Inhalt

AG Bad Kissingen, Endbeschluss v. 23.11.2023 – 001 F 25/23
Titel:

Vertretungsbefugnis und Unterhaltspflicht bei nahezu gleichem Betreuungsanteil

Normenkette:
BGB § 1601, § 1603, § 1606 Abs. 3, § 1629 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Für die Frage, ob ein Kind im Residenzmodell oder im Wechselmodell betreut wird, kommt im Rahmen des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB dem zeitlichen Einsatz der Eltern bei der Betreuung des Kindes eine besondere Bedeutung zu. Ein Elternteil ist als Träger der Obhut iSv § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB anzusehen, wenn bei diesem Elternteil ein eindeutig feststellbares, aber nicht notwendigerweise großes Übergewicht bei der tatsächlichen Fürsorge für das Kind vorliegt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine überwiegende Betreuung ist danach gegeben, wenn ein Elternteil ausgehend von einer gerichtlich vereinbarten Umgangsregelung die Kinderbetreuung zu 56% innehat, und zudem weitere Aufgaben für das Kind wahrnimmt (zB Arzttermine). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer überwiegenden Betreuung durch einen Elternteil hat der andere Elternteil für den Barunterhalt des Kindes aufzukommen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Unterhaltsbedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle sind nur Hilfsmittel für die Unterhaltsbemessung; das mit ihrer Hilfe gewonnene Ergebnis ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls stets auf seine Angemessenheit und Ausgewogenheit hin zu überprüfen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
5. Nimmt der barunterhaltspflichtige Elternteil ein weit über das übliche Maß hinausgehendes Umgangsrecht wahr, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert, kann bei der Ausübung des Ermessens im Rahmen der Angemessenheitskontrolle die wirtschaftliche Belastung des Unterhaltspflichtigen insbesondere mit zusätzlichen Fahrtkosten zum Anlass genommen werden, den Barunterhaltsbedarf unter Herabstufung um eine oder mehrere Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle zu bestimmen oder auf eine nach den maßgebenden unterhaltsrechtlichen Leitlinien ansonsten gebotene Hochstufung in eine höhere Einkommensgruppe zu verzichten. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterhalt, erweiterter Umgang, Kindesunterhalt, Wechselmodell, Betreuungsanteil, Düsselsdorfer Tabelle, Angemessenheitskontrolle
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 01.07.2024 – 7 UF 2/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53618

Tenor

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller R.G., geboren am... 2018, zu Händen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters ab dem 01.01.2023 einen monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 356,00 €, ab dem 01.06.2023 einen monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 334,00 € und ab dem 01.12.2023 einen monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 105% des jeweiligen Mindestunterhalts gemäß § 1612 a Abs. 1 BGB der jeweiligen Altersstufe, derzeit erste Altersstufe, gemindert um das hälftige Kindergeld für ein erstes Kind, derzeit 125,00 €, damit derzeit 334,00 €, zu bezahlen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller G.R., geboren am ... 2018, zu Händen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters rückständigen Kindesunterhalt für den Zeitraum vom 01.12.2020 bis 31.12.2022 in Höhe von 7.864,00 € zu bezahlen.
3. Der darüberhinausgehende Antrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 1/10 und der Antragsgegner zu 9/10.
5. Der Verfahrenswert wird auf 13.889,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Frau A.F. und der Antragsgegner sind die nicht miteinander verheirateten, dauerhaft voneinander getrenntlebenden und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des minderjährigen Kindes R.G., geboren am ... 2018, das den Antragsgegner, gesetzlich vertreten durch Frau F., auf die Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch nimmt. Außergerichtlich wurde der Antragsgegner mit Schreiben vom 18.12.2020 zur Zahlung von Kindesunterhalt aufgefordert.
2
Die Betreuung des Kindes wurde durch Vereinbarung der Eltern zu Protokoll des Gerichts vom 13.10.2020, Aktenzeichen 001 F 427/20, aufrechterhalten durch Vereinbarung der Eltern zu Protokoll des Gerichts vom 13.10.2022, Aktenzeichen 001 F 191/21, wie folgt geregelt:
Im 14tägigen Rhythmus, erstmals am 17.10.2020, von Samstag 9.00 Uhr mit Abholung bei der Kindesmutter, bis Mittwochfrüh mit Ablieferung des Kindes am Kindergarten in (…), spätestens um 9.00 Uhr, sowie von Montag 9.00 Uhr, erstmals am 26.10.2020, mit Abholung bei der Kindesmutter bis Mittwochfrüh mit Ablieferung des Kindes im Kindergarten in (…), spätestens um 9.00 Uhr.
3
Darüber hinaus ist der Antragsgegner seit dem 19.06.2023 Vater des Kindes L.G.
4
Der Antragsteller meint, dass sich aus dieser Umgangsregelung ein Betreuungsschwerpunkt bei Frau F. ableiten lasse, da diese das Kind zu 56% betreue und sich darüber hinaus auch um den Alltag des Antragstellers kümmere, indem sie sicherstelle, dass der Antragsteller die Kindertagesstätte besuche, wofür sie die Kosten trage, und Arzttermine wahrnehme.
5
Der Antragsteller beantragte zuletzt wie folgt zu erkennen:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller zu Händen der Kindesmutter ab Januar 2023 Kindesunterhalt in Höhe von 400,00 EUR sowie ab Dezember 2023 Kindesunterhalt in Höhe von 110% des Mindestunterhalts zu bezahlen.
Der Antragsgegner wird weiter verpflichtet, für den Zeitraum Dezember 2020 bis einschließlich Dezember 2022 rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 9.089,00 EUR an den Antragsteller zu Händen der Kindesmutter zu bezahlen.
6
Der Antragsgegner beantragte zuletzt wie folgt zu erkennen:
Der Antrag wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
7
Der Antragsgegner meint, dass die Aufteilung der Betreuungsanteile, wie sie von der Antragstellerseite geschildert werde, nicht ausreichend sei, um hier von einem Betreuungsschwerpunkt sprechen zu können. Darüber hinaus liege es ausschließlich an der Verweigerungshaltung der Mutter, dass kein exakt paritätisches Wechselmodell gelebt werde. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass die Wahrnehmung des Umgangs für den Antragsgegner mit hohen Kosten verbunden sei. So beliefen sich bereits die Kraftstoffkosten pro Monat auf 444,00 €.
8
Mit Zustimmung der Beteiligten zu Protokoll des Gerichts vom 07.11.2023 wird im schriftlichen Verfahren entschieden.
II.
9
Der zulässige Antrag ist überwiegend begründet, der Anspruch ergibt sich aus § 1601 BGB.
10
1. Die Kindesmutter ist gemäß § 1629 Abs. 2 S.2 BGB zur Vertretung des Kindes allein berechtigt, da die elterliche Sorge den Eltern gemeinsam zusteht und sich das Kind in der Obhut der Kindesmutter befindet.
11
Der Begriff der Obhut knüpft an die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse an. Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der mithin die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes nach Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs und ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung vorrangig befriedigt oder sicherstellt. Leben die Eltern in verschiedenen Wohnungen und regeln sie den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes dergestalt, dass es vorwiegend in der Wohnung eines Elternteils lebt und dies durch regelmäßige Besuche in der Wohnung des anderen Elternteils unterbrochen wird (Residenzmodell), so ist die Obhut im Sinne des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB dem erstgenannten Elternteil zuzuordnen. Nur wenn die Eltern ihr Kind in der Weise betreuen, dass es in etwa gleich langen Phasen abwechselnd jeweils bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt (Wechselmodell), lässt sich ein Schwerpunkt der Betreuung nicht ermitteln. Das hat zur Folge, dass kein Elternteil die Obhut im Sinne von § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB innehat. Dann muss der Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder der Elternteil muss beim Familiengericht beantragen, ihm gemäß § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen.
12
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Kind räumlich getrenntlebender Eltern im Residenzmodell oder im Wechselmodell betreut wird, kommt im Rahmen des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB dem zeitlichen Einsatz der Eltern bei der Betreuung des Kindes eine besondere Bedeutung zu. Anknüpfend an den Normzweck der Vorschrift, die Einleitung von Sorgerechtsverfahren nur mit dem Ziel einer späteren Austragung von Unterhaltskonflikten möglichst zu vermeiden, wird ein Elternteil bereits dann als Träger der Obhut im Sinne von § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB angesehen werden können, wenn bei diesem Elternteil ein eindeutig feststellbares, aber nicht notwendigerweise großes Übergewicht bei der tatsächlichen Fürsorge für das Kind vorliegt (BGH, Beschluss vom 12.3.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917 ff.).
13
Die Antragstellerseite trägt ausgehend von der gerichtlich vereinbarten Umgangsregelung der Beteiligten unbestritten vor, dass die Kindesmutter das Kind zu 56% betreue und sich darüber hinaus auch den Alltag des Antragstellers regle, indem sie sicherstelle, dass der Antragsteller die Kindertagesstätte besuche, wofür sie die Kosten trage, und Arzttermine wahrnehme. Das Gericht geht daher unter Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe davon aus, dass aufgrund der von den Eltern tatsächlich gelebten Aufteilung der Betreuungsanteile sowohl in zeitlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht von einem Betreuungsschwerpunkt bei der Kindesmutter ausgegangen werden muss, sodass der Unterhaltsanspruch durch das Kind, gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter, geltend gemacht werden kann.
14
2. Der Antragsgegner hat nach seinen eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen allein für den Barunterhalt des Antragstellers aufzukommen, da die Kindesmutter ihre Unterhaltspflicht bereits durch die Betreuung des Antragstellers erfüllt.
15
Mehrere gleich nahe Verwandte haften nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB für den Unterhalt eines Berechtigten anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung. Der andere, nicht betreuende Elternteil, hat den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die gesetzliche Regelung geht mithin davon aus, dass ein Elternteil das Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat. Dabei bestimmt sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 Abs. 1 BGB). Soweit dieser allerdings noch keine eigenständige Lebensstellung erlangt hat, wie dies bei unterhaltsbedürftigen minderjährigen Kindern der Fall ist, leitet sich seine Lebensstellung von derjenigen der unterhaltspflichtigen Eltern ab. Wird das Kind von einem Elternteil versorgt und betreut, während der andere Teil Barunterhalt leistet, so ist die Lebensstellung des Kindes grundsätzlich auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des barunterhaltspflichtigen Elternteils begrenzt.
16
Diese Beurteilung ist solange nicht infrage zu stellen, wie das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil liegt. Denn dann ist die Annahme gerechtfertigt, dass dieser Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind trägt und dadurch den Betreuungsunterhalt leistet, während der andere Elternteil – auf der Grundlage nur seiner eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse – zum Barunterhalt verpflichtet ist. Deshalb ändert sich an der aus dem Schwergewicht der Betreuung durch einen Elternteil folgenden Aufteilung zwischen Bar- und Betreuungsunterhalt nichts, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil seinerseits Betreuungs- und Versorgungsleistungen erbringt, selbst wenn dies im Rahmen eines über das übliche Maß hinaus wahrgenommenen Umgangsrechts erfolgt, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert. Wenn und soweit der andere Elternteil gleichwohl die Hauptverantwortung für ein Kind trägt, muss es dabei bleiben, dass dieser Elternteil seine Unterhaltspflicht im Sinne des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB durch die Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt.
17
Anders wird es allerdings zu beurteilen sein, wenn die Eltern sich in der Betreuung eines Kindes abwechseln, sodass jeder von ihnen etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrnimmt. In solchen Fällen wird eine anteilige Barunterhaltspflicht der Eltern in Betracht kommen, weil sie auch für den Betreuungsunterhalt nur anteilig aufkommen. Verfügen beide Elternteile über Einkünfte, ist der Elementarbedarf des Kindes an den beiderseitigen – zusammengerechneten – Einkünften auszurichten. Hinzuzurechnen sind Mehrkosten, die durch die Aufteilung der Betreuung entstehen und deren Ansatz und Erstattung unter den jeweiligen Umständen angemessen ist. Für den so ermittelten Bedarf haben die Eltern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen und unter Berücksichtigung der erbrachten Naturalunterhaltsleistungen aufzukommen Ob ein Elternteil die Hauptverantwortung für ein Kind trägt und damit seine Unterhaltspflicht im Sinne des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB bereits durch Erziehung und Pflege erfüllt, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung. Dabei kommt der zeitlichen Komponente der von ihm übernommenen Betreuung zwar eine Indizwirkung zu, ohne dass sich allerdings die Beurteilung allein hierauf zu beschränken braucht (BGH, Beschluss vom 12.3.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917 ff.; BGH, Beschluss vom 5.11.2014 – XII ZB 599/13, NJW 2015, 331 ff.).
18
Anders als bei der Feststellung der Vertretungsbefugnis nach § 1629 Abs. 2 S.2 BGB fordert § 1606 Abs. 3 S.2 BGB nicht nur ein eindeutig feststellbares, sondern ein deutliches Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil. In diesem Zusammenhang geht das Gericht davon aus, dass die zeitliche Komponente des Betreuungsanteils der Kindesmutter von 56% hierfür nicht zwingend ausreichend wäre, dass in Kombination mit der Übernahme wesentlicher Betreuungsanteile bei der Alltagsgestaltung des Kindes durch die Sicherstellung des Besuchs der Kindertagesstätte und der Wahrnehmung von Arztterminen insgesamt aber von einem deutlichen Betreuungsschwerpunkt ausgegangen werden muss, da der Antragsgegner trotz richterlichen Hinweises vom 14.08.2023 nichts Derartiges berichtet hat.
19
3. Die Einkommensverhältnisse des Antragsgegners resultieren maßgeblich aus seiner nichtselbständigen Tätigkeit bei der Firma (…) in (…) und stellen sich wie folgt dar:
20
a) Im Dezember 2020 bezog der Antragsgegner nach seinen eigenen, unbestrittenen Angaben Nettoeinkünfte in Höhe von ca. 2.500,00 EUR, woraus sich nach Abzug pauschaler berufsbedingter Aufwendungen ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen von 2.375,00 EUR ergibt. Mit diesem Einkommen wäre der Antragsgegner grundsätzlicher der dritten Stufe in der ersten Altersgruppe der Düsseldorfer Tabelle für das Jahr 2020 mit einem Zahlbetrag von 304,00 EUR zuzuordnen.
21
Die Unterhaltsbedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle sind jedoch nur Hilfsmittel für die Unterhaltsbemessung. Das mit ihrer Hilfe gewonnene Ergebnis ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls stets auf seine Angemessenheit und Ausgewogenheit hin zu überprüfen. Nimmt der barunterhaltspflichtige Elternteil ein weit über das übliche Maß hinaus gehendes Umgangsrecht wahr, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert, kann bei der Ausübung des Ermessens im Rahmen der Angemessenheitskontrolle die wirtschaftliche Belastung des Unterhaltspflichtigen insbesondere mit zusätzlichen Fahrtkosten zum Anlass genommen werden, den Barunterhaltsbedarf unter Herabstufung um eine oder mehrere Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle zu bestimmen oder auf eine nach den maßgebenden unterhaltsrechtlichen Leitlinien ansonsten gebotene Hochstufung in eine höhere Einkommensgruppe zu verzichten (BGH, Beschluss vom 12.3.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917 ff.).
22
Aufgrund des erhöhten Aufwands des Antragsgegners, der mit der Wahrnehmung der Umgangskontakte verbunden ist, und der vom Antragsgegner allein mit Kraftstoffkosten in Höhe von 444,00 € pro Monat beziffert wird, ist von der Hochstufung des Antragsgegners nach Ziffer 11.2 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland für das Jahr 2020 aufgrund der Tatsache, dass der Antragsgegner nur einem Unterhaltsberechtigten Unterhalt zu gewähren hat, abzusehen. Demgegenüber kommt eine weitere Abstufung nicht in Betracht, da der Antragsgegner neben den Fahrkosten keine weiteren Aufwendungen geltend gemacht hat, die allein durch die deutliche Ausweitung des Umgangs entstanden und bei einem typischen Umgangsrecht nicht angefallen wären.
23
b) Im Jahr 2021 bezog der Antragsgegner auf der Grundlage der vorgelegten Lohnabrechnungen ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 2.213,19 EUR [38.149,38 EUR (Bruttoeinkommen) – 4.502,38 EUR (Lohnsteuer) – 2.841,91 EUR (Krankenversicherung) – 538,57 EUR (Pflegeversicherung) – 3.284,42 EUR (Rentenversicherung) – 423,80 EUR (Arbeitslosenversicherung) = 26.558,30 EUR/12 Monate], von dem noch berufsbedingte Aufwendungen abzuziehen sind, sodass ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 2.102,53 EUR verbleibt. Dies entspricht nach Stufe 2 Altersgruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle 2021 einem Zahlbetrag von 303,50 EUR, der aufgrund der vorstehenden Erwägungen auch im Einzelfall angemessen ist.
24
c) Im Jahr 2022 bezog der Antragsgegner auf der Grundlage der vorgelegten Lohnabrechnungen ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 2.575,86 EUR aus [44.869,14 EUR (Bruttoeinkommen) – 5.803,87 EUR (Lohnsteuer) – 3.244,47 EUR (Krankenversicherung) – 622,74 EUR (Pflegeversicherung) – 3.797,78 EUR (Rentenversicherung) – 490,02 EUR (Arbeitslosenversicherung) = 30.910,26 EUR/12 Monate], von dem noch berufsbedingte Aufwendungen abzuziehen sind, sodass ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 2.447,07 EUR verbleibt. Dies entspricht nach Stufe 3 Altersgruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle 2022 einem Zahlbetrag von 326,50 EUR, der aufgrund der vorstehenden Erwägungen auch im Einzelfall angemessen ist.
25
d) Für das Jahr 2023 haben die Einkünfte aus dem Jahr 2022 Prognosewirkung, sodass der Antragsgegner bis einschließlich Mai 2023 Stufe 3 Altersgruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle 2023 mit einem Zahlbetrag von 356,00 EUR zuzuordnen ist, was aufgrund der vorstehenden Erwägungen auch im Einzelfall angemessen ist. Ab Juni 2023 ist der Antragsgegner aufgrund der Geburt seines Sohnes Liam Stufe 2 Altersgruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle 2023 mit einem Zahlbetrag von 334,00 EUR zuzuordnen, was 105% des Mindestunterhalts entspricht.
26
e) Aufgrund der vorstehenden Erwägungen berechnet sich der Unterhaltsrückstand wie folgt:

Monat

Beantragter Unterhalt

Berechneter Unterhalt durch das Gericht

Unterhaltsrückstand

Dezember 2020

341,00 EUR

304,00 EUR

304,00 EUR

Januar 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

Februar 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

März 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

April 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

Mai 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

Juni 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

Juli 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

August 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

September 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

Oktober 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

November 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

Dezember 2021

362,50 EUR

303,50 EUR

303,50 EUR

Januar 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

Februar 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

März 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

April 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

Mai 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

Juni 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

Juli 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

August 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

September 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

Oktober 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

November 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

Dezember 2022

366,50 EUR

326,50 EUR

326,50 EUR

9.089,00 EUR

7.864,00 EUR

7.864,00 EUR

III.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Satz 1 und 2 Nr. 1 FamFG. Abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Kostenentscheidung entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Vorliegend ist hierbei insbesondere das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen, woraus sich die ermittelte Kostenquote ergibt.
28
Die Verfahrenswertfestsetzung beruht auf § 51 FamGKG (400 EUR*12 Monate +9.089,00 EUR= 13.889,00 EUR).