Titel:
Abgewiesene Klage im Streit um Teilbetrag der Kircheneinkommensteuer
Normenketten:
ByKiStG Art. 6
AO § 163, § 227
Schlagworte:
Religionsfreiheit, abweichende Festsetzung, Aufrechnungsausschluss, Austrittserklärung, Coronavirus, Ermessensentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53551
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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Streitig ist ein Teilbetrag der Kircheneinkommensteuer 2021 in Höhe von 541,27 €.
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Die Klägerin war lange Jahrzehnte Mitglied der beklagten Kirche. Aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung von 14.762.-€ wurde sie mit Bescheid vom 28.02.2023 mit einer Jahressteuer von 1082,54 € veranlagt. Abgerechnet die Kirchenlohnsteuer von 704,11 € ergab dies eine Zahllast von 378,43 €.
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Hiergegen legte die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch ein mit der Begründung, die Steuerpflicht habe bereits im Juni 2021 geendet. Sie sei zwar erst am 04.11.2021 bei der zuständigen Gemeinde Stadt 1 mit dem Austritt registriert worden, habe aber bereits zu Beginn des Jahres 2021 den Austrittswillen gehabt. Bis Juni sei wegen Corona eine Amtshandlung nicht möglich gewesen. Im Juni sei bei einer Vorsprache in der Gemeinde wegen Erkrankung des zuständigen Mitarbeiters der Wunsch geäußert worden, den Austritt erst später zu erklären. Auch bei späteren telefonischen Versuchen sei sie vertröstet worden. Danach seien sie oder Mitbewohner an Corona erkrankt und sie wäre in Quarantäne gewesen, bzw. wegen „Post-Covid“ bis Oktober nicht in der Lage gewesen, den Austritt bei der Gemeinde zu erklären. Im Oktober sei ihr als erster möglicher Termin der 04.11.2021 zugeteilt worden. Daher sei ausnahmsweise auf den Versuch des Austrittes und nicht auf die formale Erklärung abzustellen.
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Die Beklagte hat mit Einspruchsentscheidung vom 17.04.23, zugestellt am 18.04.23 den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Steuer sei richtig berechnet. Ausgehend von der Bezugssteuerfestsetzung von 14.762.-€ berechne sich eine Jahressteuer von 1.180,96 €. Nach Art6 ByKiStG i.V.m. § 5 AVKirchStG ende die Steuerpflicht mit Ende des Austrittsmonats November 2021 und die Jahressteuer sei hier mit 11/12 auf 1.082,54 zu berechnen. Die Anrechnung der Lohnsteuer sei korrekt erfolgt und die Festsetzung damit rechtmäßig. Es sei nicht auf den Juni 2021 abzustellen, weil die Klägerin auch anderweitige Möglichkeiten nach Art. 3 Abs. 4 S.2 ByKiStG zum Austritt gehabt hätte und nicht alleine auf die Gemeinde angewiesen gewesen sei.
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Mit der hiergegen am 05.05.23 erhobenen Klage trägt die Klägerin unter Wiederholung des Einspruchsvortrages zusätzlich vor, die Erhebung der Kirchensteuer nach dem Austritt verstoße gegen die negative Religionsausübungsgarantie in Art. 4 GG. Art. 6 BayKiStG sei durch die Pandemie einschränkend auszulegen und auf den Austrittsversuch abzustellen. Zudem stehe ihr ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, mit dem sie aufrechne. Ferner sei eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO oder ein Erlass nach § 227 AO angezeigt.
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Die Pandemie gebe in diesem Fall zu einer abweichenden oder ergänzenden Auslegung des Art. 6 BayKiStG Anlass. Nach Ihrer Auffassung sei sie unverschuldet daran gehindert worden, den Austritt früher zu erklären. Auch der vom Beklagten vorgenommene Hinweis auf die Möglichkeit einen Notar zur Beglaubigung aufzusuchen, hätte in der Realität nicht bestanden. Sie, die betagte Klägerin, hätte stundenlang mit dem Bus zum Sitz des nächsten Notariates in Stadt 2 fahren müssen, was angesichts der Pandemie und ihrer persönlichen Situation nicht zumutbar gewesen sei.
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Der Aufrechnungsanspruch nach §§ 253, 254, 387ff BGB sei aus einem Schmerzensgeldanspruch abzuleiten. In ihren Volksschuljahren in einer Gemeinde bei Stadt 3 sei sie von Pfarrer A. mit dem Rohrstock geschlagen worden. Sie und ihre Mitschüler und Mitschülerinnen hätten mit einem Stift auf den Händen die ganze Stunde ruhig sitzen müssen, was nicht auszuhalten gewesen wäre. Bei Herabfallen des Stiftes seien sie geschlagen worden. Besonders ein ihr lieber Mitschüler sei gequält worden, weil er intellektuell die vielen Aufgaben auf Auswendiglernen nicht bewältigen haben könne. Durch diese Quälereien habe die Klägerin zu Schulzeiten Schlafstörungen mit Angstzuständen erlitten und leide noch heute unter einem Trauma. Ihr stehe daher als Opfer schwarzer Pädagogik ein Schmerzensgeld in vom Gericht festzustellender Höhe, mindestens jedoch 600.-€ zu, womit aufgerechnet werde. Diese Forderung sei auch gegenseitig i.S. des § 226 Abs. 3 AO, da sie gegen die Katholische Kirche in Deutschland bestehe. Innerhalb dieser werde ein Kirchensteuerfinanzausgleich vorgenommen, von dem die Beklagte profitiere und daher die Aufrechnung gegen sich gelten lassen müsse. Es sei § 387 BGB analog anzuwenden.
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Zudem würde eine Nachforderung von Kirchensteuer zwei Jahre nach dem Austritt die negative Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 1 GG berühren. Der Austritt aus der systemisch versagenden Kirche sei begründet. Sie sei, wie dargestellt, als Opfer zu entschädigen und nicht noch mit Nachzahlungen zu behelligen. Zudem sei sie jetzt nach dem nur in Deutschland nötigen Kirchenaustritt auch noch aus der Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen. Sie habe auch durch den Austritt keinen Steuervorteil erlangt. Wenn im Fall der Pandemie kein öffentlicher Austritt möglich sei, könne sie ihr Recht auf Austritt, also die negative Religionsausübung, gar nicht wahrnehmen.
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Eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO sei inzwischen abgelehnt worden. Sie hätte spätestens in der Einspruchsentscheidung geprüft werden müssen. Die Beklagte habe daher ihr Ermessen gar nicht ausgeübt. Dabei sei der Ermessensspielraum auf Null reduziert, weil die Beklagte sich nicht weigern dürfe, den Missbrauch zu regulieren. Über einen Erlass nach § 227 AO habe die Beklagte nicht entschieden und sie nur an den Missbrauchsbeauftragten der für Stadt 3 zuständigen Diözese Stadt 4 verwiesen. Dieser habe eine Entschädigung nicht anerkannt. Dies sei nur der Versuch, sich aus der Verantwortung für institutionelles Versagen zu entziehen.
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Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, den Bescheid vom 28.02.23 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.04.2023 abzuändern, die Steuer auf 541,27 € festzusetzen und die Beklagte zu verpflichten, die Überzahlung von 163,04 € an die Klägerin auszukehren.
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Hilfsweise sei die Beklagte unter Beachtung der Entscheidung des Gerichtes über einen Erlass zu verpflichten, die Klägerin neu zu verbescheiden.
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Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
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Sie verweist primär auf die Einspruchsentscheidung. Den Vortrag der Klägerin zur Situation in der Gemeinde Stadt 1 sowie die Verhinderung durch Quarantäne bestreitet sie mit Nichtwissen. Das könne aber dahinstehen, da dies rechtlich unbeachtlich sei. Der Gesetzgeber habe bewusst formelle Klarheit für den Austritt verlangt, was auch der ByVGH in seinem Urteil vom 10.12.04 – 7 BV 03.2566, R 19 so bestätigt habe. Dieses Formerfordernis sei nicht alleine über die Gemeinde zu erfüllen, sondern könne in jeder Form der Beglaubigung, zuvörderst durch einen Notar, erreicht werden. Selbst wenn in der Gemeinde Stadt 1 die vorgetragenen Schwierigkeiten bestanden hätten, würde das nur zu einer Schadensersatzverpflichtung der Gemeinde führen.
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Eine Klage auf abweichende Steuerfestsetzung sei mangels Vorverfahren unzulässig und unbegründet, weil keine Unbilligkeit vorliege. Weder sei die Klägerin persönlich bedürftig noch sei die Steuererhebung unbillig, da ein früherer Austritt technisch möglich gewesen sei. Sie, die Beklagte werde das Verfahren aber weiter fortführen und dann eine Entscheidung über das Vorliegen des § 163 AO treffen. Das gelte auch für einen Erlass nach § 227 AO, der zwar inzwischen abgelehnt worden sei, das Einspruchsverfahren dazu sei noch nicht abgeschlossen und werde ggfs. erst nach der diesbezüglich vorrangigen Entscheidung nach § 163 AO fortgeführt. Daher sei der Hilfsantrag der Klage unzulässig, zumindest unbegründet.
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Der geltende gemachte Schmerzensgeldanspruch sei allenfalls gegen die Diözese Stadt 4 zu richten und könne nicht gegen die Beklagte aufgerechnet werden zumal er weder unstrittig noch tituliert sei. Vorliegend gehe es um den Steueranspruch und über den Schmerzensgeldanspruch müsse an anderer Stelle entschieden werden. Zudem bestehe kein Anspruch auf Geld, zumal die Diözese Stadt 4 der Klägerin zur Bewältigung des Traumas Hilfe angeboten, was diese aber nicht angenommen habe.
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Es bestehe weiter nach § 226 Abs. 3 AO keine Aufrechnungslage (BFH v. 10.07.79, VII R 114/75). Insbesondere sei ein Anspruch gegen „die katholische Kirche in Deutschland“ nicht gegeben, da diese nicht als Rechtsträger existiere, sondern nur Diözesen als Körperschaften Rechtsträger seien.
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Das Beharren auf einem formal korrekten Austritt sei mit Art. 4 Abs. 1 GG vereinbar. Insoweit seien die Argumente des BVerfG vom 02.07.2008, 1 BvR 3006/07, NJW 2008, 2978 R 26 entgegen der Interpretation des Urteiles seitens der Klägerin doch einschlägig. Insbesondere hätten die Notare einen Corona-Notdienst eingerichtet und dessen Nutzung sei der Klägerin zumutbar gewesen.
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Das Gericht hat von der Gemeinde Stadt 1 schriftlich Auskunft zur Organisation des Kirchenaustrittes im streitigen Zeitraum angefordert. Diese weist die Darstellung der Klägerin entschieden zurück und teilte konkret mit, es sei im gesamten Zeitraum des Jahres 2021 eine Austrittserklärung mit Terminvereinbarung möglich gewesen. Zudem treffe es nicht zu, dass die bearbeitenden Personen im Juni 2021 längerfristig krank gewesen seien, zumal immer Vertretungen organisiert gewesen seien. Ferner wären im Oktober 2021 die möglichen Termine innerhalb von 1 Tag bis einer Woche zur Verfügung gestanden.
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In Kenntnis dieser Stellungnahme schränkte die Klägerin ihren Tatsachenvortrag ein. Sie habe im Frühsommer 2021 bei ihrer Vorsprache auf dem Einwohnermeldeamt mit einer Dame als Vertretung des Herrn B. zu tun gehabt. Diese habe sie weggeschickt mit der Bitte, sich zu einem viel späteren Zeitpunkt einen Termin bei Herrn B. geben zu lassen, da sich nur Herr B. mit der Aufnahme einer Erklärung zum Kirchenaustritt und dem Computerprogramm dazu auskenne. Herr B. sei „länger“ nicht da. Dies habe die Klägerin geglaubt. Sie könne nicht zuverlässig angeben, mit wem sie damals gesprochen habe.
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Zu einer Terminvereinbarung im Einwohnermeldeamt sei es wegen der Coronaerkrankungen und Quarantänen der Klägerin und ihrer Familie erst im Oktober 2021 zum 04.11.2021 gekommen. Genauere Angaben oder Beweisangebote dazu seien der Klägerin wegen des Zeitablaufs und weil sie der Angelegenheit zunächst keine besondere Beachtung geschenkt habe, nicht möglich.
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Die Parteien haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter zugestimmt. Das Gericht hat mit Beschluss vom 12.10.23 den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
Entscheidungsgründe
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Die im Hauptantrag zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist steuerverpflichtet bis zur Wirksamkeit des formal gültigen Austrittes und hat keinen aufrechenbaren Gegenanspruch. Der Hilfsantrag ist mangels Vorverfahren unzulässig und zudem nicht begründet.
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1.) Die Klägerin war bis zum 04.11.2021 Mitglied der Beklagten und daher umlagepflichtig. Sie ist nicht früher ausgetreten.
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a) Nach Art. 3 Abs. 1 und 2 ByKiStG: sind Gläubiger von Kirchensteuern die gemeinschaftlichen Steuerverbände und Schuldner der Kirchensteuern sind die Angehörigen der in Art. 1 ByKiStG genannten Gemeinschaften.
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Die Mitgliedschaft, deren Eintritt und Austritt sind in Art. 3 Abs. 3& 4 ByKiStG geregelt, wonach sich der Eintritt in eine solche Gemeinschaft nach dem jeweiligen Satzungsrecht der betreffenden Gemeinschaft bestimmt und der Austritt zur öffentlich-rechtlichen Wirkung der Erklärung bei dem Standesamt des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsorts bedarf. Die Erklärung ist persönlich zur Niederschrift abzugeben oder in öffentlich beglaubigter Form einzureichen.
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Entsprechend ist für die Zeit der Mitgliedschaft die Umlagepflicht geregelt in Art. 6 ByKiStG. Demnach sind umlagepflichtig die Angehörigen der in Art. 1 ByKiStG genannten Gemeinschaften, die in Bayern wohnen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und mit einem Steuerbetrag zur Einkommensteuer veranlagt sind. Die Umlagepflicht endet nach Art. 6 Abs. 4 Nr. 3. ByKiStG bei Austritt aus einer in Art. 1 ByKiStG genannten Gemeinschaft mit Ablauf des Kalendermonats, in dem die Erklärung wirksam geworden ist.
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Dazu bestimmt AVKirchStG Bay in § 1 Abs. 1: „Für den Empfang einer Austrittserklärung ist das Standesamt zuständig, in dessen Bezirk der Erklärende seinen Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ In § 1 Abs. 3 AVKirchStG Bay wird geregelt, dass Vertretung bei der Abgabe der Austrittserklärung zulässig ist.
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b) Diese Regelungen verstoßen nicht gegen die negative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG. Jeder darf danach über sein Bekenntnis und seine Zugehörigkeit zu einer Kirche, die durch dieses Bekenntnis bestimmt ist, selbst und frei von staatlichem Zwang entscheiden (vgl. BVerfGE 30, 415, „423“). Das schließt die Freiheit ein, sich jederzeit von der kirchlichen Mitgliedschaft mit Wirkung für das staatliche Recht durch Austritt zurückzuziehen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht zudem bereits klargestellt, dass die Wirksamkeit eines Kirchenaustritts mit Wirkung für das staatliche Recht an ein förmliches Verfahren gebunden werden kann (vgl. BVerfGE 30, 415, „426“):
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Das formalisierte Verfahren zur Entgegennahme der Erklärung über den Austritt aus einer Kirche oder aus einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts greift zwar in den Schutzbereich des Grundrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein. Denn Art. 4 Abs. 1 GG schließt die Freiheit ein, sich jederzeit von der kirchlichen Mitgliedschaft mit Wirkung für das staatliche Recht durch Austritt zurückzuziehen (vgl. BVerfGE 44, 37 „53“). Ein, wie im BayKiStG vorgesehenes, formalisiertes Verfahren zur Erklärung des Austritts aus einer Kirche ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt (BVerfG vom 02.07.2008, 1 BvR 3006/07). Die einschlägigen Normen präzisieren insoweit eine immanente Schranke des Art. 4 GG.
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c) Diese Schranke rechtfertigt indes nicht jede formale Anforderung. Es ist zu prüfen, ob das Verfahren angemessen und den Austrittswilligen auch zumutbar ist. Das Verlangen nach einer förmlichen Austrittserklärung rechtfertigt sich durch das Bedürfnis nach eindeutigen und nachprüfbaren Tatbeständen als Grundlage der Rechts- und Pflichtenstellung des Betroffenen, soweit sie in den weltlichen Rechtsbereich hineinwirkt. Das formale Erfordernis kann daher nur dann gerechtfertigt sein, wenn es den Austrittswilligen mit zumutbarem Aufwand zur Verfügung steht. Das BVerfG sieht z.B. die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen erst überschritten an, wenn das Verfahren besonders kostenaufwändig wäre und der Austrittswillige solche hohen Kosten über die Auferlegung einer Gebühr tragen müsste. (BVerfG vom 02.07.2008, 1 BvR 3006/07).
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Das erkennende Gericht sieht ergänzend die Grenze der Unangemessenheit allenfalls dann erreicht, wenn es über einen mehrere Monate dauernden Zeitraum aus nicht in der Sphäre eines austrittswilligen Umlageschuldners objektiv unmöglich ist, eine Austrittserklärung in der geforderten Form abzugeben. Eine lediglich subjektive Unmöglichkeit, z.B. aus Krankheitsgründen, ist hingegen nicht ausreichend. Diese dauerhafte Problemlage ist erkennbar bei Formanforderungen und wurde vom Gesetzgeber allgemein durch notarielle Beurkundungswege geregelt. Sie führen nicht zur Unangemessenheit der Formanforderung.
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d) Das Gericht verneint die von der Klägerin aufgrund behaupteter objektiver Unmöglichkeit begehrte Ausnahmeregelung vom Formerfordernis zumindest im konkreten Streitfall.
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Im Streitfall hat die Klägerin ihren Austritt erst am 04.11.2021 formgültig erklärt. Auf den früheren Zeitpunkt des Austrittswillens kann nicht abgestellt werden. Es liegt insbesondere, im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin, keine objektive Unmöglichkeit einer früheren Erklärungsabgabe vor.
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aa) Die Klägerin hat ihren früheren Austrittswillen nicht belegt. Als innere Tatsache muss sie Sachverhalte angeben, die diesen Willen belegen. Das ist nicht der Fall und auch im Wege der Amtsermittlung liegen dem Gericht keine Beweismittel vor, die diesen Willen dokumentieren könnten. So hat die Klägerin weder Zeugen benannt, die von ihrem früheren Austrittswillen berichten können, noch irgendwelche anderen Beweismittel beigebracht, die vor dem Austrittsversuch im Juni 2021 auf einen Austrittswillen schließen lassen.
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bb) Erst ab dem vorgetragenen Versuch zur Austrittserklärung kann zugunsten der Klägerin der frühere Austrittswille unterstellt werden. Es ist aber das Formerfordernis bis November 21 nicht eingehalten und eine Ausnahme wegen objektiver Unmöglichkeit eines früheren Austritts im Streitfall nicht zu machen. Dabei geht das Gericht entgegen der Auffassung der Klägerin von der durchgängigen Möglichkeit einer Austrittserklärung auch unter den CoronaBedingungen des Zeitraums von Juni 2021 bis November 2021 aus. Dies steht zur Überzeugung des Gerichtes aufgrund der Auskunft der Gemeinde Stadt 1 fest.
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(i) Der als Zeuge benannte Verwaltungsleiter B. hat als Vertreter für die Gemeinde schriftlich Auskunft erteilt auf eine Aufklärungsanordnung nach §§ 79 Abs. 1 Nr.3, 86 Abs. 1 und 87 FGO. Diese formale Auskunft über Behördenvorgänge ist das einschlägige Beweismittel für die erhobenen Fragen (zur allgemeinen Zulässigkeit der amtlichen Auskunft im Rahmen der Beweismittel s. Herbert in Gräber „Finanzgerichtsordnung“, 9.A., § 81 R 18). Der genannte Mitarbeiter der Gemeinde war nicht als Beteiligter des Verwaltungsverfahrens, insbesondere zu den konkreten Terminanfragen benannt, sondern als genereller Leiter der Verwaltung zu den Fragen der Organisation während der Corona-Zeit. Dafür ist die amtliche Auskunft der Behörde -insbesondere bei einer einvernehmlichen Entscheidung ohne mündliche Verhandlungdas geeignete Beweismittel. Zur Überzeugung des Gerichtes geht daraus hervor, dass der frühere Austrittswunsch der Klägerin objektiv möglich war und daher keine, unter Umständen gebotene, Ausnahme von der formalen Austrittsanforderung im Streitfall nötig ist.
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Dem stehen die von der Klägerin angebotenen Zeugen nicht entgegen. Diese sind nicht zu vernehmen. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Unsubstantiierten Beweisanträgen muss es nicht nachgehen. Unsubstantiiert sind Beweisanträge dann, wenn sie entweder das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne bestimmte Tatsachen nicht hinreichend konkretisieren, sie also nicht angeben, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll oder wenn sie dazu dienen sollen, unsubstantiierte Behauptungen zu stützen, wie etwa solche, die ohne jegliche tatsächliche Grundlage aufgestellt werden (sog. „Behauptungen und Beweisanträge ins Blaue hinein“ oder Ausforschungsbeweisanträge).
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Substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, dürfen weder abgelehnt noch übergangen werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zu Gunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist.
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In welchem Maß eine Substantiierung zu fordern ist, hängt von der im Einzelfall bestehenden Mitwirkungspflicht der Beteiligten ab (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO, § 76, Rz 26-33 m.w.N.).
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(ii) Im Streitfall sind die Beweisangebote der Klägerin zur Frage der Möglichkeit des früheren Austrittswillens und eines früheren Austrittstermins solche Ausforschungsbeweise. Die Klägerin nennt weder eine genaue Person noch die exakten Themen, die diese Personen bezeugen können sollen. So stellt sie nicht dar, wann ein eventuelles telefonisches Gesuch um Terminvereinbarung abgelehnt wurde und wie die dazu benannte Person dieses Gespräch mitbekommen haben soll. Wie sie selbst ausführt, kann sie keinen konkreten Namen der Gesprächspartnerin angeben.
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Soweit die Klägerin den Bürgermeister C. der Gemeinde Stadt 1 als Zeuge für die Tatsache vorträgt, dass sie, die Klägerin, sich nach Ende des strikten Corona-Lockdown Anfang Juni 2021 mit persönlicher Vorsprache an das für sie zur Beurkundung der Austrittserklärung zuständige Einwohnermeldeamt der Gemeinde Stadt 1 gewandt habe und sie aber von der einzigen im Einwohnermeldeamt anwesenden Mitarbeiterin gebeten worden sei, zu einem viel späteren Zeitpunkt wiederzukommen, da der alleinig zuständige Urkundsbeamte, Herr B., längerfristig erkrankt bzw. verhindert sei; sie selbst sei nicht befugt bzw. nicht eingewiesen, die Austrittserklärung zu beurkunden, trägt die Klägerin lediglich einen Ausforschungssachverhalt vor und kein konkretes Beweisthema, das der Zeuge bekunden solle. Sie trägt weder vor, es sei der Zeuge B. ... bei den Gesprächen anwesend gewesen noch, dass dieser die Auskünfte gegeben hätte. Anhaltspunkte, wer die Mitarbeiterin gewesen sei, gibt die Klägerin auch nicht. Der Bürgermeister ist daher nicht zu einem konkreten entscheidungserheblichen Sachverhalt als Zeuge benannt.
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Durch den weiterhin benannten Herrn B. hat die Gemeinde Stadt 1 das Auskunftsersuchen beantwortet. Die Klägerin hat in Kenntnis dessen schriftlichen Ausführungen keine mündliche Einvernahme begehrt.
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(iii) Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass sie oder Ihr als Zeuge angebotener Lebensgefährte im Sommer/Herbst krankheitsbedingt und unter den Corona-Quarantäneauflagen nicht mehr versuchten, persönlich im Einwohnermeldeamt vorzusprechen. Dies ist jedoch eine subjektive Unmöglichkeit, die aus Sicht des Gerichtes keine Ausnahme vom Formerfordernis erfordert.
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Krankheitsbedingte Schwierigkeiten für die Erfüllung der Formalie des Austritts können immer gegeben sein und fallen unter die erwähnte immanente Schranke der Religionsausübungsfreiheit. Auch die besonderen Corona-Bedingungen sind hier kein Ausnahmetatbestand, da der Klägerin selbst in Falle einer langwierigen Quarantäne die Beurkundung durch einen Notar auch in ihrem Wohnumfeld zur Verfügung stand, gegen Erstattung der Reisekosten, § 153 KostO.
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(iv) Soweit die Klägerin ihren Sohn für die Tatsache als Zeuge anbietet, sie hätte sofort nach Beendigung der Erkrankung wiederum einen Termin beim Einwohnermeldeamt erbeten, den sie aber erst am 04.11.2021 erhalten habe, kann das zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt werden. Der genannte Zeitraum von einem Termin im Oktober bis zum 4.11., dem Termin der tatsächlichen Austrittserklärung, hält das Gericht jedoch für einen Zeitraum, der den verwaltungsüblichen Abläufen gerade noch entspricht und keine Ausnahme erfordert.
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2.) Die Steuerforderung ist auch nicht durch eine Aufrechnung erloschen.
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a) Für das Kirchensteuerverhältnis gilt die Abgabenordnung (AO), § 18 ByKiStG. Nach § 226 Abs. 1 AO gelten sinngemäß die Bestimmungen des BGB, soweit nichts anderes bestimmt ist. Einschränkend legt § 226 Abs. 3 AO fest, dass die Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen können. Die Regelungen des Zivilrechts sehen in § 387 BGB vor, dass nur bei Gegenseitigkeit eine Aufrechnungslage besteht. Gegenseitigkeit setzt Identität der Schuldner und Gläubiger der beiden Forderungen der Aufrechnung voraus. Zudem ist die Aufrechnung Teil des Erhebungsverfahrens und wäre nicht im vorliegenden Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen. Dazu müsste die Klägerin den Weg über einen Abrechnungsbescheid gehen, § 218 Abs. 2 AO (s. Rüsken in Klein, „Abgabenordnung“, 16. A., § 226, R 140, m.w.N.). Schon aus diesem Grund ist die erklärte Aufrechnung im Streitverfahren nicht beachtlich,
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b) Im Streitfall fehlt es zudem sowohl an der Identität der Kirchenseite als auch an einer unbestrittenen Forderung der Klägerin.
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aa) Den Gläubiger der Kirchensteuer bestimmt Art. 2 Abs. 1 S. 1 und 2 ByKiStG: „Gemeinschaftliche Steuerverbände sind die in Art. 1 genannten Gemeinschaften. Als gemeinschaftlicher Steuerverband gelten für die Römisch-Katholische Kirche die Diözese“
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Die Beklagte ist daher die Gläubigerin der Steuerforderung.
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Es fehlt aber an einer Forderung gegen die Beklagte.
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Zugunsten der Klägerin geht das Gericht davon aus, dass die geschilderten Handlungen des Pfarrers als Religionslehrer der Klägerin und die geschilderten psychischen Störungen tatsächlich zutreffen. Die diesbezüglich angebotenen Zeugen sind daher nicht zu hören. Das Gericht kann sogar davon ausgehen, dass zwischen dem Verhalten des Religionslehrers und den geschilderten psychischen Folgen die vorgetragene Kausalität besteht. Ob und in welchem Umfang daraus ein Schmerzensgeldanspruch besteht, kann aber dahinstehen, einerseits, weil dessen Feststellung nicht Aufgabe des Finanzgerichtes ist, § 33 FGO.
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Einen Amtshaftungsanspruch hätte andererseits die Klägerin aber nur gegen die Diözese, in der die von ihr vorgetragenen Missbrauchsgeschehnisse vorgekommen wären. Dies ist aber die Diözese Stadt 4 und damit eine eigenständige Körperschaft. Der kircheninterne Finanzausgleich führt, entgegen der Meinung der Klägerin, ebenso wenig wie im staatlichen Bereich z.B. unter Bundesländern, zu einer Identität der Verbundteilnehmer. Die rechtliche Eigenständigkeit der jeweiligen Körperschaften bleibt. Eine Körperschaft „Deutsche römisch-katholische Kirche“ existiert nicht. Der unterstellte Anspruch richtet sich damit nicht gegen die Beklagte und kann daher gegen diese nicht aufgerechnet werden.
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bb) Zudem bestreitet die Beklagte die Forderung und es ist daher eine Aufrechnung nach § 226 Abs. 3 AO ausgeschlossen.
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3.) Der Hilfsantrag, der unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Erlasses, § 227 AO, oder einer abweichenden Steuerfestsetzung, § 163 AO, zu interpretieren ist, ist unzulässig und zudem nicht begründet.
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a) Die Beklagte ist zwar zuständig für einen Erlass, Art. 19 ByKiStG. Dieser ist jedoch eine Ermessensentscheidung nach § 227 AO, die in einem eigenständigen Verwaltungsverfahren mündet, das nicht mit der Festsetzung verbunden ist. Streitgegenstand ist vorliegend aber nur der Festsetzungsbescheid. Der Hilfsantrag der Klägerin ist daher mangels Vorliegen eines Verwaltungsverfahrens unzulässig, § 44 FGO. Sollte ein Ablehnungsbescheid zum Erlass vorliegen und in einer Einspruchsentscheidung Bestand haben, könnte das Gericht diesen nur auf einen eventuellen Ermessensfehlgebrauch hin überprüfen (s. z.B. BFH-Beschluss v. 24.03.1987, I B 129/86).
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b) Auch eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 Abs. 1 AO kann die Klägerin nicht erfolgreich begehren. Darüber ist in einem vom Festsetzungsverfahren unabhängigen Verfahren zu entscheiden (s. BFH-Urteil v. 21.07.2016, X R 11/14). Bislang liegt dieses nicht vor und daher ist die Klage auch diesbezüglich im Hilfsantrag unzulässig.
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Materiell wäre die abweichende Festsetzung möglich, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dies ist wiederum eine Ermessenentscheidung der Beklagten, die das Gericht nur in den genannten engen Grenzen überprüfen kann.
c) Die Beklagte hat die Unbilligkeit für einen Erlass oder eine abweichende Festsetzung bislang lediglich in den Stellungnahmen zum Klageantrag verneint, da die Fragen der Entschädigung wegen Missbrauch und die Steuerverfahren getrennt entschieden werden sollten. Schon aus Gründen der Expertise und der Klarheit der Zuständigkeiten ist diese Begründung nicht unangemessen, stellt keinen Ermessensfehlgebrauch dar und könnte selbst bei zulässiger Klage daher vom Finanzgericht nicht aufgehoben werden.
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Der hilfsweise gestellte Verpflichtungsantrag, ist damit ebenfalls unbegründet.
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4.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.