Titel:
Empfangsbekenntnis, Elektronischer Rechtsverkehr, Zur Zustellung, Kostenentscheidung, Arrestverfahren, Berufungsbeklagter, Greifbare Anhaltspunkte, Eidesstattliche, Entgegennahme, Kenntnisnahme, Zustellungen durch den Gerichtsvollzieher, Rücksendung, Beweiswirkung, Schriftstück, Landgerichte, Erschütterungen, Versicherung, Berufungskläger, Unterzeichnung, Mandant
Schlagworte:
Zustellung, elektronischer Rechtsverkehr, Empfangsbekenntnis, Zugang, Kenntnisnahme, Beweislast, konkludente Willenserklärung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 14.04.2023 – 6 O 7428/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 52264
Tenor
Der Antrag der Klägerin und Berufungsbeklagten vom 10.07.2023, der Berufungsklägerin (Beklagten) aufzugeben, unverzüglich die aktuelle beA-Exportdatei zu der Nachricht des Landgerichts München I (Az.6 O 7428/21) an das beA des Herrn Rechtsanwalts A. B. H. vom 18.4.2023, ca. 08:41 Uhr, in Form der originalen ZIP-Datei per beA bei Gericht einzureichen, wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Es ist weder von Amts wegen noch auf Grundlage der §§ 142, 144 ZPO vorliegend geboten, dem Beklagtenvertreter aufzugeben, die originale beA-Exportdatei der beA-Nachricht, mit welcher das Urteil des Landgerichts München I vom 14.04.2023, Az.: 6 O 7428/21, am 18.4.2023 zur Zustellung übersandt worden war, in Form einer originalen ZIP-Datei per beA an das Gericht zu übermitteln. Denn der erforderliche Wille des Beklagtenvertreters, das an ihn am 18.04.2023 zur Zustellung per beA zugesandte Ersturteil des Landgerichts München I vom 14.04.2023, Az.: 6 O 7428/21, zur Zustellung zur Kenntnis zu nehmen, kann vorliegend nicht allein durch den Eingang im beA-Postfach des Klägervertreters und auch nicht durch das klägerseits behauptete, bloße Öffnen der Datei für den 18.04.2023 nachgewiesen werden. Allein hierdurch kann die Beweiswirkung des entgegenstehenden elektronischen Empfangsbekenntnis, in dem der Beklagtenvertreter die willentliche Kenntnisnahme der Zustellung unter dem 02.05.2023 bestätigt hat, nicht erschüttert werden, zumal der Beklagtenvertreter die willentliche Entgegennahme des zuzustellenden Datensatzes eidesstattlich für den 02.05.2023 bestätigt hat, ohne dass an der Richtigkeit dieser Versicherung durchgreifende Zweifel bestehen.
2
1. Auch für die Zustellung im elektronischen Rechtsverkehr gemäß § 173 ZPO wurde auf das Erfordernis der willentlichen Entgegennahme des zuzustellenden Datensatzes nicht verzichtet (vgl. Hinweis vom 12.07.2023; juris-PK-ERV Band 2 / Bialaß § 173 Rn. 8 + 87). Insoweit ist für das elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) keine Änderung gegenüber dem EB in Papierform eingetreten.
3
2. Es genügt nicht, dass der RA als Adressat das Schriftstück bzw. den elektronischen Datensatz zur Kenntnis oder auch in Gewahrsam nimmt bzw. durch Anklicken öffnet; er muss vielmehr – anders als bei einer Zustellung durch den Gerichtsvollzieher oder die Post (§ 176 ZPO) – auch empfangsbereit sein, d.h. den Willen haben, das Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Dieser Wille muss sich auf ein bestimmtes Schriftstück bzw. einen bestimmten elektronischen Datensatz beziehen und zum Ausdruck gebracht werden, was i.d.R. durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses bzw. beim eEB durch elektronische Angabe des Datums der Empfangnahme und Rücksendung des eEB geschieht. Das bedeutet, der Anwalt muss zunächst vom Zugang des Zustellstücks bzw. der Zustelldatei Kenntnis erlangen, bevor er entscheidet, ob er das Zustellstück bzw. die Zustelldatei als zugestellt ansieht. Die Entgegennahme des Schriftstücks bzw. des elektronischen Datensatzes und seine – allgemeinen Anweisungen entsprechende – Bearbeitung durch das Personal des Adressaten haben nur vorbereitenden Charakter (vgl. MüKoZPO/Häublein/Müller ZPO § 174 Rn. 6; BGH, Urteil vom 11.2.2022 – V ZR 15/21, DGVZ 2022, 166 = NJW 2022, 1816 Rn. 22; BGH, Beschluss vom 13.01.2015 – VIII ZB 55/14, NJW-RR 2015, 953 Rn. 12).
4
3. Allein das Öffnen der Exportdatei, das die Klagepartei durch die beantragte Dateiherausgabe nachweisen will, vermag einen früheren Zugang daher nicht zu beweisen. Insbesondere könnte das bloße Öffnen nicht die durch das auf den 02.05.2023 datierte eEB und die eidesstattliche Versicherung des Beklagtenvertreters zur willentlichen Kenntnisnahme am 02.05.2023 bestehende Beweislage in ausreichender Weise erschüttern.
5
4. Die Rücksendung des eEB am 18.04.2023 in einem anderen Verfahren (vgl. BB 3), vermag die frühere Zustellung im vorliegenden Fall nicht zu beweisen, da der Wille der Kenntnisnahme zur Zustellung sich auf einen bestimmten elektronischen Datensatz beziehen muss. In dem von der Klagepartei vorgelegten Datensatz mag dieser Wille durch das auf den 18.04.2023 datierte eEB dokumentiert sein. Im vorliegenden Fall existiert jedoch ein auf den 02.05.2023 datiertes eEB, das die willentliche Kenntnisnahme zur Zustellung an diesem Tag dokumentiert, nicht jedoch am 18.04.2023.
6
5. Wenn der Beklagtenvertreter eidesstattlich versichert hat, dass eine Bearbeitung der zahlreichen beA-Eingänge – nach dem Urlaub und wegen eines äußerst eilbedürftigen und aufwendigen Arrestverfahrens – erst am ersten Arbeitstag im Monat Mai, dem 02.05.2023 möglich gewesen sei, schließt dies nicht zwingend aus, dass der Beklagtenvertreter in einzelnen Fällen beA-Eingänge als zugestellt bestätigt hat, nicht jedoch alle und insbesondere nicht die hier verfahrensrelevante Zustellung des Ersturteils, da im Gesamtzusammenhang ersichtlich ist, dass der Beklagtenvertreter nicht alle der zahlreichen Eingänge bearbeiten konnte.
7
6. Der Annahmewille kann zwar auch konkludent zum Ausdruck gebracht werden, etwa durch Übersendung des Urteils an die Mandantin. Dem stehen hier jedoch das auf den 02.05.,2023 datierte eEB und die eidesstattliche Versicherung des Beklagtenvertreters entgegen. Zudem bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte für die Behauptung der Weiterleitung des Ersturteil am 18.04.2023 an die Mandantin seitens des Beklagtenvertreters.
8
7. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.