Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 08.08.2023 – 1 Wx 1539/23
Titel:

Beschwerde, Testament, Erblasser, Erblasserin, Gutachten, Auslegung, PFERD, Vergleich, Erteilung, Form, TIERSCHUTZ, Erbfolge, Erbeinsetzung, Notarzt, Zulassung der Rechtsbeschwerde

Schlagworte:
Beschwerde, Testament, Erblasser, Erblasserin, Gutachten, Auslegung, PFERD, Vergleich, Erteilung, Form, TIERSCHUTZ, Erbfolge, Erbeinsetzung, Notarzt, Zulassung der Rechtsbeschwerde
Vorinstanz:
AG Weiden, Beschluss vom 23.06.2023 – VI 366/20
Rechtsmittelinstanz:
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 13.07.2024 – 1 BvR 1929/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51905

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 8) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Weiden i.d.OPf. vom 23. Juni 2023, Az. VI 366/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Beteiligte zu 8) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 2.800.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die am ... August 1968 geborene Erblasserin … ist am 11. Februar 2020 in … verstorben. Sie war nicht verheiratet, hatte keine Abkömmlinge und keine Geschwister. Die Eltern der Erblasserin sind vorverstorben. Der Beteiligte zu 8) war der Lebensgefährte der Erblasserin. Die Beteiligten zu 1) bis 7) sind Verwandte der Erblasserin.
2
Die Erblasserin litt an einer rezidivierenden depressiven Störung, einer Angststörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie war von Beruhigungsmitteln und zeitweise von Schmerzmitteln abhängig. Seit dem Jahr 2013 war die Erblasserin arbeitsunfähig. Mit Beschluss vom 21. August 2019 (Bl. 37 ff. d.A.) bestellte das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Weiden i.d. OPf. für die Erblasserin eine Betreuerin für alle Angelegenheiten.
3
Am 11. Februar 2020 wurde die Erblasserin vom Beteiligten zu 8) in ihrer Wohnung in …, leblos aufgefunden. Mit Beschluss vom 14. Februar 2020 ordnete das Nachlassgericht Weiden i.d.OPf. Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben an und bestellte Herrn … zum Nachlasspfleger.
4
Der Beteiligte zu 8) gab beim Amtsgericht – Nachlassgericht – Siegburg nach dem Tod der Erblasserin ein auf den 1. August 2018 datiertes Schriftstück ab, das auszugsweise folgenden Inhalt hat:
„NAME
MEIN TESTAMENT
ALLES VERMÖGEN, HAUS, APOTHEKE, PFERD GRUNDAMFISCHBACH VERERBE ICH MEINEM LANGJÄHRIGEN LEBENSGEFÄHRTEN …, ABZÜGLICH SPENDEN JE
20.000,00 EURO, FÜR (…)
… 1.08.2018“
5
Das Schriftstück ist mit dem Namen der Erblasserin handschriftlich unterzeichnet.
6
Der Beteiligte zu 8) hat am 17. Februar 2020 die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe aufgrund des Testaments vom 1. August 2018 beantragt (Bl. 133 ff. d.A.). Das Nachlassgericht erhob daraufhin Beweis über die Testierfähigkeit der Erblasserin durch Vernehmung der behandelnden Ärzte sowie über die Echtheit des Testaments vom 1. August 2018 durch Erholung eines schriftvergleichenden Gutachtens. Die beauftragte Sachverständige Dipl.-Psych. … kam in ihrem schriftvergleichenden Gutachten vom 9. Dezember 2020 zu dem Ergebnis, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder die Testamentsunterschrift noch der Testamentstext aus der Hand der Erblasserin herrühre. Das Nachlassgericht hat die Sachverständige Dipl.-Psych. … in der Sitzung vom 18. März 2021 (vgl. Protokoll, S. 5 ff., Bl. 1625 ff. d.A.) angehört.
7
Das Nachlassgericht wies mit Beschluss vom 25. März 2021 (Bl. 1674 ff. d.A.) den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 8) zurück. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Testierunfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung am 1. August 2018 zwar nicht feststellbar sei. Allerdings habe das Gericht aufgrund des eingeholten schriftvergleichenden Sachverständigengutachtens nicht zu beseitigende Zweifel an der Echtheit der Urkunde vom 1. August 2018. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 11) hat der Senat mit Beschluss vom 7. Juni 2022 (/Bl. 2129 ff. d.A.) zurückgewiesen. Der Beschluss ist rechtskräftig.
8
Mit Schreiben vom 16. Juli 2022 (Bl. 2239 ff.) trug der Beteiligte zu 8) unter Vorlage einer Ablichtung eines auf den 11. Februar 2020 datierten Schreibens vor, seine Eltern hätten bei Aufräumarbeiten am 15. Juli 2022 in Siegburg durch Zufall den beigefügten Brief der Erblasserin zwischen Büchern entdeckt. Den Brief habe die Erblasserin am Tag ihres Suizides, also dem 11. Februar 2020, geschrieben. Das vorgelegte Schreiben hat – soweit leserlich – auszugsweise folgenden Inhalt:
„AN …
ES GEHT NICHT MEHR – (…)
BRING MICH MIT MUTTER UND VATER AN DEN ORT IM WESTEN NATUR UND TIERSCHUTZ ZUM ERFOLG, ISIS AUF TRAB WALDTEICH UND WACHOLDER ZUR ERINNERUNG!!! ERHALTE DIE STEINE VON VATER!!!
DU ERBST NUN ALLES VON MIR (TESTAMENT VON VOR NORWEGENFLUG; LIEGT BEI UNS IN .. IN SCHWARZER DOKUMENTENTASCHE).
ICH EXISTIERE FORT DU (…)DICH!!!
… 11.2.2020“
9
Am 1. Juni 2023 hat der Beteiligte zu 8) zu Protokoll des Nachlassgerichts erneut die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist.
10
Die Beteiligten zu 1) und 3) haben am 11. Mai 2023 (Bl. 2538 ff. d.A.) die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt.
11
Das Nachlassgericht stellte mit Beschluss vom 23. Juni 2023 (Bl. 2649 ff. d.A.) fest, dass die zur Begründung des Antrags vom 11. Mai 2023 auf Erteilung eines Erbscheins entsprechend der gesetzlichen Erbfolge erforderlichen Tatsachen für festgestellt anzusehen seien. Zugleich wies es den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 8) vom 1. Juni 2023 zurück. Zur Begründung führte das Nachlassgericht im Wesentlichen aus, dass auch nach Vorlage des auf den Todestag der Erblasserin datierten Abschiedsbriefs die bestehenden Zweifel an der Echtheit der Testamentsurkunde vom 1. August 2018 bestehen blieben. Das Schreiben ändere nichts an den Feststellungen der Sachverständigen Dipl.-Psych. ..., dass die Erblasserin die Testamentsurkunde vom 1. August 2018 nicht eigenhändig geschrieben und unterschrieben habe. Es bestünden überdies Zweifel an der Echtheit des Abschiedsbriefs vom 11. Februar 2020. Aber selbst wenn man seine Echtheit unterstelle, würde es sich hierbei um kein sogenanntes Brieftestament handeln. Denn die Verfasserin habe ausdrücklich unter Verweis auf das Testamentsdokument vom 1. August 2018 erklärt, dass der Adressat nunmehr alles erbe. Auch der ungewöhnliche Aufbewahrungsort zwischen Büchern und die inhaltliche Gestaltung sprächen gegen einen Testierwillen. Es handle sich um eine bloße Bestätigung des Testamentsdokuments vom 1. August 2018 und eine informatorische Mitteilung.
12
Der Beteiligte zu 8) hat gegen diesen Beschluss, der ihm am 30. Juni 2023 zugestellt wurde, mit Schreiben vom 3. Juli 2023, eingegangen beim Nachlassgericht am 5. Juli 2023 Beschwerde eingelegt. Er beanstandet insbesondere, dass das Erstgericht zu Unrecht versuche, den Abschiedsbrief als reine Wiederholung des Testaments vom 1. August 2018 darzustellen. Der Brief enthalte aber eine ganze Reihe von persönlich neuen Festlegungen und weiche „monetär“ gegenüber dem alten Testament gravierend ab.
13
Das Erstgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 11. Juli 2023 (Bl. 2675 f. d.A.) nicht abgeholfen.
II.
14
Die Beschwerde des Beteiligten zu 8) ist gemäß §§ 58 ff., § 352 Abs. 1 Satz 1 FamFG zulässig. Der Beschwerde fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Der Senat hat zwar über einen inhaltsgleichen Erbscheinsantrag bereits (rechtskräftig) entschieden. Der Wiederholung eines abgelehnten Antrags steht die Rechtskraft aber nur entgegen, wenn derselbe Antrag auf genau denselben Sachverhalt gestützt wird (Burandt/Rojahn/Gierl, 4. Aufl., § 352e FamFG Rn. 38). Werden entweder der Antrag oder der Sachverhalt geändert, so ist ein erneuter Antrag zulässig (Burandt/Rojahn/Gierl, a.a.O.). Dies ist hier der Fall. Denn der Beteiligte zu 8) hat eine weitere Urkunde vorgelegt und damit einen neuen Sachverhalt vorgetragen.
15
Die Beschwerde ist unbegründet.
16
1. Der Senat hat keine vernünftigen Zweifel daran, dass das nunmehr vom Beschwerdeführer vorgelegte, auf den 11. Februar 2020 datierte Schriftstück – ebenso wie die vorgelegte Testamentsurkunde – nicht von der Erblasserin geschrieben und unterschrieben wurde.
17
a) Äußerlich auffällig und ungewöhnlich ist, dass der Brieftext – ebenso wie das unechte Testament vom 1. August 2018 – in Großbuchstaben geschrieben ist, während die Unterschrift in Schreibschrift gefertigt wurde. Die im Schriftgutachten aufgeführten Vergleichsschriften der Erblasserin zeigen zudem, dass diese – mit Ausnahme bei der Ausfüllung von Vordrucken – Texte in Schreibschrift und nicht in Großbuchstaben verfasst hat. Der Vergleich der Schrift des vorgelegten Briefs (Aktenband VI, Bl. 2265 d.A.) mit der der Testamentsurkunde vom 1. August 2018 (Aktenband I, Bl. 73 d.A.) ergibt für den Senat eine offensichtliche, auch für den Laien feststellbare Übereinstimmung der Schriftzüge und -merkmale. So zeichnen sich insbesondere die im Brieftext verwendeten Majuskeln „A“ ebenso wie im Testamentstext durch die von der Sachverständigen Dipl.-Psych. … festgestellten Querstriche am First und getrennt angefügten Mittelstrichen aus. Auch die eher eckige Ausführung der Majuskeln „G“ stimmt mit denen im Testamentstext überein. Ebenso wie der Testamentstext wurden im vorgelegten Schreiben überwiegend keine Abstände zwischen den Worten eingehalten.
18
Da die Testamentsurkunde vom 1. August 2018 nach den auf Grundlage eines Schriftvergleichs getroffenen Feststellungen der Sachverständigen Dipl.-Psych. … eine Totalfälschung ist, kann aus der offensichtlich erkennbaren Übereinstimmung der Schriften nur der Schluss gezogen werden, dass auch der nunmehr vorgelegte Brief unecht ist. Dieser Befund findet eine Stütze in dem vom Bayerischen Landeskriminalamt erstellten Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. … vom 16. November 2022. Gegenstand des Gutachtens war zwar (nur) die Echtheit der Testamentsurkunde. Das Schriftstück vom 11. Februar 2020 wurde aber als Vergleichsmaterial von vornherein wegen „deutlicher Indikatoren“ dafür, dass dieser „Abschiedsbrief“ nicht von der Erblasserin geschrieben und unterschrieben worden sei, nicht als Vergleichsmaterial einbezogen (vgl. auch Gutachten des Landeskriminalamts vom 16.11.2022, S. 10).
19
b) Wenig glaubhaft und sehr konstruiert erscheint zudem der Vortrag des Beschwerdeführers, dass das auf den 11. Februar 2020 datierte Schriftstück erst bei Aufräumarbeiten am 15. Juli 2022, also unmittelbar nach der ersten Beschwerdeentscheidung des Senats vom 7. Juni 2022, von seinen Eltern zufällig zwischen Büchern bemerkt worden sei. Wäre der „Abschiedsbrief“ tatsächlich am Tag des Suizids der Erblasserin am 11. Februar 2020 von dieser verfasst worden, ist nicht plausibel, wie er vom Beschwerdeführer unbemerkt von Parkstein zum Wohnort der Eltern des Beschwerdeführers nach Siegburg „zwischen Bücher“ gelangt ist.
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Der Beschwerdeführer hat zur Erklärung im Wesentlichen vorgetragen, dass die Erblasserin das Schreiben offensichtlich in einer Klarsichthülle auf seinen Arbeitstisch in Parkstein gelegt habe, wo ständig dutzende solcher Hüllen gelagert hätten, und dass er wegen der Wiederbelebungsversuche und den ständigen Befragungen der zwei Kommissare unter Zeitdruck wichtige Papiere (alle in Klarsichthülle) und seine dortigen wichtigen Fachbücher von seinem Arbeitstisch in einen Karton gepackt und mitgenommen habe, ohne sie anzuschauen zu können (vgl. Schreiben vom 25. September 2022, S. 3 = Bl. 2294 d.A.). Nachdem er Minuten lang eine Wiederbeatmung versucht habe, habe er, während der Notarzt „um die Ecke“ gebogen sei, kurz nach Zeilen des Abschieds um das Bett herum gesucht, da habe schon der Notarzt geklingelt.
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Der Erklärungsversuch des Beschwerdeführers für das späte Auffinden des Abschiedsbriefs erscheint wenig glaubhaft. Hätte die Erblasserin tatsächlich dem Beschwerdeführer einen Abschiedsbrief mit ihr wichtigen Anliegen hinterlassen, so wäre zu erwarten gewesen, dass sie auch sichergestellt hätte, dass der Beschwerdeführer den Brief auch sogleich bemerkt. Es ist daher wenig plausibel, dass die Erblasserin einen solchen Abschiedsbrief – wie der Beschwerdeführer vermutet – in einer Klarsichthülle einfach auf einen Stapel anderer Klarsichthüllen auf dessen Schreibtisch gelegt hätte. Dass der Beschwerdeführer dann noch die mitgenommenen Unterlagen nicht zeitnah nach dem Tod der Erblasserin und trotz des seit über zwei Jahren anhängigen Erbscheinsverfahrens, dessen zentraler Streitpunkt die Echtheit der Urkunde vom 1. August 2018 war, nicht selbst im Hinblick auf mögliche Beweismittel durchsucht haben will, erscheint auch angesichts des umfangreichen Sachvortrags und der zahlreichen Beweisangebote des Beschwerdeführers wesensfremd und nicht glaubhaft.
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2. Selbst wenn man die Echtheit des vorgelegten „Abschiedsbriefs“ unterstellt, hat der Senat – nach wie vor – nicht nur begründete und nicht behebbare Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Urkunde vom 1. August 2018, sondern er kann sich ebenso wie das Erstgericht mit einem Grad von Gewissheit, die vernünftige Zweifel ausschließt, die Überzeugung bilden, dass diese nicht von der Erblasserin eigenhändig geschrieben und unterzeichnet wurde. Der vorgelegte Brief begründet keine Zweifel an der Richtigkeit der fachlich fundierten und überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dipl.-Psych. …, dass das Schriftstück vom 1. August 2018 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Totalfälschung ist. Denn diese Feststellungen beruhen auf der Auswertung verschiedener Vergleichsschriften und den auf dieser Grundlage im Rahmen einer Schriftvergleichung festgestellten typischen Nachahmungsmerkmalen. Auch das vom Bayerischen Landeskriminalamt erstellte schriftvergleichende Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. … vom 16. November 2022 kommt zu dem gleichen Ergebnis, dass die Testamentsurkunde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eigenhändig von der Erblasserin geschrieben und unterschrieben worden sei. Hinzukommen die vom Senat ausführlich dargelegten weiteren Auffälligkeiten der verwendeten Formulierungen, der äußerlichen Form des Schriftstücks sowie der ungewöhnliche Ort der Aufbewahrung und das widersprüchliche Vortragsverhalten des Beschwerdeführers. Der vorgelegte „Abschiedsbrief“ ändert an der durch eine Schriftvergleichung festgestellten Totalfälschung des auf den 1. August 2018 datierten Schreibens und den hierfür sprechenden erheblichen Indizien nichts. Überdies wird in dem vom Beschwerdeführer vorgelegten „Abschiedsbrief“ zwar auf ein Testament Bezug genommen, das offenbar vor einem Flug nach Norwegen erstellt und in einer schwarzen Dokumententasche aufbewahrt worden sein soll. Es kann hieraus aber nicht der verlässliche Schluss gezogen werden, dass es sich bei dem erwähnten Testament gerade um das vorgelegte Schriftstück vom 1. August 2018 handelt, wie es der Beschwerdeführer behauptet.
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3. Selbst wenn man unterstellt, dass der nunmehr vorgelegte „Abschiedsbrief“ echt wäre, würde dies an der Entscheidung des Nachlassgerichts im Ergebnis nichts ändern. Denn das Nachlassgericht hat zu Recht angenommen, dass der „Abschiedsbrief“ selbst kein Testament beinhaltet.
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a) Ein handschriftlicher Brief kann ein Testament enthalten, sofern er der äußeren Form nach den Erfordernissen des § 2247 BGB genügt, der Testierwille vorhanden ist und der Erblasser nicht nur eine unverbindliche, rein informatorische Mitteilung machen wollte (MüKoBGB/Sticherling, BGB, 9. Aufl., § 2247 Rn. 45). Der Erblasser muss das Bewusstsein haben, dass das Schriftstück als Testament angesehen werden kann (MüKoBGB/Sticherling, a.a.O.). Ob der Erblasser eine letztwillige Verfügung errichten wollte, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist vom Tatrichter im Wege der Auslegung und Heranziehung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen (MüKoBGB/Sticherling, a.a.O.). Da die Abfassung eines Testaments in Form eines Briefs nicht den üblichen Gepflogenheiten entspricht, sind an die Auslegung strenge Anforderungen zu stellen (BayObLG, FamRZ 1990, 672; FamRZ 2001, 944; FamRZ 2003, 1787; OLG München, BeckRS 2016, 6864).
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b) Nach diesen Maßstäben ist der Senat ebenso wie das Nachlassgericht nicht davon überzeugt, dass die Erblasserin mit dem Schreiben vom 11. Februar 2020, dessen Echtheit unterstellt, eine letztwillige Verfügung hätte treffen wollen.
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Der Wortlaut der Formulierung des vorletzten Satzes des an „..“ gerichteten Schreibens („DU ERBST NUN ALLES VON MIR“) spricht dafür, dass die Erblasserin lediglich informatorisch mitteilen wollte, dass sie bereits die Entscheidung über ihren Nachlass außerhalb der Urkunde getroffen habe. Eine solche Auslegung findet eine Stütze darin, dass die Erblasserin am Ende des Satzes in Klammern auf ein bereits errichtetes Testament und dessen Aufbewahrungsort ausdrücklich Bezug nimmt. Ein solcher Verweis auf ein bestehendes Testament wäre aber vollkommen überflüssig gewesen, wenn die Erblasserin den Willen gehabt hätte, den Beteiligten zu 8) durch den Brief zum Alleinerben einzusetzen und dabei sogar – wie der Beschwerdeführer meint – abweichend vom in Bezug genommenen Testament die darin enthaltenen Vermächtnisse entfallen zu lassen. Auch der vorgetragene Anlass des Schreibens als „Abschiedsbrief“ und der weitere Inhalt des Briefs sprechen dafür, dass die Erblasserin den Beteiligten zu 8) angesichts ihres geplanten Suizids über eine außerhalb des Briefs erfolgte Erbeinsetzung lediglich informieren wollte. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers können dem Brief auch sonst keine letztwilligen Verfügungen entnommen werden. Im Gegenteil: Die im „Abschiedsbrief“ enthaltenen Aufforderungen („BRING MICHT MIT MUTTER UND VATER AN DEN ORT IM WESTEN“, „NATUR UND TIERSCHUTZ ZUM ERFOLG“, „ERHALTE DIE STEINE VOM VATER“ und „WALDTEICH UND WACHOLDER IN ERINNERUNG“ sowie die nach dem Vortrag des Beschwerdeführers auf das Pferd „Isis“ der Erblasserin bezogene Aufforderung „ISIS AUF TRAB“) sind bloße Wünsche der Erblasserin an den Adressaten, wie sie für einen Abschiedsbrief typisch sind. Diese Auslegung wird auch dadurch gestützt, dass die niedergelegten Anliegen der Erblasserin an den Beschwerdeführer einer schuldrechtlichen Verpflichtung nicht oder allenfalls eingeschränkt zugänglich wären, was ebenfalls gegen die Annahme eines Willens der Erblasserin spricht, eine rechtlich verbindliche Auflage begründen zu wollen.
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Vor diesem Hintergrund ist das Nachlassgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das vorgelegte Schreiben lediglich einen mitteilenden Inhalt hat und keine letztwillige Verfügung von Todes wegen beinhaltet. Es kann aus diesem Grund die äußerst zweifelhafte Frage offenbleiben, ob die Erblasserin im Zeitpunkt der Abfassung des vorgelegten Briefs am Tag ihres Suizids überhaupt testierfähig gewesen ist.
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Der Brief ändert – wie bereits ausgeführt – auch nichts an der rechtskräftigen Feststellung, dass die vorgelegte, auf den 1. August 2018 datierte Testamentsurkunde kein gültiges Testament ist.
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4. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers besteht nach den im Erbscheinsverfahren geltenden Verfahrensgrundsätzen keine Veranlassung, die benannten Zeugen zu den angegebenen Beweisthemen zu vernehmen, da sie keine entscheidungserheblichen Tatsachen betreffen. Keiner der Zeugen soll die Errichtung der auf den 1. August 2018 datierten Urkunde oder die Abfassung des nunmehr vorgelegten Briefs durch die Erblasserin selbst wahrgenommen haben. Aus den unter Beweis gestellten Tatsachen lassen sich auch keine hierauf bezogenen beweisbedeutsamen Schussfolgerungen ziehen. Der Senat unterstellt sie als wahr. Selbst wenn die als Zeuginnen benannte Psychologin Windschall, die Putzfrau „…“ aus … und die Reitstallbesitzerin … bezeugen würden, dass die Erblasserin keine Zuneigung zu anderen Personen außer zum Beschwerdeführer gezeigt habe, wäre dies keinerlei Indiz dafür, dass die Urkunde vom 1. August 2018 – entgegen den getroffenen Feststellungen – echt sein muss. Im Übrigen wird auf die Gründe im Beschluss des Senats vom 7. Juni 2022 Bezug genommen, die weiterhin zutreffen.
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5. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Erstrichterin habe die Nichtabhilfeentscheidung vor Ablauf der „gesetzlich vorgeschriebenen vier Wochen“ getroffen (vgl. Schreiben vom 30. Juli 2023), ist nicht begründet. Eine allgemein geltende Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung sieht das FamFG für das Erbscheinsverfahren nicht vor. In § 63 Abs. 1 FamFG ist nur bestimmt, dass die Frist zur Einlegung der Beschwerde grundsätzlich ein Monat beträgt. Bei einer Nichtabhilfe hat das Erstgericht gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG die Beschwerde „unverzüglich“ dem Beschwerdegericht vorzulegen. Die Erstrichterin hat somit nach Einreichung der Beschwerde mit Schreiben vom 3. Juli 2023 verfahrensfehlerfrei über die Abhilfe entschieden und das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Nach § 65 Abs. 1 FamFG kann das Beschwerdegericht dem Beschwerdeführer eine Frist zur Begründung der Beschwerde einräumen. Von dieser Möglichkeit hat der Senat angesichts der bereits vorliegenden Beschwerdebegründungen keinen Gebrauch gemacht.
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Das Erstgericht hat somit den weiteren Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 8) zu Recht zurückgewiesen.
III.
32
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
33
2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 64 GNotKG. Maßgebend ist danach der Wert des gesamten Nachlasses, den der Senat auf Grundlage der Feststellungen des Nachlasspflegers auf 2.800.000,00 € schätzt.
34
3. Die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die Sache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der Fragen der Beweiswürdigung im Vordergrund stehen. Soweit Rechtsfragen von Bedeutung sind, folgt der Senat der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung.