Inhalt

AG Ingolstadt, Endurteil v. 08.03.2023 – 9 C 1393/22
Titel:

Ersatz der Wertminderung bei Vorsteuerabzug

Normenketten:
BGB § 249
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Corona-Desinfektionskosten bei der Reparatur sind ersatzfähig. (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Wertminderung an den vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten ist nur netto zu erstatten. (Rn. 27 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Desinfektionskosten, Verbringungskosten, Minderwert, Vorsteuerabzugsberechtigung
Rechtsmittelinstanzen:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 09.11.2023 – 75 S 507/23 V
LG Ingolstadt, Berichtigungsbeschluss vom 03.01.2024 – 75 S 507/23 V
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.07.2024 – VI ZR 427/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51870

Tenor

1.    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 102,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.10.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.    Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 63 % und die Beklagte 37 % zu tragen.
3.    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4.    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfall vom 05.05.2022 in I..
2
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin ist die Leasingnehmerin des Fahrzeugs, Leasinggeberin ist die … Leasing. Die Beklagte ist die Kfz-Haftpflichtversicherung des unfallgegnerischen Fahrzeugs. Die vollumfängliche Haftung der Beklagten ist unstreitig.
3
Mit der Klage begehrt die Klägerin restliche Wertminderung, Reparaturkosten, Unkostenpauschale, restliche Rechtsanwaltskosten und Zinsen. Die Beklagte regulierte auf die Verbringungskosten bislang 80 €, auf die Kostenpauschale 20 €, auf die Wertminderung 588,23 € unter Abzug des Mehrwertsteuerbetrages und auf die Rechtsanwaltskosten 745,40 €.
4
Die Klägerin meint, für die Fahrzeugverbringung seien weitere 112 €, für Covid-19Schutzmaßnahmen 49,00 € und als Kostenpauschale weitere 5,00 € erstattungsfähig. Ferner sei bei der Wertminderung ein Abzug der Mehrwertsteuer von 111,77 € nicht gerechtfertigt. Zudem stünden ihr aus einem Gegenstandswert von insgesamt 9.127,76 € weitere 72,80 € zu. Sie meint, die Beklagte befinde sich seit 28.06.2022 in Verzug und ihr stünden Verzugszinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten zu.
5
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 166,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.06.2022 sowie an die … L.  GmbH (Leasing-Nr.: …; IBAN: …) 111,77 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.06.2022 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 72,80 € zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung
7
Das Gericht hat den Zeugen S. im Termin vom 08.03.2023 vernommen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung von diesem Tag wird verwiesen. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe

8
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
I.
9
Die Klägerin kann von der Beklagten Zahlung eines weiteren Betrages von 102,00 € an sich gemäß §§ 7 Abs. 1,18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 1,4 PflVG, 249 ff. BGB verlangen.
1. Verbringungskosten
10
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz der angefallenen Verbringungskosten in Höhe von weiteren 48,00 € netto, also insgesamt in Höhe eines Betrages von 128,00 € netto.
11
Die Höhe der Verbringungskosten bestimmt sich mangels konkreter vertraglicher Vereinbarung der Vergütung – eine solche wurde jedenfalls nicht behauptet – nach der Ortsüblichkeit und Angemessenheit, § 632 Abs. 2 BGB.
12
a) Die A. GmbH war berechtigt, die ihr angefallenen Verbringungskosten der Klägerin in Rechnung zu stellen.
13
b) Die geltend gemachten Kosten unterliegen jedoch den allgemeinen Regeln bei der Bestimmung der Höhe, somit dem § 632 Abs. 2 BGB. Eine explizite Vereinbarung der Höhe ist nicht vorgetragen, so dass das Gericht von einer Festsetzung anhand der Maßstäbe der Ortsüblichkeit und Angemessenheit auszugehen hat.
14
aa) Die übliche Vergütung ist die Vergütung, die nach Art, Güte und Umfang gleiche Leistungen nach allgemeiner Auffassung der beteiligten Kreise am Ort der Werkleistung gewährt zu werden pflegt; sie setzt voraus, dass derartige Leistungen in zahlreichen Einzelfällen erbracht werden (vgl. Grüneberg, 81. Auflage, § 632, Rn. 15 m.w.N.). Gerichtsbekannt sind Verbringungskosten als ortsüblich anzusehen, soweit die jeweiligen Reparaturbetriebe nicht über eigene Lackierereien verfügen. Die Spanne reicht hier von einer pauschalen Abrechnung von 110 EUR bis 188 EUR netto. Der von der L. GmbH & Co. KG berechnete Betrag von 192,00 EUR ist daher – wenn auch nur geringfügig – über den ortsüblichen Sätzen angesiedelt. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die zugrundeliegenden Erhebungen bereits mehrere Jahre zurückliegen.
15
Nach Auffassung des Gerichts entsprechend der Definition ist auch der Umfang der Leistung zu berücksichtigen. Unstreitig befindet sich der L. in fußläufiger Entfernung zur Klägerin, so dass der Aufwand im Vergleich zu den üblichen Fällen als geringer eingestuft werden muss. Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass das Fahrzeug als Ganzes und nicht nur die einzelnen Teile zum Lackieren verbracht werden konnte. Das Gericht zeigt sich insoweit von der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen S. überzeugt.
16
Das Gericht zeigt sich auch insoweit von der Aussage des Zeugen S. überzeugt, dass die Fahrzeuge auf das Schleppfahrzeug geladen und dort verzurrt werden müssen, da der Transport – wenn auch nur für eine kurze Strecke – über eine öffentliche Straße führt. Nach den Angaben des Zeugen falle hierfür ein Zeitaufwand von Minimum 20 Minuten (pro Einzelfahrt) an, maximal 35 Minuten. Durchschnittlich liege dieser bei 25-30 Minuten.
17
bb) Aufgrund dieser Abweichungen des Umfangs der Leistung zum ortsüblichen Umfang ist der Aufwand nicht mit dem ortsüblichen Aufwand zu vergleichen, so dass der Rechnungsbetrag nicht ohne Abänderung angesetzt werden kann. Das Gericht ist in diesem Fall gehalten, die Angemessenheit gemäß § 287 ZPO zu schätzen (vgl. Grüneberg, § 632, Nr. 16).
18
Das Gericht hält einen Betrag von insgesamt 128,00 € netto für einen Zeitaufwand von insgesamt 40 Minuten im vorliegenden Fall für angemessen. Nachdem nicht bekannt ist, wie lange konkret der Transport des streitgegenständlichen Fahrzeugs dauerte, konnte lediglich von der durch den Zeugen S. nachgewiesenen Mindestdauer von 2x20 Minuten ausgegangen werden. Aus dem geschilderten Reparaturaufwand ist auch nicht ersichtlich, dass die Verladung und Verzurrung des Fahrzeugs eine längere als die Mindestdauer in Anspruch genommen hätte. Zwar war das Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher, aber fahrtüchtig, wie sich aus Anlage K3 ergibt.
19
Die Reparaturwerkstatt berechnet für die Verbringung einen Betrag von 192,00 € und geht dabei von einem Zeitaufwand von einer Stunde aus. Für den nachgewiesenen Aufwand von insgesamt 40 Minuten ergibt dies daher einen Betrag von 128,00 € netto.
20
Die Beklagte hat bereits in Höhe eines Betrages von 80,00 € reguliert, sodass noch ein Betrag von weiteren 48,00 € zu erstatten ist.
2. Desinfektionskosten
21
Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Sein Anspruch ist auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags und nicht etwa auf Ausgleich von ihm bezahlter Rechnungsbeträge gerichtet. Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht.
22
Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann.
23
Ein Auswahlverschulden bei der Wahl der Reparaturwerkstatt kann der Klägerin nicht vorgeworfen werden, sodass die Klägerin auch kein Mitverschulden gem. § 254 BGB zu tragen hat.
24
Die Desinfektionskosten sind kausal auf den Unfall zurückzuführen. Diese sind auch adäquat. Hierbei kann eine Zurechnung allenfalls bei gänzlich unwahrscheinlichen Ereignissen entfallen. Bei Unfällen in Pandemiezeiten liegt die Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen nicht außerhalb jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit.
25
Die Höhe der Desinfektionskosten von 49,00 € begegnet gem. § 287 ZPO keinen Bedenken. Zwar gibt es auch Werkstätten, welche deutlich geringere Desinfektionskosten in Rechnung stellen, gleichwohl ist dem Gericht aus verschiedenen Verfahren bekannt, dass der von der Firma A. aufgerufene Betrag durchaus ortsüblich ist.
3. Kostenpauschale
26
Der Klagepartei steht nach der gefestigten Rechtsprechung des Amtsgerichts Ingolstadt eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 € zu (§ 287 ZPO; vgl. Hinweisbeschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 02.07.2010, Aktenzeichen 2 S 849/10; ausführlich bestätigt im Hinweisbeschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 16.03.2011, Aktenzeichen 22 S 304/11).
4. Wertminderung
27
Die Klägerin kann keine weitere Erstattung von Wertminderung an die Leasinggeberin verlangen. Der merkantile Minderwert wird dem Geschädigten zugestanden, weil sein Fahrzeug nach dem Unfall weniger wert ist. Laut BGH entsteht dem Geschädigten dieser Minderwert auch nicht erst beim Weiterverkauf, sondern sofort, weil die Weiterbenutzung mit einem größeren Risiko verbunden ist. Reparierte Fahrzeuge zeigen allgemein eine größere Schadensanfälligkeit (vgl. Freyberger NZV 2000, 290, BGHZ 35, 396 = NJW 1961, 2235).
28
Dies hat zur Folge, dass die Wertminderung an den vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten nur netto zu erstatten ist. Anderenfalls würde dieser gegenüber dem nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten besser gestellt (siehe Vergleichsberechnungen bei Freyberger NZV 2000, 290).
29
Der vorsteuerabzugsberechtigte Geschädigte erwirbt das streitgegenständliche Fahrzeug netto und verkauft es netto. Es ist kein Grund ersichtlich, warum ihm während der Haltedauer des zu seinem Betriebsvermögen gehörenden Fahrzeugs ein Mehrwertsteuerbetrag auf die Wertminderung zugute kommen sollte.
30
Wie von Freyberger (s.o.) weiter richtig ausgeführt, ist der vom Sachverständigen ermittelte Wertminderungsbetrag gerade nicht steuerneutral, sondern als Bruttobetrag zu behandeln, nachdem auf dem Markt der Minderwert immer in glatten Bruttozahlen „gehandelt“ wird.
5. Rechtsanwaltskosten
31
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Erstattung weiterer Rechtsanwaltskosten zu. Der berechtigte Gegenstandswert belief sich auf lediglich 8.951,99 €. Hieraus ergibt sich für die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin ein erstattungsfähiger Betrag von 745,40 €. Diesen hat die Beklagte bereits vorgerichtlich erstattet.
6. Zinsen
32
Die Klägerin kann von der Beklagten Zinsen erst ab Klagezustellung erstattet verlangen, (§ 291 S. 1 Hs. 1, S. 2 i.V.m. §§ 288 Abs. 1 BGB, 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO). Dabei ist auf den auf die Zustellung der Klageschrift folgenden Tag abzustellen (§ 187 Abs. 1 BGB analog; vgl. BGH NJW-RR 1990,518 f.). Klagezustellung erfolgte am 27.10.2022, weshalb Prozesszinsen ab 28.10.2022 geschuldet sind.
33
Zinsen wie beantragt ab 28.06.2022 stehen der Klägerin hingegen nicht zu, nachdem die Beklagte durch die E-Mail vom 13.06.2023 (Anlage K6) nicht wirksam in Verzug gesetzt wurde. Es fehlt an der Eindeutigkeit der Mahnung gem. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO (vgl. Grüneberg BGB § 286 Rn. 17). Die Klagepartei bittet die Beklagtenpartei lediglich um Ausgleich des ausgewiesenen Betrages bis 27.06.2022. Ferner ist davon die Rede, dass dem Ausgleich der vorbezeichneten Beträge binnen oben genannter Frist entgegengesehen werde. Hierin kann keine eindeutige Aufforderung zur Leistungserbringung gesehen werden, weil die Wortwahl hierüber zumindest Zweifel offen lässt.
34
Der höhere Zinssatz gem. § 288 Abs. 2 BGB ist darüber hinaus nicht geschuldet, nachdem es sich vorliegend nicht um ein Rechtsgeschäft handelt, auf dessen Grundlage Zinsen gefordert werden, sondern ein Verkehrsunfall.
II.
35
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
III.
36
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.