Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 30.05.2023 – AN 14 S 23.50054
Titel:

keine systematische Schwachstelle im niederländischen Asyl- und Aufnahmeverfahren, Dublin Verfahren, Zielstaat Niederlande, Absicherungsanordnung

Normenketten:
Dublin-III-VO Art. 12
Dublin-III-VO Art. 3 Abs. 2 Uabs. 2,3
Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK
Schlagworte:
keine systematische Schwachstelle im niederländischen Asyl- und Aufnahmeverfahren, Dublin Verfahren, Zielstaat Niederlande, Absicherungsanordnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53340

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Abschiebungsanordnung in die Niederlande.
2
Sie ist syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 11. August 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21. Oktober 2022 einen förmlichen Asylantrag.
3
Eine am 15. August 2022 seitens des Bundesamts hinsichtlich der Antragstellerin durchgeführte Eurodac-Abfrage ergab keine Treffer.
4
Beim persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 21. Oktober 2022 gab die Antragstellerin u.a. an, eine Schwester in Deutschland zu haben, auf die sie für emotionale und bürokratische Unterstützung, um sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen, angewiesen sei. Ihr sei im Libanon ein Visum für die Niederlande ausgestellt worden am 7. oder 8. Dezember 2020, das drei Monate lang gültig gewesen sei. Sie habe ihr Heimatland Syrien am 6. Dezember 2020 erstmalig verlassen und sei über den Libanon und die Niederlande (Aufenthalt ein Jahr und sieben Monate) am 11. August 2022 nach Deutschland eingereist. In die Niederlande sei sie am 11. Dezember 2020 eingereist und habe sich in … aufgehalten. Am 7. oder 8. Dezember 2020 seien ihr in den Niederlanden Fingerabdrücke abgenommen worden. Einen Asylantrag habe sie in keinem anderen Mitgliedstaat außer Deutschland gestellt.
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Am 15. November 2022 richtete das Bundesamt wegen des von der Antragstellerin vorgelegten niederländischen Aufenthaltstitels mit einer Gültigkeit bis 8. Dezember 2025 (Bl. 65 d. Bundesamtsakte) unter Verweis auf Art. 12 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Dublin-III-VO ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO an die Niederlande, welches die niederländischen Behörden mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 annahmen.
6
Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 22. November 2022 gab die Antragstellerin auf Vorhalt, dass es wegen ihres Visums und des bis 2025 gültigen Aufenthaltstitels für die Niederlande Anhaltspunkte für die Unzulässigkeit ihres Asylantrags gebe, an, dass ihr Partner für sie gebürgt habe und sie so in die Niederlande habe einreisen können. Eine Ehe sei aber nicht zustande gekommen. Einen Asylantrag habe sie dort nicht gestellt. Sie sei jetzt nach Deutschland gekommen, weil ihr Partner sie geschlagen habe. Sie habe aber keine Anzeige erstattet. Er habe sie so oft an den Haaren gezogen, dass sie Probleme mit den Schultern bekommen habe. Sie sei dann drei Monate im Krankenhaus gewesen und habe dann auch eine Physiotherapie gemacht. Sie habe keine Dokumente dabei, aber die Ärzte hätten eine Akte über sie. Sie sei ein Jahr und sieben Monate bei ihm geblieben. Sie habe weder das Haus verlassen dürfen noch die Sprache lernen. Er habe sowieso eine erste Frau gehabt. Diese habe sich schon bei der Polizei über ihn beschwert. Er habe dann immer mit Abschiebung gedroht. Er habe die holländische Staatsbürgerschaft. Dafür habe er 8000 Euro bezahlt und die wolle er auch nicht mehr verlieren. Sie habe sich nicht getraut, bei den niederländischen Behörden wie der Polizei um Hilfe zu bitten. Sie habe gehört, dass die meisten Flüchtlinge dort auf der Straße schlafen würden. Deshalb habe sie dort keinen Asylantrag stellen wollen. Sie sei auf die Idee gekommen, nach Deutschland zu fahren, weil ihre Schwester hier wohne. Sie habe gedacht, sie könne zu ihr und Schutz bekommen. Wäre sie in den Niederlanden geblieben, hätte er sie nach Syrien abgeschoben. Er habe das jedes Mal erwähnt, wenn er sie geschlagen habe. Sie habe einen Bruder in den Niederlanden, aber er habe sich da nicht eingemischt. Er habe ihr nicht geholfen. Nachdem sie ins Krankenhaus gekommen sei, sei ihr Partner noch dabei gewesen und habe mit den Ärzten gesprochen. Schläge seien nicht zu sehen gewesen, sondern nur die Probleme zwischen Schultern und Kopf. Sie habe kein Holländisch sprechen können. Er sei kein Monster, er habe sie auch zum Arzt gebracht und ihr Medikamente gegeben, aber wenn er böse geworden sei, habe er sie geschlagen. Der Mann, der für sie gebürgt habe, heiße … Sie habe sich nicht an ein Frauenhaus gewandt oder sich jemand anderem hinsichtlich ihres ehemaligen Partners anvertraut.
7
Sie habe nicht gewusst, wie sie in den Niederlanden einen Asylantrag hätte stellen sollen. Außerdem habe sie gesehen, wie Flüchtlinge in Parks geschlafen hätten. Sie habe sowieso noch einen gültigen Aufenthaltstitel in den Niederlanden. Außerdem habe sie Angst gehabt, dass ihr Partner mitbekommen hätte, dass sie einen Asylantrag stelle, oder dass er dazu gebeten werde. Er habe auch zwei Anwälte, sie würden sie einfach abschieben. Sie habe keine Erkrankungen.
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Bei der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 22. November 2022 gab die Antragstellerin u.a. an, dass sie einen Master als Dolmetscherin für die Sprachen Französisch und Arabisch gemacht und auch als Dolmetscherin in einem Dolmetscherbüro gearbeitet habe. Sie habe Syrien verlassen, weil sie habe heiraten wollen. Ihren Partner, der sie in die Niederlande geholt habe, habe sie über Facebook bereits fünf Jahre lang gekannt.
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Mit Bescheid vom 18. Januar 2023 wurde der Antrag der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), und die Abschiebung in die Niederlande angeordnet (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheides wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf elf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
10
Hiergegen ließ die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 31. Januar 2023 Klage erheben (AN 14 K 23.50055), über die noch nicht entschieden ist, und den vorliegenden Eilrechtsschutzantrag stellen.
11
Zur Begründung ließ die Antragstellerin vortragen, dass sie sehr große Angst vor ihrem Ehegatten, der in den Niederlanden lebe, habe. Sie sei von ihm geschlagen worden und erhalte auch jetzt regelmäßig Drohanrufe von ihm. Sie befürchte, in den Niederlanden von ihrem Mann gefunden zu werden. Daher liege ein besonderer Ausnahmefall vor. Außerdem werde durch Medienberichte bestätigt, dass die meisten Flüchtlinge in den Niederlanden auf der Straße schlafen würden, da die Flüchtlingslager dort überfüllt seien (unter Bezugnahme auf einen näher bezeichneten Bericht der ARD v. 29.10.2022 und die Esslinger Zeitung v. 20.1.2023). Im Sommer sei die Lage außer Kontrolle geraten und sogar ein Baby an Austrocknung gestorben. Viele Asylsuchende müssten dort unter erbärmlichen Zuständen leben, die Lage sei unter die humanitäre Untergrenze gesunken. Das Flüchtlingshilfswerk des Landes sei deshalb vor Gericht gezogen und erfolgreich gewesen (ohne Quellenangabe). Außerdem habe die Antragstellerin durch ihre Schwester im Kreis … gewisse familiäre Bindungen. Auch wenn dies nicht dem Familienbegriff der Dublinverordnung entspreche, sei dieses nahe Verwandtschaftsverhältnis wichtig, insbesondere in einem für die Antragstellerin fremden Land. Der Antragstellerin könne daher nicht zugemutet werden, in die Niederlande umzuziehen.
12
Mit Schriftsatz vom 23. März 2023 legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin ein Schreiben der Antragstellerin vor, in dem der bisherige Vortrag vertieft wird. Ihr Partner sende ihr Drohnachrichten über Facebook von einem gefälschten Konto und versuche, ihr Facebook-Konto zu hacken. Syrische Männer seien dafür bekannt, ihre Frauen zu verletzen und zu schlagen, aber manchmal entwickelten sich die Dinge zu Mord, weshalb die Antragstellerin das Recht habe, Angst vor ihm zu haben. Sie habe Angst vor seinen Drohungen und wolle nicht, dass die Probleme später dieses tragische Ende erreichen würden.
13
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
14
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen, und bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
15
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Bundesamtsakten Bezug genommen.
II.
16
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
17
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides statthaft nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG, da die in der Hauptsache statthafte Anfechtungsklage nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG fristgerecht gestellte Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
18
Der Antrag ist jedoch unbegründet, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage nicht angeordnet werden kann.
19
Nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegen das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin abgewogen wird. Grundlage ist dabei die anhand einer summarischen Prüfung erfolgende Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (BVerwG, B.v. 7.7.2020 – 7 VR 2/10 u.a. – juris Rn. 20; B.v. 23.1.2015 – 7 VR 6/14 – juris Rn. 8).
20
Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids erweist sich bei summarischer Prüfung auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
22
1. Die Niederlande sind der nach der Dublin-III-VO für das Asylverfahren der Antragstellerin zuständige Mitgliedstaat.
23
Die Zuständigkeit der Niederlande für den Asylantrag der Antragstellerin ergibt sich vorliegend aus Art. 12 Abs. 1 Dublin-III-VO, da die Antragstellerin einen bis 8. Dezember 2025 gültigen niederländischen Aufenthaltstitel besitzt (vgl. Bl. 65 der Bundesamtsakte). Das geltend gemachte Verwandtschaftsverhältnis zur Schwester der Antragstellerin führt nicht zu einer Zuständigkeit der Antragsgegnerin, da es sich bei der Schwester weder um eine Familienangehörige i.S.d. Art. 8 ff. i.V.m. Art. 2 Buchst. g Dublin-III-VO handelt, noch ein Abhängigkeitsverhältnis i.S.d. Art. 16 Dublin-III-VO zwischen der Antragstellerin und ihrer Schwester glaubhaft gemacht wurde.
24
Das Bundesamt hat am 15. November 2022 ein Aufnahmegesuch an die niederländischen Behörden gerichtet, das die niederländischen Behörden fristgerecht (Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO) mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 annahmen. Die Niederlande sind daher gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin-III-VO verpflichtet, die Antragstellerin aufzunehmen.
25
Die Bundesrepublik Deutschland ist auch nicht wegen Ablaufs der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden, denn diese wurde durch den vorliegenden, fristgerecht gestellten Antrag unterbrochen und läuft erst mit der Ablehnung des Antrags erneut an (vgl. Art. 29 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin-III-VO a.E.).
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2. Der Zuständigkeit der Niederlande steht weder Art. 3 Abs. 2 Uabs. 2 und 3 Dublin-III-VO (hierzu a)), noch eine der Antragstellerin im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch die Niederlande dort drohende, gegen Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung (hierzu b)) entgegen.
27
a) Es liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit der Niederlande in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-III-VO entfallen ließen und zum Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin-III-VO führen würden.
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(1) Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylsuchenden in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht.
29
Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). An diese Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße der zuständigen Mitgliedstaaten gegen Art. 3 EMRK genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende derart defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014 – 10 B 25/14 – juris).
30
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – hat der Europäische Gerichtshof – wegen des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh gleichermaßen für Asylsuchende und Anerkannte – die Maßstäbe für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylsuchender hiernach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin-III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist bzw. ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände für längere Zeit dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. des insoweit inhaltlich gleichen Art. 3 EMRK verstößt, das heißt seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. dazu VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 38).
31
Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris).
32
Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 93.).
33
Es lässt sich allerdings nicht völlig ausschließen, dass ein Asylsuchender oder Schutzberechtigter nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die im Fall der Überstellung bedeuten würden, dass er sich aufgrund besonderer Verletzlichkeit unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O).
34
(2) Vor diesem Hintergrund liegen auch unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklungen in den Niederlanden im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrende wie die Antragstellerin vor. Die durch den Europäischen Gerichtshof geforderte hohe Schwelle der Erheblichkeit wird nicht erreicht.
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Dublin-Rückkehrende haben Zugang zum Asylverfahren vor der niederländischen Asylbehörde IND (Immigratieen Naturalisatiedienst) (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 6; AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 54). In Wiederaufnahmeverfahren kann ein neuer Asylantrag gestellt werden, der meist als Folgeantrag gilt und neue Elemente enthalten muss (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 6; AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 54). In Aufnahmeverfahren können Dublin-Rückkehrende einen Erstantrag stellen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 6; AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 54). Alle Asylsuchenden haben das gesetzlich verankerte Recht auf materielle Versorgung, sobald sie ein Asylgesuch äußern; dies umfasst u.a. Unterbringung, wöchentliches Taschengeld, Krankenversicherung, Haftpflichtversicherung und Vorbereitung auf den Integrationstest (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 9; AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 95, 100). Im Fall eines unzulässigen Folgeantrags endet das Recht auf Versorgung (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 9). In der Regel erhalten Asylsuchende eine monatliche finanzielle Unterstützung bzw. Gutscheine in Höhe von 239,12 EUR; zusätzlich gibt es pro Person und Woche noch 12,95 EUR für Kleidung etc. (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 9). Die Höhe des wöchentlichen Taschengeldes ist davon abhängig, ob der jeweilige Asylsuchende in der Unterkunft verpflegt wird oder nicht (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 9).
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Auch während Aufnahmekrisen können Asylsuchende und anerkannt Schutzberechtigte in allen Verfahrensstadien in Not-Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 97). Zwar gab es in den Jahren 2021 und 2022 Situationen, in denen Asylsuchende, die in Ter Apel auf die Registrierungsmöglichkeit ihres Asylantrags warteten, im Gebäude auf Stühlen, dem Boden und draußen vor dem Gebäude schlafen mussten, jedoch wurde aufgrund dieser Problematik im September 2022 eine Unterbringungseinrichtung für noch nicht registrierte Asylsuchende in Marnewaard geschaffen, sodass seitdem außer in einer Nacht keine noch nicht registrierten Asylsuchenden mehr im Freien schlafen mussten (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 96).
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Nach sechs Monaten dürfen Asylsuchende für 24 Wochen im Jahr arbeiten (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 110; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 9). In der Praxis ist es wegen dieser zeitlichen Beschränkung und administrativer Hürden für Asylsuchende sehr schwer, Arbeit zu finden (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 111; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 9).
38
In jedem Aufnahmezentrum oder in dessen Nähe gibt es ein Gesundheitszentrum für Asylsuchende, in dem medizinische Fachkräfte zur Verfügung stehen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 11). Asylsuchende haben Zugang zu medizinischer Grundversorgung, wozu u.a. Krankenhausaufenthalte, Hausarztbesuche, Physiotherapie und psychologische Beratung gehören (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 11). Mehrere Einrichtungen sind auf die Behandlung von Asylsuchenden mit psychischen Problemen spezialisiert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12). In Not-Aufnahmeeinrichtungen ist die Gesundheitsversorgung manchmal auf medizinische Notfallversorgung beschränkt (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 113).
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(3) Ausgehend davon besteht im gegenwärtigen Zeitpunkt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Personen, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens in die Niederlande überstellt werden, auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende generell eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK droht. Die Niederlande verfügen unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist.
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Aufgrund dessen, dass für die Antragstellerin kein Eurodac-Treffer erzielt wurde, und aufgrund ihres eigenen Vortrags steht fest, dass sie in den Niederlanden noch keinen Asylantrag gestellt hat. Daher wird die Antragstellerin dort als Erstantragstellerin behandelt und hat Anspruch auf Unterbringung und Versorgung während des Asylverfahrens.
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Dass die Antragstellerin wie von ihr vorgetragen als Asylsuchende während des Asylverfahrens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf der Straße schlafen müsste, ist auf Grundlage der aktuellsten Erkenntnismittel nicht zu befürchten. Jedenfalls eine Not-Unterbringung ist für alle Asylsuchenden in allen Verfahrensstadien möglich (s.o.). Auch falls die Antragstellerin bis zur Registrierung ihres Asylantrags eine Wartezeit überbrücken müssen sollte, steht seit September 2022 hierfür eine Unterkunft zu Verfügung (s.o.).
42
b) Der Antragstellerin droht bei einer Rückkehr in die Niederlande auch im Fall der dortigen Zuerkennung internationalen Schutzes nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK.
43
(1) Aufgrund des allgemeinen und absoluten Verbotscharakters des Art. 4 GRCh soll die Überstellung von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens auch in all den Situationen ausgeschlossen sein, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Asylsuchenden bei ihrer Überstellung oder infolge ihrer Überstellung Gefahr laufen werden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85 ff.).
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es daher für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung oder während des Asylverfahrens oder erst nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffenden Personen aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-III-VO einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 f.). Das Asylsystem des nach der Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaates darf zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür geben, dass den Rücküberstellten bei einer Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 88). Demgemäß ist nicht lediglich die Situation von Asylsuchenden als Dublin-Rückkehrende in den Blick zu nehmen, sondern es ist eine zusätzliche Abschätzung der Situation bei einer Zuerkennung internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat erforderlich (VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 42; VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris Rn. 19).
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Wie oben für Dublin-Rückkehrende bereits dargelegt, kann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den vorherrschenden humanitären Bedingungen für anerkannte Schutzberechtigte erst gesehen werden, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht ist. Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22). Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22).
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Im Rahmen der diesbezüglich zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich; die Gefahr einer Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss auf Grund aller Umstände des Einzelfalls hinreichend sicher bestehen und nicht nur hypothetisch sein (OVG RhPf, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18.OVG – BeckRS 2020, 37249, Rn. 34).
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(2) Die Situation anerkannt Schutzberechtigter in den Niederlanden stellt sich wie folgt dar:
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Alle anerkannt Schutzberechtigten erhalten eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 132; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12). Nach Statuszuerkennung dürfen sie in der Unterkunft bleiben, bis eine Gemeinde Wohnraum für sie zur Verfügung stellt (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 148; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12). Im Januar 2023 wohnten 16.160 Schutzberechtigte in Aufnahmezentren (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 148). Die Unterbringungsagentur für Asylsuchende COA (Centraal Orgaan opvang Asielzoekers) ist verpflichtet, Wohnraum zu suchen und anzubieten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12). Die COA versucht, die Schutzberechtigten in der Gemeinde mit der größten Chance auf Integration unterzubringen, die jeweilige Gemeinde findet eine geeignete Unterkunft (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13). Das Angebot der Gemeinde kann abgelehnt werden; wenn die darauffolgende Überprüfung ergibt, dass die Ablehnung unberechtigt war, kann das Wohnangebot noch binnen 24 Stunden angenommen werden, anderenfalls muss die Aufnahmeeinrichtung verlassen werden (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 149). Familien wohnen in der Regel alleine, alleinstehende junge Menschen können zu mehreren unterbracht werden (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13).
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Anerkannt Schutzberechtigte haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt wie niederländische Staatsangehörige; in der Praxis gestaltet sich der Zugang jedoch u.a. aufgrund von Sprachbarrieren und physischen und psychischen Belastungen schwierig (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13; AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 150).
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Schutzberechtigte haben in gleichem Maße Zugang zu Sozialleistungen wie niederländische Staatsangehörige; dies umfasst u.a. allgemeine Sozialleistungen für Erwachsene zur Sicherung des Lebensunterhalts, Kinderbeihilfen, Krankenversicherungsbeihilfen, Pensionsbeihilfen, Kinderbetreuungsgeld (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13; AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 152 ff.).
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Anerkannt Schutzberechtigte haben Anspruch auf die gleiche Gesundheitsversorgung wie niederländische Staatsangehörige und müssen dieselben Krankenversicherungsbeiträge bezahlen; unter einer bestimmten Einkommensgrenze stehen ihnen entsprechende Krankenversicherungsbeihilfen zu (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13; AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 154).
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Seit Januar 2022 haben Schutzberechtigte in den ersten sechs Monaten der Unterbringung in einer Gemeinde keinen Anspruch mehr auf vollständige Auszahlung der Sozialleistungen, sondern die Gemeinde bezahlt davon direkt die Kosten für Wohnung, Energieversorgung und die Krankenkassenbeiträge; einen übrig bleibenden Rest erhalten die Schutzberechtigten als Taschengeld (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 152). Das Ziel dieses Systems ist, die Schutzberechtigten bei ihrem Start in den Niederlanden zu unterstützen, damit diese sich besser auf die Integration in die niederländische Gesellschaft konzentrieren können (AIDA, Country Report: Netherlands, 2022 Update, S. 152).
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In den Niederlanden bestehen folglich Unterbringungs- und Integrationsleistungen für anerkannt Schutzberechtigte, sie sind niederländischen Staatsangehörigen grundsätzlich gleichgestellt und haben ebenso Zugang zum Gesundheitssystem und zum Arbeitsmarkt.
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(3) Bezogen auf die Antragstellerin ist zunächst festzustellen, dass es sich bei ihr um eine gesunde und arbeitsfähige Frau handelt. Im Falle einer Anerkennung als international Schutzberechtigte erhielte sie in den Niederlanden eine Aufenthaltserlaubnis und dürfte arbeiten. Daneben hätte sie auch Zugang zum niederländischen Gesundheitssystem. Schließlich hätte sie auch einen Anspruch auf Verbleib in der Aufnahmeeinrichtung mit der entsprechenden Versorgung, bis eine Wohnung für sie gefunden wäre. Es besteht daher für das Gericht im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass es der Antragstellerin nicht möglich sein würde, sich durch ihre Arbeitskraft in den Niederlanden ein (wenn auch geringes) Einkommen zu erwirtschaften, und sie Gefahr liefe, ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht decken zu können, wie es der EuGH nach dem oben dargestellten Maßstab als erforderlich ansieht, um die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung zu begründen.
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3. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind nicht gegeben, insbesondere reicht hierfür die vorgetragene Unterstützung durch die Schwester der Antragstellerin nicht aus.
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4. Der Abschiebungsanordnung stehen keine Abschiebungshindernisse entgegen, die bei einer Überstellung der Antragstellerin in die Niederlande Berücksichtigung finden müssten. Dies gilt sowohl für zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, als auch für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, welche die Antragsgegnerin im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu überprüfen hat (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 4).
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Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bestehen nicht, denn wie bereits dargestellt droht der Antragstellerin in den Niederlanden nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da die Antragstellerin keine einer Abschiebung entgegenstehenden gesundheitlichen Beschwerden im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG geltend gemacht hat.
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Soweit die Antragstellerin vorträgt, ihr drohe seitens ihres ehemaligen Partners in den Niederlanden erhebliche Gefahr, ist sie darauf zu verweisen, Schutz durch die niederländischen Behörden zu suchen. Es ist nicht ersichtlich, dass die niederländischen Behörden nicht schutzfähig oder schutzwillig wären, insbesondere hatte sich die Antragstellerin bisher dort an niemanden gewandt.
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Im Übrigen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 77 Abs. 3 AsylG verwiesen.
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5. Aus den genannten Gründen hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache keine hinreichenden Erfolgsaussichten, sodass der Antrag abzulehnen war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.