Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 04.10.2023 – B 1 S 23.715
Titel:

Bedrohung, Waffe als Drohmittel, waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, offene Erfolgsaussichten, streitige Tatsachen, Interessenabwägung, gesetzgeberische Grundsatzentscheidung

Normenketten:
WaffG §§ 4 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 1 Nr. 2, 10 Abs. 1, 45 Abs. 2 S. 1, 46 Abs. 2 S. 1
BJagdG §§ 17 Abs. 1, Abs. 3, 18
Schlagworte:
Bedrohung, Waffe als Drohmittel, waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, offene Erfolgsaussichten, streitige Tatsachen, Interessenabwägung, gesetzgeberische Grundsatzentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53309

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 6.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutz die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage in Bezug auf den Widerruf der Waffenbesitzkarte sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage in Bezug auf die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins und die Anordnung, Waffen und Munition einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar machen zu lassen.
2
Der Antragsteller, geb. am … in …, ist Inhaber einer Waffenbesitzkarte mit der Nr. …, ausgestellt durch das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) am 19. Juni 2017 sowie eines Jagdscheins mit der Nr. …, ausgestellt durch das Landratsamt am 22. Mai 2017.
3
Im Jahr 2009 kam es aufgrund einer psychischen Ausnahmesituation des Antragstellers zu einem Einsatz des Sondereinsatzkommandos (im Folgenden: SEK) am Anwesen des Antragstellers, aufgrund dessen seine waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisse am 25. November 2009 durch das Landratsamt widerrufen wurden. Die Wiedererteilung der Erlaubnisse erfolgte im Jahr 2017.
4
Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 3. Februar 2023 wurde der Sohn des Antragstellers durch einstweilige Anordnung, befristet bis zum 2. August 2023, vorläufig zum Betreuer des Antragstellers bestellt, da der Antragsteller aufgrund seiner Erkrankung – einer akuten Pneumonie – seine Angelegenheiten nicht ausreichend selbst besorgen konnte.
5
Das Landratsamt wurde von Herrn S., Sohn und vorläufiger Betreuer des Antragstellers, am 26. Juni 2023 fernmündlich darüber informiert, dass der Antragsteller bei der Caritas-Sozialstation … eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen habe, in der er der Einrichtung gedroht habe, seine Waffe rauszuholen und zu schießen, sollten diese sein Haus betreten. Sein Vater habe auch behauptet, dass der Pflegedienst in seinen Schränken herumgewühlt habe.
6
Auch die Polizeiinspektion (im Folgenden: PI) … wurde von diesem über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Das Ermittlungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen … geführt. Aus dem Sachverhaltsbericht der PI … ergibt sich, dass diese am 3. Juli 2023 telefonischen Kontakt zu der Leiterin der Caritas-Sozialstation in …, Frau S., aufgenommen und in Erfahrung gebracht habe, dass die bedrohende Nachricht auf dem Anrufbeantworter bereits Anfang/Mitte 2023 hinterlassen und zwischenzeitlich gelöscht worden sei. Frau S. habe bei dem Gespräch ausgeführt, dem Antragsteller zuvor bereits persönlich begegnet zu sein und diesen eindeutig an seiner Stimme erkannt zu haben (vgl. BA Bl. 50). Da der Tatzeitpunkt ca. sechs Wochen zurückgelegen habe und sich der Antragsteller zunächst noch in einer Reha-Einrichtung – ohne Zugriff auf seine Schusswaffe – befunden habe, sei aus Sicht der Polizei keine akute Gefahr erkennbar gewesen, die Sofortmaßnahmen habe rechtfertigen können. Deshalb sei das Landratsamt am 14. Juli 2023 gebeten worden, unverzüglich ein Waffenbesitzverbot sowie eine Sicherstellungsanordnung zu erlassen, sodass eine sofortige Sicherstellung der Erlaubnisdokumente, Waffen und Munition erfolgen könne, wenn der Antragsteller am 17. Juli 2023 aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen werde.
7
Mit Schreiben des Landratsamts vom 3. Juli 2023 wurde der Antragsteller zum beabsichtigten Widerruf der Waffenbesitzkarte und des Jagdscheins sowie der Anordnung eines Erwerbs- und Besitzverbotes für Waffen und Munition angehört, wobei ihm eine Frist zur Stellungnahme bis zum 14. Juli 2023 eingeräumt wurde.
8
Eine Reaktion des Antragstellers auf das Anhörungsschreiben erfolgte nicht. Der Antragsteller befand sich zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus in stationärer Behandlung.
9
Mit Bescheid des Landratsamts vom 17. Juli 2023 wurde dem Antragsteller untersagt, die tatsächliche Gewalt über Waffen und Munition, auch erlaubnisfreie, auszuüben. Die Waffenbesitzkarte Nr. … und der Jagdschein Nr. … sowie eine Bockdoppelflinte, Beretta 690 Field III, Kal. 12/76, Nr. … und sämtliche Munition würden sichergestellt. Außerdem wurde der Sofortvollzug dieser Maßnahmen angeordnet. Aus dem Sicherstellungsprotokoll der PI vom 17. Juli 2023 ergibt sich, dass beim Antragsteller eine Bockdoppelflinte, eine Luftpistole Kaliber 4,5 (Steyr), der Jagdschein mit der Nr. …, die Waffenbesitzkarte mit der Nr. … und 10 Olympic Blues Patronen (Karton mit jeweils 25 Stück) sichergestellt wurden.
10
Mit Bescheid des Landratsamts vom 24. Juli 2023, zugestellt am 25. Juli 2023, wurde die Waffenbesitzkarte Nr. … des Antragstellers widerrufen (Ziff. 1). Außerdem werde der Jagdschein Nr. … für ungültig erklärt und eingezogen (Ziff. 2). Die bereits sichergestellte und derzeit beim Landratsamt aufbewahrte Waffe und Munition seien bis spätestens 21. August 2023 endgültig an einen Berechtigten zu überlassen oder durch einen Büchsenmacher dauerhaft unbrauchbar machen zu lassen. Dies sei dem Landratsamt schriftlich nachzuweisen (Ziff. 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffn. 2 und 3 werde angeordnet (Ziff. 4). Nach fruchtlosem Ablauf der in Ziff. 3 genannten Frist werde die noch vorhandene Waffe und Munition vom Landratsamt der Vernichtung zugeführt (Ziff. 5). Die Kosten des Verfahrens habe der Antragsteller zu tragen. Für diesen Bescheid werde eine Gebühr in Höhe von 180,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betrügen 4,11 EUR (Ziff. 6).
11
Der Antragsteller sei waffenrechtlich unzuverlässig nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG, weshalb gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG die waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen sei. Er habe der Caritas-Sozialstation … gegenüber gedroht, seine Schusswaffe herauszuholen und zu schießen, falls diese sein Wohnhaus betreten würde. Somit habe er eine Waffe als Droh- bzw. Einschüchterungsmittel benutzt, was eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründe.
12
Fehle die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG, so dürfe einer Person nur noch ein Falknerjagdschein nach § 15 Abs. 7 BJagdG erteilt werden. In den Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG sei ein Jagdschein für ungültig zu erklären, wenn Tatsachen vorlägen, welche die Versagung des Jagdscheines begründen würden. Aufgrund des Wegefalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit sei der Jagdschein für ungültig zu erklären und einzuziehen.
13
Angesichts des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnis ordne das Landratsamt gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG an, dass der Antragsteller seine Waffe und Munition binnen angemessener Frist einem Berechtigten überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen lassen habe. Die Waffen und die Munition könnten nach Verstreichen der Frist gemäß § 46 Abs. 5 Satz 1 WaffG eingezogen und verwertet oder vernichtet werden.
14
Rechtsgrundlage für den Sofortvollzug sei § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Es liege im überwiegenden öffentlichen Interesse, die Wirksamkeit der angeordneten Maßnahmen schon vor Ausschöpfung des Verwaltungsrechtsweges sicherzustellen. Der Sachverhalt liefere Indizien für eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers. Waffen und Munition in der Hand unzuverlässiger Personen stellten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Um diese Gefahr abzuwenden, müsse sichergestellt werden, dass ab sofort keine erlaubte Möglichkeit verbleibe, die tatsächliche Gewalt über Waffen und Munition auszuüben. Dieses öffentliche Interesse überwiege private Interessen des Antragstellers.
15
Es folgt die Begründung der Kostenentscheidung.
16
Mit Schriftsatz vom 4. August 2023, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 7. August 2023, ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag,
den Bescheid des Landratsamts … vom 24.07.2023 Az.: … aufzuheben.
17
Mit weiterem Schriftsatz vom 5. September 2023 wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung durch die Klageerhebung wieder herzustellen.
18
Zur Klage- bzw. Antragsbegründung wird ausgeführt, dass die telefonische Drohung gegenüber der Caritas-Sozialstation von Seiten des Antragstellers bestritten werde. Es sei nicht festgestellt worden, dass das Hinterlassen der Nachricht tatsächlich vom Antragsteller stamme. Der Antragsteller selbst gehe davon aus, dass möglicherweise sein Sohn hinter der Nachricht stecke. Dieser habe ein wirtschaftliches Interesse daran, dass Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Antragstellers bestünden, da dieser so nicht in der Lage sei, seinen Sohn zu enterben. Der Sohn habe auch eine vorläufige Betreuung des Antragstellers wegen dessen Krankenhausaufenthalt erwirkt, ohne den Antragsteller hiervon zu unterrichten. Die Betreuung sei durch das Landratsamt – Betreuungsstelle – aufgehoben worden. Außerdem sei nicht festgestellt worden, von welchem Telefon aus das Gespräch geführt worden sein soll, in dem der Antragsteller angeblich die Drohung ausgesprochen habe. Vielmehr würden die Angaben der Anzeigeerstatterin als nachgewiesen unterstellt. Eine Stellungnahme des Antragstellers zum Anhörungsschreiben sei nicht möglich gewesen, da sich dieser im Krankenhaus befunden habe. Aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft … vom 27. August 2023, welches vorgelegt wurde, ergebe sich, dass der Anzeige der Caritas mangels öffentlichen Interesses keine Folge gegeben werde.
19
Mit Antragserwiderungsschriftsatz vom 12. September 2023 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzuweisen.
20
Der Sohn des Antragstellers, Herr. S., habe dem Landratsamt am 26. Juni 2023 fernmündlich mitgeteilt, dass der Antragsteller der Caritas-Sozialstation … eine Drohung auf dem Anrufbeantworter hinterlassen habe. Da der Antragsteller bereits im Jahr 2009 wegen einer psychischen Ausnahmesituation einen SEK-Einsatz ausgelöst hätte, habe das Landratsamt mit Schreiben vom 3. Juli 2023 ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Nach Rücksprache mit der PI … und aufgrund der Tatsache, dass zum einen die Leiterin der Sozialstation, Frau S., den Antragsteller nach eigener Aussage an seiner Stimme eindeutig erkannt habe und die Mitteilung der Drohung an das Landratsamt durch den Sohn des Antragstellers, der als dessen Betreuer fungiere, erfolgt sei, habe es keinen Grund gegeben, die Aussagen anzuzweifeln. Das Landratsamt habe bereits zur vorbeugenden Gefahrenabwehr am 17. Juli 2023 ein Waffenbesitzverbot angeordnet und eine Sicherstellungsanordnung erlassen. Der Bescheid sei dem Antragsteller an diesem Tage gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt worden und deshalb inzwischen bestandskräftig. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 2023 sei lediglich der Widerruf der Waffenbesitzkarte sowie die Einziehung des Jagdscheins angeordnet worden. Diese Entscheidung sei angesichts des bestehenden Waffenbesitzverbotes notwendig und konsequent, da ein Belassen von erlaubnispflichtigen Waffen und Munition aufgrund dieses Waffenbesitzverbotes nicht möglich sei.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
22
1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
23
a. Der Antrag ist im wohlverstandenen Interesse des anwaltlich vertretenen Antragstellers dahingehend auszulegen, dass dieser die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Widerruf der Waffenbesitzkarten (Ziff. 1) und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins (Ziff. 2) sowie gegen die Anordnung, die am 17. Juli 2023 sichergestellte Waffe und Munition bis zum 21. August 2023 endgültig an einen Berechtigten zu überlassen oder durch einen Büchsenmacher dauerhaft unbrauchbar machen zu lassen (Ziff. 3), begehrt. Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziff. 1 ergibt sich bereits aus § 45 Abs. 5 Waffengesetz (WaffG). Danach hat die Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG keine aufschiebende Wirkung, sofern die Erlaubnis wegen des Nichtvorliegens oder Entfallens der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG widerrufen wird, so wie der Sachverhalt hier liegt.
24
b. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Bei der Prüfung sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
25
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der vorliegende Antrag keinen Erfolg. Zwar sind die Erfolgsaussichten der Klage bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen (aa.), jedoch kommt das Gericht bei Vornahme einer Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt (bb.).
26
aa. Die Kammer geht vorliegend nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung von offenen Erfolgsaussichten der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners vom 24. Juli 2023 aus.
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1) Rechtsgrundlage der Anordnung des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnis (Ziff. 1) ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Demgemäß ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz – hier: die Waffenbesitzkarte gemäß § 10 Abs. 1 WaffG – zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Ein Ermessensspielraum ist der Behörde dabei nicht eingeräumt. Eine Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Waffen setzt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Nr. 2 a), mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Nr. 2 b), oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Nr. 2 c).
28
Die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins (Ziff. 2) beruht auf § 18 Bundesjagdgesetz (BJagdG). Werden danach Tatsachen nach Erteilung des Jagdscheines bekannt, welche die Versagung des Jagdscheines begründen, so ist die Behörde in den Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG verpflichtet, den Jagdschein für ungültig zu erklären und einzuziehen. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 BJagdG ist der Jagdschein Personen zu versagen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzen. Gemäß § 17 Abs. 3 BJagdG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Nr. 1), mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Nr. 2), oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Nr. 3).
29
2) Das Landratsamt hat den Widerruf der Waffenbesitzkarte auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG und die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins auf § 17 Abs. 3 Nr. 1 BJagdG gestützt, da es davon ausgeht, dass bei dem Antragsteller prognostisch die Gefahr besteht, er könne seine Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden. Der Widerruf der Waffenbesitzkarte bzw. die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins basiert auf einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter der Caritas-Sozialstation …, in der der Antragsteller dieser gedroht habe, seine Schusswaffe herauszuholen und zu schießen, sollte der Pflegedienst sein Haus betreten. Seitens des Antragstellers wird bestritten, dass er selbst diese Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hat, da auch der Sohn des Antragstellers die Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen haben könnte.
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Angesichts des Umstandes, dass die – vorliegend die Grundlage des Widerrufs der Waffenbesitzkarte sowie der Ungültigkeitserklärung und der Einziehung des Jagdscheins bildende – Tatsache, ob die Nachricht auf dem Anrufbeantworter der Caritas-Sozialstation …, im Rahmen derer die Drohung eines Waffeneinsatzes im Falle des Betretens des Hauses des Antragstellers durch diesen ausgesprochen worden sein soll, tatsächlich so auf das Band gesprochen wurde und ob es auch der Antragsteller selbst und nicht etwa dessen Sohn war, der die Drohung ausgesprochen hat, in Streit steht und im Eilverfahren nicht abschließend aufgeklärt werden kann, geht die Kammer vorliegend von offenen Erfolgsaussichten der Klage aus.
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3) Es wird jedoch bereits an dieser Stelle ergänzend darauf hingewiesen, dass vieles dafürspricht, dass der Widerruf der Waffenbesitzkarte und auch die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins rechtmäßig war, wenn sich in einer mündlichen Verhandlung im Rahmen einer Beweisaufnahme – etwa durch eine Zeugenvernehmung der Frau S. von der Caritas-Sozialstation … – ergeben sollte, dass der Antragsteller tatsächlich diese Nachricht mit bedrohendem Inhalt auf das Band des Anrufbeantworters der Caritas-Sozialstation … gesprochen hat. In Anbetracht der in Rede stehenden Schutzgüter und dem strikt präventiven Charakter des Waffengesetzes sind die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. OVG Saarl, U.v. 12.3.2020 – 2 A 285/19 – juris Rn. 30). Das Waffengesetz fordert für den Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für ein Fehlverhalten. Vielmehr reicht eine auf Lebenserfahrung gestützte Einschätzung der Behörde aus, soweit diese auf tatsächlichen Anknüpfungspunkten basiert. Im strikt präventiven Waffenrecht gilt der Grundsatz, dass auch ein bloßes Restrisiko im Hinblick auf die missbräuchliche Verwendung von Waffen und Munition nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – juris Rn. 23; B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14 mit Hinweis auf st.Rspr. des BVerwG z.B. B.v. 31.1.2008 – 6 B 4/08 – juris, sowie B.v. 2.11.1994 – 1 B 215/93 – juris; Gade, Waffenrecht, 3. Aufl. 2022, § 5 WaffG, Rn. 20). Der Einwand des Antragstellers, der Strafanzeige der Caritas sei mangels öffentlichen Interesses keine Folge gegeben worden, verfängt nicht. Der Antragsteller verkennt hier die unterschiedlichen Zielrichtungen einerseits eines Strafverfahrens und andererseits des gefahrenabwehrrechtlich mit Blick auf die Zukunft intendierten waffenrechtlichen Verwaltungsverfahrens. Maßgeblich ist hier die Abwehr aktueller und künftiger Gefahren im Interesse der Allgemeinheit, die eine „Ungefährlichkeitsvermutung“ oder „im Zweifel“ einen Verzicht auf eine Gefahrenabwehr vor dem Hintergrund der staatlichen Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit nicht zulässt (SächsOVG, B.v. 28.4.2022 – 6 B 72/22 – juris Rn. 13; OVG Saarl., B.v. 9.12.2016 – 2 A 85/16 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die Waffenbehörde hat eine von einem etwaigen Strafverfahren unabhängige eigenständige Bewertung vorzunehmen, die sich insbesondere an präventiven Gesichtspunkten orientiert (BayVGH, B.v. 8.6.2022 – 24 CS 22.837 – juris Rn. 19).
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4) Bei der Anordnung in Ziff. 3 des streitgegenständlichen Bescheides, dass die bereits sichergestellten und derzeit beim Landratsamt aufbewahrte Waffe und Munition bis spätestens 21. August 2023 endgültig an einen Berechtigten zu überlassen oder durch einen Büchsenmacher dauerhaft unbrauchbar zu machen lassen sind und dies dem Landratsamt entsprechend schriftlich nachzuweisen ist, handelt es sich um eine Nebenentscheidung zum Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis, die auf § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG beruht. Insbesondere hat sich diese Anordnung nicht im Sinne von Art. 43 Abs. 2 Var. 4 BayVwVfG durch Zeitablauf erledigt, da die dem Antragsteller auferlegte Verpflichtung hierdurch nicht befristet wurde (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 43 Rn. 40c m.w.N.). Es wird dem Antragsgegner insofern nahegelegt, dem Antragsteller eine neue, angemessene Frist zur Erfüllung dieser Verpflichtung zu setzen. Diese Nebenentscheidung teilt das rechtliche Schicksal der Ziffn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides. Auch insofern müssen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs als offen beurteilt werden.
33
bb. Da nach alldem keine zuverlässige Prognose über den Verfahrensausgang getroffen werden kann, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich. Die eigens durchgeführte Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit seitens des Gerichts kommt zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen das private Interesse vorliegend überwiegen.
34
Das Interesse an einer sofortigen Vollziehbarkeit ist vorliegend durch das einschlägige materielle Recht – konkret das Waffenrecht – bereichsspezifisch vorgeprägt. Angesichts des mit dem privaten Waffenbesitz verbundenen erheblichen Sicherheitsrisikos besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, dieses Risiko möglichst gering zu halten und nur bei Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (BVerwG, U.v. 26.3.1996 – 1 C 12/95 – juris Rn. 25). Ist dieses Vertrauen nicht mehr gerechtfertigt oder bestehen erhebliche tatsachengestützte Zweifel an diesem Vertrauen, überwiegt das öffentliche Interesse, die Gefahr eines vorschriftswidrigen Umgangs mit Schusswaffen mit sofort wirksamen Mitteln zu unterbinden (vgl. so BayVGH, B.v. 15.8.2008 – 19 CS 08.1471 – juris Rn. 21). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei Waffenrecht um effektives Gefahrenabwehrrecht handelt.
35
Im Rahmen einer eigenständigen Interessenabwägung berücksichtigt die Kammer vorliegend insbesondere die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers gegen die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen den Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse wegen fehlender Zuverlässigkeit (vgl. § 45 Abs. 5 WaffG), die auf eben diesen Erwägungen beruht. Der Gesetzgeber hat in solchen Fällen einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet, den es hier zu beachten gilt und von dem nur aufgrund besonderer Umstände abgewichen werden kann. In derartigen Fällen sei im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung immer eine umgehende Beendigung des Waffenbesitzes geboten bzw. ein höherwertiges legitimes Interesse an einem weiteren Waffenbesitz bis zum Eintritt von Bestands- oder Rechtskraft nicht zu erkennen (BT-Drs. 16/7717, S. 33). Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte – neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.; BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332 -juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris LS). Der Antragsteller hat insoweit keine Gründe vorgetragen, die auf besondere, über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hingewiesen hätten, aufgrund derer eine Abwägung zugunsten seiner privaten Interessen ausfallen müsste.
36
Der im streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners verfügte Widerruf der Waffenbesitzkarte, aber auch die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins dienen im Übrigen dem besonderen Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit an einem sicheren und zuverlässigen Umgang mit Schusswaffen und daher dem Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Gegenüber diesen gewichtigen öffentlichen Interessen hat das rein private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung, wofür auch keine besonderen Gründe vorgetragen worden sind, weniger Gewicht. Dies gilt umso mehr in dem vorliegenden Fall, in dem aufgrund der Aussage der Leiterin der Caritas-Sozialstation …, die Stimme des Antragstellers beim Abhören der bedrohenden Nachricht auf dem Anrufbeantworter erkannt zu haben, zumindest ein gewichtiges Indiz dafür besteht, dass diese Nachricht auch tatsächlich vom Antragsteller und nicht etwa von dessen Sohn auf dem Anrufbeantworter der Sozialstation hinterlassen wurde. Jedenfalls bis dieser Umstand im Rahmen einer mündlichen Verhandlung aufgeklärt werden kann, überwiegt vorliegend das öffentliche Sicherheitsinteresse.
37
Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) besteht aus Gründen der Gefahrenabwehr regelmäßig auch für die mit der Widerrufsentscheidung verbundene notwendige Anordnung (Ziff. 3), vorhandene Waffen und Munition an einen Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG). Denn diese Folgeentscheidung stellt sicher, dass der kraft Gesetzes (§ 45 Abs. 5 WaffG) sofort vollziehbare Widerruf der Waffenbesitzkarte tatsächlich umgesetzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 21 CS 15.2718 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 21 CS 17.1964 – juris Rn. 24).
38
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller als unterliegende Partei, § 154 Abs. 1 VwGO.
39
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 1.5, 20.3 und 50.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).
I.
40
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth,
Hausanschrift: Friedrichstraße 16, 95444 Bayreuth oder Postfachanschrift: Postfach 110321, 95422 Bayreuth,
einzulegen.
41
Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwig straße 23, 80539 München oder Postfachanschrift in München: Postfach 340148, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach,
eingeht.
42
Über die Beschwerde entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
43
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht erster Instanz. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in den § 3 und § 5 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz bezeichneten Personen und Organisationen.
44
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen.
45
Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.
46
Die Beschwerde ist nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR nicht übersteigt.
II.
47
Für die Streitwertfestsetzung gilt diese Rechtsmittelbelehrungmit der Maßgabe, dass Vertretungszwang nicht besteht und die Beschwerde innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen ist. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Beschlusses eingelegt werden. Diese Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.