Inhalt

LG Bayreuth, Endurteil v. 21.12.2023 – 32 O 665/22
Titel:

Entschädigungsansprüche wegen Ausfalls der Netzanbindung eines Windparks

Normenkette:
EnWG § 17e, § 118
Leitsätze:
1. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt nicht vor, wenn der erforderliche Grund des im Raum stehenden Anspruchs auf einer ungewissen Voraussetzung beruht (hier: Eintritt einer Störung oder Wartung). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unmöglichkeit iSd § 17e Abs. 1 EnWG bezieht sich auf die Einspeisung als solche, wobei bezogen auf jede einzelne Windenergieanlage, also anlagenbezogen, nur solche Tage in den Lauf der Selbstbehaltsfrist fallen, an denen die Windenergieanlage für nicht mindestens eine Viertelstunde über die zugewiesene Anbindungsleitung in das Übertragungsnetz einspeisen konnte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entschädigungsanspruch, Ausfall, Netzanbindung, Windpark, Zulässigkeit, Zuständigkeit, Selbstbehaltsfristen, Einspeisung, Übertragungsnetz, Vorrang, Leistungsklage, Unmöglichkeit, Windenergieanlage
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Urteil vom 14.01.2025 – 3 U 183/24 Kart
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52555

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.478.446,77 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um energiewirtschaftsrechtliche Entschädigungsansprüche wegen des Ausfalls der Netzanbindung eines Windparks in der Deutschen Bucht.
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Die Klägerin ist Eigentümerin und Betreiberin des … ...-Windparks … (im Folgenden: Windpark), der sich … in der Nordsee befindet. Der Windpark besteht aus … Windenergieanlagen mit einer Gesamtnennleistung von 295,2 MW; die einzelnen Turbinen haben eine Nennleistung von 6.15 MW. Die Klägerin erhielt am 05.07.2010 eine unbedingte Netzanbindungszusage von der Beklagten, der zuständigen Übertragungsnetzbetreiberin. Der Windpark der Klägerin ist über die beiden Wechselstromkabel AC 110 und AC 111, die jeweils eine Kapazität von bis zu 144 MW aufweisen, mit der Konverterplattform … verbunden. Von dieser führt die Netzanbindung …, bei der es sich um eine Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung mit einer Kapazität von bis zu 576 MW handelt, zum landseitigen Netzverknüpfungspunkt Büttel. Die Klägerin teilt sich die Gesamtkapazität von …
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Über ein Brückensystem (im Folgenden: Brücke) ist die Konverterplattform … mit der zum Netzanbindungssystem … zugehörigen Konverterplattform … verbunden. … ist über die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung … ebenfalls mit dem landseitigen Netzverknüpfungspunkt Büttel verbunden. Diese Brücke ermöglicht den an das Netzanbindungssystem … angeschlossenen Windparks nach entsprechenden Schalthandlungen bei einem Ausfall des ihnen zugewiesenen Netzanbindungssystems limitiert über die Konverterstation … in das Übertragungsnetz der Beklagten einzuspeisen, sog. TCM (transmission capacity management). Der Windpark der Klägerin kann über die Brücke bis zu 200 MW einspeisen.
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Zwischen 19.09.2019, 0:58 Uhr und 30.10.2019, 20:04 Uhr konnte die Klägerin nicht über … einspeisen, obgleich die Windenergieanlagen ihres Windparks betriebsbereit waren. Eine limitierte Einspeisung über die Brücke über … war der Klägerin möglich, soweit nicht die Anschlussleitungen gestört waren. Dies war in folgenden Zeiträumen der Fall: Die Anschlussleitung AC 110 war von 19.09.2019, 0:58 Uhr bis 19.09.2019, 10.09 Uhr, sowie von 30.10.2019, 18:36 Uhr bis 20:04 Uhr und die Anschlussleitung AC 111 von 19.09.2019, 0:58 Uhr bis 19.09.2019, 10:09 Uhr und von 30.10.2019, 18:42 Uhr bis 30.10.2019, 20:04 Uhr gestört.
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Die Klägerin legte eine viertelstundenscharfe Berechnung der in den Monaten September und Oktober 2019 ausgefallenen Arbeit unter Berücksichtigung gesetzlicher Selbstbehalte (zehn Tage vom 20. September bis einschließlich 29.09.2019 für alle Anlagen) und zwischenzeitlicher Ausfälle/Wartungszeiträume einzelner Windenergieanlagen auf Basis von 90% eines kW-Preises von 19,4 Cent vor (Anlage K3), ließ diese von einem Wirtschaftsprüfer prüfen(Anlage K4) und stellte der Beklagten am 13.05.2021 (mit Frist von 30 Tagen) eine Rechnung über die Klageforderung (Anlage K8). Die Beklagte wies die Forderung am 14.10.2021 zurück (Anlage K 10).
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Die Klägerin meint, § 17e Abs. 1 EnWG gebe ihr einen Anspruch auch dann, wenn aufgrund der Störung die Einspeisung nicht gänzlich unmöglich, sondern nur teilweise (unter dem zugesagten Anschlusswert) möglich war. Es komme auf den Ausfall der ursprünglich zugesagten Netzanbindung an. Die von ihr während der Selbstbehaltsfrist über die Brücke eingespeiste Strommenge könne sich nicht anspruchsmindernd auswirken; insbesondere habe sie im Gegensatz zu anderen Windparkbetreibern mit der Beklagten eine entsprechende Regelung („virtuelles Konto“) nie vereinbart.
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Soweit die Beklagte „Werte oberhalb der Kennlinie“ einzelner Anlagen beanstande und kürze, übersehe sie, dass bereits die Klägerin die jeweils maximale Ausfallarbeit insgesamt auf 288 MW abgeschnitten habe, wobei sich Abweichungen einzelner Anlagen nach unten und oben statistisch ausgleichen. Die Leistungskennlinien und deren Korrekturfaktoren seien für jede einzelne Anlage vermessen und zertifiziert. Dabei seien im Wesentlichen Daten aus dem Teillastbereich eingeflossen, wobei sich für Anlagen mit zwei unterschiedlichen Rotorblatttypen unterschiedliche Werte der Korrekturfaktoren ergaben. Den Abschattungseffekt (Wake-Effekt) habe sie in ihrer Berechnung korrekt berücksichtigt. Die Daten der Gondelanemometer der in Betrieb befindlichen Anlagen berücksichtigten bereits die Abschattung durch andere im Betrieb befindliche Anlagen. Soweit sie Werte des Mastes F.1 verwendet habe, berücksichtigten auch diese den Abschattungseffekt, aufgrund der in die Messung einfließenden Effekte der den F.-Mast umgebenden Windparks. Die Managementprämie von 0,4 Cent pro Kilowatt habe die Beklagte bei ihrer Berechnung unzutreffend abgezogen.
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Mit den Feststellungsanträgen möchte die Klägerin vom Gericht geäußerte Rechtsansichten zu Teilfragen auch für den Fall festgeschrieben sehen, dass das Gericht die Klage wegen nicht abgelaufener Selbstbehaltsfrist abweist. Wegen der behaupteten Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 21.12.2022, vom 20.09.2023, vom 13.11.2023 und vom 21.11.2023. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze vom 7.12. und 19.12.23 lagen vor.“
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Die Klägerin beantragt zuletzt
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 3.478.446,77 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. Dezember 2022 zu zahlen
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Hilfsweise beantragt die Klägerin
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist,
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a. bei zukünftigen oder bereits eingetretenen Störungen (einschließlich Wartungen im Sinne des § 17e Abs. 3 EnWG ) der der Klägerin zugewiesenen Netzanbindung etwaige Entschädigungsansprüche nach § 17e EnWG ohne den Einwand abzurechnen, dass die Möglichkeit der (teilweisen) Einspeisung über eine Brückenverbindung Entschädigungsansprüche nach § 17e EnWG von vornherein ausschließe;
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b. bei zukünftigen oder bereits eingetretenen Störungen (einschließlich Wartungen im Sinne des § 17e Abs. 3 EnWG ) der der Klägerin zugewiesenen Netzanbindung etwaige Entschädigungsansprüche nach § 17e EnWG nicht mit den durch Einspeisung über die Brückenverbindung im Selbstbehaltszeitraum erzielten Einnahmen oder mit am letzten Tag der Störung oder Wartungsmaßnahme erzielten Einnahmen zu verrechnen (sog. „virtuelles Konto“)
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c. bei zukünftigen oder bereits eingetretenen Störungen (einschließlich Wartungen im Sinne des § 17e Abs. 3 EnWG ) der der Klägerin zugewiesenen Netzanbindung für die Berechnung der Entschädigungszahlungen nach § 17e EnWG auch untertägige Nichtverfügbarkeiten der Netzanbindung zu berücksichtigen und den Entschädigungszeitraum dabei viertelstundenscharf bis zum Ende der Störung (bzw. Wartung) zu berechnen
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d. bei zukünftigen oder bereits eingetretenen Störungen oder Wartungsmaßnahmen der der Klägerin zugewiesenen Netzanbindung für die Berechnung der Entschädigungszahlungen § 17e EnWG in der bis 31 . Dezember 2016 geltenden Fassung anzuwenden und dementsprechend den vollen anzulegenden Wert i.H.v. 19,40 ct/kWh – vorbehaltlich aus anderen gesetzlichen Gründen gerechtfertigter Abzüge – anzusetzen; ein Abzug i.H.v. 0,4 ct/kWh, wie er nach § 17e Abs. 1 S. 1 EnWG in der seit dem 1 . Januar 2017 geltenden Fassung erfolgt, findet nicht statt.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die Beklagte meint, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 17e Abs. 1 EnWG lägen schon deshalb nicht vor, weil während der streitgegenständlichen Zeit eine Einspeisung nicht unmöglich war, sondern – teilweise – möglich gewesen ist. Tatsächlich decke die Brücke 70% der Maximalleistung des klägerischen Windparks ab, bei schwächerem Wind bestehe also überhaupt keine Einschränkung. Tatsächlich seien auch alle betriebsbereiten Anlagen der Klägerin während der fraglichen Zeiten gelaufen. Der Klägerin sei es im streitgegenständlichen Zeitraum mit Ausnahme von zwei Tagen möglich gewesen, die von ihr erzeugte Einspeiseleistung in mindestens einer Viertelstunde vollständig über die Brücke einzuspeisen. Gemeinsam mit der Bundesnetzagentur und dem weiteren Übertragungsnetzbetreiber TSO 50Hertz habe die Beklagte das Konzept einer Entschädigung bei limitierter Einspeisung entwickelt, das für diesen Fall die Abrechnung über ein virtuelles Konto vorsehe. Diesem zufolge werden für die Selbstbehaltsfrist auch (volle) Tage nur teilweiser Unmöglichkeit angerechnet, die in dieser Zeit erzielten Erlöse würden aber zu einem fiktiven Betrag aufaddiert. Nach Ablauf der Selbstbehaltsfrist fällige Entschädigungen würden zunächst mit diesem fiktiven Betrag verrechnet und nur ausbezahlt, soweit sie diesen übersteigen. Im konkreten Zeitraum sei dies nicht der Fall. Die Klägerin habe die Klageforderung übersteigende Einspeisevergütungen von 3.775.747,70 € erzielen können.
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Die Abrechnung enthalte aber auch inhaltliche Fehler. Bei der Ermittlung der theoretisch möglichen Einspeisung habe die Klägerin mehrfach Werte oberhalb der zertifizierten Leistungskennlinien angesetzt. Auch bei Ansatz eines anlagespezifischen Korrekturfaktors größer 1 liege die maximal mögliche Einspeisung einer Anlage auf der Nennleistung von hier 6,15 ME. Hieraus errechne sich ein Minderbetrag von 291.564,35 €. Weiterhin habe die Klägerin den Abschattungseffekt unzureichend berücksichtigt, was sich in Höhe von 159.344,12 € auswirke. Bei Teillast der Anlagen trete dieser auch nur teilweise auf. Die fiktive Berechnung müsse ihn aber in voller Höhe ansetzen; der Abschlag müsse mindestens 5% betragen. Die Vergütungshöhe betrage zudem (ohne die Managementprämie) 19 ct/kWh, was sich in Höhe von 36.055,25 € auswirke.
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Die Beklagte hält die Feststellungsanträge für unzulässig, weil diese sich nicht auf ein konkretes Rechtsverhältnis, sondern auf einzelne Vorfragen von zukünftig unbestimmt entstehenden Rechtsverhältnissen beziehen. Trete die Bedingung ein, seien die festzustellenden Rechtsfragen für die streitgegenständliche Entscheidung irrelevant. Die begehrten Feststellungen würden künftige Rechtsstreitigkeiten um die Höhe einer Entschädigung auch nur zum Teil befrieden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 21.03.2023, vom 23.10.2023 und vom 14.11.2023 verwiesen. Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz vom 15.12.23 lag vor.

Entscheidungsgründe

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Die nur teilweise zulässige Klage ist unbegründet.
I.
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Die Klage ist den Leistungsantrag betreffend zulässig, insbesondere ist das Landgericht Bayreuth sachlich (§ 1 ZPO, § 71 Abs. 1 GVG) und örtlich (§§ 12, 17 ZPO) zuständig.
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Die Feststellungsanträge erweisen sich demgegenüber mangels Feststellungsinteresses und des Vorrangs der Leistungsklage als unzulässig. Die Klägerin begehrt mit ihren Feststellungsanträgen der Sache nach die Feststellung bestimmter Abrechnungsmodi. Soweit die Anträge bereits eingetretene Störungen betreffen, ist nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin ihre Entschädigungsansprüche nicht beziffern könnte. In diesem Fall bedarf es der Feststellungsklage aufgrund der Möglichkeit der Erhebung einer Leistungsklage nicht. Soweit die Klägerin die Feststellung für zukünftige Störungen begehrt, macht sie losgelöst von der zwischen ihr und der Beklagten bestehenden Verbindung eine theoretische Rechtsetzung geltend. Insoweit ist der Antrag nicht auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses gerichtet, weil die Klägerin auf die Beantwortung der (abstrakten) Fragen abzielt, wie sich die Einspeisemöglichkeit über eine Brückenverbindung auf einen Anspruch aus § 17e EnWG auswirkt und wie ein Anspruch nach § 17e EnWG abzurechnen ist, inklusive der Berücksichtigungsfähigkeit der sog. Managementprämie. Dies sind aber allesamt nur abstrakte Vorfragen für die daraus gegebenenfalls folgenden und allein feststellungsfähigen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien. Zwar liegt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis auch vor, wenn eine Verbindlichkeit noch nicht entstanden, aber für ihren späteren Eintritt der Grund in der Art gelegt ist, dass die Entstehung der Verbindlichkeit nur von dem Eintritt weiterer Umstände oder dem Zeitablauf abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.2014 – VIII ZR 79/14, NJW 2015, 873, 875). Der hiernach erforderliche Grund des Anspruchs der Klägerin auf Entschädigungszahlungen ist indes gegenwärtig noch nicht hinreichend angelegt, weil er den ungewissen Eintritt einer Störung oder Wartung voraussetzt.
II.
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Die Klägerin kann wegen der Störung der HGÜ-Leitung sowie der Anschlusskabel AC 110 und AC 111 im September und Oktober 2019 mangels Ablauf der Selbstbehaltsfristen von der Beklagten keine Entschädigung nach § 118 Abs. 21 EnWG i.V.m. § 17e Abs. 1 EnWG (in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung) verlangen.
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1. Nach § 17e Abs. 1 EnWG 2016 kann der Betreiber einer betriebsbereiten Windenergieanlage auf See eine Entschädigung in Anspruch nehmen, wenn an mehr als zehn aufeinander folgenden Tagen im Kalenderjahr wegen einer Störung der Netzanbindung eine Einspeisung nicht möglich ist. Dem vorliegenden Rechtsstreit liegt damit die Rechtsfrage zugrunde, ob die Unmöglichkeit der Einspeisung die generelle Einspeisung in das Übertragungsnetz oder die Einspeisung auf der dem Betreiber der Windenergieanlage zugewiesenen Anbindungsleitung betrifft. Diese Rechtsfrage ist ebenfalls für die Berechnung der Selbstbehaltsfrist entscheidend.
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2. Die Kammer braucht die Rechtsfrage nur im Hinblick auf die Selbstbehaltsfrist zu entscheiden. Sie entscheidet die Rechtsfrage dahin, dass es auf die Einspeisung als solche ankommt, wobei bezogen auf jede einzelne Windenergieanlage, mithin anlagenbezogen, nur solche Tage in den Lauf der Selbstbehaltsfrist fallen, an denen die Windenergieanlage für nicht mindestens eine Viertelstunde über die zugewiesene Anbindungsleitung in das Übertragungsnetz einspeisen konnte.
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a. Die Entschädigungspflicht nach § 17e EnWG 2016 besteht, weil es bei ...-Windenergieanlagen keine sog. n-1-Sicherheit gibt (vgl. BT-Drucks. 17/17054, S. 26 f.). Die Entschädigungspflicht dient damit dem Ausgleich dafür, dass Übertragungsnetzbetreiber den Betreibern von Windenergieanlagen keine Brückenverbindung zur Einspeisung zur Verfügung stellen müssen, wenn das zugewiesene Anbindungssystem aufgrund Störung oder Wartung nicht verfügbar ist.
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Dieser Normzweck ist indes erreicht, wenn dem Betreiber von Windenergieanlagen eine weitere Möglichkeit zur Verfügung steht, den von ihm erzeugten Strom in das Übertragungsnetz des Netzbetreibers einzuspeisen. Denn in diesem Fall kommt der Netzbetreiber seiner vertraglichen Verpflichtung auf anderem Weg nach, wobei der Betreiber der Windenergieanlagen kein schützenswertes Interesse hat, auf dem ihm zugewiesenen Anbindungssystem einzuspeisen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die durch jede einzelne Windenergieanlage des Betreibers erzeugte Strommenge zu jeder Viertelstunde über die Brücke abtransportiert werden kann, d.h. wenn der Betreiber durch die Einspeisung über die Brücke so gestellt ist, wie er ohne die Störung oder Wartung der Anbindung der ...-Anlage stünde.
30
Hätte eine Windenergieanlage im Störungszeitraum aufgrund der gegebenen Windstärken mehr Strom erzeugt, als über die Brücke abtransportiert werden kann, ist nach dem Normzweck des § 17e Abs. 1 EnWG 2016 die Differenz der angefallenen und ohne Unterbrechung eingespeisten Energiemenge zu der über die Brücke eingespeisten Energiemenge entschädigungsfähig. Dass der Wortlaut diesen Fall der Teilunmöglichkeit, anders als § 275 Abs. 1 BGB durch die dort enthaltene Formulierung „soweit“, nicht vorsieht, führt schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil Bezugspunkt der Unmöglichkeit der Einspeisung in § 17e Abs. 1 EnWG 2016 die Selbstbehaltsfrist ist. Nach § 17e Abs. 1 Satz 2 EnWG 2016 ist für die Ermittlung der Höhe der Entschädigung die durchschnittliche Einspeisung einer vergleichbaren Anlage in dem entsprechenden Zeitraum der Störung zugrunde zu legen. Dieser Störungs- oder Wartungszeitraum ist viertelstundenscharf zu betrachten und abzurechnen (vgl. LG Bayreuth, Grund- und Teilurteil vom 20.01.2022 – 31 O 939/20). Der Betreiber der Windenergieanlage erhält nach Ablauf der Selbstbehaltsfrist für jeden Tag der Störung oder Wartung eine Entschädigung, an dem er für eine Viertelstunde nicht in der zugesagten Höhe in das Übertragungsnetz einspeisen kann. Dies ist in Höhe der Differenz der produzierten, zu der tatsächlich über die Brücke abtransportierten Leistung der Fall, weil insoweit der Schutzzweck des § 17e Abs. 1 EnWG 2016 einschlägig ist und deshalb der Wortlaut der Norm teleologisch zu reduzieren ist. Dies ergibt sich schließlich auch aus dem Grundsatz, dass mit der Entschädigungsleistung die durchschnittliche Einspeisung einer vergleichbaren Anlage in dem entsprechenden Zeitraum der Störung so realistisch wie möglich abgebildet werden soll (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.12.2017 – VI-3 Kart 123/16, NVwZ-RR 2018, 490).
31
b. Kein realistisches Abbild, sondern ein gesetzlicher Pauschalabzug bzw. eine gesetzliche Selbstbeteiligung sind demgegenüber die Selbstbehaltsfristen. Der Gesetzgeber hat den Fall einer teilweisen Überbrückung der gestörten Leitung nicht explizit geregelt. Er hat auch nicht geregelt, welche Auswirkungen eine Interimsanbindung auf die Berechnung der Selbstbehaltsfristen hat.
32
In die Selbstbehaltsfrist sind nach der gesetzlichen Regelung nur volle Störungs- bzw. Wartungstage zu rechnen; „Tage, an denen zumindest teilweise eine Einspeisung möglich ist, sind bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen.“ (BT-Drucks. 17/17054, S. 27; vgl. auch OLG Nürnberg, Endurteil vom 13.06.2023 – 3 U 456/22, EnWZ 2023, 371, 377) Tage, an denen eine Windenergieanlage für mindestens eine Viertelstunde (über die Brücke) vollständig in das Übertragungsnetz einspeisen konnte, fallen demzufolge nicht in die Selbstbehaltsfrist. Denn in diesem Fall konnte bei einer gesamten erzielbaren Leistung unterhalb der Kapazität der Brückenverbindung, auch wenn dies nur für eine Viertelstunde am Tag der Fall gewesen sein sollte, jede Windenergieanlage an diesem Tag in Betrieb sein und hätte (über die Brücke) nicht mehr als über das ihr zugewiesene Anbindungssystem einspeisen können. Neben den Gesetzmaterialien spricht der Wortlaut des § 17e Abs. 1 EnWG 2016 für diese Auslegung, wenn einerseits (pauschal) der Ablauf der auf volle Tage zu bemessenden Selbstbehaltsfrist („länger als zehn aufeinander folgende Tage (…) ab dem elften Tag der Störung“) der auf den konkreten Störungszeitraum bezogenen Ermittlung der Entschädigungshöhe gegenübersteht. Im Übrigen ergibt sich dieses Ergebnis im Umkehrschluss auch aus der Regelung des § 17e Abs. 3 Satz 2 EnWG in ihrer zum Zeitpunkt der Entscheidung gültigen Fassung. Der Gesetzgeber hat insoweit bestimmt, dass bei Wartungsarbeiten bei der Berechnung der Selbstbehaltsfrist volle Stunden zusammenzurechnen sind. Nachdem eine solche Regelung bei § 17e Abs. 1 EnWG 2016 fehlt, spricht auch dies dafür, dass nur solche Tage in die Selbstbehaltsfrist fallen, an denen es vollständig (d.h. auch nicht für eine Viertelstunde) unmöglich war, die durch eine Windenergieanlage produzierte Energie vollständig in das Übertragungsnetz einzuspeisen.
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Die Rechtsauffassung der Kammer führt auch nicht zu einer unbilligen Härte gegenüber den Betreibern der Windenergieanlagen. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass das Erfordernis der vollständigen Nichteinspeisung für einen Kalendertag bei einer Störung nach § 17e Abs. 1 EnWG 2016 aufgrund der zusätzlichen Voraussetzung der Nichteinspeisung an zehn aufeinander folgenden Tagen – im Gegensatz zu den zehn Tagen im Kalenderjahr bei einer Wartung nach § 17e Abs. 3 EnWG 2016 – bei Verfügbarkeit einer hinreichend leistungsfähigen – hier: 70% der Anschlussleistung – Brückenverbindung regelmäßig nicht erfüllt sein wird. Der Gesetzgeber wollte mit der Selbstbehaltsregelung den Betreiber der ...-Anlage indes bewusst am unternehmerischen Risiko beteiligen (BT-Drucks. 17/10754, S. 27). Dieses unternehmerische Risiko wird aber einerseits abgemildert durch die zur Verfügung stehende Brückenverbindung, andererseits hat der Gesetzgeber eine absolute Begrenzung durch die Regelung des § 17e Abs. 1 Satz 3 EnWG 2016 berücksichtigt, wonach bei Störungen der Netzanbindung an mehr als 18 Tagen im Kalenderjahr der Anspruch ab dem 19. Tag im Kalenderjahr besteht.
34
Soweit die Klägerin vorträgt, die Beklagte würde den Betreibern der Windenergieanlagen per Sollwertvorgabe vorgeben, welche Leistung über die Brückenverbindung eingespeist werden dürfe, zielt die Klägerin darauf ab, dass es in der Hand der Beklagten liege, ob der Betreiber für mindestens eine Viertelstunde vollständig in das Übertragungsnetz einspeisen könne. Es handelt sich nicht um ein Problem der Disposition des Übertragungsnetzbetreibers über den Selbstbehalt, sondern der Nachweisführung des Ablaufs des Selbstbehalts durch den Betreiber der Windenergieanlage. Das Vorliegen eines solchen Falles hat die Klägerin indes schon nicht behauptet.
35
3. Die Klägerin hat nach diesen Maßstäben bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung und auch unter Berücksichtigung des Vortrags zu den Leistungskennzahlen ihrer Windenergieanlagen in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen nicht nachgewiesen, dass die Selbstbehaltsfrist des § 17e Abs. 1 EnWG 2016 abgelaufen ist. Sie hat den Vortrag der Beklagten, wonach es ihr im streitgegenständlichen Zeitraum möglich gewesen sei, die ihr zur Verfügung stehende Einspeiseleistung in mindestens einer Viertelstunde vollständig einzuspeisen pauschal bestritten, wobei bereits die Darlegungs- und Beweislast für den Ablauf der Selbstbehaltsfrist des § 17e Abs. 1 EnWG 2016 ihr obliegt.
III.
36
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 709 ZPO.