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VG Bayreuth, Urteil v. 28.11.2023 – B 1 K 22.375
Titel:

Feuerwehreinsatz, Anscheinsgefahr, Rettung von Menschen, Unbilligkeit, Festlegung von Pauschalsätzen, Notwendigkeit der Aufwendungen, Türöffnungsmaßnahme

Normenkette:
BayFwG Art. 28
Schlagworte:
Feuerwehreinsatz, Anscheinsgefahr, Rettung von Menschen, Unbilligkeit, Festlegung von Pauschalsätzen, Notwendigkeit der Aufwendungen, Türöffnungsmaßnahme
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52361

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Bescheides des Beklagten, welcher die Kostenerstattung für einen Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr in Höhe von 203,40 EUR zum Gegenstand hat.
2
Am 13. Januar 2022 um 02:10 Uhr wurde die Freiwillige Feuerwehr des Beklagten durch die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums … alarmiert. Hintergrund des Einsatzes sei ein Anruf der Klägerin bei der Polizei gewesen. Der Notruf sei nach unklarer Aussage („Ich habe Angst, bitte lass mich gehen“) abgerissen. Nachdem kein Rückruf zustande gekommen sei, sei die Polizei zum Grundstück der Klägerin ausgerückt. Vor Ort habe die Polizei am Haus der Klägerin geklingelt und geklopft. Da die Türe daraufhin nicht geöffnet worden sei, habe die Polizei die Freiwillige Feuerwehr … über die Einsatzzentrale hinzugezogen.
3
Die Freiwillige Feuerwehr rückte laut Einsatzbericht mit dem Einsatzstichwort „THL P EINGESCHLOSSEN“ sowie dem Schlagwort „T2410, Rettung, Wohnung öffnen akut“ mit einem Löschgruppenfahrzeug LF 20 KatS unter Beteiligung des Kommandanten und stellvertretenden Kommandanten mit weiteren sieben ehrenamtlichen Feuerwehrdienstleistenden aus. Nach Einleitung der Türöffnungsmaßnahme durch Aufbrechen des Türschlosses mittels Zieh-Fixes wurde die Tür von der Klägerin und deren Tochter geöffnet. Beide waren unversehrt und wohlauf.
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Mit Schreiben vom 19. Januar 2022 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Kostenfestsetzung für den verursachten Feuerwehreinsatz in Höhe von 203,40 EUR angehört, wobei ihr eine Äußerungsfrist bis zum 11. Februar 2022 eingeräumt wurde.
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Die Klägerin nahm per E-Mail vom 14. Februar 2022 hierzu Stellung. Ihrer Tochter und ihr sei es nicht gut gegangen, weshalb sie den ärztlichen Notdienst haben verständigen wollen. Leider hätten sie versehentlich die „110“ gewählt. Daraufhin sei die Polizei im Großeinsatz gekommen und habe an das Haus gehämmert. Auch die Feuerwehr sei hinzugekommen. Da sie in der letzten Zeit grundlos Kontakt zur Polizei gehabt hätten, habe der Einsatz bei ihnen Angst ausgelöst. Als die Feuerwehr begonnen habe, das Schloss der Türe zu beschädigen, habe sie die Türe geöffnet. Mit dem Kostenbescheid sei sie nicht einverstanden, da sie keine Feuerwehr gerufen habe.
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Mit Bescheid vom 11. März 2022 setzte der Beklagte gegen die Klägerin Kosten in Höhe von 203,40 EUR wegen des Einsatzes der Freiwilligen Feuerwehr … am 13. Januar 2022 fest.
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Gemäß Art. 28 Abs. 3 Satz 1 BayFwG sei zum Ersatz der Kosten verpflichtet, wer in den Fällen des Abs. 2 Nr. 2 die Gefahr, die zu dem Einsatz der Feuerwehr geführt habe, verursacht habe oder sonst zur Beseitigung der von der Feuerwehr behobenen Gefahr verpflichtet gewesen sei. Die Kostenerstattung entspreche pflichtgemäßem Ermessen. Bei der Abwägung überwiege das gemeindliche Interesse am Ersatz der entstandenen Aufwendungen gegenüber den finanziellen Belastungen der Klägerin. Die Inanspruchnahme widerspreche auch nicht der Billigkeit. Die Gemeinde könne nach Art. 28 Abs. 4 Satz 1 BayFwG Pauschalsätze für den Ersatz der Kosten durch Satzung festlegen.
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Mit Schreiben vom 16. März 2022 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. März 2022 ein, wobei sie als Begründung auf die Stellungnahme vom 14. Februar 2022 verweist.
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Sodann erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 7. April 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 13. April 2022, Klage mit dem Antrag,
den Bescheid vom 11. März 2022 aufzuheben.
10
Zur Klagebegründung führte sie aus, dass der Kostenfestsetzungsbescheid rechtswidrig sei, weil sie die Feuerwehr nicht angerufen habe, sodass ihr die Kosten nicht auferlegt werden könnten.
11
Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2022 beantragte der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
12
Die Klage sei bereits unzulässig, weil noch nicht über den am 16. März 2022 erhobenen Widerspruch entschieden worden sei.
13
Mit Beschluss vom 10. Mai 2022 setzte das Verwaltungsgericht Bayreuth das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Landratsamts … über den Widerspruch aus.
14
Das Landratsamt … wies den Widerspruch mit Bescheid vom 27. Juni 2022 zurück.
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Der Einsatz sei auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen, weshalb sie die Kosten des Einsatzes zu tragen habe. Schließlich liege eine Anscheinsgefahr vor, wonach die Feuerwehr berechtigt sei, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahr abzuwehren.
16
Mit gerichtlichem Schreiben vom 20. Juli 2022 teilte das Verwaltungsgericht den Beteiligten mit, dass das Verfahren nunmehr fortgeführt werden könne.
17
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Oktober 2022 ließ der Beklagte ausführen, die Ausnahme von der Kostenpflicht – wie von Art. 28 Abs. 2 Nr. 2 BayFwG für Einsätze, die unmittelbar der Rettung oder Bergung von Menschen und Tieren dienen, vorgesehen – gelte nur, wenn tatsächlich Einsatzmaßnahmen vorgenommen werden müssen, um Menschen zu retten. Aus der ex-ante-Sicht auf Grundlage des Meldebildes vor dem Einsatz sei der Eindruck entstanden, dass die Klägerin in Gefahr gewesen sei. Dieser Eindruck habe sich am Einsatzort noch verstärkt, als die Tür nicht geöffnet worden sei. Zudem habe die Polizei eine Person am Boden liegend feststellen können, die nicht auf das Klingeln reagiert habe. Auf Kostenebene müsse dann auf die ex post-Perspektive abgestellt werden. Die Klägerin sei als Verursacherin der Anscheinsgefahr auch Veranlasser im kostenrechtlichen Sinne. Sie habe den Anschein der Gefahr schuldhaft bzw. in ihr zurechenbarer Weise verursacht.
18
Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Der Bescheid des Beklagten vom 11. März 2022 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Kostenfestsetzung im streitgegenständlichen Bescheid für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr des Beklagten am 13. Januar 2022 ist dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden.
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a. Nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 2 BayFwG kann Kostenersatz gemäß Abs. 1 verlangt werden für sonstige Einsätze im technischen Hilfsdienst (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 4 BayFwG), mit Ausnahme der Einsätze oder Tätigkeiten, die unmittelbar der Rettung oder Bergung von Menschen und Tieren dienen. Zum Ersatz der Kosten ist nach Art. 28 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayFwG verpflichtet, wer in den Fällen des Abs. 2 Nr. 2 die Gefahr, die zu dem Einsatz der Feuerwehr geführt hat, verursacht hat oder sonst zur Beseitigung der von der Feuerwehr behobenen Gefahr verpflichtet war. Art. 28 BayFwG knüpft somit an den Gefahrenbegriff des allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrechts an. Gemessen an allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsätzen durfte die Feuerwehr der Beklagten aus der für die Primärebene maßgeblichen ex ante-Perspektive aufgrund des Vorliegens einer Anscheinsgefahr Maßnahmen der Türöffnung ergreifen.
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Die Freiwillige Feuerwehr … durfte im maßgeblichen Zeitpunkt des Einsatzes davon ausgehen, dass eine Gefahr vorliegt. Unter „Gefahr“ ist nach allgemeiner Auffassung im Sicherheitsrecht ein Zustand zu verstehen, der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens für ein Schutzgut erwarten lässt (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.1996 – Az. 4 B 94/2229 – BayVBl 1996, 565, 566). Das Vorliegen einer Gefahr wird nicht deshalb ausgeschlossen, weil nach der Lebenserfahrung von einem vernünftig Entscheidenden als gefährlich zu beurteilende Verhältnisse im weiteren Verlauf nicht zu einem Schaden führen (BayVGH, U.v. 28.2.1996 – 4 B 94.2229 – BayVBl 1996, 565). Als Anlass zum Einschreiten genügt auch die Anscheinsgefahr. Unter „Anscheinsgefahr“ ist eine im Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens bestehende Sachlage zu verstehen, welche die Behörde aufgrund verständiger Würdigung und hinreichender Sachverhaltsaufklärung als gefährlich ansehen durfte und auch als gefährlich angesehen hat, die sich jedoch im Nachhinein aufgrund neuer Erkenntnisse oder Informationen als ungefährlich erwiesen hat (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – juris Rn. 17; U.v. 19.5.1994 – 22 B 91. 3523 – juris Rn. 11). Maßnahmen, welche aufgrund des Vorhandenseins einer Anscheinsgefahr ergriffen werden, sind rechtmäßig. Für die Einschätzung bedarf es einer Gefahrenprognose auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Erkenntnisquellen aus ex ante-Sicht (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – juris Rn. 17). Anders verhält es sich bei der Schein- bzw. Putativgefahr, bei der zwar der entscheidende Beamte den Schadenseintritt subjektiv für wahrscheinlich hält, diese Annahme aber nicht auf hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten beruht.
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Aus ex ante-Sicht war zum Einsatzzeitpunkt die Schwelle zur Anscheinsgefahr überschritten. Hier lagen für den Einsatzleiter der Freiwilligen Feuerwehr des Beklagten im Einsatzzeitpunkt zumindest hinreichende objektive Anhaltspunkte für eine Gefahr für Leib oder Leben vor, so dass er von einer gefährlichen Sachlage ausgehen musste.
24
Der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung am 28. November 2023 zur Einsatzlage ausgeführt, dass die Feuerwehr am 13. Januar 2022 von der Integrierten Leitstelle (im Folgenden: ILS) mit der Einsatzmeldung „Rettung, Wohnung öffnen akut“ alarmiert wurde. Nach Besetzung des Löschgruppenfahrzeugs mit neun Personen habe er sich bei der ILS zurückgemeldet, woraufhin der Einsatzort mitgeteilt worden sei. Am Anwesen der Klägerin habe er mit den anwesenden Polizeibeamten der PI … Rücksprache gehalten, die erklärt hätten, dass bereits alles Mögliche zur Erreichung der Klägerin versucht worden sei. Man habe bereits geklingelt und in die Fenster geleuchtet. Die Feuerwehrdienstleistenden hätten sodann nochmals durch die Fenster in das Haus gesehen, wobei zunächst keine Personen hätten erkannt werden können. Deshalb sei im Anschluss mit der Türöffnungsmaßnahme begonnen worden.
25
Aus den Ausführungen des Feuerwehrkommandanten wird ersichtlich, dass die beiden in der Wohnung befindlichen Frauen – die Klägerin und ihre Tochter – auf das Klingeln und Klopfen der Polizei sowie der Freiwilligen Feuerwehr an Tür und Fenstern nicht reagierten. Da der Notruf mit dem Satz „Ich habe Angst, bitte lass mich gehen“ abbrach und eine spätere Kontaktaufnahme mit der Klägerin nicht zustande kam, durften die Einsatzkräfte im Zeitpunkt des Einsatzes von einer Gefahr ausgehen. Dies gilt sowohl für den Zeitpunkt des Ausrückens, bedingt durch die Alarmierung mit der Einsatzmeldung „Rettung, Wohnung öffnen akut“, als auch für den Zeitpunkt der Einleitung der Türöffnungsmaßnahme – der Einsatzzeitpunkt –, nachdem das Klingeln und Ausleuchten der Räumlichkeiten durch die Fenster ergebnislos verlief. Es liegt somit gerade keine Putativgefahr vor, da die Einschätzung der Gefahr durch die Feuerwehr nicht auf einer schuldhaften Fehleinschätzung beruhte.
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b. Insbesondere ist die Feuerwehr vorliegend nicht bloß ausgerückt, sondern es kam tatsächlich zu einem Einsatz im technischen Hilfsdienst, für den grundsätzlich Kosten – unter den Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 2 BayFwG – erhoben werden können. Ein bloßes Ausrücken ist kostenfrei, da es zu keiner gefahrabwehrenden Tätigkeit gekommen ist. Von einem Einsatz hingegen wird gesprochen, sobald ein aktives Eingreifen der Feuerwehrleute vorliegt, mithin mit dem Beginn des unmittelbar der Brandbekämpfung oder Hilfeleistung dienenden Personal- und Geräteeinsatzes, nicht dagegen schon bei einer vor Ort durchgeführten Erkundung der Lage zum Zweck der Gefahrerforschung (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2016 – 4 ZB 15.2030 – juris Rn. 10; U.v. 27.6.2012 – 4 BV 11.2549 – juris LS).
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c. Auch greift der Ausnahmetatbestand in Art. 28 Abs. 2 Nr. 2 BayFwG nicht, wonach die Einsätze und Tätigkeiten, die unmittelbar der Rettung oder Bergung von Menschen und Tieren dienen, kostenfrei sind. Ob eine solche ausschließliche Rettung von Menschen vorliegt, wird anhand des Vorliegens einer tatsächlichen Gefahr bestimmt, wobei eine nachträgliche Betrachtungsweise maßgeblich ist. Hinsichtlich der endgültigen Kostentragungspflicht wird nicht auf die Sach- und Rechtslage im Einsatzzeitpunkt abgestellt, sondern die Betrachtung des Einsatzes im Nachgang für geboten erachtet (vgl. zur ex post-Perspektive auf der Sekundärebene BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – Rn. 23). Der maßgebende Zweck des Einsatzes oder einzelner Tätigkeiten kann in Bezug auf die Rettung oder Bergung von Menschen nur nachträglich beurteilt werden (vgl. Schulz in PdK Bay, Art. 28 BayFwG, 2.1. Rn. 202). Der Ausnahmetatbestand liegt nicht vor. Weder die Klägerin noch deren Tochter benötigte medizinische Hilfe, so dass der Einsatz aus der maßgeblichen ex post-Perspektive nicht der Rettung von Menschen diente.
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d. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht daraus, dass vorliegend lediglich eine Anscheinsgefahr, nicht jedoch eine tatsächliche Gefahr vorlag. Zwar ist auch hier grundsätzlich eine ex post-Perspektive maßgeblich. Dies resultiert daraus, dass die Sekundärebene – die Ebene der Kostentragung – von der Primärebene für die Kostentragungspflicht nach dem Bayerischen Feuerwehrgesetz abgekoppelt ist. Diese differenzierte Betrachtung ist bereits in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayFwG, der zwischen dem bloßen „Ausrücken“ und den „Einsätzen“ der Feuerwehr differenziert, angelegt. In Fällen des bloßen Ausrückens, ohne dass es zu einem Einsatz kommt, können Kosten nur bei Falschalarmierung nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayFwG gefordert werden. Deshalb ist bei der kostenmäßigen Behandlung grundsätzlich zwischen einer objektiven Gefahr und einer bloßen Anscheinsgefahr zu unterscheiden. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofs begründet eine Anscheinsgefahr, so wie sie hier vorlag, hinsichtlich der endgültigen Kostentragungspflicht im Hinblick auf die durch den Einsatz bedingten Feuerwehrkosten auf der Sekundärebene deshalb nicht ohne Weiteres einen Anspruch auf Kostenersatz (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – juris Rn. 26; a.A. VGH BW, U.v. 22.1.2004 – 1 S 2263/02 – juris LS; SächsOVG, B.v. 17.3.2009 – 5 A 758/08 – juris Rn. 7). Begründet wird dies neben dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayFwG mit dem Sinn und Zweck der Regelung. Während es auf der Primärebene des Feuerwehreinsatzes um ein rasches und effektives Eingreifen zur Verhütung von Gefahren geht, dient die Sekundärebene dem gerechten Ausgleich der angefallenen Kosten. Diese Unterscheidung führt dazu, dass die Feuerwehr auf der Primärebene durchaus einschreiten darf und ihre Maßnahmen zur Abwehr einer Anscheinsgefahr oder zur Aufklärung eines Gefahrenverdachts rechtmäßig sind und auch aus der ex post-Perspektive rechtmäßig bleiben. Eine spätere bessere Erkenntnis hinsichtlich des tatsächlichen Kausalverlaufs muss dann jedoch auf der Sekundärebene Berücksichtigung finden. Ausnahmen gelten für den Fall, dass der Betroffene den Anschein der Gefahr schuldhaft verursacht oder sonst in zurechenbarer Art und Weise herbeigeführt hat (vgl. VGH BW, U.v. 17.3.2011 – 1 S 2513/10 – juris LS; Kniesel in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Rn. 251). Unter diesen Umständen rechtfertigt die Interessenlage, Kostenersatz auch bei einer Anscheinsgefahr zu verlangen (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – juris Rn.*30; VG Würzburg, U.v. 14.10.2021 – W 5 K 20.1867 – juris Rn. 27). Bei einer Scheingefahr hingegen, die auf einem ohne weiteres vermeidbaren Irrtum des alarmierten Bediensteten beruht, kann kein Kostenersatz verlangt werden (BayVGH, U.v. 28.2.1996 – 4 B 94.2229 – NVwZ-RR 1996, 652).
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Diese Rechtsprechung korreliert mit der Kostentragungsregelung des Art. 28 Abs. 3 Nr. 1 BayFwG, wonach zum Kostenersatz nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 2 BayFwG verpflichtet ist, wer die Gefahr verursacht hat. Kostenschuldner ist damit der Verursacher einer tatsächlichen Gefahr, bei einer Anscheinsgefahr derjenige, der den Anschein der Gefahr schuldhaft bzw. in zurechenbarer Art und Weise verursacht hat.
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Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin die Anscheinsgefahr, auf deren Grundlage der Feuerwehreinsatz erfolgt ist, in zurechenbarer Weise verursacht hat. Der Notruf der Klägerin bei der Polizei riss nach unklarer Aussage („Ich habe Angst, bitte lass mich gehen“) ab. Es kam kein Rückruf zustande. Außerdem hat die Klägerin auf das Klingeln der Polizeibeamten und später auch der Feuerwehrdienstleistenden nicht reagiert und die Türe nicht geöffnet. Indem die Klägerin folglich zunächst – laut eigenen Angaben versehentlich – fälschlicherweise die Polizei anstatt eines Krankenwagens kontaktierte, mit der Nachricht, sie habe Angst, ohne aufzuklären, in welcher Gefahrensituation sie sich konkret befindet, und sodann nach Eintreffen der Polizeibeamten nicht auf das Klingeln an der Türe reagierte, obwohl sie tatsächlich wohlauf war und keine Hilfe benötigte, ist der Klägerin die Verursachung einer Anscheinsgefahr zurechenbar. Bei der Bewertung aller Umstände des Einzelfalles ergibt sich eine Verantwortungszurechnung auf Seiten der Klägerin.
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e. Es ist zudem nicht von einer Unbilligkeit der Kostenerhebung im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Satz 3 BayFwG auszugehen. Gemäß Nr. 28.2 Satz 2 Vollzug des Bayerischen Feuerwehrgesetzes (VollzBekBayFwG) kommt Unbilligkeit vor allem in den Fällen umfassender Halterhaftung in Betracht, in denen sich die durch das Schadensereignis oder durch den Feuerwehreinsatz veranlasste Kostenregulierung auf die Betreffenden äußerst belastend oder existenzbedrohend auswirken könnte, weil kein Versicherungsschutz besteht oder sonstige persönliche Härten, insbesondere persönliches Leid, vorliegen. Zwar ist vorliegend davon auszugehen, dass sich der streitgegenständliche Kostenbescheid aufgrund geringer finanzieller Mittel belastend auf die Klägerin auswirkt. Dieser Umstand begründet indes keine Unbilligkeit der Kostenerstattung, da der Bescheid eine Kostenerstattung von lediglich 203,40 EUR zum Gegenstand hat und deshalb mit den Fällen einer umfassenden Halterhaftung, die sich existenzbedrohend auswirkt, nicht vergleichbar ist. Auch führt das Vorliegen einer Anscheinsgefahr nicht per se zur Unbilligkeit der Kostenerhebung (BayVGH, B.v. 9.5.2012 – 10 C 11.2941 – juris Rn. 19, Unbilligkeit bei verminderter Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit).
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f. Es bestehen darüber hinaus keine Anhaltspunkte für Ermessensfehler im Hinblick auf die Kostenerhebung. Gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayFwG steht die Erhebung der Kosten im Ermessen der Gemeinde. Die Gemeinden können damit Kostenersatz verlangen, müssen dies aber nicht tun. Alleine der Verweis auf die Existenz einer Kostensatzung genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung (Nr. 28.1.1 Satz 6 VollzBekBayFwG). Die Begründung des Bescheides muss zumindest in den Grundzügen erkennen lassen, weshalb sich die Gemeinde zur Forderung des Kostenersatzes entschieden hat (Nr. 28.1.1 Sätze 4 und 5 VollzBekBayFwG). Der Beklagte hat in seinem Kostenbescheid als Grund für die Forderung auf haushaltsrechtliche Vorgaben (Art. 61 und 62 Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern) verwiesen.
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g. Der Beklagte darf – wie vorliegend geschehen – bei der Kostenfestsetzung grundsätzlich auf festgelegte Pauschalsätze im Rahmen einer Kostensatzung zurückgreifen. Art. 28 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 BayFwG ermächtigt die Gemeinde, im Interesse einer Vereinfachung des Verwaltungsvollzugs Pauschalsätze für den Ersatz der Kosten bei der Erfüllung von Aufgaben nach Art. 4 BayFwG – also sowohl im Pflichtaufgabenbereich als auch bei freiwilligen Aufgaben – durch Satzung festzulegen. Die Gemeinden werden durch diese Norm von der Notwendigkeit befreit, zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayFwG die bei dem einzelnen Feuerwehreinsatz entstandenen Aufwendungen konkret zu ermitteln. In der Satzung über Aufwendungs- und Kostenersatz für Einsätze und andere Leistungen gemeindlicher Feuerwehren vom 27. Mai 2019 hat der Beklagte pauschalierte Sätze für Streckenkosten, Ausrückestundenkosten, Arbeitsstundenkosten und Personalkosten vorgesehen. Im Hinblick auf die festgelegten Pauschalsätze für Strecken- und Ausrückestundenkosten des eingesetzten Löschgruppenfahrzeugs ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin keine substantiierten und durchgreifenden Kalkulationsrügen erhoben hat. Es genügt nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, Urteil vom 29.4.2010 – 20 BV 09.2024 – juris; VG Ansbach, U.v. 12.1.2012 – An 5 K 11.01779 – juris Rn. 24) bereits nicht, wenn eine Klagepartei ohne jegliche konkrete Belegung lediglich behauptet, die bestimmten Sätze seien nicht ordnungsgemäß ermittelt worden. Vorliegend wurde eine falsche Berechnung der Pauschalsätze durch die Klägerin auch nicht behauptet. Zwar verlangt der Grundsatz der Amtsermittlung nach § 86 VwGO, dass das Gericht alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Aufklärung des für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes ausschöpft, diese Pflicht findet aber in der Mitwirkungspflicht der Beteiligten eine Grenze. Die Klägerin muss gemäß § 82 Abs. 1 Satz 3 VwGO die zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Solange sie dieser Pflicht im Konkreten nicht nachkommt, braucht das Gericht der bloßen Möglichkeit fehlerhaft bestimmter Kostensätze nicht nachzugehen (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 17.4.2002 – 9 CN 1/01 – BVerwGE 116, 168 – juris Rn. 43). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Tatsachengerichte dazu aufgefordert, sich nicht ungefragt auf Fehlersuche zu begeben und das Rechtsschutzbegehren der Klägerin bei der Prüfung nicht aus dem Auge zu verlieren, das im vorliegenden Fall insbesondere auf der Frage beruht, ob gegen sie Kosten festgesetzt werden durften, wenn die Alarmierung der Feuerwehr durch die Polizei und nicht durch sie selbst erfolgt ist und betrifft somit das „Ob“ des Kostenerstattungstatbestandes (vgl. hierzu obige Ausführungen).
34
h. Die Kammer geht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 28. November 2022 davon aus, dass die von dem Beklagten geltend gemachten Aufwendungen für den Einsatz des Löschgruppenfahrzeuges sowie der neun Feuerwehrdienstleistenden auch notwendig im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayFwG waren. Für die Frage der Notwendigkeit der Aufwendungen ist eine ex ante-Perspektive maßgeblich. Es kommt darauf an, welche Aufwendungen auf Grund des durch die Alarmierung vermittelten Lagebildes vorausschauend für notwendig gehalten werden durften, um den Einsatz erfolgreich durchzuführen (vgl. so auch VG Augsburg, U.v. 23.7.2018 – Au 7 K 17.229 – juris Rn. 66). Grundsätzlich darf alles an Kräften und Material, das im Einsatz war, abgerechnet werden, soweit das Übermaßverbot des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewahrt ist.
35
Der Feuerwehrkommandant der Freiwilligen Feuerwehr des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung zu dem von der ILS übermittelten Lagebild ausgeführt, die konkrete Einsatzmeldung „Rettung, Wohnung öffnen akut“ erhalten zu haben. Im Falle einer Alarmierung würden zunächst alle Feuerwehrleute benachrichtigt. Am 13. Januar 2022 sei das Löschgruppenfahrzeug voll, d.h. mit neun Personen, besetzt worden. Nach der gewöhnlichen Anzahl der einzusetzenden Feuerwehrdienstleistenden befragt, gab der Feuerwehrkommandant zu Protokoll des Gerichts, dass ein Fahrzeug stets mit voller Mannschaftsstärke besetzt werde, da im Voraus nicht gesagt werden könne, was die Feuerwehr am Einsatzort konkret erwarte. Selbst bei einer Türöffnung könne es sein, dass eine zusätzliche Tragehilfe benötigt werde oder dass der Verkehr abgesichert werden müsse. Nie könne die Feuerwehr bei Einsatzmeldung bereits den konkreten Aufwand und Umfang des Einsatzes abschätzen, weshalb es von großer Bedeutung sei, eine genügende Anzahl an Feuerwehrdienstleistenden zum Einsatz hinzuzuziehen.
36
Zur Frage des Gerichts, weshalb das Löschgruppenfahrzeug zum Einsatz gekommen sei, führte der Feuerwehrkommandant aus, dass dieses Fahrzeug den Türöffnungssatz sowie weitere Gerätschaften für alle Eventualitäten der technischen Hilfeleistung beinhalte, weshalb dieses unter den insgesamt drei Fahrzeugen der Freiwilligen Feuerwehr des Beklagten für den Einsatz ausgewählt worden sei.
37
Für die Kammer bestehen nach den Erkenntnissen der mündlichen Verhandlung am 28. November 2023 keine Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des konkreten Einsatzumfangs. Die abgerechneten Aufwendungen durften von der Freiwilligen Feuerwehr im Einsatzzeitpunkt für notwendig erachtet werden.
38
2. Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
39
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der jedenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.