Inhalt

LG München I, Beschluss v. 11.05.2023 – 13 HK O 2180/23
Titel:

Geschäftsanteil, Abtretungsvertrag, Insolvenzschuldner, Ausschließung eines Gesellschafters, Gesellschaftervereinbarung, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Hinauskündigungsklausel, Haftungsfreistellungsklauseln, Elektronisches Dokument, Gesellschaftsvertrag, Geschäftsführertätigkeit, Gesellschafter-Geschäftsführer, Gesellschafterbeschluss, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Veräußerung, Elektronischer Rechtsverkehr, notarielle Urkunden, Mitgliedschaftsrechte, Rechtsprechung des BGH, Rechtswirksamkeit

Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Insolvenzverwalter, Geschäftsanteilsabtretung, Einbringungsgewinn, Hinauskündigungsklausel, Haftungsfreistellung, Erfolgsaussichten
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 27.07.2023 – 23 W 678/23e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52410

Tenor

Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug mit Wirkung ab Antragstellung
Prozesskostenhilfe
beschränkt auf die Geltendmachung eines Anspruchs in Höhe von 25.320,16 € bewilligt (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Als Prozessbevollmächtigter wird die Kanzlei … beigeordnet (§ 121 Abs. 1 ZPO).
Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (§ 114 ZPO).
Die Bewilligung erfolgt ohne Anordnung von Zahlungen.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Feststellungsklage und eine Leistungsklage auf Freistellung von Steuerforderungen.
2
Mit Beschluss des AG Weilheim i.OB vom 25.01.2021 wurde über das Vermögen der … aufgrund eines Eigenantrags das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Gesellschafter-Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin ist …. Dieser war gemeinsam mit … Gründer und Gesellschafter der … Mit Urkunde vom 02.09.2014 gründete die Insolvenzschuldner gemeinsam mit der … und der … die Beklagte, deren Gegenstand die Entwicklung, der Betrieb und der Vertrieb von Werbemittelsystemen ist. Als Geschäftsführer der Beklagten wurden … und … bestellt.
3
Nach mehrfachen Kapitalerhöhungen und Beitritt weiterer Investoren schlossen die Gesellschafter der Beklagten mit notarieller Urkunde vom 06.09.2018 einen Beteiligungsvertrag und Gesellschaftervereinbarung (Anlage K 5). Ziffer II.11 dieses Vertrages enthält Regelungen zu einem negativen Vesting. Bezüglich des Inhalts wird auf die Anlage K 5 Bezug genommen. Ebenfalls mit notarieller Urkunde vom 06.09.2018 wurde der Gesellschaftsvertrag der Beklagten (Anlage K 7) beschlossen.
4
Mit Schreiben vom 17.09.2018 legte … krankheitsbedingt sein Amt als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung nieder.
5
Mit notariell beurkundetem Geschäftsanteilsabtretungsvertrag vom 20.02.2019 veräußerte die Insolvenzschuldnerin ihre 7.955 Geschäftsanteile an der Beklagten an diese für einen Kaufpreis in Höhe von 7.955,00 € rückwirkend zum 01.01.2019.
6
Hinsichtlich der Details des Geschäftsanteilsabtretungsvertrages wird auf die Anlage K 10 Bezug genommen.
7
Zum Bilanzstichtag 31.12.2018 wies die Bilanz der Insolvenzschuldnerin einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 405,32 € aus.
8
Das Finanzamt … wertete die Abtretung der Geschäftsanteile durch die Insolvenzschuldnerin als schädliches Ereignis i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG und ermittele einen Einbringungsgewinn in Höhe von 128.978,00 €. Mit Bescheid des Finanzamtes … vom 13.10.2020 wurde auf dieser Basis eine Steuerschuld der Insolvenzschuldnerin in Höhe von insgesamt 25.320,16 € festgestellt. Aufgrund dieser Steuerschuld stellte die Insolvenzschuldnerin den Insolvenzantrag.
9
Der Kläger hält zum einen die Klausel Ziffer 11.3 des Beteiligungsvertrags und der Gesellschaftervereinbarung vom 06.09.2018 (Anlage K 5), wonach die Beklagte eine Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen zum Nennwert verlangen kann (sog. Bad-Leaver-Klausel), für rechtswidrig und gegen die guten Sitten verstoßend. Als Folge dieser Nichtigkeit erweise sich auch der Geschäftsanteilsabtretungsvertrag als nichtig. Hilfsweise beruft er sich auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Wiederum hilfsweise macht er eine angemessene Abfindung geltend.
10
Zum anderen beruft sich der Kläger für den Freistellungsantrag auf die Haftungsfreistellungsklausel des Geschäftsanteilsabtretungsvertrages vom 20.02.2019, welche seiner Auffassung nach auch die Steuerforderung des Finanzamtes … umfasse.
11
Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Insolvenzschuldnerin trägt der Kläger vor, dass die Prozesskosten von der Insolvenzschuldnerin nicht aufgebracht werden könnten, da keine freie Masse zur Verfügung stehe. Auch der einzigen Gläubigerin, dem … sei eine Kostenaufbringung nicht zumutbar.
12
Die Beklagte hält eine Kostenaufbringung durch den … bei zutreffender Berechnung der Kosten für zumutbar.
13
In der Sache ist die Beklagte der Ansicht, dass die Übertragung der Geschäftsanteile rechtswirksam erfolgt sei und es sich um übliche Klauseln im Bereich von Startup-Finanzierungen handele. Die Klausel sei nicht vergleichbar mit den sogenannten Hinauskündigungsklauseln, welche nach der BGH-Rechtsprechung für unwirksam erachtet würden. Zudem bestünde zwischen den gesellschaftlichen Regelungen und dem Geschäftsanteilsabtretungsvertrag keine rechtliche Einheit. Ein Mißverhältnis zwischen dem Kaufpreis und dem Wert der Anteile sei nicht gegeben, der Kaufpreis sei frei vereinbart worden.
14
Aus dem Abtretungsvertrag ergebe sich auch kein Anspruch auf Freistellung von eigenen Ertragssteuern der Insolvenzschuldnerin.
II.
15
Die beantragte Prozesskostenhilfe war in der ausgesprochenen Form teilweise im genannten Umfang zu bewilligen.
I. Gründe zu wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen
(…)
I. Allgemeine Gründe
16
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint hinsichtlich des Umfangs der Bewilligung nicht mutwillig und bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
1. Klageanträge I.-III.
17
Im Hinblick auf die Klageanträge I.-III. besteht keine ausreichende Erfolgsaussicht.
18
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Ausschließung eines Gesellschafters aus freiem Ermessen grundsätzlich dem Wesen der GmbH widerspricht und deshalb unzulässig ist (vgl. Münchner Kommenatar, 4. Auflage, 2022, § 34 GmbHG, Rdnr. 152). Die Ausschließung eines Gesellschafters erfordert vielmehr das Vorliegen eines sachlichen Grundes und ist ansonsten nur in Ausnahmefällen zulässig, wie in den vom BGH mit Urteilen vom 19.09.2005 entschiedenen Manager-Modellen oder Mitarbeiter-Modellen (BGH vom 19.09.2005, II ZR 173/04 und II ZR 342/03). Tragender Gedanke des Hinauskündigungsverbotes ist, dass der Gesellschafter bei der Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte nicht unangemessen unter Druck gesetzt werden soll. Nach den Entscheidungen des BGH ist dies nicht der Fall, wenn sich die Beteiligung als Gesellschafter lediglich als Annex zu seiner Stellung als Geschäftsführer darstellt und ihm nur eine geringfügige Beteiligung eingeräumt worden war, um ihn im Hinblick auf die Geschäftsführertätigkeit zu motivieren.
19
Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten vom 05.12.2016 (Anlage K 4) enthält in Ziffer 12 und 14 Regelungen zur Einziehung oder einem Abtretungsverlangen gegenüber Gesellschaftern, welche nur mit Zustimmung des Gesellschafters oder unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind.
20
Gleiches gilt für den Gesellschaftsvertrag der Beklagten vom 12.09.2018 (Anlage K 7), welche diese Regelungen in Ziffern 16 und 18 enthält.
21
Lediglich Ziffer 11 der Gesellschaftervereinbarung vom 06.09.2018 enthält Regelungen zum negativen Vesting, welches begrenzt auf den Zeitraum von 4 Jahren ab Beurkundung eine Kaufoption bzw. Abtretungsverpflichtung für den Fall der Beendigung der Organstellung enthält, wobei zwischen einem „good leaver“ und einem „bad leaver“ unterschieden wird. Aus Ziffer 11.9 ergibt sich, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Beendigung der Geschäftsführertätigkeit des Geschäftsführers … im Raum stand.
22
Für die Frage der Unwirksamkeit dieser Klausel im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass dem Geschäftsführer … nicht durch die Beklagte gekündigt wurde, sondern er sein Amt als Geschäftsführer aus eigener Entscheidung wegen einer Erkrankung im September 2018, welche eine fortlaufende ärztliche Krankenbehandlung erforderte, mit Schreiben vom 17.09.2018 mit sofortiger Wirkung niederlegte. Es war deshalb davon auszugehen, dass die Insolvenzschuldnerin, deren alleiniger Geschäftsführer der Erkrankte war, auch ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht mehr in dem erforderlichen Maß erfüllen konnte.
23
Jedenfalls aber war die Insolvenzschuldnerin bei der Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte nicht unangemessen unter Druck gesetzt worden, so dass der Schutzzweck des Verbots von Hinausdrängungsklauseln nicht berührt ist. Die zu der Frage des Verbots von Hinauskündigungsklauseln zitierte Rechtsprechung des BGH und des OLG betrifft deshalb auch ausschließlich Fallkonstellationen, in welchen dem Geschäftsführer durch die Gesellschaft gekündigt worden war, nicht aber die umgekehrte Situation einer (krankheitsbedingten) Eigenkündigung.
24
Selbst eine unzulässige Hinauskündigungsklausel wäre auch nicht insgesamt nichtig, sondern bliebe insoweit wirksam, als der Gesellschafter danach aus wichtigem Grund ausgeschlossen werden kann (vgl. Münchner Kommentar, a.a.O., § 34 GmbHG, Rdnr. 152).
25
Dabei kann der wichtige Grund auch in einer Eigenschaft des Gesellschafters liegen, wie zum Beispiel einer schweren, andauernden Erkrankung (vgl. Münchner Kommentar, a.a.O., § 34 GmbHG, Rdnr. 138). Ein Verschulden ist hierbei nicht erforderlich (vgl. a.a.O., Rdnr. 134). Zu der Schwere der Erkrankung des Geschäftsführers … liegen bislang jedoch keine näheren Informationen vor.
26
Ob es sich bei der in der Gesellschaftervereinbarung vom 06.09.2018 unter Ziffer 11.2 und 11.3 enthaltenen Klausel unter Berücksichtigung der Vorgaben des BGH um eine unwirksame Hinausdrängungsklausel handelt, kann aber im Ergebnis für den streitgegenständlichen Fall dahingestellt bleiben.
27
Dem Geschäftsanteilsabtretungsvertrag vom 20.02.2019 liegt kein Ausschluss der Insolvenzschuldnerin durch einen Beschluss der Beklagten zugrunde, sondern die Abtretung erfolgte aufgrund der eigenen Entscheidungsfreiheit der beiden beteiligten Parteien mit dem Verkauf der Anteile. Zwar ist unter Ziffer III. des Abtretungsvertrages festgehalten, dass die Abtretung in Erfüllung der in Ziffer 11.2 der Gesellschaftervereinbarung vom 06.09.2018 vereinbarten Kaufoption erfolgte. Sie erfolgte aber dennoch nicht gegen den Willen der Insolvenzschuldnerin und der Hinweis diente im wesentlichen der Erläuterung, dass keine Zustimmung der übrigen Gesellschafter zu der Abtretung eingeholt werden musste. Diese wäre ansonsten nach Ziffer 12.1 des Gesellschaftsvertrages vom 12.09.2018 erforderlich gewesen. Zudem erfolgte die Abtretung zeitlich deutlich nach der in der Klausel bestimmten Frist von 3 Monaten nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit. Aus der Klausel selbst hätte sich deshalb kein Anspruch der Beklagten mehr auf Abtretung der Geschäftsanteile ergeben. Dem Kläger steht deshalb kein Anspruch auf Rückübertragung der Geschäftsanteile zu, auch wenn er sich auf die Unwirksamkeit der in der Gesellschaftervereinbarung enthaltenen Klausel beruft.
28
Aufgrund der wirksam erfolgten Abtretung der Geschäftsanteile besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Rückübertragung dieser Anteile (Hilfsantrag Ziffer II.).
29
Auch für den unter Ziffer III. geltend gemachten Hilfsantrag auf Zahlung einer höheren Abfindung bestehen keine Erfolgsaussichten.
30
Nach der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des BGH vom 19.09.2015 ist bei einem zulässigen Ausschluss des Gesellschafters auch eine Beschränkung der Abfindung auf den Nominalwert der Geschäftsanteile möglich. Dies gilt umso mehr, als der Verkauf und die Abtretung der Geschäftsanteile nicht aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses erfolgten, sondern aufgrund eines eigenen Verkaufs- und Abtretungsvertrages, bei welchem die Höhe der Abfindung zwischen den Parteien bestimmt werden konnte.
2. Haftungsfreistellung
31
Erfolgsaussichten bestehen jedoch hinsichtlich des unter Ziffer IV des Klageentwurfs geltend gemachten Zahlungsanspruchs.
32
Der Kläger stützt diesen Anspruch auf Ziffer II des Geschäftsanteilsabtretungsvertrages vom 20.02.2019. Demnach stellt der Erwerber, also die Beklagte, den Veräußerer (Insolvenzschuldnerin) von nachträglich entstehenden oder bekannt werdenden Verbindlichkeiten, die nicht in den ordentlichen Jahresabschlüssen enthalten sind, von der Haftung frei.
33
Aus dem Klammerzusatz ergibt sich, dass auch außergewöhnliche Forderungen an die Gesellschafter und somit den Veräußerer selbst von dieser Haftungsfreistellung umfasst sein sollen.
34
Der vom Finanzamt … erlassene Steuerbescheid vom 13.10.2020 beruht auf der Ermittlung eines Einbringungsgewinns aufgrund der Abtretung der Geschäftsanteile durch die Insolvenzschuldnerin vom 20.02.2019. Die Steuerschuld ist damit erst durch den Abtretungsvertrag und damit nachträglich (wenn auch rückwirkend) entstanden.
35
Nach dem Vortrag des Klägers hatten die Parteien des Abtretungsvertrages die Haftungsfreistellung gerade auch für Forderungen, die auf den Veräußerer anlässlich der Anteilsübertragung zukommen könnten, getroffen. Zu der Frage der Auslegung der Haftungsfreistellungsklausel wäre gegebenenfalls noch die Durchführung einer Beweisaufnahme erforderlich, welche jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt.