht geeignet sein kann, den Risikozuschlag abzuleiten. Die Überlegungen für den Ansatz einer bestimmten Methode, wie sie oben einleitend unter B. II. dargestellt wurden, müssen hier in gleicher Weise geltend. Zudem ist, wie der Kammer aus den Verfahren 5 HK O 7819/09 durch die Aussage der dort bestellten Sachverständigen W2. A3. und W3. W4. bekannt ist, dass eine darauf beruhende Bewertung intersubjektiv kaum oder gar nicht nachprüfbar ist, nachdem sie die Kenntnis der Risiko-Nutzen-Funktion der Eigentümer voraussetzt.
168
Für die von Gl. entwickelte Ermittlung der Kapitalkosten auf der Grundlage des Ertragsrisikos, das anhand von Variationskoeffizienten von Ertrag oder von freiem Cash-Flow gemessen wird, wobei dieser das Verhältnis der Standardabweichung zum Ertragswert darstellt, muss ungeachtet des dieser Methode innewohnenden Vorteils einer Ermittlung ohne Heranziehen von Kapitalmarktdaten gelten, dass sie in der wirtschaftswissenschaftlichen Praxis für aktienrechtliche Strukturmaßnahmen nicht angewandt wird, sondern nur vereinzelt für Bewertungsanlässe außerhalb solcher Maßnahmen. Somit fehlt es an einer zentralen Voraussetzung entsprechend den obigen Ausführungen unter B. II.
169
Angesichts dessen konnte und kann auf das (Tax-)CAPM zurückgegriffen werden, um den Risikozuschlag zu schätzen.
170
Die angesetzte Marktrisikoprämie von 5,75% nach Steuern bedarf keiner Korrektur. Sie liegt innerhalb der zum damaligen Stichtag vom FAUB des IDW empfohlenen Bandbreite von 5,0% bis 6,5% und entspricht unter Berücksichtigung der effektiven Ausschüttungsquote einem Vor-Steuer-Wert von leicht über 7,0%, der ebenfalls innerhalb der Bandbreite zwischen 6,0% und 8,0% aus der Empfehlung des FAUB des IDW liegt. Der Stichtag der Hauptversammlung liegt nun aber zeitlich hinter der aktuellen Empfehlung vom 22.10. 2019, durch die nach Anhebung der Obergrenze eine Bandbreite zwischen 5% und 6,5% nach Steuern als sachgerecht bezeichnet wurde. Zur Begründung dieser aktuellen Empfehlung führte der FAUB aus, aufgrund der aktuellen Entwicklung in Bezug auf den risikolosen Zinssatz von damals 0%, der danach sogar negativ wurde, sei eine erneute Anpassung in Bezug auf die Marktrisikoprämie erforderlich. Die Gesamtrenditeerwartung sei tatsächlich bereits in den Jahren 2012/2013 leicht gesunken; der Rückgang stehe jedoch in keinem Verhältnis zum Rückgang der Renditen deutscher Staatsanleihen. Ausgehend von einer aktuellen Gesamtrenditeerwartung von 7% bis 9% vor Steuern oder rund 5,62% bis 7,22% nach Steuern müsse es zu einer Anhebung der Marktrisikoprämie auf 6% bis 8% vor Steuern, mithin einem Nach-Steuerwert von 5% bis 6,5% kommen. Dieses Fazit einer leicht gesunkenen Gesamtrenditeerwartung beruht auf einer vom FAUB vorgenommenen Analyse verschiedenster Methoden, wobei namentlich historisch gemessene Aktienrenditen, langfristig reale Aktienrenditen, ex ante-Analysen impliziter Kapitalkosten und aktuelle Betrachtungen herangezogen wurden. Diese Empfehlung des FAUB beruht auf einem pluralen Ansatz und nicht nur auf einer einzelnen Ableitung. Dabei werden sowohl vergangenheitsbezogene Zahlen als auch Überlegungen zur Herleitung einer impliziten Marktrisikoprämie herangezogen. Seit Beginn der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise mit in der Folge sinkenden Basiszinssätzen gibt es eine wachsende Unsicherheit und damit verbunden eine hohe Risikoaversion, was – anders als steigende Diversifizierungsmöglichkeiten und eine im Zeitlauf gestiegene Risikotoleranz aufgrund gestiegenen Vermögens – für eine höhere Marktrisikoprämie spricht. Jüngere empirische Untersuchungen auch unterschiedlicher Ansätze – Betrachtung historisch gemessener Aktienrenditen, Betrachtung langfristig realer Aktienrenditen, Verwendung von ex ante-Analysen impliziter Kapitalkosen sowie modelltheoretische Analysen ohne risikofreie Kapitalkosten – deuten auf eine im Vergleich zu früheren Ansätzen infolge der Finanzkrise gestiegene Marktrisikoprämie hin (vgl. Castedello/Jonas/Schiessl/ Lenckner WPg 2018, 806 ff.). Dieser plurale Ansatz ist ungeachtet der an dieser Vorgehensweise in der Literatur geäußerten Kritik, die Marktrisikoprämie müsse anhand impliziter, am Kapitalmarkt beobachtbarer Kapitalkosten abgeleitet werden (vgl. Bassemir/Gebhardt/Ruffing WPg 2012, 882, 886, weshalb die theoretische Fundierung der Erhöhung fehle, vorzugswürdig. Die alleinige Ableitung der Marktrisikoprämie aus impliziten Kapitalkosten ist nämlich wiederum der nachvollziehbaren Kritik ausgesetzt, dass es sich dabei um einen Zirkelschluss handele, weil der aktuell gegebene Aktienkurs als gegebene Größe in die Ermittlung der impliziten Eigenkapitalkosten eingehe und sich eine einheitliche oder gar richtige Methode zu ihrer Herleitung nicht gebildet habe. Die mit der geänderten Bandbreite zum Ausdruck kommende, abwägende und veränderte Konzeption der zurückhaltenderen Herangehensweise ist ein für die Zwecke einer praktischen Unternehmensbewertung jedenfalls vertretbarer und damit für die gerichtliche Überprüfung hinreichend tauglicher Ansatz, den geänderten Bedingungen am Kapitalmarkt mit sehr niedrigen Basiszinssätzen und den daraus resultierenden empirischen Beobachtungen Rechnung zu tragen. Dabei ist nicht ersichtlich, dass die Nichtbeachtung der stichtagsaktuellen Empfehlungen des FAUB zur Marktrisikoprämie im Rahmen objektivierter Unternehmensbewertungen zu „richtigeren“ Unternehmenswerten führen könne. Wenn aber die Bandbreite einen genügenden Rahmen bietet, kann auch der Mittelwert von 5,75% nach Steuern vorliegend herangezogen werden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 8.9.2020, Az. 21 W 121/15; OLG München AG 2020, 629, 632 = WM 2021, 599, 605 f.; OLG Düsseldorf AG 2018, 679, 681 = Der Konzern 2019, 92, 96). Dabei muss gerade in diesem Zusammenhang gesehen werden, dass der Rückgang des Basiszinssatzes und die darauf beruhende Anpassung der Bandbreitenempfehlung deutlich stärker ausfiel als die Erhöhung der Marktrisikoprämie.
171
Soweit in der Literatur vertreten wird, eine höhere Marktrisikoprämie lasse sich nicht rechtfertigen (vgl. Knoll Der Konzern 2020, 478 ff.), vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Gerade die Ableitung und Höhe der Marktrisikoprämie sind in der betriebswirtschaftlichen Literatur heftig umstritten, wie eine Vielzahl von Studien und Literaturbeiträgen deutlich machen. Eine zweifelsfreie Klärung der Problematik wird nicht möglich sein. Da es nicht Aufgabe des Spruchverfahrens sein kann, wirtschaftswissenschaftliche Streitfragen einer letztverbindlichen Klärung zuzuführen, ist die Kammer auch nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten zu diesem Themenkomplex einzuholen. Ein weiterer Erkenntnisgewinn ist hierdurch nicht zu erwarten, nachdem es insbesondere keine belastbaren Studien gibt, die dem Gericht eine bessere Erkenntnisgrundlage vermitteln könnten (so ausdrücklich OLG München AG 2020, 629, 632 = WM 2021, 629, 606). Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den Entscheidungen des BGH zur Ermittlung des Risikozuschlags nach § 7 Abs. 4 und Abs. 5 StromNEV durch die Regulierungsbehörde (vgl. BGH, Beschluss vom 9.7.2019, Az. EnVR 41/18; Beschluss vom 3.3.2020, Az. EnVR 34/18) herleiten. Der BGH lässt in diesen Entscheidungen gerade nicht erkennen, dass der Ansatz des FAUB des IDW nicht geeignet sein könnte, die Marktrisikoprämie angemessen abzubilden. Es wird lediglich ausgeführt, es handele sich hierbei um eine alternativ in Betracht kommende Bewertungsmethode, die dem Ansatz der Bundesnetzagentur nicht klar überlegen sei (vgl. OLG München AG 2020, 133, 136 = WM 2019, 2104, 2113; Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16). Die vom Kartellsenat des BGH aufgestellten Grundsätze lassen sich nach den ausdrücklichen Feststellungen im Beschluss vom 3.3.2020, Az. EnVR 34/18 gerade nicht mit denen zur Ermittlung der angemessenen Barabfindung nach § 327 b AktG vergleichen, weil die Ermittlung des Wagniszuschlags nach § 7 Abs. 5 StromNEV nicht der Ermittlung eines Unternehmenswertes dient, sondern der Bestimmung eines Faktors, dem ausschlaggebende Bedeutung für die Bestimmung einer den Zielen der §§ 1 und 21 EnWG Rechnung tragenden Vergütung für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen zukommt.
172
(c) Der herangezogene unverschuldete Beta-Faktor von 1,25 kann zur Ermittlung des Risikozuschlags herangezogen werden, wobei er aus einer P. Group vergleichbarer Unternehmen abgeleitet werden konnte. Der Beta-Faktor gibt an, wie sich die Rendite des zu bewertenden Unternehmens im Vergleich zum Marktportfolio verhält, so dass er das unternehmensindividuelle Risiko ausdrückt. Dabei beschreibt der Beta-Faktor, welche Änderung der Rendite der zu bewertenden Aktie bei einer Änderung der Rendite des Marktportfolios zu erwarten ist. Somit ist er kein empirisch feststellbarer Vergangenheitswert, sondern ein durch Schätzung zu ermittelnder Zukunftswert. Dabei erfolgt die Ableitung des künftigen Beta-Faktors bei börsennotierten Unternehmen aus historischen Kapitalmarktdaten anhand einer linearen Regression der unternehmensspezifischen Aktienkursrendite auf die Rendite des Aktienindex, wobei der Beta-Faktor die Steigerung der Regressionsanalyse angibt (vgl. OLG Karlsruhe, AG 2013, 880, 881 = Der Konzern 2013, 499, 512; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9.1.2014, Az. 26 W 22/12 (AktE) – zit. nach juris; OLG Frankfurt AG 2017, 790, 795; NZG 2020, 339, 346 = AG 2020, 298, 302 = ZIP 2020, 810, 818; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG a.a.O., Anh. § 305 Rdn. 45 a; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 155 und 158;). Sofern das unternehmenseigene Beta aussagekräftig und nicht durch Sonderfaktoren verzerrt ist, ist dieses zur Ermittlung des unternehmensindividuellen Risikos heranzuziehen und gegenüber der Ermittlung aus einer P. Group vorzugswürdig. Dies resultiert aus der Überlegung, dass der eigene Beta-Faktor im Zweifelsfall das systematische, operative Risiko der Gesellschaft unmittelbar wiedergibt, weshalb er der beste Indikator für den künftigen Beta-Faktor ist (vgl. OLG Frankfurt, AG 2017, 790, 795; NZG 2020, 339, 346 = AG 2020, 298, 303 = ZIP 2020, 810, 818; OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 124, 895; OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 21, 367 = AG 2016, 584, 567; BeckRS 2016, 111006; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 163; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh. 305 Rdn. 47; Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren für die Unternehmensbewertung, 6. Aufl., S.407 ff.).
173
Der originäre Beta-Faktor der O. AG, der über einen Referenzzeitraum von zwei Jahren bei wöchentlichen Renditeintervallen 1,22 betrug, konnte der Ermittlung des Unternehmenswerts und der Barabfindung nicht zugrunde gelegt werden, auch wenn die Bid-Ask-Spreads in einem Zeitraum von fünf Jahren vor der Ankündigung unter 0,5 und der t-Test als statistisches Gütemaß aussagekräftig waren. Die Vertragsprüfer erläuterten überzeugend, dass im Wesentlichen ab dem ersten Übernahmeangebot von Bain Capital vom 27.11.2018 sich der unternehmenseigene Beta-Faktor der Gesellschaft nach unten bewegte, was sich durch Übernahmespekulationen noch verstärkte. Ab dem Übernahmeangebot verläuft die Entwicklung des originären Beta-Faktors vor allem nicht annähernd parallel zum Median und zum Mittelwert der P. Group, wobei dieser Beta-Faktor unverschuldet über einen Zeitraum von zwei Jahren bei Betrachtung wöchentlicher Renditeintervalle ermittelt wurde. Dabei fällt ausweislich der Grafik auf Seite 80 des Prüfungsberichts auf, dass in den ersten drei Monaten nach dem 23.11.2018 beim unternehmenseigenen Beta-Faktor zunächst ein starkes Abfallen und dann etwa ab der Mitte dieses Betrachtungszeitraums ein starker Anstieg zu beobachten ist, bis sich ab dem 28.2.2019 bis etwa Mitte April ein Gleichlauf mit dem konstant leicht steigenden Beta-Faktor der P. Group einstellt. Ab diesem Zeitpunkt sinkt der unternehmenseigene Beta-Faktor nahezu durchgehend und liegt bis zur Veröffentlichung der Absicht zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag am unteren Rand des unteren bis oberen Quartils der P. Group, teilweise sogar darunter. Demgegenüber zeigen der Mittelwert und der Median der P. Group Unternehmen bis zur Bekanntgabe der Absicht zum Abschluss des Unternehmensvertrages, die in etwa mit dem Beginn der Covid-19-Pandemie zusammenfiel, eine gegenläufige, also leicht steigende Tendenz. Gerade dieser Umstand erhellt die fehlende Aussagekraft des unternehmenseigenen Beta-Faktors, weil sich dieser von der allgemeinen Marktentwicklung abgekoppelt hat – andernfalls müsste eine jedenfalls von der Tendenz her vergleichbare Entwicklung festgestellt werden.
174
Für eine solche Abkoppelung spricht auch die auf Seite 79 des Prüfungsberichts dargestellte Entwicklung des Kurses der Aktie der O. AG im Vergleich zum CDAX. Auch hier zeigt sich im Vergleich zu einer relativ konstanten Entwicklung des CDAX, der sich in einem Korridor zwischen 80,0 und etwa 105,0 bei einem Ausgangswert von 100 bewegt, ein sehr viel volatileres Bild. Der Kurs der Aktie bewegt sich zwischen knapp über 60,0 und nahezu 120,0 und verläuft namentlich zwischen April 2019 und August 2019 zunächst stark fallend von etwas über 90,0 auf nahezu 60,0 und dann im Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot von Bain Capital und der Carlyle-Gruppe ebenso stark ansteigend, währen der CDAX im selben Zeitraum vergleichsweise konstant um einen Wert von etwas über 90,0 schwankt, ohne dass hier allzu heftige Ausschläge nach oben oder unten zu beobachten gewesen wären.
175
Aus der Tatsache, dass die Prüfer von E. bei den Squeeze out der L1. AG – im Gegensatz zu der hier erfolgten Bewertung – nach einem Übernahmeangebot den originären Beta-Faktor herangezogen haben, kann nicht auf die Notwendigkeit geschlossen werden, bei der O. AG müsse dies in gleicher Weise erfolgen. Bei der L1. AG konnte für die Ableitung des unternehmenseigenen Beta-Faktors aufgrund der Analysen von Herrn Dr. P., der auch dort für die als Abfindungsprüferin bestellte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft E. tätig war, keine Verzerrungen des originären Beta-Faktors festgestellt werden. Die dortigen Besonderheiten lassen sich daher nicht auf die O. AG übertragen; vielmehr ist jedes Unternehmen spezifisch auf seine Besonderheiten hin zu überprüfen.
176
Eine Eliminierung des Einflusses des Übernahmeangebots auf den unternehmenseigenen Beta-Faktor der Gesellschaft durch eine Adjustierung entsprechend der Blume-Formel ist nicht zielführend und daher nicht geboten. Herr Dr. P. wies im Anhörungstermin zur Begründung auf das Wesen der Adjustierung nach Blume hin. Ihr Grund liegt darin, dass sich verschuldete Beta-Faktoren langfristig hin zum Durchschnitt bewegen. Allerdings kann nur ein aussagekräftiger Beta-Faktor adjustiert werden, da vorliegend dem unternehmenseigenen Beta-Faktor aber die Aussagekraft fehlt, muss eine Adjustierung vorliegend ausscheiden.
177
Die Ableitung des Beta-Faktors der O. AG über einen Zeitraum von fünf Jahren gegenüber dem MSCI World Index war vorliegend in diesem Zusammenhang nicht geboten. Auch bei der Wahl eines fünfjährigen Referenzzeitraums wäre es bei dem Befund geblieben, dass der originäre Beta-Faktor ab dem Übernahmeangebot verzerrt war.
178
(bb) Die Ermittlung des Beta-Faktors über eine P. Group vergleichbarer Unternehmen muss nicht korrigiert werden. Dabei begegnet deren Zusammensetzung keinen Bedenken. Für die Auswahl der P. Group-Unternehmen wesentlich ist die Vergleichbarkeit hinsichtlich des Geschäftsmodells, der spezifischen Produktsegmente bzw. des Diversifikationsgrades und der Produktart, hinsichtlich der regionalen Abdeckung und gegebenenfalls auch hinsichtlich ihrer Größe (vgl. Franken/Schulte/Dörschell, Kapitalkosten für die Unternehmensbewertung, 3. Aufl., S. 47). Diese unmittelbare Vergleichbarkeit muss bei den herangezogenen Unternehmen der P. Group bejaht werden. Dabei konnten auch im Ausland ansässige und notierte Gesellschaften einbezogen werden. Es ist in der Rechtsprechung weithin anerkannt, dass angesichts der internationalen Verflechtung der Kapitalmärkte auch ausländische Unternehmen in eine P. Group aufgenommen werden können (vgl. OLG Celle AG 2007, 865, 867 = ZIP 2007, 2025, 2028; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2226; LG München I, Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 20672/14; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 26.7.2019, Az. 5HK O 13831/17; Beschluss vom 16.4.2021, Az. 5HK O 5711/19).
179
Soweit gerügt wurde, bestimmte Unternehmen hätten zwingend in die P. Group aufgenommen werden müssen, rechtfertigen diese Rügen keine Anpassung des unverschuldeten Beta-Faktors von 1,25. Die K. P. N.V. hatte bereits im Jahr 2016 das Lichtgeschäft an die in die P. Group aufgenommene S. N.V. veräußert. Damit aber fehlt mit der Lichtsparte ein zentrales Element des Geschäftsbereichs der O. AG und damit auch die Vergleichbarkeit. Bei Cr. Inc. muss dasselbe gelten, weil ein großer Teil der Umsätze mit Antriebssystemen für Autos hergestellt wird, was es bei der O. AG nicht gibt. F. AB konnte nicht als Vergleichsunternehmen eingestuft werden, weil dort ausschließlich Beleuchtung für Gebäude hergestellt wird und der Fokus auf LED fehlt; zudem wird bei F… AB auch nicht für den Automobilmarkt produziert, der zu den wesentlichen Absatzmärkten des Bewertungsobjekts gehört. H. Inc. und L. I. Co. Ltd. sind diversifizierte Elektronikkonzerne mit relativ wenig Lichtprodukten im Angebot, weshalb die Vergleichbarkeit der spezifischen Produktsegmente und Produkte verneint werden konnte. Die Z. G. AG wurde wegen des geringen Handelsvolumens und wegen relativ geringer Produktion für die Automobilbranche ausgeschlossen. Zudem wies Herr Dr. R. darauf hin, dass die Bid-Ask-Spreads im Zeitverlauf bei diesem Unternehmen einen deutlichen Anstieg verzeichneten, der umso größer wurde, je näher man sich dem Stichtag der Hauptversammlung am 3.11.2020 näherte.
180
Demgegenüber bestehen gegen die Aufnahme von S. N.V. wie auch der H. KGaA keine grundlegenden Bedenken, auch wenn diese Unternehmen ausschließlich in einem Markt tätig sind – Licht bzw. Automotive. Da es ein vollständig vergleichbares Unternehmen nicht gibt, müssen solche Unternehmen gesucht werden, die alle Geschäftsfelder des Bewertungsobjekts sinnvoll abbilden. S. N.V. passt dabei sehr gut zum Digital-Bereich und H. KGaA sehr gut zum Automotive-Bereich. Auch sieht die Gesellschaft diese beiden Unternehmen als Hauptwettbewerber an. Die Tatsache, dass K. M. mit einem sehr hohen Risikofaktor und nur Mitbewerber im Segment Automotive sei, ohne vom Semiconductor-Boom zu profitieren und zudem im Zug-/Luftverkehr auftrete, rechtfertigt nicht den Ausschluss aus der P. Group. Dieses Unternehmen erzielt 90% seiner Umsätze im Bereich Automotive/Lighting, weshalb die Einbeziehung als sachgerecht zu bezeichnen ist. Die Aufnahme von E. kann gleichfalls nicht als fehlerhaft eingestuft werden, nachdem dieses Unternehmen Chips für LEDs mit einem Schwerpunkt bei der Automobilindustrie, bei Smartphones, Allgemeinbeleuchtung bis hin zu Pflanzenbeleuchtung vertreibt. Da das Vergleichsunternehmen U. Inc. Lampen und optische Geräte für Kinoproduktionen anbietet, konnte es angesichts der guten Vergleichbarkeit mit der Business Unit Digital in die P. Group aufgenommen werden. Da U. Inc. auch eine Vielzahl von LED-Produkten produziert, besteht eine relativ gute Passgenauigkeit für diesen Geschäftsbereich, in dem U. Inc. auch von der O. AG als Hauptwettbewerber wahrgenommen wird.
181
Das Vorliegen eines Transformationsprozesses bei der O. AG führt nicht dazu, dass die in die P. Group aufgenommenen Unternehmen nicht mehr vergleichbar sein könnten. Einen solchen Transformationsprozess gibt es nämlich nicht nur bei der O. AG, sondern in der gesamten Branche, was sich schon daran zeigt, dass es zum Verbot der Produktion von Glühbirnen kam und in Zukunft auch Halogen verboten sein wird. Die Transformation der O. AG weg vom Leuchtmittelhersteller hin zum diversifizierten Photonik-Unternehmen ist nach den von Herrn Dr. R. vermittelten Erkenntnissen auch bei den P. Group-Unternehmen zu beobachten. Ein sinkendes operatives Risiko lässt sich daraus nicht herleiten.
182
(cc) Die Art und Weise der Ableitung des unverschuldeten Beta-Faktors von 1,25 erfolgte sachgerecht. Die Bewertungsgutachter von P… ermittelten diesen Wert aus einer Bandbreite von insgesamt vier Ableitungen. Die Regression erfolgte jeweils über einen Referenzzeitraum von zwei Jahren bei wöchentlichen Renditeintervallen gegen den jeweils größten nationalen Index wie auch gegen den MSCI World Index sowie über einen Referenzzeitraum von fünf Jahren mit monatlichen Renditeintervallen wiederum gegen den jeweils größten nationalen Index und gegen den MSCI World Index. Unter Ermittlung des arithmetischen Mittels wie auch des Median gelangten die Bewertungsgutachter zu einer Bandbreite zwischen 1,2 und 1,4, woraus dann der Beta-Faktor mit 1,25 etwas unter dem Mittelwert von 1,3 angesetzt wurde. Die Vertragsprüfer von E. unterzogen diese Ableitung einer eigenständigen Prüfung. Im Gegensatz zu den Bewertungsgutachtern von P… zogen sie beim verschuldeten Beta-Faktor Performance-Indices heran, während das Bewertungsgutachten auf Preis-Indices abstellte, wobei sich dieser Ansatz zugunsten der Minderheitsaktionäre auswirkte. Die zur Prüfung und Plausibilisierung durchgeführte Berechnung durch die Vertragsprüfer führte zu deutlich höheren raw Beta-Faktoren. Allerdings errechneten die Vertragsprüfer nach der Auskunft von Herrn Dr. R. auf der Grundlage aller von P. herangezogenen Berechnungsmöglichkeiten einen Mittelwert der vier raw Beta-Faktoren von 1,35 (gerundet) und der adjusted Beta-Faktoren von 1,23. Der Mittelwert daraus liegt bei 1,29. Da dieser zur Plausibilisierung errechnete Mittelwert geringfügig über dem angesetzten Wert liegt, sahen die Vertragsprüfer keinen Anlass, den unverschuldeten Beta-Faktor aus dem Bewertungsgutachten zu korrigieren. Angesichts dessen muss die Kammer auch keine abschließende Entscheidung darüber treffen, ob zwingend von raw Beta-Faktoren auszugehen ist, wobei diese hier vorliegend über dem Adjusted Beta-Faktor liegen, oder ob eine Adjustierung nach Blume vorzugswürdig ist.
183
Die Ableitung des Mittels vom Mittel auf der Basis des arithmetischen und nicht des Median kann nicht beanstandet werden. Es handelt sich dabei um eine weit verbreitete Methode, worauf Herr Dr. P. im Termin vom 2.12.2022 hingewiesen hat. Auch die Höhe des Beta-Faktors beruht auf einer Schätzung, bei der es gewisse Beurteilungs- oder Ermessensspielräume geben muss. Da beide Methoden in der Praxis der Unternehmensbewertung gängig sind, kann es nicht Aufgabe des Gerichts in einem Spruchverfahren sein, eine letztgültige Entscheidung darüber zu treffen, ob eine der beiden Methoden zwingend der anderen vorzuziehen ist. Abgesehen davon unterscheiden sich die Werte bei dem Ansatz des Median nahezu nicht von dem Mittelwert, den die Vertragsprüfer über den Ansatz des arithmetischen Mittels abgeleitet haben. Beim raw Beta-Faktor ergibt sich über den Median ein (arithmetisches) Mittel von 1,33 und beim Adjusted Beta von 1,24, wobei der erstgenannte Wert um 0,02 nach unten abweicht und der letztgenannte Wert sogar identisch ist.
184
Keinen methodischen Bedenken begegnet die gewählte Methode der Regression sowohl gegen den größten nationalen als auch gegen einen globalen Index für einen Zeitraum von jeweils zwei Jahren gegen wöchentliche und von fünf Jahren gegen monatliche Renditeintervalle. Durch den Ansatz von vier Werten erhielten die Bewertungsgutachter wie auch die Vertragsprüfer eine Bandbreite auf der Basis der in der Bewertungspraxis üblicherweise herangezogenen Verfahren zur Ermittlung des Beta-Faktors. Die jeweiligen Ansätze bieten Vor- und Nachteile, die sich aber letztlich ausgleichen, weshalb nicht eine Methode von vorneherein zu verwerfen ist. Gegen den Ansatz des MSCI World Index wird eingewandt, dass dadurch ein Home Bias übersehen wird, wobei aber dieses Phänomen empirisch immer weniger zu beobachten sein soll (vgl. Ruiz de Vargas in: Festschrift für Großfeld, 2019, S. 355, 362 f.). Zum anderen wird gegen diesen Ansatz argumentiert, er werde durch Währungsschwankungen beeinflusst, was bei einem heimischen Index wie dem DAX oder vor allem dem viel breiteren CDAX nicht der Fall sei. Andererseits muss aber gesehen werden, dass es durchaus zielführend sein kann, angesichts des vom (Tax-)CAPM unterstellten Diversifikationsprinzips einen Index für das Marktportfolio heranzuziehen, der sämtliche Kapitalanlagemöglichkeiten eines rational handelnden Marktteilnehmers einbezieht, zumal Deutschland als Volkswirtschaft Teil des globalen Wirtschaftssystems ist (vgl. Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh § 305 Rdn. 46). Dies gilt hier umso mehr, als auch die O. AG weltweit tätig ist und knapp 2/3 ihres Umsatzes in den Geschäftsjahren 2018 und 2019 außerhalb der Region Europa, Naher Osten und Afrika erwirtschaftete. Ebenso wenig stellt das Heranziehen auch eines fünf Jahre umfassenden Referenzzeitraums eine methodische Schwäche dar, auch wenn kurzfristige Entwicklungen über den Zwei-Jahres-Zeitraum besser erfasst werden. Das Heranziehen eines fünfjährigen Betrachtungszeitraums wäre nur dann ungeeignet, wenn in dieser längeren Zeitspanne ein Strukturbruch vorgekommen wäre, was indes bei der O. AG nicht bejaht werden kann. Allein die Tatsache, dass es einen Transformationsprozess in der Branche gibt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Planung der Gesellschaft bildet die Entwicklung hin zum Halbleiter-Markt ab, die sich auch in der P. Group wiederfindet. Dies gilt auch, wenn man fünf Jahre zurückgeht, wie die Vertragsprüfer in ihrer Anhörung herausgestellt haben. Wenn es bestimmte Transformationsprozesse in einer Branche gibt, treffen diese in gleicher Weise auch die P. Group-Unternehmen, weil solche Prozesse auch den technologischen Fortschritt widerspiegeln und die Vergleichsunternehmen ohne entsprechende Anpassungen dem Wettbewerb nicht standhalten könnten.
185
Bei der Ermittlung des Beta-Faktors war es andererseits nicht zwingend notwendig, Beta-Faktoren über ein, zwei, drei und fünf Jahre wöchentlich zu überprüfen. Eine derartige Vorgehensweise wird zwar vorgenommen, hat sich aber nicht als Standard durchgesetzt. Auch musste nicht mit täglichen Renditeintervallen gerechnet werden, nachdem dadurch ein relevanter Mehrwert nicht erwartet werden kann. Tägliche Renditeintervalle sind regelmäßig verzerrt und mangels einer Normalverteilung zur Schätzung künftiger Beta-Faktoren jedenfalls deutlich weniger gut geeignet als wöchentliche oder monatliche Renditeintervalle.
186
Die Vorgehensweise beim Unlevern zur Ermittlung des unverschuldeten Beta-Faktors der P. Group-Unternehmen ist nicht zu beanstanden. Die aus historischen Kapitalmarktdaten abgeleiteten Beta-Faktoren berücksichtigen neben dem operativen Risiko auch das aus der Verschuldung resultierende Finanzierungsrisiko. Um allerdings das operative Risiko abzuleiten, muss im Wege des Unlevern der Beta-Faktor um diese Einflüsse der historischen Fremdfinanzierung zunächst bereinigt werden. Dabei müssen das verzinsliche Fremdkapital sowie das Eigenkapital in Verhältnis zueinander gesetzt werden, wobei dabei allerdings nicht die Buch-, sondern Marktwerte zu berücksichtigen sind. Als Marktwert des Eigenkapitals wird regelmäßig der Börsenwert, also die Marktkapitalisierung herangezogen. Dabei wandten sowohl die Bewertungsgutachter als auch die Vertragsprüfer die klassische Harris/Pringle-Formel an, bei der der Marktwert der Nettofinanzverbindlichkeiten und der Marktwert des Eigenkapitals angesetzt werden. Zudem wurden unsichere Tax Shields sowie ausfallbedrohte Fremdkapitalbestände unter Berücksichtigung des Debt Beta angesetzt. Das Beta des Fremdkapitals zeigt an, in welchem Maße die Fremdkapitalgeber des Unternehmens systematisches, also nicht durch Diversifikation eliminierbares Risiko im Sinne des CAPM bzw. (Tax-)CAPM abnehmen. Es ist dabei sowohl beim Unlevern als auch anschließend beim Relevern zu berücksichtigen. Dies führt zu einer teilweisen Überwälzung von systematischen Risiken von den Eigenkapitalgebern auf die Fremdkapitalgeber, so dass sich aus Sicht der Eigenkapitalgeber deren Risiko verringert. Die Ermittlung erfolgte dabei indirekt als Quotient des Credit Spread und der Marktrisikoprämie. Die Ermittlung des Debt Beta hat dabei fallspezifisch anhand der Fremdkapitaltitel und deren Konditionen zu erfolgen, inwieweit die Fremdkapitalgeber tatsächlich einen Teil des systematischen Risikos übernehmen (vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, a.a.O, S. 632 ff.).
187
Zur Ermittlung des Debt Beta zogen die Vertragsprüfer die eigenen Fremdkapitalinstrumente heran. Die Fremdkapitalkostenbasis für das Debt Beta wurde auf der Basis des Quotienten aus Zinsaufwand und Fremdkapitalbestand ermittelt. Zur Plausibilisierung zogen die Vertragsprüfer Durchschnittsdaten auf der Basis von Quartalsdaten heran, wodurch sie auch eine hinreichende Zahlenbasis hatten. Den Marktwert des Debt Beta ermittelten sie aus der Summe der Pensionsverpflichtungen, der kurz- und langfristigen Schulden sowie der Leasingverbindlichkeiten; gegenläufig wurde der Cash-Bestand berechnet. Im Rahmen ihrer Plausibilisierungsmaßnahmen setzten Herr Dr. P. und Herr Dr. R. die Pensionen mit dem IFRS-Bilanzansatz und die Minderheiten vereinfachend an. Um sicherzustellen, dass die Leasingverbindlichkeiten tatsächlich entsprechend den neu geregelten Rechnungslegungsvorschriften aus IFRS 16, wonach alle Leasingverbindlichkeiten als verzinsliche Verbindlichkeiten in der Bilanz ausgewiesen werden müssen, tatsächlich einfließen, wurden – wenn auch zulässigerweise vereinfachend – die jeweiligen Angaben im Anhang der Geschäftsberichte als Basis herangezogen. Nicht zu beanstanden ist damit die Höhe des Ansatzes eines Debt Beta von 0,2 im Rahmen des Unlevern. Dies entspricht dem Durchschnitt des Debt Beta der einzelnen P. Group-Unternehmen, wie die Vertragsprüfer entsprechend ihren Ausführungen der ergänzenden Stellungnahme vom 7.12.2020 ermittelt haben.
188
(dd) Neben dem operativen Risiko prägt auch das Kapitalstrukturrisiko der Gesellschaft den Beta-Faktor. Demgemäß muss über das Relevern die künftige Verschuldung abgebildet werden, woraus sich dem Geschäftsjahr 2020 bei einer Verschuldung von 26% einen verschuldeten Beta-Faktor von 1,52, in den Geschäftsjahren 2021 und 2022 bei Verschuldungsgraden von 22% bzw. 20% von 1,45, im Geschäftsjahr 2023 bei einem Verschuldungsgrad von 16% von 1,40, im Geschäftsjahr 2024 bei einem Verschuldungsgrad von 12% von 1,37, im Geschäftsjahr 2025 bei einem Verschuldungsgrad von 7% von 1,32 und im Terminal Value bei einem Verschuldungsgrad von 2% einen verschuldeten Beta-Faktor von 1,26 herleiteten. Dabei war auch beim Relevern das Beta zu berücksichtigen, das bei der O. AG mit etwa 0,33 anzusetzen war. Dies stellt sich als durchschnittliches Beta über den Vergangenheitszeitraum dar. Die Notwendigkeit dieser Vorgehensweise resultiert aus der Erwägung, dass es einen erheblichen Unterschied zwischen dem risikolosen Basiszinssatz und den Finanzkonditionen gab, der es rechtfertigt, dass – ungeachtet eines bis auf 2% in der ewigen Rente sinkenden Verschuldungsgrades – die Fremdkapitalgeber einen Teil des systematischen Risikos tragen. Entsprechend dem Ansatz von Harris/Pringle blieben (sichere) Tax Shields unberücksichtigt.
189
(ee) Der dergestalt mit Hilfe des (Tax-)CAPM ermittelte Risikozuschlag steht auch in Einklang mit den sich aus der speziellen Situation der Gesellschaft am Markt ergebenden Risiken. Namentlich das operative Risiko der O. AG liegt über dem durchschnittlichen Risiko aller Marktteilnehmer, ohne dass dieses vielfach mit einem Beta-Faktor von 0,85 beschriebene Risiko letztverbindlich festgelegt werden müsste. Bei der Gesellschaft ist angesichts ihrer starken Abhängigkeit von der Automobilindustrie eine hohe Anfälligkeit für konjunkturelle Schwankungen festzustellen, wobei sich negative Auswirkungen bei einem Zulieferunternehmen wie der O. AG noch stärker auswirken. Ein erhebliches Risiko bedeutet für die Gesellschaft auch der relativ hohe Fixkostengrad. Demgemäß schwankte bei schwankenden Umsätzen die Marge überproportional, weil die Werkstruktur nicht angepasst werden kann und auch die Mitarbeiter zu einem relativ hohen Fixkostenanteil führen. Vor allem muss weiterhin gesehen werden, dass in der Halbleiterbranche ein extrem hohes Maß an Volatilität herrscht. Diese Risiken überwiegen die Chancen der Gesellschaft aus ihrer Geschäftstätigkeit nicht unerheblich.
190
c. Der für das Wachstum der Jahresüberschüsse im Terminal Value angesetzte Wachstumsabschlag von 1% muss angesichts seiner Angemessenheit nicht erhöht werden.
191
(1) Mit dem Wachstumsabschlag wird zugunsten der Aktionäre berücksichtigt, dass sich die Geldentwertung bei festverzinslichen Anleihen stärker auswirkt als bei einer Unternehmensbeteiligung. Das Unternehmen hat in der Regel die Möglichkeit, die Geldentwertung zumindest zu einem Teil durch Preiserhöhungen aufzufangen, während die Anleihe ohne Inflationsausgleich zum Nominalwert zurückgezahlt wird. Die Höhe des festzusetzenden Abschlages ist dabei abhängig von den Umständen des Einzelfalles. Maßgeblich ist vor allem, ob und in welcher Weise Unternehmen die erwarteten Preissteigerungen an die Kunden weitergeben können; daneben sind aber auch sonstige prognostizierte Margen und Strukturänderungen zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart AG 2007, 596, 599; NZG 2007, 302, 307; AG 2008, 783, 788 f.; OLG München WM 2009, 1848, 1851 = ZIP 2009, 2339, 2342; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1171; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2227; OLG Karlsruhe Der Konzern 2015, 442, 450 f.; 2016, 35, 41; LG München I AG 2017, 501, 506; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; Beschluss vom 27.11.2019, Az. 5HK O 6321/14; Beschluss vom 25.11.2020, Az. 5HK O 12435/05). Ausschlaggebend ist dabei primär die individuelle Situation des Unternehmens, nicht die allgemeine Entwicklung zum Bewertungsstichtag. Dabei kann nicht auf Umsätze und deren Entwicklung in Relation zur allgemeinen Inflationsrate abgestellt werden; entscheidend ist vielmehr das Wachstum der Ergebnisse. Die erwartete durchschnittliche Inflationsrate kann dabei nur einen ersten Ansatzpunkt für die Höhe des Wachstumsabschlages bilden (so auch ausdrücklich OLG München AG 2018, 753, 756 f. = Der Konzern 2019, 277, 282 f.; OLG Düsseldorf AG 2016, 329, 331 = WM 2016, 1686, 1691; Der Konzern 2019, 410, 419; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 168). Es ist nämlich zu beachten, dass – wie auch aus anderen Spruchverfahren gerichtsbekannt ist – Unternehmensergebnisse anderen Preiseinflüssen als der Verbraucherpreisindex unterliegen, weil Chancen und Risiken nominaler Ergebnisveränderungen sowohl von der Marktlage und Wettbewerbssituation als auch der Struktur jedes einzelnen Unternehmens abhängen.
192
Angesichts dieser Bedeutung des Wachstumsabschlages ist dieser auch ausschließlich in der Ewigen Rente festzusetzen; Preissteigerungen in der Detailplanungsphase sind bereits über die Planzahlen abgebildet, die dann auch zu einem entsprechenden Umsatzwachstum führen.
193
(2) Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage lässt sich ein höherer Wachstumsabschlag nicht rechtfertigen.
194
(a) Der Ansatz von 1% vernachlässigt gerade nicht die Maßgeblichkeit der unternehmensspezifischen Inflationsrate. Die Vertragsprüfer haben bei ihrer Prüfung entsprechend ihrem Auftrag analysiert, wie sich die Inputseite und die Preisgestaltung entwickeln. Aufgrund ihres Geschäftsmodells ist die O. AG mit Preisrückgängen konfrontiert, weshalb Effizienzsteigerungsprogramme permanent durchzuführen sind. Dies bedeutet entweder weniger Mitarbeiter bei effizienterer Gestaltung der Prozesse oder Anhebung des Volumens. Die Vertragsprüfer gelangten im Verlaufe ihrer Prüfung zu der Erkenntnis, der Gesellschaft sei es in der Vergangenheit nicht gelungen, Preissteigerungen auf der Beschaffungsseite auf die Absatzseite abzuwälzen. Zum Teil gab es Effizienzsteigerungen und Mengeneffekte, wobei es von zentraler Bedeutung ist, inwieweit es die Gesellschaft tatsächlich schafft, die Marge zu erhöhen. In der Hauptversammlung hatte die Finanzvorständin demgemäß darauf hingewiesen, die Gesellschaft gehe davon aus, die Preiserosionen zu kompensieren, weshalb man den Wachstumsabschlag mit 1% angesetzt habe.
195
(b) Dem kann eine Umfrage der Deutschen Bundesbank nur drei bis vier Monate nach dem Stichtag mit der dort genannten Erwartung, mindestens 84% der Kostensteigerungen könne eine Gesellschaft in Zeiten von Rohstoffknappheit weitergeben, nicht entgegengehalten werden. In der konkreten Situation der O. AG lässt sich ein derartiger Zusammenhang nicht annehmen. Eine Preissteigerung beim Endprodukt „Auto“ führt nicht automatisch zu einer Preissteigerung gleichen Ausmaßes beim Zulieferer O. AG. Hier geht es um das Zusammenspiel zwischen der Steigerung der Aufwendungen, die der Kunde gerade nicht sieht, und der diesbezüglichen Wahrnehmung des Kunden. Eine 100%-ige Überwälzung von Kostensteigerungen führt noch zu keinem Gewinnwachstum, während bei der O. AG im Terminal Value von einem einprozentigen Gewinnwachstum ausgegangen wird.
196
(c) Ebenso wenig lässt sich ein Widerspruch zu der Aussage des Vorstands auf der Hauptversammlung herleiten, in der Vergangenheit sei es der Gesellschaft trotz Umsatzrückgängen gelungen, Preissteigerungen zu kompensieren. Der Vorstandsvorsitzende führte in der Hauptversammlung hierzu nämlich aus, entsprechend den herrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnissen sowie der Tätigkeit und der Produkte der Gesellschaft sei in wesentlichen Teilen ein kontinuierlicher Preisrückgang im mittleren einstelligen Prozentbereich zu beobachten und Preissteigerungen seien gegenüber Kunden nicht durchzusetzen gewesen, sondern nur eine Limitierung zu erreichen. Die Finanzvorständin wies ergänzend darauf hin, dass vor dem Hintergrund kontinuierlicher Produktivitäts- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen es in der Vergangenheit gelungen sei, Preisrückgänge zu kompensieren, weshalb der Wachstumsabschlag von 1% vor Steuern zugrunde gelegt werden könne.
197
(d) Der Ansatz einer langfristigen Wachstumsrate von 2,4% im Rahmen von Impairmenttests für das Geschäftsjahr 2018/19, bestätigt durch den Geschäftsbericht 2020, sowie gleichlautende künftige Wachstumsaussichten stehen nicht im Widerspruch zu dem hier angesetzten Wachstumsabschlag. Die Aufgaben eines Impairmenttests unterscheiden sich von denen der Ermittlung des Ertragswerts eines Unternehmens im Rahmen einer aktienrechtlichen Strukturmaßnahme, weil ein Impairmenttest in erster Linie Bezug zur Bilanzierung hat und nicht der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes dient (vgl. LG München I, Beschluss vom 21.6.2013, Az. 5HK O 19183/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 22.6.2022, Az. 5HK O 16226/08). Daher ist ein Rückschluss von einem höheren Wachstumsabschlag beim Impairmenttest auf einen fehlerhaft angesetzten Kapitalisierungszinssatz im Rahmen einer Ertragswertermittlung nicht statthaft.
198
Dieser Wertansatz aus Impairmenttests musste auch nicht im Rahmen der Prüfungshandlungen mit dem Vorstand thematisiert werden, weil diese Problematik ausschließlich den Zeitraum der Ewigen Rente betrifft, die vom Bewertungsgutachter abgebildet werden muss, weil es für die Jahre ab 2026 ff. gerade keine Planung des Vorstands mehr gibt. Zur Plausibilisierung des Wachstumsabschlags auch in Relation zu den Ansätzen der Impairmenttests mussten die Vertragsprüfer nicht auf Analystenschätzungen zurückgreifen. Zum einen haben die Analysten – im Gegensatz zu den Vertragsprüfern – keinen Zugang zu den detaillierten Planannahmen. Sofern die einzelnen Parameter in solchen Berichten genannt werden, kann daraus nicht auch die Fehlerhaftigkeit des hier angesetzten Wachstumsabschlags geschlossen werden. Zum anderen muss gesehen werden, dass die Wachstumsrate neben dem rein preisbedingten Gewinnwachstum von 1% auch die Wertbeiträge aus Ausschüttungen und vor allem auch den Wertbeitrag aus Thesaurierung enthält, wobei der Wertbeitrag aus Thesaurierung einem geringeren Steuersatz unterliegt und damit implizit unterstellt, dass diese Mittel im Unternehmen verbleiben und kapitalwertneutrale Erträge erwirtschaften. Dieser Ansatz auch der wachstumsbedingten Thesaurierung führt zu einer Wachstumsrate von 4,98% bei der O. AG. Ein Vergleich mit dem CAGR von 4,7% aus der Detailplanungsphase belegt, dass es gerade keinen Bruch zum Terminal Value hin gibt. Zudem können diese Berichte angesichts des vergleichsweise kurzen Zeitraums, auf den sie sich beziehen, keine wirklich tragfähigen Schlüsse in Bezug auf das nachhaltige Wachstum in der ewigen Rente ermöglichen.
199
(e) Im Ansatz des Wachstumsabschlags von 1% vor Steuern liegt kein Widerspruch zu der Aussage des Vorstands, die Transformation zu einem Hightech-Photonic-Unternehmen werde in 2024/25 sehr weit fortgeschritten sein, weshalb der Vorstand in der Einheit Opto Semiconductors eine jährliche durchschnittliche Wachstumsrate von 8% für die Jahre 2019 bis 2025 erwarte. Herr Dr. R. verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass dies nur das Segment Opto Semiconductors betreffe, während für den gesamten Konzern die vergleichbare Größe im Zeitraum von 2019 bis 2025 bei durchschnittlich 4,7% p.a. liege. Dieser Vergleichsmaßstab kann sich aber nicht auf das rein preisbedingte Wachstum beziehen, sondern muss mit dem Gewinnwachstum von 4,98% verglichen werden, das über dem der Jahre 2019 bis 2025 liegt. Daran vermag auch die Stärkung des Wachstumspotentials durch eine Aufwandsquote für Forschung und Entwicklung von 8% nichts zu ändern. Die Gesellschaft ist in einem sehr innovativen Umfeld tätig und benötigt daher einen hohen Aufwand in diesem Bereich allein für das Bestehen am Markt. Für ein Wachstumspotential ist weiterer Aufwand für Forschung und Entwicklung erforderlich.
200
(f) Der Ansatz eines Wachstumsabschlags von 1% vor Steuern ist auch dann nicht zu korrigieren, wenn man von den Zahlen von Damodaran in den nächsten fünf Jahren ab dem Stichtag mit einem Branchenwachstum von 45% ausgehen möchte. Dieser Wert stellt die Erwartungen der Earnings per Share in diesem Zeitraum in der Industrie „Electrical Equipment“ dar. Herr Dr. R. erläuterte hierzu, dass die Umsätze der O. AG planmäßig um 50% wachsen. Beim Abstellen auf die Nachhaltigkeit ist eine Vergleichbarkeit der Earnings per Share eher mit der Gesamtwachstumsrate von 4,98% möglich. Zum anderen erscheint fraglich, inwieweit dieses breite Industriesegment tatsächlich für die O. AG als Vergleichsmaßstab herangezogen werden kann und ob sich daraus tatsächlich bessere Erkenntnisse herleiten lassen als aus den herangezogenen Marktstudien, die deutlich stärker auf die Gesellschaft zugeschnitten sind.
201
(g) Dem Ansatz eines Wachstumsabschlags von 1% und damit auch unterhalb der von der Europäischen Zentralbank langfristig erstrebten Inflationsrate von 2% kann nicht entgegengehalten werden, es werde dadurch zu einem laufenden Schrumpfen der Gesellschaft kommen. Zur Beurteilung der Angemessenheit des Wachstumsabschlages muss die Gesamtwachstumsrate der geplanten entziehbaren Überschüsse analysiert werden. Bei einer tatsächlichen Thesaurierung ist im Wachstumsabschlag zusätzlich nämlich das thesaurierungsbedingte Wachstum aus den tatsächlich einbehaltenen Beträgen zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung dieses notwendigen Ansatzes muss tatsächlich von der bereits oben unter B. II. 2. c. (2) (d) genannten Gesamtwachstumsrate von 4,98% ausgegangen werden.
202
Angesichts dessen ergibt sich aus den kapitalisierten Überschüssen unter Berücksichtigung einer Aufzinsung vom 30.09.2019 als dem bewertungstechnischen Stichtag auf den Tag der Hauptversammlung am 03.11.2020 ein Ertragswert in Höhe von € 4.143 Mio. wie folgt:
Beginn des Geschäftsjahres
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01.10.2019
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01.10.2020
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01.10.2021
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01.10.2022
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|
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|
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O…
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2020
|
2021
|
2022
|
2023
|
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Plan
|
Plan
|
Plan
|
Plan
|
|
|
|
|
|
|
|
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Nettoausschüttung
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45
|
92
|
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|
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Kapitalisierungszins
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|
8,60%
|
8,17%
|
8,17%
|
7,93%
|
Periode
|
|
|
|
1
|
1
|
1
|
1
|
Barwertfaktor
|
|
|
|
0,921
|
0,924
|
0,924
|
0,927
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Nettoausschüttung
|
|
|
|
|
45
|
92
|
Barwert Vorperiode
|
|
|
4.112
|
4.448
|
4.766
|
5.052
|
Summe
|
|
|
|
4.112
|
4.448
|
4.811
|
5.144
|
Barwert
|
|
|
|
3.786,16
|
4.112
|
4.448
|
4.766
|
|
|
|
|
|
|
|
|
01.10.2023
|
01.10.2024
|
01. 01.10.2025
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
2024
|
2025
|
2026 ff.
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|
|
Plan
|
Plan
|
Ewige Rente
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
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112
|
140
|
352
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
7,74%
|
7,48%
|
6,29%
|
|
|
|
|
1
|
1
|
|
|
|
|
|
0,928
|
0,930
|
15,898
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
112
|
140
|
352
|
|
|
|
|
5.331
|
5.590
|
|
|
|
|
|
5.443
|
5.730
|
|
|
|
|
5.052
|
5.331
|
5.590
|
|
|
|
Aufzinsungsfaktor
|
|
|
|
1,09
|
Barwert zum 30. September 2020
|
4.111,77
|
Aufzinsungsfaktor
|
|
|
|
1,01
|
Barwert zum 3. November 2020
|
4.143
|
203
3. Das nicht betriebsnotwendige Vermögen wurde mit € 147,2 Mio. sachgerecht abgeleitet.
204
a. Als nicht betriebsnotwendiges Vermögen identifizierten die Bewertungsgutachter wie auch die Vertragsprüfer auf der Basis externer Wertgutachten unter Beachtung steuerlicher Effekte einen Wert für die vermietete Immobilie in Traunreut von € 17,5 Mio. und von € 33,3 Mio. für eine Immobilie in Berlin. Zusätzlich waren verbundene, nicht vollkonsolidierte Beteiligungen mit einem Betrag von € 81 Mio., Anteile aus den Venture Capital Fonds Unternehmertum VC Fond II GmbH & Co. KG, Garching und Partech Partners S.A.S., Paris mit einem Gesamtwert von € 5,1 Mio. sowie die im Geschäftsjahr erzielten und erwarteten Erlöse aus der Veräußerung und Liquidation von Beteiligungen von insgesamt € 10,2 Mio. berücksichtigt, wobei hier insbesondere der Erlös aus der Veräußerung der Si… GmbH in Höhe von € 8 Mio. enthalten war.
205
(1) Aus dem Bewertungsgutachten von P. ergibt sich, dass die Beteiligungen jeweils mit dem Maximum des anteiligen Eigenkapitals, des Buchwerts oder des Marktwerts angesetzt wurden, sofern diese wie im Fall der Beteiligungen der Fl. bekannt war. Die Beteiligungsquoten schwankten dabei zwischen 0,1% an der GSB-Sonderabfall-Entsorgung B. GmbH und 29,1% bei der L. T. Inc., die mit € 48,7 Mio. den mit Abstand höchsten Wert aufweist, während die übrigen Beteiligungen zwischen 0,1% und 14,5%ige Anteile und Werte zwischen 0,0 Mio. und € 8 Mio. aufweisen. Da jedwede Unternehmensbewertung auf einer Schätzung beruht, müssen Werte, die innerhalb einer Bandbreite von bis zu 5% liegen, noch als angemessen angesehen werden (vgl. 5 HKO 16226/08, Seite 331). Bei einem Unternehmenswert von € 4.142 Mio. müsste es zu einer Erhöhung der Sonderwerte um einen Betrag von über € 214 Mio. kommen. Dies würde allerdings bedeuten, dass sich die Sonderwerte mehr als verdoppeln müssten, was die Kammer als ausgeschlossen erachtet. Damit aber sind auch die Beteiligungen sachgerecht dargestellt und können von den Antragstellern nachvollzogen werden.
206
(2) Da es sich bei der O. AG nicht um eine Immobilien- oder vermögensverwaltende Gesellschaft handelt, war eine Berechnung des Immobilienvermögens nach dem NVA-Verfahren nicht geboten.
207
b. Weitere Positionen mussten nicht als Sonderwert in den Unternehmenswert der O. AG einfließen.
208
(1) Die im Geschäftsbericht 2020 mit € 370 Mio. angenommene freie Liquidität musste aus den bereits oben unter B. II. 1. g. (2) genannten Gründen nicht als nicht betriebsnotwendiges Vermögen angesetzt werden.
209
(2) Ebenso wenig mussten Pensionen und ähnliche Verbindlichkeiten gesondert bewertet werden, weil nicht erkennbar ist, inwieweit ihnen Eigenkapitalcharakter zukommen könnte.
210
(3) Sonderwerte aus steuerlichen Verlustvorträgen oder einem steuerlichen Einlagenkonto konnten hier zu berücksichtigt werden.
211
(a) Die steuerlichen Verlustvorträge wurden bei den Steueraufwendungen im Rahmen der Steuerplanung angesetzt, wobei die verwertbaren Verlustvorträge vollständig berücksichtigt wurden. Ein nochmaliger Ansatz als Sonderwert wäre somit eine unzulässige doppelte Berücksichtigung im Rahmen der Ermittlung des Unternehmenswerts der Gesellschaft.
212
(b) Das steuerliche Einlagenkonto konnte nicht als Sonderwert einfließen. Der vermögenswerte Vorteil ergibt sich nur in Kombination mit dem steuerbilanziellen Eigenkapital, das aufgrund von Verlusten niedriger sein muss als das Einlagenkonto. Von der Finanzverwaltung wird eine Auskehrung dann als Einlagenrückgewähr angesehen und ist deshalb steuerfrei. Bei der Gesellschaft war die Lage indessen so, dass sich aus dem Einlagenkonto des § 27 KStG kein Vorteil für die Aktionäre ergab.
213
(4) Die Marke „O…“ durfte nicht als nicht betriebsnotwendiges Vermögen angesetzt werden. Die Marke dient nämlich unmittelbar dem Erzielen der Erlöse, weshalb ihr Wert über die Ertragsplanung in die Unternehmensbewertung einfließt und demzufolge nicht im Rahmen des nicht betriebsnotwendigen Vermögens Berücksichtigung finden kann; anderenfalls käme es zu einer unzulässigen Doppelerfassung (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.1.2011, Az. 20 W 3/09; LG München I AG 2017, 501, 507; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Beschluss vom 16.4.2021, Az. 5711/19; Beschluss vom 22.6.20200, Az. 5HK O 16116/08; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9.8.2010, Az. 3-5 O 73/04; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., Anh. 305 Rdn. 36 b).
214
Somit ergibt sich ein Gesamtunternehmenswert der O. AG von € 4.290 Mio., der sich aus dem Ertragswert in Höhe von € 4.143 Mio. und den Sonderwerten von € 147,2 Mio. errechnet. Bei der Ermittlung der Abfindung als Quotient aus Unternehmenswert und Zahl der Aktien sind die von der O. AG gehaltenen eigenen Aktien nicht zu berücksichtigen, so dass der Unternehmenswert durch die Zahl von 94.183.686 zu teilen ist. Hieraus ergibt sich dann die angemessene Barabfindung von € 45,54.
215
Soweit eine Mindermeinung in der Literatur davon ausgeht, angesichts der Konzernneutralität des Squeeze out seien auch die eigenen Aktien abfindungsberechtigt (vgl. Habersack in: Emmerich: Habersack, Aktienrecht- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl., § 327 b Rdn. 6; Heidel/Lochner in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 327 b Rdn. 2; Habersack ZIP 2001, 1230, 1236), kann dem nicht gefolgt werden. Die von der Aktiengesellschaft gehaltenen eigenen Aktien gehen nicht auf den Hauptaktionär über. Sie werden wie alle Anteile, für die § 16 Abs. 4 AktG gilt, von dem Rechtsübergang nicht erfasst, weil ein entsprechendes Interesse des Hauptaktionärs hieran nicht angenommen werden kann. Auch erzwingt der Regelungszweck des Squeeze out nicht den Rechtsübergang auf den Hauptaktionär. Durch diese Maßnahme soll der Hauptaktionär in seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit gestärkt werden (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/7034 S. 31 f.). Dem liefe es indes zuwider, wenn eigene Aktien der Aktiengesellschaft kraft Gesetzes, also ohne den erklärten Willen auf den Hauptaktionär übergingen und dieser verpflichtet wäre, die Gesellschaft deshalb mittels Barabfindung zu entschädigen. Dem Zweck wird bereits hinreichend entsprochen, wenn der Hauptaktionär nicht länger mit der Ausübung zwingender Minderheitsrechte rechnen muss und ein Anfechtungsrisiko bei Hauptversammlungsbeschlüssen ausgeschlossen ist. Aufgrund von § 71 b AktG besteht aus eigenen Aktien kein Stimmrecht, weshalb auch insoweit dem Gesetzeszweck Genüge getan ist. Diese Sichtweise steht auch in Einklang mit der Regelung in §§ 327 a Abs. 2, 16 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach auch bei der Berechnung der Schwelle von 95% des Grundkapitals die eigenen Aktien der betroffenen Aktiengesellschaft nicht mitgezählt werden. Anders als bei der Eingliederung im Sinne des § 320 AktG muss die Antragsgegnerin als Hauptaktionärin beim Squeeze out nicht zwingend Alleinaktionärin werden, nachdem eine Regelung die § 327 Abs. 1 Nr. 3 AktG über das Ende der Eingliederung im Falle des Verlustes der Eigenschaft als Alleinaktionärin in §§ 327 a ff. AktG nicht enthalten ist (vgl. LG München I Beck RS 2018, 18223; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; Beschluss vom 25.6.2021, Az. 5HKO 9171/17; Grunewald in: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 327 e Rdn. 12; Singhof in: BeckOGK AktG, Stand 1.2.2021, § 327 b Rdn. 9; Schnorbus in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 327 e Rdn. 25; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 327 e Rdn. 4; Holzborn/Müller in: Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl., § 327 b Rdn. 5; Lieder/Stange Der Konzern 2008, 617, 623 ff.; Riegger DB 2003, 541, 542 ff.).
216
Auch aus anderen Gründen lässt sich eine höhere Abfindung nicht rechtfertigen.
217
1. Dies gilt zunächst für den Börsenkurs, der in einem Zeitraum von drei Monaten vor der Bekanntgabe der Absicht zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages an die Kapitalmärkte am 10.02.2020 bei € 42,20 lag.
218
a. Nach der Rechtsprechung insbesondere auch des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Bemessung der Barabfindung nicht nur der nach betriebswirtschaftlichen Methoden zu ermittelnde Wert der quotalen Unternehmensbeteiligung, sondern als Untergrenze der Abfindung wegen der Wertung des Eigentumsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG der Börsenwert zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 100, 289, 305 ff. = NJW 1999, 3769, 3771 ff. = NZG 1999, 931, 932 f. = AG 1999, 566, 568 f. = ZIP 1999, 1436, 1441 ff. = WM 1999, 1666, 1669 ff. = DB 1999, 1693, 1695 ff. = BB 1999, 1778, 1781 f. – DAT/Altana; BVerfG WM 2007, 73 = ZIP 2007, 175, 176 = AG 2007, 119 f.; BGH NJW 2010, 2657, 2658 = WM 2010, 1471, 1473 = ZIP 2010, 1487, 1488 f. = AG 2010, 629, 630 = NZG 2010, 939, 940 f. = DB 2010, 1693, 1694 f. = BB 2010, 1941, 1942 = Der Konzern 2010, 499, 501 – Stollwerck; OLG München AG 2007, 246, 247; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514; Koch, AktG, a.a.O., § 327 b Rdn. 6 und § 305 Rdn. 29; Schnorbus in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 327 b Rdn. 3; Habersack in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 327 b Rdn. 9; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, a.a.O., Anh § 11 Rdn. 197 f.; Meilicke/Kleinertz in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, a.a.O., § 305 AktG Rdn. 36).
219
Der BGH geht nunmehr in Übereinstimmung mit der überwiegend vertretenen Ansicht in Rechtsprechung und Literatur und unter teilweiser Aufgabe seiner früher vertretenen Auffassung mit Beschluss vom 19.7.2010, Az. II ZB 18/09 (vgl. BGH NJW 2010, 2657, 2658 ff. = WM 2010, 1471, 1472 ff. = ZIP 2010, 1487, 1488 f. = AG 2010, 629, 630 ff. = NZG 2010, 939, 941 ff. = DB 2010, 1693, 1694 f. = BB 2010, 1941, 1942 ff. = Der Konzern 2010, 499, 501 ff. – Stollwerck; bestätigt durch BGH AG 2011, 590 f. = ZIP 2011, 1708 f.; ebenso OLG Stuttgart ZIP 2007, 530, 532 ff. = AG 2007, 209, 210 ff. = NZG 2007, 302, 304 ff. – DaimlerChrysler; ZIP 2010, 274, 277 ff.; OLG Düsseldorf ZIP 2009, 2055, 2056 ff. = WM 2009, 2271, 2272 ff.; Der Konzern 2010, 519, 522; OLG Frankfurt NZG 2010, 664; AG 2012, 513, 514; Paulsen in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 105 f.; ebenso Koch, AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 45; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 305 Rdn. 43; Tonner in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1581, 1597 ff.) davon aus, der einer angemessenen Abfindung zugrunde zu legende Börsenwert der Aktie müsse grundsätzlich aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung einer Strukturmaßnahme ermittelt werden.
220
b. Die Frist von drei Monaten endete somit am Freitag, den 7.2.2020. Für diesen Zeitraum ermittelte sich ein volumengewichteter Durchschnittskurs von € 42,20, der deutlich unter dem nach der Ertragswertmethode ermittelten Unternehmenswert lag. Auf nach diesem Zeitpunkt liegende Durchschnittskurse oder einzelne über dem Abfindungsbetrag liegende Tageskurse kann es folglich nicht entscheidungserheblich ankommen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Referenzzeitraum schon am 7.2.200 endete.
221
(1) Vorliegend war angesichts eines Zeitraums von nahezu neun Monaten bis zur Hauptversammlung am 3.11.2020 allerdings eine Hochrechnung erforderlich, weil nur so die Aktionäre davor geschützt werden, dass der mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe ermittelte Börsenwert zugunsten des Hauptaktionärs fixiert wird, ohne dass die angekündigte Maßnahme zeitnah umgesetzt wird, weil die Aktionäre von einer positiven Börsenwertentwicklung ausgeschlossen werden. Das kann dadurch verhindert werden, dass der Börsenwert entsprechend der allgemeinen oder branchenspezifischen Wertermittlung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung hochgerechnet wird (vgl. BGH NJW 2010, 2657, 2660 = WM 2010, 1471, 1475 = ZIP 2010, 1487, 1491 = AG 2010, 629, 632 = NZG 2010, 939, 942 = DB 2010, 1693, 1697 = BB 2010, 1941, 1944 = Der Konzern 2010, 499, 503 – Stollwerck).
222
(2) Die von den Vertragsprüfern vorgenommene Hochrechnung rechtfertigt keine Erhöhung der Barabfindung. Geht man entsprechend dem nicht bestrittenen und damit gemäß §§ 8 Abs. 3 SpruchG, 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Darstellung des indexierten Verlaufs des CDAX durch die Antragsgegnerin aus, so zeigt sich, dass der Aktienkurs auch bei einer Hochrechnung nie über den angesetzten Wert gestiegen ist. Vor allem erreichte der CDAX nicht den Wert, den er in dem Drei-Monats-Zeitraum vor der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme hatte. Demgemäß kann eine Hochrechnung zu keinem höheren Wert führen.
223
c. Die Kammer muss nicht abschließend entscheiden, ob in dem fraglichen Zeitraum von drei Monaten vor der Bekanntgabe der Börsenwert der O. AG geeignet war, als marktorientierte Bewertungsmethode die Angemessenheit der Abfindung zu begründen (vgl. BGH ZIP 2023, 795, 796 f. = WM 2023, 714, 715 f. = DB 2023, 953, 954 f. = Der Konzern 2023, 217, 219), nachdem der zur Bestimmung der Abfindung herangezogene Ertragswert über dem Börsenwert der Gesellschaft lag und eine Verschlechterung zum Nachteil der Aktionäre ausgeschlossen ist (vgl. BGHZ 207, 114, 129 = NZG 2016, 139, 143 = AG 2016, 135, 140 = WM 216, 157, 162 = WM 2016, 157, 162 = Der Konzern 2016, 88, 92 = NJW-RR 2016, 231, 235 f.; OLG Frankfurt AG 2017, 832, 834; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, a.a.O., § 11 SpruchG Rdn. 2; Dorn in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 11 SpruchG Rdn. 7).
224
2. Die Höhe der Abfindung muss weder Vor- noch Nacherwerbspreise oder die Angebotspreise aus dem später erfolgten Delisting-Erwerbsangebot berücksichtigen.
225
a. Soweit teilweise in Rechtsprechung und Literatur die Ansicht vertreten wird, Vorerwerbspreise seien zu berücksichtigen, weil auch eine sogenannte „Kontrollprämie“ Teil des Unternehmenswertes sei (vgl. LG Köln AG 2009, 835, 838 = Der Konzern 2009, 494, 496 f.; Schüppen/Tretter in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl., § 327 b AktG Rdn. 16; Hüttemann in: Festschrift für Hoffmann-Becking, 2013, S. 603, 615 f.; Behnke NZG 1999, 934; in diese Richtung auch Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 305 Rdn. 68; für einen Sonderfall auch LG Frankfurt, Beschluss vom 25.11.2014, Az. 3-05 O 43/13), vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Erwerbspreise, die ein Großaktionär in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Squeeze out entrichtet, spielen für die Bemessung der angemessenen Barabfindung keine Rolle. Der Preis, den ein Mehrheitsaktionär an die Minderheitsaktionäre zu zahlen bereit ist, hat zu dem „wahren“ Wert des Anteilseigentums in der Hand der Mindestaktionäre regelmäßig keine Beziehung. In ihm kommt nämlich der Grenznutzen zum Ausdruck, den der Mehrheitsaktionär an den erworbenen Aktien ziehen kann. Dieser ist wesentlich dadurch bestimmt, dass der Mehrheitsaktionär mit den so erworbenen Aktien ein Stimmenquorum erreicht, das aktien- oder umwandlungsrechtlich Voraussetzung für bestimmte gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ist. Daher ist der Mehrheitsaktionär vielfach bereit, einen „Paketzuschlag“ zu zahlen. Aus der Sicht des Minderheitsaktionärs ist der vom Mehrheitsaktionär außerbörslich bezahlte (erhöhte) Preis nur erzielbar, wenn es ihm gelingt, gerade seine Aktien an den Mehrheitsaktionär zu veräußern. Darauf aber hat der Minderheitsaktionär weder verfassungsrechtlich aus Art. 14 Abs. 1 GG noch einfachrechtlich angesichts des Grundsatzes der Vertragsfreiheit einen Anspruch (vgl. BVerfGE 100, 289, 306 f. = NJW 1999, 3769, 3771 = NZG 1999, 931, 932 = WM 1999, 1666, 1669 = AG 1999, 566, 568 = ZIP 1999, 1436, 1441 = DB 1999, 1693, 1695 = BB 1999, 1778, 1780 = JZ 1999, 942, 944 – DAT/Altana; BGHZ 186, 229, 241 = NJW 2010, 2657, 2660 = NZG 2010, 939, 943 = ZIP 2010, 1487, 1491 = AG 2010, 629, 632 = DB 2010, 1693, 1697 = WM 2010, 1471, 1475 = Der Konzern 2010, 499, 503 – Stollwerck; LG München I AG 2020, 222, 228; Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5HK O 17095/11; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5HK O 24402/13; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 20672/14; Beschluss vom 29.6.2018, Az. 5HK O 4268/17; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16858/15; Veil/Preisser in: BeckOGK AktG, Stand 1.1.2023, § 305 Rdn. 71 f.; Steinle/Liebert/Katzenstein: in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7: Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation), 6. Aufl., § 34 Rdn. 177 f.; V. AG 1999, 569, 572). Aus der Wertung des § 31 Abs. 4 WpÜG lässt sich das gegenteilige Ergebnis nicht begründen, weil das System des WpÜG mit dem der aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen wie dem Squeeze out nicht vergleichbar ist. Die Annahme des Erwerbsangebots beruht auf einer freien Entscheidung des Aktionärs, während er sich bei einem Squeeze out der Mehrheitsentscheidung der vom Hauptaktionär dominierten Hauptversammlung beugen muss. §§ 31 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 WpÜG, 4 WpÜG-AngVO verfolgen zudem einen anderen Zweck als die Bestimmung der Abfindung nach § 305 AktG. Sie sollen bei öffentlichen Übernahmeangeboten das in § 3 Abs. 1 WpÜG verankerte übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot absichern (vgl. Krause in: Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl., § 31 Rdn. 4 und § 4 WpÜG/AngVO Rdn. 1). Demgegenüber sollen im Rahmen der Abfindung die außenstehenden Aktionäre für den mit dem Abschluss des Unternehmensvertrages verbundenen Eingriff in ihr Aktieneigentum entschädigt werden, ohne dass sie einen Anspruch auf einen solchen Preis haben, den ein anderer Minderheitsaktionär bei der Veräußerung an den herrschenden Aktionär erzielt (vgl. van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 7 m.w.N.).
226
b. Die nach dem Stichtag ab dem 22.3.2021 gezahlten Preise sowie der Angebotspreis aus dem Delisting-Erwerbsangebot können schon wegen des Stichtagprinzips keine Berücksichtigung finden (vgl. OLG Stuttgart NZG 2014, 140, 142 = AG 2014, 291, 295; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O. § 305 Rdn. 91).
227
Soweit die Anträge auf Festsetzung eines angemessenen Ausgleichs zulässig sind, sind sie jedoch nicht begründet, weil der von der Hauptversammlung beschlossene Ausgleich von € 2,57 brutto je Aktie angemessen ist.
228
1. Nach § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG muss ein Gewinnabführungsvertrag einen angemessenen Ausgleich für die außenstehende Aktionäre durch eine auf die Anteile am Grundkapital bezogene wiederkehrende Geldleistung (Ausgleichszahlung) vorsehen. Aufgrund von § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG muss die Ausgleichszahlung mindestens die jährliche Zahlung des Betrages zusichern, der nach der bisherigen Ertragslage und ihren künftigen Ertragsaussichten unter Berücksichtigung angenommener Abschreibungen und Wertberichtigungen, jedoch ohne Bildung anderer Gewinnrücklagen, voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil auf die einzelne Aktie verteilt werden kann.
229
a. Anders als die Abfindung ersetzt der Ausgleich aber nicht den Wert der Beteiligung insgesamt, sondern nur die Dividende. Maßgeblich ist für seine Berechnung der sich nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten je Aktionär zur Verteilung ergebende Gewinn, den die Gesellschaft als unabhängiges, durch einen Ergebnisabführungsvertrag nicht gebundenes Unternehmen hätte (vgl. BGHZ 156, 57, 60 f. = NJW 2003, 3272, 3273 = NZG 2003, 1017, 1019 = AG 2003, 627, 628 = ZIP 2003, 1745, 1746 = WM 2003, 1859, 1861 = BB 2003, 2083, 2084 = DB 2003, 2168, 2169 = DNotZ 2004, 71, 72 – Ytong; Veil/Preisser in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 304 Rdn. 58). Als wirtschaftlicher Gewinn ist auch betriebswirtschaftlich der Gewinn vor Körperschaftsteuer anzusetzen, weil die Höhe der Körperschaftsteuer von der Gesellschaft selbst nicht beeinflusst werden kann. Demzufolge ist den Minderheitsaktionären der voraussichtlich verteilungsfähige, durchschnittliche Bruttogewinnanteil als feste Größe zu gewähren, von dem die jeweilige Körperschaftsteuerbelastung zuzüglich Solidaritätszuschlag in der jeweils gesetzlich vorgegebenen Höhe abzusetzen ist. Diese Auslegung des Begriffs des zuzurechnenden durchschnittlichen Gewinnanteils wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht, wonach der Minderheitsaktionär für die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung durch den Ausgleich wirtschaftlich voll entschädigt werden muss (vgl. nur grundsätzlich BVerfGE 100, 289, 304 f. = NJW 1999, 3769, 3770 f. = NZG 1999, 931, 932 = AG 1999, 566, 567 = ZIP 1999, 1436, 1440 = WM 1999, 1666, 1668 = BB 1999, 1778, 1780 = DB 1999, 1693, 1694 f. = JZ 1999, 942, 943 = DNotZ 1999, 831, 833 – DAT/Altana). Dieses Verständnis trägt dem Wesen des Ausgleichs als Substitution der ordentlichen Dividende am besten Rechnung, weil der Aktionär stets den zur Ausschüttung bereit gestellten Bruttogewinn abzüglich der jeweils geltenden gesetzlichen Steuerbelastung des Unternehmens erhält (vgl. BGHZ 156, 57, 61 f. = NJW 2003, 3272, 3273 = NZG 2003, 1017, 1019 = AG 2003, 627, 628 = ZIP 2003, 1745, 1746 f. = WM 2003, 1859, 1861 = BB 2003, 2083, 2084 f. = DB 2003, 2168, 2169 f. = DNotZ 2004, 71, 72 f. – Ytong; OLG München AG 2008, 28, 32 f. = BB 2007, 2395, 2400; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 731).
230
Ebenso wie die Abfindung kann indes auch der Ausgleich nur durch gerichtliche Schätzung im Sinne des § 287 ZPO ermittelt werden, weil auch hier Prognosen über die künftige Entwicklung anzustellen sind, die naturgemäß noch nicht feststehen und folglich mit Unsicherheiten behaftet sind. Angesichts der theoretischen Ableitung aus den künftigen Ertragserwartungen der Gesellschaft bestehen keine Bedenken, wenn die Ausgleichsforderung üblicherweise durch Verrentung des ermittelten Unternehmenswertes errechnet wird (vgl. BGHZ 156, 57, 63 = NJW 2003, 3272, 3274 = NZG 2003, 1017, 1019 = AG 2003, 627, 629 = ZIP 2003, 1745, 1747 = WM 2003, 1859, 1862 = BB 2003, 2083, 2085 = DB 2003, 2168, 2169 – Ytong; OLG München AG 2007, 287, 291; 2008, 28, 32; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 731).
231
Diese Überlegungen rechtfertigen es, bei der Ermittlung des Ausgleichs grundsätzlich den mit Hilfe der Ertragswertmethode errechneten Ertragswert als Basis heranzuziehen (vgl. OLG Frankfurt AG 2011, 832, 834 f. = Der Konzern 2011, 427, 438 f.; OLG Düsseldorf AG 2017, 584, 588; Veil/Preisser in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 304 Rdn. 58). Dabei wurde auch das nicht betriebsnotwendige Vermögen in die Ermittlung des Ausgleichs einbezogen, was sich zum Vorteil der Minderheitsaktionäre auswirkt. Angesichts des Verbots der reformatio in peius muss die Kammer nicht entscheiden, ob diesem Ansatz nicht entgegenstehen könnte, dass diese Sonderwerte auf den Ertrag keinen Einfluss haben, zumal die Ertragswertmethode von ihrer Veräußerung zum Stichtag ausgeht (so Veil/Preisser in Beck OGK AktG, a.a.O., § 304 Rdn. 65) oder ob mit der im Vordringen befindlichen und sehr gut begründeten Gegenauffassung von deren Berücksichtigung auszugehen ist, nachdem auch nicht betriebsnotwendiges Vermögen ganz erheblich zum Gewinn des Unternehmens beitragen kann und die Aktionäre auch aus den sich daraus ergebenden Erträgen profitieren können (vgl. OLG München, Beschluss vom 03.12.2020, Az: 31 Wx 330/16; OLG Frankfurt AG 2015, 241, 246 = Der Konzern 2016 240, 253; van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 305 Rdn. 91; Meilicke/Kleinertz in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 304 Rdn. 50; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 304 Rdn. 62).
232
2. Der angesetzte Verrentungszinssatz von 5,058% vor Steuern und von 3,724% nach Steuern bedarf keiner Korrektur – der aufgrund des gesunkenen Basiszinssatzes zum Stichtag tatsächlich um € 0,01 gesunkene Ausgleichsbetrag kann wegen des Verböserungsverbots nicht herangezogen werden.
233
a. Dabei kann nicht der volle Zinssatz wie bei der Ermittlung der Abfindung angesetzt werden; vielmehr musste ein Mischzinssatz aus risikofreiem Basiszinssatz und risikoadjustierten Kapitalisierungszinssatz herangezogen werden. Mit diesem Ansatz wird der für den garantierten Ausgleichsbetrag abnehmenden Risikostruktur Rechnung getragen. Das Risiko des garantierten Ausgleichs liegt unter dem normalen Risiko einer unternehmerischen Beteiligung, weshalb ein risikoangepasster Verrentungszinssatz herangezogen werden muss. Angesichts einer im Vergleich zum Bewertungsstichtag geänderten Risikostruktur ist es sachgerecht, einen über dem quasi risikolosen Basiszinssatz, aber unter dem risikobehafteten vollen Kapitalisierungszinssatz liegenden Verrentungszinssatz anzuwenden. Auch wenn der Ausgleich die Dividendenzahlung substituiert, liegt eine andere Risikostruktur vor, weil die Zahlung einer Dividende – anders als der feste Ausgleich – unsicher ist, wohingegen bei der Ausgleichszahlung die Minderheitsaktionäre im Wesentlichen während der Laufzeit des Vertrages dem Insolvenzrisiko der Antragsgegnerin als Schuldnerin des Angebots sowie der Auszehrung durch nachteilige Weisungen, die aufgrund von § 308 Abs. 1 AktG zu befolgt werden müssen, ausgesetzt sind. Die Verrentung mit dem vollen Kapitalisierungszinssatz ist demgemäß nicht geboten und ergibt sich auch nicht aus dem Zweck des Ausgleichs. Dieser verfolgt nämlich das Ziel, dass die Anteilseigner insgesamt Zahlungen in Höhe der ohne den Ergebnisabführungsvertrag voraussichtlich anfallenden Dividende erhalten. Die Höhe der Dividende ist von der Entwicklung der Erträge abhängig und demzufolge risikobehaftet, was sich bei der Unternehmensbewertung im Kapitalisierungszinssatz darstellt. Demgegenüber ist der Ausgleichsbetrag vertraglich garantiert und durch eine Verlustübernahmeverpflichtung nach § 302 AktG sogar abgesichert. Daher besteht tatsächlich ein geringeres Risiko für den Minderheitsaktionär, das sich dann auch entsprechend allgemein anerkannter betriebswirtschaftlicher Grundsätze in einem niedrigeren Zinssatz niederschlagen muss. Anderenfalls würde die Verrentung mit dem vollen Kapitalisierungszinssatz auf längere Sicht bei dem risikoärmeren Ausgleich zu einem voraussichtlich höheren Ergebnis führen als die Minderheitsaktionäre bei Erhalt der Dividende ohne den Ergebnisabführungsvertrages erhalten hätten. Dieser Überlegung trägt die Verwendung eines Mischzinssatzes Rechnung (vgl. OLG München AG 2008, 28, 32; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 731 f.; OLG Frankfurt AG 2013, 647, 651; Stephan in Schmidt/Lutter, a.a.O., § 304 Rdn. 85; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 304 Rdn. 39; Maul DB 2002, 1423, 1425; im Ansatz auch Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß den §§ 305, 327 a AktG, a.a.O., S. 207 ff.).
234
Für die Ermittlung des Verrentungszinssatzes existiert keine bestimmte Regel, die zu einem einzig richtigen Ergebnis führt. Vielmehr muss die Regel, nach der dieser Zinssatz ermittelt wird, den Bewertungszielen entsprechen, in der Wirtschaftswissenschaft anerkannt und praktisch gebräuchlich sein (vgl. BGHZ 207, 114, 126 f. und 128 = NZG 2016, 139, 143 = AG 2016, 135, 140 = ZIP 2016, 110, 114 = WM 2016, 157, 162 = BB 2016, 304, 305 = MDR 2016, 337, 338 = Der Konzern 2016, 88, 91 und 92 = NJW-RR 2016, 231, 235; ZIP 2023, 795, 802 = WM 2023, 714, 721 = DB 2023, 953, 960 = Der Konzern 2023, 217, 224; P…/Ruthhardt in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl., § 12 Rdn. 208; P… WPg 2018, 244, 248).
235
(1) Der Verrentungszinssatz wurde hier sachgerecht entsprechend der in der Bewertungspraxis vorherrschenden Methode über den Basiszinssatz und dem hälftigen Risikozuschlag abgeleitet (vgl. OLG München AG 2018, 753, 757 f. = Der Konzern 2019, 277, 284; AG 2008, 28, 32 = BB 2007, 2395, 2400; OLG Frankfurt AG 2015, 241, 246 f. = Der Konzern 2016, 240, 254; AG 2014, 822, 828). Damit wird vorliegend das soeben beschriebene Insolvenz- und Auszehrungsrisiko des garantierten Ausgleichsbetrages sachgerecht abgebildet.
236
(2) Die von Seiten der Antragsteller hiergegen vorgebrachten Einwände vermögen nicht zu überzeugen und rechtfertigen keine Erhöhung des Verrentungszinssatzes.
237
(a) Dies gilt namentlich für die Annahme, es müsse die zur Finanzierung der Übernahme der O. AG ausgegebene, nicht wandelbare Euribor-Anleihe …06 mit einer Rendite von 5,7% für ein Ausfallrisiko von dann 7% oder die Wandelanleihe ISIN DE000A19W2L5 mit einer durchschnittlichen Yield to Worse für den Dreimonatszeitraum von 7,30% und von 7,27% zum Stichtag zugrunde gelegt werden. Zwar wird diese Auffassung in der Literatur und auch in der Bewertungspraxis vertreten, wonach bei einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ohne eine Klausel, wonach im Falle der Beendigung des Vertrages der Abfindungsanspruch wieder aufleben soll, die ungesicherten Fremdkapitalkosten nochmals um eine Risikoprämie zu erhöhen seien (vgl. Frank/Muxfeld/Galle CF 2016, 446, 451 ff.). Allerdings trägt das zentrale Argument des Ausfalls der zahlungspflichtigen Antragsgegnerin durch Insolvenz jedenfalls im vorliegenden Fall nicht. Die Ausgleichszahlung beläuft sich auf € 2,24 netto, was zu einer jährlichen Ausgleichssumme von maximal rund € 44 Mio. führt, nachdem es bei der Gesellschaft rund 20% außenstehende Aktionäre gibt. Ab dem Jahr 2022 liegt das geplante Jahresergebnis deutlich über diesem Betrag, weshalb die geplanten Ergebnisse bei weitem ausreichen, um die Summe der Ausgleichszahlungen aus dem abzuführenden Gewinn zu begleichen. Daher ist es im vorliegenden Fall nicht überzeugend anzunehmen, hier müsse das Risiko aus Ausgleich- und Verlustübernahme aus Vermögenswerten der herrschenden Gesellschaft bestritten werden. Die Vertragsprüfer wiesen zudem im Rahmen ihrer Anhörung im Termin vom 2.12.2022 überzeugend darauf hin, dass in der Situation, bei der sich die abzuführenden Mittel auf der Ebene der beherrschten Gesellschaft befinden, es eine Hauptforderung des Aktionärs als einfache Insolvenzforderung gibt, die bei Realisierung in die Masse fließen und die Minderheitsaktionäre über eine einfache Insolvenzforderung quotal befriedigt würden. Liegen die liquiden Mittel schon auf der Ebene der Muttergesellschaft, haben die Minderheitsaktionäre eine einfache Insolvenzforderung, aber keinen dinglichen Anspruch auf die Garantiedividende. Indes wird der Insolvenzverwalter dann Beteiligungen und Assets in der Insolvenzmasse verwerten. Zudem muss auch die Möglichkeit der Kündigung des Unternehmensvertrages durch den Vorstand der beherrschten Gesellschaft in die Betrachtung einfließen, die in § 297 Abs. 1 Satz 2 AktG geregelt ist. Im Falle der voraussichtlichen Leistungsunfähigkeit des anderen Teils steht dem Vorstand der beherrschten Gesellschaft ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Unternehmensvertrages zu, weshalb dann aber der normale Dividendenanspruch gegen die vormals beherrschte Gesellschaft wieder auflebt. Auch wenn es sich bei der außerordentlichen Kündigung um eine unternehmerische Entscheidung des Vorstands der beherrschten Gesellschaft handelt, kann sich das damit verbundene Ermessen im Einzelfall durchaus zu einer Pflicht zur Kündigung verdichten, wenn die weitere Konzernverbindung mit dem Unternehmensinteresse unvereinbar ist (vgl. Rieger/Mutter DB 1997, 1603 ff.) – damit aber reduziert sich wiederum die Ausfallgefahr infolge einer Insolvenz der Antragsgegnerin bzw. ihrer Muttergesellschaft erheblich.
238
Auch wenn die Aktionäre im Falle der Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages wieder in die Rolle „normaler“ Aktionäre zurückfallen, die dann wieder das volle Risiko eines Eigenkapitalgebers tragen, rechtfertigt dies nicht das Heranziehen des Spread-Ansatzes. Die von der ams AG als Muttergesellschaft der Antragsgegnerin ausgegebenen Anleihen enthalten relativ hohe Verzinsungen, die aber deutlich abweichend voneinander ausgestaltet sind, weshalb auch nicht sicher festzustellen ist, welche dieser Anleihen für die Ermittlung des Verrentungszinssatzes heranzuziehen ist. Die Anleihegläubiger tragen ein deutlich höheres Risiko als die außenstehenden Aktionäre, weil ihnen im Gegensatz zu den außenstehenden Aktionären der O. AG keine Möglichkeit zusteht, dass nach einer Kündigung diese zusätzliche Vermögensposition in Form einer Dividende künftig wieder an sie fließt.
239
Gegen den konkreten Ansatz der Wandelanleihe ISIN DE000A19W2L5 als Basis für den Verrentungszinssatz spricht insbesondere auch ihr hoher Bid-Ask-Spread von 2,84% zum Stichtag, der auf eine mangelnde Liquidität und Handelbarkeit hinweist, so dass aus dieser Rendite nicht auf die Maßgeblichkeit für den Verrentungszinssatz geschlossen werden kann. Hierfür spricht auch die extreme Schwankungsbreite des Yield to Worse im Zeitraum vom 1.9.2020 bis zum Stichtag der Hauptversammlung; die im Privatgutachten von IVC grafisch dargestellte Entwicklung schwankt zwischen ca. 8,3% und etwa 5,3%. Auch nach dem Stichtag zeigt sich eine erhebliche Volatilität. Zwar kann diese Entwicklung nach dem Stichtag nicht mehr von ausschlaggebender Bedeutung für das Ergebnis sein; doch belegt auch der weitere Verlauf die mangelnde Eignung dieser Wandelanleihe. Somit hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die von der Antragsgegnerin vorgetragene Geld-Brief-Spanne von 2,84% der Realität entspricht. Dies wird auch bestätigt durch die Aussage von Herrn Dr. P. über die mangelnde Aussagekraft von Anleihen, die kaum gehandelt werden. Daher kann diese Wandelanleihe nicht herangezogen werden, um das Risiko der Ausgleichszahlung für die Aktionäre der O. AG zu beschreiben. Die Anleihe XS2195511006 bzw. die Anleihe XS2195512582 wiesen Renditen von unter 5% aus, während beim Ausgleich eine Rendite von 5,06% angesetzt wurde.
240
(b) Der vorliegend gewählte Mittelwertansatz von 5,06% bildet das Auszehrungswie auch das Insolvenzrisiko hinreichend ab, nachdem es hier gerade nicht zum Wiederaufleben des Abfindungsanspruchs kommen kann, wo die betroffenen Aktionäre nahezu ausschließlich das Insolvenzrisiko trifft, das durch einen Anleihezinssatz abgebildet wird. Die hier gewählte Vorgehensweise ist in der Rechtsprechung und der bewertungsrechtlichen Praxis weit verbreitet. Die von den Antragstellern zu 24) und 25) gestellte Frage nach der Ermittlung des Verrentungszinssatzes bei der O. AG im Falle der Vereinbarung einer entsprechenden Wiederauflebensklausel stellt sich nicht und musste daher von den Prüfern auch nicht beantwortet werden, weil sie rein hypothetischer Natur ist.
241
Die Gefahr, dass der Vorstand des Hauptaktionärs wertmindernde Maßnahmen veranlassen könnte und es dadurch zu einer Auszehrung der beherrschten Gesellschaft kommen könnte, ist zweifelsohne gegeben, wird aber auch im Verrentungszinssatz reflektiert. Hier muss nämlich auch gesehen werden, dass die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme angezweifelt werden kann. Vor allem aber hat der im Unternehmen verbleibende Aktionär auch die Chance auf eine Werterhöhung (vgl. BGHZ 227, 137, 151 = NZG 2020, 1386, 1390 = AG 2020, 949, 953 = ZIP 2020, 2230, 2235 = WM 2020, 2139, 2143 = DB 2020, 2399, 2404 = DZWIR 2021, 104, 108 = Der Konzern 2021, 115, 119 = DStR 2020, 2742, 2746). Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Auszehrungsrisiko auf der Basis des Anspruchs auf Verlustausgleich aus § 302 AktG ermittelt werden könnte, nachdem dieses durch den Buchwert des Eigenkapitals von € 1,94 Mrd. in Relation zu dem sehr viel höheren Ertragswert von deutlich über € 4 Mrd. gedeckt sei. Bei der Antragsgegnerin konnten die Vertragsprüfer keine konkreten Handlungsabsichten der Antragsgegnerin zur Schädigung der Gesellschaft erkennen.
242
(c) Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zum Stichtag der Hauptversammlung muss von einer unendlichen Laufzeit des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen der O. AG und der Antragsgegnerin ausgegangen werden. Für den Fall eines nachfolgenden Squeeze Out wären die Aktionäre aber insoweit geschützt, als der Barwert der Ausgleichszahlung die Untergrenze für die festzusetzende Barabfindung nach §§ 327 a ff. AktG. bedeutet (vgl. BGHZ 227, 137, 142 und 148 ff. = NZG 2020, 1386, 1387 ff. = AG 2020, 949, 950 ff. = ZIP 2020, 2230, 2232 ff. = WM 2020, 2139, 2140 ff. = DB 2020, 2399, 2401 ff. = DZWIR 2021, 104, 105 ff. = Der Konzern 2021, 115, 116 ff. = DStR 2020, 2742, 2743 ff.).
243
(d) Die Kammer verkennt bei dem Ansatz eines Verrentungszinssatzes von gerundet 5,06% vor Steuern nicht, dass es zulässig sein kann, diesen Zinssatz nach der Spread-Methode zu ermitteln (vgl. BGH ZIP 2023, 795, 802 = WM 2023, 714, 721 f. = DB 2023, 953, 960 = Der Konzern 2023, 217, 224). Indes hat der BGH ebenso darauf hingewiesen, dass diese Methode nicht zwingend angewandt werden müsse, nachdem auch die vorliegend gewählte Mittelwertmethode in der Praxis üblich ist, worauf bereits oben hingewiesen wurde. Sie ist jedenfalls geeignet, dass sich für den im Unternehmen verbleibenden Aktionär ergebende Insolvenzrisiko der herrschenden Gesellschaft sowie das Risiko der Auszehrung der beherrschten Gesellschaft durch nachteilige Maßnahmen des herrschenden Unternehmens bis zur Kündigung des Beherrschungsvertrages auszudrücken, wobei namentlich aus den genannten Gründen bei der Antragsgegnerin ein deutlich erhöhtes Insolvenzrisiko nicht angenommen werden kann. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Antragsteller zu 24) und 25) in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.5.2023 unter Hinweis auf den Kursverlauf der Aktie der ams AG. Der dort beschriebene Rückgang der Kurse sowohl der O. AG als auch der ams AG erfolgte im März 2020, nachdem die Ankündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zunächst zu einem Verharren auf einem bestimmten Niveau führte, während es danach bei beiden Gesellschaften zu einem massiven Rückgang kam. Dieser beruhte jedoch erkennbar ganz zentral auf den durch die Covid-19-Pandemie bedingten Maßnahmen im Lockdown und lässt gerade nicht den Rückschluss auf ein dauerhaft erhöhtes Insolvenzrisiko der ams AG zu, das dann aufgrund der spezifischen Situation bei der börsennotierten Muttergesellschaft der Antragsgegnerin signifikant erhöht sein könnte.
244
(e) Bei der Ausgleichszahlung ist die Bildung von Gewinnrücklagen zutreffenderweise nicht wertmindernd berücksichtigt worden. Die zur Innenfinanzierung herangezogenen insgesamt € 796 Mio. mindern den Ertragswert gerade nicht. Der Ausgleich wurde auf der Grundlage der Ertragswertmethode hergeleitet, ohne dass eine Vollausschüttung angesetzt wurde. Dies lässt sich insbesondere nicht aus dem Wortlaut von § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG herleiten.
245
3. Auf der Basis eines Werts von € 45,54 je Aktie würde sich bei dem angenommenen Verrentungszinssatz ein Wert von € 2,56 brutto ergeben, der jedoch wegen des Verbots der reformatio in peius nicht herangezogen werden darf, weshalb der Ausgleich von € 2,57 brutto je Aktie angemessen ist.
246
a. Die Art und Weise der Ermittlung des Ausgleichs ist nicht zu beanstanden. Die Berechnung berücksichtigt zutreffend den Ansatz, wonach ein Bruttobetrag als Ausgleich geschuldet wird. Dem kann nicht entgegengehalten werden, bei der Berechnung werde von dem Wert ausgegangen, der bereits von einer Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern wie auch von Unternehmenssteuern ausgeht. Vorliegend wurde nämlich zur Ermittlung des festzusetzenden Bruttoausgleichsbetrages die Steuerbelastung mit der persönlichen Einkommensteuer aufgeschlagen, wobei entsprechend der zum Bewertungsstichtag maßgeblichen Steuergesetzgebung in §§ 43, 43 a Abs. 1 Nr. 1, 32 a EStG ein Steuersatz von 25% zuzüglich Solidaritätszuschlag angesetzt wurde. Zu dem so ermittelten Zwischenwert wurden sodann die anfallende Körperschaftsteuer sowie der auf diese entfallende Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 15,825% aufgeschlagen, woraus sich dann die jährliche Bruttoausgleichszahlung von € 2,56 je Aktie errechnet, wobei dieser Wert den aktuellen Basiszinssatz reflektiert. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden und ermöglicht es vor allem, eine vollständige Neuberechnung des Unternehmenswertes zu vermeiden und stattdessen auf das Ergebnis der oben ermittelten und dargestellten Nachsteuerwertermittlung zurückzugreifen (so ausdrücklich OLG München AG 2008, 28, 32 = BB 2007, 2395, 2399 f.; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 731).
247
b. Somit errechnet sich der Ausgleich folgendermaßen unter Berücksichtigung des aktuellen Basiszinssatzes von – 0,1% wie folgt:
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mit KSt, Solz
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nicht mit KSt, Solz
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belastet
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belastet
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Gesamt
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Unternehmenswert zum 30. September 2020 in Mio. EUR
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3.328
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931
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4.258
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Anzahl Aktien
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94.183.686
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|
94.183.686
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94.183.686
|
Unternehmenswert pro Aktie in €
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35,33
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9,88
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45,21
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Jährliche Ausgleichszahlung pro Aktie in € (nach persönlicher
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Einkommensteuer), verrentet mit 3,631%
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1,28
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0,36
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1,64
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zuzüglich persönlicher Einkommensteuer 26,375%
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0,46
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0,13
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0,59
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Jährliche Ausgleichszahlung pro Aktie in € (vor persönlicher
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Einkommensteuer und nach KSt, SolZ)
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1,74
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0,49
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2,23
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zuzüglich Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 15,825%
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0,33
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0,00
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0,33
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Jährliche Bruttoausgleichszahlung pro Aktie in € (vor persönlicher
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Einkommensteuer und vor KSt, SolZ)
|
|
|
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2,07
|
|
0,49
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2,56
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248
c. Eine Ermittlung des Ausgleichs über den Börsenkurs, wie sie in der Rechtsprechung mittlerweile gleichfalls zugelassen wird (vgl. BGH ZIP 2023, 795, 800 f. = WM 2023, 714, 719 ff. = DB 2023, 953, 958 ff. = Der Konzern 2023, 217, 222 ff.), führt zu keiner höheren Bewertung, da der Börsenkurs unter dem über die Ertragswertmethode ermittelten Abfindungsbetrag liegt und eine Verschlechterung ausgeschlossen ist. Angesichts dessen muss die Kammer nicht entscheiden, inwieweit hier ein funktionierender Kapitalmarkt gegeben war, also über einen längeren Zeitraum mit Aktien der Gesellschaft praktisch kein Handel stattgefunden hat bzw. eine Marktenge vorlag.
249
1. Die Anhörung der Vertragsprüfer von E. hat zu diesem für die Kammer überzeugenden Ergebnis geführt.
250
a. Die Durchführung einer gesonderten Beweisaufnahme durch Einholung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen ist auch unter Berücksichtigung des in § 17 Abs. 1 SpruchG in Verbindung mit § 26 FamFG normierten Amtsermittlungsgrundsatzes nicht geboten.
251
(1) Ein gerichtliches Sachverständigengutachten muss nur dann eingeholt werden, wenn nach der Anhörung des Prüfers, die sachlich auf § 8 Abs. 2 Satz 1 SpruchG gestützt wurde, weiterer Aufklärungsbedarf besteht (vgl. OLG München AG 2014, 453, 454 = Der Konzern 2014, 172, 173; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1172; Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; OLG Düsseldorf AG 2015, 573, 575 = ZIP 2015, 1336, 1338 = Der Konzern 2016, 94, 96; LG München I, Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 8 Rdn. 4; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 8 Rdn. 21; im Grundsatz auch Drescher in: BeckOGK, Stand 1.4.2023, § 8 SpruchG Rdn. 15). Aufgrund des Berichts der Vertragsprüfer, der ausführlichen Erläuterungen in drei mehrstündigen Anhörungsterminen hat die Kammer keinen Zweifel an der Plausibilität der Planannahmen, den Feststellungen zur Ewigen Rente, der Problematik der Thesaurierung sowie zu den Grundlagen des Kapitalisierungszinssatzes, zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen sowie zum Verrentungszinssatz als den wesentlichen Aspekten der hier vorzunehmenden Ermittlung der angemessenen Abfindung.
252
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Anhörung der gemäß §§ 327 c Abs. 2 Sätze 2 bis 4, 293 c Abs. 1 AktG bestellten Vertragsprüfer diene nur der Aufklärung über ihre anlässlich der Prüfung getroffenen Feststellungen, nicht jedoch der Überprüfung der inhaltlichen Angemessenheit der Planung und sonstiger Bewertungsparameter (in diese Richtung aber auch Puszkajler in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Vorb. §§ 7 bis 11 SpruchG Rdn. 29 und § 8 Rdn. 32 f.). Diese Auffassung ist nämlich mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck des § 8 Abs. 2 SpruchG nicht vereinbar. Mit der Anhörung des sachverständigen Prüfers soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Erkenntnisbasis schon zu Beginn des Verfahrens verbreitert und eine eventuell zusätzlich notwendig werdende Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen zur Begutachtung bestimmter Fragen erleichtert werden. Damit allerdings erschöpft sich nicht die Zielsetzung dieser Vorschrift. Bereits aus der Formulierung in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 8 SpruchG, die sich der Deutsche Bundestag erkennbar zu eigen gemacht hat, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, es könne auch aufgrund der Anhörung des Prüfers eine abschließende Entscheidung des Gerichts getroffen werden. Hierfür spricht insbesondere auch der Gedanken in den Gesetzesmaterialien, die Prüfungsberichte sollten künftig verstärkt als Grundlage zur Entscheidungsfindung der Gerichte beitragen; der Beschleunigungseffekt soll sich dann gerade auch daraus ergeben, dass ein gerichtliches Sachverständigengutachten als Folge der Bestellung und letztlich auch der Anhörung ganz vermieden werden kann (vgl. BT-Drucksache 15/371 S. 14 f. und 18; auch Riegger/Gayk in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Einl SpruchG Rdn. 50). Dann aber muss es dem Gericht möglich sein, auch Aussagen des gerichtlich bestellten Prüfers zu Bewertungsfragen im Rahmen seiner Entscheidung zu verwerten. Dem steht letztlich auch nicht die Formulierung in § 8 Abs. 2 Satz 1 SpruchG entgegen, wenn dort die Anhörung des Prüfers als „sachverständiger Zeuge“ beschrieben wird. Auch wenn dies suggeriert, er solle dem Gericht nur Tatsachen bekunden, die er aufgrund seiner besonderen Sachkunde wahrgenommen hat (vgl. § 414 ZPO), kann seine Rolle nicht auf die eines sachverständigen Zeugen beschränkt werden, weil anderenfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Effekt der Beschleunigung des Verfahrens konterkariert würde. Dies gilt umso mehr, als das Problem der rechtlichen Einordnung des gerichtlich bestellten Prüfers in den Gesetzesmaterialien nicht weiter problematisiert wurde.
253
Die weitere Einschaltung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen wird namentlich auch nicht vom Schutz der Minderheitsaktionäre gefordert. Die Einschaltung eines vom Gericht bestellten sachverständigen Prüfers im Vorfeld der Strukturmaßnahmen soll dem präventiven Schutz der Anteilseigner im Spruchverfahren dienen; deshalb kann sein Prüfungsbericht zusammen mit dem Ergebnis einer auf § 8 Abs. 2 SpruchG gestützten Anhörung zusammen mit der aufgrund von § 8 Abs. 2 Satz 3 SpruchG eingeholten ergänzenden Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden. Im Übrigen haftet der sachverständige Prüfer nach §§ 327 c Abs. 2 Satz 4, 293 d Abs. 2 AktG, 323 HGB auch gegenüber den Anteilsinhabern. Gerade durch die Verweisung auf die für Abschlussprüfer geltenden Bestimmungen der §§ 319 Abs. 1 bis Abs. 3, 323 HGB ist die Unabhängigkeit des Prüfers sichergestellt. Der Umstand der Parallelprüfung, also der Prüfung zeitgleich mit dem Erstellen des Berichts des Hauptaktionärs, vermag an der Unabhängigkeit der Prüfung nichts zu ändern und begründet für sich genommen keine Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des vom Gericht bestellten Prüfers (vgl. OLG München ZIP 2007, 375, 377 f. = Der Konzern 2007, 356, 359; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 129 f.; LG München I, Beschluss vom 28.6.2013, Az. 5HK O 18685/11; Beschluss vom 29.8.2017, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 8 Rdn. 21; Emmerich in: Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 8 SpruchG Rdn. 6). § 407 a ZPO ist angesichts der Sonderregelung in § 8 SpruchG unanwendbar.
254
(2) Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der von den Wirtschaftsprüfern von E. als Vertragsprüfer getroffenen Feststellungen. Herr Dr. P. und Dr. R. verfügen zweifelsohne über die zur Beurteilung auch komplexer Fragen der Unternehmensbewertung erforderliche Sachkunde. Sie haben sowohl im Prüfungsbericht als auch in der mündlichen Anhörung samt seiner ergänzenden Stellungnahme die vorgenommenen Prüfungshandlungen hinreichend erläutert und dabei insbesondere auch begründet, warum die Vertragsprüfer gerade auch die Planansätze aus dem Bewertungsgutachten von P… für angemessen und sachgerecht begründet erachteten. Daraus wird deutlich, dass sie sich ihrer Aufgabe und Funktion als gerichtlich bestellte Vertragsprüfer in vollem Umfang bewusst waren. Dies zeigt sich weiterhin daran, dass die Vertragsprüfer bei der Ableitung des Beta-Faktors über die P. Group-Unternehmen weitergehende Analysehandlungen unter Rückgriff auf Daten des Finanzinformationsdienstleisters Bloomberg vornahmen, indem sie sowohl mit raw als auch mit adjusted-Beta-Faktoren rechneten und daraus dann einen Mittelwert bildeten, den sie dann mit dem von der Bewertungsgutachterin herangezogenen Beta-Faktor abglichen. Auch zogen sie Performanceindizes heran, während die Bewertungsgutachter mit Preis-Indizes rechneten. Im Verlaufe ihrer Anhörung haben sich die Vertragsprüfer von E. eingehend, umfassend und kenntnisreich mit den erhobenen Rügen und Einwendungen gegen die Grundlagen der Ermittlung des Unternehmenswerts der O. L2. AG auseinandergesetzt.
255
Die Prüfer führten zudem auch eine Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds unter Zugriff auf Marktstudien für die relevanten Märkte durch, wobei sie vor allem auf IHS Market und das Prognoseinstitut Technavio zurückführten, was sie in ihrem Prüfungsbericht dargestellt haben. Zur weiteren Plausibilisierung der Abfindung und des Ausgleichs unterzogen sie das Ergebnis einem Multiplikatorenvergleich auf der Grundlage der Erkenntnisse der Bewertungsgutachter von P., die eine vergleichende Bewertung anhand von EBITDA- und EBIT-Multiplikatoren vorgenommen hatten. Daraus ergab sich eine Bandbreite des Eigenkapitalwerts auf der Grundlage von EBITDA-Multiplikatoren in einer Bandbreite zwischen € 2.576 Mio. und € 4.507 Mio., so dass der Unternehmenswert der Gesellschaft am oberen Rand der Bandbreite liegt. Auf der Basis von EBIT-Multiplikatoren liegt der mit Hilfe des Ertragswertverfahrens ermittelte Unternehmenswert der Gesellschaft sogar über dem oberen Rand der Bandbreite. Auch dies zeigt die Angemessenheit der festgesetzten Abfindung des festgesetzten Ausgleichs.
256
b. Eine Mitgliedschaft der Vertragsprüfer im Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. begründet kein Bestellungsverbot im Sinne des § 319 Abs. 1 bis Abs. 4 HGB, der aufgrund der Verweisung in §§ 327 c Abs. 2 Satz 4, 293 d Abs. 1 AktG Anwendung findet. Angesichts dessen muss die Kammer auch nicht entscheiden, inwieweit sich daraus ein Verwertungsverbot ableiten ließe. Einen Ablehnungsgrund vermag die Kammer gleichfalls nicht zu erkennen. Dabei muss bereits davon ausgegangen werden, dass die Vorschriften über die Sachverständigenablehnung in §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 30 Abs. 1 FamFG, 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO auf den gerichtlich bestellten Prüfer keine Anwendung finden. Das Spruchverfahrensgesetz behandelt ihn aufgrund der Vorschrift des § 8 Abs. 2 nicht als Sachverständigen, sondern als sachverständigen Zeugen, weshalb die Vorschriften über die Ablehnung eines Sachverständigen auf ihn nicht anwendbar sind (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 23.3.2017, Az. 31 O 1/15; LG München I, Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Drescher in: BeckOGK, Stand 1.2.2021, § 8 SpruchG Rdn. 15). Abgesehen davon wäre ein Befangenheitsgrund auch nicht zu bejahen. Ein solcher ergibt sich nicht aus einer Mitgliedschaft der Vertragsprüfer im IDW. § 4 Abs. 9 der Satzung des IDW enthält nämlich keine unbedingte Verpflichtungserklärung des Wirtschaftsprüfers auf die Vorgaben des IDW. Zwar hat jedes Mitglied die Prüfungsstandards aufgrund dieser Vorschrift zu beachten. Aufgrund von § 4 Abs. 9 Satz 2 und Satz 3 der Satzung kann eine sorgfältige Prüfung indes ergeben, dass ein Prüfungsstandard nicht anzuwenden oder hiervon abzuweichen ist. Somit bietet die genannte Selbstverpflichtung genügend Raum für die dem Vertragsprüfer auferlegte unparteiische Überprüfung (vgl. OLG Karlsruhe AG 2018, 405, 406). Ein Ablehnungsgrund lässt sich auch nicht daraus ableiten, wenn namentlich Herr Dr. P. und Herrn Dr. R. in anderen Fällen als gerichtlich bestellter Prüfer tätig wurde und gegebenenfalls auch Privatgutachten zur Unternehmensbewertung erstellt. Zwar wird davon auszugehen sein, dass bei einem (gerichtlich bestellten) Sachverständigen, der in derselben Sache für einen nicht unmittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet hat, ein Ablehnungsgrund besteht, weil dann die Besorgnis besteht, er werde von einer früher geäußerten Begutachtung nicht abweichen (vgl. BGH MDR 2017, 479 f. = VersR 2017, 641, 642 = NJW-RR 2017, 569, 570 m.w.N. auch zur Gegenauffassung). Von einem gleichgelagerten Sachverhalt kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden, wenn die gerichtlich bestellten Vertragsprüfer völlig andere Unternehmen bewertet haben (vgl. auch OLG Karlsruhe AG 2018, 405, 406). In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es dagegen um die Frage, dass möglicherweise die zu begutachtende Hüftgelenksprothese aus derselben Modellreihe stammte wie die, die dort bestellte Sachverständige auch als Privatgutachter zu beurteilen hatte. Vorliegend wird auch von Seiten der Antragsteller nicht vorgetragen, E. sowie namentlich Herr Dr. P. und Herr Dr. R. seien früher mit der Bewertung der O. AG befasst gewesen.
257
c. Bei der Entscheidungsfindung konnte auch auf das Bewertungsgutachten sowie die Äußerungen von Herrn M. insbesondere im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 23.6.2022 zurückgegriffen werden. Sie können im Wege der freien Beweiswürdigung durch die Kammer verwertet werden, wobei sich die Kammer bewusst ist, dass es hierbei um den Vortrag eines Beteiligten geht. Da die Erkenntnisse der Bewertungsgutachter vom Vertragsprüfer einer umfassenden Überprüfung unterzogen wurden, hat die Kammer allerdings keinen Zweifel an ihrer Richtigkeit, zumal sie sich in das Gesamtbild des zu bewertenden Unternehmens einfügen.
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2. Weitere Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts sind nicht geboten.
259
a. Dies gilt zunächst für die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens entsprechend den obigen Ausführungen unter D. 1., auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird.
260
b. Die Vorlage weiterer Unterlagen zur Planung und zur Bewertung sowie der Gutachten zur Immobilienbewertung war ebenso wenig anzuordnen wie die Vorlage der Arbeitspapiere der beteiligten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, weil die Voraussetzungen von § 7 Abs. 7 Satz 1 SpruchG als einzig denkbarer Anspruchsgrundlage nicht erfüllt sind.
261
(1) Nach dieser sehr weit gefassten Vorschrift sind sonstige Unterlagen, die für die Entscheidung des Gerichts erheblich sind, auf Verlangen der Antragsteller oder des Vorsitzenden des Gerichts und gegebenenfalls eines vom Gericht bestellten gemeinsamen Vertreters unverzüglich vorzulegen. Zwar gehören auch Planungsunterlagen einer Gesellschaft zu den sonstigen Unterlagen im Sinne dieser Vorschrift (vgl. nur Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 7 Rdn. 55). Allerdings haben die Antragsteller die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage der vollständigen Planungsunterlagen nicht plausibel dargelegt, was indes zwingende Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung wäre (so OLG Düsseldorf AG 2021, 25, 27; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.10.2010, Az. 20 W 17/06; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; LG München I, Beschluss vom 7.5.2014, Az. 5HK O 21386/12; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 20672/14; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Puszkajler in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 57). Eine derartige Entscheidungserheblichkeit vermag die Kammer nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang ist entscheidend zu berücksichtigen, dass wesentliche Grundlagen der Planung im Prüfungsbericht der gerichtlich bestellten Vertragsprüfer dargestellt wurden, weshalb dieser eine ausreichende Basis für die Erhebung hinreichend substantiierter Einwendungen bildet.
262
(2) Die Antragsgegnerin ist weiterhin nicht verpflichtet, die Arbeitspapiere der Bewertungsgutachter von P. sowie der Vertragsprüfer von E. vorzulegen. Einem derartigen Verlangen steht nach h.M. bereits die Regelung in § 51 b Abs. 4 WPO entgegen, weil es keinen durchsetzbaren Anspruch des Auftraggebers – hier also der Antragsgegnerin – gegen den Wirtschaftsprüfer auf Herausgabe der Arbeitspapiere gibt (vgl. nur Bungert/Mennicke BB 2003, 2021, 2029; Wasmann/Roßkopf ZIP 2003, 1776, 1780; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 7 Rdn. 58; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 22). Ob dem mit Blick auf §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 26 FamFG in jedem Fall zu folgen sein wird (kritisch zur h.M. Drescher in: Spindler/Stilz, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 9), kann vorliegend aber dahinstehen. Es fehlt nämlich jedenfalls an der Entscheidungserheblichkeit. Zwar sind die Arbeitspapiere in der Begründung zum Regierungsentwurf des Spruchverfahrensgesetzes (vgl. BT-Drucks. 15/371 S. 15) beispielhaft aufgeführt. Dies bedeutet indes nicht, dass die Antragsteller verlangen können, ihnen müssten sämtliche Unterlagen, die die Wirtschaftsprüfer verwendet und in ihren Arbeitspapieren festgehalten haben, in jedem Fall zugänglich gemacht werden. Der Bericht der Hauptaktionärin wie auch der Bericht des gerichtlich bestellten Prüfers soll neben den allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen nur eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen. Diese ist durch die Vorlage des Berichts der Hauptaktionärin sowie des Prüfungsberichts des gerichtlich bestellten Vertragsprüfers gewährleistet. Zudem fehlt es vorliegend an einem begründeten Vorlageverlangen der Antragsteller, die sich auf einen Anspruch nach § 7 Abs. 7 Satz 1 SpruchG hinsichtlich der Arbeitspapiere berufen. Sie haben nicht hinreichend begründet, warum ihnen nur mit Hilfe der Vorlage der Arbeitspapiere eine hinreichend substantiierte Rüge namentlich in Bezug auf die Planung möglich sein sollen; dies wäre indes erforderlich gewesen (vgl. OLG Karlsruhe AG 2006, 463, 464 = NZG 2006, 670, 671 f.; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; LG München I, Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Dorn in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 67; Drescher in: BeckOGK SpruchG, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 10; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 13). Gerade auch unter diesem Gesichtspunkt können keine überspannten Anforderungen an die Substantiierungslast bezüglich einzelner Rügen gestellt werden.
263
(3) Dies gilt auch für die Gutachten über die Grundstücksbewertung. Insoweit kann auf die oben unter B. II. 3. a. (1) angeführte Begründung verwiesen werden, wonach sich über den Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens eine Erhöhung der Abfindung und damit auch der Berechnungsgrundlage für den Ausgleich nicht gerechtfertigt werden kann, weshalb es an der Entscheidungserheblichkeit fehlt.
264
1. a. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SpruchG. Schuldner der Gerichtskosten ist nach der Grundsatzregelung aus § 15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG nur der Antragsgegner. Allerdings können die Kosten ganz oder zum Teil dem Antragssteller auferlegt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht.
265
(1) Hinsichtlich der Gerichtskosten musste bezüglich der Antragstellerin zu 43) § 15 Abs. 2 Satz 2 SpruchG zur Anwendung gelangen. Insoweit entspricht es der Billigkeit, dieser Antragstellerin die Gerichtskosten anteilig aufzuerlegen, soweit sich diese nach dem GNotKG bemessen. Ihr Antrag war offensichtlich unzulässig gewesen; in diesen Fällen können die Gerichtskosten dem betreffenden Antragsteller auferlegt werden (vgl. LG München I, Beschluss vom 26.4.2014, Az. 5 HK O 6680/10; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 15 Rdn. 11; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 21). Diese Antragstellerin war nie als Aktionärin der O. AG im Aktienregister eingetragen gewesen, weshalb sie entsprechend den obigen Ausführungen offensichtlich nicht antragsberechtigt ist. Die analoge Anwendung von § 67 Abs. 2 AktG im Rahmen der Antragsberechtigung ist seit langem bekannt; zudem hat der Vorsitzende in der Verfügung vom 23.12.2021 hinreichend deutlich auf diesen Umstand hingewiesen.
266
(2) Für eine Anwendung von § 15 Abs. 2 Satz 2 SpruchG ist in Richtung auf alle anderen Antragsteller kein Raum. Es entspricht nicht der Billigkeit, die Gerichtskosten ganz oder teilweise den Antragstellern aufzuerlegen, auch wenn die Anträge keinen Erfolg hatten. Es muss dabei nämlich berücksichtigt werden, dass die Anhörung der Vertragsprüfer im Termin vom 23.6., 1.12. und 2.12.2022 nochmals eine deutlich erhöhte Klarheit und vertiefte Erkenntnisse zu wesentlichen Planannahmen wie namentlich der Entwicklung der Umsatzzahlen, der Kosten, zur Thesaurierung, sowie zum Kapitalisierungszinssatz und zum Verrentungszinssatz gebracht hat. Nichts anderes gilt im Ergebnis in Richtung auf die vormalige Antragstellerin zu 1), die ihren Antrag zurückgenommen hat. Hier ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin im Termin vom 23.6.2022 für diesen Fall zugesagt hat, keinen Kostenantrag zu stellen.
267
b. Bezüglich der außergerichtlichen Kosten findet die Entscheidung ihre Grundlage in § 15 Abs. 2 SpruchG.
268
(1) Nach dieser Vorschrift ordnet das Gericht an, dass die Kosten der Antragsteller, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, ganz oder zum Teil vom Antragsgegner zu erstatten sind, wenn dies unter Berücksichtigung des Ausgangs des Verfahrens der Billigkeit entspricht. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden, weil die Anträge in der Sache keinen Erfolg hatten. Die Kammer hält mit Blick auf die nunmehr entgegenstehende Auffassung des Oberlandesgerichts München im Beschluss vom 11.3.2020, Az. 31 Wx 341/17 (AG 2020, 440, 444 f. = ZIP 2020, 761, 762 ff. = WM 2020, 1028, 1034 ff.) an ihrer bisher vertretenen Auffassung zur Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin nicht mehr fest. Das Oberlandesgericht München begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, aus der Gesetzgebungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. 15/371 S. 18) ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, dass im Falle des Unterliegens die Antragsteller ihre Kosten zu tragen hätten. Eine regelmäßige Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin widerspreche danach dem Willen des Gesetzgebers, wonach die Kostentragungspflicht der Antragsteller im Falle des Unterliegens die Regel darstellen soll. Auch weist das Oberlandesgericht München neben diesem Argument darauf hin, das mit der Verteilung verbundene Kostenrisiko sei keinesfalls existenzbedrohend – ein Rechtsschutzverlust ist mit dieser Regelung nicht verbunden, weil sich die Antragsteller im Spruchverfahren nicht zwingend anwaltlich vertreten lassen müssen und an die Antragsbegründungspflicht vergleichsweise niedrige Anforderungen zu stellen sind. Infolge der Berechnung der Anwaltsgebühren auf der Grundlage von § 31 RVG und nicht aus dem vollen Geschäftswert ist das Kostenrisiko zudem überschaubar, weshalb eine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes nicht angenommen werden kann. Die allgemeiner formulierte Vorschrift des § 81 Abs. 1 FamFG findet angesichts der Spezialregelung in § 15 Abs. 4 SpruchG a.F., die im Wesentlichen der Neuregelung in § 15 Abs. 2 SpruchG entspricht, keine Anwendung. Besondere Gründe, die eine hiervon abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind vorliegend nicht erkennbar.
269
(2) Der Antragsgegnerin steht indes kein Kostenerstattungsanspruch gegen die Antragsteller zu. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage, weil § 15 Abs. 4 SpruchG a.F. eine abschließende Regelung enthält und dort eine Erstattungspflicht hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners durch die Antragsteller nicht vorgesehen ist (so ausdrücklich BGH NZG 2012, 191, 193 f. = AG 2012, 173, 174 f. = ZIP 2012, 266, 268 f.= WM 2012, 280, 282 f. = DB 2012, 281, 282 f. = MDR 2012, 293 f.; OLG Frankfurt AG 2012, 417, 422 = Der Konzern 2012, 199, 211; LG München I, Beschluss vom 27.6.2014, Az. 5HK O 7819/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Drescher in: BeckOGK, Stand 1.2.2021, § 15 SpruchG Rdn. 26; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 21; Hüffer/Koch, AktG, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 6; Steinle/Liebert/Katzenstein in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7 – Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation), a.a.O., § 34 Rdn. 49).
270
2. Die Entscheidung über den Geschäftswert hat ihre Grundlage in § 74 GNotKG. Da die Anträge keinen Erfolg hatten, war der Mindestgeschäftswert von € 200.000,- festzusetzen. Dieser ist aufgrund von § 6 Abs. 2 Satz 3 SpruchG auch für die Vergütung des gemeinsamen Vertreters maßgeblich.