Titel:
Krankheitskostenversicherung, Rechtsmißbrauch, Rückforderungsansprüche, Geltendmachung der Unwirksamkeit, Hilfsaufrechnung, wirtschaftliche Betrachtungsweise, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Hemmung der Verjährung, Ablauf der Verjährungsfrist, Verjährung der Ansprüche, Einrede der Verjährung, Verjährungshemmung, Verjährungsbeginn, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Hinreichende Individualisierung, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Rechtsverfolgungskosten, Geschäftsgebühr, Prozeßbevollmächtigter
Schlagworte:
Zuständigkeit, Feststellungsinteresse, Prämienerhöhung, Unwirksamkeit, Verjährung, Bereicherungsausgleich, Passivenversicherung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 19.10.2023 – 14 U 1297/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53268
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist:
2. a) im Tarif Vital Z die Erhöhung zum 01.01.2014 um 13,86 €
3. b) im Tarif Vital 750 die Erhöhung zum 01.01.2011 um 59,06 €, zum 01.01.2015 um 83,23 € und zum 01.01.2017 um 90,57 €.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.768,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.08.2019 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie zwischen dem 01.01.2016 und dem 01.08.2019 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die unter 1. aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat.
4. Es wird festgestellt, dass die Erhöhung der Selbstbeteiligung im Tarif Vital 750 zum 01.01.2105 um 150 € unwirksam ist.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 20 % und die Beklagte 80 % zu tragen.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
8. Der Streitwert wird auf 25.571,30 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers.
2
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung. Die monatlich an die Beklagte zu zahlenden Versicherungsprämien wurden in den vergangenen Jahren im Rahmen von Beitragsanpassungen einseitig durch die Beklagte angepasst. Die Beitragsanpassungen wurden der Klagepartei dabei durch Übersendung eines Nachtragsversicherungsscheins sowie eines standardisierten Informationsschreibens zur jeweiligen Beitragsanpassung mitgeteilt.
3
Die Beklagte passte den Versicherungsbeitrag in den Tarifen Vital Z mit Wirkung vom 01.01.2014 um 13,86 €, im Tarif Vital 750 mit Wirkung vom 01.01.2011 um 59,06, mit Wirkung zum 01.01.2015 um 83,23 € und mit Wirkung vom 01.01.2017 um 90,57 € an. Außerdem erhöhte die Beklagte die jährliche Selbstbeteiligung im Tarif Vital 750 zum 01.01.2015 um 150 €.
4
Den Anpassungen lagen geänderte Leistungsausgaben zugrunde.
5
Der Nachtrag zum jeweiligen Versicherungsschein verweist dabei nach dem entsprechenden Tarif auf eine Kennziffer. Anhand dieser Kennziffer wird der Versicherungsnehmer unter einem weiteren Informationsblatt „Änderungsgründe“ auf ein Informationsschreiben zu den Beitragsänderungen verwiesen.
6
In dem Begleitschreiben zur Erhöhungsmitteilung zum 01.01.2011 heißt es insbesondere:
Warum steigen die Beiträge stärker als beispielsweise die Lebenshaltungskosten und Gehälter?
Der medizinische Fortschritt versorgt uns mit immer besseren Geräten, neuartigen Medikamenten und Therapien. Damit können heute viele Krankheiten erfolgreich therapiert oder sogar geheilt werden, die man früher kaum behandeln oder gar nicht erst diagnostizieren konnte. Eine erfreuliche Entwicklung. Eine Entwicklung, die auch Ihnen bei Bedarf zu Gute kommt. Allerdings gibt es diesen Qualitätszuwachs eben nicht zum Nulltarif.
Hinzu kommt: Gute medizinische Betreuung funktioniert nur mit ausreichendem und bestens qualifiziertem Personal. Auch das hat seinen Preis. Und so kommt es, dass der Kostenanstieg im Gesundheitswesen seit Jahrzehnten über der allgemeinen Inflationsrate liegt- dass die Beiträge zur Krankenversicherung stärker steigen als die Lebenshaltungskosten und Gehälter.
Welchen Einfluss hat die demografische Entwicklung auf die Beiträge?
Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den letzten 50 Jahren um 10 Jahre gestiegen! Dadurch werden auch immer länger und insgesamt häufiger Leistungen in Anspruch genommen. Diese Tatsache müssen wir bei der Kalkulation der Beiträge berücksichtigen.
Wie setzt sich der Beitrag zur Krankenversicherung zusammen (…)
Welche Leistungen werden im Risikoanteil eines Tarifbeitrags berücksichtigt?
Je umfassender die Leistungen eines Tarifs, desto höher fällt natürlich der Beitrag aus. Allerdings ist der medizinische Fortschritt nicht von vornherein miteinkalkuliert. Denn nach den Vorschriften des Bundesfinanzministeriums dürfen wir nur die Leistungen berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Berechnung tatsächlich in Anspruch genommen werden können. Ausgaben für später entwickelte Behandlungsmethoden und Arzneimittel bleiben also zunächst außen vor.
Deshalb sind alle privaten Krankenversicherer verpflichtet, einmal jährlich die kalkulierten Leistungsausgaben mit den zukünftig erforderlichen zu vergleichen. Dies erfolgt für jeden Tarif separat und getrennt nach Alter und Geschlecht. Weichen die Zahlen um 10 % oder mehr voneinander ab, sind wir gesetzlich verpflichtet, die Beiträge anzupassen. Nur so können wir dauerhaft das Ihnen gegebene Leistungsversprechen halten.
Werden die Beträge aller Verträge gleichermaßen angepasst?
(…) Wer berechnet und prüft eine Beitragsanpassung.
Verantwortlich für die Kalkulation der Beiträge ist zunächst der vom Versicherer bestellte Aktuar (Versicherungs- und Wirtschaftsmathematiker). Im zweiten Schritt muss ein unabhängiger Treuhänder die Kalkulation prüfen und der Anpassung zustimmen. Erst dann kann eine Beitragsanpassung wirksam werden.
Und schließlich wacht auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht darüber, dass die Kalkulationen korrekt durchgeführt werden. Die Versicherten können also sicher sein, dass die Beitragserhöhungen stets dreifach geprüft und angemessen sind.
(…) In dem Begleitschreiben zur Erhöhungsmitteilung zum 01.01.2014 heißt es insbesondere:
Was sind die Gründe für die Beitragsanpassung?
Mit Ihrer privaten Krankenversicherung (PKV) sichern Sie sich lebenslang eine optimale Versorgung. In der privaten Krankenversicherung (PKV) stehen Ihnen alle Möglichkeiten der modernen Medizin offen- und das ein Leben lang. Denn die einmal vertraglich vereinbarten Leistungen sind lebenslang garantiert.
Ihr privater Krankenversicherungsschutz berücksichtigt darüber hinaus den medizinischen Fortschritt bei Diagnostik, Therapiemethoden und Medikamenten. Mit dem medizinischen Fortschritt wächst also der Umfang Ihres Versicherungsschutzes.
Damit wir unser Leistungsversprechen dauerhaft einhalten können, müssen wir wie alle privaten Krankenversicherer einmal jährlich alle Beiträge überprüfen. Dies erfolgt in der Kranken-, Krankentagegeld- und Pflegeergänzungsversicherung für jeden einzelnen Tarif, getrennt nach Alter und Geschlecht.
Bei der Überprüfung vergleichen wir die kalkulierten Leistungsausgaben mit den zukünftig erforderlichen. Weichen die Zahlen um den in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen festgelegten Prozentsatz nach oben oder unten voneinander ab, müssen die Beiträge angepasst werden. Hierzu sind wir gesetzlich verpflichtet.
Neben den Leistungsausgaben beeinflussen weitere Faktoren den Beitrag.
Steigende Lebenserwartung (…)
Kapitalmarktsituation (…)
Entwicklung des Versichertenbestandes (…)
Wer berechnet und prüft eine Beitragsanpassung?
Verantwortlich für die Kalkulation der Beiträge ist zunächst der vom Versicherer bestellte Aktuar (Versicherungs- und Wirtschaftsmathematiker). Im zweiten Schritt muss ein unabhängiger Treuhänder die Kalkulation prüfen und der Anpassung zustimmen. Erst dann kann eine Beitragsanpassung wirksam werden.
Darüber hinaus prüft auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Rahmen ihrer Mißstandsaufsicht die Kalkulation. Somit ist eine dritte Instanz eingebunden. Die Versicherten können also sicher sein, dass die Beitragserhöhungen stets dreifach geprüft und angemessen sind.
(…) In dem Begleitschreiben zur Erhöhungsmitteilung zum 01.01.2015 heißt es insbesondere:
Was sind die Gründe für die Beitragsanpassung in der Kranken-, Krankentagegeld- und Pflegeergänzungs-Versicherung?
Mit Ihrer privaten Kranken-/Pflegeversicherung sichern Sie sich lebenslang eine optimale Versorgung. In der privaten Krankenversicherung (PKV) stehen Ihnen alle Möglichkeiten der modernen Medizin offen – und das ein Leben lang! Denn die einmal vertraglich vereinbarten Leistungen sind lebenslang garantiert.
Ihr privater Krankenversicherungsschutz berücksichtigt darüber hinaus den medizinischen Fortschritt bei Diagnostik, Therapiemethoden und Medikamenten. Mit dem medizinischen Fortschritt wächst also der Umfang Ihres Versicherungsschutzes.
Damit wir unser Leistungsversprechen dauerhaft einhalten können, müssen wir wie alle privaten Krankenversicherer einmal jährlich alle Beiträge überprüfen. Dies erfolgt in der Kranken-, Krankentagegeld- und Pflegeergänzungsversicherung für jeden einzelnen Tarif, getrennt nach Alter und – für Verträge, die nach dem 21.12.2012 abgeschlossen wurden – zusätzlich nach Geschlecht.
Bei der Überprüfung vergleichen wir die kalkulierten Leistungsausgaben mit den zukünftig erforderlichen. Weichen die Zahlen um den in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen festgelegten Prozentsatz nach oben oder unten voneinander ab, müssen die Beiträge angepasst werden. Hierzu sind wir gesetzlich verpflichtet.
Neben den Leistungsausgaben beeinflussen weitere Faktoren den Beitrag:
Steigende Lebenserwartung (…)
Kapitalmarktsituation (…)
Entwicklung des Versichertenbestandes (…)
In dem Begleitschreiben zur Erhöhungsmitteilung zum 01.01.2017 heißt es auszugsweise:
Was sind die Gründe für die Beitragsanpassung in der Kranken-, Krankenhaustagegeld- und Pflegeergänzungs-Versicherung?
Mit Ihrer privaten Kranken-/Pflege-Versicherung sichern Sie sich eine optimale Versorgung. In der privaten Krankenversicherung (PKV) stehen Ihnen alle Möglichkeiten der modernen Medizin offen – und das ein Leben lang! Denn die einmal vertraglich vereinbarten Leistungen sind lebenslang garantiert. Darüber hinaus wächst mit dem medizinischen Fortschritt der Umfang Ihres privaten Krankenversicherungsschutzes, denn er berücksichtigt neue Methoden bei Diagnostik, Therapie sowie neue Medikamente.
Damit wir unser Leistungsversprechen dauerhaft einhalten können, müssen wir wie alle privaten Krankenversicherer einmal jährlich alle Beiträge überprüfen. Dies erfolgt in der Kranken-, Krankenhaustagegeld- und Pflegeergänzungs-Versicherung für jeden einzelnen Tarif, getrennt nach Alter und – für Verträge, die vor dem 21.12.2012 abgeschlossen wurden – zusätzlich nach Geschlecht.
Bei der Überprüfung vergleichen wir die kalkulierten Leistungsausgaben mit den zukünftig erforderlichen Leistungsausgaben. Weicht das Ergebnis dieser Überprüfung um mehr als den in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen festgelegten Prozentsatz nach oben oder unten voneinander ab, müssen die Beiträge überprüft werden. Hierzu sind wir gesetzlich verpflichtet.
Die aktuelle Überprüfung der Beiträge in der Kranken-, Krankenhaustagegeld- und Krankentagegeldversicherung hat bei den Leistungsausgaben Abweichungen oberhalt der für die Tarife festgelegten Prozentsätze ergeben, so dass die Beiträge zum 01.01.2017 angepasst werden müssen. Der einzige Tarif ist der Tarif Za25. Hier hat die Überprüfung Abweichungen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung ergeben, so dass Anpassungsbedarf besteht.
Wenn eine Beitragsanpassung erfolgt, müssen neben veränderten Leistungsausgaben auch weitere Faktoren bei der Beitragskalkulation berücksichtigt werden. Diese sind:
Steigende Lebenserwartung (Sterbewahrscheinlichkeiten) (…)
Kapitalmarktsituation (…)
Entwicklung des Versichertenbestandes (…)
7
Mit Schreiben vom 14.06.2019 forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte zur unverzüglichen Zahlung von 14.270,76 € auf. Mit Schreiben vom 12.07.2019 verweigerte die Beklagte eine Rückzahlung (Anlagenkonvolut K 3).
8
Am 04.01.2020 stürzte der Kläger beim Skifahren und verletzte sich im Bereich des rechten Knies. Zur Abklärung der Unfallfolgen hielt der behandelnde Arzt … aus … ein MRT des rechten Knies für erforderlich. Diese wurde am 09.01.2020 im Klinikum … durchgeführt. Dort erfolgte durch den durchführenden Arzt keine mündliche Erläuterung des MRT-Befundes. Dies erfolgte im Rahmen einer Besprechung durch Dr. ... am 14.01.2020, wofür er nach Ziffer 80 GOÄ einen Betrag von 40,22 € in Rechnung stellte.
9
Die Beklagte lehnte insoweit eine Kostenerstattung ab.
10
Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.03.2020 wurde die Beklagte zur Erstattung der Rechnung zuzüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 € aufgefordert. Mit Schreiben vom 30.03.2020 wurde die Kostenerstattung abgelehnt.
11
Der Kläger behauptet, die Beitragserhöhungen seien formal unwirksam, da die gesetzlichen Anforderungen an die jeweiligen Begründungen aus § 203 Abs. 5 VVG nicht eingehalten worden seien. Informationen zu den Gründen der Erhöhung in den konkret von der Anpassung betroffenen Tarifen seien nicht erteilt worden. Auch den Informationen zur Beitragsanpassung fehle jeder Bezug zu der konkret beim Kläger vorgenommenen Beitragsanpassung. Der auslösende Faktor sei nicht mitgeteilt worden, was jedoch erforderlich sei. Die Beklagte erwecke zudem in ihren Anpassungsmitteilungen den unzutreffenden Eindruck, die Aufsichtsbehörde habe die konkrete Beitragshöhe überprüft. Die Begründungsmängel seien vorliegend auch nicht geheilt. Hierzu wäre eine Begründung im Rahmen einer erneuten Erhöhungserklärung erforderlich, aus der sich der neue Erhöhungszeitpunkt ergibt. Eine Heilung sei nur vorprozesssual möglich.
12
Die Beitragsanpassungen seien darüber hinaus unwirksam, da die materiellen Voraussetzungen für eine Prämienerhöhung nicht gegeben gewesen seien. Der auslösende Faktor sei nicht höher als 105 bzw. 110 gewesen. Jedenfalls ließen die von der Beklagten überreichten Unterlagen diese Prüfung nicht zu. Die vorgelegten Anlagen enthielten keine kommentierte Gegenüberstellung der erforderlichen und der kalkulierten Versicherungsleistungen. Auch entspreche die Berechnungsweise der Beklagten nicht den gesetzlichen Vorgaben und sei nicht gleichwertig. Die Herleitung der Schadensquotienten sei durch die Unterlagen nicht belegt. Die Rechnungsgrundlagen seien nicht vollständig nachgewiesen. Weiterhin bestreitet die Klagepartei, dass die Prämie bei vorangegangenen Neu- und bei der Erstkalkulation zureichend kalkuliert und die neue Prämie im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben kalkuliert worden sei und die Limitierungsmaßnahmen der Beklagten den Anforderungen des § 155 II VAG entsprochen hätten. Eine Überprüfung der Limitierungsmaßnahmen sei anhand der Unterlagen nicht möglich. Die Verteilung der Limitierungsmittel auf die einzelnen Tarife werde in den Unterlagen nicht nachvollziehbar begründet, sondern im Wesentlichen nur der Höhe nach mitgeteilt. Die Unterlagen seien unvollständig, da teilweise „geweißt“. Auch die Einhaltung eines Ermessensspielraums lasse sich nicht nachvollziehen. Es fehle eine Übersicht über die in den hiesigen Anpassungsjahren nicht betroffenen Tarife. Die konkreten Werte der erforderlichen und der kalkulierten Versicherungsleistungen seien den Treuhändern nie mitgeteilt worden.
13
Auf § 8 b I AVB könne eine Anpassung nicht gestützt werden, da diese Regelung nach § 208 S. 1 VVG, § 307 I BGB unwirksam sei. Die individuelle Prämie sei nicht zutreffend berechnet worden.
14
Auch die Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders fehle, da die von der Beklagten benannten Treuhänder von ihr abhängig gewesen seien. Die Erhöhung der Selbstbeteiligung sei formell und materiell unwirksam. Eine vertragliche Vereinbarung sei für den Tarif Vital 750 nicht getroffen worden. Zudem sei die Erhöhung unwirksam, da die parallel vorgenommene Prämienerhöhung im Tarif Vital 750 unwirksam gewesen sei. Die Anpassung sei nicht bzw. nur pauschal begründet worden. Eine vorliegende Zustimmung des Treuhänders werde bestritten. Erforderlich sei die Zustimmung des Prämientreuhänders. Es liege dagegen nur die Zustimmung des juristischen Treuhänders vor.
15
Eine Verjährung der Ansprüche sei nicht eingetreten. Ab dem 20.12.2018 sei die Verjährung bis zur Klageerhebung nach § 204 I Nr. 4 a, II BGB gehemmt gewesen aufgrund einer eingelegten Beschwerde beim Ombudsmann der Privaten Krankenversicherung. Vor 2017 habe der Kläger die anspruchsbegründenden Umstände nicht gekannt.
16
Den Wert des genossenen Versicherungsschutzes müsse sich der Kläger nicht anrechnen lassern, da die Saldotheorie nur bei Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages anwendbar sei. Eine Entreicherung liege nicht vor. Die Tilgung eigener Schulden mit Hilfe des rechtsgrundlos Erlangten begründe keine Entreicherung, da der Leistungsempfänger weiterhin um die Befreiung von der Verbindlichkeit bereichert ist. Die von der Beklagten gebildeten Rückstellungen befinden sich weiterhin in ihrem Vermögen.
17
Der Kläger beantragt zuletzt:
- 1.
-
festzustellen, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer 000832152C unwirksam sind und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist:
- 2.
-
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 14.683,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.08.2019 zu zahlen.
- 3.
-
festzustellen, dass die Beklagte
- 4.
-
festzustellen, dass die Erhöhung der Selbstbeteiligung im Tarif Vital 750 zum 01.01.2105 um 150 € unwirksam ist.
- 5.
-
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 1.102,12 € freizustellen.
- 6.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 40,22 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. ab dem 02.04.2020 nebst außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. ab dem 02.04.2020 zu zahlen.
18
Die Beklagte beantragt,
19
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Mitteilungen den formellen Anforderungen genügen, lin den Schreiben sei der Hinweis enthalten, dass Auslöser für die strittigen Beitragsanpassungen allein die Entwicklung der Leistungsausgaben gewesen seien. Die Mitteilung der konkreten Höhe der Veränderung sei nicht erforderlich. Vielmehr reiche es für die Prämienanpassung aus, dass die Veränderung den in den Versicherungsbedingungen festgelegten Schwellenwert übersteige. Dies ergebe sich bereits aus der Vornahme der Prämienanpassung.
20
Eine Abhängigkeit der Treuhänder habe nicht vorgelegen. Hierauf käme es nach der Rechtsprechung des BGH ohnehin nicht an. Die Klageforderung berücksichtige nicht die erfolgten Beitragsrückerstattungen.
21
Die Anpassungen seien auch in materieller Hinsicht wirksam vorgenommen worden. Die Beklagte habe diese fehlerfrei kalkuliert und habe bei der Berechnung die vertraglichen und gesetzlichen Vorschriften eingehalten. Die Zustimmung des Treuhänders sei nicht zu beanstanden. Auch die Erstkalkulation sei durch die Treuhänder überprüft worden. Die Unterlagen zur Erst- oder Vorkalkulation müssten dem Treuhänder auch nicht bei jeder Beitragsanpassung erneut vorgelegt werden. Vielmehr beziehe sich die Prüfung des Treuhänders auf die jeweils aktuelle Beitragsanpassung. Hinsichtlich der Einhaltung der Limitierungsmaßnahmen stehe den Treuhändern kein umfassendes und weitgehendes Mitspracherecht zu. Das originäre Entscheidungsrecht über die Mittelverwendung verbleibe zunächst beim Versicherer.
22
§ 8 b I S. 4 MB/KK sehe die vertragliche Anpassung von Selbstbehalten mit den Versicherungsnehmern vor. Das in den AVB vereinbarte Anpassungsrecht sei auch wirksam.
23
Durch die durch die Versicherung habe der Kläger auch Vermögensvorteile erzielt, mit denen die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung gegen die bezifferte Klageforderung erklärt. Da die Beklagte die erhaltenen Versicherungsprämien zweckentsprechend verwendet habe, sei sie entreichert. Eine Bereicherung bestünde allenfalls in Höhe der Gewinnquote.
24
Die Beklagte erhebt hinsichtlich Rückzahlungsansprüchen bis einschließlich des Jahres 2015 die Einrede der Verjährung. Eine Hemmung der Verjährung sei nicht eingetreten. Soweit dem Gläubiger bereits bei Einleitung des Güteverfahrens bekannt ist, dass der Schuldner an einem Güteverfahren nicht teilnehmen wird, sei bereits die Einleitung des Verfahrens rechtsmissbräuchlich. Weiterhin sei der Güteantrag nicht ausreichend individualisiert gewesen.
25
Ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der in Rechnung gestellten Beratungskosten bestehe nicht. Die Begutachtung und Stellungnahme zu Fremdbefunden im Rahmen der ärztlichen Leistungen sei nicht gesondert berechnungsfähig, sondern in der vom Arzt erbrachten Leistung der Beratung enthalten. Ein Verzug der Beklagten bestehe insoweit nicht.
26
Die Beklagte bestreitet, dass ein Auftrag zur außergerichtlichen Interessenwahnehmung vorgelegen habe. Sofern ein Auftrag bestanden hätte, hätte eine Beratung dahingehend erfolgen müssen, dass der Versuch einer außergerichtlichen Interessenwahnehmung erkennbar sinnlos sei. Die vorprozessuale Tätigkeit habe nur der Vorbereitung der Klage gedient und gehöre daher zum Rechtszug. Ein überdurchschnittlicher Aufwand liege nicht vor. Zudem bestreitet die Beklagte die Aktivlegitimation des Klägers im Hinblick auf eine bestehende Rechtsschutzversicherung.
27
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines versicherungsmathematischen Gutachtens. Hinsichtlich des Inhalts des Gutachtens wird auf Bl. 277-289 der Akten Bezug genommen. Der Sachverständige hat das Gutachten schriftlich ergänzt. Insoweit wird auf Bl. 322-324 der Akten Bezug genommen. Weiterhin hat das Gericht den Sachverständigen mündlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.01.2023 (Bl. 357-364 der Akten) Bezug genommen.
28
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird weiterhin Bezug genommen auf die weiteren Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 12.05.2020 und 29.06.2020, die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie den sonstigen Akteninhalt.
Entscheidungsgründe
29
Die zulässige Klage erweist sich als überwiegend begründet.
30
Die Klage ist zulässig.
31
1. Das Landgericht Memmingen ist gemäß § 215 Abs. 1 S. 1 VVG örtlich sowie gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.
32
2. Daneben liegt das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO bezüglich des Feststellungsantrages Ziffer 1. vor.
33
Der Feststellungsantrag Ziffer 1. ist im angegebenen Umfang zulässig, da alleine mit einem Leistungsantrag und einem hieraus folgenden Leistungsurteil nicht rechtskräftig festgestellt wäre, dass der Kläger zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus der angegriffenen Beitragsanpassung ergebenden Erhöhungsbeitrags verpflichtet ist (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 19.12.2018 – Az. IV ZR 255/17). Die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen stellt zudem eine Vorfrage für den Leistungsantrag dar und geht über das dort erfasste Rechtsschutzziel des Klägers hinaus (vgl. BGH a.a.O.).
34
3. Die Feststellungsanträge in Ziffern 3 und 4 sind nach den Maßgaben des Urteils des BGH, a.a.O., zulässig.
35
Die Klage ist hinsichtlich der Feststellungsanträge Ziffer 1 und 4 begründet. Der Feststellungsantrag Ziffer 3 a ist nur teilweise begründet, ebenso der Leistungsantrag, der Feststellungsantrag Ziffer 3 b ist unbegründet.
36
1. Eine Unwirksamkeit der Anpassungsmitteilungen ergibt sich entgegen der Klagepartei allerdings nicht aus der behaupteten fehlenden Unabhängigkeit des Treuhänders.
37
Die in Rechtsprechung und Literatur streitige Frage, ob die Unabhängigkeit des Treuhänders in zivilgerichtlichen Verfahren betreffend Prämienerhöhungen gerichtlich überprüfbar ist oder nicht, hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17 – dahingehend entschieden, dass die Unabhängigkeit des Treuhänders von Zivilgerichten im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung nicht gesondert zu prüfen ist. Soweit § 203 Abs. 2 S. 1 VVG die Berechtigung des Versicherers zur Neufestsetzung der Prämie von der Zustimmung eines „unabhängigen Treuhänders“ abhängig macht, handelt es sich dabei nur um eine Bezeichnung für diejenige Person, die nach den Bestimmungen des VAG – § 12 b VAG a.F. bzw. §§ 155, 157 VAG – für diese Aufgabe bestellt worden ist. Dagegen stellt die Unabhängigkeit des Treuhänders kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal dar, das von den Zivilgerichten im Rechtsstreit um die Berechtigung der Prämienanpassung gesondert zu prüfen ist. Dies folgt aus einer Auslegung des § 203 VVG, die ausgehend von dem Wortlaut und der Systematik der gesetzlichen Regelung ihre Entstehungsgeschichte, ihren Sinn und Zweck sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes berücksichtigt (BGH, Urteil vom 19.12.2018, – IV ZR 255/17 –, VersR 2018, 283 ff. in juris Rn. 30).
38
Der Kammer folgt dieser Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs. Das OLG Köln führt hierzu in seiner Entscheidung vom 17.12.2019, 9 U 131/18 wie folgt aus: „Entscheidend für die Auffassung des Bundesgerichtshofs spricht der Sinn und Zweck der Regelung in § 203 Abs. 2 S. 1 VVG. Der Berechtigung zur Prämienanpassung „für bestehende Versicherungsverhältnisse“ liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Versicherer sein unter den gesetzlichen Voraussetzungen bestehendes Gestaltungsrecht nicht für einzelne, sondern nur für eine Mehrzahl gleichartig betroffener Verträge ausüben soll. Das gesetzliche Anpassungsrecht des Versicherers zielt vorrangig darauf ab, die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge zu gewährleisten und dient damit der Wahrung der Belange aller Versicherten. Der die Zustimmung erklärende Treuhänder ist insoweit Vertreter der Interessen der Gesamtheit der Versicherungsnehmer. Seine Entscheidung dient dabei der Wahrung der Belange aller Versicherten, die mit den individuellen Interessen einzelner Versicherungsnehmer nicht durchweg übereinzustimmen brauchen. Die Entscheidung über die Voraussetzungen für die Bestellung eines unabhängigen Treuhänders und deren Überwachung ist allein im Aufsichtsrecht zu suchen. Die Unabhängigkeit des die Zustimmung erteilenden Treuhänders ist daher vorliegend nicht zu überprüfen“ Die Kammer folgt diesen Ausführungen des OLG Köln und macht sie sich zu eigen.
39
2) a) Die Anpassungsmitteilungen für die Jahre 2011, 2014 und 2015 genügen jedoch nicht den formellen Anforderungen des § 203 VVG.
40
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom 16.12.2020 (Az. IV ZR 314/19 und IV ZR 294/19) die Anforderungen an die Begründung der Beitragsanpassung konkretisiert. Danach ist allein die Angabe der Berechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Änderung die neue Anpassung veranlasst hat, erforderlich. Hierdurch wird der Zweck, den Versicherungsnehmer darüber zu informieren, dass für die Beitragsanpassung nicht sein individuelles Verhalten ursächlich war, erreicht. Eine gesonderte Erklärung des Versicherungsunternehmens, dass nicht der Kläger allein für die Beitragsanpassung verantwortlich ist, ist somit nicht erforderlich. Zudem müssen weitere Faktoren, welche Einfluss auf die Prämienberechnung haben, wie beispielsweise die Änderung des Rechnungszinses, nicht angegeben werden. Auch muss nicht mitgeteilt werden, in welcher Höhe sich die Berechnungsgrundlage verändert hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16.12.2020 – Az. IV ZR 294/19).
41
Die vorstehenden Erläuterungen der Beklagten hinsichtlich der Jahre 2011, 2014 und 2015 erfüllen diese Anforderungen nicht. Wie das OLG Köln in seiner Entscheidung vom 17.12.2019, 9 U 131/18 zu den Anpassungsmitteilungen der Beklagten für die Jahre 2014 und 2015 ausführt, sind diese allgemein gehalten. Eine hinreichend klare Bezugnahme auf die Rechnungsgrundlage, welche die konkrete Prämienanpassung ausgelöst hat, erfolgt nicht. Den Erläuterungen kann der Versicherungsnehmer zwar noch entnehmen, dass eine jährliche Überprüfung der Beiträge in Bezug auf die Leistungsausgaben durchgeführt wird. Das Ergebnis der aktuellen Überprüfung wird jedoch nicht mitgeteilt. Dass einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse der Rückschluss von den allgemein gehaltenen Erläuterungen zu der Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlage Leistungsausgaben in Bezug auf seinen konkreten Tarif gelingt, ist nicht bzw. jedenfalls nicht zwingend zu erwarten. An dieser Stelle bedurfte es eines klaren Hinweises. Ein solcher Hinweis ist ohne übermäßigen Verwaltungsaufwand unschwer möglich, wie der Inhalt der nachfolgenden Mitteilungen für die Beitragsanpassungen zum 01.01.2017 zeigt. (vgl. OLG Köln, a.a.O.).
42
Hinzu kommt, wie das OLG Köln ebenfalls in der genannten Entscheidung ausführt, dass die Erläuterungen der Beklagten in dem Informationsblatt zur Beitragsanpassung zum 01.01.2014 und 2015 missverständlich, wenn nicht gar inhaltlich falsch sind. Ein Versicherungsnehmer wird bei einem Blick in die Versicherungsbedingungen feststellen, dass nach § 8 b MB/KK jährlich für jeden Tarif nicht nur die Versicherungsleistungen, sondern auch die Sterbewahrscheinlichkeiten zu überprüfen sind. Abweichungen bei einer der beiden Rechnungsgrundlagen über dem jeweils geltenden Prozentsatz können, wie in den Bedingungen ausgeführt, eine Beitragsanpassung auslösen. Entsprechendes ergibt sich aus § 203 VVG i.V.m. der dort genannten Normenkette. Für einen Empfänger der Mitteilung der Beklagten stellt sich daher bei einem Abgleich mit den gesetzlichen und tariflichen Vorgaben für eine Beitragsanpassung die Frage, ob nach dem Inhalt des Informationsblattes eine vorgeschriebene Überprüfung der Sterbewahrscheinlichkeiten nicht durchgeführt wurde oder nur deshalb nicht erwähnt wird, weil eine Abweichung über dem Prozentsatz von 5 % nicht festgestellt wurde. Auch insofern sind die Angaben unklar.
43
Zusätzlich verwirrend ist, dass in dem Informationsblatt unter den weiteren Faktoren, die neben den Leistungsausgaben den Beitrag beeinflussen können, an oberster Stelle die steigende Lebenserwartung genannt wird. Die Begriffe „steigende Lebenserwartung“ und „Sterbewahrscheinlichkeit“ werden in der Praxis synonym verwendet, wie die Diktion in dem Informationsschreiben der Beklagten zur Beitragsanpassung zum 01.01.2017 zeigt. Dort heißt es zu „steigende Lebenserwartung“ in Klammern „Sterbewahrscheinlichkeiten“. Ein objektiver Empfänger, der die rechtlichen Grundlagen für eine Beitragsanpassung nachvollzogen hat, wird sich deshalb fragen, ob die Beklagte bei den streitgegenständlichen Beitragserhöhungen Veränderungen bei der Rechnungsgrundlage Sterbewahrscheinlichkeit nur für die Berechnung der Beitragshöhe oder auch als möglichen auslösenden Faktor berücksichtigt hat. Bei der Auflistung der weiteren Faktoren ist nur von „Beitrag“ und nicht – wie in den zeitlich späteren Informationen – von „Beitragskalkulation“ die Rede ist. (vgl. OLG Köln, a.a.O., bestätigt durch BGH Urteil vom 10.03.2021, IV ZR 353/19).
44
Angesichts der aufgezeigten Widersprüchlichkeiten ist gerade auch bei einem informierten Versicherungsnehmer eine dahingehende Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt, dass dieser schon der Erwähnung nur der Leistungsausgaben im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Beitragsanpassung entnimmt, dass es sich hierbei um die maßgebliche Rechnungsgrundlage handelt, welche die konkrete Beitragserhöhung für seine Tarife ausgelöst hat. (so OLG Köln, a.a.O.). Dies lässt sich auf die hiesigen Anpassungsmitteilungen für die Jahre 2011, 2014 und 2015 übertragen.
45
Auf die Frage der Heilung kommt es vorliegend nicht an, da die Erhöhungen wie unten dargelegt wird, auch materiell unwirksam sind.
46
b) Die Anpassungsmitteilung zum 01.01.2017 entsprach dagegen den formellen Anforderungen des § 203 II VVG.
47
Den in den beigefügten Anlagen enthaltenen Erläuterungen kann der Versicherungsnehmer unmissverständlich entnehmen, dass Auslöser für die Erhöhung seiner Beiträge eine Abweichung der Leistungsausgaben oberhalb der für die Tarife festgelegten Prozentsätze war. Zunächst wird der Versicherungsnehmer in dem Informationsblatt darauf hingewiesen, dass für jeden einzelnen Tarif, also auch für die von ihm unterhaltenen Tarife, eine jährliche Überprüfung der kalkulierten Leistungsausgaben mit den zukünftig erforderlichen Leistungsausgaben und der kalkulierten mit der zukünftigen Lebenserwartung stattfindet. Das Ergebnis der „aktuellen Überprüfung“ wird dem Versicherungsnehmer sodann klar und verständlich dahingehend mitgeteilt, dass sich bis auf eine konkret benannte Ausnahme Abweichungen oberhalb der für die Tarife festgelegten Prozentsätze „nur“ bei den Leistungsausgaben ergeben haben. Da der Versicherungsnehmer aufgrund des Nachtrags zu seinen Versicherungsschein weiß, dass in seinem Fall nicht der als Ausnahme genannte Tarif erhöht wurde, wird er das ihm mitgeteilte Ergebnis der aktuellen Überprüfung zutreffend dahingehend werten, dass eine Abweichung bei den Leistungsausgaben die Beitragserhöhungen bei seinen Tarifen zum 01.01.2017 ausgelöst hat (so OLG Köln, a.a.O.).
48
3. Die erfolgten Anpassungen erweisen sich jedoch allesamt auch als materiell unwirksam.
49
Ob die Neufestsetzung berechtigt ist, beurteilt sich nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen sowie § 203 VVG, §§ 155, 157 VAG sowie der Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversicherungsaufsichtsverordnung – KVAV). § 155 Abs. 3, 4 VAG sieht für die Anpassung der Prämie ein zweistufiges System vor. In einem ersten Schritt hat das Versicherungsunternehmen gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 VAG für jeden nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Tarif zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ergibt dieser Vergleich für einen Tarif, sofern nicht in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Prozentsatz vorgesehen ist, eine Abweichung von mehr als 10 Prozent (sog. „auslösender Faktor“), hat das Unternehmen in einem zweiten Schritt gemäß § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und, wenn die Abweichung als nicht nur vorübergehend anzusehen ist, mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen. Damit hat eine Prämienanpassung eine nicht nur vorübergehende Veränderung einer maßgeblichen Rechnungsgrundlage i.S.v. § 203 Abs. 2 Satz 1 und 3 VVG, die einen bestimmten Schwellenwert, den sog. „auslösenden Faktor“, überschreitet, zur Voraussetzung.
50
Die Berechnung der Prämien bei Prämienanpassung hat nach § 11 Abs. 1 Satz 1 KVAV nach den für die Prämienberechnung geltenden Grundsätzen zu erfolgen. Einzelheiten dazu sind in § 11 i.V.m. §§ 15-17 KVAV geregelt. Ferner kann der Versicherer Mittel aus der Rückstellung zur Begrenzung von Prämienerhöhungen verwenden (sog. Limitierung), was gemäß § 155 Abs. 2 Satz 3 VAG der Zustimmung eines Treuhänders bedarf. Eine Anpassung erfolgt gemäß § 155 Abs. 3 Satz 4 VAG jedoch insoweit nicht, als die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt der Erst- oder einer Neukalkulation unzureichend kalkuliert waren und ein ordentlicher und gewissenhafter Aktuar dies insbesondere anhand der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren statistischen Kalkulationsgrundlagen hätte erkennen müssen.
51
Ist die Neukalkulation nicht zu beanstanden, sind in einem weiteren Schritt grundsätzlich die vom Versicherer vorgenommenen Limitierungsmaßnahmen darauf zu überprüfen, ob die dafür geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen eingehalten sind (BGH, Urteil vom 16. Juni 2004 – IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, juris Rn. 24). Der Zustimmung des Treuhänders bedürfen nach § 155 Abs. 2 Satz 1 VAG der Zeitpunkt und die Höhe der Entnahme sowie die Verwendung von Mitteln aus der Rückstellung für erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattung, soweit sie nach § 150 Absatz 4 VAG zu verwenden sind, und die Verwendung der Mittel aus der Rückstellung für erfolgsabhängige Beitragsrückerstattung. Der Treuhänder hat gem. 155 Abs. 2 Satz 2 VAG darauf zu achten, dass die in der Satzung und den Versicherungsbedingungen bestimmten Voraussetzungen erfüllt und die Belange der Versicherten ausreichend gewahrt sind. Bei der Verwendung der Mittel zur Begrenzung von Prämienerhöhungen hat er nach § 155 Abs. 2 Satz 3 VAG insbesondere auf die Angemessenheit der Verteilung auf die Versichertenbestände mit einem Prämienzuschlag nach § 149 VAG und ohne einen solchen zu achten sowie dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der prozentualen und absoluten Prämiensteigerungen für die älteren Versicherten ausreichend Rechnung zu tragen. (OLG Stuttgart, Urteil vom 15.07.2021, 7 U 237/18).
52
Maßstab für die gerichtliche Prüfung ist, ob die Prämienanpassung nach aktuariellen Grundsätzen als mit den bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehend anzusehen ist. Die danach vorzunehmende Kontrolle der Prämienerhöhung hat sich darauf zu erstrecken, ob die Anpassungsvoraussetzungen gegeben sind. Ist das der Fall, ist der Umfang der Prämienerhöhung zu überprüfen (OLG Stuttgart, a.a.O., BGH, Urteile vom 16. Juni 2004 – IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, juris Rn. 15 f.; vom 9. Dezember 2015 – IV ZR 272/15, VersR 2016, 177, juris Rn. 26).
53
Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung, die regelmäßig nur mit Hilfe eines Sachverständigen erfolgen kann, sind nur die Unterlagen, die der Versicherer dem Treuhänder zur Prüfung gemäß § 155 VAG, § 17 KVAV vorgelegt hat. Denn nur darauf gründet sich die für die Wirksamkeit der Erhöhung erforderliche Zustimmung des Treuhänders. Aus diesen Unterlagen müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der vorgenommenen Anpassung für den Sachverständigen nachvollziehbar und in tatsächlicher Hinsicht belegt ergeben. Soweit dies nicht der Fall ist, fehlt es (ganz oder teilweise) an der Berechtigung zur Prämienerhöhung.
54
Zwar hat vorliegend der Sachverständige im Rahmen seiner schriftlichen Gutachtenserstattung angegeben, dass aus seiner Sicht die Anpassungen nach aktuariellen Grundsätzen mit den bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehen würden. Diese Einschätzung beruhte jedoch auf der unzutreffenden rechtlichen Bewertung, dass eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich der zutreffenden Berechnung des auslösenden Faktors ausreichend sei. Dies steht jedoch nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, der eine umfassende Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit anhand der verbindlichen materiellen Vorgaben vorsieht (vgl. BGH Urteil vom 16.06.2004 IV ZR 117/02; BGH Urteil vom 19.12.2018, IV ZR 255/17). Die Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Gutachtenserläuterung ergaben insoweit, dass die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend waren, um eine über eine Plausibilitätskontrolle hinausgehende Überprüfung der tatsächlichen Einhaltung der materiellen Vorgaben zu ermöglichen. So gab der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens an, dass sich aus den Unterlagen nicht die Summe der Nettorisikozuschläge entnehmen ließ und auch nicht der Versichertenbestand aus den letzten 3 Jahren, sondern nur der des vorangegangenen Jahres. Dies wäre jedoch zur Prüfung der Einhaltung der Vorgaben des § 15 KVAV erforderlich. Die Übermittlung lediglich der Schadensquotienten ist aus Sicht der Kammer ebenfalls nicht ausreichend, um vorliegend tatsächlich ein Anspringen des auslösenden Faktors bejahen zu können.
55
Vorliegend steht auch nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass mit den vorgelegten Unterlagen die nach § 155 II VAG erforderliche Überprüfung der Limitierungsmaßnahmen durchgeführt werden konnte.
56
Der Sachverständige gab insoweit im Rahmen seiner schriftlichen Gutachtenserstattung (Bl. 286 d.A.) an, dass das Limitierungskonzept der Beklagten vorgesehen habe, dass keine Beitragssteigerung über 49 % vorliege. Die Vornahme der Begrenzung im vorliegenden Tarif belege, dass die Beklagte sich insbesondere mit Personen mit hohen Beitragssteigerungen befasse und die Belange dieser Personen berücksichtigt habe. Weiterhin hätten auch andere Tarife Limitierungsmaßnahmen erhalten. Hinsichtlich der Einhaltung der formalen Voraussetzungen beschränkt sich der Sachverständige auf die Darlegung, dass diese aus Sicht des Treuhänders vorgelegen hätten. Mit dieser Aussage allein ist der Beklagten der Nachweis der Einhaltung der Vorgaben hinsichtlich der Limitierungsmaßnahmen nicht gelungen, insbesondere dass eine hinreichende Berücksichtigung der Belange der Versicherten erfolgt ist. Dies erfordert aus Sicht der Kammer ein tarfiübergreifendes Limitierungskonzept. Zwar bezieht sich die Prämienanpassung stets auf einzelne Tarife, dennoch muss die Verwendung von Mitteln aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung zwecks Prämienlimitierung für alle Tarife berücksichtigt werden, so dass der Versicherer die zur Verfügung stehenden Limitierungsmittel nicht einseitig nur für bestimmte Tarife oder Versicherungsgruppen einsetzen darf (vgl. KG Berlin, Urteil vom 08.02.2022, 6 U 20/18). Das Fehlen eines tarifübergreifenden Limitierungskonzepts bestätigt der Sachverständige im Rahmen seiner mündlichen Anhörung (vgl. Seite 6 des Protokolls, Bl. 362 d.A.), im Rahmen derer er angibt, dass ihm insoweit die Informationen fehlen würden und eine Liste mit sämtlichen Tarifen erforderlich gewesen wäre.
57
Diese Erwägungen gelten auch für die bereits aus formellen Gründen unwirksamen Beitragserhöhungen der Jahre 2011, 2014 und 2015.
58
4. Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Selbstbeteiligung ist begründet.
59
Selbstbehalte und Risikozuschläge können vom Versicherer einseitig neu festgesetzt werden, sofern eine solche Anpassung für den Selbstbehalt im Vertrag vereinbart wurde und die Voraussetzungen des § 203 II VVG vorliegen. Letzteres war nach den obigen Ausführungen im Hinblick auf die Mängel der Anpassungsmitteilung nicht der Fall.
60
5. Der Leistungsantrag auf Rückzahlung zu Unrecht bezahlter Prämien ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten insoweit einen Anspruch gemäß § 812 I S. 1. Alt. 1 BGB in Höhe von 9.768,89 €. Der darüber hinaus geltende gemachte Zahlunsganspruch besteht nicht.
61
a) Hinsichtlich eines Teils der Beitragsanpassungen ist ein etwaiger Anspruch erjährt. Die Einrede der Verjährung wurde erhoben. Mit Urteil vom 19.12.2018 – Az. IV ZR 255/17 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Ansprüche auf Rückerstattung von Versicherungsbeiträgen innerhalb der regulären Verjährungsfrist von drei Jahren verjähren. Aus dieser Entscheidung ergibt sich im Umkehrschluss (BGH, a.a.O., Rn. 72), dass der Verjährungsbeginn mit Kenntnis des Versicherten von der jeweiligen Beitragsanpassung als solcher eintritt. Auf weitere äußere Umstände, wie zum Beispiel die Kenntnis der Person des Treuhänders, kommt es hingegen nicht an. Der Kläger muss auch nicht den Schluss gezogen haben, dass die Beitragserhöhung unwirksam ist (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 17.11.2021 – IV ZR 113/20 und OLG Köln, Urteil vom 07.04.2017 – Az. 20 U 128/16).
62
Die Rückzahlungsansprüche entstanden daher jeweils mit der Zahlung der Prämienanteile durch den Kläger. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt nur Kenntnis von den formalen Aspekten der Begründung hatte (vgl. KG Berlin, Urteil vom 08.02.2022, 6 U 20/18). Eine erneute Kenntnisnahme vom Fehlen desselben Rechtsgrundes aus weiteren Gründen setzt keine neue Verjährungsfrist in Gang, da einheitlich die Rechtmäßigkeit der Prämienanpassung in Frage steht, bei der mögliche Mängel der formellen und materiellen Wirksamkeit nur verschiedene Aspekte desselben einheitlichen Rechtsgrundes darstellen (vgl. BGH Urteil vom 17.11.2021, IV ZR 109/20; KG Berlin Urteil vom 08.02.2022, 6 U 20/18).
63
b) Eine Hemmung der Verjährung durch das Ombudsmannverfahren gemäß § 204 I Nr. 4 BGB ist nicht eingetreten.
64
Dem Antrag (vgl. K 21) fehlt es an der notwendigen Individualisierung. Ohne diese tritt eine Hemmung der Verjährung nicht ein und kann nach Ablauf der Verjährungsfrist auch nicht mehr verjährungshemmend nachgeholt werden (vgl. BGH Urteil vom 28.10.2015, IV ZR 405/14). Zu fordern ist insoweit, dass aus dem Antrag zu erkennen ist, welche Forderungen sich auf welche Zeiträume und welche Tarifbausteine beziehen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.10.2021, I-13 U 37/21). Das Beschwerdeschreiben beschränkt sich auf eine pauschale Geltendmachung des Fehlens der formalen und materiellen Voraussetzungen von Prämienerhöhungen seit 2008. Nähere Angaben fehlen vollständig.
65
Darüber hinaus war aus Sicht der Kammer die Inanspruchnahme des Ombudsmanns vorliegend rechtsmissbräuchlich. Zwar ist es grundsätzlich zulässig, eine Gütestelle ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung anzurufen. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn schon vor Einreichung des Güteantrages feststeht, dass der Antragsgegner nicht bereit ist, an einem Güteverfahren mitzuwirken und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen. Dieser Umstand war vorliegend den Prozessbevollmächtigten der Klagepartei bekannt. Die Beklagte hat insoweit unbestritten vorgetragen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei außergerichtlich mehrere 100 vorgerichtliche Aufforderungsschreiben an die Beklagte gerichtet und Ombudsmannbeschwerden eingelegt hat, ohne dass die Beklagte jemals die Bereitschaft zu einer gütlichen Einigung gezeigt hätte. Auch durch den Ombudsmann wurde das Beschwerdeverfahren so bewertet, dass offensichtlich keine der Parteien an einer Kompromisslösung in den eingereichten Fällen gelegen ist. Die Durchführung des Ombudsmannverfahrens war daher aus Sicht der Kammer rechtsmissbräuchlich, so dass sich die Klagepartei nicht auf eine Hemmung der Verjährung berufen kann.
66
Für die Beitragsanpassungen im vorliegenden Rechtsstreit bedeutet dies, dass Verjährung mit Ablauf des 31.12.2015 eingetreten ist. Die Klageerhebung im Jahr 2019 konnte somit keine Unterbrechung der bereits abgelaufenen Verjährungsfrist mehr herbeiführen.
67
c) Dies ergibt für den Tarif Vital-Z einen Rückforderungsanspruch für die Monate ab 01.01.2016 bis 08/19 von 44 Monaten × 13,86 €, d.h. insgesamt 609,84 €.
68
Für den Tarif Vital 750 ergibt sich hinsichtlich der Erhöhung zum 01.01.2011 ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 44 Monaten × 59,06 €, d.h. insgesamt 2.598,69 €.
69
Für den Tarif Vital 750 ergibt sich hinsichtlich der Erhöhung zum 01.01.2015 ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 44 Monaten × 83,23 €, d.h. insgesamt 3.662,12 € und hinsichtlich der Erhöhung zum 01.01.2017 einen Anspruch in Höhe von 2.898,24 €.
70
Dies ergibt insgesamt einen Zahlungsanspruch in Höhe von 9.768,89 €.
71
d) Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung kommt eine Anrechnung des genossenen Versicherungsschutzes nicht in Betracht, wenn sich bei einem wirksamen Versicherungsvertrag als Rechtsgrund der erbrachten Leistungen nur eine Prämienerhöhung als unwirksam erweist (vgl. BGH Urteil vom 21.09.2022, IV ZR 2/21). Der Einwand der Beklagten, sie sei durch die empfangenen Zahlungen in Höhe der kalkulierten Risikoprämien nicht bereichert, da diese der Erbringung von Versicherungsleistungen gedient hätten, trifft nicht zu. Die Kammer folgt auch insoweit den Ausführungen des BGH in der o.g. Entscheidung vom 21.09.2022: „Der weiterhin bestehende wirksame Versicherungsvertrag verpflichtete die Bekl. zur Erbringung von Versicherungsleistungen. Eine Entreicherung durch die Tilgung eigener Verbindlichkeiten kommt aber nur in Betracht, wenn der Bereicherungsschuldner deshalb freiwerdende Mittel ersatzlos verbraucht; unter diesen Umständen fehlt es an der Ursächlichkeit der rechtsgrundlosen Zahlung für den (zunächst) durch Tilgung der Verbindlichkeiten entstehenden Vermögensvorteil (vgl. BGH NJW-RR 2017, 111 = WM 2016, 2319 Rn. 15 m.w.N.). Das behauptet die Beklagte jedoch auch vorliegend nicht.
72
Auch Billigkeitserwägungen stehen der Pflicht zur Rückzahlung rechtsgrundlos empfangener Erhöhungsbeträge, auch soweit sie betragsmäßig der kalkulierten Risikoprämie entsprechen, nicht entgegen. Solange die Prämie nicht in dem nach § 203 II und V VVG vorgeschriebenen Verfahren wirksam angepasst wurde, ist ein gegebenenfalls materiell erhöhter Wert des Versicherungsschutzes nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2021, 378 Rn. 47). Gerade die Vorschriften zur Prämienanpassung bezwecken es, die Einhaltung des Äquivalenzprinzips und die dauerhafte Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen zu gewährleisten (vgl. BGH BGHZ 220, 297 = NJW 2019, 919 Rn. 49). Es ist daher nicht unbillig, den formal nicht wirksam gewordenen Erhöhungsbetrag ungeachtet seiner materiell richtigen Berechnung nicht zu zahlen und gleichzeitig den vertraglich vereinbarten Versicherungsschutz in Anspruch zu nehmen.
73
Die Beklagte kann sich auch nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen, soweit die gezahlten Erhöhungsbeträge der Höhe nach den kalkulierten Beträgen für die Bildung der tariflichen Alterungsrückstellung, für den Beitragszuschlag nach § 149 S. 1 VAG und für die Zuschläge nach §§ 7, 8 KVAV entsprechen.
74
Entreicherung liegt vor, wenn der erlangte Vorteil nicht mehr im Vermögen des Empfängers enthalten ist und auch sonst kein auf die Zuwendung zurückzuführender Vermögensvorteil mehr vorhanden ist (BGH NJW-RR 2017, 111 = WM 2016, 2319 Rn. 13). Vermögensnachteile des Bereicherungsschuldners sind dabei nur berücksichtigungsfähig, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise adäquat kausal auf der Bereicherung beruhen (vgl. BGH NJW 2016, 1388 = VersR 2016, 33 Rn. 36). Die Berechnung der Alterungsrückstellung aufgrund gesetzlicher Vorgaben unabhängig von der Wirksamkeit der Prämienanpassungen nach geänderten Rechnungsgrundlagen kann aber kein Vermögensnachteil sein, der auf der Prämienanpassung und der rückabzuwickelnden Prämienzahlung der Kl. beruht (vgl. BGH NJOZ 2022, 1204 Rn. 27).“
75
Durch die Vorschriften zur Berechnung der Alterungsrückstellung und weiterer Zuschläge und ihre Einstellung in die Bilanz wird der Versicherer im Verhältnis zum Versicherungsnehmer nicht berechtigt, ohne Rechtsgrundlage erlangte Beträge, die nicht der Prämienschuld entsprechen, zu vereinnahmen und der Alterungsrückstellung – oder auch den Zuschlägen nach §§ 7, 8 KVAV – zuzuordnen (vgl. BGH a.a.O.:)
76
Falls die Beklagte aus den Zahlungen des Klägers ohne gesetzliche Grundlage Beträge der Alterungsrückstellung zugeführt haben sollte, kommt es für die Entreicherung auf die Möglichkeiten einer Rückbuchung oder späteren Verrechnung gegenüber dem Kläger an. Eine Bereicherung ist nicht weggefallen, soweit der Bereicherte seine eigene Verfügung über den empfangenen Vermögensvorteil wieder rückgängig machen kann (vgl. BGH a.a.O.; BGH BGHZ 228, 57 = NJW 2021, 378 Rn. 52). Dass dies nicht möglich wäre, hat die Beklagte nicht dargelegt.
77
Eine Aufrechnung der Beklagten mit den vom Kläger erlangten Vermögensvorteilen ist nicht möglich. Eine Bezifferung hat die Beklagte insoweit nicht vorgenommen. Sind die Gegenforderungen schon nicht bestimmbar und damit nicht hinreichend individualisierbar, hat das die Unzulässigkeit der Hilfsaufrechnung zur Folge (vgl. BGH BauR 2018, 145 = BeckRS 2017, 127385 Rn. 12).
78
Dasselbe gilt auch für den Einwand der fehlenden Berücksichtigung von Beitragsrückerstattungen. Die Beklagte trägt nicht vor, wann der Kläger Rückerstattungen erhalten hat und in welche Tarifen solche erfolgt sein sollen.
79
e) Der Zinsanspruch ergibt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 286 I, 288 I BGB. Die Beklagte hat mit ihrem Antwortschreiben vom 19.07.2019 auf das Rückzahlungsbegehren des Klägers eine Rückzahlung endgültig abgelehnt, so dass ab diesem Zeitpunkt Verzug vorlag.
80
6. Der Klageantrag zu 3 a ist teilweise begründet, der Klageantrag zu 3 b ist nicht begründet.
81
a) Die Beklagte hat im Rahmen des Bereicherungsausgleichs dem Kläger auch gezogene Nutzungen aus dem Prämienanteil nach § 818 I BGB herauszugeben. Allerdings umfasst der Anspruch nicht Nutzungen, die der Versicherer aus vor der Verjährung gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, da es sich hierbei um vom Hauptanspruch abhängende Nebenleistungen im Sinne von § 217 BGB handelt, die zusammen mit dem Hauptanspruch auf Rückzahlung verjähren (vgl. BGH Urteil vom 22.06.2022, IV ZR 253/20).
82
b) Der Feststellungsantrag 3 b) hinsichtlich der Feststellung der Verzinsungspflicht hinsichtlich der Nutzungen ab 01.08.2019 ist nicht begründet. Ein Verzug der Beklagten liegt insoweit nicht vor, nachdem im Schreiben vom 19.07.2019 keine bezifferten Nutzungsansprüche geltend gemacht werden.
83
7. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Bezug auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen zu, so dass insoweit die Frage der Aktivlegitimation und der Höhe der Geschäftsgebühr dahingestellt bleiben kann. Die Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten mit einer außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen stellt vorliegend keine zweckentsprechende Rechtsverfolgung dar.
84
Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst zwar grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB). Das Vorgehen der Beklagten kann auch als Vertragsverletzung angesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 21.09.2022, IV ZR 2/21). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 45/19 –, juris Rn. 21 m.w.N.) hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.05.2021, 17 U 31/20, Rn 110; BGH, a.a.O. m.w.N.).
85
Eine erforderliche und zweckmäßige Rechtsverfolgung liegt dann nicht mehr vor, wenn für den Kläger ersichtlich keinerlei Aussichten bestanden, dass die Beklagte einer außergerichtlichen Aufforderung Folge leisten wird (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.). Die Beklagte hat – von dem Kläger nicht bestritten – nämlich vorgetragen, dass der Klägervertreter zur Zeitpunkt der behaupteten außergerichtlichen Tätigkeit mehrere hundert vorgerichtliche Aufforderungsschreiben an die Beklagte gerichtet habe, ohne dass die Beklagte Bereitschaft für eine gütliche Einigung gezeigt habe. Den klägerischen Prozessbevollmächtigten war damit die fehlende Einigungsbereitschaft der Beklagten bekannt. Bei dieser Sachlage handelte es sich bei den durch die vorgerichtliche Tätigkeit gleichwohl verursachten Kosten nicht mehr um eine zweckentsprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung. Diese Kosten stellen daher eine vermeidbare Vergrößerung des Schadens dar, für die nach § 254 BGB die Beklagte nicht einzustehen hat (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).
86
8. a) Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Orthopäedicums … in Höhe von 40,22 € zu. Aufgrund des Charakters der Krankheitskostenversicherung als Passivenversicherung ist der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer nur zum Ersatz derjenigen Aufwendungen verpflichtet, die in Bezug auf das versicherte Risiko zur Ablösung von Verpflichtungen aus berechtigten Ansprüchen eines Dritten erwachsen sind. (vgl. BGH 12.03.2003, IV ZR 278/01). Die Leistungspflicht des Versicherers setzt also immer einen entsprechend wirksamen und fälligen Vergütungsanspruch des behandelnden Arztes voraus. Diesen Nachweis hat der Kläger vorliegend nicht erbracht.
87
Vorliegend wurde durch den behandelnden Arzt kein schriftliches Gutachten zu einem Fremdbefund erstattet. Vielmehr erfolgte nach dem Vortrag der Klagepartei eine mündliche Erlätuerung des Befundes im Rahmen einer Besprechung. Dementsprechend erfolgte durch den behandelnden Arzt eine Abrechnung auch nur analog der Gebührenziffer 80 gemäß § 6 II GOÄ.
88
Nach § 6 II GOÄ können selbständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. An diesen Voraussetzungen fehlt es vorliegend. Die mündliche Erläuterung eines Befundes stellt eine Beratungsleistung dar. Sie ist auch nach Art, Kosten und insbesondere Zeitaufwand nicht mit einer fachärztlichen Stellungnahme oder einem Gutachten vergleichbar.
89
b) Die Nebenforderung teilt das Schicksal der nicht durchsetzbaren Hauptforderung. Insoweit kann dahingestellt bleiben, inwieweit der Kläger eine Zahlung an seine Prozessbevollmächtigten geleistet hat, nachdem das vorgelegte Aufforderungsschreiben vom 27.03.2020 von ihm selbst stammt und die Beklagte damit auch nicht seine anwaltliche Vertretung ignoriert hat.
90
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, 711 ZPO.