Titel:
Entscheidung nach dem AsylG im schriftlichen Verfahren
Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 2, § 38 Abs. 1, § 73b Abs. 7, § 77 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3
VwGO § 101, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5
Leitsatz:
Die Ermessensentscheidung nach § 77 Abs. 2 S. 1 AsylG modifiziert die Systematik des § 101 VwGO für die betroffenen Verfahren und bezweckt die Verfahrenserleichterung und -beschleunigung. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Offensichtlichkeit, Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Hinweis, Asylrecht, Türkei, Mitgliedschaft in der HDP, mündliche Verhandlung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 31.07.2024 – 13a ZB 24.30090
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51949
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger, vom Volk der Kurden und muslimischen Glaubens. Er ist nach eigenen Angaben am 15. November 2020 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und beantragte am 6. Juni 2023 die Durchführung eines Asylverfahrens.
2
Im Rahmen der persönlichen Anhörung am 1. September 2023 berief sich der Kläger im Wesentlichen auf seine Furcht aus politischen Gründen verhaftet zu werden. Das sei Bekannten und Freunden von ihm passiert. Der Kläger habe mit 17 und 18 Jahren zwei Mal an Protestveranstaltungen der HDP teilgenommen. Bei der HDP habe er keine besondere Funktion und mit der Polizei habe er wegen dieser Veranstaltungen auch keine Probleme gehabt.
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Der Asylantrag des Klägers wurde mit Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2023 hinsichtlich Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und subsidiärem Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffer 1 – 3). In Ziffer 4 wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Die Abschiebung in die Türkei oder in jeden anderen zur Aufnahme bereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde in Ziffer 6 auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheides wird verwiesen.
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Der Kläger lässt durch seinen anwaltlichen Vertreter am 13. Oktober 2023 Klage erheben und sinngemäß beantragen,
- 1.
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Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 2. Oktober 2023 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sowie für subsidiären Schutz und für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 – 7 AufenthG vorliegen.
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Der Kläger werde in seinem Heimatland in asylrechtlich relevanter Weise verfolgt. Der ablehnende Bescheid sei rechtswidrig. Die von der Rechtsprechung entwickelten strengen Anforderungen an das Vorliegen eines Offensichtlichkeitsurteils liegen nicht vor und werden von der Antragsgegnerin auch nicht dargelegt.
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Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2023 erwidert die Beklagte und beantragt,
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Zur Begründung verweist die Beklagte auf den angefochtenen Bescheid.
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Mit Beschluss vom 23. Oktober 2023 (AN 4 S 23.31305) hat das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt.
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Mit Schreiben vom 7. November 2023 teilte das Gericht mit, dass es beabsichtige aufgrund von § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG im schriftlichen Verfahren durch Urteil zu entscheiden. Mit einer Entscheidung sei ab dem 30. November 2023 zu rechnen. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass der Entscheidung des Bundesamtes nach Sachstand nichts Maßgebliches entgegengesetzt worden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichts- und die beigezogenen elektronischen Behördenakten verwiesen und Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage konnte aufgrund § 77 Abs. 2 AsylG nach entsprechendem Hinweis ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
13
Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG in der Fassung vom 21. Dezember 2022 kann das Gericht außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 AsylG bei Klagen gegen Entscheidungen nach dem AsylG im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Nach Satz 2 der Vorschrift muss auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden. Die Regelung modifiziert die Systematik des § 101 VwGO für die betroffenen Verfahren und bezweckt die Verfahrenserleichterung und -beschleunigung. Ob im schriftlichen Verfahren zu entscheiden ist, steht in den von der Vorschrift erfassten Fällen im Ermessen des Gerichts (BT-Drs. 20/4327 v. 8.11.2022, S. 42).
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Das Gericht hat eine mündliche Verhandlung im vorliegenden Fall nicht für erforderlich gehalten. Bereits mit Beschluss vom 23. Oktober 2023 (AN 4 S 23.31305) hat es keine ernstlichen Zweifel an dem von der Beklagten im Bescheid ausgesprochenen Offensichtlichkeitsurteil zum Ausdruck gebracht. Die darüber hinaus von den Klägern vor dem Bundesamt vorgebrachten Fluchtgründe sind einfach zu entscheiden und bedarf vorliegend keiner mündlichen Verhandlung.
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Ergänzende Ausführungen zu den Fluchtgründen wurden klägerseitig nicht gemacht und sind auch nicht mehr zu erwarten. Der anwaltliche Vertreter wurde vor der Entscheidung angehört hatte schließlich auch ausreichend Zeit und die ansonsten auch zumutbare Möglichkeit eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch einfache Erklärung und ohne Angabe von Gründen zu verhindern.
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung, auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder auf die Zuerkennung von subsidiären Schutz (§ 4 AsylG). Auch im Übrigen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 und Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, soweit sich das Gericht diesen anschließt (§ 77 Abs. 3 AsylG). Hierzu ist mit Blick auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) wie nachfolgend zu ergänzen. Es liegen darüber hinaus auch die Voraussetzungen für die Ablehnung als offensichtlich unbegründet vor.
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Der Kläger hat für sein persönliches Vorbringen keine asylverfahrensrelevanten Gründe vorgebracht. Soweit er sich auf Teilnahme an zwei Demonstrationen beruft ist ein staatliches Verfolgungsinteresse weder nach Vortrag noch nach Auskunftslage zu erkennen. Der Kläger hat auch weiter erklärt, keine besondere Funktion bei der HDP gehabt zu haben. Eine Mitgliedschaft in der HDP allein ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes kein Grund für strafrechtliche Maßnahmen (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand Juni 2022, Lagebericht AA, S. 8; BayVGH, B.v. 7.6.2021 – 24 ZB 21.30687 – juris Rn. 7). Das gilt erst recht, wenn jemand lediglich mit der HDP sympathisiert oder in ihrem Umfeld unterstützend tätig ist.
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Damit liegen auch die Voraussetzungen für eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet durch die Behörde vor. Die Eindeutigkeit einer ablehnenden Entscheidung wird nicht zuletzt aus den zeitlichen Zusammenhängen erkennbar: der Antragsteller macht geltend 2012 und 2013 an Demonstrationen teilgenommen zu haben, hat die Türkei nach Vortrag aber erst 2020 verlassen. Das Fluchtvorbringen war offenkundig nicht der Grund der Ausreise, weshalb die Ablehnung neben der fehlenden Relevanz weiter auf § 30 Abs. 2 AsylG gestützt werden kann.
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Damit war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Gerichtskosten waren nicht zu erheben (§ 83b AsylG).