Inhalt

AG München, Endbeschluss v. 02.02.2023 – 545 F 7167/16
Titel:

Trennungsunterhalt: Quotenunterhalt bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen – Billigkeitsabwägung bei Härtegründen (§ 1579 BGB)

Normenketten:
BGB § 242, § 394, § 1361 Abs. 1, § 1361 Abs. 1 S. 2, § 1361 Abs. 3, § 1579 Nr. 3, § 1579 Nr. 4, § 1579 Nr. 7, § 1581
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 224 Abs. 1 Nr. 5
Leitsätze:
1. Der Unterhaltsgläubiger kann eine tatsächliche Vermutung für den vollständigen Verbrauch des Familieneinkommens, soweit dieses das Doppelte des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle, mithin einen Betrag von 11.000 EUR übersteigt, widerlegen und darüber hinausgehenden Quotenunterhalt verlangen, wenn er vorträgt, dass und in welchem Umfang das weitere Einkommen zur Deckung der ehelichen Lebensverhältnisse verwendet worden ist. (Rn. 51 – 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei den unter § 1579 Nr. 3 BGB fallenden Taten muss es sich um gravierende Straftaten handeln, wobei Körperverletzungen zwischen Ehegatten als Härtegrund über das übliche Maß ehelicher Auseinandersetzungen hinausgehen müssen. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen des § 1579 BGB hat eine Gesamtwürdigung der beiderseitigen Rechts- und Interessenlagen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu erfolgen, und bei den rechtlichen Auswirkungen ist der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. (Rn. 80 und 82) (redaktioneller Leitsatz)
4. Verzicht wie Verzeihung lassen Verwirklichung und Bewertung eines Härtegrundes zum Zeitpunkt ihrer Vornahme und damit die Tatbestandsmäßigkeit der Härtegründe unverändert und sind lediglich im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen. (Rn. 83) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Trennungsunterhalt, Quotenunterhalt, Einkommensverhältnisse, Verwirkung, Härtegründe, Billigkeitsabwägung, Erwerbsobliegenheit, Vermögensverbrauch, Körperverletzung, Verzicht
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 22.08.2024 – 12 UF 265/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52457

Tenor

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin für die Zeit vom 01. Mai 2016 bis 28. Februar 2023 rückständigen Trennungsunterhalt in Höhe von 110.458,- € zu zahlen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin ab dem 01.03.2023 einen monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen Trennungsunterhalt in Höhe 5.150 €, davon 1.387 € Altersvorsorgeunterhalt, zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
4. Der Verfahrenswert wird auf 144.665,- € festgesetzt.
5. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 62,0 % und der Antragsgegner zu 38,0 %.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Beteiligten haben am ....1998 im Standesamt M. die Ehe miteinander geschlossen. Die Beteiligten haben sich im Jahr 1988 kennengelernt und sind kurze Zeit später zusammengezogen. Nachdem der Antragsgegner sein Studium beendet hatte und eine Tätigkeit bei der ... Versicherung in K. aufnahm, beendete die Antragstellerin im Jahre 1992 ihre Tätigkeit als Sekretärin und ist seitdem nicht mehr berufstätig gewesen.
2
Vor der endgültigen Trennung der Beteiligten hat es bereits einige Trennungen gegeben, so im Jahr 2006 und Mitte September 2014. Die Beteiligten hatten sich im Anschluss wieder versöhnt und lebten seit dem 06.01.2015 wieder zusammen. Im April 2016 erfolgte die endgültige Trennung der Beteiligten. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsgegner Sprecher des Vorstandes einer großen Versicherungsgesellschaft in M., seit dem Jahr 2018 ist er Vorstandsvorsitzender.
3
Mit Antrag vom 23.02.2017 beantragte der Antragsgegner, die Ehe der Beteiligten zu scheiden. Das Scheidungsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen 545 F 1890/17.
4
Bei der Antragstellerin entwickelte sich im Jahr 2015 ein sogenanntes Maamakarzinom. Später erlitt die Antragstellerin eine depressive Erkrankung.
5
Im Trennungsjahr 2016 erzielte der Antragsgegner ein Jahresbruttoeinkommen von 526.180,43 € bzw. ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 26.089,06 € zuzüglich Arbeitgeberzuschüssen/-Leistungen zur PV in Höhe von 49,79 € und zur KV in Höhe von 309,34 € mit Abzügen für die freiwillige KV in Höhe von 682,24 € und die PV in Höhe von 110,18 €. Zur Verwendung seines Einkommens während der Ehe hatte der Antragsgegner vorgetragen, er wisse nicht genau, für was er das Geld ausgegeben habe, es sei jedenfalls weder in das Ansparen eines Vermögens oder zur besonderen sonstigen Altersvorsorge verwendet worden, es sei schlicht verbraucht worden. Insoweit erklärte er im Rahmen einer gemeinsam mit dem Scheidungsverbundverfahren stattgefundenen mündlichen Verhandlung zum (später abgetrennten) Güterrechtsverfahren die Tatsache, dass es während der Ehe zu keinem Zuwachs seines Vermögens gekommen ist.
6
Der Antragsgegner wurde mit Beschluss vom 24.09.2018 im Wege der einstweiligen Anordnung zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 2.400 € ab dem 01.07.2018 verpflichtet.
7
Der Antragsgegner hat in der Vergangenheit folgende monatlichen Unterhaltszahlungen geleistet:

Mai 2016 bis Dez. 2016:

5.820 €

Jan 2017 bis Feb. 2018:

4.320 €

März 2018 bis Jun 2018:

1.500 €

Ab Juli 2018:

2.400 €.

8
Daneben hat er an den Vermieter der damaligen Wohnung der Antragstellerin am 06.02.2019 einen Betrag von 6.952,06 €, inklusive Miete für März und April von jeweils 2.820 € bezahlt wegen eines Urteils des Amtsgerichts München, in dem die Beteiligten gesamtschuldnerisch verurteilt wurden, sowie am 01.07.2019 25.000 € und am 22.11.2019 weitere 11.660 € wegen Mietrückständen ab Mai 2018 bis Mai 2019 (13 × 2.820 €).
9
Mit diesen Zahlungen hat der Antragsgegner hilfsweise die Aufrechnung erklärt.
10
Die Antragstellerin trägt vor, das Nettoeinkommen des Antragsgegners habe im Jahr 2016 25.293 €, im Jahr 2017 27.044 €, im Jahr 2018 28.478 € und im Jahr 2019 28.739 € betragen. Mietrückstände ab März 2018 hätten nicht, jedenfalls nicht in dieser Höhe bestanden.
11
Die Antragstellerin ist der Ansicht, für den nachehelichen Unterhalt sei auf das jeweils erzielte Jahreseinkommen des Antragsgegners abzustellen.
12
Sie ist weiter der Ansicht, dass ihr kein fiktives Einkommen zugerechnet werden könne. Sie hatte vorgetragen, keine abgeschlossene Berufsausbildung zu haben. Sie hätte 1987 die mittlere Reife gemacht, danach einige Ausbildungen begonnen und abgebrochen, in M. im Sekretariat eines Fernsehsenders gearbeitet und danach im Empfang einer Agentur. Im Jahr 1992 sei sie mit dem Antragsgegner nach K. gegangen, nachdem dieser sein Studium beendet hätte und wäre seitdem im beiderseitigen Einvernehmen nicht mehr tätig gewesen. Darüber hinaus sei sie wegen ihrer Erkrankungen arbeitsunfähig. Darüber hinaus sei ein Verwirkungstatbestand nicht erfüllt. Jedenfalls dürften die vor der endgültigen Trennung am 15.04.2016 liegende Vorfälle nicht berücksichtigt werden, da durch das weitere Zusammenleben, luxuriöse Urlaube und Liebesbriefe die Rechtsfigur der Verzeihung erfüllt wäre. Schließlich sei der Unterhalt auch nicht zeitlich zu befristen.
13
Schließlich sei eine Aufrechnung gegen ihre Ansprüche aus rückständigem Unterhalt mit den weiteren Zahlungen des Antragsgegners in Höhe von 43.612 € wegen eines bestehenden Aufrechnungsverbots nicht zulässig.
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Zuletzt hat die Antragstellerin folgende Anträge gestellt:
I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, Trennungsunterhalt wie folgt zu bezahlen:
- Ab 01.01.2016 monatlich im Voraus € 10.813.
- Ab 01.01.2017 monatlich im Voraus € 11.562.
- Ab 01.03.2017 monatlich im Voraus € 13.619 einschließlich Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von € 3.741.
- Ab 01.01.2018 monatlich im Voraus € 14.329 einschließlich Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von € 3.918.
- Ab 01.01.2019 monatlich im Voraus € 14.448 einschließlich Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von € 3.931
II. Der Antragsgegner wird verpflichtet, für Mai 2016 Unterhaltsrückstände in Höhe von 4.993 € zu zahlen nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2016.
III. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.743,43 € nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.06.2016 zu bezahlen.
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Der Antragsgegner hat zuletzt die Abweisung des Antrages auf Zahlung von Trennungsunterhalt beantragt sowie hilfsweise, den Antrag der Antragstellerin auf Trennungsunterhalt abzuweisen, soweit er für den Zeitraum 2016 bis 2019 auf einen monatlichen Unterhalt von mehr als 130 € gerichtet ist, für 2020 auf mehr als 210 €.
16
Er ist der Ansicht, eine quotale Unterhaltsberechnung sei allenfalls bis zum doppelten Betrag der Düsseldorfer Tabelle (Stand 2021), mithin bis zu einem Einkommen von 11.000,- € gerechtfertigt.
17
Sollte darüber hinaus eine quotale Berechnung erfolgen, müsste sein bei der Trennung im Jahr 2016 erzielten Einkommen zu Grunde gelegt werden, nachdem seine Beförderung im Jahr 2018 zum Vorstandsvorsitzenden einen nicht in der Ehe angelegten Karrieresprung darstelle.
18
Bei der Berechnung des Einkommens müsse der Antragstellerin ein fiktives Einkommen zugerechnet werden, da sie in der Lage sei, beispielsweise als Sekretärin einer Rechtsanwaltskanzlei, ganztägig zu arbeiten.
19
Er ist der Ansicht, dass ein Anspruch auf Trennungsunterhalt im Übrigen jedenfalls verwirkt sei. Er hat hierfür eine Vielzahl von Vorfällen ins Feld geführt, die seitens der Antragstellerin größtenteils bestritten wurden. Auf die entsprechenden Schriftsätze wird insoweit Bezug genommen.
20
Schließlich seien die von ihm geleisteten zusätzlichen Zahlungen in Höhe von 43.612 € im Wege der Saldierung bei der Berechnung des rückständigen Unterhalts in Abzug zu bringen.
21
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligtenvertreter und die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen, wiederum insbesondere auf die durchgeführte Beweisaufnahme.
22
Die Beteiligten haben durch Schriftsätze vom 07.11.2022 und 08.11.2022 einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Der Termin, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, wurde auf den 30.01.2023 bestimmt.
II.
23
Die zulässigen Anträge der Antragstellerin sind teilweise, im tenorierten Umfang, begründet. Im Übrigen waren sie als unbegründet abzuweisen.
1. Rückständiger Trennungsunterhalt Mai 2016 bis Februar 2023:
24
Obgleich die Antragstellerin rückständigen Trennungsunterhalt für Mai 2016 und ab 01.06.2016 die Zahlung von laufendem Trennungsunterhalt beantragt hat, ist ihr Antrag wegen des eingetretenen Zeitablaufs entsprechend auszulegen auf Zahlung von rückständigen Trennungsunterhalt bis zum Monat des Entscheidungsdatums und ab diesem Zeitpunkt auf Zahlung laufenden Trennungsunterhaltes. Denn eben jenes ist der Wille der Antragstellerin, für den abgelaufenen Zeitraum den zu wenig entrichteten Unterhalt zu erhalten.
25
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf rückständigen Trennungsunterhalt für den Zeitraum Mai 2016 bis Februar 2023 in Höhe von 110.458,- €.
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Der Rückstandberechnung war für die Zeit Mai 2016 bis Februar 2017 ein geschuldeter Trennungsunterhalt von 4.387 € und für die Zeit ab 01.03.2017 ein geschuldeter Trennungsuntehalt in Höhe von 5.150 €, davon 1.387 € Altersvorsorgeunterhalt zu Grunde zu legen.
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Weiter waren bei der Rückstandsberechnung über den laufenden gezahlten Unterhalt Leistungen des Antragsgegners als abzugsfähiger Posten zu berücksichtigen, jedoch wiederum als laufend gezahlter Unterhalt und nicht in voller Höhe (s.u. Ziffer 1.8.).
1.1. Anspruch aus § 1361 BGB
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Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Trennungsunterhalt gem. § 1361 Abs. 1 BGB, der gem. § 1361 Abs. 1 S. 2 BGB ab Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens auch einen Altersvorsorgeunterhalt erfasst.
29
Die Beteiligten leben seit April 2016 getrennt i.S.d. § 1567 BGB. Die Antragstellerin ist außer Stande, ihren Bedarf durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit selbst zu decken und auch nicht in der Lage ist, sich mit sonstigen Einkünften und aus ihrem Vermögen selbst zu unterhalten. Der Antragsgegner ist wirtschaftlich leistungsfähig.
30
1.2. Die Antragstellerin ist aus Sicht des Gerichts nicht in der Lage, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden.
31
Da im Rahmen des Unterhalts eine grds. Erwerbsobliegenheit besteht, muss der Berechtigte sich nach Ablauf des Trennungsjahres grds. in angemessener Weise um einen Arbeitsplatz bemüht haben. Ob er eine geeignete Stelle zu finden vermag, ist von den persönlichen Umständen (Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand) und den objektiven Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt abhängig. Leichtfertig und schuldhaft unterlassene Bewerbungsbemühungen lassen den Anspruch entfallen. (BeckOK BGB/Beutler, 63. Ed. 1.8.2022, BGB zu § 1573 Rn. 5, 6).
32
Das Gericht ist dabei der Überzeugung, dass die Antragstellerin auf Grund objektiver Umstände generell nicht in der Lage ist, eine auch nur geringfügige Arbeitsstelle zu finden.
33
Ausgehend von eingeholten Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. F. vom 28.05.2020 ist die Antragstellerin auf Grund ihrer Erkrankung allenfalls in der Lage, drei Stunden täglich zu arbeiten. Dabei ist zu berücksichtigen dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer Erkrankung und dem Umstand, dass sie seit dem Jahr 1992 keiner Tätigkeit mehr nachgegangen ist, auf dem Arbeitsmarkt vernünftigerweise allenfalls eine Tätigkeit auf 450 € Basis erlangen könnte. Selbst wenn die Antragstellerin eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten oder ähnlichen abgeschlossen hätte, ist das Gericht davon überzeugt, dass sie aufgrund des seit dem Jahr 1992 erfolgten massiven technischen Wadels im diesbezüglichen Arbeitsmarkt schlicht nicht vermittelbar wäre, auch wenn der Bedarf nach Arbeitskräften diesem Segment sehr hoch sein dürfte. In Zusammenschau dieser Umstände und der stark verminderten Arbeitskraft in zeitlicher Hinsicht ist das Gericht der Ansicht, dass es der Antragstellerin unmöglich ist, eine für sie angemessene Erwerbstätigkeit zu finden.
34
Insoweit kann es auch dahinstehen, ob die Antragstellerin überhaupt Bewerbungsbemühungen unternommen hat.
1.3. Bedürftigkeit der Antragstellerin
35
Die Antragstellerin ist bedürftig, da sie nicht in der Lage ist, ihren Bedarf selbst, auch nicht nur teilweise selbst, zu erwirtschaften.
36
Wie oben bereits beschrieben, ist die Antragstellerin nicht in der Lage, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden. Darüber hinaus sind ihr auch keine fiktiven Einkünfte zuzurechnen und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt, das sie es unterlassen hätte, die notwendigen Heilbehandlungen rechtzeitig vorzunehmen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. F. vom 28.05.2020 lässt sich gerade nicht sicher feststellen, dass die Antragsgegnerin eine weitergehende Arbeitsfähigkeit bei rechtzeitiger Vornahme der angezeigten Heilbehandlungen hätte herstellen können oder wird in Zukunft herstellen können.
1.4. Höhe des Unterhalts
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Der sich nach dem Halbteilungsgrundsatz ergebende Unterhaltsbedarf der Antragstellerin beträgt im Zeitraum Mai 2016 bis 28.02.2017 10.976,- € und ab März 2017 9.407 € zuzüglich Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 3.468 €, insgesamt also 12.875 €.
1.4.1. Maßgebliches Einkommen des Antragsgegners
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Das Unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Antragsgegners beträgt 21.935,68 €.
1.4.1.1. Maßgeblicher Zeitpunkt
39
Der Unterhaltsberechnung ist das vom Antragsgegner zum Zeitpunkt der Trennung im April 2016 erzielte Einkommen zu Grunde zu legen. Das bedarfsprägende Einkommen wird nicht allein von dem Einkommen im Zeitpunkt der Trennung, sondern der Einkommensentwicklung während des Getrenntlebens geprägt. Aus der Besonderheit der Trennungssituation wird gefolgert, dass die Ehegatten während der Trennung bis zur Rechtskraft der Scheidung an der Entwicklung ihrer gegenseitigen Lebensverhältnisse grds. teilnehmen (BGH FamRZ 1999, 367 = NJW 1999, 717 FamRZ 2006, 683 (686) = NJW 2006, 1654). Das gilt auch dann, wenn sie von Anfang an getrennt gelebt haben (BGH FamRZ 2020, 198 = NJW 2020, 1674; FamRZ 1985, 357 = NJW 1985, 1345). In diesem durch die gemeinsamen Einkünfte gesetzten Rahmen sind nach der Rspr. die Einkommen prägend, die während der Ehe nachhaltig zur Deckung der Lebensverhältnisse eingesetzt wurden (BGH FamRZ 1992, 1045 = NJW 1992, 2477).
40
Grds. wäre daher das im jeweiligen Zeitraum tatsächlich erzielte Einkommen für die Berechnung des Unterhalts maßgeblich.
41
Kommt es nach der Trennung auf Grund außergewöhnlicher Umstände zu einer unerwarteten, vom Normalverlauf erheblich abweichenden Entwicklung, sind die neuen Einkommensverhältnisse jedoch nicht mehr prägend (Wendl/Dose/Siebert, 10. Auflage 2019 § 4 Rn. 569). Nach der Rspr. des BGH ist nur die „Abweichung vom Normalverlauf“ nicht prägend (erstmals BGH FamRZ 1982, 360 = NJW 1982, 1869; FamRZ 1999, 367 = NJW 1999, 717) und der „Karrieresprung“ ein einleuchtender Beispielfall (so zum nachehelichen Unterhalt BGH FamRZ 2007, 793 = NJW 2007, 1961).
42
Wann eine vom Normalverlauf abweichende Entwicklung vorliegt, ist eine Einzelfallentscheidung des Tatrichters. Indiz für eine außergewöhnliche, vom Normalverlauf abweichende Einkommensentwicklung ist eine erheblich über den normalen Gehaltserhöhungen liegende Einkommenssteigerung, vor allem bei Tätigkeiten in der freien Wirtschaft (Wendl/Dose/Siebert, 10. Auflage 2019, § 4 Rn. 571, m.w.N.).
43
Einzelfälle der Leistungsbeförderung bzw. des Karrieresprungs: Eine nach der Trennung eingetretene unerwartete, vom Normalverlauf abweichende Entwicklung liegt bei einer sog Leistungsbeförderung bzw. einem Karrieresprung vor. Letzteres ist z.B. gegeben bei einem Aufstieg vom Oberarzt zum Chefarzt, beim Wechsel eines Oberarztes in eine selbständige Praxis mit deutlich höheren Einkünften, vom ersten Beigeordneten einer Stadt zum Kreisdirektor, vom Vertriebsingenieur zum Geschäftsführer einer GmbH, vom Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens zum „Senior Manager“ eines international operierenden Konzerns. (Wendl/Dose/Siebert, 10. Auflage 2019 § 4 Rn. 572 m.w.N.).
44
Diesen Grundsätzen folgend, ist die Beförderung in der Leitungsebene einer AG vom Vostandsmitglied zum Vorstandsvorsitzenden als derartiger Karrieresprung anzusehen, auch unter Zugrundelegung der vorangegangenen Tätigkeit als Sprecher des Vorstandes. Diese Beförderung stellt keinen typischen Geschehensablauf dar und ist in der Regel, insbesondere im Hinblick auf die begrenzte Zahl von Vorstandsvorsitzendenstellen, nicht zu erwarten. Ob das berufsschädigende Verhalten der Antragsgegnerin hier, wie seitens des Antragsstellers angenommen, zu berücksichtigen ist, kann daher dahinstehen.
45
Damit wäre auf das bis zum Karrieresprung erzielte Einkommen abzustellen, also ab dem Januar 2017 grds. auf das Einkommen des Jahres 2017. Die pauschale Behauptung der Antragstellerin, der Antragsgegner habe ausweislich der Steuerbescheide unter Abzug der Einkommenssteuer und Soli abzüglich Vorsorgeaufwendungen und zuzüglich Zuschuss des Arbeitgebers für Vorsorgeaufwendungen im Jahr 2017 27.044 € erwirtschaftet, wurde vom Antragsgegner bestritten. Nachdem der Vortrag nicht konkretisiert wurde und sich die Werte auch nicht aus den als Nachweis angegebenen Anlagen ohne weiteres Ergeben, war ein einfaches Bestreiten hier zulässig. Insoweit muss auf das zugestandene Nettoeinkommen aus dem Jahr 2016 zurückgegriffen werden, das höher ist, als das seitens der Antragstellerin angegebene Nettoeinkommen für dieses Jahr. Dies durfte erfolgen, da der Antragsgegner nicht widersprochen hat, 2017 mehr verdient zu haben, als 2016 und damit unbestritten mindestens den Betrag aus 2016 erwirtschaftet hat.
1.4.1.2. Konkrete Höhe des Einkommens
46
Das der Unterhaltsberechnung zu Grunde zu legende Einkommen des Antragsgegners berechnet sich nach dem Vortrag des Antragstellers für das Jahr 2016 wie folgt:

Bruttolohn 2016

526.180,43 €

abzgl. LSt. Kl. 1

202.001,27 €

abzgl. Soli

11.110,02 €

gesetzl. Netto

313.069,14 €

: 12

26.089,06 €

zzgl. AG PV Zuschuss

49,79 €

zzgl. AG KV Anteil

309,34 €

abzgl. freiw. KV-Beitrag

682,24 €

abzgl. PV

110,18 €

Zwischensumme 25.654,85 €

47
Das vom Antragsgegner angegebene Nettoinkommen ist damit höher als das seitens der Antragstellerin Vorgetragene und ist damit der Unterhaltsberechnung zu Grunde zu legen. (s.o.)
48
Von diesem Nettoeinkommen sind noch die sog. berufsbedingten Aufwendungen abzuziehen sowie ein sog. Erwerbstätigenbonus (vgl. SüdL 2022).

abzgl. berufsbed. Aufw.

1.282,79 €

Zwischenergebnis:

24.372,06 €

abzgl. Erwerbstätigenbonus

2.437,30 €

bereinigtes Nettoeinkommen

21.935,68 €

1.4.2. Keine Beschränkung auf Sockelbetrag trotz Quotenunterhalt
49
Grds. steht es dem Berechtigten offen, einen konkreten Bedarf geltend zu machen oder aber einen sogenannten Quotenunterhalt, der sich aus der Halbteilung des Familieneinkommens ergibt.
50
Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es an sich für die Bedarfsbemessung des Ehegattenunterhalts (Trennungsunterhalt und nachehelicher Unterhalt) keine Obergrenze oder Sättigungsgrenze für die Bedarfsbemessung nach einer Einkommensquote gibt (Wendl/Dose/Siebert, 10. Auflage 2019, § 4 Rn. 760).
51
Der Rspr. des BGH ist zu entnehmen, dass sich das für die Halbteilung maßgebliche Einkommen grds. aus der Differenz von dem Gesamteinkommen und der Vermögensbildung ergibt, weshalb die tatsächliche Vermutung besteht, dass bei „normalen“ Einkommensverhältnissen das gesamte Einkommen für den Konsum verwendet worden ist. Nach der neuesten Rechtsprechung des BGH spricht aber eine tatsächliche Vermutung für den vollständigen Verbrauch des Familieneinkommens, soweit dieses das Doppelte des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle, mithin einen Betrag von 11.000 EUR nicht übersteigt (BGH FamRZ 2020, 21 = BGHZ 223, 203 Rn. 26).
52
Bei sehr hohen Einkünften ist nach dem objektiven Maßstab eines vernünftigen Betrachters unter Berücksichtigung des tatsächlichen Konsumverhaltens der Ehegatten während des Zusammenlebens regelmäßig davon auszugehen, dass nicht alle Mittel für die Kosten der Lebensführung benötigt werden, sondern ein Teil in die Vermögensbildung fließt (Rubenbauer/Dose: Unterhaltsbedarf bei höherem Einkommen, NZFam 2021, 661 m.w.N.). Allerdings hat der BGH nun klargestellt, dass auch bei gehobenen Einkommensverhältnissen das gesamte Einkommen für den Lebensbedarf verbraucht worden sein kann, demnach auch hier eine Berechnung des Unterhalts nach Quote möglich ist. Auch bei besonders günstigen Verhältnissen bleibt das Einkommen nach der neuesten Rechtsprechung des BGH ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Darlegung des Bedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Wenn der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf in diesen Fällen im Wege der Quotenmethode darlegen will, muss er mangels tatsächlicher Vermutung für den vollständigen Verbrauch des Einkommens zu Konsumzwecken im Rahmen seiner Darlegungslast für den Unterhaltsbedarf allerdings zusätzlich vortragen, dass und in welchem Umfang das hohe Einkommen zur Deckung der ehelichen Lebensverhältnisse verwendet worden ist. Denn nur aus dem für die ehelichen Lebensverhältnisse verwendeten Teil des eheprägenden Gesamteinkommens kann er dann den Quotenunterhalt verlangen. Wenn der Unterhaltsschuldner dem insoweit notwendigen Vortrag des Unterhaltsberechtigten zum Umfang des Verbrauchs des Einkommens substantiiert widerspricht und im Rahmen seiner – dann nur sekundären – Darlegungslast eine höhere Vermögensbildung vorträgt, bleibt es bei der Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltsberechtigten für den vollständigen oder von ihm vorgetragenen (höheren) Verbrauch des Einkommens zu Konsumzwecken. (BGH FamRZ 2018, 260 = BGHZ 217, 24 Rn. 17; FamRZ 2020, 21 Rn. 26 ff.; Rubenbauer/Dose: Unterhaltsbedarf bei höherem Einkommen, NZFam 2021, 661).
53
Der Antragsgegner hat hier selbst eingeräumt, dass keine weitere Vermögensbildung erfolgte und dass das Einkommen immer vollständig ausgegeben wurde. Wofür, könne er nicht mehr sagen. Insoweit hat er eingeräumt, keine Vermögensvorsorge betrieben zu haben, weshalb er – ohne Berücksichtigung der schenkungsweise erhaltenen Immobilie – keinen Zugewinn erwirtschaftet habe. Der Antragsgegner selbst hat daher die für geringere Einkommen bestehende tatsächliche Vermutung bestätigt, dass das gesamte Familieneinkommen für den Konsum verwendet wurde. Der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin ist als zugestanden zu betrachten.
54
Ohne Bedeutung ist dabei, dass im Jahr 2016 besonders hohe Ausgaben für die Behandlung der Antragstellerin erfolgt sein sollen. Denn auch diese Ausgaben sind nicht dem Bereich der Vermögensbildung zuzurechnen und auch im Übrigen, also ohne den Anfall der hohen Behandlungskosten, ist keine Vermögensbildung erfolgt. Vielmehr verringerte sich ein Bankguthaben des Antragsgegner von über 73.000 € auf einen weitaus geringeren Betrag.
55
Das gesamte Einkommen für den Lebensbedarf verbraucht worden sein kann, demnach auch hier eine Berechnung des Unterhalts nach Quote möglich ist. Auch bei besonders günstigen Verhältnissen bleibt das Einkommen nach der neuesten Rechtsprechung des BGH ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Darlegung des Bedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Wenn der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf in diesen Fällen im Wege der Quotenmethode darlegen will, muss er mangels tatsächlicher Vermutung für den vollständigen Verbrauch des Einkommens zu Konsumzwecken im Rahmen seiner Darlegungslast für den Unterhaltsbedarf allerdings zusätzlich vortragen, dass und in welchem Umfang das hohe Einkommen zur Deckung der ehelichen Lebensverhältnisse verwendet worden ist. Denn nur aus dem für die ehelichen Lebensverhältnisse verwendeten Teil des eheprägenden Gesamteinkommens kann er dann den Quotenunterhalt verlangen. Wenn der Unterhaltsschuldner dem insoweit notwendigen Vortrag des Unterhaltsberechtigten zum Umfang des Verbrauchs des Einkommens substantiiert widerspricht und im Rahmen seiner – dann nur sekundären – Darlegungslast eine höhere Vermögensbildung vorträgt, bleibt es bei der Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltsberechtigten für den vollständigen oder von ihm vorgetragenen (höheren) Verbrauch des Einkommens zu Konsumzwecken. (BGH FamRZ 2018, 260 = BGHZ 217, 24 Rn. 17; FamRZ 2020, 21 Rn. 26 ff.; Rubenbauer/Dose: Unterhaltsbedarf bei höherem Einkommen, NZFam 2021, 661).
56
Der Antragsgegner hat hier selbst eingeräumt, dass keine weitere Vermögensbildung erfolgte und dass das Einkommen immer vollständig ausgegeben wurde. Wofür, könne er nicht mehr sagen. Insoweit hat er eingeräumt, keine Vermögensvorsorge betrieben zu haben, weshalb er – ohne Berücksichtigung der schenkungsweise erhaltenen Immobilie – keinen Zugewinn erwirtschaftet habe. Der Antragsgegner selbst hat daher die für geringere Einkommen bestehende tatsächliche Vermutung bestätigt, dass das gesamte Familieneinkommen für den Konsum verwendet wurde. Der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin ist als zugestanden zu betrachten.
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Ohne Bedeutung ist dabei, dass im Jahr 2016 besonders hohe Ausgaben für die Behandlung der Antragstellerin erfolgt sein sollen. Denn auch diese Ausgaben sind nicht dem Bereich der Vermögensbildung zuzurechnen und auch im Übrigen, also ohne den Anfall der hohen Behandlungskosten, ist keine Vermögensbildung erfolgt. Vielmehr verringerte sich ein Bankguthaben des Antragsgegner von über 73.000 € auf einen weitaus geringeren Betrag.
1.4.3. Einkommen der Antragstellerin.
58
Die Antragstellerin verfügt weder über ein eigenes Einkommen, noch sind ihr fiktive Einkünfte zuzurechnen (s.o.).
1.4.4. Konkrete Berechnung des Unterhaltsanspruches
59
Der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin berechnet sich nunmehr wie folgt:
„Nach der Halbteilung der Einkünfte ergibt sich ein Unterhaltsanspruch von 10.967,50 € [(21.935,00 € + 0 €) / 2].“
60
Diese Höhe ist maßgeblich für den Zeitraum Mai 2016 bis Februar 2017.
61
Für die Zeit ab März 2017 wurde zusätzlich Altersvorsorgeunterhalt geltend gemacht, welcher vorab beim Einkommen des Antragsgegners in Abzug zu bringen ist. Der Unterhalt berechnet sich für diese Zeit wie folgt:

Voller Unterhalt von Melanie Reichel (s.o.):

10.967,50 Euro

1.4.4.1. Altersvorsorgeunterhalt von …

Bemessungseinkommen

10.967,50 Euro

Bremer Tabelle 1.1.2022., fiktives Brutto: 10968 + 70 % =

18.646,00 Euro

Altersvorsorgeunterhalt: 18646 * 18,6 % =

3.468,00 Euro

1.4.4.2. Bonusbereinigtes Einkommen des Antragstellers, zweite Stufe

Nettoeinkommen

24.372,00 Euro

Altersvorsorgeunterhalt

-3.468,00 Euro

Erwerbstätigenbonus: (24372 – 3468) * 10 %

-2.090,00 Euro

Bonusbereinigtes Einkommen von …, zweite Stufe:

18.814,00 Euro

Voller Unterhalt von …: (18814.) / 2

9.407,00 Euro

1.4.4.3. Kontrolle nach § 1581 BGB

Summe der Vorsorgebeträge

3.468,00 Euro

Gesamteinkommen: 0. + 24372 – 3468

20.904,00 Euro

Kontrollquote: 20904 * 1280 / (2 * 1280)

10.452,00 Euro

Unterhalt von … nach Kontrollquote: 10452

10.452,00 Euro

62
Der volle Unterhalt von … in Höhe von 9.407,00 Euro unterschreitet den Unterhalt nach Kontrollquote und ist maßgebend.

… bleibt 24372 – 12875 = …

11.497,00 Euro

Das Resteinkommen unterschreitet nicht den Ehegattenselbstbehalt von

1.280,00 Euro

1.4.4.4. Verteilungsergebnis

11.497,00 Euro

12.875,00 Euro

davon Vorsorgeunterhalt 3.468,00 Euro

insgesamt

24.372,00 Euro

1.4.4.5. Zahlungspflichten

… zahlt an

12.875,00 Euro

davon Altersvorsorgeunterhalt

3.468,00 Euro

1.5. Keine Beschränkung auf konkret geltend gemachten konkreten Bedarf gem. § 242 BGB
63
Es kann dahinstehen, ob der Unterhaltsanspruch der Höhe nach beschränkt ist auf den seitens der Antragstellerin eingangs des Verfahrens berechneten konkreten Bedarf der Antragstellerin. Dieser liegt mit den errechneten 11.950,- € höher als der hier errechnete volle Unterhalt von 10.967,50 €. Das Gericht ist zwar der Auffassung, dass jedenfalls im vorliegenden Einzelfall, in dem auf Grund der besonderen Umstände eine quotale Errechnung des Unterhaltsbedarfs über der Schwelle von 11.000,- € erfolgt, bei Zugrundelegung eines höheren bereinigten Nettoeinkommens eine entsprechende Beschränkung zu erfolgen hätte. Nachdem jedoch ein Karrieresprung erfolgte und auf das bei der Trennung erzielte Einkommen abzustellen ist, ist dieser Umstand hier im Ergebnis ohne Belang.
1.6. Leistungsfähigkeit des Antragsgegners
64
An der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners bestehen im Hinblick auf sein mittlerweile nicht unerheblich gestiegenes Einkommen von bereinigt ca. 28.700 € netto keine Bedenken.
1.7. Verwirkung
65
Die Ansprüche der Antragstellerin sind gem. §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 3 und Nr. 7 BGB in Höhe von 60 % verwirkt.
66
Nach Überzeugung des Gerichts hat sich die Antragstellerin eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten schuldig gemacht im Sinne des § 1579 Nr. 3 und ihr fällt ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihr liegendes Fehlverhalten gegen den Antragsgegner zur Last i.S.d. § 1579 Nr. 7 BGB.
67
Nach Gesamtabwägung aller Umstände scheint dem Gericht eine Unterhaltskürzung von 60 % als ermessengerecht.
1.7.1. Zum Sachverhalt
68
Das Gericht hält die seitens des Antragsgegners zur Begründung der Verwirkung geschilderten Vorfälle im Wesentlichen für erwiesen. Es haben sich hier im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme allenfalls geringfügige Nuancen ergeben, in ihrem Kern treffen die Ausführungen indes zu. Soweit die Antragstellerin den Schilderungen des Antragsgegners entgegentritt, überzeugt dies das Gericht in weiten Teilen nicht. Bezüglich der einzelnen Vorwürfe wird insoweit noch einmal auf den Schriftsatz des Antragsgegnervertreters vom 21.11.2018 sowie auf den Inhalt der durchgeführten Beweisaufnahme, allen voran die durchgeführte Zeugeneinvernahme, Bezug genommen. Ausgenommen hiervon sind die Vorwürfe, die Antragstellerin sei verantwortlich für einem Presseartikel vom August 2018 inklusive angeblich seitens der Antragstellerin verfasster Leserkommentare zu diesem Artikel im Internet sowie, die Antragstellerin habe den Antragsgegner bei der Bafin angezeigt.
69
Besonders schwer wiegen dabei – auch im Hinblick auf die Vielzahl der Vorfälle und des langen Zeitraums, in dem sie stattfanden – die folgenden Vorfälle, die sich zur Überzeugung des Gerichts im Wesentlichen abspielten wie seitens des Antragsgegners beschrieben:
-
der Angriff der Antragstellerin auf den Antragsgegner in der vormaligen gemeinsamen Ehewohnung in der Nacht vom 22.11.2015 auf den 23.11.2015 mit Verletzungsfolgen für diesen,
-
der Angriff der Antragstellerin auf den Antragsgegner in der vormaligen gemeinsamen Ehewohnung in der Nacht vom 13.04.2016 auf den 14.04.2016 mit Faustschlägen ins Gesicht und Einstechen mit einer Schere, in der Folge erhebliche Schnittverletzungen,
-
diverse „Szenen“ der Antragstellerin gegenüber ihrem Ehemann in Anwesenheit Dritter (z.B. am 17.09.2014 in Anwesenheit der Sekretärin des Antragsgegners und in Hörweite anderer Mitarbeiter, am 22.10.2015 auf dem Tennisplatz bei einem Tennisspiel des Antragsgegners mit einem Mitglied des Aufsichtsrats, hier auch Schlag durch die Antragstellerin mit den Händen ins Gesicht des Antragstellers),
-
zahlreiche Telefonate der Antragstellerin mit der Sekretärin des Antragsgegners, in denen sie diesen in „Fäkalsprache“ beschimpfte,
-
zahlreiche E-Mails mit drohendem und beleidigendem Charakter an den Antragsgegner, wobei der Antragstellerin bewusst war, dass die Sekretärin des Antragsgegners diese Nachrichten lesen kann,
-
verbaler und körperlicher (mit einem Schlag in sein Gesicht) Angriff der Antragstellerin auf den Antragsgegner am 15.04.2016 in der Eingangshalle von dessen Arbeitgeber in Anwesenheit der Sekretärin des Antragsgegners und weiterer Mitarbeiter,
-
Herabwürdigung des Antragsgegners durch die Antragstellerin gegenüber dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats des Arbeitsgebers des Antragsgegners, auch mit möglichen Konsequenzen für die berufliche Tätigkeit des Antragsgegners,
-
Verschicken einer verleumderischen SMS durch die Antragstellerin an das Mitglied des Aufsichtsrats … am 28.11.2015, auch mit strafrechtlich und damit auch für das Arbeitsverhältnis des Antragsgegners relevanten Vorwürfen,
-
Beleidigung des Antragsgegners durch die Antragstellerin gegenüber dem weiteren Vorstandsmitglied … am Telefon,
-
Beleidigung des Antragsgegners durch die Antragstellerin telefonisch gegenüber der Vorstandssekretärin …
-
beleidigende Aussagen der Antragstellerin über den Antragsgegner am 23.10.2015 gegenüber Arbeitskollegen/Mitarbeitern des Antragsgegners.
-
Auslegen von vertraulichen Unterlagen mit persönlichen Angaben des Antragsgegners in einem Bistro nahe der Arbeitsstelle des Antragsgegners am 24.05.2017, in der Absicht, dass diese aufgefunden und die enthaltenen sensiblen Daten Dritten bekannt werden,
-
Senden weitere zahlreicher E-Mails durch die Antragstellerin an den Antragsgegner gegen dessen erklärten Willen mit herabsetzendem Inhalt, Beschimpfungen und Bedrohungen in der Zeit von Juni 2018 bis 17.07.2018 und Verstoß gegen die hierauf erlassene Anordnung des Gerichts nach den Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes vom 20.07.2018 am 30.07.2018.
70
Die Überzeugung des Gerichts, dass sich die aufgeführten Vorfälle im Wesentlichen so abspielten, wie seitens des Antragsgegners geschildert, resultiert aus der durchgeführten Beweisaufnahme, der persönlichen Anhörung der Beteiligten und der Vorlage von Attesten/Unterlagen, die sich insoweit überzeugend in die Schilderungen des Antragsgegners einfügen. Im Rahmen der persönlichen Anhörung haben sich die Bekundungen des Antragsgegners zu den diversen Vorfällen als stringent, in sich stimmig und nachvollziehbar erwiesen. Sie ließen sich – soweit Zeugen bei den Vorfällen zugegen waren – auch weitestgehend mit den Wahrnehmungen dieser Zeugen und mit den vorgelegten Dokumenten in Einklang bringen. Demgegenüber waren die Angaben der Antragstellerin teilweise in sich nicht stimmig und teilweise schlichtweg nicht nachvollziehbar. Auffallend war, dass Vorfälle ohne Anwesenheit Dritter evident entgegengesetzt geschildert wurden als vom Antragsgegner, sich die Antragstellerin aber bei Vorfällen, bei denen Dritte zugegen waren, teilweise auf (krankheitsbedingte) Erinnerungslücken berief.
71
Dies gilt jedoch nicht für die Vorwürfe des Antragsgegners, die Antragstellerin sei verantwortlich für einem Presseartikel vom August 2018 inklusive angeblich seitens der Antragstellerin verfasster Leserkommentare zu diesem Artikel im Internet sowie der Vorwurf der Anzeige des Antragsgegners bei der Bafin. Der Nachweis hierfür wurde aus Sicht des Gerichts nicht hinreichend erbracht.
1.7.2. Zu den Tatbeständen.
1.7.2.1. § 1597 Nr. 3 BGB
72
Die Antragstellerin hat sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten schuldig, indem sie den Antragsgegner am 14.04.2016 mit einer Schere zwei Stichverletzungen beibrachte.
73
Bei den unter § 1579 Nr. 3 BGB fallenden Taten muss es sich um wirklich gravierende Straftaten handeln. Körperverletzungen zwischen Ehegatten sollen als Härtegrund über das übliche Maß ehelicher Auseinandersetzungen hinausgehen (BeckOK BGB/Beutler, 64. Ed. 1.11.2022, BGB § 1579 Rn. 11 m.w.N.).
74
Die Tat vom 14.04.2016 stellt eine solche gravierende Straftat dar. Es handelt sich dabei um eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, nachdem die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Gegenstandes begangen wurde. Angesichts der Position der Stichverletzung am Halsbereich liegt auch eine Begehung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zumindest sehr nahe.
75
Insgesamt stellt sich die Tat als weit über dem Maß „üblicher“ Fälle der häuslichen Gewalt mit einem erheblichen Gefährdungspotential dar und unterfällt damit dem Fall des schweren vorsätzlichen Vergehens im Sinne des § 1579 Nr. 3 BGB.
76
Entgegen der Annahme der Antragstellervertreterin liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Tat vor. Zu diesem Ergebnis gelangte auch nachvollziehbar der Sachverständige Dr. F. in seinem Zusatzgutachten vom 24.08.2020. Zu Gunsten der Antragstellerin war hier allein eine alkoholbedingte sowie situationsbedingte Enthemmung zu berücksichtigen, die in der Gesamtschau der Annahme der Tat als Straftat von erheblichem Gewicht nicht entgegensteht
1.7.2.2. § 1579 Nr. 7 BGB.
77
Der Antragstellerin fällt ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihr liegendes Fehlverhalten gegen den Antragsgegner zur Last i.S.d. § 1579 Nr. 7 BGB.
78
Im Ergebnis ist der Tatbestand zu bejahen, wenn bei einer Gesamtabwägung des Verhaltens beider Parteien eine Unterhaltsverpflichtung wegen vom Unterhaltsberechtigten begangener gravierender Ehewidrigkeiten unerträglich erscheinen muss (Wendl/Dose/Siebert, 10. Auflage 2019, § Rn. 1343). Das Fehlverhalten muss dabei zunächst offensichtlich schwerwiegend sein, dh, es muss nach allgemeinem, nicht nur einseitigem Eheverständnis missbilligt werden. Es muss sich um einen Fall grober Verantwortungslosigkeit und Pflichtwidrigkeit handeln. Deshalb reicht ein einfaches Fehlverhalten oder die Feststellung durchschnittlicher Scheidungsschuld für die Bejahung der Nr. 7 nicht aus. Bei einem Fehlverhalten bis zur Scheidung muss es sich um einen Verstoß gegen schwerwiegende eheliche Pflichten handeln. Wichtige Pflichten sind in diesem Zusammenhang die ehelichen Treuepflichten, eheliche Solidarität und der Grundsatz der Gegenseitigkeit. Während der Ehe besteht eine gesteigerte Verantwortung der Eheleute füreinander. (Wendl/Dose/Siebert, 10. Auflage 2019, § Rn. 1339 bis 1343).
79
Diesen Grundsätzen folgend ist der Tatbestand der einseitigen schwerwiegenden Verfehlung i.S.d. § 1579 Nr. 7 BGB erfüllt. Zwar vermag nicht jede einzelne der oben genannten Handlungen der Antragstellerin den Tatbestand erfüllen. In der Gesamtschau liegt jedoch auf Grund der Schwere der einzelnen Verfehlungen der Antragstellerin sowie auf Grund der Intensität und der zeitlichen Dauer vom Jahr 2015 bis August 2018, über den sie sich erstreckten, auch unter Berücksichtigung des Fehlverhaltens des Antragsgegners eine eindeutig bei der Antragstellerin liegenden einseitige schwere Verfehlung vor.
1.7.2.3. Gesamtwürdigung
80
Eine Gesamtwürdigung der beiderseitigen Rechts- und Interessenlagen unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles ergibt, dass eine vollständige oder auch überwiegende Inanspruchnahme des Antragsgegners entsprechend den gesetzlichen Vorschriften auf (nach-) ehelichen Unterhalt grob unbillig wäre. Der Trennungsunterhalt ist vielmehr weit überwiegend verwirkt. Eine vollständige Verwirkung liegt indes noch nicht vor, der Anspruch auf Unterhalt der Antragstellerin entfällt daher nicht vollständig.
81
Bei der zu diesem Ergebnis führenden umfassenden Billigkeitsabwägung ist einerseits auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, dass die vorliegenden Sachverhalte, die das Vorliegen von Verwirkungstatbeständen begründen, teilweise besonders schwerwiegend sind. Neben ihrer Schwere im Einzelfall ist zudem die Anzahl der Verfehlungen der Antragstellerin zu berücksichtigen. Diese erfolgten überdies über einen ungewöhnlich langen Zeitraum und erstrecken sich vom Jahr 2015 bis in den August 2018. Eine Einsicht der Antragstellerin, dass ihr Verhalten auch nur teilweise falsch sein könnte oder gar Reue ist nicht zu erkennen. In den mehreren durchgeführten Verhandlungsterminen hat sich beim Gericht vielmehr der Eindruck festgesetzt, dass die Antragstellerin sich trotz allem, was sie dem Antragsgegner angetan hat, in einer Opferrolle sieht und ihr Verhalten – soweit sie es nicht leugnet – als gerechtfertigt ansieht. Die Folgen der zur überwiegenden Verwirkung des Trennungsunterhaltsanspruchs der Antragstellerin führenden Sachverhalte sind für den Antragsgegner einschneidend und schwer: einerseits sind hier die körperlichen Auswirkungen zu bedenken, insbesondere bei dem Angriff durch die Antragstellerin auf den Antragsgegner mit der Schere, bei dem überdies die Möglichkeit erheblich schwererer Verletzungsfolgen für den Antragsgegner bestand und die sich der Antragsgegner nicht hätte selbst zufügen können. Hinzu treten die starken psychischen Belastungen des Antragsgegners und die beruflichen Auswirkungen der Vorfälle für ihn, der als Vorstandssprecher einer großen Versicherung in besonderer Weise auf eine gute Reputation und auf das Ansehen bei seinen Mitarbeitern, Vorstandskollegen, den Mitgliedern des Aufsichtsrats sowie allgemein in der Öffentlichkeit angewiesen ist. Die Zeugeneinvernahmen haben gezeigt, dass die Befürchtung des Antragsgegners, aufgrund des Verhaltens seiner Frau möglicherweise sogar seinen Job zu verlieren, nicht völlig unberechtigt waren.
82
Bei der Frage, welche rechtlichen Auswirkungen das Vorliegen von Verwirkungstatbeständen hat, ist der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dabei ist zu bedenken, dass die Beteiligten sehr lange verheiratet waren, es der vereinbarten Rollenverteilung entsprach, dass die Antragstellerin während der Ehe nicht arbeitete und die Antragstellerin schwer erkrankt ist. Das Gericht geht davon aus, dass die Trennung des Antragsgegners und die Erkenntnis, dass diese diesmal offenkundig endgültig ist, bei der Antragstellerin eine große Verzweiflung ausgelöst und sie psychisch – auch krankheitsbedingt – in einem erheblichen Maße belastet hat. Dies ist insbesondere für den Vorfall vom 14.04.2016 anzunehmen. Die Antragstellerin hat hierzu glaubhaft geschildert, dass gerade die Aussage des Antragegners, er könne eine erneute Krebsdiagnose mit der entsprechenden Erkrankung nicht mehr ertragen, eine massive Verzweiflungssituation ausgelöst hat und sie sich in dieser besonders belasten Situation entsprechend im Stich gelassen gefühlt hat. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner über ein besonders hohes Einkommen verfügt und ihm daher eine – wenn auch in der Höhe beschränkte – Unterhaltsleistung leichter zuzumuten ist. Schließlich war zu berücksichtigen, dass sich das berufsschädigende Verhalten der Antragstellerin nicht ausgewirkt hat und der Antragsgegner zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde und der Antragsgegner glücklicherweise keine Folgeschäden von den Angriffen der Antragstellerin davontrug.
83
Weiter zu Gunsten der Antragstellerin war zu berücksichtigen, dass jedenfalls teilweise eine Verzeihung anzunehmen ist, für die insbesondere der übersandte Liebesbrief vom 19.09.2015 spricht, in der sich der Antragsgegner bei der Antragstellerin für sein eigenes Verhalten entschuldigt und eindeutig erklärt, dass er die Beziehung fortsetzen will. Dabei ist zunächst zu beachten, dass sich die Verzeihung naturgemäß nur auf Umstände auswirken kann, die vor den, den Tatbestand der Verzeihung auslösenden Umständen liegen Eine Verzeihung liegt vor, wenn der Unterhaltspflichtige durch sein Verhalten eindeutig zu erkennen gibt, dass er aus dem ihn bekannten Härtegrund keine Rechte herleiten will und dadurch beim Unterhaltsberechtigten ein entsprechender Vertrauensschutz entsteht. An die Feststellung der Verzeihung sind strenge Anforderungen zu stellen (BeckOGK/Haidl, 1.11.2022, BGB § 1579 Rn. 233). Verzicht wie Verzeihung, die an der Verwirklichung und Bewertung eines Härtegrundes zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nichts ändern, lassen nicht die Tatbestandsmäßigkeit der Härtegründe entfallen, sondern sind lediglich im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen (Wendl/Dose UnterhaltsR, § 4 Rn. 1241; MüKoBGB/Maurer, 9. Aufl. 2022, BGB § 1579 Rn. 115).
84
Diesen Grundsätzen folgend kann allein in die Versöhnung und das erneute Zusammenziehen am 06.01.2015 und der Brief vom 19.09.2015 als Verzeihung angenommen werden. Durch diese Handlungen gab der Antragsgegner eindeutig zu erkennen, dass er trotz des Geschehenen an der Beziehung festhalten und keine für die Antragstellerin negativen Rechtsfolgen herleiten möchte. Einen entsprechenden eindeutigen Vertrauenstatbestand wurden durch die weiteren seitens der Antragstellerin vorgetragen Sachverhalte nicht geschaffen. Dies gilt insbesondere für den gemeinsamen Saunabesuch am 19.04.2016 und das Wochenende in Kitzbühel am 10.03.2017. Auch das Weiterführen der Beziehung bis zum Vorfall am 14.04.2016 allein vermag den Tatbestand der Verzeihung nicht zu erfüllen.
85
Für die Zeit nach dem 19.09.2015 ist daher nicht mehr für das Vorliegen einer Verzeihung auszugehen. Dies gilt mithin insbesondere für die massive Tat am 14.04.2016 sowie den in der Nacht vom 22.11.2015 auf den 23.11.2015 begangenen Angriff der Antragstellerin.
86
Soweit eine Verzeihung anzunehmen ist, sind die Handlungen der Antragstellerin des Weiteren nicht gänzlich außer Betracht zu lassen, ihnen ist jedoch ein geringeres Gewicht beizumessen.
87
Unter Gesamtwürdigung sämtlicher oben angesprochenen Umstände entspricht es er Billigkeit, einen Abzug auf Grund der Verwirkung in Höhe von 60 % anzunehmen. Nicht unmaßgeblich für einen nicht kompletten Ausschluss des Unterhaltsanspruches sind dabei die Vermögensverhältnisse der Beteiligten. Die Antragstellerin verfügt weder über Vermögen noch über ein eigenes Einkommen, der Antragsgegner hingegen verfügt über ein sehr hohes Einkommen von zumindest 26.000 € und ab 2018 28.700 € netto sowie Vermögen im Millionenbereich. Eine Reduzierung des Unterhaltsanspruches von insgesamt 12.875 € um 60 % führt zu einem Wert von 4.394 € für die Zeit von Mai 2016 bis Februar 2017 und ab März 2017 von 5.150 €. Dies sind gerundet etwa 17 % bis 18 % des dem Antragsgegners zur Verfügung gestandenen bzw. nunmehr stehenden Nettogehalts.
1.8. Berücksichtigung der zusätzlichen Zahlungen des Antragsgegners
1.8.1. Grundsatz: Keine Aufrechnung oder Saldierung
88
Der Antragsgegner hat zusätzliche Zahlungen erbracht in Höhe von 43.612 €. Diese sind (nur) insoweit bei der Berechnung des rückständigen Unterhalts zu berücksichtigen, als sie Unterhaltsleistungen darstellen und nur für den Monat, für den sie erbracht wurden.
89
Ausgangspunkt ist der Grundsatz, dass eine Aufrechnung gegen Unterhaltsansprüche, wozu auch rückständige Unterhaltsansprüche zählen (Heiß/Born, Unterhaltsrecht, 37. Auflage 2010, 8. Kapitel Rn. 50, 51 m.w.N.), nicht zulässig ist, da insoweit ein Aufrechnungsverbot gem. § 394 BGB besteht (Wendl/Dose UnterhaltsR, § 6 Sonderfragen Rn. 311).
90
Bei Unterhaltsstreitigkeiten ergibt sich häufig, dass der Unterhaltspflichtige für unterschiedliche Zeiträume verschieden hohe Zahlungen zu leisten hat. Hat er teilweise zu wenig, zum Teil aber auch zu viel geleistet, stellt sich die Frage, ob von dem zusammengerechneten Gesamtrückstand alle in dieser Zeit geleisteten Zahlungen abgesetzt werden können. Ob eine solche Saldierung zulässig ist, ist umstritten. In der gerichtlichen Praxis werden Ansprüche auf Rückzahlung häufig pauschal mit Restforderungen auf Unterhalt verrechnet (Wendl/Dose UnterhaltsR, § 6 Sonderfragen Rn. 311 m.w.N.). Andere halten eine solche Saldierung für generell unzulässig. Denn Unterhalt ist stets für bestimmte Zeitabschnitte geschuldet, in denen Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit die Unterhaltshöhe bestimmen. Wenn nun für einen Zeitabschnitt geringerer Unterhalt geschuldet ist als beantragt, kann dies nicht durch Monate ausgeglichen werden, in denen ein höherer Unterhalt geschuldet ist als beantragt. Unterhalt ist also stets zeitbezogen zu ermitteln und im Verfahren geltend zu machen. Fordert der Unterhaltsberechtigte für bestimmte Zeiträume zu viel Unterhalt, so ist sein Antrag insoweit abzuweisen und kann nicht mit anderen Zeiträumen verrechnet werden, in denen er weniger verlangt, als ihm zusteht. (Wendl/Dose UnterhaltsR, § 6 Sonderfragen Rn. 311)
1.8.2. Einordnung der Zahlungen des Antragsgegners
91
Die Zahlungen des Antragsgegners erfolgten an den Vermieter der Wohnung der Antragstellerin für die offenen Mieten für den Zeitraum März 2018 bis Mai 2019 (15 Monate) zuzüglich Kosten des Verfahrens vor dem Amtsgericht München in Höhe von 1.312 €.
92
Nachdem Mietzahlungen grds. als Unterhaltsleistungen anzusehen sind, sind diese grundsätzlich bei der Berechnung des Unterhaltsrückstandes zu berücksichtigen. Obgleich die Zahlungen dieser Mietrückstände am 06.02.2019, 01.07.2019 und 22.11.2019 vorgenommen wurden, sind diese wegen der Fälligkeit der Miete zum jeweiligen Beginn eines Monats als Unterhaltsleistungen für diesen Zeitraum anzusehen, da sie insoweit als zeitbezogene Zahlungen auf die jeweiligen Monate anzusehen sind. Sie sind daher als Unterhaltsleistung im jeweiligen Monat zu berücksichtigen, in dem sie fällig geworden sind, mithin im Zeitraum März 2018 bis Mai 2019 und werden vom Aufrechnungsverbot bzw. Saldierungsverbot nicht erfasst.
93
Dies gilt jedoch nicht für die Kosten des amtsgerichtlichen Verfahrens in Höhe von 1.312 € am 06.02.2019. Auch diese Freistellung von angefallenen Kosten ist als Unterhaltsleistung anzusehen. Eine Berücksichtigung erfolgt jedoch hier zum Zeitpunkt der auch für die Antragstellerin schuldbefreienden Zahlung, mithin im November 2019.
1.8.3. Bestehen der Forderungen gegen die Antragstellerin
94
Die seitens des Antragsgegners beglichenen Forderungen des Vermieters sind als bestehend anzusehen. Für die Mietrückstände für Märt und April 2018 sowie die Kosten des Verfahrens ergibt sich dies bereits aus der Verurteilung zu Zahlung. Doch auch darüber hinaus hat die Antragstellerin nicht hinreichend konkret vorgetragen, weshalb die Mieten bzw. der Nutzungsersatz für die von ihr bewohnte Wohnung nicht angefallen sein sollten.
95
Der Vortrag des Antragsgegners hinsichtlich des Bestands der Forderungen wurde insoweit nicht hinreichend qualifiziert bestritten ist damit als zugestanden anzusehen.
1.8.4. Zwischenergebnis:
96
Dies hat zur Folge, dass der Antragsgegner für folgende Zeiträume folgende Unterhaltszahlungen geleistet hat:

Mai 2016 bis Dez. 2016:

5.820 €

(3.000 € + 2.820 €)

Jan. 2017 bis Juni 2018:

4.320 €

(1.500 € + 2.820 €)

Juli 2018 bis Mai 2019:

5.220 €

(2.400 € + 2.820 €)

Juni 2019 bis Okt. 2019:

2.400 €

November 2019:

3.712 €

(2.400 €+ 1.312 €)

Ab Dez. 2019:

2.400 €

97
Soweit die Unterhaltsleistungen den geschuldeten Unterhalt übersteigen, können Sie bei der Rückstandsberechnung nicht berücksichtigt werden. Insoweit ist im Zeitraum Juli 2018 bis Mai 2019 nur der geschuldete Betrag in Höhe von 1.150 € in Ansatz zu bringen.
1.9. Konkrete Berechnung des rückständigen Trennungsunterhalts für die Zeit Mai 2016 bis Februar 2023:

mon.

Zeitraum

Monate

geschuldet

Summe

monatl. bezahlt

Summe

1.5.2016 -

31.12.16

8

4.394,00 €

35.152,00 €

5.820,00 €

46.560,00 €

01.01.17-

28.02.17

2

II

8.788,00 €

4.320,00 €

8.640,00 €

01.03.17 -

31.07.17

10

5.150,00 €

51.500,00 €

4.320,00 €

43.200,00 €

2018

12

II

61.800,00 €

6 * 4.320 € + 6 * 5.150 €

56.820,00 €

2019

12

II

61.800,00 €

5 * 5.150 € + 6 * 2.400 € + 3.712 €

43.862,00 €

2020

12

II

61.800,00 €

2.400

28.800,00 €

2021

12

II

61.800,00 €

II

28.800,00 €

2022

12

II

61.800,00 €

II

28.800,00 €

01.01.23-28.02.23

2

II

10.300,00 €

II

28.800,00 €

Summe:

414.740,00 €

314.282,00 €

Rückstand:

Differenz:

414.740,00 €

314.282,00 €

100.458,00 €

2. Laufender Unterhalt ab März 2023
2.1. Grund und Höhe des Unterhalts
98
Der Antragsgegner schuldet ab März 2023 laufenden Trennungsunterhalt in Höhe von 5.150 €, davon 1.387 € Altersvorsorgeunterhalt.
99
Auf die Ausführungen zum Grund und der Höhe des Anspruches in Ziffer 1. wird insoweit Bezug genommen.
2.2. Zeitliche Beschränkung
100
Eine zeitliche Begrenzung des Trennungsunterhalts ist, entgegen der Ansicht des Antragsgegners, nicht vorzunehmen. Die Möglichkeiten von – auch teilweiser – Herabsetzung und Ausschluss sind beim Trennungsunterhalt eingeschränkt und nach § 1361 Abs. 4 BGB nur entspr. § 1579 Nr. 2 ff. BGB möglich. Andere Herabsetzungsgründe wie beim nachehelichen Unterhalt in § 1578 b gibt es beim Trennungsunterhalt nicht (BeckOK BGB/Beutler, 64. Ed. 1.11.2022, BGB § 1361 Rn. 92).
3. Außergerichtliche Anwaltskosten
101
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 4.393 € nebst Zinsen.
102
Voraussetzung für einen solchen Anspruch, der sich allein aus §§ 280 Abs. 1, 286 BGB ergeben könnte, wäre, dass sich der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Beauftragung der anwaltlichen Vertretung der Antragstellerin bereits in Verzug befunden hätte.
103
Verzugsauslösende Umstände, die vor der der Beauftragung oder auch nur dem Zusenden des seitens der Antragstellerin genannten anwaltlichen Schriftsatzes vorgelegen haben sollten, sind nicht vorgetragen.
III.
Kosten und Nebenentscheidungen
1. Verfahrenswert:
104
Der Verfahrenswert ergibt sich aus § 51 Abs. 1 und 2 FamGKG.
105
Für den laufenden Unterhalt ist gem. § 51 Abs. 1 FamGKG der (höchste) geforderte Betrag für den Zeitraum eines Jahres anzusetzen.
106
Für den rückständigen Unterhalt für Mai 2016 ist gem. § 51 Abs. 2 FamGKG der geforderte Betrag anzusetzen.
107
Eine weitere Werterhöhung findet nicht statt. Insbesondere erfolgt keine Werterhöhung durch die hilfsweise erklärte Aufrechnung gem. § 39 FamGKG. Den die dieser Aufrechnung zu Grunde liegenden Posten sind lediglich als geleisteter Unterhalt in der Rückstandsberechnung zu berücksichtigen. Eine Aufrechnung mit diesen findet insoweit nicht statt.
108
Der Verfahrenswert errechnet sich daher wie folgt:

Beantragt mon. in €

Summe beantragt

Zeitraum

Laufend ab 06.16

-12 Monate

7 * 10.813

75.691 €

06.16 bis 12.16

2 * 11.562

23.124 €

01.17 und 02.17

3 * 13.619

40.857 €

03.17 bis 05.17

Rückständig:

4.993,00 €

4.993 €

Gesamt:

144.665 €

89.669,00 €

1. Kosten
109
Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Satz 1 und 2 Nr. 1 FamFG. Abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Kostenentscheidung entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Vorliegend ist hierbei insbesondere das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen.
110
Die Obsiegensquote errechnet sich wie folgt:

Zugesprochen:

Geschuldet monatlich in €

Summe

Zeitraum

Laufend ab 06.16

7 * 4.394

30.758 €

06.16 bis 12.16

2 * 4.394

8.788 €

01.17 und 02.17

3 * 5.150

15.450 €

03.17 bis 05.17

Rückständig:

0

Mai 2016

Gesamt:

54.996 €

Obsiegensquote:
AStin: 144.665 € zu 54.996 € = 38 %
AG: 144.665 € zu 89.669 € = 62 %