Inhalt

VG München, Beschluss v. 09.03.2023 – M 1 S 22.6107
Titel:

Anordnung des Sofortvollzugs, Abbruchanordnung, Anordnung von Dacharbeiten, Gefahr durch abbrechende Gebäudeteile und Dachziegeln

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2
BayBO Art. 3
Schlagworte:
Anordnung des Sofortvollzugs, Abbruchanordnung, Anordnung von Dacharbeiten, Gefahr durch abbrechende Gebäudeteile und Dachziegeln
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5314

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5.000,-- festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtschutzes gegen bauaufsichtliche Anordnungen, die der Antragsgegner für sofort vollziehbar erklärt hat.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 3153 Gem. …, das u.a. mit einem Stadel und mit einem Zuhaus bebaut ist. An den insoweit bebauten Grundstücksteil grenzt im Norden das Straßen/Wegegrundstück FlNr. 3082 Gem. … an, westlich davon verläuft das Straßengrundstück FlNr. 3142 Gem. …
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Bei einer Baukontrolle am 12. Dezember 2021 stellte das Landratsamt fest, dass die westliche Giebelseite des Stadels in einem sehr schlechten Zustand sei. Der gemauerte Teil von ca. 2 m Höhe habe sich weit nach außen geneigt und drohe auszuknicken. Das hölzerne Bundwerk darüber stehe dagegen nahezu senkrecht. Eine Sicherheitsgefahr für die öffentliche Hauptstraße bestehe im Falle eines Einsturzes angesichts einer Entfernung von wenigstens 5 m nicht. Jedoch könnten sich bei extremen Sturmereignissen Dachziegel lösen und auf den ca. 1,90 m entfernten öffentlichen Grund fallen. Das giebelseitige Vordach des Zuhauses befinde sich ebenfalls in einem schlechten Zustand. Es rage bis an die Grenze zum öffentlichen Grund. Auch hier sei die Gefahr gegeben, dass sich Dachziegel lösten und auf den öffentlichen Grund fielen. Es wurden Lichtbilder gefertigt (S. 5 ff. der Behördenakte).
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Auf Aufforderung des Landratsamtes vom 10. Januar 2022, die Gebäude mittels Absperrung und Hinweisschildern gegen unbefugtes Betreten abzusichern und die Dachflächen ab- bzw. neu einzudecken, sagte dies der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 31. Januar 2022 zu. Mit Schreiben vom 15. Februar 2022 wurde mitgeteilt, dass der Antragsteller nun Sicherungsmaßnahmen durch Aufstellen eines Bauzauns ergriffen habe und ein Schild „Durchfahrt verboten“ errichtet habe. Die Dacharbeiten seien nicht durchgeführt worden, weil die angefragten Handwerkerfirmen dazu wegen der vorherrschenden Witterung und Lieferengpässen nicht in der Lage gewesen seien.
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Bei einer weiteren Baukontrolle am 6. Juli 2022 stellte das Landratsamt bezüglich des Stadels fest, dass die Südseite des westlichen Giebels mittlerweile eingestürzt sei. Auf der Dachfläche lägen einzelne Dachplatten. Es sei davon auszugehen, dass bei einem Sturmereignis weitere Schäden entstünden. Am Zuhaus hätten keine Veränderungen festgestellt werden können, auch hier seien Schäden durch Sturmereignisse zu erwarten. Lichtbilder wurden gefertigt (S. 28 ff. BA).
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Mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. Juli 2022 verfügte das Landratsamt die Errichtung einer vollständigen Absperrung um den Stadel und das Zuhaus (Ziff. 1), ferner die Ab- bzw. Neudeckung des Zuhauses sowie den Abbruch des Stadels innerhalb von 2 Monaten nach Zustellung des Bescheides (Ziff. 2 und 3). Der Sofortvollzug der Ziffern 1-3 wurde angeordnet und Zwangsgelder angedroht.
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Bei einer weiteren Baukontrolle am 18. August 2022 stellte das Landratsamt fest, dass keinerlei Veränderungen gegenüber der vorherigen Baukontrolle feststellbar seien. Es wurden Lichtbilder gefertigt (S. 40 ff.).
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Mit Schreiben vom 31. August 2022 wurde das mit Bescheid vom 29. Juli 2022 angedrohte Zwangsgeld bezüglich der Absperrungen fällig gestellt. Unter Wiederholung der in Ziffer 1 des Bescheids angeordnete Absperrung wurde die Ersatzvornahme angedroht.
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Bei einem Ortstermin am 13. September 2022 stellte das Landratsamt fest, dass keine ordnungsgemäße Absperrung an den beiden Gebäuden vorhanden war. Am 15. September 2022 stellte ein Bauunternehmen im Wege der Ersatzvornahme Bauzäune zur Sicherung auf und übersandte Lichtbilder der Örtlichkeit (S. 66 ff. BA).
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Ein weiterer Ortstermin des Landratsamts am 19. Oktober 2022 ergab, dass der Stadel und das Dach des Zuhauses unverändert waren.
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Mit Bescheid vom 8. November 2022, zugestellt am 11. November 2022, ordnete das Landratsamt gegenüber dem Antragsteller an, jeweils innerhalb von zwei Monaten nach Bestandskraft dieses Bescheids die Dachfläche des Zuhauses ab- bzw. neu zu decken (Nr. 1) und den Stadel abzubrechen (Nr. 2). Der Sofortvollzug wurde angeordnet. Es wurde Zwangsgelder für den Fall der Nichtbefolgung von Nr. 1 in Höhe von 3.000 EUR und von Nr. 2 in Höhe von 4.500 EUR angedroht. Zugleich wurde Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR fällig gestellt, das sich aus der Nichtbefolgung von Ziff. 2 und 3 des Bescheids vom 29. Juli 2022 ergebe, nämlich die Dachflächen des Zuhauses ab- bzw. neu einzudecken sowie den Stadel abzubrechen.
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Zur Bescheidsbegründung wurde ausgeführt, dass ausweislich der Baukontrollen der Stadel und das Zuhaus in einem sehr schlechten Zustand seien. Es bestehe jeweils die Gefahr, dass sich Dachziegel lösten und sich bei Sturm zu gefährlichen Geschossen entwickeln könnten. Beim Stadel bestehe zudem eine konkrete Einsturzgefahr. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Gebäudeteile und Dachziegel auf die angrenzende Straße stürzten und dadurch Personen und Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen. Der bauliche Zustand stelle eine erhebliche Gefahrenquelle für die öffentliche Sicherheit dar. Es bestehe Gefahr für Leben und Gesundheit. Zur Abwehr der größten, unmittelbaren Gefahr, nämlich das Betreten des Stadels bzw. das Herantreten in die unmittelbare Nähe des Zuhauses sei bereits das Aufstellen der Bauzäune angeordnet worden. Der Gefahrenumkreis durch herabstürzende Gebäudeteile bzw. Dachziegel habe durch die Bauzäune zumindest teilweise eingegrenzt werden können. Allein dadurch könne aber nicht verhindert werden, dass Dachziegel oder Gebäudeteile zum Beispiel bei Sturm in einem erweiterten Radius auf öffentlichen Grund stürzen. Der Abbruch des Stadels werde gefordert, weil aufgrund des ruinösen Zustands dessen ursprüngliche Nutzung nicht mehr möglich sei. Wegen der offensichtlichen Gebäudeschäden sei die Standsicherheit nicht mehr gegeben. Es sei auch eine Vergrößerung der bereits vorhandenen Schäden zu erwarten; offensichtlich bestehe der Verfallsprozess schon seit einem längeren Zeitraum. Aufwändige Sanierung oder Absturzmaßnahmen seien allein aus wirtschaftlichen Gründen betrachtet keine Alternative; außerdem würden diese voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen und könnten angesichts der bestehenden Gefahr nicht abgewartet werden. Auf die weiteren Bescheidsgründe wird Bezug genommen.
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Der Antragsteller hat durch seine Prozessbevollmächtigte am .. Dezember 2022 Klage gegen Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 8. November 2022 erhoben. Zugleich wird um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht und beantragt:
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Die aufschiebende Wirkung bezüglich Ziffer I und II des Bescheids des Landratsamts R. vom 8. November 2022, Az. …, wird wiederhergestellt.
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Die geforderten Maßnahmen seien rechtswidrig. Eine Beseitigungsanordnung stelle eine ultima ratio dar. Hier könne das Stadel weiterhin auf eigene Gefahr als Abstellraum genutzt werden, da es weiterhin vor Wind und Wetter schütze. Einer etwaigen baulichen Gefahr könne auch durch entsprechende Absperrungen abgeholfen werden, sodass es eines Abbruchs nicht bedürfe. Im Übrigen sei der Antragsteller derzeit wegen einer Venenerkrankung an den Füßen nicht in der Lage, Baumaßnahmen vorzunehmen. Ein Attest werde umgehend vorgelegt. Sobald es seine Erkrankung zulasse, werde er notwendige Maßnahmen wie Abstützmaßnahmen und Dacheindeckung vornehmen. Eine Gefährdung Dritter sei angesichts der Bauzäune ohnehin derzeit nicht gegeben.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Voraussetzungen zum Einschreiten nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO lägen vor. Im Übrigen sehe Art. 10 BayBO vor, dass jede bauliche Anlage standsicher zu sein habe; dies sei weder beim Stadel noch beim Zuhaus der Fall.
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Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten, auch im Verfahren M 1 K 22.6106, Bezug genommen.
II.
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Der Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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I. Der Eilantrag ist zulässig, insbesondere statthaft, da die in der Hauptsache erhobene Klage aufgrund des im Bescheid angeordneten Sofortvollzugs keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dabei ist die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage statthaft, und der Antragsteller verfügt auch über das für seinen Rechtsbehelf erforderliches Rechtsschutzbedürfnis.
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Bei dem im Streit stehenden Bescheid handelt es sich um einen Zweitbescheid, dem die Behörde eine Regelungswirkung zumaß, und nicht um eine bloß wiederholende Verfügung. Auch wenn der Tenor des streitgegenständlichen Bescheids in den Nrn. 1 und 2 gleichlautend ist zu dem der Nrn. 2 und 3 des Bescheids vom 29. Juli 2022, hat die Behörde ausweislich der Bescheidsgründe eine erneute Sachentscheidung getroffen, die die zwischenzeitliche Entwicklung berücksichtigen, namentlich den fortschreitenden Verfall der Gebäude und die im September 2022 im Wege der Ersatzvornahme erfolgte Aufstellung des Bauzauns. Auch wenn die Behörde nicht daran gehindert gewesen wäre, die vorangehenden – bestandskräftigen – Verfügungen als Grundlage für isolierte Zwangsgeldandrohungen zu versehen, nahm sie offenbar die neue Sachlage zum Anlass, die Androhung neuer und erhöhter Zwangsgelder auf eine neue Bescheidsgrundlage zu stellen. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass sie die weitere Vollstreckung hieraus betreibt. Zugleich eröffnet sie dem Antragsteller damit erneut den Klageweg.
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II. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist in formaler Hinsicht ausreichend begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde unter Ziffer II.7. des Bescheids schriftlich begründet und das überwiegende öffentliche Interesse am unmittelbaren Handeln mit der Notwendigkeit der Abwehr der Gefahren für Leben und Gesundheit dargelegt. Die gegebene Begründung geht auf den Einzelfall ein und begnügt sich nicht mit nur formelhaften Ausführungen, sodass dem Begründungserfordernis Genüge getan ist.
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III. Der Antrag ist unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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Bei bauordnungsrechtlichen Verfügungen, die die Beseitigung von Bausubstanz fordern, überwiegt abweichend von dieser Regel das Vollzugsinteresse nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, weil die Beseitigung vor einer Entscheidung in der Hauptsache diese im Ergebnis vorwegnimmt. Denn aufgrund der gewichtigen Auswirkungen eines solchen Eingriffs ist es regelmäßig schon aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage den Vorrang einzuräumen. Ausnahmen von dieser Regel sind u.a. dann anerkannt, wenn eine erhebliche Gefahrenlage besteht, deren Beseitigung ohne Abriss der Bausubstanz nicht möglich wäre (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 10.2.2010 – 7 B 1368/09 – juris Rn. 4).
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Gegenstand des Verfahrens sind die Anordnungen im streitgegenständlichen Bescheid, mit denen dem Antragsteller bezüglich des Zuhauses aufgegeben wird, das Dach ab- bzw. neu einzudecken (Bescheidsnr. 1) und den Abbruch des Stadels vorzunehmen (Nr. 2). Bei beiden Anordnungen überwiegt das staatliche Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers, weil in dem für das Eilverfahren maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses davon auszugehen ist, dass sich der Bescheid voraussichtlich als rechtmäßig erweist und die in der Hauptsache erhobene Klage in der Sache erfolglos bleibt. Soweit der Abbruch des Stadels inmitten steht, ist zusätzlich auch der Ausnahmefall einer erheblichen Gefahrenlage gegeben.
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1. Rechtsgrundlage für die Anordnungen ist Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BayBO, dies gilt für die Dacharbeiten ebenso wie für den Abbruch des Stadels (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 148. EL November 2022, Art. 54 Rn. 55). Nach Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayBO haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BayBO können sie in Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen.
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Die Tatbestandsvoraussetzungen für die streitgegenständlichen Anordnungen liegen vor. Es liegen Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften vor. Bei den getroffenen Anordnungen handelt es sich um im Rechtssinn erforderliche Maßnahmen, die verhältnismäßig sind. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
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a) Die Anordnung der Ab- bzw. Neueindeckung der Dachfläche des Zuhauses (Nr. 1 des Bescheids) ist rechtmäßig.
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aa) Das Zuhaus steht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Es liegt ein Verstoß gegen die Instandhaltungspflicht gem. Art. 3 Satz 1 BayBO vor. Demnach sind Anlagen unter Berücksichtigung der Belange der Baukultur, insbesondere der anerkannten Regeln der Baukunst, so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden.
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Die vom Landratsamt angenommene Gefährdung von Leben und Gesundheit durch sich möglicherweise lösende Dachziegeln besteht auch nach Auffassung des Gerichtes. Zu dieser Überzeugung gelangt das Gericht aufgrund der zahlreichen, im Behördenakt befindlichen Lichtbildern.
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Das Dach des Zuhauses ist schadhaft, weil nicht mehr alle Dachziegeln fest mit der Dachhaut verbunden sind. Die Fotos der Baukontrollen vom 21. Dezember 2021 (S. 8 BA) und 6. Juli 2022 (S. 29 BA) deuten den vom Baukontrolleur geschilderten Zustand der losen Dachziegel an; eindrücklich wird der mangelhafte Zustand des Dachs anhand der Lichtbilder vom 15. September 2022 (S. 67 bis 69 und 71 BA). Hierdurch besteht bei erheblichem Wind oder Sturm die Gefahr sich weiter lösender, abstürzender und herumwirbelnder Dachziegel. Dies bedeutet eine Gefährdung für Leben und Gesundheit, weil von den Dachziegeln Menschen getroffen werden könnten, die sich in der Nähe des Zuhauses, etwa auf dem unmittelbar an dem Zuhaus vorbeiführenden Straßen- bzw. Wegegrundstück FlNr. 3082 aufhalten. Der im Wege der Ersatzvornahme aufgestellte Bauzaun von ca. 2 m Höhe kann die bestehende Gefahr nicht vollumfänglich beheben, weil dieser nur den umzäunten Bereich – in ca. 1 bis 2 m Abstand vor der Gebäudewand bzw. dem Vordach – schützt, nicht aber die Gefahrenzone des erweiterten Umfelds.
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bb) Das der Behörde eingeräumte Ermessen wurde ordnungsgemäß ausgeübt, § 114 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid erkannt, dass ihm bei dem Erlass der Beseitigungsanordnung ein Ermessensspielraum zusteht und hat die privaten Interessen des Antragstellers gegenüber den öffentlichen Interessen ordnungsgemäß abgewogen. Die Anordnung ist auch verhältnismäßig. Sie ist ein geeignetes Mittel zur Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes. Sie ist erforderlich, weil ein milderes Mittel als die Dachab- oder neueindeckung nicht in Betracht kommt. Allein eine Nutzungsuntersagung des Grundstücks würde die Gefahr für die Gesundheit und das Leben Dritter, die das Grundstück passieren, nicht ausreichend mindern oder beseitigen. Der Gefahrenlage durch sich lockernde Dachziegel kann hier für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht durch anderweitige Maßnahmen effektiv begegnet werden.
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cc) Konkrete Einwände hiergegen hat die Antragspartei auch nicht erhoben. Der Verweis auf die Erkrankung des Antragstellers ist – abgesehen von der fehlenden Glaubhaftmachung – auch unbehelflich, weil schon nicht ersichtlich ist, dass er daran gehindert sein könnte, ein Bauunternehmen zur Durchführung der Arbeiten zu beauftragen.
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b) Die Anordnung, den Stadel abzubrechen (Ziff. 2 des Bescheids), ist ebenfalls rechtmäßig.
37
aa) Es liegt ein Verstoß gegen die Instandhaltungspflicht gem. Art. 3 Satz 1 BayBO vor. Demnach sind Anlagen unter Berücksichtigung der Belange der Baukultur, insbesondere der anerkannten Regeln der Baukunst, so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Konkretisierend hierzu bestimmt Art. 10 Satz 1 BayBO, dass Gebäude stets standsicher sein müssen. Ferner liegt ein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht vor, Art. 14 Abs. 2 BayBO. Hiernach darf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch bauliche Anlagen nicht gefährdet werden.
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Dass der vorhandene Bestand infolge des eingetretenen Verfalls erhebliche statische, zur Einsturzgefahr führende Mängel aufweist, folgt aus den zahlreichen sich in den Verfahrensakten befindlichen Fotos. Die überwiegend in Holzbauweise mit langen schmalen Holzbrettern errichtete Anlage weist eine erhebliche Schadhaftigkeit auf. Die Fotos der Ortseinsichten (vom 21.12.2021, S. 5-7 BA) belegen, dass die westliche Außenwand des Gebäudes bereits im Jahr 2021 ausgeknickt war und größere Öffnungen aufwies. Der Verfall schritt hernach voran, und die westliche Wand des Gebäudes ist nunmehr teilweise eingestürzt (vgl. Fotos v. 6.7.2022, S. 30). Auch die Südseite weist bereits Öffnungen auf (vgl. Fotos v. 15.9.2022, S. 68). Weiter ist den Lichtbildern zu entnehmen (vgl. S. 29 BA), dass auch die nördliche Außenwand in ihrem unteren Bereich bereits ausknickt. Es ist also mit einem fortschreitenden Verfall zu rechnen. Durch die gegebene Einsturzgefahr und die fehlende Standsicherheit sind das Leben und die Gesundheit der Menschen in Gefahr, die sich in unmittelbarer Nähe zu dem Grundstück, etwa auch auf dem Straßengrundstück FlNr. 3142 Gem. …, aufhalten und durch herab- oder umfallende Gebäudeteile getroffen werden können.
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Zusätzlich ist die Eindeckung des Stadels in einem äußerst schadhaften Zustand, wie aus den vorgelegten Lichtbildern erkennbar wird (vom 21.12.2021, S. 7 BA; vom 6.7.2022, S. 28, vom 15.9.22, S. 68). Es sind lose Dachziegel vorhanden, teilweise ist das Dach bereits abgedeckt und gibt den Innenraum dem witterungsbedingten Verfall preis.
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bb) Der errichtete Bauzaun vermag die begründeten Zweifel an der Standsicherheit des Gebäudes, an der Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion und der daraus resultierenden Gefahr nicht auszuräumen. Er schließt angesichts seiner Situierung in relativ geringem Abstand zum Gebäude auch nicht die Gefahr aus, dass herab- oder umfallende Gebäudeteile einschließlich Dachziegel darüber hinaus in den weiteren Umkreis der Anlage gelangen. Dies gilt insbesondere für die Westseite des Gebäudes, an der weitere Abbrüche zu erwarten sind und das sich lösende Baumaterial, etwa auch durch einen Dacheinsturz, auf die in geringem Abstand befindliche Einmündung des Straßen-/Wegegrundstücks FlNr. 3080 in das Straßengrundstück FlNr. 3142 Gem. … zu fallen droht. Der Bauzaun hat auch nicht die Funktion einer Verschalung des Gebäudes, weil er mit ca. 2 m Höhe um ein Mehrfaches vom Gebäude überragt wird, das seinerseits eine Firsthöhe von ca. 7 m aufweist (vgl. hierzu Lichtbilder auf S. 30 BA).
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cc) Die Abbruchverfügung ist verhältnismäßig. Sie ist ein geeignetes Mittel zur Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes. Sie ist erforderlich, weil ein milderes Mittel als die Beseitigung nicht in Betracht kommt. Allein eine Nutzungsuntersagung des Grundstücks würde die Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Nachbarn und der Personen, die das Grundstück passieren, nicht ausreichend mindern oder beseitigen. Aufgrund der mangelnden Standsicherheit und der Gefahr des Herabfallens von Gebäudeteilen besteht eine erhebliche Gefahrenlage für Menschen. Dieser Gefahrenlage kann im vorliegenden Fall nicht für die Dauer des Hauptsacheverfahrens durch anderweitige Maßnahmen effektiv begegnet werden. Insbesondere teilt die Kammer angesichts des optisch wahrnehmbaren Zustands die fachliche Einschätzung der Bautechnik des Landratsamts (vgl. Aktenvermerk S. 62 BA), dass die Beauftragung eines Statikers keinen Sinn mehr ergibt und dass angesichts des ruinösen Zustands des Stadels einerseits und der akuten Gefahrenlage andererseits nur der unverzügliche Abbruch infrage kommt (vgl. Bescheid S. 3). Es kann nicht zugewartet werden, dass weitere Zeit für aufwendige Sanierungs- oder Abstützmaßnahmen aufgewandt wird und die Gefahrenquelle derweil fortbesteht.
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Durchgreifende substanzielle Bedenken wurden seitens der Antragspartei nicht erhoben. Insbesondere steht der Beurteilung das Vorbringen nicht entgegen, der Stadel könnte auf eigene Gefahr weiterhin als Abstellraum genutzt werden, weil hiervon nicht nur für den Antragsteller, sondern gerade auch eine Gefahr für die öffentlich-rechtlich geschützten Rechtsgüter von Leben und Gesundheit Dritter ausgeht. Dass andere Mittel zur Sicherung bestehen, ist weder ersichtlich, noch wurde dargetan, wie diese – mit gleicher Eignung zur Gefahrenabwehr – aussehen könnten. Dies gilt etwa für die von der Antragspartei genannten „entsprechende Absperrungen“.
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dd) Auch bezüglich der Abbruchanordnung hat die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß nach § 114 Satz 1 VwGO ausgeübt. Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid erkannt, dass ihm bei dem Erlass der Beseitigungsanordnung ein Ermessensspielraum zusteht und hat die privaten Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen ordnungsgemäß abgewogen.
44
ee) Soweit die Erkrankung des Antragstellers gegen die Durchführung der Anordnung angeführt wird, gilt das bereits unter oben (unter III.1.a) cc)) Gesagte.
45
Die Beseitigungsanordnung wird zudem von Art. 76 Satz 1 BayBO als Rechtsgrundlage getragen (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 1 ZB 14.68 – juris).
46
c) Der Antragsteller als Eigentümer wurde zu Recht als Zustandsstörer in Anspruch genommen (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG).
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2. Gegen die Zwangsgeldandrohungen, soweit diese von der Antragspartei überhaupt angegriffen werden, bestehen keine rechtlichen Bedenken (Art. 29, 31, 36 VwZVG), insbesondere wurden das Zwangsgeld für die einzelnen Anordnungen gesondert bemessen und angedroht.
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IV. Angesichts seines Unterliegens trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO.
49
V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Dabei wird für beide Verfügungen im Hauptsacheverfahren jeweils der Auffangstreitwert zugrunde gelegt, der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes halbiert wird (vgl. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).