Titel:
Verjährungsrechtliche, Einrede der Verjährung, Grobe Fahrlässigkeit, Zurückweisung der Berufung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Einholung eines Sachverständigengutachtens, Hinweisbeschluss, Beigezogene Akten, Unrichtiges Gutachten, Klageabweisung, Sachverständigenberatung, Anhörung des Sachverständigen, Darlegungsanforderungen, Entscheidung im schriftlichen Verfahren, Vollstreckungskosten, Grobfahrlässige, Versicherungsnehmer, Landgerichte, Vorprozess, Verletzung des rechtlichen Gehörs
Schlagworte:
Schadensersatz, Sachverständigengutachten, Verjährung, Grobe Fahrlässigkeit, Klageabweisung, Beweislast, Rechtliches Gehör
Vorinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 24.10.2023 – 10 U 40/23 e
LG Coburg, Urteil vom 23.06.2023 – 21 O 94/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 29.08.2024 – III ZR 427/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 53082
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 23.06.2023, Aktenzeichen 21 O 94/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Coburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags die vorläufige Vollstreckung abwenden, soweit nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 52.045,61 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen Erstattung eines unrichtigen Sachverständigengutachtens auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Die Klägerin betreibt eine Autowaschanlage in …. Am xx.xx.2011 ereignete sich während des Betriebs der Anlage ein Unfall, bei dem ein Fahrzeug mit dem rechten vorderen Kotflügel gegen das zweite Waschportal und den Klarspülbogen der Waschstraße kollidierte. Die Klägerin nahm in der Folge die Fahrzeugführerin in einem vor dem Landgericht Coburg unter dem Aktenzeichen 22 O 275/11 geführten Verfahren auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht Coburg beschloss am 13.03.2012 die Einholung eines Sachverständigengutachtens und bestellte den Beklagten zum Sachverständigen. Der Beklagte erstattete am 31.03.2013 und 16.04.2014 schriftliche Gutachten (Anlagen K 3, K 4) und wurde am 14.10.2014 vom Landgericht hierzu angehört (Bl. 257 ff. der beigezogenen Akte). Der Beklagte stellte als Ergebnis seiner Begutachtung fest, dass das Fahrzeug nicht mit Motorkraft bewegt worden sei, vielmehr sei es durch einen Räderwäscher aus der Spur geschoben und durch die Vorschubeinrichtung der Fördereinrichtung sowie einer Waschwalze gegen die Waschportale gedrückt worden. Das Landgericht Coburg wies in der Folge mit Endurteil vom 07.11.2014 die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin wies das Oberlandesgericht Bamberg nach erneuter Anhörung des Beklagten im Termin vom 24.11.2015 (Bl. 351 ff. der beigezogenen Akte) mit Urteil vom 24.11.2015 zurück.
3
Die Klägerin hat in erster Instanz behauptet, das vom Beklagten erstattete Gutachten sei unrichtig. Die grobe Fahrlässigkeit des Beklagten ergebe sich schon daraus, dass der Beklagte einen Gutachtensauftrag angenommen habe, obwohl er nie zuvor in seinem Leben mit der Begutachtung von Autowaschstraßen/Unfällen befasst gewesen sei. Durch das unrichtige Gutachten seien ihr Schäden (Klageforderung, Prozess- und Vollstreckungskosten) in einer Gesamthöhe von 52.045,61 € entstanden.
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Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt,
- 1.
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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 52.045,61 € nebst Zinsen in Höhe 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 17.01.2017 zu zahlen;
- 2.
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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 1.642,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2018 zu zahlen.
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Der Beklagte hat in erster Instanz Klageabweisung beantragt. Er ist dem Klagevorbringen inhaltlich entgegengetreten und hat zudem die Einrede der Verjährung erhoben.
6
Das zur Frage der Unrichtigkeit des vom Beklagten erstatteten Gutachtens sachverständig beratene Landgericht hat nach Beiziehung der Akten des Ausgangsverfahrens die Klage mit Endurteil vom 23.06.2023 abgewiesen, da der geltend gemachte Schadensersatzanspruch verjährt sei.
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Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
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Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:
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Das Landgericht habe die Klage zu Unrecht wegen Verjährung abgewiesen. Bei einem über zwei Instanzen geführten Rechtsstreit komme als schadenstiftendes Ereignis nur die zeitlich zuletzt ergangene, verfahrensabschließende gerichtliche Entscheidung in Betracht. Erst ab diesem Zeitpunkt stehe fest, ob eine sich auf das vermeintlich unrichtige Gutachten stützende Entscheidung ergangen und damit ein schädigendes Ereignis eingetreten sei (OLG Celle, Urteil vom 05.05.2009, 4 U 26/09, juris Rn. 8). Da der Schadensersatzanspruch somit erst mit dem den Rechtszug abschließenden Urteil des OLG Bamberg vom 24.11.2015 entstanden sei, könne die Verjährung nicht vor diesem Zeitpunkt begonnen haben. Außerdem fehle es damit auch an der verjährungsrechtlich maßgebenden Kenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen zu einem vor dem 24.11.2015 gelegenen Zeitpunkt. Bis zum 24.11.2015 sei der Klägerin ferner die Erhebung einer Feststellungsklage gegen den Beklagten weder möglich noch zumutbar gewesen.
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Aus dem von Landgericht erholten Gutachten ergebe sich, dass der Beklagte, wie von der Klägerin vorgetragen, im Vorprozess grob fahrlässig unrichtige Gutachten erstattet habe, weswegen die Klage der Klägerin im Vorprozess abgewiesen worden sei. Hätte der Beklagte zutreffende Gutachten erstattet, wären die Verursachung der Schäden durch die Pkw-Fahrerin X. festgestellt und der Klage stattgegeben worden.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des LG Coburg vom 23.06.2023 – 21 O 94/18 – abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,
- 1.
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an die Klägerin 52.045,61 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.01.2017 zu zahlen,
- 2.
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an die Klägerin weitere 1.642,40 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.01.2018 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil. Er trägt vor, die Klage scheitere jedenfalls daran, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt habe.
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Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.
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1. Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 23.06.2023, Aktenzeichen 21 O 94/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 24.10.2023 Bezug genommen.
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2. Die Ausführungen der Klägerin in der Stellungnahme vom 09.11.2023 zu dem Hinweisbeschluss des Senats, die der Senat zur Kenntnis genommen und erwogen hat, geben auch nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage keinen Anlass, von der Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege abzusehen.
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a) Anders als die Klägerin offenbar meint, weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Die von der Klägerin insoweit zitierte, in NJW-RR 2014, 90 ff. veröffentlichte Entscheidung hat der Senat berücksichtigt und seiner Entscheidung ausdrücklich als maßstabsbildend zugrunde gelegt (vgl. Hinweisbeschluss vom 24.10.2023, dort unter Ziffer II.1. Buchstabe a). Aber auch der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2014 – III ZR 412/13 –, veröffentlicht bei juris, steht der Zurückweisung der Berufung nicht entgegen. Wie der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nimmt auch der Senat und die von ihm zitierte obergerichtliche Rechtsprechung nicht an, eine gerichtliche „Billigung“ schließe ein grobes Verschulden des Sachverständigen aus. Der Senat hat vielmehr ausgeführt, in derartigen Fallgestaltungen bedürfe „es einer eingehenden Darlegung der grob fahrlässigen, also jedem einleuchtenden Fehlerhaftigkeit des Gutachtens“. Es ergeben sich also erhöhte Darlegungsanforderungen, der die materiellen Voraussetzungen des Verschuldens bleiben hingegen unverändert. Diese Darlegungsanforderungen sind nach der Überzeugung des Senats im Streitfall nicht erfüllt, an den Ausführungen im Hinweisbeschluss wird folglich festgehalten.
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b) Vergleichbares gilt für den Vortrag der Klägerin, der Sachverständige A. habe ausführlich dargelegt, dass die von dem Beklagten getroffenen Annahmen und gezogenen Schlussfolgerungen „allesamt falsch“ waren, sodass bereits aus dem ungewöhnlichen Ausmaß der fachlichen Fehler (des objektiven Pflichtenverstoßes) auf die grobe Fahrlässigkeit des Beklagten geschlossen werden müsse. Die Entscheidung BGHZ 195, 265 (= NJW 2012, 2958), auf die sich die Klägerin beruft, ist bereits nicht einschlägig, da sie ausschließlich Fragen zu § 101 UrhG behandelt. BGHZ 119, 147 (= NJW 1992, 2418) stellt lediglich allgemeine Grundsätze zum Maßstab des Verschuldens im Straßenverkehr auf. In der in NJW 2003, 1118 veröffentlichten Entscheidung heißt es:
„Aus dem Senatsurteil in BGHZ 119, 147 ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht, daß aus einem objektiv groben Pflichtverstoß regelhaft auf die subjektive Unentschuldbarkeit geschlossen werden könne und entgegen der anerkannten Beweislast des Versicherers für das Eingreifen eines Risikoausschlusses der Versicherungsnehmer den Entschuldigungsbeweis zu führen habe (siehe dazu Römer, NVersZ 2001, 539 f.; Rixecker, ZfS 2001, 550 f.). Der Senat hat vielmehr daran festgehalten, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden könne (BGHZ 119, 147, 151) und dazu auf sein Urteil vom 8. Februar 1989 (aaO unter 4 d) hingewiesen. Dort ist ausdrücklich klargestellt, daß auch für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs gemäß § 61 VVG der Versicherer darlegungs- und beweispflichtig ist. Dabei sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 21. April 1970 – VI ZR 226/68 – VersR 1970, 568 unter II 2). Allerdings ist es Sache des Versicherungsnehmers, ihn entlastende Tatsachen vorzutragen. Das entspricht dem allgemeinen prozessualen Grundsatz, wonach die nicht beweisbelastete Partei ausnahmsweise eine Substantiierungslast treffen kann. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt sind und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 3. Februar 1999 – VIII ZR 14/98 – NJW 1999, 1404 unter II 2 b aa m.w.N.; Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. vor § 284 Rdn. 24, 34 ff.). Bei einem Verkehrsunfall wird diese Konstellation regelmäßig gegeben sein. An der Beweislast ändert dies nichts (OLG Hamm VersR 2002, 603).“
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Diese Entscheidung deutet damit zwar an, dass unter Umständen vom Ausmaß einer objektiven Pflichtverletzung auf das Verschulden geschlossen werden kann, allerdings in gänzlich anderem Kontext und nur ausnahmsweise. Im Streitfall besagt die Feststellung des Sachverständigen, die Schlussfolgerungen des Beklagten seien „allesamt falsch“, für sich genommen nur, dass das Gutachten unrichtig war. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt hat, ergibt sich aus den gutachterlichen Feststellungen jedoch nichts für den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit.
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c) Auf eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann sich die Klägerin nicht berufen. Eine entsprechende Verfahrensrüge wurde in der Berufungsbegründung bereits nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Dort wird lediglich ausgeführt, der Senat möge prüfen, ob der Rechtsstreit zur abschließenden Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen sei, weil die Beweisaufnahme durch die Einholung von Gutachten und die Anhörung des Sachverständigen A. vor dem Landgericht bereits weit fortgeschritten (aber nicht abgeschlossen) gewesen sei (Seite 6 der Berufungsbegründung). Weitere Einzelheiten werden nicht ausgeführt.
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Darüber hinaus trifft zwar zu, dass die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.11.2022 (Bl. 920 ff.) hilfsweise die erneute Ladung des Sachverständigen zu dessen ergänzender Anhörung beantragt hat. Jedoch hat das Landgericht mit Verfügungen vom 27.02.2023 und vom 03.03.2023 einen Verhandlungstermin bestimmt, ohne den Sachverständigen neuerlich zu laden. Im Protokoll des Termins vom 11.05.2023 (Bl. 998 ff.) heißt es dazu:
„Der heutige Termin ist lediglich als Antragstermin geplant gewesen. Dies bedeutet, dass weitere Ausführungen oder Erörterungen grundsätzlich im Hinblick auf die bereits vorangegangen Sitzungen nicht veranlasst sind. Der Vorsitzende regt im Hinblick auf die heutigen technischen Schwierigkeiten an, dass die Parteien ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklären. Der Klägervertreter zeigt durch Handzeichen an, dass er eine entsprechende Zustimmungserklärung per Schriftsatz erteilen wird.“
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In der Folge hat die Klägerin die Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt, ohne die unterbliebene neuerliche oder ergänzende Anhörung des Sachverständigen zu rügen und dessen Landung nochmals zu beantragen. Vor diesem Hintergrund kann sich die Klägerin nun nicht mehr auf eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG berufen.
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d) Schließlich hält der Senat auch daran fest, dass die Ursächlichkeit der unrichtigen Feststellungen des Beklagten für die Abweisung der Klage im Verfahren 22 O 575/11 nicht nachgewiesen ist. Insbesondere eine Verletzung von § 286 ZPO vermag der Senat in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen.
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e) Nach alledem ist auch die Revision nicht zuzulassen, weil der Senat – wie gezeigt – nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht und es für die Frage des Verschuldens maßgeblich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 709 Satz 2, 711 ZPO.