Inhalt

LG München II, Beschluss v. 02.11.2023 – 8 O 3724/23
Titel:

Entfallen der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses

Normenketten:
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
GVG § 23 Nr. 2a
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Einer Verweisung ist die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zu versagen, wenn sie - wie bei der Übergehung eindeutiger Zuständigkeitsvorschriften (hier: § 23 Nr. 2a GVG) - objektiv willkürlich ist. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit ist die Rechtsnatur des Anspruchs, wie er sich aus Antrag und Tatsachenvortrag des Klägers ergibt, nicht des Beklagten. Deshalb ist es objektiv willkürlich, wenn das verweisende Gericht - obwohl der Kläger seinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe auf einen Wohnraummietvertrag gestützt hat - in Abstellung auf den Vortrag des Beklagten eine "familiäre Streitigkeit" annimmt und darauf abstellt, dass eine "schriftliche" Mietvertragsvereinbarung unstreitig nicht existiere. (Rn. 2 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sachliche Unzuständigkeit, Verweisungsbeschluss, bindende Verweisung, Entfallen der Bindungswirkung, willkürliche Verneinung der Zuständigkeit, Beurteilung der Zuständigkeit, Klägervortrag als Grundlage für Zuständigkeitsprüfung
Vorinstanzen:
AG Weilheim, Entscheidung vom 18.07.2023 – 1 C 207/23 (2)
AG Weilheim, Beschluss vom 17.10.2023 – 1 C 207/23
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 24.04.2024 – 101 AR 29/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52583

Tenor

Die Übernahme des Verfahrens durch das Landgericht München II wird abgelehnt. Die Verweisung durch das Amtsgericht Weilheim i. OB an das Landgericht München II mit Beschluss vom 17.10.2023 (Az.: 1 C 207/23) entfaltet für das Landgericht München II keine Bindungswirkung.

Gründe

1
Der Verweisung ist die Bindungswirkung des 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zu versagen, weil sie objektiv willkürlich ist. Dies ist bei Übergehung eindeutiger Zuständigkeitsvorschriften der Fall (Zöller, ZPO, 34. Auflage, § 281, Rn. 17), hier der Übergehung des § 23 Nr. 2a GVG. Danach ist das Amtsgericht für Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum oder über den Bestand eines solchen Mietverhältnisses ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich sachlich zuständig.
2
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit die Rechtsnatur des Anspruchs ist, wie er sich aus Antrag und Tatsachenvortrag des Klägers ergibt, nicht des Beklagten. Denn nach allgemeiner Auffassung ist für die Beurteilung der Zuständigkeit (auch nach § 23 Nr. 2a GVG) stets der Sachvortrag des Klägers maßgeblich, da nur er den Streitgegenstand bestimmt (OLG Köln, Urteil vom 12.06.2015, I-1 U 16/14, 1 U 16/14, Rn. 21, juris; KG Berlin, Beschluss vom 06.03.2008, 2 AR 12/08, Rn. 7, juris; OLG Köln, Beschluss vom 30.01.2009, 3 W 75/08, Rn. 5, juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. September 2010, 24 W 53/10, juris; OLG München, Urteil vom 8. November 1976, 21 U 3384/76, Rn. 35, juris; vgl. für Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte: Zöller/Lückemann, GVG, § 13, Rn. 4 und Rn. 14). Im Zuge dessen ist es objektiv willkürlich, in Abstellung auf den Vortrag der Beklagten auf eine „familiäre Streitigkeit“ und darauf abzustellen, dass eine schriftliche Mietvertragsvereinbarung unstreitig nicht existiere.
3
Vorliegend haben die Kläger in der Klage ihren Anspruch auf Räumung und Herausgabe auf einen Wohnraummietvertrag gestützt. Die Kläger sind zudem dem Sachvortrag der Beklagten bis zuletzt entgegengetreten, wenn es im Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.07.23 heißt, dass schon mit der Klageschrift vorgetragen wurde, dass das Objekt von den Klägern an die Beklagte vermietet wurde, wie auch im notariellen Vertrag auf Seite 3 festgehalten wurde. Dies lässt sich an Hand der Anlage K1, Seite 3 auch ohne weiteres so nachvollziehen, wenn es dort heißt: „Über den Vertragsbesitz haben die Vertragsteile einen Mietvertrag geschlossen, der mit dem 01. März 2004 einsetzt.“
4
Ganz abgesehen davon, dass nichts dafür spricht, dass anlässlich der Beurkundung vor einem Notar von den Parteien eine andere Vertragsart gemeint gewesen sein könnte, wenn das Wort „Mietvertrag“ gewählt wird, darf festgestellt werden, dass die vom Amtsgericht wiedergegebenen Hintergründe und Motive der Parteien für ihr Verhalten für die Begründung der Verweisung schon deswegen nicht tragfähig sind, weil solche Hintergründe und Motive rechtlich unerheblich sind und nichts daran ändern, in welche Rechtsformen die Parteien ihre Ziele bewusst gestalten, nämlich hier in die Form eines Kaufs und einer Rückvermietung. Solche Rechtsformgestaltungen sind auch im sonstigen Geschäftsleben nicht unüblich und rechtlich anerkannt (z.B. sale-and-lease-back). Es ist objektiv willkürlich, deren rechtliche Wirksamkeit ohne weiteres anzuzweifeln.
5
Auch ist nicht einmal im Ansatz nachvollziehbar, warum das Amtsgericht erwähnt, dass eine schriftliche Mietvertragsvereinbarung unstreitig nicht existiere. Erstens ändert dies nichts am Vortrag des Klägers in seiner Klage zur Begründung seines Räumungsantrages. Zweitens kommt es für die Frage der sachlichen Zuständigkeit als Sachurteilsvoraussetzung auf Fragen der Begründetheit (Schlüssigkeit) gerade nicht an. Drittens trägt aber nicht einmal der Sache nach dieser Umstand, weil auch Wohnraummietverträge mündlich abgeschlossen werden können, wie sich aus § 550 Satz 1 letzter Halbsatz BGB ohne jeden Zweifel ergibt. Fehlt ein schriftlicher Mietvertrag, gilt der Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen.
6
Hinweis an die Parteien: Die Akten werden wieder an das Amtsgericht Weilheim i. OB zurückgeleitet.