Titel:
Mitverschuldensanteil, Erhebliches Mitverschulden, Räum- und Streupflicht, Verkehrssicherungspflichtigen, Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, Kostenentscheidung, zugunsten Dritter, Informatorische Anhörung, Pflichtverletzung, Wirtschaftliche Zumutbarkeit, Verursachungsbeitrag, Vertrag mit Schutzwirkung, Beiderseitiges Verschulden, Mietverträge, Gewerbliche Tätigkeit, Schmerzensgeld, Umfang der Ersatzpflicht, Gefahrenlage, Witterungsverhältnisse, Vorschäden
Schlagworte:
Verkehrssicherungspflicht, Mitverschulden, Räum- und Streupflicht, Delikt, Schadensersatz, Beweislast
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51987
Tenor
Die Klage ist dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von einem Drittel begründet.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den ihr aus dem Unfall vom 09.02.2022 im … S.-see künftigen materiellen Schaden zu 2/3, soweit er nicht auf Dritte übergeht oder übergegangen ist, und den künftigen immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 zu ersetzen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen eines behaupteten Glatteisunfalls.
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Der Beklagte betreibt den … Im Winter veranstaltet er im Biergarten ein Eisstockschießen. Er vermietet hierzu die Eisstockschießbahn an Gäste.
3
Am 09.02.2022 nahm die Klägerin an einer Geburtstagsfeier teil, die im Biergarten des Beklagten stattfand. Im Rahmen der Geburtstagsfeier war die Eisstockbahn vom Beklagten vermietet. Beginn der Veranstaltung war um 19.00 Uhr.
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Mit der Klage verlangt die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz wegen eines behaupteten Sturzes auf einer Eisplatte neben der Eisstockbahn. Sie fordert ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 4.000 €, sowie Rezeptgebühren in Höhe von 200 € und Behandlungskosten in Höhe von 45 €.
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Die Klägerin behauptet, sie habe den Biergarten von der Straße aus betreten und dann auf dem Weg rechts um die Eisbahn herum gehen wollen, um zu ihren Freunden am Glühweinhäuschen zu gelangen. Sie habe Winterboots mit festem Profil getragen. Dann habe sie festgestellt, dass der Weg sehr glatt und nicht gestreut gewesen sei. Deswegen sei sie mit sehr vorsichtigen Schritten den Weg entlang gegangen. Dabei sei sie ca. in der Mitte des Weges auf einer Eisplatte gestürzt. Dadurch habe sie sich verletzt und eine Chopart-Like Läsion mit Impression calcaneare Gelenksfläche im CC-Gelenk, einen Abriss Proc. Anterior calcanei Typ III, eine Avulsion am medialen Os Naviculare, einen Weichtelschaden Grad II bei geschlossener Fraktur oder Luxation des Fußes und eine Fraktur des OS naviculare pedis erlitten. Wegen des von der Klägerin geschilderten Behandlungsverlaufs wird auf die Klage Bezug genommen.
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Die Klägerin führt weiter aus, der Weg neben der Eisstockbahn sei nicht gestreut gewesen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten. Der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Er hafte daher nach § 823 I BGB. Zudem habe sie gegen ihn einen vertraglichen Schadensersatzanspruch, weil der Mietvertrag hinsichtlich der Eisstockbahn für sie als Teilnehmerin an der Geburtstagsfeier als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wirke.
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Ein Mitverschulden treffe sie nicht. Von einem Fußgänger sei zu fordern, dass er sich entsprechend aufmerksam verhalte und auf den Weg achte. Dies habe sie getan. Weitere Achtsamkeit könne ernstlich nicht gefordert werden. Die dem Beklagten zur Last fallende Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wiege wesentlich schwerer als eine eventuelle Unachtsamkeit, die hier aber gerade nicht vorliege. Sie habe die ihr zumutbare Sorgfalt an den Tag gelegt, als sie sich vorsichtig vorwärts bewegt habe. Der Gast dürfe nämlich darauf vertrauen, dass der Gastwirt bei einer entsprechenden Öffnung des Außenbereichs (für die Bewirtung und das Bespielen der Fläche, bspw. im Rahmen eines Eisstockschießens) der Sicherungspflicht der Wege ordnungsgemäß nachkomme. Jeder, der im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit für Dritte Gefahrenquellen schaffe oder entsprechende nicht beseitige, habe dafür Sorge zu tragen, dass das durch seine gewerbliche Tätigkeit angelockte Publikum auf der gewerblich genutzten Fläche nicht zu Schaden komme.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
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Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 200,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.08.2022 zu zahlen.
- 2.
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Der Beklagten wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 4.000,00 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.08.2022 zu zahlen.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, soweit sie nach dem 09.02.2022 aus dem Unfall am 09.02.2022 im … … künftig entstehen, zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergeht oder übergegangen ist und soweit der Anspruch nicht durch Antrag zu Ziff. 1 und 2. abgegolten ist.
- 4.
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Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 45,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt
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Der Beklagte behauptet, zum Unfallzeitpunkt sei – wie immer bei den entsprechenden Witterungsverhältnissen – ordnungsgemäß geräumt und gestreut gewesen. Auf allen Wegen habe sich ausreichend Splitt befunden. Auf der Eisstockbahn könne natürlich nicht gestreut erden, da ein Eisstockschießen sonst nicht mehr möglich sei. Auch könnten die Wege um die Bahn herum nicht mit Salz bearbeitet werden, da sonst die Bahn angegriffen würde. Es liege in der Natur der Sache, dass es im Bereich einer Eisstockbahn glatt sein könne und hier eine gewisse Rutschgefahr bestehe. Dies müsse jedem Nutzer klar sein. Dessen ungeachtet würden die Mitarbeiter des Beklagten bei der mündlichen Einweisung der Gäste, die vor jeder Nutzung der Eisstockbahn durchgeführt werde, noch einmal ausdrücklich auf diese Gefahr hinweisen.
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Der Beklagte ist daher der Ansicht, er hafte nicht, weil er keine Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt habe. Die Maßnahmen, die er im Bereich der Eisstockbahn habe vornehmen lassen, seien bei den herrschenden Witterungsverhältnissen ausreichend und angemessen gewesen, um den Personenkreis, der die Wege dort nutzt, vor Schäden zu bewahren. Eine sofortige und vollständige Entfernung von auf den Wegen um die Eisstockbahn befindlichem Eis und Schnee und eine ununterbrochene Kontrolle des Zustands der Wege sei weder zumutbar noch möglich.
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Eine absolute Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer könne niemand gewährleisten, auch der Beklagte nicht. Dazu sei er nicht verpflichtet. Vielmehr müsse jeder, der eine Eisstockbahn nutze und sich in deren Bereich aufhalte, mit winterlichen Verhältnissen auf den Wegen um die Eisstockbahn und der für die Ausübung des Sports erforderlichen Geräte auf der Eiststockbahn rechnen und sein Verhalten darauf einstellen. Diesen Anforderungen sei die Klägerin offensichtlich nicht gerecht worden. Der Umstand, dass sie gestürzt sein wolle, zeige, dass sie auf ihrem Weg um die Eisstockbahn herum nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt habe. Bestritten werde insoweit, dass die Klägerin sich vorsichtig auf den Wegen bewegt habe. Anzunehmen sei, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt kein der beabsichtigten Betätigung (Eisstockschießen) und den Witterungsverhältnissen angemessenes Schuhwerk getragen habe. In jedem Fall müsse sich die Klägerin ein ganz erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …und … … Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 03.04.2023 Bezug genommen.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 03.04.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist dem Grunde nach begründet, wobei die Klägerin ein Mitverschulden von 1/3 trifft.
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1. Nach dem Ergebnis der Anhörung der Parteien und der Beweisaufnahme steht folgender Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts fest:
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Die Klägerin betrat am 09.02.2022 gegen 19.00 Uhr den Biergarten, ging nach rechts in Richtung Glühweinhütte, um zu ihren Freunden zu gelangen. Dabei ging sie an der Eisstockbahn auf der rechten Seite vorbei, stellte fest, dass es glatt war, ging trotzdem vorsichtig weiter und stürzte dann infolge der Glätte. Dabei verletzte sie sich. Gestreut war dieser Weg nicht.
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Diese Überzeugung bildet sich aufgrund folgender Umstände:
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a. Unstreitig hat der Beklagte die Eisstockbahn in seinem Biergarten am 09.02.2022 ab 19.00 Uhr an eine Geburtstagsgesellschaft vermietet. Die Klägerin hat hieran teilgenommen. Sie war vor Ort an der Eisstockbahn im Biergarten.
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b. Der Beklagte hat den Sturz der Klägerin auf dem Weg um die Bahn bestritten. Er war weder zu diesem Zeitpunkt noch danach im Biergarten und hat daher hierzu nichts mitbekommen. Er schilderte zunächst allgemein, wie er die Eisstockbahn für die Gäste vorbereite. Je nach Witterungsverhältnissen schaufle er vier- bis fünfmal am Tag den Schnee weg und mache die Bahn frei. Der Weg zur Eisstockbahn werde von ihm oder einem seine Mitarbeiter geräumt und je nach Glätte mit Riesel gestreut. Gestreut werde so, dass genügend Kiesel auf dem Weg liege. Direkt an der Bahn entlang werde nicht gestreut. Das sei ein Bereich von etwa 10 cm. Da gehe aber auch keiner. In diesem Bereich gehe das Gelände leicht schräg nach oben, weil die Bahn etwas erhöht liege. Salz werde nicht verwendet. Das vertrage die Bahn nicht. Steine seien auch schwierig, wenn sie auf die Bahn kommen würden und jemand darauf trete. Dann sei die Bahn kaputt. Um die Bahn herum habe er rutschfeste Matten ausgelegt. Diese seien etwa 1 m breit. Wenn dort Eis und Schnee darauf liege, räume und streue er dort auch. Nur wenn es richtig eisig sei, also wenn er wegrutsche, streue er. Es könne sein, dass einmal nicht gleich alles weggeräumt werde mit einer Schaufel. Deshalb habe er draußen Schilder stehen mit der Aufschrift „Rutschgefahr, eingeschränkter Winterdienst“. Eine dieser Tafeln stehe kurz nach der Treppe zum Biergarten, eine direkt auf der Bahn und zwei Tafeln rechts und links vom Glühweinhäuschen. Vor jeder Reservierung werde geschaut, dass die Bahn fein und bespielbar sei. Er könne jetzt nicht mehr sagen, dass dann immer noch gerieselt werde. Diese Überprüfung würden seine Mitarbeiter machen oder von demjenigen, der die Gäste betreut. Er mache das dann nicht mehr. Seine Mitarbeiter hätten die Weisung von ihm, nicht nur auf die Bahn, sondern auch auf die Wege zu schauen. Die Einweisung der Gäste in die Bahn werde gemacht, wenn alle vollzählig seien. Dies teile der Mieter der Bahn ihm mit. Eine Stunde bevor die Gäste kämen werde die Bahn hergerichtet und freigemacht von Eis und Schnee. Er mache das jeden Tag. Er mache das immer. Daher gehe er davon aus, dass er das auch an dem 09.02.2022 gemacht habe. An diesen Tag könne er sich aber nicht mehr konkret erinnern, weil er damals nicht registriert habe, was passiert sei. Seine Frau habe ihm von dem Unfall berichtet. Es habe geheißen, dass etwas zum Kühlen benötigt werde. Danach sei nichts mehr zu hören gewesen.
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c. Im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung gab die Klägerin an, sie wohne in der Nähe und sei daher zu Fuß zum Biergarten gelaufen, wobei sie Winterstiefel getragen habe. Von der …Straße aus sei sie über die Treppe in den Biergarten gegangen. Sie habe dann nach rechts geschaut. Dort seien schon ein paar Gäste gestanden. Daher sei sie gleich nach rechts weggegangen. Es sei nicht viel Schnee gelegen. Die Witterung sei eher eisig gewesen. Sie sei an der Eisstockbahn an der rechten Seite vorbeigegangen. Sie habe nicht wahrgenommen, dass auf dem Weg Splitt oder Kiesel gestreut gewesen wäre. Beim Laufen habe sie dann schon gemerkt, dass es glatt gewesen sei. Sie sei dann langsamer gegangen. Trotzdem sei sie gestürzt. Sie sei mit dem rechten Fuß nach außen rechts weggerutscht und dann habe sich der Fuß nach außen weggedreht und es habe geknackst. Unter anderem sei dabei des untere Sprunggelenk gebrochen. Ein paar Freunde hätten ihr dann aufgeholfen. Sie seien dann hinter zur Glühweinhütte, wo sich links davon eine Sitzgelegenheit befunden habe. Dort habe sie sich hingesetzt und erst mal den Fuß hochgelegt. Dann sei die Lebensgefährtin des Beklagten gekommen. Sie habe diese gefragt, ob sie etwas zum Kühlen haben könnte, da sie ausgerutscht und umgeknackst sei. Die Lebensgefährtin des Beklagten habe dann eine Tüte gebracht, in die sie Schnee hineingetan hätte, um den Fuß zu kühlen. Gespielt habe sie dann nicht mehr. Da sie schlecht habe auftreten können, habe sie sich von ihrem Mann abholen lassen.
23
c. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, der Klägerin nicht zu glauben. Sie hat den Sachverhalt nachvollziehbar geschildert. Die Angaben sind glaubhaft. An der Glaubwürdigkeit der Klägerin bestehen keine Zweifel.
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d. Die Zeugin … gab an, sie sei noch nicht vor Ort gewesen, als die Klägerin gestürzt sei. Als sie gekommen sei, sei die Klägerin auf der Bank gesessen. Sie habe die Klägerin gefragt, was passiert sei. Die Klägerin habe gesagt, dass sie auf dem Weg neben der Eisstockbahn ausgerutscht sei. Die Zeugin gab weiter an, vor dem Glühweinhäuschen sei gestreut gewesen, nicht aber um die Bahn herum. Um die Bahn herum sei es relativ glatt gewesen. Neben der Bahn sei zunächst ein leichter Schnee- bzw. Eishügel. Neben diesem müsse man gehen. Dort sei nicht gestreut gewesen. Es sei dann nachgestreut worden. An der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit der Zeugin gibt es keine Zweifel.
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e. Der Zeuge … gab an, er sei bereits vor Ort gewesen als die Klägerin gekommen sei. Warnschilder seien nicht aufgestellt gewesen. Die Klägerin sei längs der Eisbahn gekommen und dann gestürzt. Sie sei auf der rechten Seite der Bahn nach hinten zur Glühweinhütte gegangen und nach etwa 2/3 des Weges gestürzt. Er habe ihr aufgeholfen, gestützt und zur Bank gebracht. Die Wege um die Bahn seien mit eingetretenem Schnee bedeckt gewesen, so dass eine glatte Fläche entstanden sei. Es sei komprimierter Schnee gewesen, den er schon fast als Eis bezeichne. Daher sei es eher eisig auf dem Weg gewesen. Wie die Temperatur tagsüber gewesen sei, könne er nicht sagen. Am Abend sei es aber sehr kalt gewesen. Er glaube nicht, dass bereits eine andere Gruppe vor ihnen die Bahn benutzt hätte. Sie wären wohl die erste Gruppe an diesem Abend gewesen. An der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen gibt es keine Zweifel.
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f. Daher steht aufgrund der informatorischen Anhörung und der Aussage des Zeugen … fest, dass die Klägerin auf dem Weg rechts um die Eisstockbahn herum gestürzt ist, weil es glatt und nicht gestreut war. Der Beklagte konnte sich an den 09.02.2022 nicht erinnern. Er konnte daher auch nicht sagen, ob er an diesem Tag wirklich gestreut hat. Nur weil der Beklagte nach seinen Angaben immer streut, wenn es glatt ist, führt dies nicht zwingend dazu, dass er auch an diesem Tag gestreut hätte. Die Angaben der Klägerin und des Zeugen … widerlegen das. Es war nicht gestreut, obwohl es glatt war.
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2. Der Beklagte hat die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.
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a. Wer in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage gleich welcher Art für Dritte schafft oder andauern lässt, zB durch Eröffnung eines Verkehrs, Errichtung bzw. Betrieb einer Anlage oder Übernahme einer Tätigkeit, die mit Gefahren für Rechtsgüter Dritter verbunden ist, hat Rücksicht auf diese Gefährdung zu nehmen und deshalb die allgemeine Rechtspflicht, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern (Grüneberg/Sprau, BGB, 82. A., § 823 Rz. 46). Haftungsbegründend wird eine Gefahrenquelle erst, sobald sich aus der zu verantwortenden Situation vorausschauend für einen sachkundig Urteilenden die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter Dritter verletzt werden können (Grüneberg/Sprau, a.a.O.).
29
b. Geschützt sind im Grundsatz diejenigen Personen, mit deren Gefährdung der Pflichtige üblicherweise rechnen muss (Grüneberg/Sprau, a.a.O., Rz 47).
30
c. Verkehrssicherungspflichtig ist, wer für den Bereich der Gefahrenquelle verantwortlich und in der Lage ist, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 48).
31
d. Für den Inhalt und den Umfang der Verkehrssicherungspflicht gilt, dass eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, nicht erreichbar ist (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 51). Der Pflichtige muss daher nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 51). Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen vorausschauend (dh Beurteilung ex ante) zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 51). Erforderlich sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger, verständiger und gewissenhafter in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehörige der betreffenden Verkehrskreise/Berufsgruppen unter Berücksichtigung der Schadenswahrscheinlichkeit und möglicher Schadensfolgen für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, dh die nach den sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, solche Gefahren von Dritten tunlich abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßen oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen. Der Dritte ist in der Regel nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst, ausgehend von der sich ihm konkret darbieten Situation, bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann, nicht auch vor Gefahren, die jedem vor Augen stehen und vor denen er sich ohne weiteres selbst schützen kann (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 51). Welche Maßnahmen (auch wirtschaftlich) zumutbar sind, richtet sich nach der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, dem Gewicht möglicher Schadensfolgen und der Höhe des mit etwaigen Sicherheitsvorkehrungen verbundenen Kostenaufwands. Je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung und je gewichtiger der zu erwartende Schaden ist, umso eher sind (auch teurere) Sicherheitsmaßnahmen zumutbar. Im Ergebnis ist eine Gesamtabwägung aller Gesichtspunkte vorzunehmen (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 51).
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e. Die Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch eine Verkehrseröffnung (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 210). Inhalt und Umfang richten sich auch hier nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgebend ist, was zur Sicherung des Verkehrs, dem die jeweilige Einrichtung dient, erforderlich ist und, bezogen auf die einzelnen Maßnahmen, dem Pflichtigen zumutbar ist, unter Berücksichtigung insbesondere der örtlichen Verhältnisse, zB Gefährlichkeit des Verkehrswegs, dessen Art und Wichtigkeit, die Stärke des Verkehrs, die Art der Nutzer, sowie der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen (Grüneberg/Sprau, a.a.O. Rz. 210).
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f. Der Beklagte hatte in seinem Biergarten im Winter den Betrieb einer Eisstockbahn eröffnet. Er vermietete die Bahn und sorgte auch für Bewirtung. Damit hat er durch die Errichtung einer Anlage einen Verkehr für Kunden eröffnet. Für die Benutzung der Eisstockbahn mussten die Gäste durch den Biergarten gehen. Bei winterlichen Verhältnissen war der Zugang zur Bahn für die Gäste mit einer Rutschgefahr durch Eis und Schnee und daher mit Gefahren für die Rechtsgüter Dritter verbunden. Aus der vom Beklagten zu verantwortenden Situation ergab sich vorausschauend für einen sachlich Urteilenden die naheliegende Gefahr, dass Gäste auf dem Weg zur Bahn bei Glätte stürzen und dadurch sich verletzen könnten. Der Beklagte war daher verpflichtet, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar waren, um die Schädigung der Benutzer auf dem Weg zur Anlage möglichst zu verhindern. Er hatte für einen möglichst gefahrlosen Zugang, also auch eisfreien Zugang, zur Eisstockbahn in seinem Biergarten zu sorgen. Bei Glätte musste er den Zugangsbereich räumen und streuen. Die Anlage befand sich nicht auf einem See oder Eiskanal, so dass man offensichtlich mit einem Zugang über Glatteis hätte rechnen müssen. Vielmehr handelt es sich bei der Anlage im Biergarten um eine künstlich angelegte Bahn. Bei einer solchen Bahn darf der Benutzer erwarten, dass der Zugang zur Bahn gefahrlos möglich und damit eisfrei ist. Es lag hier entgegen der Ansicht des Beklagten nicht in der Natur der Sache, dass der Zugang zu der vom Beklagten errichteten Eisstockbahn glatt war. Der Beklagte hat die Gefahrenquelle auch erkannt. Er gab an, bei den entsprechenden Witterungsverhältnissen den Zugangsbereich zur Bahn zu räumen und zu streuen. Diese Maßnahmen waren ihm auch zumutbar. Nach eigenen Angaben räume und streue er regelmäßig. Im vorliegenden Fall steht aufgrund der Angaben der Klägerin und des Zeugen … und der Zeugin … zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte trotz Glätte nicht gestreut hat. Der Beklagte konnte zu Streumaßnahmen am konkreten Unfalltag keine Angaben machen. Der Beklagte hatte die Eisstockbahn für den 09.02.2022 ab 19.00 Uhr vermietet. Für ihn war daher klar, dass Gäste in den Biergarten zur Nutzung der Bahn kommen würden. Es war Winter. Die Verhältnisse waren eisig. Er musste sich daher vergewissern, ob und dass ein ordnungsgemäßer Zugang zur Bahn möglich ist. Seine Behauptung, er habe Warnschilder mit dem Hinweis auf Rutschgefahr aufgestellt, konnten die Zeugen nicht bejahen. Insoweit ist der Beklagte beweisfällig geblieben. Allein das Aufstellen von Warnschildern hätte aber nicht gereicht. Die Gäste waren zur Nutzung der gemieteten Bahn darauf angewiesen, den Weg zur Bahn durch den Biergarten zu beschreiten. Ein Hinweis durch Mitarbeiter vor Beginn der „Veranstaltung“ ist unstreitig nicht erfolgt.
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3. Damit haftet der Beklagte für den der Klägerin entstandenen Schaden sowohl aus Delikt (§§ 823 I, 249 ff BGB) als auch aus dem Mietvertrag hinsichtlich der Eisstockbahn unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (s. Hierzu Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82 A., § 328 Rz. 16 -18) auf Schadensersatz. Die Voraussetzungen für einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sind hier gegeben. Die Klägerin ist als Teilnehmerin der Geburtstagsfeier mit der Leistung des Beklagten bestimmungsgemäß in Berührung gekommen (Leistungsnähe); der Mieter der Eisstockbahn hatte ein Einbeziehungsinteresse hinsichtlich der Teilnehmer an der Geburtstagsfeier in den Schutzbereich des Mietvertrages, was für den Beklagten erkennbar war; die Klägerin war als Teilnehmerin an der „Veranstaltung“ auch schutzbedürftig.
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4. Der Klägerin ist aber ein Mitverschulden von 1/3 anzurechnen (§ 254 I BGB).
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a. Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 254 I BGB). Trifft den Geschädigten ein Mitverschulden, hängt der Umfang der Ersatzpflicht von einer Würdigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ab (Grüneberg/Grüneberg, § 254 Rz. 57).
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b. Bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat das Verschulden des Verletzten nur, wenn es den entstandenen Schaden zurechenbar verursacht hat. Der Geschädigte muss die ihm in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt vorsätzlich oder fahrlässig verletzt haben (Grüneberg/Grüneberg, § 254 Rz. 9). Voraussetzung ist daher grundsätzlich die Vorhersehbarkeit und die Vermeidbarkeit der Schädigung. Eine bloße Mitverursachung genügt nur, sofern der Geschädigte für eine Sach- oder Betriebsgefahr einzustehen hat.
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c. Nach der Rechtsprechung des BGH ist im Rahmen dieser Abwägung entscheidend darauf abzustellen, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Schadenseintritt in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat. Erst in zweiter Linie komme es auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens an, das nur ein Faktor innerhalb der Abwägung sei
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d. Ein vollständiges Zurücktreten der Haftung des Schädigers kommt nur in Betracht, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellt. Allein der Umstand, dass der Geschädigte vor Schadenseintritt die bestehende Gefahrenlage erkannt hat, begründet nicht einen solchen Verursachungsanteil, dem gegenüber der Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers stets zurücktreten oder auch nur weniger schwer wiegen müsste (BGH NZV 2013, 534 Rz. 23). Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des konkreten Einzelfalls (BGH NZV 2013, 534 Rz. 23). Der Grad der vom Geschädigten erkannten Gefahr ist in die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge auch auf Seiten des Geschädigten einzubeziehen (BGH NZV 2013, 534 Rn. 24, beck-online).
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e. Grundsätzlich muss sich ein Teilnehmer an einer Veranstaltung im Winter im Freien auch auf die durch winterliche Witterung entstehenden Gefahren einstellen und im eigenen Interesse der Schadensverhütung die Maßnahmen ergreifen, die nach der gegebenen Gefahrenlage geboten sind, also zB entsprechendes Schuhwerk tragen. Handelt ein Veranstaltungsteilnehmer diesem Gebot im Fall einer erheblichen Gefahr zuwider, begründet dies in der Regel ein Mitverschulden i. S. von § 254 BGB. Indes lässt auch ein solches Verhalten nicht stets – unabhängig von den weiteren Umständen des Einzelfalls – den Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers zurücktreten. Andernfalls führte dies zu dem nicht hinnehmbaren Ergebnis, dass bei einer besonders deutlichen Gefahrenlage, der der Geschädigte nicht ausweichen kann, und einer in solchen Fällen nicht selten besonders schwer wiegenden Verletzung der Räum- und Streupflicht die Pflichtverletzung folgenlos bliebe. Die haftungsrechtliche Gesamtverantwortung für das Unfallereignis würde auf den Geschädigten verlagert, obwohl der Verkehrssicherungspflichtige eine maßgebliche Ursache für das Schadensereignis gesetzt hat (BGH, NZV 2013, 534 Rn. 24, beck-online.
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f. Es ist im Gegenteil grundsätzlich davon auszugehen, dass der die Räum- und Streupflicht Verletzende und für die Sicherheit eines Verkehrswegs Verantwortliche durch die Pflichtverletzung die wesentliche Ursache für einen Unfall setzt, der sich in Folge der nicht beseitigten Gefahrenlage ereignet. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (BGH NZV 2013, 534 Rn. 27, beck-online).
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g. Kommt jemand auf einem erkennbar nicht geräumten oder abgestumpften Weg zu Fall, so spricht das prima facie für mangelnde Aufmerksamkeit (Grüneberg/Grüneberg, § 254 Rz. 27). Die dem anderen Teil zur Last fallende Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wiegt aber idR schwerer (Grüneberg/Grüneberg, a.a.O).
43
h. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin den Biergarten des Beklagten mit angepasstem Schuhwerk betreten. Der Beklagte konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass die Klägerin kein geeignetes Schuhwerk getragen hat. Darlegungs- und beweispflichtig ist er. Die Klägerin zeigte im Termin die Stiefel, die sie zum Unfallzeitpunkt getragen hatte. Es handelte sich um normale Winterstiefel mit guten Sohlen. Als die Klägerin um die Eisstockbahn herum ging, erkannte sie die durch Glätte bestehende Rutschgefahr. Nach ihren Angaben ist sie vorsichtig weiter gegangen. Ab diesem Zeitpunkt war es für sie aber vorhersehbar und vermeidbar, dass sie stürzen und sich verletzen könnte. Sie hätte stehen bleiben, um Hilfe rufen und um Streumaßnahmen durch die anderen Teilnehmer oder durch den Beklagten bitten können. Das wäre ihr auch zumutbar gewesen. Der Klägerin kann aber nicht vorgeworfen werden, dass sie ohne Prüfung einer Rutschgefahr den Weg betreten hat. Sie war zu der vom Beklagten organisierten Veranstaltung eingeladen. Sie sah die anderen Teilnehmer bereits hinten an der Bahn stehen. Daher musste sie zunächst nicht davon ausgehen, dass der Weg um die Bahn herum glatt ist. Der Weg um die Bahn war für die Klägerin daher zunächst nicht erkennbar glatt. Das Verhalten der Klägerin stellt daher kein grobes Verschulden dar. Die anderen Teilnehmer waren bereits vor ihr offenbar unbeschadet an der Bahn vorbeigegangen. Dies hatte die Klägerin erkannt. Der Weg, den die Klägerin zurückzulegen hatte, war nicht allzu weit. Insofern ist es nachvollziehbar, dass die Klägerin es auch versucht hat, den restlichen Weg um die Bahn herum unbeschadet zu beschreiten. Das Verhalten der Klägerin war also nicht von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet. Ein die Haftung des verkehrssicherungspflichtigen Beklagten ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag der Klägerin kann daher nicht angenommen werden. Das Verhalten der Klägerin hat den Schadenseintritt, der aufgrund der Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten drohte, nicht wahrscheinlicher gemacht. Die Klägerin war Teilnehmerin an der Veranstaltung. Für den Beklagten war klar, dass alle Teilnehmer um die Bahn herumgehen würden und der Weg hierfür nicht glatt sein darf. Daher hat das Verhalten des Beklagten die Schädigung der Klägerin in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht.
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i. Nach Würdigung und Abwägung aller Umstände ist festzustellen, dass der Verschuldensanteil des Beklagten überwiegt. Der Beklagte hat als Veranstalter die Räum- und Streupflicht verletzt. Die Beklagte ist als Teilnehmerin nach Erkennen der Rutschgefahr nicht ausreichend vorsichtig gewesen. Das Gericht hält einen Mitverschuldensanteil der Klägerin von 1/3 für angemessen und ausreichend.
45
Die Schadenshöhe ist bestritten und daher noch gesondert zu klären.
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Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.