Titel:
Diskriminierung wegen einer Behinderung – Indizwirkung
Normenketten:
BGB § 242, § 611a Abs. 2, § 1004 Abs. 1 S. 1
AGG § 1, § 3 Abs. 1, § 6, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2, Abs. 4, § 22
SGB IX § 164, § 178 Abs. 2 S. 1, § 179
Leitsätze:
1. Die Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen, wie zB in § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX geregelt, begründet grundsätzlich die Vermutung einer behinderungsbedingten Benachteiligung (vgl. BAG BeckRS 2017, 110781; s. auch LAG Hamm BeckRS 2017, 128031 Rn. 73 ff.). (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
2. Diskriminierendes Verhalten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Arbeitnehmers als Schwerbehindertenvertreter kann eine entschädigungspflichtige Benachteiligung darstellen. Dass die Benachteiligung wegen der Behinderung iSv § 3 Abs. 1, § 22 AGG erfolgt, wird wegen der Verletzung der zugunsten schwerbehinderter Menschen begründeten Pflicht zur Duldung der Amtsausübung gem. § 179 Abs. 2 SGB IX vermutet. (Rn. 63 – 65) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gutschrift Arbeitszeitkonto, Zeitguthaben, Minusstundenbuchung, Behinderung, Schwerbehinderung, Entschädigung, Diskriminierung, Benachteiligungsverbot, Abmahnung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 11.09.2024 – 4 Sa 178/23
BAG Erfurt vom -- – 8 AZR 276/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53743
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 180 Arbeitsstunden gutzuschreiben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die beiden Abmahnungen vom 03.11.2022 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 6.000,- € nebst 5% Zinspunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.01.2023 zu bezahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 58% und die Beklagte 42% zu tragen.
6. Der Streitwert wird auf 26.240,- € festgesetzt.
7. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin Stunden gutzuschreiben und es zu unterlassen, von der Klägerin das Abladen des S-LKW zu verlangen. Außerdem ist die Wirksamkeit zweier Abmahnungen vom 03.11.2022 umstritten und die Verpflichtung der Beklagten, an die Klägerin eine Entschädigung nach dem AGG zu bezahlen.
2
Die am ... 1973 geborene Klägerin ist jedenfalls seit 01.07.2001 bei der Beklagten als Packerin und Verleserin bzw. Materialver- und -entsorgerin beschäftigt, dies in Teilzeit und durchgängig nur in Nachtschicht mit einer monatlichen Bruttovergütung iHv. zuletzt 1.200 €. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem GdB von 50 und seit November 2022 Schwerbehindertenbeauftragte.
3
Die Klägerin legte der Beklagten im Laufe des Arbeitsverhältnisses mehrere ärztliche Atteste vor, u.a. eines vom 12.01.2015, wonach sie u.a. keine schwere Lasten über 10 kg mehr heben und keine dauerhaften Arbeiten über Schulterniveau verrichten darf, eines vom 6.8.2018 durch die Betriebsärztin, wonach die Klägerin dauerhaft u.a. auch keine überwiegenden Rotationsbewegungen des Kopfes oder Körpers ausführen dürfe, eines vom 11.10.2018, wonach sie aufgrund der Erkrankung nurmehr in der Nachtschicht eingesetzt werden darf sowie u.a. ein Attest vom 30.11.2022, wonach aus medizinischen Gründen vorübergehend eine Reduktion der Arbeitszeit auf zwei Tage (15,2 Stunden) notwendig ist.
4
Im Mai 2021 wurde im Betrieb der Beklagten auf ein 3-Schichtsystem umgestellt. Dem Antrag der Klägerin, weiter nur in Nachtschicht arbeiten zu dürfen, wurde stattgegeben. In der Folge bauten sich bis November 2022 180 Minusstunden auf. Am 02.11.2022 wurde die Klägerin zur Vertrauensperson für Schwerbehinderte (Schwerbehindertenvertretung) gewählt. Es gibt einen Stellvertreter.
5
Mit Schreiben vom 24.11.2022 verlangte die Beklagte von der Klägerin, die aufgelaufenen Minusstunden auszugleichen (Bl. 24 d.A.). Dies ließ die Klägerin von ihrer Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 30.11.2022 zurückweisen und verlangte zugleich wegen der behinderungsbedingten Nichteinteilung Streichung der Minusstunden (Bl. 25 f. d.A.). Am 29.11.2022 verlangte die Klägerin von der Beklagten wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen gemäß § 164 V SGB IX eine vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit auf 15,2 Wochenstunden ab 05.12.2022 (Bl. 56 d.A.). Dem Antrag auf Zeitreduzierung stimmte die Beklagte aufgrund § 8 TzBfG ab 01.01.2023 zu, verlangte aber zugleich wiederum Abbau der Minusstunden (Bl. 56 d.A.). Mit Schreiben vom 03.11.2022 – der Klägerin am 7.12.2022 zugegangen – mahnte die Beklagte die Klägerin ab wegen ihrer Weigerung, den S-LKW abzuladen (Bl. 28 f. d.A.). Mit weiterem Schreiben vom 03.11.2022 – der Klägerin ebenfalls am 7.12.2022 zugegangen – mahnte die Beklagte die Klägerin ab wegen ihrer Weigerung, ihre Kollegin am Bedeckler 4 abzulösen (Bl. 37 f. d.A.).
6
Am 22.11.2022 untersagte die Beklagte der Klägerin die weitere Nutzung des Staplers, den sie bislang zur Verrichtung ihrer Arbeit eingesetzt hatte. Diesbezüglich und zur Vermeidung des von ihr verlangten Minusstundenabbaus leitete die Klägerin am 11.01.2023 ein einstweiliges Verfügungsverfahren ein (3 Ga 1/23), das die Parteien mittlerweile gütlich beigelegt haben (Vergleich vom 08.02.2023). Mit Schreiben vom 17.01.2023 erweiterte die Klägerin die Klage um eine Entschädigungsforderung nach dem AGG, da die Beklagte sie wegen ihrer Behinderung diskriminiere. Die Beklagte ließ der Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 16.3.2023 mitteilen, dass sie (die Klägerin) ab sofort in Wechselschicht eingesetzt wird. Auch dagegen wehrte sich die Klägerin mit einem einstweiligen Verfügungsverfahren (3 Ga 2/23), in dem erstinstanzlich am 29.03.2023 entschieden wurde, dass die Klägerin vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren in Dauernachtschicht weiterarbeiten darf, da die Anweisung wegen ihrer Fristlosigkeit und der fehlenden Berücksichtigung klägerischer Interessen unwirksam ist. Das entsprechende Hauptsacheverfahren wird beim Arbeitsgericht Weiden unter dem Aktenzeichen 3 Ca 269/23 geführt.
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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 03.04.2023, vom 21.04.2023 und vom 22.05.2023. Das dagegen von der Klägerin eingeleitete Kündigungsschutzverfahren wird beim Arbeitsgericht Weiden unter dem Aktenzeichen 3 Ca 289/23 geführt.
8
Vorliegend meint die Klägerin, dass die Beklagte verpflichtet sei, die Minusstunden zu streichen. Sie habe im Zeitraum 2021 bis Mitte 2022 180 Stunden nicht gearbeitet, weil die Beklagte sie wegen ihrer körperlichen Einschränkungen nicht eingeteilt habe. Hierzu gebe es Email-Verkehr mit ihrem Vorgesetzten R., in dem dieser bestätige, dass sie in der Zeit vor dem 04.04.2022 nicht vertragsgemäß eingesetzt worden sei. Danach sei sie wieder korrekt mit ihrer vertragsgeschuldeten Arbeitszeit eingesetzt worden. Die Beklagte habe hier gegen § 15 I AGG und gegen § 3 III b) des BMTV für die Süßwarenindustrie, der Minusstunden auf 114 begrenze, verstoßen, da nicht behinderte Mitarbeiter vollständig eingeteilt und tarifgemäß behandelt würden. Die Klägerin könne auch verlangen, nicht mehr am S-LKW zum Abladen eingeteilt zu werden. Sie könne ihre Arbeitsleistungen unter Beachtung der Atteste weiterhin erbringen, diese allerdings nach dem weiterhin gültigen Attest der Betriebsärztin vom 21.11.2018 eben nicht mit Rotationsbewegungen des Kopfes und des Rumpfes, wie sie beim Abladen – beim Rückwärtsfahren – des S-LKWs ca. 30mal anfallen würden. Obwohl die Beklagte um ihre behinderungsbedingten Einschränkungen wisse, weise sie dem widersprechend die Tätigkeit an, die sie aber nur unter Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausführen könne. Auch die dazugehörige Abmahnung vom 03.11.2022, bei der auch die Schwerbehindertenvertretung nicht beteiligt worden sei, sei daher unwirksam. Dies gelte im Ergebnis auch für die weitere Abmahnung vom 03.11.2022, denn es könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, dass sie die Tätigkeit am Bedeckler nicht ausführe. Diese Tätigkeit zähle schon seit 2019 nicht mehr zu ihrem Aufgabenbereich; außerdem fielen hier Arbeiten wie Hebe- bzw. Überkopfarbeiten an, die sie nach dem betriebsärztlichen Attest nicht ausüben dürfe. Schließlich schulde ihr die Beklagte eine Entschädigung nach dem AGG, da sie wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden sei. So sei sie wegen ihrer Einschränkungen 2021 – 2022 nicht im vertraglichen Umfang zur Arbeit eingeteilt worden. Auch sei sie in Form der Abmahnungen anders als eine Person ohne körperliche Einschränkungen benachteiligt worden, da sie den Weisungen des Arbeitgebers einschränkungsbedingt nicht habe folgen können. Auch sei ihr hier die Chance der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung genommen worden. Die Weisung, den LKW abzuladen, stelle ohne angemessene Vorkehrungen etwa in Form einer zeitlich nur begrenzten Beteiligung der Klägerin (wie im Vergleich vom 08.02.2023) oder einer Ausstattung des Staplers mit einer Rückwärtskamera und einem Spiegel, ebenso wie die Anweisung vom 01.03.2023, sie ohne angemessene Vorkehrung entgegen der Regelung im Präventionsverfahren 2019 mit mehr als 2 Stunden zum Verlesen einzusetzen (vgl. Bl. 160 d.A.) jeweils eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Behinderung dar. Auch sei die Klägerin benachteiligt worden, indem sie – wieder ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung – anders als die nicht behinderten Mitarbeiter als einzige Arbeitsvorgänge habe dokumentieren müssen, ohne dass ihr der Zweck mitgeteilt worden sei. Weitere Indizien für ihre behinderungsbedingte Benachteiligung seien der Entzug des Staplers ohne Grund und ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung – dadurch sei ihr der behinderungsgerechte Arbeitsplatz weggenommen worden – und die Nichtbearbeitung ihres Teilzeitantrages nach § 164 SGB IX. Die Beklagte habe ihren Antrag fälschlicherweise nach dem TzBfG behandelt und von ihr unzutreffend eine Vertragsänderung verlangt und zugleich mit dem Verlangen, die Minusstunden hereinzuarbeiten, eine Arbeitszeitverlängerung angeordnet. Insgesamt sei die Klägerin unmittelbar nach Amtsübernahme und dann, wenn sie Rechte nach dem SGB IX geltend gemacht habe, gemaßregelt worden. In der Nacht auf 17.03.2023 sei sie bei der Ausübung ihres Amtes der Schwerbehindertenvertretung eingeschränkt worden. Ihr sei kein Zimmer zur Ausübung ihres Amtes zur Verfügung gestellt worden. Den ihr erst im Februar 2023 gestatteten Zugang zum Betriebsratszimmer habe die Beklagte Ende März 2023 wieder widerrufen. Ihre bereits genehmigte Schulung für den 3. Teil einer Schulung mit dem Inhalt, welche Leistungen für schwerbehinderte Kollegen zur beruflichen Rehabilitation bzw. welche externen Leistungen zur Arbeitsplatzerhaltung beantragt werden können, habe die Beklagte ihr nach erfolgter Anmeldung doch versagt (vgl. Bl. 165 d.A.). All dies seien Indizien dafür, dass die Beklagte ihren Pflichten nach dem SGB IX nicht nachkomme und die Klägerin benachteilige. Auch sei ihr nach der Amtsübernahme und Klageeinreichung abverlangt worden, ihre AU-Bescheinigung ab dem 1. Tag schriftlich vorzulegen. Ohne Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung sei es nicht möglich gewesen zu klären, warum sie hier als Ausnahmefall geführt werde. Auch die fristlose Umsetzung weg von der Dauernachtschicht ohne Kenntnis und Berücksichtigung ihrer familiären Betreuungssituation und ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung stelle eine zur Entschädigung verpflichtende Benachteiligung dar. Die Aufforderung der Beklagten, die Diskriminierungsvorwürfe trotz des laufenden Hauptsacheverfahrens außergerichtlich aufzuklären bzw. nicht aufrechtzuerhalten, stelle einen Verstoß gegen § 16 AGG dar, denn es müsse der Klägerin möglich sein, die Indizien der Benachteiligung beim Arbeitsgericht vorzutragen. Bei der Höhe der Entschädigung sei zu beachten, dass die sofortige Versetzung in die Wechselschicht ebenso wie das Verbot, den Stapler weiter zu benutzen, den Zugang der Klägerin zur Beschäftigung konkret bedrohten, was angesichts der Schwere der Benachteiligung zu einem mindestens fünfstelligen Betrag führen müsse. Wegen weiterer Einzelheiten zum Vortrag der Klägerin wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf sämtliche hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 180 Stunden gutzuschreiben.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt es zu unterlassen, die Klägerin anzuweisen den SLKW abzuladen.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 03.11.2022 zurückzunehmen und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
- 4.
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Die Beklagte wird verurteilt, die weitere Abmahnung vom 03.11.2022 zurückzunehmen und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
- 5.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20.000 EUR netto Entschädigung nebst 5 Zinspunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Antragstellung zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt hingegen,
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Die Beklagte lässt vortragen, dass der ursprüngliche Antrag auf Streichung von 180 Minusstunden unzulässig, da zu unbestimmt sei. Der Vortrag sei auch zu pauschal und werde bestritten. Aus der E-Mail des Vorgesetzten R. vom 04.04.2022 ergebe sich gerade nicht, dass die Klägerin nicht vertragsgemäß eingesetzt worden sei. Anstrengungen der Beklagten, die Klägerin einzusetzen, seien von der Klägerin torpediert worden, die sich geweigert habe, an verschiedenen Positionen eingesetzt zu werden. Es gebe keinen Vergütungsanspruch für die 180 nicht geleisteten Stunden, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Die Klägerin sei auch längst nicht mehr leistungsfähig. Fehl gehe der Hinweis, wonach nicht behinderte Mitarbeiter nicht die Zahl von Minusstunden angehäuft hätten bzw. tarifgemäß behandelt worden seien. Der Anwendungsbereich des § 15 I AGG sei nicht eröffnet. Auch der Unterlassungsanspruch sei unbegründet. Die Klägerin schulde die Abladetätigkeit als Teil ihrer Aufgaben im Saaldienst. Einen leidensgerechten Umbau des Staplers habe sie nicht akzeptiert (vgl. Bl. 245 f. d.A.). Trotz der vielen bekannten Atteste werde bestritten, dass die Klägerin aufgrund der Halswirbel und der Wirbelsäule nicht rückwärtsfahren könne und auch, dass es keine andere Möglichkeit gebe, den Lastwagen abzuladen. Die Klägerin beschränke sich darauf zu behaupten, sie müsse beim Abladen ca. 30 Mal nach hinten fahren, was für sie nicht machbar sei. Das werde bestritten. Auch die beiden Abmahnungen seien formell und materiell rechtmäßig. Die Klägerin habe sich geweigert, den LKW abzuladen bzw. den Bedeckler zu bedienen, obwohl das jeweils zu ihren Aufgaben gehört habe und obwohl die Beklagte bei der entsprechenden Anweisung das Attest vom 04.12.2009 berücksichtigt habe, aus dem ebenso wenig wie aus der Bescheinigung vom 21.11.2018 hervorgehe, dass die Klägerin diese Aufgaben nicht mehr verrichten könne. Trotzdem habe die Klägerin die zugewiesenen Tätigkeiten pauschal abgelehnt. Es bestehe auch sicher kein Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG. Falsch sei schon die Auffassung der Klägerin, die Beklagte hätte vor jeder Weisung oder Maßnahme wie die Anordnung bezüglich des Staplers, den Ausspruch der Abmahnungen oder die Weisung zum Führen von Tätigkeitsnachwiesen jeweils die Schwerbehindertenvertretung anhören müssen. Richtig sei zwar, dass grundsätzlich schon der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung (SBV) in allen Schwerbehinderte berührenden Angelegenheiten zu unterrichten und zu hören habe, dies allerdings dann nicht, wenn durch die konkrete Angelegenheit die Belange Schwerbehinderter in keiner anderen Weise als die nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer berührt werden. Solche behindertenspezifischen Belange gebe es hier nicht. Bezüglich der Minusstunden sei die Frist des § 15 IV AGG nicht eingehalten. Die Nichtbeteiligung der SBV sei kein taugliches Indiz für eine Benachteiligung. Die Zuweisung anderer Tätigkeiten sei zulässig und nicht entschädigungspflichtig. Die Beklagte habe ihre Pflicht nach § 106 S. 2 GewO beachtet, indem sie der Klägerin leidensgerechte Tätigkeiten zugewiesen habe. Zweifelsohne sei die Beklagte nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung auch berechtigt, von der Klägerin die Tätigkeitsnachweise zu verlangen. Die Beklagte habe händeringend versucht, die Klägerin leidensgerecht zu beschäftigen, wie auch die Entziehung des Staplers auf Empfehlung der Betriebsärztin oder die Anordnung zum „Verlesen“ zeigten. Inwiefern die Klägerin im Zusammenhang mit der ihr doch bewilligten Arbeitszeitreduzierung benachteiligt worden sein soll, sei nicht ersichtlich. Keine Benachteiligung sei schließlich im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Amtes der Schwerbehindertenvertretung gegeben. Sollte die Klägerin der Auffassung sein, dass die Beklagte sie bei der Ausübung behindere, so müsse sie ihre Rechte aus dem Amt gerichtlich geltend machen. Ein Indiz für eine Schwerbehindertenbenachteiligung liege hierin nicht. Schließlich sei die angesetzte Summe selbst im Falle einer Verpflichtung zur Entschädigungszahlung weit überzogen (vgl. Bl. 121 ff. d.A.). Wegen weiterer Einzelheiten zum Vortrag der Beklagten wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf sämtliche hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
12
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen noch auf den sonstige Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat teilweise Erfolg. Sie ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
14
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet, § 2 I Nr. 3 a ArbGG. Das Arbeitsgericht Weiden ist örtlich zuständig, § 48 I a 1 ArbGG.
15
Die Klage ist zulässig. Der Antrag auf Gutschrift der Stunden auf dem Arbeitszeitkonto ist hinreichend bestimmt und damit zulässig, da – wie eine Nachfrage im Kammertermin ergeben hat – keine Unklarheit zwischen den Parteien besteht, wie bzw. wo eine solche Gutschrift zu erfolgen hat, dies insbesondere deshalb, da nur ein Arbeitszeitkonto besteht. Der Unterlassungsantrag ist hinreichend bestimmt, da die in Rede stehende Tätigkeit klar definiert ist und insbesondere den Parteien klar ist, was mit dem Abladen des S-LKWs gemeint ist. Zu unbestimmt wäre zwar ein eigener Antrag auf Rücknahme einer Abmahnung. Da sich aus dem Klagevorbringen aber nicht ergibt, dass neben der Entfernung noch etwas zusätzliches Eigenständiges verlangt wird, handelt es sich hier – wie meist in diesen Fällen (vgl. BAG vom 19.7.2012, 2 AZR 278/11) – um einen einheitlichen zulässigen Antrag (nur auf Entfernung). Hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO und damit zulässig ist schließlich auch der konkret bezifferte Entschädigungsantrag.
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Die Klage ist im ausgeurteilten Umfang auch begründet.
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I. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gutschrift der Stunden gem. § 611 a II BGB.
18
Da das Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch verbindlich bestimmt, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Führung gem. § 611 a II BGB (vgl. BAG vom 15.5.2019, 7 AZR 396/17). Greift der Arbeitgeber zu Unrecht in den Saldo eines Arbeitszeitkontos ein, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Wiederherstellung des status quo ante, also etwa auf Rückgängigmachung einer Belastung mit Minusstunden (vgl. BAG vom 21.3.2012, 5 AZR 676/11). Dabei darf der Arbeitgeber das auf dem Arbeitszeitkonto ausgewiesene Zeitguthaben des Arbeitnehmers nur dann mit Minusstunden verrechnen, wenn ihm die der Führung des Arbeitszeitkontos zugrundeliegende Vereinbarung die Möglichkeit dazu eröffnet. Die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden setzt weitergehend voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil der Arbeitgeber die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitnehmer allein darüber entscheiden kann, ob eine Zeitschuld entsteht und er damit einen Vorschuss erhält (vgl. BAG vom 26.1.2011, 5 AZR 819/09). Hingegen berechtigt eine vom Arbeitnehmer nicht zu vertretende Nichtausschöpfung der vereinbarten Wochenarbeitszeit bei der Diensteinteilung den Arbeitgeber nicht zur Buchung von Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto (vgl. BAG vom 21.3.2012, a.a.O.; vgl. auch ErfK, 23. Aufl. § 3 ArbZG Rn. 16).
19
Angewendet auf den Fall ergibt sich daraus, dass die Beklagte zur vorgenommenen Minusstundenbuchung nicht berechtigt war und dies daher durch entsprechende Gutschrift wieder auszugleichen hat. Weder aus den arbeitsvertraglichen Regelungen, noch aus der BV Arbeitszeit vom 25.11.2020, noch aus dem BMTV für die Süßwarenindustrie vom 14.5.2007 ergibt sich für den Arbeitgeber eine Möglichkeit, das Arbeitszeitkonto mit Minusstunden zu belasten, die sich – möglicherweise – aus der Nichtausschöpfung der vereinbarten Wochenarbeitszeit in den Dienstplänen ergeben. Vielmehr verstößt die Beklagte sogar gegen die Begrenzung von etwa berechtigten Minusstundenbuchungen aus § 3 Nr. 3 b BMTV.
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Dass die Beklagte die vereinbarte Wochenarbeitszeit im gegenständlichen Zeitraum 2021/2022 nicht ausgeschöpft hat, ist unstreitig. Die Klägerin wurde vor der Schichtumstellung im Mai 2021 mit der vertragsgemäßen Arbeitszeit eingesetzt, wie sich aus den über 70 Plusstunden Stand November 2018 (Anlage A 1, Saldo „MTV“) und dem insoweit unwidersprochenen Klägervortrag ergeben. Ab der Schichtumstellung erbrachte die Klägerin unstreitig die nun monierten 180 Arbeitsstunden nicht, wobei ein Vergütungsanspruch für diese Stunden nach dem Arbeitgebervortrag nicht besteht. Auch daraus folgt der Anspruch auf Gutschrift, da Minusstunden wie aufgezeigt auch nur dann gebucht werden dürfen, wenn der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit bereits vorschussweise vergütet erhalten hat (s.o. BAG vom 26.1.2011 a.a.O.). Diese Umstände können aber nach dem Akteninhalt und insbesondere nach dem Beklagtenvortrag, wonach es bezüglich der 180 Stunden keinen Vergütungsanspruch gibt, nicht festgestellt werden.
21
Ab der Schichtumstellung Mitte 2021 bauten sich die Minusstunden infolge der nicht erbrachten Arbeitszeit auf und zwar auf 94 bis Dezember 2021 (Anlage A 2) und dann sogar auf die gegenständlichen 180 im Oktober 2022 (Anlage A 3) . Dass hier die Klägerin alleine darüber entscheiden konnte, ob hier eine Zeitschuld entsteht, konnte das Gericht auch nicht feststellen. Vielmehr verbleibt es bei dem Grundsatz, dass die Verantwortung für die Arbeitszuweisung und -einteilung alleine beim Arbeitgeber bzw. hier nach der BV Arbeitszeit mit Einschränkungen auch beim Betriebsrat bzw. dem Schichtplanausschuss und jedenfalls nicht bei den Arbeitnehmern liegt. Dies wird aus auch aus dem vorgelegten E-Mail-Verkehr mit ihrem Vorgesetzten R. deutlich, der in der Mail vom 4.4.22 auf wiederholte Monierungen seitens der Klägerin angibt, dass diese künftig wieder vertragsgemäß eingesetzt werden soll (Bl. 23 d.A.).
22
Dass die Klägerin tatsächlich nicht mehr in der Lage ist, ihre Arbeitsleistung zu erbringen (§ 297 BGB), konnte das Gericht nicht feststellen. Zwar leidet die schwerbehinderte Klägerin seit längerem unter gesundheitlichen Beschwerden, mit denen erhebliche Einschränkungen bei ihrer Einsatzfähigkeit einhergehen. Das verpflichtet den Arbeitgeber insbesondere über § 164 IV SGB IX zur Rücksichtnahme und Arbeitsplatzumgestaltung sowie -umorganisation. Dass hier bereits eine Leistungsunfähigkeit iSd. § 297 BGB vorliegen soll, erschöpft sich in der reinen Behauptung bzw. stellt eine reine Spekulation dar, die keine überprüfbare Grundlage etwa in der Einschätzung der Betriebsärztin oder des Inklusionsamtes findet.
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Z. B. ist ein Einsatz in der Nachtschicht mit reduziertem Verkehr und unter Benutzung eines mit einer Rückfahrkamera sowie einem Rückspiegel ausgestatteten Staplers ohne bzw. mit einer zeitlich begrenzten Mitwirkung beim Abladen des S-LKWs wie vor der Schichtumstellung nach dem Klägervortrag weiterhin möglich. Anhaltspunkte, die demgegenüber dennoch zur Leistungsunfähigkeit oder Unzumutbarkeit (z.B.) solcher Anpassungen für die Arbeitgeberseite führen würden, sind für das Gericht nicht ersichtlich, schließlich hat es eine auch die klägerischen Belange berücksichtigende Arbeitsorganisation auch zuvor bei der Beklagten gegeben und sind Rückfahrhilfen inzwischen Standard.
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Besteht aber die Verantwortung des Arbeitgebers für die Einteilung und ruft dieser in einer solchen Situation die Arbeit nicht im vollständig geschuldeten Umfang ab, so gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug gem. §§ 293 ff. BGB, auch ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung nach § 296 S. 1 BGB bedarf (vgl. BAG vom 26.1.2011 a.a.O.). So liegt der Fall hier. Wie aus der benannten E-mail des Herrn R. ersichtlich, konnte die Klägerin nach ihren Monierungen wieder vollständig eingeteilt werden. Dass dies nach betriebsinternen Umstellungen eine gewisse Zeit lang unterblieb, fällt nicht der Klägerin, sondern über die §§ 293 ff. BGB im Ergebnis der Beklagten zur Last. Auch aus diesem Grund durfte die Beklagte die Minusstunden nicht buchen und besteht ein Anspruch der Klägerin auf Rückgängigmachung und damit Wiedergutschrift im unstreitigen Umfang.
25
II. Die Abmahnungen vom 03.11.2022 sind rechtsunwirksam und damit aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
26
In rechtlicher Hinsicht gilt hier, dass Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 I 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen können. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (vgl. nur BAG vom 18.10.2017 10 AZR 330/16).
27
Mit dem ersten Abmahnungsschreiben vom 03.11.2022 wird gerügt, dass die Klägerin sich unberechtigt geweigert hat, den S-LKW abzuladen.
28
Das ist so aber nicht richtig. Die Klägerin hat die angewiesene Tätigkeit nicht zu Unrecht verweigert, sondern war dazu aus gesundheitlichen Gründen berechtigt. Die Abladetätigkeit beinhaltet unstreitig häufiges Rückwärtsfahren, was mit einer entsprechend häufigen Drehbewegung des Kopfes und des Oberkörpers verbunden ist. Das – überwiegende Rotationsbewegungen – aber kann die Klägerin nach den betriebsärztlichen Attesten vom 06.08.2018 (Bl. 137 d.A., Anlage B 10) bzw. vom 21.11.2018 (Bl. 19 d.A., Anlage A 10) nicht mehr machen. Das Attest gilt weiterhin, es wurde gerade auf Dauer ausgestellt. Dass diese Einschränkungen inzwischen nicht mehr bestehen bzw. überholt sind, kann dem weiteren Attest vom 04.12.2019, das auf das sich die Beklagte stützt, nicht entnommen werden. Dass die Klägerin häufige Rotationsbewegungen entgegen dem von der Betriebsärztin explizit zeitlich unbegrenzt ausgestellten Attest inzwischen wieder vornehmen kann, ist nicht ersichtlich und wurde von der für die tatsächlichen Umstände der Berechtigung einer Abmahnung darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten auch nicht begründet.
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Daher ist die Abmahnung unwirksam und aus der Personalakte zu entfernen.
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Gleiches gilt für die zweite Abmahnung vom 03.11.2022. Auch diese ist unwirksam und zu entfernen.
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In rechtlicher Hinsicht gilt hierzu, dass eine Abmahnung auch keine Unwerturteile enthalten darf, die über das mit einem Tadel notwendig verbundene Maß hinausgehen (vgl. LAG Köln vom 12.5.1995, 13 Sa 137/95), es darf kein unrichtiger Eindruck vom Ausmaß einer Pflichtverletzung vermittelt werden (vgl. BAG vom 11.6.1997, 7 AZR 229/96). Eine Abmahnung ist auch in solchen Fällen vollständig aus der Personalakte zu entfernen (vgl. BAG vom 13.3.1991, 5 AZR 133/90 und BAG vom 11.6.1997 a.a.O.).
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Vorliegend wird der Klägerin vorgeworfen, dass sie – nachdem sie sich schon mehrere Male geweigert hat, den S-LKW abzuladen – dann auch noch geweigert hat, ihre Kollegin am Bedeckler 4 abzulösen, während diese den S-LKW für sie (die Klägerin) ablädt. Damit wird der Eindruck erweckt, dass die Klägerin mehrmals zu Unrecht das Abladen des S-LKW verweigert hat. Zu diesem Schluss kommt das Gericht, da es in Absatz 2 der Abmahnung heißt, dass zu den Aufgaben der Klägerin auch das Abladen des S-LKW zählt. Damit kann der nachfolgende Satz, wonach sich die Klägerin im Vorfeld bereits mehrere Male geweigert hat, diese Abladetätigkeit zu übernehmen, nur so verstanden werden, dass sie hartnäckig eine ihr zugewiesene Aufgabe aus ihrem Aufgabenspektrum und damit aus dem Spektrum der ihr zulässigerweise zuteilbaren Aufgaben verweigert hat.
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Das ist aber objektiv falsch, da die Klägerin wie bereits aufgezeigt, die Abladetätigkeit aus gesundheitlichen Gründen zu Recht verweigert hat und gerade keine unrechtmäßige Verweigerungshaltung bestand, was die Abmahnung aber gerade suggeriert.
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Dieser Aspekt stellt keine Lappalie dar, sondern prägt den Vorwurfsgehalt der gegenständlichen Abmahnung erheblich, da es einen deutlichen Unterschied macht, ob jemand eine Tätigkeit (Bedeckler) verweigert, oder diese ihm als Ersatz zugewiesene Tätigkeit auch noch verweigert, nachdem er bereits mehrmals zu Unrecht die eigentliche andere Tätigkeit (S-LKW) verweigert hat.
35
Bereits aus diesem Grund ist die Abmahnung daher als rechtswidrig einzustufen mit der Konsequenz, dass die Beklagte zur Entfernung aus der Personalakte zu verurteilen war. Auf die Frage, ob die Klägerin die Tätigkeit am Bedeckler zu Recht verweigert hat, kam es dabei nicht an.
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III. Der Unterlassungsantrag war hingegen als unbegründet abzuweisen, da die begehrte Unterlassung zu weit greift und auch Konstellationen umfasst, in denen die Klägerin die Abladetätigkeit nicht mehr verweigern kann.
37
Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ist ein Globalantrag, der eine Vielzahl von Fallgestaltungen erfasst, insgesamt als unbegründet abzuweisen, wenn es darunter zumindest auch Fallgestaltungen gibt, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist. Etwas Anderes gilt nur, wenn sich der Antrag auf voneinander zu trennende und gegeneinander klar abgrenzbare Sachverhalte bezieht und der begründete Teil schon dem Antrag selbst als Teilziel des Verfahrens zu entnehmen ist (vgl. nur BAG vom 27.10.2010, 7 ABR 36/09).
38
Dies berücksichtigend unterliegt der Unterlassungsantrag bezüglich der SLKWAbladetätigkeit der Abweisung. Es handelt sich um einen Globalantrag im aufgezeigten Sinne. Der Antrag wurde bewusst umfassend und ohne irgendwelche Einschränkungen – etwa die aus der angedachten Klageumstellung vom 24.04.2023 mit einer Berücksichtigung angemessener Vorkehrungen – formuliert. Damit umfasst er auch Fallgestaltungen, in denen die Klägerin eine Unterlassung nicht verlangen kann, etwa dann, wenn die Beklagte die Stapler so umrüstet, dass den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin Rechnung getragen wird. Dieses Szenario ist auch keineswegs abwegig oder nur theoretisch, wie die bereits stattgefundenen Umrüstbemühungen der Beklagten zeigen. Ein Teilziel im aufgezeigten Sinne kann aus dem Klagevorbringen und insbesondere aus dem zuletzt unbeschränkt gestellten Antrag nicht erkannt werden.
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IV. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch einen Entschädigungsanspruch aus § 15 II AGG. Die Beklagte hat in mehrfacher Weise gegen das Verbot verstoßen, behinderte Menschen wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen (§§ 1, 7 AGG).
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1. Die Klägerin ist Arbeitnehmerin i.S.d. § 6 I 1 Nr. 1 AGG, die Beklagte ihre Arbeitgeberin i.S.d. § 6 II 1 AGG. Die Klägerin ist auch schwerbehindert und fällt damit unzweifelhaft unter den Schutzbereich des SGB IX und des AGG, das auch über § 164 II 2 SGB IX gilt. Bei den hier diskutierten Maßnahmen handelt es sich auch um Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen iSd. § 2 I Nr. 2 AGG.
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2. Die Klägerin stützt sich zur Begründung einer Benachteiligung iSd. AGG im Wesentlichen auf die unzureichende Einteilung zur Arbeit im Zeitraum bis Mitte 2022, auf die beiden Abmahnungen, auf die Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei den Abmahnungen, auf die Anweisung, 7,5 Stunden als Verleserin ohne ausreichende Gefährdungsbeurteilung und ohne Beteiligung der SBV zu arbeiten, auf die Anweisung, Tätigkeitsnachweise auszufüllen ohne Beteiligung der SBV, auf die Anordnung, sofort den Minusstundenabbau vorzunehmen, den Entzug des Staplers ohne Beteiligung der SBV, die Nichtbestellung eines Inklusionsbeauftragten, die Nichtfreistellung zur Wahrnehmung ihrer Arbeit als SBV in der Nacht auf 17.3.23, die Nichtzurverfügungstellung eines Zimmers für die Arbeit als SBV, das Verbot, am 3.Teil der Schulung der Schwerbehindertenvertretung vom 30.05. – 02.06.2023 teilzunehmen, die Anweisung, ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 1. Tag der Arbeitsunfähigkeit in Papierform vorzulegen ohne Einschaltung der SBV, die fristlose Versetzung in die Wechselschicht ohne Einschaltung der SBV, die Nichtberücksichtigung ihres Einwandes, ein behindertes Familienmitglied zu betreuen und die Aufforderung entgegen §§ 13, 16 AGG, die Indizien für eine Benachteiligung gegenüber Dritten nicht weiter aufrechtzuerhalten.
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3. Diese Vorgänge fanden mit Ausnahme des Komplexes unzureichende Arbeitseinteilung bis Mitte 2022 – eine fristgerechte Geltendmachung gem. § 15 IV AGG ist dem Klagevorbringen nicht zu entnehmen – weniger als zwei Monate vor oder gar erst nach der Einreichung der Klageerweiterung bezüglich der Entschädigung am 17.01.2023 – § 167 ZPO gilt hier – statt. Das gilt auch für die Abmahnungen vom 3.11.22, da diese der Klägerin erst am 7.12.22 zugingen. Mit der genannten Ausnahme hat die Klägerin ihren Anspruch daher auch frist- und formgerecht eingeklagt (§ 61 b I ArbGG), wobei hier bei sofortiger Klageeinreichung ohne vorherige Geltendmachung die Frist des § 15 IV AGG zugrunde zu legen war. Die Heranziehung von erst nach Klageeinreichung aufgetretenen Vorgängen ist mit Blick auf den Sinn und Zweck der Fristen in §§ 61 b ArbGG, 15 IV AGG, dem Anspruchsgegner möglichst schnell Kenntnis davon zu geben, welche möglichen Ansprüche auf ihn zukommen, möglich, denn der Arbeitgeber kann sich in diesen Fällen – wie hier – bereits darauf einstellen, dass er wegen diskriminierenden Verhaltens in Anspruch genommen wird (vgl. Däubler/Beck/Olaf Deinert, 5. Aufl. 2022, AGG § 15 Rn. 129).
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4. Die Klägerin wurde auch durch die Anordnung, wieder vollschichtig zu verlesen, die Anordnung, sofort den Minusstundenabbau vorzunehmen, die Nichtfreistellung zur Wahrnehmung ihrer Arbeit als SBV in der Nacht auf 17.3.23, durch den Widerruf der Zugangsmöglichkeit zum Betriebsratszimmer, durch das Verbot, am 3.Teil der Schulung der Schwerbehindertenvertretung vom 30.05. – 02.06.2023 teilzunehmen, die Anweisung, ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 1. Tag in Papierform vorzulegen, durch die fristlose Versetzung in die Wechselschicht und auch durch die Aufforderung der Beklagten vom 09.03.2023, die Diskriminierungsvorwürfe aufzuklären sowie die Aufforderung vom 04.04.2023, die Indizien für eine Benachteiligung gegenüber Dritten nicht weiter aufrechtzuerhalten unmittelbar iSv. § 3 I AGG benachteiligt.
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5. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung erfahren hat als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 3 I AGG). Die sich nachteilig auswirkende Maßnahme muss an das verbotene Merkmal anknüpfen oder mit ihm untrennbar verbunden sein. Es kann sich um ein Tun oder Unterlassen handeln.
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Eine ungünstigere Behandlung liegt nicht erst darin, dass jemand einen materiellen Nachteil erleidet bzw. einen entsprechenden Vorteil nicht erhält. Auch ein Unterlassen wie das Vorenthalten von Chancen genügt (vgl. ErfK, 23. Aufl., § 3 AGG Rn. 2 f.). Gerade die Benachteiligung behinderter Menschen kann sich schon aus dem Unterlassen bestimmter Maßnahmen ergeben. Es ist vielfach notwendig, einem Behinderten durch aktives Tun einen Zugang zur Erwerbstätigkeit erst zu ermöglichen. Der Arbeitgeber hat gem. Art. 5 der RL 2000/78/EG die Verpflichtung, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um behinderten Menschen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, wenn ihn dies nicht unverhältnismäßig belastet (Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, AGG § 3 Rn. 5, beck-online). Verstößt er dagegen, d.h. versagt der Arbeitgeber dem Behinderten angemessene Vorkehrungen, so stellt dies eine entschädigungspflichtige unmittelbare Benachteiligung dar (vgl. EuGH vom 11.9.2019 – C-397/18 Rn. 72; vgl. auch LAG Berlin Brandenburg vom 18.1.2018, 20 Sa 956/16, Rn. 22; so auch EGMR, Urteil vom 23.2.2016 – 51500/08 Rn. 67).
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Aber eine unmittelbare Benachteiligung durch Unterlassen kann sich insbesondere auch daraus ergeben, dass ein Arbeitgeber einer gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht nachkommt, durch die i. S. des § 5 AGG eine bisher in Beschäftigung und Beruf benachteiligte Gruppe gezielt gefördert werden soll. Die Benachteiligung liegt dabei in der Vorenthaltung eines gesetzlich eingeräumten Vorteils, dessen Ziel es ist, bestehende Nachteile zu beseitigen oder zu verhindern. Die betreffende Person wird weniger günstig behandelt, als es das Gesetz zur Herstellung gleicher Chancen für erforderlich hält (vgl. BVerwG vom 3.3.2011, 5 C 16/10; vgl. auch ErfK, 23. Aufl., § 5 AGG Rn. 7). Eine Verletzung der behinderungsspezifischen Arbeitsschutzpflicht stellt damit zugleich eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Behinderung dar (Seiwerth/Witschen: Arbeitsschutz und Diskriminierungsschutz, NZA 2022, 1361). Denn: Eine arbeitsschutzrechtlich besonders geschützte Person – wie etwa ein Schwerbehinderter gem. §§ 163 ff. SGB IX – erfordert eine entsprechend besondere Behandlung durch den jeweiligen Arbeitgeber. Erfolgt die arbeitsschutzrechtlich gebotene Ungleichbehandlung von Ungleichem also nicht, besteht damit eine unmittelbare Benachteiligung eben wegen des Merkmals, aufgrund dessen das spezifische Arbeitsschutzrecht seinen Träger oder seine Trägerin besonders schützt (vgl. Seiwerth/Witschen, a.a.O. unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH vom 26.1.2021, C-16/19, Szpital Kliniczny; etwas anders ev. BAG vom 21.4.2016, 8 AZR 402/14). Diese Betrachtungsweise – Einordnung der Verletzung einer Schutzvorschrift zugunsten Schwerbehinderter als unmittelbare Benachteiligung – ist jedenfalls dann geboten, wenn die entsprechende Regelung erforderlich für eine behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes ist und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Zugang zur Beschäftigung und Ausübung des Berufs ermöglicht (vgl. Deinert/Welti/Luik/Brockmann, StichwortKommentar Behindertenrecht, Positive Maßnahmen Rn. 10, beck-online; etwas anders ev. BAG vom 23.1.2020, 8 AZR 484/18: Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen aufstellen, begründet die widerlegbare Vermutung iSv. § 22 AGG, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 I AGG wegen der (Schwer) Behinderung erfahren hat).
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Schließlich kann eine unmittelbare Benachteiligung auch in einer Einzelfallentscheidung wie einer Kündigung, Abmahnung, einer Weisung oder einer sonstigen Maßnahme liegen. Solche Erklärungen bzw. Maßnahmen knüpfen zwar im Grundsatz nicht zwingend an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an.
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Die erforderliche Behinderungsspezifik kann sich aber aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben. Es liegt in diesen Fällen dann eine relevante Ungleichbehandlung vor, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund (Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft (vgl. BAG vom 19.12.2013, 6 AZR 190/12).
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6. Nach allgemeinen Grundsätzen hat der Anspruchsteller die Voraussetzungen des Anspruchs darzulegen und im Bestreitensfall auch zu beweisen. Dazu gehört auch die Benachteiligung an sich. Die Modifikation in § 22 AGG betrifft ausschließlich die Kausalität (vgl. nur vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 19. Aufl., § 36 Rn. 81; ErfK, 23. Aufl., § 22 AGG Rn. 2; BeckOK 68. Edition, § 22 AGG Rn. 3).
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7. Nach diesen Grundsätzen stellen die beiden Abmahnungen keine Benachteiligungen im aufgezeigten Sinne dar. Die Abmahnungen basieren auf der Weigerung der Klägerin, bestimmte, ihr angewiesene Arbeiten zu übernehmen. Dass die Beklagte gegenüber anderen, nicht behinderten Arbeitnehmern in einer ansonsten gleichen oder ähnlichen Situation einer Arbeitsverweigerung keine Abmahnung ausspricht, ausgesprochen hat oder aussprechen würde, hat die Klägerin nicht nachvollziehbar aufgezeigt oder nachgewiesen.
51
8. Die Anweisung, am 3.1.2023 entgegen dem Schreiben der Bereichsleitung in der Gesprächsnotiz vom 30.10.2019, die Klägerin doch wieder vollschichtig mit 7,5 Stunden als Verleserin einzusetzen, stellt eine unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 I AGG dar. Die Beklagte enthält der Klägerin eine angemessene Vorkehrung zur Ermöglichung der Arbeit bzw. eine positive Maßnahme zum Ausgleich eines bei der Klägerin behinderungsbedingt bestehenden Nachteils iSd. § 5 AGG vor, indem sie ihr die Zeitbeschränkung beim Verlesen auf 2 Stunden verweigert. Eine entsprechende individuelle Vereinbarung soll und kann die Möglichkeit einer behinderungsbedingten Beschäftigung schaffen bzw. erhalten. Es ist daher geboten, das Vorenthalten des sich daraus ergebenden Nachteilsausgleichs als unmittelbare Benachteiligung anzusehen (s.o.).
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Dass diese Beschränkung im Rahmen des Präventionsverfahrens 2019 zwischen den Parteien vereinbart wurde, hat die Klägerin unwidersprochen geltend gemacht, dies ergibt sich mit hinreichender Klarheit auch aus der Gesprächsnotiz vom 30.11.2019 (A 14). Neue Entwicklungen diesbezüglich – etwa eine Verbesserung der klägerischen Gesundheitssituation – sind nicht ersichtlich. Die beklagtische Erklärung, wonach es der Klägerin gesundheitlich besser gehe und daher ein Einsatz im März 2023 nicht ausgeschlossen erschien, ist demgegenüber unsubstantiiert. Wenn die Beklagte die Klägerin ohne hinreichende neue Erkenntnisse, etwa in Gestalt einer ausreichenden Gefährdungsbeurteilung, die im Hinblick auf die Schwerbehinderung der Klägerin gem. § 5 ArbSchG erforderlich war (vgl. Kollmer/Klindt/Schucht/Kreizberg ArbSchG § 5 Rn. 85) und die nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin vor ihrem erneuten vollschichtigen Einsatz dort nicht stattgefunden hat, wieder beim Verlesen vollschichtig einsetzt, dann stellt das eine Benachteiligung in Form einer Versagung einer ihr die Arbeit ermöglichenden Maßnahme (Stundenbegrenzung) dar.
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Die Maßnahme ist rechtswidrig. Einen Rechtfertigungsgrund für den vollschichtigen Einsatz beim Verlesen entgegen der vorher vereinbarten Handhabung z.B. nach § 8 AGG hat die Beklagte nicht substantiiert geltend gemacht. Ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung erscheint das Berufen auf eine diesbezügliche Rechtfertigung auch als besondere Herausforderung.
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Diese Benachteiligung erfolgte auch wegen der Behinderung der Klägerin. Ein hinreichendes Indiz hierfür iSd. § 22 AGG besteht in der unstreitig unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung – ggf. des Vertreters der betroffenen Klägerin – gem. § 178 II 1 SGB IX. Die SBV ist umfassend in allen Angelegenheiten zu beteiligen, die einen schwerbehinderten Menschen betreffen. Das gilt zur Überzeugung der Kammer unzweifelhaft jedenfalls für die hier diskutierte Maßnahme des Arbeitgebers, die Anweisung zum vollschichtigen Verlesen nach vorhergehender Regelung mit zeitlicher Begrenzung. Diese Anordnung wirkt sich unmittelbar auf die Klägerin als schwerbehinderten Menschen aus und ist daher vom weiten Anwendungsbereich der Unterrichtungspflicht umfasst. Ein Sachverhalt wie der in der von der Beklagtenseite zitierten Entscheidung, in der die Maßnahme des Arbeitgebers die Belange des schwerbehinderten Menschen in keiner anderen Weise betrifft als die Belange nicht schwerbehinderter Menschen, liegt nicht vor.
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Die damit stattgefundene Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen, wie z.B. in § 178 II SGB IX geregelt, begründet dabei grundsätzlich die Vermutung einer behinderungsbedingten Benachteiligung (vgl. nur BAG vom 26.1.2017, 8 AZR 736/15).
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Besteht damit die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sogenannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Das ist hier nicht erfolgt. Das Gericht kann dem Beklagtenvortag nicht entnehmen, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu der ungünstigeren Behandlung geführt haben. Dagegen und für eine durchaus gegebene Relevanz der klägerischen Behinderung spricht die zeitliche Nähe der Maßnahme zur Wahl der Klägerin zur SBV und zur Zustellung ihrer wesentlich auf die Schwerbehinderung gestützten Klage vom 14.12.2022 am 15.12.2022.
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Damit liegt hier eine entschädigungspflichtige Benachteiligung vor.
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9. Die Anweisung zur Ausfüllung der Tätigkeitsnachweise stellt aus Sicht des Gerichts wiederum keine entschädigungspflichtige Diskriminierung dar. Die Anweisung erfolgte, um die Tätigkeiten der Klägerin zu kontrollieren. Dass die Beklagte gegenüber anderen, nicht behinderten Arbeitnehmern in einer ansonsten gleichen oder ähnlichen Situation einer Streitigkeit um den Inhalt und Umfang der verrichteten Tätigkeiten keinen Tätigkeitsnachweis verlangt oder verlangen würde, kann aus dem Akteninhalt nicht festgestellt werden. Zwar hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie als einzige Mitarbeiterin ohne Zweckangabe dokumentieren muss. Damit aber hat sie ihre Darlegungslast, die sich auch auf die Vergleichbarkeit derjenigen ggf. fiktiven Personen, denen gegenüber die Benachteiligung behauptet wird, erstreckt (vgl. BeckOGK/Benecke, 1.6.2023, AGG § 22 Rn. 15), nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, gegenüber welchen konkreten bzw. fiktiven Personen in vergleichbarer Situation die Klägerin sich benachteiligt sieht. Alleine die Berufung auf ihre Alleinstellung reicht im Rahmen der §§ 7, 3 I AGG, die nicht eine ungünstige Behandlung an sich, sondern im Kern eine Zurücksetzung im Verhältnis zu einer anderen Person verbieten, nicht aus.
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10. Die Anordnung zur Vornahme des Minusstundenabbaus zeitgleich mit der Genehmigung des Antrages der Klägerin auf Arbeitszeitreduzierung gem. § 164 V 3 SGB IX, stellt wiederum eine unmittelbare Benachteiligung gem. § 3 I AGG dar. Aufgrund des klägerischen Antrages vom 28.11.2022 samt ärztlichen Attests vom 30.11.2022 (Anlage A 6) hatte die Klägerin einen Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung gem. § 164 V 3 SGB IX. Das bestreitet die Beklagte auch nicht, sie hat die Verringerung gewährt. Durch die zeitgleiche Anweisung zum Abbau der streitigen Minusstunden in erheblichem Umfang (180 Stunden, Anlage A 16) konterkariert die Beklagte die Bewilligung aber gleich wieder und vereitelt damit – letztlich sogar sehenden Auges – den Zweck der Regelung zu Gunsten Schwerbehinderter, nämlich die Ermöglichung, ohne Gefährdung der Gesundheit weiterhin aktiv am beruflichen Leben teilzuhaben (vgl. nur LPKSGB IX/Franz Josef Düwell, 6. Aufl. 2022, SGB IX § 164 Rn. 214). Die ärztlich geforderte Arbeitszeitreduzierung dient dem Gesundheitsschutz und der Ermöglichung der Weiterarbeit trotz Schwierigkeiten, aber sicher nicht dazu, endlich behauptete Zeitschulden abbauen zu können. Die tatsächliche Verkürzung der Arbeitszeit stellt dabei eine wesentliche Maßnahme zur Gewährleistung der Beschäftigungsfortsetzung dar, die der Arbeitgeber nach Art. 5 Satz 1 der RL 2000/78/EG zu ergreifen hat (vgl. LPK-SGB IX/Franz Josef Düwell, a.a.O.), was aus Sicht der Kammer auch hier gebietet, den Verstoß direkt als unmittelbare Benachteiligung einzustufen. Eine Rechtfertigung dafür hat die Beklagte nicht vorgetragen, eine solche ist auch nicht ersichtlich. Dass die Benachteiligung wegen der Behinderung der Klägerin erfolgte iSd. §§ 3 I, 22 AGG wird wiederum wegen der unterlassenen Beteiligung der SBV, deren Unterrichtung auch in der vorliegenden Konstellation einer Anordnung zum Minusstundenabbau zeitgleich bzw. während einer behinderungsbedingten Arbeitszeitreduzierung gem. § 178 II SGB erforderlich war, da es sich um einen behinderungsspezifischen Sachverhalt handelt, der die Belange der Klägerin erheblich berührt, vermutet. Den Nachweis iSd. § 22 AGG, dass die angegriffene Maßnahme in keinerlei Zusammenhang mit der Behinderung steht, hat die Beklagte nicht geführt. Für eine Relevanz der klägerischen Behinderung spricht aber, dass die Beklagte den Teilzeitantrag der Klägerin ausschließlich nach dem TzBfG bearbeitet und auch – im Rahmen des § 164 V SGB IX unzutreffend – eine Vertragsänderung mitteilt (Anlage A 17), obwohl die Klägerin ihre Reduzierung explizit mit § 164 V 3 SGB IX begründet hat (Anlage A 16), was darauf hindeutet, dass die Beklagte das besondere Recht der Schwerbehinderten in § 164 SGB IX nicht zur Kenntnis nehmen will.
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Damit ist auch hier eine entschädigungspflichtige Maßnahme gegeben.
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11. Der Entzug des Staplers ohne Beteiligung der SBV stellt wiederum keine Benachteiligung der Klägerin und damit auch keine zur Entschädigung verpflichtende Maßnahme der Beklagten dar. Dass die Beklagte gegenüber anderen, nicht behinderten Arbeitnehmern in einer ansonsten gleichen oder ähnlichen Situation mit der Aussage der Betriebsärztin vom 21.12.2022 (Anlage B 16, Bl. 144 d.A.), wonach eine Fortsetzung der Tätigkeit als Staplerfahrerin eine zunehmende Verschlimmerung der Erkrankungen bzw. Beschwerden (Progredienz) befürchten lasse, anders gehandelt hätte, konnte das Gericht nicht feststellen. Zwar sieht die Kammer, dass es sich bei der Staplertätigkeit um einen besonders wichtigen Bestandteil der klägerischen Beschäftigung handelt (vgl. Verfahren 3 Ga 1/23) und die Beklagte vor ihrer Entscheidung wiederum zu Unrecht nicht die SBV eingeschaltet hat. Auch erscheint die genannte Aussage der Betriebsärztin im Hinblick auf die weitere Erklärung in dieser Email, dass eine abschließende Beurteilung schwierig sei, da nicht alle Befunde vorliegen und wegen der Erklärung gegenüber der Klägerin in der Email vom 20.12.2022 (Anlage A 3, Bl. 54 d.A.), dass außer dem (keine ärztliche Bewertung enthaltende) Gedächtnisprotokoll vom 20.12.22 nichts an die Beklagte weitergeleitet werde und sie (die Betriebsärztin) die Sache auch nicht besser beurteilen könne, eher vorläufig und wenig fundiert. Allerdings steht hier aus Sicht des Gerichts im Vordergrund, dass die Beklagte die mitgeteilte Befürchtung der Betriebsärztin jedenfalls zur Haftungsvermeidung umsetzen dürfen muss. Eine behinderungsspezifische Maßnahme stellt dies nicht dar, so dass eine Schlechterbehandlung der Klägerin iSv. § 3 I AGG hier nicht vorliegt.
62
12. Die gerügte Nichtbestellung eines Inklusionsbeauftragten stellt keine zur Entschädigung führende Benachteiligung dar. Der hierzu gehaltene Vortrag ist ohne Angaben irgendwelcher überprüfbaren Tatsachen geblieben und erscheint ins Blaue hinein aufgestellt. Er muss daher unbeachtet bleiben.
63
13. Die Nichtfreistellung zur Wahrnehmung ihrer Arbeit als SBV in der Nacht auf 17.3.23 stellt eine entschädigungspflichtige Benachteiligung dar. Der Vortrag der Klägerin, dass ihr Antrag auf Freistellung, der mit der geplanten Versammlung der Schwerbehinderten und den dazu notwendigen Vorbereitungsarbeiten begründet wurde, abgelehnt wurde mit der Begründung, dass es eine Anweisung gebe, dass die Klägerin bezogen auf ihr Amt der SBV nicht mehr freigestellt werde, blieb unbestritten. Das stellt eine zielgerichtete unmittelbare Benachteiligung der Klägerin in ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch dar, die sich zur Überzeugung des Gerichts wegen ihrer Absolutheit (keine Freistellung mehr) nicht nur auf die Amtsausübung, sondern auf ihre Person an sich erstreckt. Eine Rechtfertigung für eine solche, nach § 179 II SGB IX verbotene Behinderung erforderlicher Aufgabenwahrnehmung gibt es nicht. Dass die Beklagte gegenüber anderen, nicht behinderten Arbeitnehmern in einer ansonsten gleichen oder ähnlichen Situation eines begründeten Freistellungsersuchens ebenfalls eine pauschale und generelle Verweigerungshaltung einnehmen würde, erscheint ausgeschlossen. Dass die Benachteiligung wegen der Behinderung der Klägerin erfolgte iSd. §§ 3 I, 22 AGG wird wegen der Verletzung der zugunsten schwerbehinderter Menschen begründeten Pflicht zur Duldung der Amtsausübung der SBV gem. § 179 II SGB IX vermutet. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt. Wie die Klägerin ihr Amt ausüben soll, wenn sie grundsätzlich nicht mehr freigestellt werden soll, so der unwidersprochene Klägervortrag, ist nicht ersichtlich. Dass die Klägerin vorliegend auf die gerichtliche Geltendmachung ihrer Rechte aus dem Amt beschränkt wäre (z.B. Schadensersatz, Unterlassung, vgl. LPK-SGB IX/ Düwell, 6. Aufl. § 179 Rn. 35 f.), ist nicht ersichtlich. Einerseits erstreckt sich die Benachteiligung auch auf ihre Person (s.o.), andererseits sieht weder das SGB IX, noch das AGG einen Anspruchsausschluss vor. Der Benachteiligungsschutz besteht vielmehr nebeneinander (vgl. BT-Drs. 16/1780, 32, vgl. auch Däubler/Beck/ Reingard Zimmer AGG § 2 Rn. 200 f.).
64
14. Der unbestrittene Widerruf der Zugangsmöglichkeit zum Betriebsratszimmer zur abgesprochenen Mitnutzung für die Erledigung der SBV-Arbeit Ende März stellt eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung gem. § 179 II SGB IX dar und wegen der zu diesem Zeitpunkt bereits eskalierten Gesamtsituation bei Würdigung aller Umstände – z.B. der Mitteilung kurz zuvor, generell nicht mehr freigestellt zu werden (s.o.) – auch eine zielgerichtete unmittelbare Benachteiligung der Klägerin in ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gem. § 3 I AGG. Dass die Beklagte auch in anderen Fällen so vorgegangen wäre, kann nicht angenommen werden, da dafür keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind. Zur weiteren Begründung der Entschädigungspflicht auch in diesem Punkt wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.
65
15. Das Verbot, am 3.Teil der Schulung der Schwerbehindertenvertretung vom 30.05. – 02.06.2023 teilzunehmen, stellt ebenfalls eine gem. § 15 II AGG entschädigungspflichtige Benachteiligung gem. 3 I AGG dar. Unter Berücksichtigung der BAG-Rechtsprechung, wonach alleine die SBV – und nicht der Arbeitgeber – über die Erforderlichkeit von Schulungen entscheidet und bei – wie hier – erstmals gewählten Vertrauenspersonen keine nähere Darlegung der Schulungsbedürftigkeit notwendig ist, wenn – wie hier mit Blick auf den Schulungsinhalt gegeben (Anlage A 18, Bl. 218 d.A.) – Grundkenntnisse vermittelt werden (vgl. BAG vom 8.6.2016, 7 ABR 39/14), stellt die arbeitgeberseitige Ablehnung nach vorheriger Zusage eine Benachteiligung nach § 179 II SGB IX und zugleich eine ungünstige Behandlung dar, die zielgerichtet unmittelbar die Klägerin in ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch betrifft. Dafür, dass die Maßnahme sachwidrig und zielgerichtet gegen die Klägerin gerichtet war, sprechen auch die zeitliche Nähe der Absage vom 20.03.2023 zu den weiteren Verstößen gegenüber der Klägerin – Versagung der Amtswahrnehmung am 16. 03./17.03. und Widerruf der Zugangsberechtigung zum Betriebsratszimmer Ende März 2023 – aber auch die Begründung der Ablehnung, wonach die Klägerin als langjähriges SBV-Mitglied doch bereits über Grundkenntnisse verfügen dürfte (Anlage A 21, Bl. 223), wobei die Klägerin nach ihrem unwidersprochenen Vortrag aber im November 2022 erstmalig in die SBV gewählt wurde und keine Grundkenntnisse zum Ehrenamt hat. Dass die Beklagte auch in anderen Fällen so vorgegangen wäre, ist nicht erkennbar. Zur weiteren Begründung der Entschädigungspflicht auch in diesem Punkt wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.
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16. Die Anweisung, ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 1. Tag der Arbeitsunfähigkeit in Papierform vorzulegen, stellt mit den vorstehenden Erwägungen ebenfalls eine entschädigungspflichtige Benachteiligung dar. Zwar knüpft eine solche Anweisung nicht an die Behinderung an. Allerdings ergibt sich aus den besonderen Umständen des vorliegenden Falles zur Überzeugung der Kammer ein behinderungsspezifischer Zusammenhang zwischen der vorliegenden Anweisung und der klägerischen Behinderung. Dies deshalb, da die Maßnahme nach ihrem unwidersprochenen Vortrag nur gegenüber der Klägerin ausgesprochen wurde und dies äußerst zeitnah bzw. gleichzeitig mit den vorbeschriebenen Verstößen ihr gegenüber (s.o.) ebenfalls am 17.03.2023. Diese Zusammenhänge sind in einem Maße augenfällig, dass das Gericht auch hier von einem entschädigungspflichtigen Verstoß der Beklagten in Form einer zielgerichteten unmittelbaren Benachteiligung ihrer Person in und mit ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch ausgeht. Auch hier wäre die SBV gem. § 178 II SGB IX zu beteiligen gewesen, denn die Anordnung betrifft die Belange der unter gesundheitlichen Einschränkungen leidenden Klägerin, die dadurch theoretisch häufiger von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit betroffen sein kann, in besonderer Weise und anders als die Belange der nicht behinderten Beschäftigten. Die damit gegebene Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung hat die Beklagte nicht widerlegt.
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17. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles und insbesondere der zeitlichen Zusammenhänge erweist sich auch die bereits als rechtswidrig erkannte fristlose Versetzung in die Wechselschicht unter Nichtberücksichtigung ihres Einwandes, ein behindertes Familienmitglied zu betreuen (ArbG Weiden vom 29.03.2023, 3 Ga 2/23) vom 16.03.2023 als entschädigungspflichtiger Verstoß. Quasi zeitgleich mit den bereits aufgezeigten Verstößen (s.o.) ab Mitte März 2023 ordnete die Beklagte der Klägerin gegenüber ohne Anhörung – dadurch konnte sie massiv gegebene Belange der Klägerin nicht zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen –, ohne die auch hier erforderliche Beteiligung der SBV und ohne Gewährung irgendeiner Frist nach über 20 Jahren in der Dauernachtschicht den Wechsel in die Wechselschicht an, was ein rechtswidriges Vorgehen von erheblichem Gewicht darstellt. Die zeitliche Nähe zu den anderweitigen Verstößen und das in diesem Punkt als rücksichtslos zu bezeichnende Vorgehen der Beklagten führt dazu, dass auch hier eine zielgerichtete unmittelbare Benachteiligung gerade der Klägerin anzunehmen ist. Auf obige Ausführungen wird ergänzend verwiesen.
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18. Schließlich stellen die Aufforderung der Beklagten vom 09.03.2023, die Diskriminierungsvorwürfe aufzuklären sowie die Aufforderung vom 04.04.2023, die Indizien für eine Benachteiligung gegenüber Dritten nicht weiter aufrechtzuerhalten eine entschädigungspflichtige Benachteiligung wegen der Behinderung dar. Die Klägerin hat das Recht, ihre Vorwürfe, die nicht an den Haaren herbeigezogen, beleidigend oder sonst bedenklich, sondern zum Teil doch begründet sind, in einem Gerichtsverfahren – wie geschehen – vorzutragen. Sie muss sich diesbezüglich nicht gegenüber der Beklagten rechtfertigen oder irgendwelche nichtgerichtlichen Fristen einhalten. Die Schreiben verstoßen gegen das Maßregelungsverbot aus § 16 AGG, da die Klägerin mit ihren Anträgen und ihrem diesbezüglichen Vortrag Rechte nach dem AGG wahrnimmt und deshalb von der Beklagtenseite mit den genannten Schreiben unzulässig unter Druck gesetzt wird. Die genannten Schreiben der Beklagten stellen dabei aus Sicht des Erstgerichts nicht nur eine unzulässige Maßregelung iSd. § 16 AGG, sondern mit Blick auf die Gesamtumstände und insbesondere den augenfälligen zeitlichen Zusammenhang mit anderweitigen Verstößen der Beklagten direkt gegen Schwerbehindertenrechte zu Lasten der Klägerin (s.o.) zugleich eine zielgerichtete unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 I AGG dar (vgl. hierzu die vorstehenden Ausführungen). Dies folgert die Kammer auch aus dem Umstand, dass die Beklagte die Klägerin gerichts- und parteibekannt zusätzlich zu den genannten Schreiben auch noch mit Schreiben vom 15.03.2023 (Anlage K 18 im Verfahren Arbeitsgericht Weiden, 3 Ca 289/23, Bl. 170 ff.) mit einer weiteren, nach § 16 AGG rechtswidrigen Frist unter Druck gesetzt hat, ihr hierin vorwirft, unberechtigte Mobbingvorwürfe zu erheben (obwohl die Klägerin der Beklagten kein Mobbing vorgeworfen hat) und ihr gegenüber deswegen sogar eine Kündigung – die dann letztlich auch ausgesprochen wurde – in den Raum stellt. Das stellt eine rechtswidrige und eskalierende Druckausübung dar, die in der Gesamtschau mit den anderweitigen, teilweise direkt gegen ihre Schwerbehindertenrechte gerichtete Vorgängen (s.o.) eine Schlechtbehandlung gezielt der Klägerin in und mit ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch abgibt. Dass die Beklagte auch anderen Arbeitnehmern gegenüber so vorgehen würde, ist nicht ersichtlich. Es bestehen ausreichende Indizien in Form der mehrfachen Missachtung der Rechte der Klägerin aus dem SGB IX im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der gegenständlichen Schlechtbehandlung (s.o.), die vermuten lassen i.S.d. § 22 AGG, dass dies auch wegen der Behinderung der Klägerin erfolgt ist; widerlegt hat diese Vermutung der Arbeitgeber nicht. Dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu der ungünstigeren Behandlung geführt haben, kann hier insgesamt nicht festgestellt werden.
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19. Die danach durch verschiedene Verstöße erfolgte Benachteiligung wegen ihrer Behinderung führt zu einem Entschädigungsanspruch in Höhe von fünf Bruttomonatsverdiensten (5 X 1.200,- € = 6.000,- €). Dabei ging das Gericht für die Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung nach § 15 II AGG davon aus, dass alle Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen sind. Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber auch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (vgl. BAG 11.8.2016, 8 AZR 406/14). Vorliegend geht es um mehrere AGG-Verstöße, die den Zugang der Klägerin zur Beschäftigung z.T. erheblich gefährden, so z.B. die sofortige Umsetzung in die Wechselschicht (worauf die Klägerin zu Recht hinweist). Insgesamt wurde die Klägerin alleine durch die schiere Anzahl an Verstößen in relativ kurzer Zeit erheblich benachteiligt. Allerdings haben sich einige der klägerseits zur Begründung der hier beziffert geforderten Entschädigung herangezogene Vorgänge nicht als AGG-Verstoß erwiesen (s.o.). Zu Gunsten der Beklagten gilt, dass diese nicht durchgängig kompromisslos agiert hat, sondern sich Anfang Februar 2023 im Verfahren 3 Ga 1/23 mit der Klägerin auf verschiedene, z.T. vorläufige Regelungen, wie z.B. eine Fortführung der Staplertätigkeit oder ein Unterlassen der Einforderung des Minusstundenabbaus, geeinigt hat, die aus Sicht der Kammer Anhaltspunkte für ein „Aufeinanderzugehen“ bieten.
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Dies alles berücksichtigend kommt die Kammer im Rahmen des gegebenen weiten Ermessensspielraums zu einer Entschädigungszahlung im ausgeurteilten Umfang. Der gefundene Betrag von fünf Bruttomonatsverdiensten erscheint der Kammer angemessen iSd. § 15 II AGG. Der Zinsausspruch ergibt sich aus §§ 288 I, 291 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I ZPO. Der Streitwert wurde gem. §§ 61 I ArbGG, 3 ZPO festgesetzt (Anträge 2. – 4. je 1 BMG à 1200,- €). Ein gesetzlich begründeter Anlass für eine gesonderte Berufungszulassung bestand nicht, § 64 III ArbGG.