Inhalt

VG München, Urteil v. 16.02.2023 – M 22 K 21.626
Titel:

Kein Kirchenaustritt bei Verbleib in Religionsgemeinschaft

Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1
GG Art. 4, Art. 140
WRV Art. 137 Abs. 3
KirchStG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2, Abs. 4 S. 1, S. 2
AVKirchStG § 1 Abs. 2 S. 2, § 2 Abs. 2 S. 3
Leitsätze:
1. Der Austritt aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann nicht unter einer Bedingung, einer Einschränkung oder einem Vorbehalt erklärt werden (ebenso BVerwG BeckRS 2012, 58535). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unwirksam sind demnach "gespaltene" Austrittserklärungen, mit denen beabsichtigt wird, sich nur der Kirchensteuerpflicht zu entledigen, aber der Glaubensgemeinschaft weiterhin angehören zu wollen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine in diesem Sinne unwirksame Erklärung liegt etwa vor, wenn sich der Austritt auf die "Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum Ei." bezieht. (Rn. 34 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ist ein Austritt aus der Kirche nicht wirksam erklärt worden, besteht denklogisch auch kein Anspruch auf die Erstellung einer Austrittsbestätigung mit einer bestimmten Zusatzformulierung. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Öffentlich-rechtliche Streitigkeit, (modifizierter) Kirchenaustritt, Anspruch auf Bescheinigung eines Austritts, Rechtswirksamkeit (insb. Bedingungsfeindlichkeit) einer Austrittserklärung, unzulässige Zusätze in der Austrittserklärung, Anspruch auf Aufnahme bestimmter Zusatzformulierungen in die Bescheinigung, öffentlich-rechtliche Streitigkeit, Zusatz in der Austritterklärung, Rechtswirksamkeit einer Austrittserklärung, Beschränkung, römisch-katholische Kirche, Kirchensteuer, Austrittsbescheinigung, Bedingungsfeindlichkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.09.2024 – 7 ZB 23.1349
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52791

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte vorläufig voll- streckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Aufnahme einer Zusatzformulierung in die Bescheinigung über seinen Kirchenaustritt.
2
Der am … … … in … (Slowenien) geborene und im Stadtgebiet der Beklagten wohnhafte Kläger reichte am 30. Dezember 2020 beim Standesamt der Beklagten folgende notariell beglaubigte schriftliche Erklärung vom selben Tag ein:
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„Hiermit erkläre ich, (…), dass ich aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum … mit dem heutigen Tag austrete“.
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Mit Schreiben des Standesamts vom 9. Januar 2021 erhielt der Kläger eine „Bescheinigung über den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft“ (Formblatt) mit Wirkung zum 30. Dezember 2020, wobei in der Rubrik „Bisherige Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft“ „römisch-katholisch“ eingetragen wurde.
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Mit E-Mail vom … Januar 2021 monierte der Kläger gegenüber dem Standesamt, dass seine Erklärung in der erstellten Bescheinigung „umgedeutet“ worden sei. Er habe aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum … austreten wollen. Mit E-Mail vom 20. Januar 2021 verwies der Leiter des Standesamts den Kläger auf die Regelungen des Kirchensteuergesetzes (KirchStG), wonach der Austritt aus Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsrechten einer Erklärung gegenüber dem Standesamt des Wohnsitzes bedürfe. Für welche Religionsgemeinschaften das gelte, ergebe sich aus der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (StMUK) vom 12. August 2009.
Dort sei die Religionsgemeinschaft, aus der der Kläger austreten wolle, als „RömischKatholische Kirche“ ausgewiesen. Das Standesamt sei nicht befugt, bei der Erstellung von Austrittsbescheinigungen andere Bezeichnungen zu verwenden. Die Römisch-Katholische Kirche sei eine einheitliche Körperschaft des öffentlichen Rechts und zergliedere sich nicht in Teilkörperschaften. Die Bistümer seien in diesem Kontext nicht selbstständig und könnten damit auch nicht Gegenstand eines Kirchenaustritts sein. Als Konkretisierung der örtlichen Kirche sei die vom Kläger gewählte Bezeichnung aber zulässig, sie stelle keine Einschränkung dar, die nach Art. 3 Abs. 4 Kirchensteuergesetz zur Unwirksamkeit der Austrittserklärung führen würde. Für die Wirkungen des Kirchenaustritts habe der Zusatz „Bistum …“ keinerlei Bedeutung. Insofern sei die Erklärung hinreichend eindeutig und in der Bescheinigung nicht umgedeutet worden. Die Erklärung des Klägers bewirke das Ende seiner Mitgliedschaft in der Römisch-Katholischen Kirche, was die durch das Standesamt erstellte Bescheinigung auch zum Ausdruck bringe.
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Am ... Februar 2021 erhob der Kläger allgemeine Leistungsklage zum Verwaltungsgericht München mit folgendem Antrag:
„Die Beklagte wird verurteilt, in die am 30. Dezember 2020 ausgestellte Bescheinigung über den Austritt des Klägers aus einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft die in … vor dem Notar Prof. Dr. W. geäußerte Willenserklärung ‚Austritt aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum …‘ wörtlich aufzunehmen.“
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass nur 2,25% der Katholiken weltweit als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert seien. Diese historisch bedingte Organisationsstruktur der Katholischen Kirche in Deutschland sei im geltenden Codex Iuris Canonici (Kodex des kanonischen Rechts) nicht ausdrücklich vorgesehen. In der Bundesrepublik gebe es keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die unter dem Namen „Katholische Kirche“ eingetragen worden wäre. Die Römisch-Katholische Kirche sei nicht als einheitliche Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert, sondern zergliedere sich in ca. 10.000 Teilkörperschaften. Es solle daher möglich sein, aus einer dieser Teilkörperschaften auszutreten und trotzdem Katholik zu bleiben. Der Eintritt in eine Religionsgemeinschaft bestimme sich nach dem jeweiligen Satzungsrecht der betreffenden Religionsgemeinschaft; das müsse auch für den Austritt gelten. Nach der katholischen Dogmatik sei ein Austritt aus der Katholischen Kirche grundsätzlich nicht möglich. Hinsichtlich des Klägers seien auch die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise möglichen „Abfall“ aus der Katholischen Kirche, die dem Rundschreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen vom 13. März 2006 zu entnehmen seien, nicht gegeben. Schließlich besitze der Kläger nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und sei nicht in der Katholischen Kirche des öffentlichen Rechts getauft worden.
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Mit Schreiben vom 18. März 2021 beantragte die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Das Standesamt der Beklagten habe eine standardisierte, im Fachverfahren „AUTISTA“ erzeugte Bescheinigung erstellt. Der Kläger wende sich nicht gegen das Verfahren als solches, sondern gegen die die Religionsgemeinschaft bezeichnende Formulierung „römisch-katholisch“. Da die Bescheinigung keinerlei konstitutive Wirkung oder Rechtsfolgen ähnlich denen eines Verwaltungsakts habe, sei nicht diese der eigentliche Gegenstand des Klageverfahrens, sondern die durch die Austrittserklärung bewirkten Rechtsfolgen. Die vom Kläger für seinen Kirchenaustritt gewählte Formulierung sei wegen des nur hinsichtlich der Religionsgemeinschaft als solcher möglichen Kirchenaustritts eindeutig gewesen. Sie bringe insbesondere nicht zum Ausdruck, dass der Kläger nur die öffentlichrechtlichen Wirkungen der Mitgliedschaft in der Römisch-Katholischen Kirche beseitigen, in der Glaubensgemeinschaft jedoch verbleiben wolle. Die Zusätze „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und „Bistum …“ seien eine zulässige Konkretisierung der Kirchenbezeichnung.
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Ferner sei die Einlassung des Klägers im Klageverfahren, dass er nie erklärt habe, er wolle die Glaubensgemeinschaft der Römisch-Katholischen Kirche verlassen, im Hinblick auf die Eindeutigkeit der Austrittserklärung als ein bloßer Begleitumstand für die Wirksamkeit des Austritts ohne Bedeutung. Hätte der Kläger diesen Willen in seiner Austrittserklärung zum Ausdruck gebracht (was er nicht getan habe), wäre sein Kirchenaustritt – weil unter Einschränkung erklärt – im Übrigen unwirksam gewesen und vom Standesamt der Beklagten abgelehnt worden. Dass der Kläger nicht deutscher Staatsbürger sei, sei für den Kirchenaustritt schließlich ohne Bedeutung.
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In der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 betonte der Kläger, seine notariell beurkundete Austrittserklärung beziehe sich ausdrücklich nur auf den Austritt aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum …, nicht auch auf den Austritt aus der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der beschrittene Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet und die Klage ist auch im Übrigen zulässig.
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1.1. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
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Die vorliegend im Streit stehende Frage, ob der Kläger die Aufnahme einer Zusatzformulierung in die von der Beklagten erstellte Bestätigung seines Austritts aus der Religionsgemeinschaft der Römisch-Katholischen Kirche, die zu den vorkonstitutionell als Körperschaft des öffentlichen Rechts bestehenden Religionsgemeinschaften gehört (vgl. Art. 140 Grundgesetz – GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung – WRV), verlangen kann, ist öffentlich-rechtlicher Natur. Der geltend gemachte Anspruch auf eine Austrittsbestätigung (mit einem bestimmten Inhalt) ist im Wesentlichen anhand der öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Kirchensteuergesetz (KirchStG) und in der Verordnung zur Ausführung des Kirchensteuergesetzes (AVKirchStG) zu überprüfen. Die abdrängende Sonderzuweisung nach § 33 Finanzgerichtsordnung (FGO) greift hier mangels einer Abgabenangelegenheit nicht ein.
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1.2. Statthaft ist vorliegend die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage nach § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO. Die vom nicht anwaltlich vertretenen Kläger erhobene (nicht statthafte) allgemeine Leistungsklage war daher umzudeuten.
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Die statthafte Klageart richtet sich nach dem klägerischen Begehren. § 88 VwGO erlegt den Verwaltungsgerichten die Aufgabe auf, das tatsächliche Rechtsschutzziel der Klagepartei zu ermitteln (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77 – juris Rn. 19). Auf die konkrete Fassung der Anträge kommt es nicht an. Die erhobene Klage muss vor dem Hintergrund des verfolgten Rechtsschutzziels gewürdigt und ausgelegt werden, selbst eine ausdrücklich gewählte Klageart muss ggf. umgedeutet werden, sodass den zu erkennenden Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – juris 34; so auch BVerwG, U.v. 1.9.2016 – 4 C 4/15 – juris Rn. 9 m.w.N; Eyermann/Rennert, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 8, 10).
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Vorliegend begehrt der Kläger die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine Kirchenaustrittsbescheinigung mit einer konkreten, von ihm gewählten Formulierung zu erstellen. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2020 bestätigte die Beklagte zwar seinen Kirchenaustritt, in das Bestätigungsschreiben wurde allerdings nicht der vom Kläger gewünschte Inhalt („Austritt aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum …“) aufgenommen.
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Da eine Kirchenaustrittserklärung eine amtsempfangsbedürftige, rechtsgestaltende Willenserklärung ist (vgl. Nr. 1.2 der Gemeinsame Bekanntmachung StMI und StMUK vom 8.3.2007), dessen Rechtswirksamkeit das zuständige Standesamt durch einen beurkundenden Verwaltungsakt bestätigt, sind Änderung und Erlass dieser Bestätigung mit der Verpflichtungsklage einzuklagen (vgl. BayVGH, U.v. 26.6.1991 – I 7 B 91.11; U.v. 10.12.2004 – 7 BV 03.2566 – juris Rn. 18). Insofern ist die vom anwaltlich nicht vertretenen Kläger erhobene allgemeine Leistungsklage zu seinen Gunsten in eine statthafte Verpflichtungsklage umzudeuten (zu den Anforderungen an einer Umdeutung vgl. Riese in Schoch/Schneider/Riese, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, VwGO § 88 Rn. 20). Es ist nämlich regelmäßig davon auszugehen, dass der Kläger das seinem Begehren entsprechende Rechtsmittel einlegen möchte.
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1.3. Der Kläger ist auch klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO, da er grundsätzlich beanspruchen kann, dass ihm der Zugang seiner Austrittserklärung bestätigt wird. Das folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Kirchensteuergesetz, ergibt sich aber jedenfalls aus der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und ist darüber hinaus in Nr. 10 („Bestätigung der Austritterklärung“) der Gemeinsamen Bekanntmachung StMUK und StMI vom 8. März 2007 vorgesehen.
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Demnach ist die Klage als Verpflichtungsklage zulässig.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Erstellung einer Austrittsbescheinigung zu, da es bereits an einer wirksam abgegebenen Austrittserklärung fehlt (dazu unter 2.1.). Erst recht kann der Kläger von der Beklagten auch keine Austrittsbescheinigung mit einer konkreten Zusatzformulierung verlangen (dazu unter 2.2.).
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2.1. Die Erklärung des Klägers vom 30. Dezember 2020 erfüllt nur teilweise die Wirksamkeitsanforderungen des Kirchensteuergesetzes, das durch die Ausführungsverordnung (AVKirchStG) und die Gemeinsame Bekanntmachung StMUK und StMI vom 8. März 2007 konkretisiert und ergänzt wird.
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a) Es ist zwischen den Beteiligten unstrittig, dass der Kläger am 30. Dezember 2020 eine notariell beglaubigte Erklärung (samt erforderlichen Angaben zu seiner Person) beim örtlich zuständigen Standesamt eingereicht hat. Insofern sind die formellen Anforderungen an die Abgabe einer Austrittserklärung in Art. 1 und Art. 3 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1, Satz 2 Halbs. 1 KirchStG bzw. § 1 AVKirchStG i.V.m. Art. 26 KirchStG bzw. Nr. 1.1 („Grundsätze der Austrittserklärung“) der Gemeinsamen Bekanntmachung StMUK und StMI vom 8. März 2007 erfüllt.
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b) Allerdings gehen die Beteiligten (wohl übereinstimmend) zu Unrecht davon aus, dass die am 30. Dezember 2020 abgegebene Austrittserklärung auch den sonstigen (materiellen) Anforderungen der staatlichen Vorschriften entspricht und damit rechtswirksam ist.
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aa) Gemäß Art. 3 Abs. 4 Satz. 2 Halbs. 2 KirchStG und Nr. 6.1 („Bestimmtheit der Austrittserklärung“) darf der Austritt für seine Wirksamkeit nicht unter einer Bedingung, einer Einschränkung oder einem Vorbehalt erklärt werden. Unzulässig sind insbesondere Ergänzungen bzw. Zusätze, die den Austritt auf den staatlichen Rechtskreis (die Körperschaft des öffentlichen Rechts) beschränken sollen, die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft (hier zur Römisch-Katholischen Kirche) aber von der Austrittserklärung ausnehmen wollen (BVerwG, U.v. 26.9.2012 – 6 C 7/12 – juris Rn. 15), auch wenn die Mitgliedschaft selbst nach dem innergemeinschaftlichen Kirchenrecht nicht beendet werden kann. Unwirksam sind demnach „gespaltene“ Erklärungen, mit denen beabsichtigt wird, sich nur der Kirchensteuerpflicht zu entledigen, aber der Glaubensgemeinschaft weiterhin angehören zu wollen (vgl. Nr. 6.2 der Gemeinsamen Bekanntmachung StMUK und StMI vom 8. März 2007). Dabei bleiben nur Zusätze zur Austrittserklärung unschädlich, die die Glaubens- bzw. Religionsgemeinschaft lediglich konkretisieren. Dies gilt auch für Angaben des Austretenden (etwa zum Grund seines Austritts), die dieser anlässlich der Abgabe der Austrittserklärung, aber außerhalb des formalisierten Verfahrens macht (BVerwG, U.v. 26.9.2012 – 6 C 7/12 – juris Rn. 38).
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Diese bedingungsfeindliche Ausgestaltung des Verfahrens dient der Vermeidung von Rechtsunsicherheit (was im Übrigen auch für sonstige Gestaltungserklärungen gilt).
Die Religionsgemeinschaft muss vor Austrittserklärungen geschützt werden, deren Rechtsfolgen für sie selbst – sei es im staatlichen, sei es im innergemeinschaftlichen Bereich – wie für den Austrittswilligen nicht von vornherein klar sind (BVerwG, U.v. 23.2.1979 – 7 C 32/78 – juris Rn. 31). Diese Anforderungen an der Austrittserklärung sind auch im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, B.v. 2.7.2008 – 1 BvR 3006/07 – juris Rn. 42), da die staatlichen Vorschriften zum Kirchenaustritt sowohl die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Neutralität des Staates und zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten (Art. 142 Abs. 3 BV) einerseits sowie die (negative) Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Einzelnen andererseits wahren.
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Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) wird den Religionsgemeinschaften das Selbstbestimmungsrecht in eigenen Angelegenheiten innerhalb der für alle geltenden Gesetze (u.a. des Grundrechts des Einzelnen auf negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit) garantiert. Die Religionsgemeinschaften dürfen insbesondere die Mitgliedschaft (Eintritt, Rechte, Pflichten, Austritt) autonom regeln und verwalten. Der Staat hat in diesem innerkirchlichen Rechtsraum keinerlei Regelungs- und Eingriffsbefugnisse, er darf lediglich an eine (fort-)bestehende Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft Rechtsfolgen im staatlichen Bereich knüpfen und zwar nur, wenn diese Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit beruht. Insofern finden die verfassungsrechtlich verbürgten Körperschaftsrechte der Religionsgemeinschaften ihre Schranken in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und der negativen Vereinigungsfreiheit im religiösen Bereich gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie im objektiven Prinzip der staatlichen Neutralität. Seinen Schutzpflichten bezüglich der Grundrechte in Art. 4 GG ist der Staat dadurch nachgekommen, dass er anders als den Eintritt in eine Religionsgemeinschaft den Austritt aus ihr durch staatliche Gesetze geregelt hat, die die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wahren sollen (BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 7 C 22/09 – juris Rn. 18). Von der negativen Glaubensfreiheit sind nur Austrittserklärung gedeckt, die nach ihrem Wortlaut hinreichend bestimmt und eindeutig auf den Austritt aus einer unmissverständlich bezeichneten Religionsgemeinschaft gerichtet sind (§ 1 Abs. 2 Satz 2 AVKirchStG).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die staatlichen Vorschriften zum Kirchenaustritt dahingehend auszulegen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nicht stärker eingeschränkt werden darf, als es die (negative) Glaubensfreiheit des Einzelnen verlangt. Solange die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft freiwillig fortdauert, wird von der negativen Glaubensfreiheit nicht Gebrauch gemacht, sodass der Staat das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften auch nicht ohne weiteres beschränken darf. Er kann die Wirkungen der Mitgliedschaft in seinem Bereich nicht zurücknehmen, ohne die verfassungsrechtlich garantierten Rechte der Religionsgemeinschaft zu verletzen. Der Staat muss daher den Austritt aus der Religionsgemeinschaft – und damit die Beendigung der Mitgliedschaft in dieser – zur Voraussetzung dafür machen, dass ihre Wirkungen im staatlichen Bereich nicht eintreten. Er kann nicht von den Wirkungen der Mitgliedschaft im staatlichen Bereich befreien, ohne dass eine auf die Beendigung der Mitgliedschaft gerichtete Erklärung vorliegt, die jedenfalls die Freiwilligkeit der weiteren Mitgliedschaft aufhebt, auch wenn die Mitgliedschaft selbst nach dem innergemeinschaftlichen Recht nicht beendet werden kann (BVerwG, U.v. 26.9.2012 – 6 C 7/12 – juris Rn. 23).
32
Erst die Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft (bei den christlichen Kirchen begründet durch die Taufe) vermittelt eine Mitgliedschaft in der Körperschaft des öffentlichen Rechts, sodass es keine (abgeleitete) Mitgliedschaft in der Körperschaft des öffentlichen Rechts ohne Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft geben kann. Dem Staat ist es daher verwehrt, die Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft in eine zur Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts und in eine Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft als einer bloßen Glaubensgemeinschaft aufzuspalten (Listl, JZ 1971, 345 <352>). Durch die Bescheinigung des Austritts darf nicht der Anschein erweckt werden, der Staat bestätige über die öffentlich-rechtlichen Wirkungen hinaus kraft seiner Autorität, der Austritt sei innergemeinschaftlich ohne Bedeutung (BVerwG, U.v. 23.2.1979 – 7 C 32/78 – juris Rn. 31; U.v. 26.9.2012 – 6 C 7/12 – juris Rn. 29).
33
Die Behörde (hier: das zuständige Standesamt) ist gemäß dem Untersuchungsgrundsatz in Art. 24 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) gehalten, die Austrittserklärung auszulegen und ihren Bedeutungsgehalt im Lichte der sie begleitenden Umstände zu ergründen. Bei der Austrittserklärung handelt es sich um eine Erklärung mit öffentlich-rechtlichen Wirkungen in einem Verwaltungsverfahren (VGH BW, U.v. 18.3.1997 – 10 S 529/96 – juris Rn. 18), daher ist diese in erster Linie so auszulegen, dass sie dem wirklichen Willen des Erklärenden bestmöglich gerecht wird (vgl. § 133 BGB). Im Zweifelsfall kommt dabei dem objektiven Empfängerhorizont ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. § 157 BGB; VGH BW, U.v. 4.5.2010 – 1 S 1953/09 – juris Rn. 34 m.w.N.).
34
bb) Gemessen daran steht vorliegend der vom Kläger ausdrücklich beantragte Zusatz „Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum …“ als unzulässige Einschränkung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 Satz. 2 Halbs. 2 KirchStG der Wirksamkeit des Austritts entgegen.
35
Im Wortlaut der Erklärung – und nicht nur in den Begleiteinlassungen des Klägers im Verwaltungs- und Klageverfahren – kommt infolge der Verwendung des Artikels „der“ eindeutig zum Ausdruck, dass der Kläger lediglich aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche (Bistum …) und nicht aus der Römisch-Katholischen Kirche an sich austreten will. Der begehrte Zusatz stellt keine unschädliche Konkretisierung der Glaubensgemeinschaft dar, aus der der Kläger austreten will, sondern gehört zum Erklärungskern, sodass der Kläger eine unzulässige „gespaltene“ Erklärung abgegeben hat. Zur Vermeidung von Missverständnissen im Interesse der Rechtssicherheit muss er aber hinnehmen, dass er seine Vorstellungen über die angestrebten innergemeinschaftlichen Wirkungen seines Austritts nicht zum Inhalt seiner Erklärung und der ihm hierüber zu erteilenden Bescheinigung machen kann (BayVerfGH, Entsch. v. 11.4.2016 – Vf. 68-VI-14 – juris Rn. 27 f.).
36
Selbst nach Erörterung der Rechtslage (und insbesondere der einschlägigen Rechtsprechung) in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 bestätigte der Kläger erneut, dass sich die notariell beurkundete Austrittserklärung ausdrücklich nur auf den Austritt aus der ‚Körperschaft des öffentlichen Rechts der Römisch-Katholischen Kirche – Bistum …‘ und nicht auch auf den Austritt aus der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft beziehe.
37
Nach alledem ist nach Überzeugung des Gerichts der gegenüber dem Standesamt der Beklagten abgegebenen Erklärung vom 30. Dezember 2020 nicht zu entnehmen, dass sich der Kläger ernsthaft, bedingungslos und vollständig von seiner Religionsgemeinschaft trennen will. Wegen der gewählten Formulierung, die über die von § 2 Abs. 2 Satz 2 AVKirchStG geforderte Bezeichnung der Kirche, aus der der Kläger austreten will, hinausgeht, ist die Austrittserklärung unwirksam und durfte überhaupt nicht erlassen werden. (Insofern unterscheidet sich der hiesige Fall vom bereits höchstrichterlich entschiedenen Fall zum Zusatz „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, der lediglich die zutreffende rechtliche Bezeichnung bzw. Konkretisierung der Religionsgemeinschaft darstellt, aus welcher der Beigeladene austreten will; vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2012 – 6 C 7/12 – juris).
38
2.2. Mangels einer wirksamen Austrittserklärung besteht denklogisch auch kein Anspruch auf die Erstellung einer Austrittsbestätigung mit einer bestimmten Zusatzformulierung.
39
Auch im Übrigen (im Falle einer wirksamen Austrittserklärung) besteht kein schützenswertes Interesse an einer Modifizierung der Austrittserklärung, weil sich bereits aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 KirchStG ergibt, dass der formalisierte Kirchenaustritt nur mit Wirkung für den staatlichen Bereich erfolgt. Austrittswillige werden nicht zu einer Erklärung genötigt, die mit ihrer Glaubensfreiheit unvereinbar ist, wenn sie vorbehaltlos den Austritt aus ihrer Religionsgemeinschaft erklären müssen, auch wenn sie nur die staatlichen Wirkungen der Mitgliedschaft beenden wollen (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2012 – 6 C 7/12 – juris Rn. 30 ff.).
40
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).