Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 17.04.2023 – 203 StObWs 61/23
Titel:

Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, Rechtsbeschwerdegericht, Prozesskostenhilfe, Vollzugsöffnende Maßnahmen, Vollzugsplan, Strafgefangener, Verpflichtungsantrag, Feststellungsantrag, Angefochtener Beschluss, Beschlüsse, Rechtsschutzbedürfnis, Umfang der Rechtskraft, Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens, Lockerungseignung, Gerichtliche Entscheidung, Strafvollzugsverfahren, Zurückverweisung, Verfahrensgegenstand, Verfahrensvoraussetzungen

Normenketten:
StVollzG § 109, § 115 Abs. 1
BayStVollzG Art. 13
Leitsätze:
1. Zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen des Verfahrens nach §§ 109 ff. StVollzG gehört, dass ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorliegt, was das Rechtsbeschwerdegericht im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu überprüfen hat.
2. Ein Verpflichtungsantrag auf Lockerung setzt voraus, dass der Antragsteller die Lockerung zunächst bei der Justizvollzugsanstalt beantragt hat, ansonsten fehlt für einen gerichtlichen Antrag in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis.
3. Hat sich der Lockerungsantrag des Strafgefangenen auf einen bestimmten Tag oder auf einen bestimmten Anlass beschränkt, hat sich der Tatrichter nach dem Ablauf dieses Termins von Amts wegen mit der Frage der Erledigung zu befassen.
4. Ergibt die Auslegung des bei der Justizvollzugsanstalt gestellten Antrags indes, dass der Gefangene die Lockerung nicht zu einem bestimmten Datum, sondern zum nächst möglichen Termin begehrt hat, hat die Strafvollstreckungskammer zu prüfen, ob und wann die Justizvollzugsanstalt diesen – datumsunabhängigen – Antrag abgelehnt hat und ob die Begründung die Ablehnung trägt.
5. Nach § 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG hat ein in einem Strafvollzugsverfahren ergehender Beschluss der Strafvollstreckungskammer grundsätzlich die Anträge und deren Begründung zumindest sinngemäß wiederzugeben; etwaige verfahrensgegenständliche Bescheide der Justizvollzugsanstalt, auf die nicht nach § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG verwiesen wird, sind ebenfalls darzulegen. Der Begründung des Beschlusses müssen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 115 Abs. 1 Satz 4 StVollzG die entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen nachvollziehbar zu entnehmen sein.
Schlagworte:
Befangenheitsantrag, Lockerungen, Vollzugsplan, Verpflichtungsantrag, Rechtsschutzbedürfnis, Fluchtgefahr, Missbrauchsgefahr
Vorinstanz:
LG Amberg, Beschluss vom 16.01.2023 – 2 StVK 90/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52289

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 16. Januar 2023 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen. Im übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3000.- € festgesetzt.
3. Dem Beschwerdeführer wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe

I.
1
Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Amberg. Mit Schreiben vom 22. November 2021 hat der Antragsteller unter dem ursprünglichen Aktenzeichen 2 StVK 625/21 bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg einen Befangenheitsantrag gegen die JVA Amberg als Eilantrag gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Befangenheit ergebe sich aus seinen zahlreichen Verlegungen in der Vergangenheit und einer ablehnenden Haltung der Anstaltsleitung zu Lockerungen. Während die JVA Kaisheim in ihrem Bescheid vom 14. Oktober 2021 (Bl. 9 ff. d.A.) zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass sich der Antragsteller mit Lockerungen zu bewähren hätte, werde er in der JVA Amberg hingehalten. Laut der Auskunft von Frau R. vom 18. November 2021 sei vorrangig eine Sozialtherapie zu prüfen. Wenn er in der JVA Kaisheim verblieben wäre, hätte er bereits Lockerungen erhalten. Die JVA Amberg sei an die Ausführungen der JVA Kaisheim in deren Bescheid gebunden. In der Abstimmung einer Konferenz vom 17. November 2021 über weitere Behandlungsmaßnahmen sehe er einen Verstoß gegen den Vollzugsplan vom 28. Oktober 2021. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2021 hat er im vorliegenden Verfahren beantragt, die JVA anzuweisen, ihm unter Bezugnahme auf den Bescheid der JVA Kaisheim vom 14. Oktober 2021 Lockerungen zu gewähren (Bl. 37 d.A.). Mit Schreiben vom 4. Februar 2022 hat der Antragsteller erneut beantragt, die JVA Amberg zu verpflichten, den Antragsteller laut Bescheid der JVA Kaisheim vom 14. Oktober 2021 zu lockern (Bl. 56 d. A.). Mit Schreiben vom 17. März 2022 hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren zudem einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der „Handhabe“ der JVA ab 20. Oktober 2021 gestellt (Bl. 160 d.A.).
2
Die Strafvollstreckungskammer hat der Justizvollzugsanstalt und dem Antragsteller mehrfach Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt, das Verfahren bezüglich des Begehrens auf „Feststellung“ einer Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zu vollzugsöffnenden Maßnahmen mit Verfügung vom 15. Februar 2022 (Bl. 120 d.A.) abgetrennt, mit Beschluss vom 25. Februar 2022 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 22. November 2021 zurückgewiesen (Bl. 123 d.A.), ein psychiatrisches Fachgutachten zu Fragen der Missbrauchsgefahr und der Lockerungseignung (Bl. 185 ff. d.A.) nebst ergänzender Stellungnahme (Bl. 319 ff. d.A.) eingeholt und den Antragsteller am 13. Dezember 2022 persönlich angehört (Bl. 323 d.A.). Mit Beschluss vom 16. Januar 2023 hat die Strafvollstreckungskammer den „Antrag vom 22. November 2021“ als unbegründet zurückgewiesen. Die von der JVA Amberg getroffene Entscheidung, dem Antragsteller Lockerungen zu versagen, sei nicht zu beanstanden.
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Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde und begehrt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und eine Entscheidung gemäß seinem ursprünglichen Antrag, hilfsweise die Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG statthaft und nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 1 StVollzG auch form- und fristgerecht eingelegt. Es ist geboten, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
III.
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Die Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin weitestgehend einen vorläufigen Erfolg. Denn den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer lässt sich entgegen § 115 Abs. 1 StVollzG nicht hinreichend entnehmen, über welchen Verfahrensgegenstand sie eine Entscheidung treffen wollte. Die Bestimmung des Verfahrensgegenstands ist nicht nur für den Umfang der Rechtskraft, sondern auch für die bereits von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 109 ff. StVollzG vorliegen und ob der nämliche Streitgegenstand bereits Teil eines anderen älteren Verfahrens ist und damit einem Befassungsverbot unterliegt, von maßgeblicher Bedeutung. Im vorliegenden Fall lässt der Beschluss der Strafvollstreckungskammer offen, zu welchem bei der Justizvollzugsanstalt gestellten Antrag oder zu welcher Maßnahme er ergangen ist, ob, wann und wie die Anstalt diesen Antrag verbeschieden oder die Maßnahme getroffen oder unterlassen hat oder ob die Strafvollstreckungskammer von einem Feststellungsantrag ausgegangen ist (vgl. Bl. 120 d.A.).
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Im einzelnen:
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1. Zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen des Verfahrens nach §§ 109 ff. StVollzG gehört, dass ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorliegt, was das Rechtsbeschwerdegericht im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu überprüfen hat (st. Rspr., vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 2 Ws 146/20 –, juris Rn. 3 m.w.N.; KG, Beschluss vom 29. Juli 2016 – 2 Ws 133/16 Vollz –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 Ws 184/10 (Vollz) –, juris). Da im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG dem Rechtsbeschwerdegericht der Blick in die Akten grundsätzlich verwehrt ist, kann es seine materiell-rechtliche Prüfung nur auf Grundlage der Tatsachen vornehmen, die im angefochtenen Beschluss enthalten sind oder auf die in zulässiger Weise nach § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG verwiesen worden ist. Die von der Strafvollstreckungskammer vorgenommene Verweisung auf den gesamten Akteninhalt sieht das Gesetz im Strafvollzugsverfahren nicht vor.
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2. Ein Verpflichtungsantrag setzt voraus, dass der Antragsteller sein Anliegen der Vollzugsbehörde in geeigneter Weise vorgetragen hat, bevor er den Weg zum Gericht beschreitet (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1998 – 2 BvR 1758/97 –, juris). Will ein Gefangener im gerichtlichen Verfahren eine Entscheidung über eine Lockerung nach Art. 13 BayStVollzG herbeiführen, hat er die Lockerung daher zunächst bei der Justizvollzugsanstalt zu beantragen, ansonsten fehlt für einen gerichtlichen Antrag das Rechtsschutzbedürfnis (Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 109 Rn. 11 m.w.N.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 2 Ws 146/20 –, juris Rn. 6). Demgemäß muss der Antragsschrift nach §§ 109 ff. StVollzG im Falle eines Verpflichtungsantrags entnommen werden können, ob der Gefangene die Vornahme einer Maßnahme beantragt hat und ob dieser Antrag – gegebenenfalls mit welcher Begründung – beschieden wurde (OLG Karlsruhe a.a.O., BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 23. Ed. 1.2.2023, StVollzG § 109 Rn. 10). Bleibt die Anstalt auf einen Antrag hin untätig, kann der Gefangene eine Untätigkeits- oder Verpflichtungsklage, gegebenenfalls in Form einer Stufenklage erheben.
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3. Hat sich der Lockerungsantrag des Strafgefangenen auf einen bestimmten Tag oder auf einen bestimmten Anlass beschränkt, hat sich der Tatrichter zudem nach dem Ablauf dieses Termins von Amts wegen mit der Frage der Erledigung zu befassen (Arloth/Krä a.a.O. § 115 Rn. 9; zur Erledigung eines Lockerungsantrags dort insb. § 11 Rn. 22 m.w.N.). Ein Antrag nach § 109 StVollzG wäre im Falle der Erledigung in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 115 Abs. 3 StVollzG umzustellen.
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4. Ergibt die Auslegung des bei der Justizvollzugsanstalt gestellten Antrags indes, dass der Gefangene die Lockerung nicht zu einem bestimmten Datum, sondern zum nächst möglichen Termin begehrt hat, hat die Strafvollstreckungskammer zu prüfen, ob und wann die Justizvollzugsanstalt diesen – datumsunabhängigen – Antrag abgelehnt hat und ob die Begründung die Ablehnung trägt.
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5. Wendet sich der Gefangene gegen einzelne Festsetzungen im Vollzugsplan, können auch diese in der Regel mit einem Antrag nach §§ 109 ff. StVollzG unter Beachtung der Frist von § 112 StVollzG gerichtlich überprüft werden (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 3. Juli 2006 – 2 BvR 1383/03 –, BVerfGK 8, 319-325 juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 2 Ws 236/06 –, juris Rn. 4; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel Rechtsbehelfe B § 109 Rn. 12). Unabhängig von einem bei der JVA gestellten Antrag unterliegt insbesondere eine Feststellung des Vollzugsplans zur Eignung des Gefangenen für Vollzugslockerungen der gerichtlichen Entscheidung nach § 109 Abs. 1 StVollzG (BVerfG a.a.O.; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 2 BvR 166/11 –, BVerfGK 20, 177-187; BayObLG, Beschluss vom 26. März 2021 – 203 StObWs 12/21- BeckRS 2021/ 32370 Rn. 16 zum Vollzugsplan in der SV; KG Berlin, Beschluss vom 16. Februar 2015 – 2 Ws 11/15 Vollz –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 31. Januar 2014 – 2 Ws 689/13 (Vollz) –, juris; BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern, Arloth, 17. Edition Art. 9 Rn. 10). Eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Lockerung kann bereits deshalb aufzuheben sein, weil sie den ihr zur Prüfung vorgelegten Verfahrensgegenstand verkannt, nicht zwischen einem Antrag auf Lockerung und der Festsetzung im Vollzugsplan differenziert und damit ihrer Entscheidung möglicherweise einen falschen Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 2 Ws 236/06 –, juris Rn. 4 f.).
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6. Im vorliegenden Fall lässt sich dem angefochtenen Beschluss auch bei großzügiger Betrachtung nicht entnehmen, ob, wann und mit welchem Inhalt der Antragsteller einen Antrag auf Lockerungen bei der Justizvollzugsanstalt Amberg gestellt hat, ob er diesen Antrag auf einen bestimmten Termin und auf eine bestimmte Form der Lockerung konkretisiert hat und ob er sich gegen einen bestimmten Bescheid, gegen eine mündlich ausgesprochene Entscheidung eines Mitarbeiters oder gegen eine Feststellung im Vollzugsplan wendet.
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a) In seinem Schreiben vom 22. November 2021 an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg, das alleine die Strafvollstreckungskammer im Tenor ihres angefochtenen Beschlusses zur Konkretisierung des Streitgegenstands herangezogen hat, führt der Antragsteller zu der von ihm behaupteten „Befangenheit“ der JVA Amberg aus.
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b) In seinen weiteren Schreiben an das Landgericht hat der Antragsteller zwar einen Verpflichtungsantrag auf Gewährung von Lockerungen gestellt (vgl. Bl. 37, 56 d.A.) und die Ausführungen der JVA Amberg in ihren Bescheiden vom 29. November 2021 (Bl. 42 f. d.A.), vom 28. Dezember 2021 (Bl. 46 f. d.A.) und vom 3. Februar 2022 (Bl. 59 ff. d.A.) beanstandet (vgl. etwa Bl. 40, 44, 50 d. A.). Ob allerdings die Strafvollstreckungskammer in ihrem angefochtenen Beschluss über einen oder mehrere der dem Bescheid der JVA vom 3. Februar 2022 zugrundeliegenden Anträge unter Berücksichtigung der Zwischenbescheide, über einen gesonderten Antrag auf Lockerung, über Festsetzungen im Vollzugsplan oder über einen Feststellungsantrag entschieden hat, lässt sich ihrem Beschluss mangels prozessordnungsgemäßer Bezugnahme auf einen bestimmten Bescheid und Antrag nicht entnehmen.
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c) Wollte die Strafvollstreckungskammer – auch – eine Entscheidung zu dem Bescheid der JVA Amberg vom 3. Februar 2022 (Bl. 59 ff. d.A., vgl. auch Bl. 56 d.A.) treffen, der ersichtlich erst während des laufenden Verfahrens ergangen ist, hätte sich das Landgericht zudem damit auseinandersetzen müssen, dass dieser Bescheid der JVA zu mehreren Anträgen des Antragstellers auf Ausgang, Sonderausgang, Urlaub und Außenbeschäftigung ergangen ist und die vom Antragsteller begehrten Lockerungstermine möglicherweise zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits überholt waren (vgl. auch Bl. 46 d.A.). Zudem ist für den Senat nicht nachvollziehbar, welches Vorbringen den jeweiligen Anträgen zugrunde lag und ob die Gegenstände des Bescheids zumindest teilweise bereits Gegenstand eines der zahlreichen vom Antragsteller initiierten gesonderten Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG waren.
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7. Da die Sache nicht im Sinne des Antrags der Rechtsbeschwerde auf die Gewährung von Lockerungen entscheidungsreif ist, war die Rechtsbeschwerde im übrigen zu verwerfen.
IV.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
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1. Nach der gesetzlichen Regelung von § 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG hat ein in einem Strafvollzugsverfahren ergehender Beschluss der Strafvollstreckungskammer den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammenzustellen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass die von einer Strafvollstreckungskammer erlassenen Beschlüsse grundsätzlich die Anforderungen erfüllen müssen, die § 267 StPO an die Begründung strafrechtlicher Urteile stellt (Arloth/Krä a.a.O. § 115 Rn. 6, 6a m.w.N.; Laubenthal a.a.O. 12. Kapitel Rechtsbehelfe I. Gerichtliche Entscheidung § 115 StVollzG Rn. 14). Die Anträge und deren Begründung sind zumindest sinngemäß wiederzugeben (KG Berlin, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 5 Ws 39/20 Vollz –, juris Rn. 13; OLG München, Beschluss vom 30. März 2012 – 4 Ws 060/12 (R) –, juris Rn. 24 ff.). Für etwaige verfahrensgegenständliche Bescheide gilt, dass auch deren Inhalt und insbesondere die tragenden Erwägungen einer ablehnenden Entscheidung vom Tatrichter darzulegen sind (KG, Beschluss vom 18. August 2016 – 5 Ws 97/16 Vollz –, juris Rn. 6 ff. m.w.N.). Dementsprechend hat die Strafvollstreckungskammer die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Erwägungen so umfassend darzulegen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Entscheidung überprüfen kann.
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2. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayStVollzG kann als Lockerung des Vollzugs angeordnet werden, dass der Gefangene für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht Vollzugsbediensteter (Ausgang) verlassen darf. Absatz 2 der Regelung sieht vor, dass die Lockerung nur angeordnet werden darf, wenn nicht zu befürchten ist, dass sich der Gefangene dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerung zu Straftaten missbrauchen wird. Art. 15 BayStVollzG bestimmt, dass bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzugs eine Strafe unter anderem wegen einer schwerwiegenden Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit Ausnahme der §§ 180a und 181a StGB vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, eine Lockerung des Vollzugs besonders gründlich zu prüfen ist. Bei der Entscheidung sind auch die Feststellungen im Urteil und die im Ermittlungs- oder Strafverfahren erstatteten Gutachten zu berücksichtigen.
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3. Hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe der Flucht- und Missbrauchsgefahr steht der Vollzugsbehörde nach gefestigter Rechtsprechung ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., § 11 Rn. 10 m.w.N; § 115 Rn. 16; Harrendorf/Ullenbruch in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 10. Kapitel Vollzugsöffnende Maßnahmen C II Rn. 51). Die Vollzugsbehörde hat in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, dass nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Vorschriften über Vollzugslockerungen und vollzugsöffnende Maßnahmen der Wiedereingliederung der Gefangenen und deren Resozialisierungsinteresse dienen (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 18. September 2019 – 2 BvR 1165/19-, juris Rn. 17). Derartige Maßnahmen helfen dabei, die Gefangenen auf ein Leben in Freiheit ohne Straftaten vorzubereiten. Mit zunehmender Dauer der Strafverbüßung gewinnt die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen immer mehr an Bedeutung (Harrendorf/Ullenbruch a.a.O. Rn. 51). Bei der Gefahr des Missbrauchs durch Begehung von Straftaten darf die JVA aufgrund der Vollzugsaufgabe des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zwar grundsätzlich alle Straftaten berücksichtigen (Harrendorf/Ullenbruch a.a.O. Rn. 53). Für die Begründung einer Missbrauchsgefahr genügt jedoch weder eine pauschale Bezugnahme auf die bisher mangelnde Aufarbeitung der der Straftat zugrundeliegenden Gewalttätigkeit (OLG Hamm, Beschluss vom 9. Juni 2016 – III-1 Vollz (Ws) 150/16 –, juris Rn. 18) noch auf eine fehlende Therapiebereitschaft (OLG München, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 5 Ws 21/16 (R) –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 Ws 610/98-, juris) oder auf eine fehlende Mitarbeit und eine schlechte Sozialprognose im Rahmen der Bewährung (OLG Hamm, Beschluss vom 19. Mai 2022 – III-1 Vollz (Ws) 136/22 –, juris Rn. 20). Die Justizvollzugsanstalt darf sich, wenn sie vollzugslockernde Maßnahmen und Ausführungen versagt, nicht auf bloße pauschale Wertungen oder auf den Hinweis einer abstrakten Flucht- oder Missbrauchsgefahr beschränken. Sie hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 18. September 2019 – 2 BvR 1165/19 –, juris Rn. 19; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 StObWs 318/20 –, juris Rn. 22). Ob dies geschehen ist, hat die Strafvollstreckungskammer ihrerseits zu überprüfen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Mai 2018 – 2 BvR 287/17 –, juris Rn. 32 m.w.N.). Die Justizvollzugsanstalt hat demnach die Tat(en), die Persönlichkeit des Gefangenen, dessen Entwicklung und das Verhalten des Gefangenen während der gesamten Vollzugsdauer in die Beurteilung mit einzustellen. Hat der Gefangene bereits begleitete Ausführungen erhalten oder eine Außenbeschäftigung absolviert, hat die Anstalt dies ebenfalls darzustellen und zu berücksichtigen. Die Vollzugsbehörde hat schließlich auch zu erwägen, ob etwaigen Missbrauchsbefürchtungen durch die Art und Ausgestaltung der vollzugsöffnenden Maßnahmen Rechnung getragen werden kann, indem etwa begleitete Ausgänge gewährt werden. Die Strafvollstreckungskammer wird daher zu klären haben, ob und mit welchen Erfahrungen bereits Ausführungen und eine Außenbeschäftigung stattfanden (vgl. auch Bl. 46 d.A.). Davon zu unterscheiden ist der Ermessensspielraum der Justizvollzugsanstalt, wenn weder eine Missbrauchs- oder Fluchtgefahr vorliegt.
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4. Maßgeblicher Zeitpunkt der Überprüfung der Rechtmäßigkeit durch das Gericht ist bei der Ausübung eines Ermessens der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Arloth/Krä, a.a.O. § 115 Rn. 5 m.w.N.). Ein Nachschieben von weiteren Erwägungen ist daher nur beschränkt zulässig (Arloth/Krä a.a.O. § 115 Rn. 4; vgl. auch Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. Dezember 2015 – 3 Ws 104/15 Vollz –, juris Rn. 15). In der Regel ist es der Strafvollstreckungskammer verwehrt, die Ermessensausübung des Antragsgegners durch Hinzufügen weiterer, von diesem (zunächst) nicht berücksichtigter Gründe nachzubessern (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 18. August 2016 – 5 Ws 97/16 Vollz –, juris Rn. 11).
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5. Hinsichtlich des Feststellungsantrags (Bl. 160 d.A.) ist das Verfahren noch bei der Strafvollstreckungskammer anhängig. Sie wird auch über diesen Antrag zu entscheiden haben.
V.
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1. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdegegners bleibt bei einer Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer dieser vorbehalten.
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2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.
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3. Die Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für den gerichtsbekannt mittellosen Beschwerdeführers beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 2 StVollzG, § 114 Abs. 1 Satz 1, §§ 115, 119 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO.